Buchcover

Marie Louise Fischer

Danke, liebes Hausgespenst

SAGA Egmont

Es ist schwierig, mit einem Gespenst zu leben

Monika Schmidt öffnete das Butzenscheibenfenster im Erker der großen Wohndiele und blickte hinaus. Auf dem Seerosenteich waren die weißen Blüten längst verschwunden; nur noch die großen Blätter schwammen auf dem Wasser. Die Bäume auf dem Hügel jenseits des Teiches hatten begonnen, sich gelb, braun und rot zu färben. Es war ein hübscher Anblick, und dennoch seufzte Monika schwer.

„Es wird Herbst“, sagte sie, „wie schade!“

Peter, ihr Bruder, trat hinter sie und zupfte an ihren glatten roten Haaren. „Hast wohl erwartet, daß es ewig Sommer bleiben würde!“

„Aua!“Monika fuhr herum und fauchte ihn an. „Natürlich nicht! Aber schade ist es doch! Freust du dich etwa auf die Schule?“

„Doch“, behauptete Peter, „ewig nichts tun wird doch auch fad!“

„Bravo, das höre ich gern!“lobte ihn Herr Schmidt, der zusammen mit seiner Frau noch am Frühstückstisch saß.

Nur Liane, die ältere Schwester, zischte Peter zu: „Streber!“

„Ihr könnt doch wirklich nicht sagen, daß ich nichts tue, auch wenn ich die Jüngste bin!“verteidigte sich Monika und ballte die Hände. „Jeden zweiten Tag habe ich den Stall ausgemistet und manchmal sogar noch öfter, wenn Liane etwas Besseres vorhatte! Ich habe Bodo täglich bewegt, und habe Kaspar gebürstet, wenn Peter mal wieder keine Zeit für seinen Hund hatte. Ich habe sogar geholfen den Gemüsegarten anzulegen und die Blumenbeete … und … und … und ich habe mich Nacht für Nacht bemüht, Amadeus bei guter Laune zu halten!“

„Das gefällt mir nicht“, sagte Herr Schmidt.

„Dann weiß ich wirklich nicht mehr, wie ich es euch recht machen soll!“schrie Monika, und Tränen traten in ihre großen grünen Augen.

„Sei doch nicht gleich so aufgeregt, Moni“, versuchte die Mutter sie zu beruhigen. „Ich wette, so hat Vati es gar nicht gemeint!“

„Wie denn?“

„Jetzt komm einmal her, Moni!“Herr Schmidt streckte die Hand zu ihr hin und zog sie in seine Arme. „Begreifst du denn nicht, daß ich mir Sorgen um dich mache? Du bist doch noch nicht einmal zehn Jahre.“

Monika schüttelte den Kopf.

„Doch, Moni, und nicht nur ich! Du hast dich in letzter Zeit sehr verändert … du bist so nervös, überempfindlich und aufbrausend geworden!“

„Wahrscheinlich kommt sie in die Pubertät!“ließ Peter sich vom Fenster her vernehmen.

„Sei du nur still mit deinem Quatsch!“ergriff Liane die Partei ihrer Schwester. „Was Kaspar betrifft hat Moni völlig recht. Es kann dir gerade so passen, mit deinem Riesenköter durch Wald und Feld zu streifen und ihm alberne Kunststückchen beizubringen … aber wenn er gebürstet werden muß, dann sollen Moni und ich herhalten!“

„Ausgerechnet du! Ich möchte wissen, wann du Kaspar gebürstet hättest!“

„Habe ich nicht, stimmt genau! Aber es ist ja auch dein Hund! Kümmerst du dich etwa um Bodo?“

„Warum sollte ich? Es ist ja euer Pferd … oder besser gesagt … euer Pferdegast!“

„Na eben. Genauso wenig geht mich dein Hund etwas an! Doof genug von Moni, daß sie sich immer wieder erweichen läßt!“

Jetzt mischte sich Monika in den Streit ihrer Geschwister. „Ich tu’s ja Kaspar zuliebe, weil der sich wohler fühlt, wenn sich jemand um seine Pflege kümmert! Und außerdem haart er uns sonst ja die ganze Bude voll!“

„Sehr richtig!“stimmte Frau Schmidt ihr zu. „Ihr beiden Großen solltet euch was schämen, Monika ihre Gutmütigkeit auch noch vorzuhalten! Wenn man ein Tier hält… dann muß man es auch pflegen!“

„Tät ich ja schon“, brummte Peter, „wenn Moni nicht immer so voreilig wäre!“

„Ha, ha, ha!“machte Liane. „Da kann ich ja nur lachen!“

Herr Schmidt nahm Monika auf sein Knie. „Gerade über deine Gutmütigkeit wollte ich mit dir sprechen, Moni! Wir wissen alle, was wir dir zu verdanken haben …“

„Ihr … mir?“Monikas Tränen versiegten, so erstaunt war sie.

„Aber ja doch! Ohne deine Freundschaft mit unserem Hausgespenst hätten wir doch gar nicht auf diesem herrlichen Stückchen Erde wohnen bleiben können. Erinnere dich doch, wie es uns anfangs ergangen ist. Mutti war völlig fertig mit den Nerven, und wir wollten schon aufgeben… Amadeus hatte es wirklich zu toll getrieben…“

„Pst!“Monika legte ihrem Vater den Zeigefinger auf die Lippen. „Kann sein, daß er mithört!“

Unwillkürlich blickten alle zu dem Ölgemälde an der holzvertäfelten Wand, das einen hübschen Jungen mit weit auseinanderstehenden Augen, weißer Perücke, hellblauem Frack und Rüschenhemd darstellte. Dieser Junge, wie sie durch Monika wußten, glich dem Hausgespenst haargenau, nur, daß es durchsichtig war. Außer Monika hatte es noch niemand im Haus zu Gesicht bekommen.

„Ich kann doch nicht dauernd Rücksicht nehmen!“empörte sich Herr Schmidt.

„Doch, das mußt du!“erklärte Monika ernsthaft. „Amadeuskann sonst sehr böse werden!“

Es war ein Sonntagmorgen, und Herr und Frau Schmidt waren noch, als die Kinder schon aufgestanden waren, bei einer Kanne Kaffee am gedeckten Tisch sitzen geblieben. Jetzt sahen alle – zur Bestätigung von Monikas Mahnung – wie ihr leergegessener Teller heftig auf der Tischplatte zu klappern begann. Amadeus war wieder einmal am Werk.

„Immer die alten Witze!“. Peter versuchte durch Spott sein Unbehagen zu überspielen.

Gleich darauf mußte er sich bücken, denn der Teller kam in einer Kurve durch die Luft auf seinen Schädel zugesaust, um dann wieder, wie ein Bumerang, auf seinem alten Platz zu landen.

„Gib nicht so an, Peter“, mahnte Monika, „du kannst Amadeus nicht das Wasser reichen, also riskier auch gefälligst keine Lippe! Und was dich betrifft, Amadeus …“, sie sprach in den Raum hinein, „ … denk an dein Versprechen! Sonst habe ich nachts keine Zeit mehr für dich!“

Bums, blieb der Teller, der gerade noch wütend geklappert hatte, stehen.

„Na also“, sagte Monika, „warum nicht gleich so!“Sie strahlte ihren Vater an.

Aber Herr Schmidt schüttelte bedenklich den Kopf. „Es gefällt mir nicht, nein, Moni, es gefällt mir ganz und gar nicht, daß meine Tochter Umgang mit Gespenstern hat!“

„Mit einem Gespenst!“stellte Monika richtig.

„Auch das ist schon zuviel!“

„Aber Amadeus ist doch so lieb“, verteidigte Monika ihren unheimlichen Freund, „vergiß nicht … er hat mir zweimal das Leben gerettet …“

„ … wobei die Frage ist, ob das überhaupt notwendig gewesen wäre, wenn er nicht seinen Unsinn getrieben hätte.“

Das ließ das Hausgespenst nicht auf sich sitzen; sehr nachdrücklich klopfte es dreimal hintereinander mit Monikas Löffel gegen den Eierbecher.

„Jetzt langt’s mir aber!“brüllte Herr Schmidt. „Gib Ruhe, du ungezogener Bengel, sonst passiert was!“

„Aber, Vati, so kannst du doch mit Amadeus nicht sprechen!“protestierte Monika, und schon wieder wurden ihre Augen naß.

„Ich kann noch ganz andere Saiten aufziehen!“drohte Herr Schmidt. „Ich denke nicht daran, mich und meine Familie von einem albernen Gespenst tyrannisieren zu lassen!“

Monika war ganz blaß vor Schrecken geworden. Sie erwartete nichts anderes, als daß Amadeus jetzt einen ungeheuren Streich spielen würde. Aber er schien von Herrn Schmidts Zorn beeindruckt zu sein und verhielt sich ganz ruhig.

„Seht ihr, so geht es auch“, stellte der Vater befriedigt fest. „und daß ihr es ein für allemal wißt: ich denke nicht daran, Monikas Gesundheit weiter aufs Spiel zu setzen!“

„Aber ich bin doch ganz gesund!“

„Dann sieh mal in den Spiegel! Sieh dir mal die Schatten unter deinen Augen an, und dünn bist du geworden wie ein gemästeter Bindfaden!“

„Aber ich hab Muskeln!“Monika schloß die Hand zur Faust und ließ ihre Bizeps spielen.

„Das nutzt dir wenig. Was du brauchst, ist Schlaf … ungestörte Nachtruhe! Wie soll das denn mit dir werden, wenn die Schule wieder anfängt?“

Darauf wußte auch Monika keine Antwort, und sie ließ den Kopf hängen.

„Hast du einen Vorschlag, Max?“fragte die Mutter.

„Ja. Wir dürfen die Sorge für unser Hausgespenst nicht länger Monika allein überlassen, sondern wir müssen uns abwechselnd darum kümmern, versteht ihr? Wir müssen es dahin bringen, daß es sich eine Nacht bei mir meldet, die nächste bei Peter …“

„Ich? Was soll ich denn mit dem Gespenst anfangen?“fiel Peter ihm ins Wort.

„Nun, laut Monikas Aussage ist es ja ein zwölfjähriger Junge, ihr würdet also doch ganz gut zueinander passen!“

„Ich!? Zu einem blöden Gespenst?!“

Es machte klatsch … und auf Peters linker Wange zeichneten sich vier Finger einer kleinen Hand ab.

„Aua! Unverschämtheit!“Peter rieb sich die schmerzende Stelle.

„Geschieht dir ganz recht“, sagte Liane mitleidslos. „Vati sucht nach einem Kompromiß, und du spielst den Trottel! Also, was mich betrifft, ich bin gern bereit, mich hin und wieder mit Amadeus zu unterhalten. Warum denn nicht?“

„Ich mache auch mit“, erbot sich Frau Schmidt, „wenn es mir auch ziemlich unheimlich sein wird.“

„Na siehst du, Moni!“Herr Schmidt gab seiner Tochter einen raschen Kuß. „Schon ist das Problem gelöst! Die ganze Familie tritt geschlossen zu deiner Entlastung an.“

„Aber ob Amadeus damit einverstanden sein wird?“fragte Monika zweifelnd. „Er ist doch mein Freund!“

„Deshalb können wir anderen doch auch versuchen uns mit ihm anzufreunden … oder bist du etwa eifersüchtig?“

„Nein.“

„Also dann …“

„Entschuldige, Vati, aber ich fürchte … du verstehst zu wenig vom Umgang mit Gespenstern. Du kannst ein solches Wesen nicht zwingen, sich an solche Regeln zu halten. Selbst wenn Amadeus wollte, er würde alles durcheinanderbringen. Du kannst doch nicht verlangen, daß er sich nach dem Kalender richtet und sich die Wochentage merkt! Nein, wirklich, Vati, er läßt sich nicht dressieren. Das ist ganz unmöglich!“

„Aber was dann?“fragte die Mutter.

„Von mir aus … ziehen wir um!“meinte Liane. „Ehrlich gestanden, ich hab’s ziemlich satt hier! Was hat man schon von einem schönen Haus, wenn man keine Partys feiern darf? Ja, überhaupt keine Gäste empfangen kann, weil ein Hausgespenst sonst verrückt spielt?! Und das Reiten macht mir auch nicht mehr soviel Spaß wie früher. Also von mir aus: ziehen wir um.“

„Und lassen unseren mühsam erbauten Stall im Stich!“rief Monika. „Nie und nimmer!“

„Ich bin auch fürs Bleiben!“sagte Peter. „Einen bernhardinerartigen Hund wie Kaspar kann man nicht in einer Wohnung halten… und ins Tierasyl zurückbringen kann ich ihn auch nicht mehr!“

„Meinen Gemüsegarten mag ich auch nicht aufgeben“, sagte Frau Schmidt, „und mit meiner Töpferei habe ich noch nicht einmal angefangen!“

„Drei zu zwei“, stellte der Vater fest, „Liane, du siehst, wir sind überstimmt.“

„Du brauchst dir wirklich keine Sorgen um mich zu machen, Vati“, beteuerte Monika, „ich werde mit Amadeus reden, ich werde ihn dazu bringen, daß er mich nur noch kurz nach dem Schlafengehen besucht und mich nachts nicht mehr weckt …“

„Und du glaubst, du kannst das erreichen?“fragte der Vater zweifelnd.

„Du vergißt: er ist mein Freund!“Monika rutschte von den Knien ihres Vaters. „Aber laßt uns doch jetzt zusehen, daß wir hinauskommen!“Sie begann das Geschirr auf einem Tablett zu stapeln. „Liane, Peter, helft mir! Wer weiß, wie lange wir noch so schöne Tage haben werden. Willst du als erste reiten, Liane, oder erst heute nachmittag? Mir ist’s gleich!“

Es gelang ihr, die Familie vom Thema abzubringen, und sie war sehr erleichtert darüber. Dennoch wußte sie, daß die Bedenken ihres Vaters berechtigt waren. Die nächtlichen Begegnungen mit Amadeus waren wirklich reichlich anstrengend für sie. Trotz ihrer zur Schau getragenen Zuversicht wußte sie nicht, wie sie das Hausgespenst davon abhalten sollte.