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Christoph Dieckmann
Oh! Great! Wonderful!

Christoph Dieckmann

Oh! Great! Wonderful!

Anfänger in Amerika

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Mei-Huey Chen in Liebe gewidmet

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, März 2017

eISBN 978-3-86284-383-1

Inhalt

Oh! Great! Wonderful!

Anfänger in Amerika image St. Paul image Chippewa-Indianer in Wisconsin

Farmen, Bauen, Brauen

Midwest image Bensons Farm in Bigelow image Mankato und New Ulm

Häuser, Autos, Grateful Dead

Chicago und Detroit image Ford image »Playboy« und Cabrini Green image Brent Mydlands letztes Konzert

Die Stadt der Zigeuner

San Francisco image AIDS image Al Capone, Alcatraz image Die Allman Brothers Band

Lost Angels

Hollywoods Dreck und Glamour image Streetgangs in Los Angeles

Jenseits von Gut und Böse

Las Vegas

Zum Hassen zu beschäftigt

Atlanta: Coca Cola image Bürgerkrieg image »Vom Winde verweht« image Am Grab von Martin Luther King

Unter dem Kreuz des Südens

Austin/Texas image Madalyn O’Hairs amerikanische Atheisten image Nashville/Tennesse image Grand Ol’ Opry image Nissan

Du hast den Präsidenten gesehen

Washington image Blockflöten im Weißen Haus image Deutsche Einheit in Amerika

Heimkehr aus Kanaan

»Miami Vice« image Kuba im Exil image Neu-England image New York image Zurück in St. Paul

Einmal im Leben

Nachklang

Über den Autor

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Seven turns on the highway

Seven rivers to cross

Sometimes you feel like you could fly away

Sometimes you get lost

Sometimes in the dark at night

You see the crossroad sign

One way is the morning light

You got to make up your mind

Somebody’s calling your name

Somebody’s waiting for you

Love is all and remains the same

That’s what it’s all comin’ to

The Allman Brothers Band

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New York/Manhattan

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Unabhängigkeitstag auf Marilyn Island/Wisconsin

Oh! Great! Wonderful!

»Es gibt eine Grenze für das, was ein Kind in sich aufnehmen und verarbeiten kann; nicht für das, was es zu glauben vermag, denn ein Kind kann alles glauben, wenn man ihm Zeit läßt.«

William Faulkner: »Die Unbesiegten«

Grand Avenue, St. Paul, ist eine befahrene Straße. In Gedanken überquerte ich bei Rot. Ein beträchtlicher Schlitten bremste knapp, wofür ich dankbar in Richtung Windschutzscheibe blickte. Die Tür ging auf, und eine alte Dame rief: »Dieses Lächeln ist wundervoll

Sie lächeln. Sie strahlen. Sie rufen: »Oh!«, »Nice!!«, »Great!!!« Man entgeht dem nicht, und warum auch. Kein Gespräch, das stocken könnte – sie wissen etwas für dich, sie nehmen teil, und was immer man sei, ist erlaubt. Ich habe es als Theologe, Rock’n’Roll-Apostel und Kommunist probiert. Ich habe die deutsche Einigung wortreich verstanden und verflucht. Ich habe Amerika mein Traumland geheißen und es für schuldig des kalten Krieges erklärt. »Oh«, hörte ich, »really!? Hey, du machst dir wirklich Gedanken. That’s wonderful!« Es ist wundervoll. It’s partytime.

Sie pflegen nicht gleich unsere stampfenden Dispute, in denen wir einander neuerdings so trefflich erkennen: Du bist jene Partei, da ich in dieser bin. Nein, sie lächeln, konversieren, schlendern ums kalte Büfett mit ihrem noch kälteren Bier. (»Wir haben eine Menge deutsches Bier hier – Stroh, Pabst, Schmidt, Leinenkugel.«) Man fühlt sich so wohl in dieser unerschütterlichen Freundlichkeit und gibt den deutschen Tiefsinn willig preis, ein Weilchen. Und wer je für einen dünnen Scherz mit peinlichem Schweigen belohnt ward, der wechsele den Kontinent. Man lacht hier so gern. Man ruft: »I love it!« und fragt: »Magst du Amerika? Was war dein erster Eindruck?« Na, dieser.

Das ist ein Touristenklischee, und es stimmt, so wahr der Fernsehturm hoch ist und der Pergamonaltar alt. Was noch? Man muß erzählen, nicht nur sagen. Viele von uns werden in diesem Sommer endlich erleben, was sie schon wußten, aber nie erfuhren. Wir waren ja beschlagen, ein kluges, ungereistes Volk, das sich daheim ein Kabinett aus Spiegelungen der Verbotenen Welt erschuf. Nun muß man sich entscheiden, Traum oder Erfüllung. Mein Traum wurde höchst amerikanisch erfüllt. Letzten Januar bedachte ich eines Abends all die Segnungen, Irrtümer und Kuriositäten, die das Schicksal über die jungen Löwen der DDR-Kirchenszene ausgeschüttet hatte, und ob wohl auch ich beschließen müßte, »Politiker« zu werden. Da ging das Telefon. Michael Brandt fragte, ob ich ein paar Monate kreuz und quer durch die USA reisen wolle. Ach du liebes bißchen. Der Anruf war auch noch ernst gemeint. Ich hörte: Das World Press Institute in St. Paul/Minnesota schreibt jedes Jahr einen Wettbewerb für Journalisten um die Dreißig aus, dessen zehn Gewinner besagte Reise antreten. Das WPI, 1961 gegründet, ist eine Non-Profit-Organisation, gesponsert von einer Reihe namhafter Firmen. Transport und Hotels werden bezahlt; dazu kommt Zehrgeld. 1990 gewannen Journalisten aus Taiwan, Hongkong, Frankreich, den Niederlanden, Uganda, Nigeria, Südafrika, Bulgarien, Litauen und eben »East Germany«. Die letzten drei, vier Länder lassen ahnen, daß auch Politik bei der Entscheidung mitgeredet hat. Das WPI schrieb elf oder zwölf Jahre lang an DDR-Stellen und bat, einen Journalisten vorzuschlagen. Antwort kam nie. Nun haben sie also gleich drei Wunderkinder des aufbrechenden Osteuropa. Der litauische Kollege entpuppte sich als glühender Freund Ronald Reagans, der mit Star Wars die Russen zur Raison gebracht habe. Ich holte schon Luft, da erklärte WPI-Direktor John Hodowanic kategorisch, Gorbatschow sei ein Held, und jeder hier fühle so, nicht nur, weil Gorbi Anfang Juni in Minneapolis war. Dieser Sowjet-Führer habe endlich die Kriegsangst von den Amerikanern genommen. Überhaupt könne Litauen nur im Rahmen globaler Stabilität behandelt werden. Der Litauer schwieg, mangels Wortschatzes.

John Hodowanic, 60, ist ein Typ wie Jason Robards als Boß der »Washington Post« in »Alle Männer des Präsidenten«, dem Watergate-Film. Man erinnere sich, wie Robards Dustin Hoffman und Robert Redford in sein Office brüllt (»Wood-Stein!!!«) und ihnen, Füße auf dem Schreibtisch, zarte Instruktionen gibt (»Wenn ihr müde seid, hängt eure Ärsche ein halbes Stündchen in die Wanne, und dann will ich Arbeit!«).

Hodowanic: »Daß mir keiner mit dem Wort müde kommt! Ein WPI-Journalist kann meinetwegen krank sein oder hat Heimweh oder sonstwas, aber er ist nicht müde! Wir bezahlen vierzigtausend Dollar für jeden von euch, um euch Amerika zu zeigen, alles, von oben bis unten, das, worauf wir stolz sind und worauf nicht. Es gibt kein besseres Programm auf der Welt; ich weiß das. Und wir verlangen nichts dafür, außer, daß ihr nicht müde seid!« So gesprochen bei der Eröffnung des Programms im Repräsentations-Saal des Macalester College zu St Paul. Macalester: ein Campus wie aus dem Bildband, alles grün, rot und weiß, viktorianische Häuser, auf dem Rasen und in den kleinen Straßen Studenten aus aller Welt mit Büchern, Bällen und großen, braunen Einkaufstüten. Eichhörnchen wieseln vorbei. Es ist so schön.

Der Nordwesten ist sicher ein guter Ort, um solche Reise zu starten. Nicht San Francisco, nicht New York – deren Überwältigungen mögen später kommen. Minnesota wirkt ruhig, gelassen; die Leute gelten als rational. Viele deutsche Einwanderer, viele aus Skandinavien. Kriminalität: niedrig. Arbeitslosigkeit: maximal fünf Prozent. Der Staat hat etwa vier Millionen Einwohner und ist doppelt so groß wie die DDR. Überhaupt erstaunt man ständig über Weite und Raum. Minneapolis/St. Paul, die Twin Cities – keine Städte im europäischen Sinn, sondern ein area, ein urbanes Gebiet mit gleißender, gläserner Skyline und ärmeren Unterstädten. Dazwischen Parks, Wälder, Seen. »10 000 Lakes«, der Slogan für Minnesota.

Bevor die eigentliche Reise startet, gibt es zu unserer Vorbereitung im College Vorlesungen über US-amerikanische Geschichte und Kultur, über Erziehungs- und Bildungswesen, Gewerkschaften und die Gesundheits-Industrie. Wir fahren nach Rochester, um die Mayo-Klinik zu besichtigen. Wenn zehn Journalisten durch ein weltberühmtes Klinikum schlurfen, sind die Impressionen eher kollektiver Art. Immerhin bekommt man einen Eindruck von der immensen Bedeutung, die in einer geldregierten Welt dem Image zukommt. Mayo hat das Image – und es ist sicher mehr –, nicht zuvörderst aufs Geld zu achten. Finanzschwache Patienten werden nicht abgewiesen, sondern unterstützt, und die Ärzte halten in ganz unamerikanisch kleinen Stübchen Sprechstunde. Die Mayo-Filialen in Arizona und Florida sollen wesentlich kommerzieller orientiert sein; Scottsdale und Jacksonville sind beliebte Rastplätze betuchter Pensionäre.

Image – Segen und Fluch des ersten Eindrucks. Dies ist eine Kultur erster Eindrücke. Wer sagte, Amerikaner seien sämtlich lockere Lümmel mit Base-Cap und Bermuda-Shorts? Das WPI teilte uns vorher mit, wir hätten bitte Anzug beziehungsweise Kostüm mitzubringen. Dies überhörte ich beflissen. Leider ist hier ein anständiger Kerl ohne Anzug nicht komplett, da ohne optischen Kredit. Nach dem ersten formal date waren Hodowanic meine Lieblingsjeans nicht lieb genug. Es folgte, im gleichen Look, ein Dinner mit Teak, Gold, Marmor und dem Präsidenten der Norwest Bank. Danach kam es zu einer kleinen Krise. Lieber Leser! Ich gab auf. Ich ging mir was kaufen, auch, weil anderntags die Norwest-Aktien leicht gesunken waren.

Eine perfekte Lektion in Images gibt das Fernsehen. Menschlich gesehen ist es ungenießbar. Jede Sendung wird von Werbe-Staffeln durchheult, die an Tempo, Stuß und Aggressivität den bundesdeutschen weit vorauseilen. Seriöse Nachrichten? »Wir sind gleich wieder da«, vernimmt man nach drei, vier Minuten, »gleich nach diesen Botschaften.« Die Botschaften verkünden fast durchweg das Heil durch Budweiser-Bier (»This Bud for you!«), Autos (»Have you driven a Ford lately?«) oder Coca Cola (» Can’t beat the real thing!«). Auch Senator Rudy Boschwitz hat seinen Spot: »Washington konnte ihn nicht verändern, doch er veränderte Washington«. Und wenn man Elton John am Piano mit der Coke-Hymne erlebt, weiß man endlich, was Pop à la Madonna oder Michael Jackson eigentlich mitteilen will: nichts, absolut nichts. Pop ist eine leere Box, die deren Käufer nach Gusto füllen kann, füllen muß. Nur die Etiketten sind schon dran. Das ist nicht neu; bereits »Casablanca«, Amerikas auf ewig beliebtester Film, war voller Kriegs- und Westernklischees, die nach den Regeln einer kollektiven Übereinkunft offeriert und abgerufen wurden. Das Puzzle hat heute mehr Teile und muß schneller zusammengesetzt werden. Ob zu puzzeln Sinn macht, sollte man woanders fragen. Ein postmodernes Pop-Video ergibt nichts ohne seine Interpreten. Einerseits ermutigt das: Zuschauen ist nicht passiv. Andererseits zerstört es das Vertrauen in fremde Intentionen und installiert eine Kultur der Selbstbefriedigung. »Dick Tracy«, das hochgeputschte Comic-Remake mit Madonna und Warren Beatty, und The New Kids On The Block sind gräßliches Blech, aber hochbedeutsam, dank ihrer Konsumenten. So bedacht, war Ronald Reagan ein logischer Präsident. Er konnte reden, er hatte ein Movie-Image, und er half den Amerikanern, sich so zu sehen, wie sie wünschten. Als 1984 Walter Mondale gegen Reagan antrat, gewann er einen einzigen Staat: Massachusetts. Nach der Wahl gab es Aufkleber: »Don’t blame me I’m from Massachusetts.« Mondale ist übrigens Macalester-Absolvent.

Wer in Amerika gewählt werden will, setzt auf die nationale Karte. In den USA ist allüberall geflaggt wie bei uns weiland am 7. Oktober. Man muß erst lernen, daß Nation nicht unbedingt unsere Nähe zum Nationalismus hat. Weiße US-Amerikaner leben mit ihrer europäischen Herkunft und sprechen gern ausführlich über ihre Ahnen; Nation ist das Band, das Schweden, Iren, Deutsche zu Amerikanern bindet. Ein amerikanischer Mythos gebietet, die Einwanderung in die Neue Welt mit dem Zug der Kinder Israel ins Gelobte Land zu vergleichen – eine stete Quelle für Pathos und Volks-Religiosität. Kaum jemand spricht davon, daß, wie zu Moses Zeiten Kanaan, auch Nordamerika bereits besiedelt war.

Die native Americans: heute eine weithin unsichtbare Minorität von einem Prozent. Die Reservation der Chippewa im nördlichen Wisconsin nahe dem Lake Superior ist die größte östlich des Mississippi. Als ich dort den kleinen Sender WJOB besuchte, war es der 2. Juli, und alle US-Zeitungen brachten Titelstories über unseren glücklichen Geldumtausch und Fotos von schwitzenden, zerbeulten Ostlern, die der Freiheit mit richtigem Geld und dem sieghaften V zuwinkten. Da bat ich über UKW 89 MHz alle Indianer und Wälder und den Wind um Stille und ließ auf dem Studiotisch meinen letzten Alu-Sechser tanzen. Geld kann man tauschen …

Von allen Bevölkerungsgruppen wächst die indianische am schnellsten. Trotzdem leben die Indianer ziemlich schlecht. Die Lebenserwartung liegt bei 51 Jahren, die Alkoholiker-Rate bei 60 Prozent. Das zerstört die Familien und die Hierarchie, in deren Ordnung der einzelne sich findet. Ich hörte mehrfach, Indianer seien genetisch nicht in der Lage, Alkohol zu vertragen. Vielleicht ist es eher so, daß spirituell organisierte Menschen und Kulturen durch Drogen in größere Gefahr geraten als die Herren der Bäuche.

Ein Klischee: Indianer sind dreckig und faul; ihre Kultur existiert nicht mehr. – Sie wächst wieder. Ich sah die Paw-Waw-Corrals ihrer rituellen Tanzfeste, die Schwitzzelte, in denen sie über Stunden im Dunkel sitzen, um heiße Steine herum, und beten und meditieren. Ich fuhr mit ihnen nachts auf den See, wo sie unter dem Mond mit großen Gabeln Fische fangen. Speerfishing ist in dieser Region Gegenstand erbitterten Streites zwischen Indianern und Regierung. Das State Gouvernement von Wisconsin wollte den Chippewa 15 Millionen Dollar zahlen, falls sie ihre tradierten Rechte aufgäben. Die Chippewa lehnten ab. Sie haben nichts zu verkaufen; sie fühlen nicht so, daß sie Erde, Seen und Fische besäßen. Irgendwie denken sie immer noch, eines Tages würden die Weißen das industriell erledigte Land verlassen, und dann fiele es wieder zurück in die Obhut jener, die es schon vor den Weißen umsorgten.

Das klingt vielleicht wie die Romanze vom edlen Wilden, aber immerhin kommt man ins Grübeln, wie wenig uns die Jahreszeiten rühren oder Tag und Nacht. Ein TV-Slogan bringt es auf den Punkt: »The game is entertainement.« Dein Baseball-Team spielt jeden Tag – keine Zeit für Siegesfreude, kein Grund, bei Verlust bis nächsten Samstag zu trauern. Dein Super-Platten-Laden öffnet 365 Tage im Jahr und täglich 24 Stunden, nur wenig länger als dein Liquor-Store, wo du alles Bier von Deutschland bis Mexiko kaufen kannst und alle Weine und Schnäpse. Und dein Fernseher schläft und schlummert nicht, und dein Mainstream-Radio kann den Schnabel nicht halten. »Don’t wait!« »Get a taste of it!« So war das nicht gemeint, als Jim Morrison sang: »We want the world and we want it NOW!« Oder? Auch die Hippies waren ein sehr amerikanisches Phänomen mit ihrem schnellen, geräuschigen Wuchs und ihrem griffigen Image. So rasch, wie sie wuchsen, war auch der Markt parat für ihre Musik. Und nach dem Ende der Illusionen kehrten viele Hippies willig zurück ins ältere Amerika, in Folk, Familie und die spröde Geborgenheit der Farmen. Da war wieder alles beisammen.

Am meisten stabilisiert Amerika, daß all seine Gruppen und Klassen Amerikaner sein wollen. Sie inszenieren selbst die Identifikations-Rituale, die uns immer abgenötigt wurden. Wer in den USA den Unabhängigkeitstag erlebt, begreift mit einemmal, wie unsere alten Herren sich das eigentlich gedacht hatten. Die Leute kleiden sich in stars and stripes, tun Glitter an, schwenken blau-weißrote Luftballons und freuen sich zu sein, was sie sind. Natürlich muß man sich dauernd das Lachen verkneifen – nein, man muß nicht; diese Umzüge sind Volksfeste, nicht Demonstrationen. Abends in St. Paul das Riesenfeuerwerk. Die Menschen strömen mit Decken und Campingstühlen zum Capitol Hill, und wenn die prächtigen Böller sich über den Marmor-Prunk ergießen, dann schreien sie vor Entzücken: »Uuuh!«, »Woooww!«, » Wonderful!«

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4. Juli auf Madeline Island/Wisconsin

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Himmel und Erde: Chicago und Mankato

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City Year Boston ist eine Freiwilligen-Initiative junger Leute ganz unterschiedlicher Herkunft, die ein Jahr ihres Lebens opfern wollen, um Menschen in sozialer Not zu helfen. Siebzig Stellen bietet die Stadt Boston jährlich an. Die Nachfrage ist weitaus größer. Jeden Morgen treffen sich die City-Year-Kids zum Appell; manchmal mit Tränen über das, was sie erlebt haben. Kurz bevor dieses Bild entstand, war einer von ihnen, der einundzwanzigjährige Tyrone Gunn, im Vorort Roxbury erschossen worden. Niemand weiß, von wem und warum.

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Brad Pass und David Benson auf der Benson-Farm in Bigelow/Minnesota

Farmen, Bauen, Brauen

Die Cessna war winzig und hatte nur einen Motor. Flugangst: vorhanden. Sie wurde kuriert. Hoch über Minneapolis sprach der Pilot, er sei heute doch sehr müde. »Hier ist der künstliche Horizont, hier die Richtungsziffer, und guck auch mal raus, ob was kommt. Huuups! Junge, das ist doch kein Stuka!« Geschmackloser Witz, doch ich hatte nicht mal Ahnung vom Höhensteuer. Aber was hochsteigt, kommt auch wieder runter.

Flach wie ein Schachbrett lag das Land, säuberlich geschnitten in Straßen und Felder. Der Mittlere Westen, Herz Amerikas und seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit. Hier werden die konservativen Präsidenten gemacht, aber Konservativismus ist hier weniger eine Ideologie, als die Erfahrung, daß die natürlichen Dinge bleiben, wie sie sind. Heiße Sommer, Winter, die vielerorts kein Siedeln gestatten. Weite, Leere, Raum. Wer in South Dakota aus dem Auto steigt, ist mit Himmel und Erde allein. Kein Haus, kein Baum, nichts, woran man sich halten könnte. Im gesamten Staat Wyoming wohnen 400 000 Menschen, in beiden Dakotas zusammen 1,3 Millionen.

Nur noch fünf Prozent der US-Amerikaner leben auf Farmen und erhalten dem übrigen Amerika den Glauben an die Frontiers, die draußen den Gewalten trotzen. Die Farmkinder zieht es in die Stadt. Gus Benson, heute 88, war glücklich, als sein Sohn David sich entschloß, die Farm zu halten. Die Benson-Farm gehört zu Bigelow, nahe Worthington, auf der Grenze zwischen Minnesota und Iowa. Alles schaut aus, wie man sich das immer dachte: das Holzhaus mit offener Veranda, der Feldweg mit der morschen Mail-Box, der Holzstapel, der Silo-Turm an der Scheune. Trotzdem sind die Bensons nicht unbedingt typisch. Sally-Anne, zierlich, mit Brille, ist eine Professorentochter aus Boston. Erzogen wurde sie nach der Maxime Thomas Jeffersons, des Gentleman-Farmers, daß jeder Mensch zu allem Elementaren imstande sein solle: Pflanzen, Bauen, Kochen, Denken, Dichten. David Benson hält ein degree der State University of California, liest Poeme und ein Schock polit-literarischer Magazine, weiß über Musik Bescheid und verhalf 1985 John Camp gewissermaßen zum Pulitzer-Preis, vermittels dessen Reportage »Life on the land« in der »St. Paul Pioneer Press«. Davon gibt es einen opulenten Nachdruck. Die Fotos zeigen den Jahreslauf in Bigelow, die Glut in den Feldern und den eisigen Frost, der oft schon Anfang Oktober kommt. Bis Ende März liegt Schnee.