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Ashley Carrington

Die Herren der Küste

Roman

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16

»Er ist nicht mein Vater, zumindest nicht mein leiblicher. Jonathan und Marjorie haben mich bei sich aufgenommen und mich wie ihr eigenes Kind aufgezogen, als meine Eltern 1906 beim Erdbeben ums Leben kamen. Meine leibliche Mutter und Marjorie waren Schwestern. Ich war damals noch nicht ganz ein Jahr alt. Für mich sind Jonathan und Marjorie meine wahren Eltern. Aber was hat das mit uns zu tun?«, sagte Julia völlig verstört.

Gideon hatte den Wagen aus dem Innenhof gefahren und vor dem Landgut auf sie gewartet, gute fünf Minuten. Er stand nun neben dem Coupé, dessen Motor lief.

»Die O’Haras und die Glenvilles sind sich nicht gerade herzlich zugetan, gelinde ausgedrückt«, antwortete er ihr mit verschlossenem Gesicht. Der Schock, dass Jonathan ihr Vater war, hatte ihn schwer getroffen. Dass sie nur eine angenommene Tochter war, machte keinen großen Unterschied. Es war ihre Familie, allein das zählte. Und er hasste die Glenvilles!

»Aber warum?«, fragte sie gequält. »Jonathan wollte nicht darüber reden.«

»Kein Wunder!«, sagte Gideon sarkastisch.

»Dann erzähl du mir, was zwischen euch steht!«

Es steht jetzt auch zwischen uns, dachte Gideon bitter. »Nein, er soll es dir erzählen, Julia, wenn er den Mut hat«, sagte er hart. »Und du wirst dich für einen von uns entscheiden müssen.«

»Nein, tu mir das nicht an!«, flüsterte Julia entsetzt.

Sein Herz krampfte sich zusammen, als er die Qual in ihren Augen las – dieselbe Qual, die ihn marterte. Die dunklen Schatten der Vergangenheit hatten ihrem Glück Glanz und Sorglosigkeit genommen. Er liebte Julia, doch der Hass war nicht weniger stark als die Liebe. »Nicht ich tue dir etwas an. Ich sage dir nur, wie die Dinge liegen.«

»Welche Dinge, Gideon? Ich verstehe nicht, was hier vor sich geht. Sag mir, was der Grund für eure gegenseitige Abneigung ist«, flehte sie ihn an, mit Tränen in den Augen.

»Es ist nicht Abneigung, es ist Hass! Und der Grund tut nichts zur Sache, Julia. Es ist sogar besser, du kennst ihn nicht, wenn du dich entscheiden musst, wer dir mehr bedeutet – dein Vater oder ich.«, verzweifelt schüttelte sie den Kopf. »Nein, Gideon! Du kannst mich nicht vor diese Wahl stellen. Nicht, wenn du mich so liebst, wie ich dich liebe. Was immer auch vorgefallen sein mag, ich kann meine Eltern nicht verstoßen! Niemand kann das von mir verlangen.«

»Du verstehst noch immer nicht. Nicht ich verlange es, sondern die Umstände verlangen es. Es sind Umstände, für die ich keine Verantwortung trage, denn was zwischen den O’Haras und den Glenvilles steht, ist ein Hass, der so alt ist wie ich, genau vierunddreißig Jahre, und er lässt sich nicht wegwischen wie Staub«, sagte er mühsam beherrscht. »Feuer und Wasser lassen sich nicht mischen. Es wäre lächerlich zu glauben, wir könnten das ignorieren. Unsere Liebe macht unser Leben nicht zu einer Insel. Ich verabscheue deinen Vater, und meine Mutter wird dich ablehnen. Wirst du damit leben können, Julia?«

»Ich liebe dich, Gideon«, flüsterte sie beschwörend und mit tränenerstickter Stimme.

»Das ist keine Antwort, und du weißt es.«

Sie sahen sich in stummer Verzweiflung an.

Er öffnete den Schlag. »Wenn du deine Wahl getroffen hast, sag es mir. Bis dahin ist es wohl besser, wenn wir uns nicht sehen.« Er zögerte. »Ich liebe dich, Julia.«

»Und ich liebe dich, Gideon«, antwortete sie. Tränen liefen ihr über die Wangen, doch sie machte nicht einen Schritt auf ihn zu.

Mit aschfahlem Gesicht glitt er hinter das Lenkrad. Dann jagte er den Wagen die Allee hinunter, ohne sich noch einmal umzublicken. Es war ein Wunder, dass er auf der Rückfahrt nach San Francisco nicht verunglückte, denn er war fast blind vor Tränen und Zorn auf das grausame Schicksal, das dafür gesorgt hatte, dass er sich ausgerechnet in die angenommene Tochter Jonathan Glenvilles verliebt hatte. Hätte er vor Monaten doch bloß alle Yarborough-Berichte studiert, statt sich auf die Unterlagen der letzten zehn Jahre zu beschränken! Dann wäre er auf die Information gestoßen, dass Jonathan und Marjorie ein Mädchen angenommen hatten und dass diese Julia als Kunsthistorikerin bei Christiansen’s arbeitete. Und dann hätte er sich erst gar nicht in sie verliebt! Aber weil Jonathan sich schon vor über fünfzehn Jahren aus der Firma zurückgezogen hatte und sich auch nicht mehr für die Geschäfte der Glenville Steamship Company interessierte, hatte Gideon ihm keinerlei Beachtung geschenkt.

Als Kate ihren Sohn wenige Stunden später zur Tür hereinkommen sah, erschrak sie über sein Aussehen. »Mein Gott, was ist passiert, Gideon? Du siehst krank aus!«

»Wie würde es dir gefallen, so etwas wie die Adoptivtochter Jonathan Glenvilles als Schwiegertochter zu bekommen?«, fragte er schroff. Ihr Blick war erst verständnislos, dann begriff sie, und in ihre Augen trat Entsetzen.

»Ja, das dachte ich mir«, sagte er bitter, drehte auf der Stelle um und stürmte wieder aus dem Haus, um die nächstbeste Flüsterkneipe aufzusuchen, wo er sich ungestört betrinken konnte.

Kate eilte in ihr Arbeitszimmer, riss den Aktenschrank auf, in dem sie Mr. Yarboroughs Berichte aufbewahrte, und blätterte über zwanzig Jahre alte Unterlagen durch, bis sie fündig wurde: Jonathan und Marjorie, denen eigene Kinder versagt geblieben waren, hatten im Mai 1906 die Vormundschaft und Erziehung von Julia Ashton übernommen. Sie war damals neun Monate alt und hatte ihre Eltern beim Erdbeben verloren.

Obwohl die Informationen über das Kind sehr sparsam ausgefallen waren, weil weder sie noch Mr. Yarborough dieser Person viel Bedeutung beigemessen hatte, war die Biographie doch lückenlos. Julia hatte sich nie für die Geschäfte der Glenvilles interessiert, sondern ausschließlich für die schönen Künste. Sie hatte in London und in Paris studiert und ihr Examen summa cum laude bestanden.

Widerwillig musste Kate Julias Leistungen anerkennen – wie auch ihr äußerst ansprechendes Aussehen, denn einem der Berichte lag ein Foto bei, das Julia Ashton mit den anderen erfolgreichen Absolventen ihres Jahrgangs zeigte.

Am nächsten Tag versuchte sie mehr über diese unselige Liebschaft, wie sie die Angelegenheit insgeheim nannte, aus ihrem Sohn herauszubekommen.

Gideon schnitt ihr sofort das Wort ab. »Ich habe nicht vor, über Julia mit dir zu diskutieren, Mom!«

»Eine Glenville als Schwiegertochter! Das wäre ja noch schöner. Das wirst du dir und mir nicht antun!«

Sein Blick war flammend und seine Stimme von eisiger Schärfe, als er erwiderte: »Ich habe Julia klargemacht, dass sie sich zwischen mir und Jonathan entscheiden muss. Wenn sie mich will, werde auch ich mich nicht um eine Entscheidung drücken. Ich werde zu ihr stehen, Mutter – und zwar um jeden Preis!«

Kate erbleichte. »Gideon, so kannst du nicht …«

»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass meine Gefühle und auch Julia hier nicht zur Diskussion stehen. Jetzt nicht und nie! Solltest du das nicht beherzigen, werde ich dieses Haus nicht mehr betreten! Das ist keine Drohung, sondern eine Ankündigung!« Er stand auf und ging.

»Willst du die Kinder für die Taten ihrer Eltern verantwortlich machen? Sollen die Sünden der Väter auch das Leben ihrer Kinder und Kindeskinder vergiften?«, fragte Leonard mahnend, als Kate ihn aufgeregt in seiner Kanzlei aufgesucht und erregt über Gideon und Julia informiert hatte.

»Wir alle wachsen in Familientraditionen auf, die nun mal ihre eigenen Gesetze haben!«

»Hass ist etwas sehr Destruktives, während Liebe …«

Kate fiel ihm ins Wort. »Das stimmt nicht! Ohne diesen Hass auf die Glenvilles gäbe es die Bay City Homes El’ Land nicht und auch nicht die beiden Tochterfirmen meines Sohnes!«, widersprach sie heftig. »Der Hass hat mich und Gideon beflügelt, Großes zu leisten.«

»Und jetzt kann er dich und Gideon zu Feinden machen, wenn du den Hass höher stellst als seine Liebe. Willst du wirklich deinen Sohn verlieren, nur weil er eine Frau liebt, die du nicht akzeptieren willst, und zwar einzig aus dem Grund, weil sie den in deinen Augen unverzeihlichen Makel besitzt, von Jonathan an Kindes Statt angenommen worden zu sein? Wenn das der Preis ist, den du für deine Abrechnung mit den Glenvilles zu zahlen bereit bist, dann bist du nicht besser als die Glenvilles, als sie Gideon entführen ließen und dich erpressten.« Kate senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände, die sie im Schoß geballt hatte.

Leonard kam um seinen Schreibtisch herum und berührte sie sanft an der Schulter. »Lass nicht zu, dass blinder Hass Gideons und dein Leben zerstört. Nichts auf der Welt ist es wert, dass man dafür wahre Liebe opfert – ob nun die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind oder die eines Mannes zu einer Frau. Jedenfalls nicht, wenn man keinen Stein als Herz in der Brust hat.«

»Ach, Leonard«, murmelte Kate verstört und ergriff seine Hand. Sie wusste nicht mehr, was sie denken und tun sollte.

Leonard dachte voller Trauer an seine Kinder. Rachel war nach Palästina gegangen. Ihr Abschied von ihm war ihr nur einen kurzen Brief wert gewesen. Und seinen Sohn hatte ihm nicht erst der Tod genommen – das war schon Jahre vorher geschehen. Er hatte seine Kinder und seine Frau verloren, weil er ihnen nicht die Liebe hatte schenken können und wollen, die sie gebraucht hätten. Und er wollte verhindern, dass Kate dasselbe Schicksal widerfuhr.

Gideon wartete jede Stunde darauf, dass Julia anrief oder plötzlich vor der Tür stand. Er wartete darauf, dass sie ihm sagte, dass ihr ihre Liebe wichtiger als alles andere sei. Tag und Nacht kreisten seine Gedanken um sie. Auch während der Arbeit im Büro schweiften seine Gedanken zu ihr, manchmal für ein, zwei Stunden, ohne dass er sich dessen bewusst wurde. Es passierte ihm sogar inmitten wichtiger Sitzungen. Dann war er plötzlich in Gedanken ganz woanders, bei Julia. Das führte zu peinlichen Situationen, aber er konnte nichts dagegen tun, und er wollte auch nicht. Es war ihm egal, was andere dachten. Hinter seinem Rücken beklagten sich seine Mitarbeiter über sein unleidliches Wesen.

Die Tage qualvollen Wartens und Grübelns vergingen und wurden zu Wochen, ohne dass er etwas von Julia hörte. Er war bitter enttäuscht. Hatte er ihr so wenig bedeutet, dass ein Wort Jonathans ausreichte, um ihre Liebe zu beenden?

Auf den Schmerz und das hoffnungsvolle Warten folgte eine Phase der Selbstverleugnung und des Trotzes. Gideon versuchte sich einzureden, dass ihre Liebe ohnehin keine Chance gehabt habe und er deshalb froh sein könne, dass es früh genug zum Knall gekommen war. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Abgesehen davon, dass er jetzt wieder mehr Arbeit bewältigte, weil er sich förmlich darin vergrub, änderte das nichts an seinen Gefühlen für Julia. Er belog sich nur selbst.

Im Juli ertappte er sich dabei, dass er Karten für eine besondere Ballettvorstellung kaufte. Er hoffte, Julia im Theater zu begegnen. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Es gelang ihm auch nicht, sie an einem »ihrer« Orte oder Lieblingsrestaurants anzutreffen. Kein Anruf, kein Brief, kein Lebenszeichen. Doch er konnte nicht glauben, dass sie ihn aus ihrem Leben gestrichen hatte.

Die Erkenntnis, dass er sie liebte und um nichts auf der Welt auf sie verzichten wollte, traf ihn, als er sie zum ersten Mal wiedersah. Es war an einem Montagabend Ende Juli. Er parkte gegenüber von Christiansen’s und wartete zwei Stunden, bis er sie kurz nach Geschäftsschluss aus dem Haus kommen sah. Er wäre am liebsten aus dem Wagen gesprungen. Doch er beherrschte sich und starrte verzweifelt zu ihr hinüber.

Von diesem Tag an beobachtete er sie jeden Abend auf ihrem Nachhauseweg. Er folgte ihr auf der anderen Seite in geringem Abstand und fühlte sich wie ein Süchtiger, der sich mit größter Willenskraft zwingt, seine Hand nicht nach der Droge auszustrecken, weil er weiß, dass es dann kein Zurück mehr gibt.

Dann kam der Abend, als das Sommergewitter heraufzog. Der Himmel wurde innerhalb von Minuten tiefschwarz. Julia war nur noch knapp zwanzig Schritte von ihrem Hauseingang entfernt, als ein wolkenbruchartiger Regen einsetzte, begleitet von grellen Blitzen und krachendem Donner.

Gideon hatte einen Regenschirm dabei. Als er sah, wie Julia zu laufen anfing, begann auch er zu rennen – quer über die Straße. Und plötzlich hörte er sich schreien, um den Donner zu übertönen. »Julia! … Julia!«

Sie blieb stehen und fuhr jäh herum. Ein Blitz tauchte ihr ungläubiges Gesicht in ein weißblaues Licht. »Gideon!«

Er rannte zu ihr– spannte den Regenschirm auf und hielt ihn über ihren Kopf. Als ob der Regen in diesem Moment irgendetwas bedeutet hätte!

Einen Moment sahen sie sich an, von einer unfasslichen inneren Anspannung und Sehnsucht beherrscht. Jeder las in den Augen des anderen die Qual der vergangenen Wochen und die Liebe, die sie füreinander empfanden.

»Vergiss, was ich gesagt habe!«, stieß Gideon schließlich hervor.

»Was?«

»Dass du dich zwischen mir und deinen Eltern entscheiden musst, Julia. Diese Alternative war grausam. Das einzige, worüber du dir klarwerden musst, ist, ob du mich genug liebst. Mit all dem anderen werden wir schon irgendwie klarkommen.«

»Ich liebe dich, Gideon, mehr als du dir vorstellen kannst.«

»Und ich dich, Julia!« Er warf den Regenschirm zur Seite und schloss sie in seine Arme. Sie küssten sich, ohne sich um die Blicke der vorbei-hastenden Passanten zu kümmern. Sie lachten und weinten. Ihre Freudentränen vermischten sich mit den Regentropfen, die auf sie herabtrommelten und sie bis auf die Haut durchnässten. Sie bemerkten es kaum.

Gideon schmeckte den Regen noch auf ihrer nackten Haut, als er wenig später mit ihr im Bett lag und ihren Körper küsste. Sie hatten sich nicht die Zeit genommen, sich gründlich abzutrocknen, sondern sich gegenseitig die Kleider vom Körper gezerrt, weil sie es nicht erwarten konnten, sich endlich zu lieben.

Die Liebe, die er für sie empfand, und die sinnestrunkene Leidenschaft, die er mit ihr in dieser Nacht erfuhr, überwältigte ihn. »Ich gebe dich nie wieder frei, Julia! Lass uns heiraten!«

Ihre Augen leuchteten vor Glück. »Ja, Gideon, ja!«

Sie beschlossen, dass ihre Hochzeit zu Weihnachten stattfinden sollte.

17

Das Telefon holte Kate aus dem Schlaf. Die Zeiger ihrer Nachttischuhr standen auf fünf nach sechs. Hinter den Gardinen dämmerte ein wolkenverhangener Oktobermorgen herauf. Kate richtete sich auf und hob ab.

Es war Virgil. »Bitte entschuldigen Sie die frühe Störung, Madam, aber Mr. Ruben besteht darauf, Sie zu sprechen. Es sei sehr dringend.«

»Schon gut, Virgil. In einer halben Stunde wäre ich ja sowieso aufgestanden. Stellen Sie das Gespräch durch.«

»Sehr wohl, Madam.«

Es klickte, dann hörte sie Leonards Stimme. »Es tut mir leid, wenn ich dich um die letzte halbe Stunde Schlaf gebracht habe, Kate. Aber mein Broker fand, dass friedvoller Schlaf bis zur letzten Minute nicht zum Motto des heutigen Tages passt.«

Kate war sofort hellwach. »Und wie heißt das Motto des Tages?«

»Der Kurssturz an der Börse geht weiter. Die Lawine ist nicht mehr aufzuhalten«, teilte er ihr mit. »Bis die Börse in New York öffnet, ist es noch fast eine Stunde hin. Und schon jetzt türmen sich auf den Tischen der Börsenhändler die Verkaufsorders.«

»Das ist ein schlimmes Zeichen.«

»Es heißt, dass die heutigen Aktienverluste die vier Milliarden, die sich gestern an der Börse in Luft aufgelöst haben, noch übertreffen werden. Vielleicht kommt es sogar zu einer Panik. Kate, es ist alles möglich. Mein Broker jedenfalls meint, dass die Börse heute wie ein ›Donnerkeil aus der Hölle‹ eröffnen wird.«

»Ich hoffe, er hat unrecht. Es ist auch so schon schlimm genug um unsere Wirtschaft bestellt.«

»Der Meinung bin ich auch, aber ich glaube nicht, dass wir viel dagegen tun können. Deshalb wäre es das Beste, wenn wir uns kurz nach Börsenbeginn in meiner Kanzlei treffen würden, um weitere Schritte zu besprechen. Soll ich Gideon unterrichten, oder willst du das tun?«

Kate zögerte. Seit Gideon sie vor die vollendete Tatsache gestellt hatte, dass er Julia Ashton im Dezember heiraten werde, und sie darauf mit bitteren Vorwürfen geantwortet hatte, war ihr Verhältnis sehr gespannt. Er war kaum noch zu Hause. Die meisten Nächte verbrachte er bei Julia, was Kate sogar gegen den Strich gegangen wäre, wenn sie die Schwiegertochter ausgesucht hätte.

»Ich wäre dir dankbar, wenn du es mir ersparen würdest, mit dieser Person zu sprechen.«

Leonard seufzte. »Natürlich, Kate, aber …«

»Ich weiß, ich weiß«, fiel sie ihm gereizt ins Wort. »Miss Ashton ist eine reizende junge Dame und sehr erfolgreich in ihrem Beruf. Das hast du mir oft genug gesagt, Leonard. Es ändert aber nichts an meiner Überzeugung. Bis gleich.«

Sie legte auf und schlug mit einer energischen Bewegung die Bettdecke zurück. Die unselige Verbindung ihres Sohnes mit Julia Ashton verdrängte sie. Der allgemeine Kursverfall der Aktien bereitete ihr große Sorgen.

Vor vier Tagen, am Montag, dem 21. Oktober, hatte der Sturz der Aktien begonnen. Auf dem Parkett der New Yorker Börse herrschte schon eine Viertelstunde nach Börsenbeginn das reinste Chaos. Der Ticker fiel um eine Stunde hinter die talwärts sausenden Kurse zurück, so dass viele Leute erst mit einer Stunde Verspätung erfuhren, ob sie ruiniert waren oder nicht. Die gigantischen Einschusskäufe lösten eine nicht weniger gigantische Welle von Nachschusszahlungen aus. Wer clever war, schrieb seine Papiere als Totalverlust ab, ohne noch einmal Geld hinterherzuwerfen, das den Verfall doch nicht aufhalten konnte. Als die Börse in Wall Street schloss, hatten über sechs Millionen Aktien den Besitzer gewechselt. Aktienvermögen in Milliardenhöhe waren dahingeschmolzen.

Am Dienstag ging es in der Wall Street merkwürdig still zu. Es gab zwischenzeitlich sogar eine kleine Erholung der Kurse, die dann gegen Ende der Sitzung wieder abwärts gingen, wenn auch vergleichsweise moderat.

Ungewissheit bestimmte am Mittwoch die Atmosphäre, als die Börse eröffnete. Manche Leute rechneten damit, dass die halbherzige Erholung vom Vortag an Kraft gewinnen und die Kurse wieder aufwärts führen werde. Gegen Mittag zeichnete sich jedoch schon ab, dass ein weiterer scharfer Kurseinbruch bevorstand. Verkaufsorders überschwemmten den Markt. Der Kursverlust betrug allein an der New Yorker Börse über vier Milliarden Dollar. Zehntausende von kleinen Anlegern, die Aktien auf Einschuss gekauft hatten, waren weggefegt worden wie welke Blätter im Sturmwind.

Was würde der Donnerstag bringen?

Kate hatte weder Zeit noch Ruhe für ein Frühstück. Sie trank eine Tasse Kaffee im Stehen und ließ sich dann von Rupert zu Leonard fahren.

Gideon war kurz vor ihr in der Kanzlei eingetroffen. Er sah gut aus, nicht nur was seine makellos elegante Kleidung betraf. Die scharfen Linien des Ehrgeizes waren aus seinem Gesicht verschwunden. Seit er diese Frau kannte, hatte er sich überhaupt sehr verändert – vorteilhaft. Und das wurmte Kate. Dieser innere Zorn veranlasste sie, auf sein fröhlich-lächelndes »Guten Morgen, Mom!« mit einem kühlen »Wie gut der Morgen ist, wird sich erst noch zeigen!« zu antworten. Doch kaum waren ihr diese Worte über die Lippen gekommen, da bereute sie ihre abweisende Haltung auch schon. Sie wollte es doch nicht zum Bruch zwischen ihnen kommen lassen.

»Bestimmt nicht gut für die Glenvilles«, meinte er unbeschwert und zündete sich eine Zigarette an. »Die Glenville-Aktien werden noch weiter stürzen – und wir werden sie für ein Spottgeld aufkaufen.« Leonard reichte Kate eine Tasse Kaffee. »Glenville hat seit Montag vierundzwanzig Punkte verloren. Damit hat sich der Wert der Aktie fast halbiert. Aber dennoch sind verhältnismäßig wenig Glenville-Papiere auf den Markt geworfen worden.«

Kate setzte die Tasse ab. »Ja, leider.« Sie hatten in den vergangenen Tagen nur hundertvierzigtausend Aktien aufkaufen können, was seit der Kapitalerhöhung vor sechs Jahren auf eine Million Aktien einen Anteil von gerade mal vierzehn Prozent bedeutete. Damit waren sie weit davon entfernt, die Kontrolle über die Firma in ihre Hand zu bekommen.

»Jonathan, Lester und Vernon werden nicht so dumm sein, ihre Anteile zu verkaufen und den Abwärtstrend noch zu beschleunigen«, sagte Leonard.

»Julia wird zu keinem Preis verkaufen«, warf Gideon ein und erinnerte seine Mutter damit daran, dass seine zukünftige Frau immerhin sechs Prozent hielt und natürlich für ihn stimmen werde.

Kate überhörte den Einwurf. »Wenn doch Charles Jordan sein Aktienpaket an uns verkaufen würde! Dann wären wir jetzt mit einunddreißig Prozent der stärkste Aktionär. Allein damit hätten wir schon eine gute Chance, Lester und Vernon das Leben zur Hölle zu machen und Vernon über kurz oder lang dazu zu bringen, dass er von seinem Posten zurücktritt.«

Leonard schüttelte den Kopf. »Jordan verkauft an keinen. Er hat dafür seine Grande.«

»Ja, verdammt kostspielige Ehrbegriffe«, meinte Gideon. »Er wird nie wieder einunddreißig Dollar für eine Glenville-Aktie bekommen, wenn dieser Tag vorbei ist, nicht einmal von uns.«

Gideon behielt recht. Der 24. Oktober 1929 sollte als »Schwarzer Donnerstag« in die Geschichte eingehen, in Europa wegen der Zeitverschiebung als »Schwarzer Freitag«. Der Handel begann in der Wall Street von der ersten Minute an äußerst hektisch. Gegen elf konnte nichts den Kurssturz auf breiter Front aufhalten. Gute wie schlechte Papiere wurden davon erfaßt. Der Markt geriet völlig außer Kontrolle.

Die Kurse brachen so schnell ein, dass der Ticker mit den neuen Notierungen nicht mehr nachkam. Kate und Gideon blieben bis zum Ende der Börsensitzung in Leonards Kanzlei. Dass sie ihren Anteil an Glenville-Aktien auf neunzehn Prozent erhöhen konnten, empfanden sie als vergleichsweise unbedeutend. Sie waren zu sehr Geschäftsleute und mit den Mechanismen der Wirtschaft vertraut, um nicht zu wissen, welch bittere Konsequenzen dieser totale Zusammenbruch des Aktienmarktes für die Nation haben würde.

Um viertel nach elf passierte das Unfassbare: Zahlreiche Aktien waren zu keinem Preis zu verkaufen. Die Börse wurde zum Tollhaus.

Fassungslos verfolgten Leonard, Gideon und Kate am Ticker, wie sich erneut Milliardenvermögen in Luft auflösten. Nicht nur unzählige kleine Anleger waren ruiniert, sondern auch Bankiers, Industrielle, Filmstars und andere vermögende Leute, die ihr Geld im Vertrauen auf eine anhaltende Hausse in Aktien angelegt hatten. Die ersten Selbstmorde bankrotter Spekulanten wurden bekannt.

Nach einer geheimen Mittagsbesprechung der New Yorker Finanztitanen griff ein von ihnen gebildetes Bankenkonsortium mit massiven Stützungskäufen ein, was allein den Spekulanten mit umfangreichen Ressourcen half, nicht jedoch den Anlegern, die auf dem Höhepunkt der Panik verkauft hatten.

»Gott sei Dank hast du mich überredet, frühzeitig auszusteigen«, sagte Kate, als sie mit Leonard die Kanzlei verließ.

Am Freitag erholten sich einige Papiere, und manche machten den Verlust vom Donnerstag fast gänzlich wett, weil professionelle Anleger, von vielen Aasgeier genannt, sich mit Aktien gesunder Firmen billig eindeckten. Doch nach einem Wochenende, das die ganze Nation in nervöser Anspannung verbrachte, verzeichnete die Börse am Montag den schlimmsten Verlust in ihrer Geschichte. Das Bankenkonsortium griff an diesem Tag nicht mit Stützungskäufen ein. Noch einmal vierzehn Milliarden Dollar – der dreifache Wert des in den USA im Umlauf befindlichen Geldes!– lösten sich in Luft auf. Das Desaster setzte sich bis in den November fort: Vermögen von insgesamt fünfzig Milliarden wurden ausgelöscht, und es gab eine nie dagewesene Welle von Selbstmorden und Firmenpleiten, darunter auch den Bankrott von fast siebenhundert Banken im ganzen Land. In Übersee waren die Folgen nicht weniger katastrophal. Die Börse sollte vierzig Jahre brauchen, bis der Aktienindex wieder den Stand erreichte, den er vor dem »Schwarzen Donnerstag« gehabt hatte. Das war das Ende einer Ära, der »Goldenen Zwanziger Jahre«, und der Beginn der großen Depression.

18

Am frühen Montagnachmittag erhielt Kate einen Hilferuf von Charles Jordan. »Ich brauche Ihre Hilfe, Mrs. O’Hara. Nur Sie können jetzt noch den Ruin meiner Bank aufhalten.« Seine Stimme klang gehetzt.

»Können wir auch über Ihre Glenville-Aktien reden?«, fragte Kate, die eine einmalige Chance witterte.

»Wir können über alles reden. Es muss nur schnell gehen!«

Kate traf fünfzehn Minuten später bei ihm ein. Als sie die kleine Schalterhalle betrat, die mit Marmor ausgelegt war und auch in allen anderen Details den Ansprüchen einer gehobenen Klientel entsprach, erkannte sie Mr. Jordans Problem sofort. Wie viele andere Banken erlebte auch Jordan & Nash einen Ansturm von Kunden, die das Vertrauen in die Geldinstitute verloren hatten und ihre Konten auflösen wollten. Die Leute drängten sich zwar nicht in langen Schlangen vor dem Gebäude, und sie schrien auch nicht herum wie vor anderen Banken. Die Männer in der Halle, gut fünfzig an der Zahl, waren gut gekleidet und benahmen sich auch tadellos. Doch die Atmosphäre war von einer mühsam kontrollierten Gereiztheit gekennzeichnet, denn die vier Angestellten am Schalter versuchten jeden Kunden zu überzeugen, dass ihr Geld bei Jordan & Nash gut aufgehoben sei und es keinen Grund gebe, das Konto zu löschen.

Kate hörte, wie ein gutaussehender Mann in einem Mantel mit Pelzkragen den Bankangestellten schroff unterbrach: »Geben Sie mir meine fünfzigtausend! Wenn mir der Sinn nach Predigten steht, gehe ich in die Kirche. Und wenn die Bank so gesund ist, wie Sie behaupten, dann werden Sie auch keine Schwierigkeiten haben, mir mein Geld auszuzahlen.«

Charles Jordan hielt sich höchstpersönlich im Schalterraum auf. Die letzten Tage hatten ihn um Jahre altern lassen. Sein Gesicht war eingefallen und grau. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ständig tupfte er sich Schweiß vom Gesicht.

»Unsere Barreserven neigen sich dem Ende zu«, erklärte er Kate in seinem Zimmer. »Eine kleine Bank wie die unsere, die keinen großen Kundenverkehr kennt, hält deshalb auch nicht mehrere Millionen in bar zur Verfügung. Deshalb sind wir einem plötzlichen Ansturm einfach nicht gewachsen. Wenn wir nicht alle Konten auszahlen können, müssen wir Bankrott anmelden. Das ist volkswirtschaftlicher Irrsinn, denn durch glückliche Umstände hat uns die Börsenpanik keine allzu großen Verluste gebracht. Natürlich haben auch wir Federn lassen müssen, aber das können wir verkraften – wenn man uns nicht jetzt die Luft abschnürt.«

Kate kannte das Problem. Es stellte sich den Banken in diesen Tagen weltweit. Es war Irrsinn und trieb gesunde Banken in den Ruin, aber die Vernunft war nicht so stark wie die Angst und der Wunsch der Leute, ihr Geld in der Hand zu halten.

»Und wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich brauche Bargeld, um das Vertrauen meiner Kunden zurückzugewinnen, und sichtbare Sicherheiten, die keinen Zweifel an der Zahlungsfähigkeit dieses Hauses lassen. Das wird viele dazu bewegen, ihr Geld nicht abzuziehen.«

»Sie denken an mein Golddepot, nicht wahr?«

»Zehn Millionen in Gold! Das würde mich retten!« Beschwörend sah er sie an.

»Sie wollen also Ihre Glenville-Aktien verkaufen?«

»Aber nur gegen Bargeld oder Gold!«, verlangte Charles Jordan. Kate hob die Augenbrauen. »Sind die zweieinhalb Millionen, die ich bei Ihnen auf dem Konto stehen habe, plötzlich nichts mehr wert?« Wenn Jordan & Nash bankrott ging, wollte sie wenigstens so viel wie möglich von ihrem Geld retten, indem sie dafür Glenville-Aktien bekam. Aber sie wusste, dass Mr. Jordan sich darauf nicht einlassen würde. Kate wollte ihm nicht das Messer auf die Brust setzen, doch sie hatte auch keine Millionen zu verschenken. »Wir verrechnen zwei Millionen, den Rest zahle ich Ihnen in Gold. Außerdem verschaffe ich Ihnen innerhalb von einer Stunde siebenhunderttausend Dollar Bargeld. Das ist mein letztes Angebot, Mr. Jordan!«

»Anderthalb Millionen Kontenverrechnung, drei in Gold!«

»Also gut, weil Sie es sind«, gab Kate nach, die für sein Aktienpaket fast jeden Preis zu zahlen bereit war.

Sie besiegelten den Handel per Handschlag, und Kate rief Waldo Rockwell an. Sie wusste, dass er wie sie die Angewohnheit hatte, eine erhebliche Summe Bargeld in seinem Tresor aufzubewahren. Das mit den zehn Prozent ihres Gesamtvermögens hatte sie schon vor über zwanzig Jahren aufgegeben. Heute wären es Millionen gewesen, und niemand legte sich soviel Geld in seinen Tresor. Aber gute vierhunderttausend Dollar standen ihr sofort zur Verfügung.

»Kate! Wie schön, mal wieder von dir zu hören!«, rief Waldo erfreut. »Ich hoffe, du hast den Crash unbeschadet überstanden.«

»Ohne einen Kratzer, dank Leonards weiser Voraussicht, mich früh genug vom Zug zu stoßen.«

Waldo lachte. »Ich habe auch noch im allerletzten Moment den rettenden Absprung gefunden.«

»Waldo, ich brauche Bargeld, um einem guten Geschäftspartner Luft zum Überleben zu verschaffen.«

»Wie viel?«

»Wie viel kannst du innerhalb von ein paar Stunden auftreiben?«

»Vielleicht vierhunderttausend. Wo willst du es haben?«

»Ich erwarte dich hier bei Jordan & Nash

»In zwei Stunden bin ich mit dem Geld da«, versprach er.

»Danke, Waldo. Das vergesse ich dir nicht.«

Die Stimmung in der Schalterhalle besserte sich spürbar, als Charles Jordan Goldbarren im Wert von drei Millionen Dollar aus dem Kellertresor holen und gut sichtbar für die Kunden aufstapeln ließ. Viele fühlten sich plötzlich ob ihres Misstrauens beschämt, besonders wenn sie schon seit langem mit Jordan & Nash Geschäftsbeziehungen unterhielten, und hoben nur einen Teil ihres Barvermögens ab. Kate brauchte nur eine halbe Stunde, um die vierhunderttausend Dollar aus ihrem Haus in die Bank zu bringen, wo das Geld nicht weniger demonstrativ offen hinter den Schaltern auf der Mahagoni-theke ausgelegt wurde. Und als Waldo um kurz nach drei vor aller Augen einen Sack mit vierhundertdreißigtausend Dollar auf einem Tisch auskippte, schlug die Stimmung endgültig zugunsten des Bankhauses um.

Es wurden nur noch geringe Beträge abgehoben, die zumeist fünftausend Dollar nicht überstiegen. Offenbar sprach es sich unter den Kunden von Jordan & Nash schnell herum, dass ihr Geld dort sicher war, denn kurz vor Geschäftsschluss kamen mehrere Leute, die am Vormittag ihre Konten leergeräumt hatten, um einen Großteil nun wieder einzuzahlen.

Charles Jordan hatte Tränen in den Augen, als er diese Kunden höchstpersönlich bediente. Die Krise war überstanden.

Und die O’Haras befanden sich im Besitz von über einem Drittel der Glenville-Aktien.

19

»Gut, dass Sie kommen, Mr. O’Hara!«, sagte Christine Burbank, seine Chefsekretärin, als Gideon am Nachmittag des folgenden Tages von einer geschäftlichen Besprechung in die Chefetage zurückkehrte. »Ich habe gerade Mr. Ruben für Sie am Apparat. Außerdem …«

»Langsam, Chris!«, fiel er ihr in bester Laune ins Wort, während er seinen Mantel schwungvoll über einen der Besuchersessel warf und seinen Hut gleich hinterher. »Immer alles der Reihe nach.«

»Ja, aber …«

»Gleich, Chris!« Sein Ton war jetzt etwas schärfer. Er nahm ihr den Telefonhörer ab. »Hallo, Leonard! Das nenne ich ideales Timing. Ich hätte dich und Mom auch gleich angerufen.«

»Wie schön, dass ein alter Mann einem Wirbelwind wie dir auch mal zuvorkommt«, scherzte Leonard.

»Alter Mann! Na hör mal! Aber ich denke nicht daran, in die Falle zu gehen und jetzt dein Loblied zu singen«, sagte Gideon fröhlich. »Ich habe übrigens eine gute Nachricht.«

»Ich auch, Gideon. Morgen findet eine außerordentliche Aktionärssitzung statt. Die Glenvilles glauben wohl, uns damit zu überrumpeln. Aber die werden ihr blaues Wunder erleben, wenn sie erfahren, dass ihr zweiundvierzig Prozent kontrolliert – sofern Julia dir ihr Stimmrecht überlässt.«

»Nein, das tut sie nicht. Sie wird ihr Stimmrecht persönlich ausüben, was auch viel wirkungsvoller für unsere Sache ist, denn natürlich wird sie für mich stimmen«, sagte Gideon. »Aber du bist nicht ganz auf der Höhe der aktuellen Neuigkeiten. Wir gehen morgen nämlich mit siebenundvierzig Prozent ins Rennen.«

»Wo kommen die anderen fünf Prozent her?«, rief Leonard erstaunt.

»Von der Northwestern Life Insurance. Ich habe heute mit dem Vorstandsvorsitzenden konferiert. Verkaufen wollte er zwar nicht, aber ich habe ihm ein anderes Geschäft angeboten, das er nicht ausschlagen konnte. Northwestern Life wird jedenfalls morgen für uns stimmen. Damit bleibt Mr. Mortimer, der Fabrikant, das Zünglein an der Waage. Er hält vier Prozent. Wenn wir ihn auf unsere Seite bekommen, haben wir einundfünfzig Prozent und damit die Mehrheit. Dann können wir die Glenvilles vernichten!«

»Mr. O’Hara …«

Gideon achtete nicht auf die drängende Stimme seiner Sekretärin. Erregt fuhr er fort: »Leonard, morgen ist endlich die Stunde unserer Rache gekommen. Lange genug haben wir ja auch auf diesen Tag hingearbeitet. Und wenn Mr. Mortimer hört, was wir ihm zu bieten haben, kann er gar nicht anders, als mit uns zu stimmen. Morgen sind die verfluchten Glenvilles reif. Was werde ich ihre dummen Gesichter genießen, wenn sie begreifen, dass sie erledigt sind. Wir werden sie aus der Firma schmeißen und …«

»Nein, das wirst du nicht!«

Gideon wirbelte herum. Julia stand in der Tür zu seinem Zimmer. Sie trug ein Herbstkostüm aus dunkelbraunem Samt und sah wunderschön aus – sogar mit ihrem bleichen Gesicht.

Christine blickte unglücklich von einem zum anderen. »Ich habe die ganze Zeit versucht, Ihnen zu sagen, dass Miss Ashton in Ihrem Zimmer auf Sie wartet.«

Weder Gideon noch Julia beachteten sie.

»Du wirst meine Familie nicht vernichten, Gideon!«, stieß Julia mit zitternder Stimme hervor.

Gideon ließ den Telefonhörer auf die Schreibtischplatte fallen und machte einen Schritt auf sie zu. »Julia, lass mich dir das erklären.«

»Du brauchst mir nichts zu erklären, Gideon. Was du gesagt hast, war deutlich genug. Du hast mich von Anfang an benutzt!«

»Nein, das stimmt nicht!«, rief er entsetzt, als er den Abscheu auf ihrem Gesicht sah. »Bitte, Julia, ich flehe dich an, mach jetzt nicht den Fehler …«

Sie schlug seine Hand zurück. »Fass mich nicht an!«, schrie sie. »Wage es ja nicht, mich zu berühren!« Ihr Gesicht verzerrte sich. »Ich hasse dich!« Damit stürzte sie hinaus.

»Julia! … Julia!« Er rannte hinter ihr her.

Vor dem Fahrstuhl fuhr sie herum und schlug mit ihrer Handtasche nach ihm. »Lass mich in Ruhe! Ich schreie sonst das ganze Haus zusammen!«

»Julia, ich liebe dich! Die Sache hat mit dir nichts zu tun, glaube mir!«, flehte er sie an. »Tu uns das jetzt nicht an!«

»Du hast es uns angetan! Ich will dich nie wieder sehen!«, stieß sie unter Tränen hervor.

Mit ungläubigem Entsetzen sah Gideon, wie sich die Fahrstuhltüren schlossen und sie verschwand – vielleicht aus seinem Leben. Zehn Minuten später erschien Leonard. Nachdem er mit Gideon gesprochen hatte, der völlig verzweifelt war, rief er Julia Ashton an. Sowie er seinen Namen genannt hatte, legte sie auf. Er fuhr zu ihr, doch sie schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Daraufhin suchte er Kate auf. »Ich weiß, dass du dich darüber freust. Aber wenn du deinen Sohn liebst, wirst du dich dieser Freude schämen«, ging er mit ihr ins Gericht. »Gideon liebt diese Frau so, wie du James Glenville geliebt hast – übrigens auch gegen den Willen seiner Familie. Dafür hast du die Glenvilles gehasst. Wenn du nicht willst, dass Gideon dich dafür hasst, dass du deine Rache über sein Glück gestellt hast, dann tu etwas!«

Seine Worte ließen sie erschauern. »Was kann ich denn tun, selbst wenn ich wollte?«

»Du bist die Einzige, die ihr alles erklären kann und der sie glauben wird.«

»Weshalb sollte sie ausgerechnet mich anhören?«

»Weil du dich bis jetzt geweigert hast, sie auch nur zu begrüßen, und weil du sie als Schwiegertochter abgelehnt hast.«

Sie lachte ärgerlich. »Und was soll ich ihr sagen?«

Leonard schaute sie ernst an. »Die Wahrheit, Kate. Wenn man die Vergangenheit nicht kennt, kann man auch die Gegenwart nicht verstehen, geschweige denn die Zukunft bewältigen.«

Es war kurz vor neun, als Rupert den Rolls-Royce vor den Huntington Apartments zum Stehen brachte.

»Warten Sie, Rupert. Es kann sein, dass ich gleich wieder zurück bin.«

Kate konnte eine starke innere Erregung nicht verleugnen, als sie vor Julia Ashtons Wohnung die Klingel betätigte.

Julia erkannte sie sofort. Ihre rotgeweinten Augen zeigten zuerst Verwirrung, dann Feindseligkeit. »Was wollen Sie, Mrs. O’Hara?«

»Einige Irrtümer aus der Welt schaffen.«

»Wollen Sie die Lügen Ihres Sohnes fortsetzen?«, fragte Julia mit einer Aggressivität, die ihren Schmerz verbergen sollte.

»Ich habe für Sie, ohne Sie zu kennen, von Anfang an nicht viel übrig gehabt, Miss Ashton. Und ich glaube nicht, dass sich daran viel ändern wird, auch wenn Sie mich jetzt anhören.«

»Und warum sollte ich das tun?«

»Um zu erfahren, warum ich Sie ablehne und warum Gideon ein O’Hara ist, obwohl er als ein Glenville auf die Welt gekommen ist.« Verblüffung zeigte sich auf Julias Gesicht. »Gut, kommen Sie herein. Aber glauben Sie nicht, mich belügen zu können.«

Kate lächelte sarkastisch. »Nein, das schafft vermutlich nur ein Jonathan Glenville.«

Sie blieb anderthalb Stunden. Am Schluss empfand Kate fast so etwas wie Sympathie für die junge Frau, die ihr Sohn mehr als alles auf der Welt liebte.

»Ihre Papiere, Mrs. O’Hara.«

Kate blickte auf die Urkunden, die auf dem Glastisch lagen: ihre Heiratsurkunde, der Geburtsschein, James’ Testament, ihre Verzichtserklärungen und die zweite Heiratsurkunde, die Jonathan und Lester als Trauzeugen unterschrieben hatten. Julia hatte sie so fließend lesen können, als wären sie in ihrer Muttersprache abgefasst. »Nein, ich glaube nicht, dass ich dafür jetzt noch Verwendung habe. Und mein Sohn wohl auch nicht, wenn Sie sich nicht mit ihm versöhnen. Vierunddreißig Jahre sind eine lange Zeit. In mancher Beziehung zu lange. Behalten Sie die Dokumente, Miss Ashton. Vielleicht haben Sie Verwendung dafür. Ansonsten werfen Sie sie weg. Danke, ich finde allein hinaus. Ich nehme an, wir sehen uns morgen auf der Aktionärssitzung.« Sie verabschiedete sich mit einem Blick, in dem widerwilliger Respekt lag.

Julia traf um vier Uhr in der Frühe im Sonoma Valley ein. »Ich muss meinen Vater sprechen! Sofort!«, teilte sie dem verschlafenen Kammerdiener ihres Vaters mit. Dass sie unter Hochspannung stand, war ihr anzusehen, und der Kammerdiener eilte ohne einen Einwand davon.

Eine halbe Stunde später rollte Jonathan seinen Rollstuhl in den Salon, wo ein schnell gewecktes Dienstmädchen ein Feuer entzündet hatte. Er hatte sich über seinen Pyjama einen blauseidenen, abgesteppten Morgenmantel angezogen. Er roch nach Rasierwasser, und sein graues, schütteres Haar war sorgfältig gekämmt.

»Kind, was um alles in der Welt …«, begann Jonathan besorgt. Julia schnitt ihm mit kalter Stimme das Wort ab. »Stimmt es, dass du, Elwyn und Lester das Kind von Kate, der rechtmäßigen Frau von James Glenville, hast entführen lassen? Und stimmt es, dass du Kate gezwungen hast, auf ihr Erbe zu verzichten und diesen Sullivan zu heiraten?«

Jonathan zuckte wie unter einem Schlag zurück. Das Blut wich aus seinem Gesicht. »Um Gottes willen, woher hast du diese absurde Geschichte?«

Julia zog nun Kates Unterlagen aus ihrer Tasche. »Lüg mich nicht an, Dad. Ich habe hier das Testament von James Glenville und die Heiratsurkunde. Und dies hier sind die Verzichtserklärungen sowie die Heiratsurkunde, die deine Unterschrift als Trauzeuge trägt. Was ist damals in Nizza passiert, Dad? Sag mir die Wahrheit! Oder bist du zu feige?«, stieß sie hervor. »Sieh mich an und sag mir ins Gesicht, dass das alles schmutzige Lügen sind!«

»Kind …« Seine Stimme zitterte.

»Sag mir die Wahrheit!«, schrie sie ihn an und schleuderte ihm die Papiere in den Schoß. »Hast du ein Baby entführen lassen und seine Mutter erpresst? Hast du Kate O’Hara und ihren Sohn Gideon vorsätzlich um ihr Erbe betrogen?«

»Julia, ich flehe dich an, richte nicht über mich!«, stieß Jonathan mit gepresster Stimme hervor. Ein Flehen um Vergebung stand in seinen Augen. »Was vor über dreißig Jahren geschehen ist, habe ich nicht gewollt. Aber Elwyn und Lester wollten, dass ich nach Nizza kam, und ich war schwach …« Seine Stimme versagte.

»Dann ist es also wahr.« Scham und Entsetzen standen in Julias Gesicht.

»Ja, es ist wahr, mein Kind. Und ich leide daran, dass ich es zugelassen habe.« Jonathan schlug die Hände vors Gesicht.

Nach einer Weile schrecklicher Stille sagte Julia mit erstickter Stimme. »Ich habe dich immer geliebt, Dad, und ich … ich liebe dich noch immer. Doch wenn ich wegen eures abscheulichen Verbrechens Gideons Liebe verliere, werde ich dich so sehr hassen, wie ich dich einmal geliebt habe!«

20

Entgeistert sah Gideon seine Mutter an, während der Fahrstuhl sie in der Geschäftszentrale der Glenville Steamship Company in der California Street nach oben in den zwölften Stock brachte. »Was hast du getan?«

»Ich habe Julia gestern Abend in ihrer Wohnung aufgesucht und ihr alles erzählt.«

»Und sie hat dich angehört?«, fragte er verblüfft.

»Ja, das hat sie. Ich habe ihr die ganze Wahrheit erzählt«, antwortete Kate ruhig. »Doch ob es etwas genutzt hat, kann ich dir nicht sagen. Mir gegenüber hatte sie sich bewundernswert unter Kontrolle … obwohl ich ihr ansehen konnte, dass sie sehr geweint hatte.«

Gideon blickte schnell zu Leonard hinüber, der entschuldigend lächelte, weil er Kate eingeweiht und um Hilfe gebeten hatte. Gideon war ihm deshalb nicht böse. Er wollte sich mit Julia um jeden Preis versöhnen. Ihre Liebe zurückzugewinnen war ihm fast jedes Opfer wert, und wer immer ihm dabei half, dem war seine Dankbarkeit gewiss. Er verstand nur nicht, weshalb seine Mutter für ihn eingetreten war, wo das Zerwürfnis zwischen ihnen sie doch eigentlich mit Genugtuung hätte erfüllen müssen.

»Warum hast du das für mich getan?«, fragte er leise.

Ein fast verlegenes Lächeln gab Kates Gesicht einen weichen, mütterlichen Zug. Es war ein Ausdruck, den sie in all den Jahren unterdrückt hatte, weil sie wollte, dass ihr Sohn sich nicht auf die Schwäche und Liebe anderer Menschen verließ, sondern allein auf seine Stärken. »Weil du mein Sohn bist, und weil ich dich liebe, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, es dich spüren zu lassen«, antwortete sie. Gideon spürte plötzlich einen Kloß im Hals.

Er fragte sich, wann er seine Mutter das letzte Mal an sich gedrückt hatte. »Ach, Mom …«, sagte er und legte seine Hand auf ihre Schulter.

Lächelnd schauten sie sich in die Augen. In diesem Moment gab es nichts mehr, was zwischen ihnen stand. Sie fühlten tiefe Verbundenheit und gegenseitigen Stolz. Der Kampf gegen die Glenvilles hatte ihr Leben bestimmt, sie über die gewöhnliche Mutter-Kind-Beziehung hinaus zusammengeschmiedet – und sie zum Schluss beinahe entzweit.

Der Fahrstuhl hielt mit einem nachhaltigen Ruck. Kate straffte sich, und der weiche, gefühlvolle Ausdruck verschwand von ihrem Gesicht. Ihre Miene drückte wieder kühle Entschlossenheit aus, die Maxime ihres Lebens. »Konzentrieren wir uns auf das, was vor uns liegt«, sagte sie bestimmt. »Sie werden es uns nicht leicht machen.« Gideon nahm seine Hand von dem kühlen, glatten Seidenstoff ihres streng geschnittenen Kostüms. »Ich habe nie erwartet, dass sie uns mit offenen Armen an ihrem Tisch willkommen heißen würden«, antwortete er, irgendwie verstimmt.

Leonard räusperte sich. »Viel Munition ist ihnen nicht mehr geblieben. Ihr habt eine faire Chance.«

Die Tür aus blitzendem Messing glitt zurück und gab den Blick auf einen großen Vorraum mit bequemen Sitzgruppen frei, in dem sich mehrere Personen aufhielten. Es roch nach Rauch und Leder.

Gideon nickte Thomas Harris zu, der für die Northwestern Life im Vorstand saß, und steuerte dann auf Alvin Mortimer zu. Der Fabrikant aus Sacramento war ein schwergewichtiger Mann, dessen Haupthaar sich bis auf einen schmalen Haarkranz verflüchtigt hatte. Das rote Gesicht verriet, dass er unter Bluthochdruck litt. Man sagte ihm ein hitziges Temperament nach.

»Mr. Mortimer«, sprach Gideon ihn an. »Ich bin …«

»Ich weiß, wer Sie sind, Mr. O’Hara«, fiel er ihm brüsk ins Wort. »Und sparen Sie sich Ihre Versuche, mich zum Verkauf meiner Aktien überreden zu wollen.«

Gideon gab nicht so leicht auf. »Glenville wird heute schon unter zwanzig Dollar gehandelt. Ich biete Ihnen dreißig. Aber dieses Angebot gilt nur heute.«

Alvin Mortimer würdigte ihn keiner Antwort und ließ ihn stehen. Als Gideon sich umdrehte, sah er Julia. Sie sah so blass und übernächtigt aus wie er. Das auffallend rote, enganliegende Kleid, das ihre herrliche Figur zeigte, schien sie gewählt zu haben, um die Aufmerksamkeit von ihrem Gesicht abzulenken. Ihre Blicke trafen sich. Gideons Herz raste wie wild. Nie zuvor hatte er seine Liebe zu ihr so stark gefühlt wie in diesem Augenblick. Er ging auf sie zu.

»Julia, ich liebe dich«, sagte er leise. »Und ich muss mit dir sprechen. Nicht wegen der Glenvilles. Das ist nicht mehr so wichtig. Unseretwegen, Julia.«

Der Ausdruck ihrer Augen verriet die tiefen Wunden ihrer Seele. »Gideon, ich …«

»Julia!«, unterbrach sie da eine herrische Stimme. »Schieb mich in den Konferenzraum. Ich habe die Nacht nicht viel Schlaf bekommen und bin erschöpft.«

Gideon erblickte Jonathan, der nur noch Haut und Knochen zu sein schien. Der alte Mann hielt seinem stechenden Blick einen Moment stand, dann schlug er mit seinem Spazierstock ungeduldig auf die Armlehne. »Julia! Die Sitzung beginnt in wenigen Minuten«, rief er ungeduldig. »Fährst du mich hinein, oder soll ich eine der Sekretärinnen um den Gefallen bitten, den mir die eigene Tochter verwehrt?«

»Nein, ich fahre dich, Dad«, sagte Julia mit belegter Stimme und warf Gideon einen Blick zu, in dem er so etwas wie Scham zu entdecken glaubte. Er wollte sie zurückhalten, doch da tauchten Vernon und Lester auf und nahmen Jonathan und seine Tochter in die Mitte. Leonard durfte an der Sitzung nicht teilnehmen. Er blieb im Vorraum zurück, um zur Stelle zu sein, falls Kate und Gideon seinen juristischen Beistand brauchten.

Im Konferenzraum herrschte vom ersten Moment an, kaum dass die acht Personen am ovalen Tisch Platz genommen hatten, explosive Spannung. Vernon führte den Vorsitz. Er trug einen maßgeschneiderten Nadelstreifenanzug und eine Perle in seiner perfekt gebundenen Krawatte. Ein Diamantring funkelte an seinem Finger. Er versuchte selbstbewusst zu wirken, als sei er sicher, mit allen aufkommenden Problemen fertig zu werden. Doch das unruhige Flackern seiner Augen verriet das Gegenteil.

»Diese außerordentliche Sitzung ist einberufen worden«, begann er hochtrabend, »um die Zukunft dieser Firma nach dem Börsencrash zu sichern und vor Angriffen von außen wie von innen zu bewahren.«

»Wen willst du mit deinem Geschwätz beeindrucken, Vernon?«, fuhr Gideon dazwischen. »Jeder hier weiß, dass ihr die Firma heruntergewirtschaftet habt und dass meine Mutter und ich die Wahl eines neuen Vorsitzenden beantragen werden!«

»Halten Sie sich an die Gepflogenheiten, Mr. O’Hara!«, blaffte Lester ihn zornig an. »Und dazu gehört in diesem Haus, dass Sie erst dann sprechen, wenn Sie an der Reihe sind!«

»Sehr richtig!«, kam es missbilligend von Alvin Mortimer.

Julia presste die Lippen zusammen. Sie blickte Gideon an.

»Dennoch ist es richtig, was Mr. O’Hara gesagt hat«, ergriff Thomas Harris ruhig das Wort. »Wir alle wissen, dass es in dieser Firma eine erhebliche Verschiebung der Gewichte gegeben hat, was den Aktienbesitz betrifft, und deshalb ist es vernünftig, dass wir uns zuerst einmal einen …«

Gereizt fiel Vernon ihm ins Wort. »Die O’Haras haben schon mehr als einmal eine Firmenübernahme versucht. Es ist ihnen nicht gelungen, und es wird ihnen auch diesmal nicht gelingen, Mr. Harris! Und jeder ist gut beraten, sich nicht über die wahren Absichten der O’Haras täuschen zu lassen. Es ist ihr einziges Ziel, die Glenville Steamship Company zu ruinieren!«

Kate lachte abfällig. »Wenn das unser Ziel wäre, müssten wir nichts tun als dir weiterhin die Führung überlassen.«

Das Blut schoss Vernon ins Gesicht. »Diese Unverschämtheit verbitte ich mir!«

»Die Glenville Steamship Company steckt seit Jahren in großen Schwierigkeiten. Diese Analysen, die übrigens aus diesem Haus stammen, beweisen es eindeutig«, erwiderte Kate, während sie acht Kopien einer zwölfseitigen Wirtschaftsanalyse verteilte. »Du hast in fast allen wichtigen Belangen falsche Entscheidungen getroffen – oder die richtigen zu spät. Du taugst auf deinem Posten nichts, Vernon. Diese Unterlagen beweisen es.«

»Lächerlich!« empörte sich Lester. »Das ist schmutzige Manipulation!«