Der kleine Fürst 141 – Das Medaillon der Fürstin

Der kleine Fürst –141–

Das Medaillon der Fürstin

Lucia findet eine heiße Spur

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-698-5

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»Was ist eigentlich bei denen da drüben los?«, erkundigte sich Polizeiobermeisterin Lucia von Ballwitz bei ihrer Kollegin Mara Mellen, als sie zusammen in der Kantine zu Mittag aßen. »Man könnte meinen, die Kollegen von der Kripo hätten einen ganz großen Fang gemacht.«

Mara senkte die Stimme. »Haben sie auch. Letzte Nacht haben sie einen Hehlerring ausgehoben und angeblich Schmuck, Gemälde und andere Kunstgegenstände im Wert von über zehn Millionen gefunden.«

»Woher weißt du das denn schon wieder?«

Mara grinste. »Mein Spion.« Sie wurde gleich wieder ernst. »Sie haben eine Sondereinheit gebildet, die Niko von Hohenwege leitet, der Super-Kriminalist.«

»Ausgerechnet«, murmelte Lucia. »Dieser Kotzbrocken.«

»Du kennst ihn doch gar nicht, Lucia!«

»Schon allein, wie er immer guckt! So eiskalt, als sähe er durch die Menschen hindurch. Ich glaube, ich habe ihn noch nie lächeln sehen. Wahrscheinlich schläft er in seinem Büro, denn dass so jemand ein Privatleben hat, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«

»Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten viel von ihm, auch wenn er zu fast allen Distanz hält. Es heißt, dass keiner so viel arbeitet wie er und dass er nie ungerecht wird. Allerdings verlangt er vollen Einsatz von seinen Leuten.«

»Mir egal, ob er beliebt ist oder nicht, so lange ich bloß nichts mit ihm zu tun haben muss.«

»Ich dachte, du willst zur Kripo?« Mara zog fragend die Augenbrauen hoch.

»Will ich auch.« Lucia schob ihren Teller von sich.

Mara und sie hatten ihre Ausbildung gerade erst beendet, dies war ihr erstes Jahr als Polizistinnen. Sie fuhren Streife, machten Innendienst, sammelten verlorene Kinder wieder ein oder auch ein Haustier. Sie kümmerten sich um die Ausnüchterung von betrunkenen Randalierern, und nicht selten wurden sie gerufen, wenn aus einer Wohnung Schreie oder die Geräusche von Schlägen drangen oder wenn wieder einmal irgendwo eingebrochen worden war. Sie bildeten jeweils mit einem erfahrenen Kollegen ein Team, und bis jetzt fanden sie ihren Berufsalltag jeden Tag neu und aufregend.

»Ich will mal zur Mordkommission«, setzte Lucia hinzu.

»Nie im Leben würde ich das machen«, sagte Mara schaudernd. »Betrugsdezernat, das wäre vielleicht noch was, aber Mord? Geh mir los, da könnte ich ja nachts nicht mehr schlafen.«

Sie merkten nicht, wie viele Blicke auf ihnen ruhten, seit sie die Kantine betreten hatten. Von Anfang an waren sie aufgefallen, weil sie beide nicht nur ausnehmend hübsch waren, sondern außerdem die Ausbildung als Beste ihres Jahrgangs abgeschlossen hatten. Lucia hatte ein aufbrausendes Temperament, da sie jedoch eine sehr zierliche, schmale Blondine war, wurde sie von so manchem Mann völlig falsch eingeschätzt. Dabei verfügte sie sowohl über Stärke als auch über Zähigkeit und Ausdauer, ihrem zarten Aussehen zum Trotz. An ihrem Gesicht fielen zuerst die Augen auf, die je nach Stimmung und Lichteinfall blau oder grün schimmerten. Ihr Mund war jederzeit bereit, sich zu einem Lachen zu verziehen, aber wenn sie sich ärgerte, konnte sie erstaunlich laut werden.

Mara sah eher wie eine Südeuropäerin aus mit ihren dunkelbraunen Haaren, den dunklen Augen und der olivfarbenen Haut – tatsächlich hatte sie eine italienische Mutter. Anders als Lucia jedoch war sie eher ruhig. In der Arbeit war sie gründlich und überlegt, wodurch sie manchmal langsam wirkte, was sie aber gar nicht war.

»Was weißt du noch über diesen Hehlerring?«, fragte Lucia.

»Nicht viel«, antwortete Mara mit einem Achselzucken. »Ist alles geheim, ich musste schwören, mit niemandem darüber zu reden.«

»Ich bin also niemand?«

Sie lachten beide. »Du bist meine Freundin«, stellte Mara fest. »Und ich weiß, dass du nicht weiterträgst, was ich dir erzähle.«

»Wieso haben sie eine Sondereinheit gebildet?«

»Es heißt, dass da noch mehr zu holen ist. Außerdem wollen sie sichergehen, dass kein Unbefugter Zugang zu den Akten oder sichergestellten Wertgegenständen hat.« Mara sah Lucia bedeutungsvoll an. »Du weißt schon, wegen der Korruptionsgeschichte.«

Lucia seufzte. Niemand wusste etwas Genaues, aber es hieß, dass ein Kriminalkommissar jahrelang mit Kriminellen gemeinsame Sache gemacht hatte. Er war dabei reicher geworden als Polizisten normalerweise werden, und irgendwann war die Sache aufgeflogen. So jedenfalls gingen die Gerüchte. Genaueres war bisher nicht bekannt. Sie wussten nicht einmal, um welchen Kollegen es ging. »Schade«, sagte sie. »Ich hätte schon gerne mal gesehen, was im Laufe der Jahre so alles geklaut wird.«

»Ja, ich auch. Wollen wir?«

Lucia nickte. Sie hatte Innendienst diese Woche, Mara fuhr mit einem Kollegen Streife.

»Wollen wir nicht mal wieder ins Kino gehen oder so?«

»Gerne, nur nicht heute, ich bin einfach zu kaputt.«

»Ich eigentlich auch. Dann bis später oder bis morgen, falls wir uns nicht mehr sehen.«

Lucia verbrachte einen mäßig interessanten Arbeitstag an ihrem Schreibtisch. Viel lästiger Papierkram, der besonders gern den Anfängern überlassen wurde, wie sie mittlerweile wusste, ein paar aufgeregte Anrufe von Bürgern, die Verdächtiges beobachtet hatten, und ein Streit unter Kollegen, der lautstark ausgetragen wurde – mehr passierte nicht.

Als sie schließlich ihre Sachen packte, um nach Hause zu gehen, machte sie auf dem Weg zum Ausgang einen Umweg. Die Kriminalpolizei saß im selben Gebäude, aber in einem anderen Trakt. Manchmal durchquerte sie ihn, um die Atmosphäre dort aufzusaugen. Eines Tages würde sie dazugehören.

Auf dem Gang stand ein Farbkopierer, der gerade eifrig Kopien ausspuckte. Unwillkürlich verlangsamte Lucia ihre Schritte. Sie würde im Vorübergehen wenigstens einen Blick auf die Kopien werfen. Aus der offenen Tür in der Nähe des Kopierers hörte sie jemanden sagen: »Ja, die Kopien laufen gerade durch, die Fotos sind sehr gut geworden, darauf kannst du jede Einzelheit erkennen. Ich verteile sie gleich anschließend. Wie bitte? Ja, klar, gib mir zehn Minuten …«

Die Versuchung war einfach zu groß. Lucia blieb stehen und sah sich rasch um. Der Gang war leer, der Kollege telefonierte noch immer. Rasch griff sie nach den Kopien, um sie durchzusehen. Es waren Großaufnahmen von Schmuckstücken, ihr genügte jeweils ein kurzer Blick, um festzustellen, dass es sich um erlesene Arbeiten handelte. Broschen, Colliers, Ringe – ein Stück war schöner als das andere. Ob das alles zur Beute dieser aufgeflogenen Hehlerbande gehörte?

Der Kollege beendete sein Gespräch. Schnell schob sie die Kopien wieder zusammen und wollte weitergehen, als eine zornige Stimme sie aufhielt.

»Was haben Sie denn hier herumzuschnüffeln?«

Sie fuhr herum. Wie ein Racheengel stand Niko von Hohenwege vor ihr, und er war ausgesprochen schlechter Laune. Eine steile senkrechte Falte über der Nasenwurzel teilte seine Stirn in zwei Hälften, seine dunklen Augen waren anklagend auf sie gerichtet. Unwillkürlich zog sie die Schultern hoch. Ausgerechnet der, dachte sie. Wieso konnte er nicht eine Minute später auftauchen? Dann wäre ich längst weg gewesen.

»Ich kam hier nur vorbei und habe die Kopien gesehen«, sagte sie, wohl wissend, dass das keine befriedigende Erklärung und schon gar keine akzeptable Entschuldigung war. Die Reaktion des jungen Kriminalkommissars ließ nicht lange auf sich warten und zeigte ihr, dass ihre Einschätzung richtig gewesen war.

»Und da sind Sie gleich mal stehen geblieben und haben sich alles in Ruhe angesehen? Kopien in unserer Abteilung gehen Sie überhaupt nichts an, was Sie natürlich genau wissen. Wieso liegen die überhaupt unbeaufsichtigt hier herum?«

Seine Stimme donnerte so laut über den Gang, dass an mehreren Türen erschrockene Gesichter auftauchten. Auch der Kollege im benachbarten Büro erschien umgehend, ein großer Blonder mit einem sympathischen Gesicht und sehr blauen Augen. »Ich musste ans Telefon«, sagte er. »Tut mir leid, Niko, ich dachte, wir sind hier unter uns …«

»Du sollst nicht denken, sondern vorsichtig sein«, erwiderte der Kommissar streng. »Du siehst, wie schnell man falsch denkt.« Er wandte sich wieder Lucia zu. »Kommen Sie mal mit.«

»Wieso?« Alles in ihr sträubte sich dagegen, sich jetzt rügen zu lassen, obwohl sie natürlich wusste, dass sie sich, um es vorsichtig auszudrücken, nicht ganz korrekt verhalten hatte. Man schnüffelte nicht in den Unterlagen von Kollegen herum, schon gar nicht, wenn einen deren Ermittlungen nicht das Geringste angingen und wenn man wusste, dass sie an einer Sache arbeiteten, die vertraulich behandelt werden sollte.

»Weil ich es Ihnen sage«, erklärte er mit grimmigem Gesicht. »Oder wollen Sie, dass ich mich offiziell an höherer Stelle über Sie beschwere?«

»Ich habe im Vorbeigehen ein paar Fotos angesehen«, sagte sie mürrisch. »Ist das jetzt ein Kapitalverbrechen? Ich bin schließlich auch Polizistin. Was glauben Sie denn? Dass ich das, was ich gesehen habe, an die nächstbeste Zeitung verkaufe?« Sie wusste, dass ihr Ton unangemessen war, aber das Auftreten des Mannes reizte sie zum Widerspruch.

»Kommen Sie mit«, wiederholte er knapp und ging ihr voraus. Offenbar war er davon überzeugt, dass sie es nicht wagen würde, sich ihm zu widersetzen.

Einen kurzen Moment lang erwog sie genau das, sie hatte schließlich nichts getan. Es war lächerlich, wie er sich aufspielte, aber dann siegte doch die Vernunft, und sie folgte ihm. Die Sache war es nicht wert, sich deshalb größeren Ärger einzuhandeln. Er war Kommissar, sie war eine Anfängerin bei der Schutzpolizei, die Kräfte waren also ungleich verteilt.

Er bot ihr keinen Platz an, als sie sein Büro erreicht hatten. »Also, was hatten Sie hier zu suchen?«, fragte er.

Das werde ich dir gerade erzählen, dachte sie. Du wirst von mir nicht erfahren, dass die Kripo mein Traum ist, denn dann tust du garantiert alles, damit sich dieser Traum nie erfüllt. »Mein Dienst ist zu Ende, ich bin auf dem Heimweg«, erwiderte sie unwillig.

»Ich habe Sie schon öfter bei uns gesehen«, sagte er. Jetzt war er ganz ruhig, aber sein Blick hatte nichts von seiner Wachsamkeit verloren. »Wenn Sie auf dem Heimweg sind, dann führt dieser Weg Sie normalerweise nicht durch unseren Trakt. Ich frage Sie also noch einmal: Was haben Sie bei uns verloren?« Seine Stimme klang kühl, er hatte jetzt die Arme vor der Brust verschränkt.

»Was denken Sie denn?«, fragte sie hitzig. »Dass ich versuche, geheime Dokumente einzusehen und an diesem Wissen ein paar Leute teilhaben zu lassen, die etwas damit anfangen können?«

»Ich vermute bisher gar nichts, ich versuche, die Wahrheit herauszufinden.«

Ihr fiel der Korruptionsfall ein, über den sie mittags mit Mara gesprochen hatte. Dachte er etwa … Sie spürte, wie ihr die Gesichtszüge entgleisten. Heftig sagte sie: »Es gibt keinen besonderen Grund, weshalb ich diesen Weg genommen habe. Mehr gibt es nicht zu sagen.«

»Und wenn Ihnen bei Ihrem Gang über einen Flur Dokumente ins Auge fallen, sehen Sie sich die natürlich an, weil Sie ja Polizistin und deshalb von Natur aus neugierig sind.« Jetzt klang seine Stimme spöttisch.

»Ja, genau!« Sie war jetzt so wütend, dass sie innerlich zu zittern begann, aber sie wollte auf keinen Fall, dass er das merkte. Wie er schon dastand, mit diesen verschränkten Armen und dem verschlossenen Gesicht! Verbrechern konnte er mit seinem Auftreten vielleicht Angst einjagen, aber ihr nicht, sie hatte sich schließlich nichts zuschulden kommen lassen.