Dr. Laurin 141 – Wir müssen vergessen – und verzeihen

Dr. Laurin –141–

Wir müssen vergessen – und verzeihen

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-716-6

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Dr. Leon Laurin machte sich ein paar Notizen, während sich die Patientin wieder ankleidete. Sie zupfte sich das blonde Haar zurecht, als er sich jetzt wieder zu ihr umwandte. Der Arzt wich dem herausfordernden Blick der grüngrauen Augen nicht aus.

Denise Felting war eine sehr schöne und verführerische Frau. Sie spielte ihre Wirkung auf Männer gern aus, und bei ihm hatte sie das auch versucht.

Leon Laurin gehörte zu den wenigen, die ihr Geburtsdatum kannten, und so ahnte er, dass ihr Lächeln schwinden würde, wenn er ihr gleich das sagte, was sie sicher nicht erwartete.

»Ich warte«, sagte sie anzüglich. »Welche Diagnose bekomme ich zu hören? Ich will es genau wissen.« Ihre Stimme war rauchig und sehr sexy – so wie die ganze Frau, trotz ihrer über vierzig Jahre.

»Sie können es sich nicht denken?«, fragte er.

»Was soll ich denken?« Ihre Stimme klang jetzt unsicher, und ihre Augen begannen zu flackern.

»Sie sind schwanger, Frau Felting.«

Sie richtete sich steil auf und starrte ihn entsetzt an. Alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen, und ihre Lippen zitterten.

»Das kann nicht wahr sein!«, stieß sie hervor.

»Es ist eine sichere Diagnose. Sie befinden sich im zweiten Monat. Aber wenn Sie mir nicht glauben, konsultieren Sie bitte einen anderen Arzt. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass Ihr Mann sich sehr freuen wird.«

Denise war seit fünf Jahren mit Frederic Felting verheiratet. Für ihn war es die zweite Ehe. Seine erste Frau war gestorben, als die einzige Tochter acht Jahre alt war.

Frederic war zwölf Jahre älter als Denise, und Beatrice war inzwischen zwanzig. Sie war der Familie Laurin wohlbekannt, denn sie war mit den Laurin-Zwillingen befreundet, ein sehr sportliches Mädchen und eine sehr gute Tennisspielerin und Reiterin.

Warum dieses Erschrecken?, fragte sich Dr. Laurin, als er Denise betrachtete. War sie grundsätzlich gegen eigene Kinder, oder war sie sich doch ihres Alters bewusst, das sie so gern verleugnete? Man schätzte sie leicht zehn Jahre jünger, wenn sie in guter Verfassung war.

»Es ist jetzt nicht mehr problematisch, wenn man mit vierzig ein Kind bekommt«, sagte er, aber sie hob sofort abwehrend die Hände.

»Ich will das nicht hören«, sagte sie heftig. »Was sollen wir mit einem Kind? Wir haben Beatrice, und ich verstehe mich gut mit ihr. Ich glaube nicht, dass sie begeistert wäre, wenn wir noch ein Baby hätten.«

Dr. Laurin war hellhörig geworden und sah seine Patientin forschend an. Es ist nicht das allein, ging es ihm durch den Sinn. Sie hat ja regelrecht Angst. Und plötzlich war da ein Verdacht, der ihn sehr irritierte. Sollte da etwa ein anderer Mann im Spiel sein? Hatte Antonia richtig gesehen, als sie neulich sagte, dass Denise mit einem jungen Mann in Wiessee gewesen war?

Vielleicht ein Freund von Bea­trice, hatte er gemeint, und das Thema war für ihn damit beendet gewesen. Für Antonia nicht, aber er hatte gar nicht mehr hingehört. Wenn sie im Ferienhaus waren, wollte er nur seine Ruhe haben. Antonia fuhr dann allerdings gern mal nach Wiessee ins Spielkasino und versuchte ihr Glück, manchmal sogar mit Erfolg.

Setzte Denise ihr Glück etwa aufs Spiel? Aber war ihre Ehe denn überhaupt so glücklich, wie es nach außen hin schien? Mit Beatrice gab es hin und wieder wohl schon Differenzen, wenn das Mädchen darüber auch nicht sprach. So gut, wie Denise jetzt betonte, verstanden sie sich jedenfalls nicht.

»Warum sehen Sie mich so an?«, fuhr Denise ihn nun an. Er wollte diesen Ton nicht zur Kenntnis nehmen, aber er merkte, wie nervös sie war.

»Ich dachte, Sie würden jetzt gehen«, erwiderte er. »Ich kann Ihnen die Schwangerschaft nicht wegreden.«

»Aber Sie können etwas dagegen tun«, sagte sie herrisch. »Ich will kein Kind, jetzt nicht mehr.«

»Das bedauere ich, da Sie durchaus in der Lage sind, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Und da Sie in einer intakten Ehe leben, sehe ich keinen Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Mehr kann ich dazu nicht sagen, Frau Felting. Überdenken Sie alles noch einmal in Ruhe, sprechen Sie mit Ihrem Mann. Ich kann nur sagen, dass ich keinesfalls einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen werde.«

»Ich habe gedacht, dass Sie ein Freund sind«, sagte sie.

Er maß sie mit einem langen Blick. »Wenn wir Freunde wären, würde ich Ihnen jetzt noch etwas ganz anderes erzählen.«

Sie zuckte zusammen. »Aber Sie werden Beatrice nichts sagen, das darf ich doch wohl erwarten?«

»Ich sehe keinen Grund, mit Beatrice darüber zu sprechen. Alles, was hier gesprochen wird, unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht. Ich hoffe nur, dass Sie wissen, was Sie tun.«

»Worauf Sie sich verlassen können«, erwiderte sie aggressiv.

Sekunden später rauschte sie an Moni Hillenberg vorbei, und die schüttelte nur den Kopf.

»Was hatte denn die Madame?«, fragte sie Dr. Laurin.

»Launen, Moni, aber davon sollte man sich nicht beeindrucken lassen. Sie hat zu viel Zeit. Ihr geht es einfach zu gut.« Unverdientermaßen, fügte er in Gedanken hinzu. Der Verdacht, dass da ein anderer Mann im Spiel sein könnte, verdichtete sich immer mehr.

Wie recht er hatte, hätte er schon eine Stunde später bestätigt bekommen können. Denise hatte ein paar Besorgungen gemacht, und wie immer, wenn sie nervös war, hatte sie unnütze Sachen gekauft. Dann war sie nach Bogenhausen gefahren und hielt nun vor einem modernen Appartementhaus.

Sie drückte auf die Klingel, unter der der Name Boris Lorant stand. Der Summer ertönte, sie konnte eintreten und fuhr mit dem Lift zur dritten Etage.

Sie wurde von einem dunkelhaarigen Mann erwartet, dessen glühender Blick sie verzehrte, aber sie schmolz nicht so dahin wie sonst, und er merkte es.

»Was ist mit dir los, Bellissima?«, fragte er beleidigt.

»Ich bin schwanger«, platzte sie heraus, »das ist los.«

»Wie kann das möglich sein?«, fragte er bestürzt.

»Ja, wie kann das möglich sein, frage ich dich!«, fauchte sie wie eine gereizte Katze. »Diese verdammten Pillen scheinen auch nicht immer zu nützen.«

»Ist es denn sicher?«

»Und wie sicher, wenn Dr. Laurin es sagt. Und er meint, dass mein Mann sich freuen würde.« Sie kicherte plötzlich frivol. »Eigentlich müsste ich es Frederic unterjubeln, mal sehen, was er sagt.«

»Vielleicht wäre es am besten«, meinte Boris.

Denise sah ihn aus schmalen Augen an. Wer sie kannte wusste, dass sie jetzt bis aufs Äußerste gereizt war.

»Das ist also deine Meinung«, stieß sie kalt hervor.

»Du weißt, dass ich dir nicht den Lebensstandard bieten kann, den du gewöhnt bist, Denise. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht.«

»Ist ja gut, ist ja gut«, winkte sie ab. »Ich muss das alles erst mal in Ruhe überlegen.«

»Es ist doch recht einfach heutzutage, eine Abtreibung vornehmen zu lassen«, meinte er.

»Dabei kann man auch draufgehen. Ich will jetzt nicht darüber nachdenken. Mit unserem Ausflug nach Wiessee wird es wohl nichts. Ich will jetzt nichts riskieren. Ich möchte nicht, dass man uns zusammen sieht. Vielleicht hat mich Antonia Laurin neulich in Wiessee doch erkannt und es ihrem Mann erzählt, worauf der misstrauisch geworden ist. Zuzutrauen ist es ihm. Falls Gerede entsteht, werde ich es so drehen, dass du ein Verehrer von Beatrice bist, der sich nur nicht traut, direkt mit ihr in Verbindung zu treten und sich deshalb an mich hängt.«

»Sei vorsichtig, Beatrice lässt sich nicht hinters Licht führen.«

»Tu nicht, als würdest du sie genau kennen.«

»Vielleicht sollte ich sie aber besser kennenlernen, damit wir ein Alibi haben.«

Frederic war zwölf Jahre älter als sie, Boris zwölf Jahre jünger. Es war nicht so, dass er finanziell abhängig von ihr war, denn er verdiente als Dressman und Fotomodell recht gut. Sie hatten sich vor zwei Jahren in Cannes bei den Filmfestspielen kennengelernt, denn ›dabei sein ist alles‹, war die Devise, nach der Boris lebte. Aber er war auch in eine gewisse Hörigkeit zu Denise geraten – wie auch sie zu ihm.

Und bisher war man ihnen auch nicht auf die Schliche gekommen. Frederic waren seine Geschäfte wichtig, und Denise brauchte er nur zum Repräsentieren. Er hatte Beatrices Mutter Melanie so sehr geliebt, dass er solche Gefühle für eine andere Frau nie mehr aufbringen konnte. Er hatte auch lange gebraucht, bis er sich zu einer zweiten Heirat entschlossen hatte, aber nach dem Tod seiner Mutter, die für Beatrices Erziehung zuständig war, hatte wieder eine Frau ins Haus gehört, wie ihm von allen Seiten geraten wurde.

Und da erschien Denise wie gerufen auf der Bildfläche – eine Frau, die so formvollendet auftrat, dass niemand danach fragte, woher sie kam. Sie hatte es sogar verstanden, Beatrices Bewunderung zu gewinnen, und so hatte sie leichtes Spiel gehabt. Sie hatte das große Los gezogen, und ihre geheimsten Wünsche wurden Wirklichkeit. Es störte sie nicht, dass Frederic sie nur als Dekoration verstand, wenngleich er sich auch nicht ganz ihren Verführungskünsten entziehen konnte und auch nicht wollte. Es gefiel ihm auch, dass Denise von allen Männern bewundert wurde, und ihr machte es nichts aus, dass die Frauen sie hassten – bis auf wenige, die ihr nacheiferten.

»Du meinst also, dass wir uns für eine Weile trennen sollten?«, fragte Beatrice nach längerem Schweigen.

»Ich habe nicht von Trennung gesprochen. Wir müssen vorsichtig sein. Ich werde alles in Ruhe überdenken. Mal sehen, ob ich Frederic eine Reise nach Italien oder Frankreich abluchsen kann.«

»Warum nicht nach Amerika?«, fragte Boris. »Da wären wir weit vom Schuss.«

»Man wird sehen«, sagte sie leichthin. »Aber ich kann Frederic jetzt nicht verärgern.«

»Das sehe ich ein. Ich will auf gar keinen Fall schuld sein, dass du Schwierigkeiten bekommst, Denise.« Er zog sie an sich und küsste sie leidenschaftlich. »Aber ich werde dich nie aufgeben, niemals!«, murmelte er. »Wir werden immer wieder einen Weg finden.«

»Und wenn doch eine andere Frau in dein Leben tritt?«, fragte sie.

»Es gibt keine, die ich so begehren könnte wie dich. Du darfst nie daran zweifeln, Denise, meine Geliebte.«

Sie schmolz in seinen Armen dahin, wenn er mit so samtweicher Stimme auf sie einsprach.

»Wir werden uns nie verlieren«, flüsterte sie.

*

Frederic Felting kam an diesem Tag früher als sonst nach Hause. »Ja, gibt’s das auch?«, wurde er von Beatrice begrüßt.

»Was willst du damit sagen, Beatrice?«

»Dass du schon zu Hause bist, ist ein Wunder.«

»Ich muss morgen verreisen. Wo ist Denise?«

»Das mag der Himmel wissen, ich nicht.« Sie liebte ihren Vater, und er liebte seine Tochter über alles. Und weil Beatrice ihn nicht betrüben wollte, übte sie auch nie Kritik an Denise, obwohl ihr so manches nicht gefiel.

»Unternehmt ihr denn nichts gemeinsam?«, fragte er.

»Dazu sind unsere Interessen wohl zu verschieden, Daddy. Und bei schönem Wetter treibe ich immer Sport, wenn das Studium mir Zeit dazu lässt.«

»Aber Denise interessiert sich doch auch für Kunst und Musik.«

»Sicher, aber diese Vernissagen und Modeschauen langweilen mich. Ich kann es außerdem nicht ertragen, wenn die lieben Damen über andere herziehen.«

Frederic warf seiner Tochter einen schrägen Blick zu. »Wird über uns auch geklatscht?«, fragte er betont gleichmütig.

»Aber sicher! Natürlich nicht in meiner Gegenwart, und Denise ist eine viel beneidete Frau. Sie sieht für ihr Alter ja noch fantastisch aus.«

»Vierzig ist kein Alter, mein Schatz. Die Jahre vergehen schneller als man denkt.«

Beatrice schenkte ihrem Vater ein bezauberndes Lächeln. »Du kannst dich aber auch sehen lassen, Daddy«, sagte sie. »Jetzt will ich aber wissen, wohin die Reise gehen soll.«

»Nach Südafrika, da eröffnet sich ein neuer Markt für uns. Ich möchte das selbst in die Hand nehmen, und außerdem kann ich bei der Gelegenheit meinen alten Studienfreund Ben Raymond treffen.«

»Soll Denise dich begleiten?«

»Nein.« Das klang kategorisch, und Beatrice sah ihn überrascht an.

»Sie wird es auch nicht wollen«, fügte er hastig hinzu.

Beatrice wollte etwas erwidern, aber in diesem Augenblick kam Denise heim.

»Oh, mein Schatz, du bist ja schon zu Hause«, zwitscherte sie. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich mehr beeilt. Darf ich annehmen, dass du für den Abend etwas geplant hast?«

»Kann ich mich schnell verabschieden?«, warf Beatrice ein. »Ich muss zum Tennis.«

»Übertreib es nicht«, mahnte Frederic. »Du brauchst keine Pokale zu sammeln.«

»Gut, dass du das auch mal sagst«, meinte Denise, als Beatrice verschwunden war. »Sie wird ja das reinste Muskelpaket.«