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Werteorientierte Organisationsentwicklung

Ingrid Kadisch

Werteorientierte Organisationsentwicklung

„House of Feel Good“: macht Unternehmen

stark und menschlich

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© 2017 Ingrid Kadisch

Institut für Wertekultur in der Wirtschaft

Georg-Bitter-Straße 19

28205 Bremen

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback 978-3-7439-0529-0
Hardcover 978-3-7439-0530-6
e-Book 978-3-7439-0531-3

Umschlag: Kosma Klosowicz, Klokwise, 33739 Bielefeld

Illustration: Silvia Zastrow

Beratung, Lektorat und Satz: Cornelia Rüping, 81245 München

Redaktion: Dr. Elisabeth Stachura

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Warum Werte und der Blick auf den Einzelnen in Unternehmen stärker in den Fokus rücken

1.1 Leistungsdruck und Veränderungen

1.1.1 Wandel als einzige Konstante

1.1.2 Wohlfühlen als Wettbewerbsfaktor

1.2 Was werteorientierte Organisationsentwicklung bedeutet

1.2.1 Anker setzen: Das gemeinsame Leitbild leben

1.2.2 Vertrauen fördern: Zusammen zukunftsfähig sein

1.3 Führungskräfte mit neuer Haltung

1.3.1 Raum geben, mitgestalten und ermöglichen

1.3.2 Umgang mit Vielfalt und Widersprüchlichkeit

Kapitel 2: Starke Führungskräfte, starke Mitarbeitende

2.1 Der Weg zu mehr Widerstandskraft

2.1.1 Wie Resilienz entsteht: mehr Schutzfaktoren als Risikofaktoren

2.1.2 Resilienz: ein fabelhaftes Modell zur Stärkung des Wir-Gefühls

2.1.3 Acht Säulen, die Sinn machen

2.1.4 Die optimistisch-realistische Einstellung: Bodenhaftung mit Flügeln

2.1.5 Der Resilienz-Schutzschirm

2.2 Die wertschätzende Selbstbeziehung: sich selbst ein Freund sein

2.2.1 Selbstwahrnehmung

2.2.2 Selbstreflexion

2.2.3 Selbstmitgefühl

2.2.4 Selbststeuerung

2.2.5 Selbstverantwortung

2.3 Die Resilienz der Mitarbeitenden fördern

2.3.1 Den Teamgedanken entwickeln

2.3.2 Widerstand als Chance

2.3.3 Von Erfahrungen zu neuer Haltung

2.4 Resiliente Unternehmen sind erfolgreicher

2.4.1 Kennzeichen resilienter Unternehmen

2.4.2 Der Schlüssel: Gewahrsein und Reflexion im Arbeitsalltag

2.4.3 Inseln des Gewahrseins im Arbeitsalltag

Kapitel 3: „House of Feel Good“ – das Fundament

3.1 Positive Psychologie: an Stärken orientieren

3.2 Salutogenese: Gesundheitsfaktor Kohärenz

3.3 Gewaltfreie Kommunikation: das Giraffen-Bewusstsein

3.4 Supportive Leadership: einladen, ermutigen, inspirieren

3.5 Resilienz: an Herausforderungen wachsen

3.6 Gewahrsein: sich besinnen

Kapitel 4: Das „House of Feel Good“ in der Praxis

4.1 Auftrags- und Zielklärung

4.2 Leitbild

4.3 Das Werteprofil

4.3.1 Partizipation

4.3.2 Sinn

4.3.3 Gesundheit/Wohlbefinden

4.3.4 Integrität

4.4 Steuerungsgruppe: das Kulturarchitekten-Team

4.4.1 Vom Gewahrsein zur Evaluation

4.4.2 Das Werteprofil als Kompass

4.4.3 Messgrößen und Kennzahlen

4.5 Bausteine – Sicherheit und Stabilität fürs Haus

4.5.1 Coaching für die Führungskräfte

4.5.2 Team- und Gruppenangebote

4.5.3 Großgruppen-Veranstaltungen

4.6 Dialog-Workshops

4.6.1 Anlass und Ablauf

4.6.2 Vom Feel-Bad-Faktor zum Feel-Good-Faktor

4.6.3 Raus aus der Opferrolle, rein in die Aktivität

Kapitel 5: Wenn Werte beflügeln

5.1 Der passende Bauplan

5.2 Das „House of Feel Good“ umgesetzt

5.2.1 Beispiel: Das Gebäudedienstleistungs-Unternehmen Frankenthaler

5.2.2 Beispiel: Die Agentur für Markenkommunikation VielDesign

5.2.3 Beispiel: Die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Martin

5.2.4 Beispiel: Der internationale Konzern Logistik.Plus

Nachwort: Der Blick nach vorne – Feel the Good Management!

Dank

Literaturverzeichnis

Glossar

Anhang

Reflexion auf Basis des Werteprofils

Verdichtung der Reflexionsergebnisse

Visualisierung der Ergebnisse

Bestandsaufnahme Resilienzfaktoren

Ressourcen verdeutlichen und Bedarfe ergründen im Rahmen der Dialog-Workshops

Werteorientierung to go

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Vorwort

„Das Heil der Welt liegt nicht in immer neuen Maßnahmen,

sondern in einer anderen Gesinnung.“

Albert Schweitzer

Das Jahr 2016 markierte ein wichtiges Jubiläum: Ich bin seit 30 Jahren als Unternehmerin und Beraterin selbstständig. Mich fasziniert noch immer, was sich hinter den Fragestellungen und Anliegen meiner Kunden verbirgt und erst bei genauerem Hinsehen ans Tageslicht kommt – das beruht stets auf einem tatsächlichen Interesse an den Menschen und den Beweggründen ihres Handelns.

Erstes Beratungsrüstzeug erhielt ich im Rahmen der Therapieausbildungen gleich zu Beginn meiner aktiven Berufstätigkeit. Sowohl in der tiefenpsychologisch fundierten Therapie als auch in der integrativen Therapie mit dem Schwerpunkt Gestaltpsychologie fand ich wertvolles Wissen. Darüber hinaus machte ich bedeutende körperliche Erfahrungen in Hinblick auf Gewahrsein, Beziehungs- und Dialogfähigkeit sowie den Umgang an und mit Grenzen.

In den folgenden Jahren baute ich mein Beratungsunternehmen aus und spezialisierte mich auf Coaching von Führungskräften und Organisationsentwicklung unter dem Label „Gesund in Führung“. Viele meiner Kundinnen und Kunden berichteten von zunehmender Überforderung und damit verbundenen Erschöpfungssymptomen. Wie konnten sie angesichts der großen Herausforderungen zum einen gesund bleiben und zum anderen das Unternehmen wirtschaftlich gesund erhalten?

Eine Antwort eröffnete sich mir mit dem intuitiven Bogenschießen. Ein körperlicher Zugang, bei dem nicht Leistung und Erfolg im Vordergrund steht, sondern die persönliche Haltung, das Gewahrsein, die innere Zentrierung sowie die Intuition der Schützen. Hierüber lassen sich eine Fülle von Metaphern zu führungsrelevanten Themen entdecken und bearbeiten: angefangen vom guten Stand über die Zielfokussierung bis hin zum Nachhalten nach der Zielerreichung.

Die Prinzipien des intuitiven Bogenschießens verbanden sich ebenso gut mit meinem Konzept von Resilienz. Das Stärken der inneren Widerstandskraft entwickelte sich immer mehr zum festen Bestandteil des Konzepts zum Betrieblichen Gesundheitsmanagement. In diesem Zusammenhang begegnete mir erstmalig der Begriff des Feel Good Managements. Die ersten Feel Good Managerinnen traf ich in Startups. Die jungen Frauen bezeichneten sich selbst als Wohlfühl-Managerinnen. Mir drängte sich das Bild einer Haushälterin auf, die ihrem viel beschäftigten Chef den Rücken freihält und für gute Atmosphäre sorgt. Als eine Frau der Generation, die sich ausgiebig und aktiv mit Themen der Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt hatte, konnte ich diesem Klischee nicht viel abgewinnen.

Das muss auch anders gehen, dachte ich, und wollte dem Feel Good mehr Tiefe verleihen. Ich suchte nach einem Weg, dem Fühlen („to feel“) im Arbeitsleben wieder mehr Raum zu geben. Feel Good beinhaltet zusätzlich zu den „guten“ Gefühlen die Möglichkeit, Trauer, Ärger und Angst zuzulassen. Diese von Menschen in der Regel als unangenehm empfundenen Gefühle werden am Arbeitsplatz oft nicht zugelassen und nur selten bewusst thematisiert. Doch auch sie wollen wahrgenommen und akzeptiert werden. Denn nur wenn Menschen den Eindruck haben, dass sie mit ihren Gefühlen und Eigenarten wahrgenommen und respektiert werden, fühlen sie sich wertgeschätzt. Und dies wiederum ist Voraussetzung dafür, sich wohlfühlen zu können. Dabei geht es um die eigene Wertschätzung und die durch andere, was auf ganz unterschiedliche Art und Weise zum Ausdruck kommt. Es kann sich dabei zum Beispiel um einen Akt der Selbstfürsorge, einen Moment des aktiven Zuhörens, ein besonderes Kompliment oder auch ein Geschenk als Zeichen von Dankbarkeit handeln.

Die Fragen, die sich mir stellten: Was können sowohl Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden für ein wertschätzendes Miteinander in den Unternehmen tun? Wie können sie die Verantwortung dafür wahrnehmen und ihr gerecht werden? Welchen Rahmen braucht es dazu?

Im ersten Schritt änderte ich die Schreibweise in Feel. Good! Das bedeutet: Fühlen. Einen Punkt machen; eine Pause. Zur Besinnung kommen. Gut so! Daraus wurde „Feel the Good Management“, was ich im Sinne von „Fühl das gute Management“ verstehe. Damit meine ich, sowohl das eigene Management im Sinne einer guten Selbstführung zu fühlen als auch die wertschätzende Führung durch Vorgesetzte.

Nach und nach erarbeitete ich ein entsprechendes Beratungskonzept, das die werteorientierte Organisationsentwicklung in den Fokus stellt, echte Begegnungen ermöglicht und den vorhandenen Gefühlen einen sicheren Raum gibt. Es heißt „House of Feel Good“ und basiert auf meinen Erfahrungen, meinen Werten und meiner Haltung. Dieses Konzept ist Teil der Ausbildung, die ich in meinem Institut für Wertekultur in der Wirtschaft anbiete. Die ersten Ausbildungen sind erfolgreich abgeschlossen und ich freue mich darüber, dass dieses Konzept im wahrsten Sinne des Wortes einen Bogen spannt vom Anfang meiner Beratungstätigkeit bis jetzt, dem bereits absehbaren Ende meiner aktiven Berufstätigkeit.

Es ist schön zu sehen, dass die Werte, Sehnsüchte und Wünsche der Menschen in Bezug auf Kontakt, Liebe, Sinn und Wirksamkeit im Großen und Ganzen dieselben geblieben sind, obwohl sich die Welt und die Bedingungen um uns herum stark gewandelt haben. So gingen manche Aspekte verloren, neue kamen hinzu, manchmal lag auch etwas verschüttet und wurde wieder ausgegraben. Die Herausforderung im Hier und Jetzt besteht darin, den genannten Werten durch eine wertschätzende Haltung des Einzelnen sich selbst und anderen gegenüber auch im Arbeitsleben wieder mehr Raum und Bedeutung zu geben. Dazu möchte ich Sie, liebe Leser und Leserinnen, gern einladen.

Ingrid Kadisch

Bremen, im März 2017

Hinweis

In der Einleitung vieler Publikationen findet sich an solch einer Stelle häufig der Hinweis der Autorin oder des Autors, man wisse um die Bedeutung gendergerechten Schreibens. Dennoch verzichte man zugunsten der Lesbarkeit auf die unterschiedlichen Formen und verwende ausschließlich das generische Maskulinum. In diesem Buch werden das generische Maskulinum, das generische Femininum sowie gegenderte Wortformen verwendet, um meiner Überzeugung sprachlichen Ausdruck zu verleihen, dass das gesprochene bzw. geschriebene Wort unsere Informationsverarbeitung beeinflusst. Wenn Frauen bei einem Thema mitgedacht werden, hat das auch etwas mit ihrer sprachlichen Repräsentanz zu tun. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei ausschließlicher Verwendung des generischen Maskulinums in der gedanklichen Vorstellungswelt der Leserinnen und Leser weniger Beachtung finden als Männer, ist trotz anderslautender, gut gemeinter Bekundungen hoch.1

Kapitel 1: Warum Werte und der Blick auf den Einzelnen in Unternehmen stärker in den Fokus rücken

Die Arbeitswelt heute ist geprägt von ständigen, schnellen Veränderungen. Damit gehen Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit einher. Wie das die Arbeitswelt verändert, welche Herausforderungen Arbeitgeber dadurch begegnen und wie Wohlfühlen am Arbeitsplatz (trotzdem) gelingen kann, sind die Themen im ersten Kapitel.

Aktuell leben wir in einer Zeit des Aufbruchs und die Entwicklung geht hin zu einer radikalen und notwendigen Transformation der Arbeitswelt. Der selbstverantwortliche und mündige Mensch ist aufgefordert, dabei mitzugestalten; er steht verstärkt im Fokus der Aufmerksamkeit. Gefragt sind Menschen mit Persönlichkeit, die in der Lage sind, eigenständig zu denken und zu handeln. Werte wie Partizipation, Selbstorganisation und demokratische Entscheidungsstrukturen sowie neue Führungsmodelle werden intensiv und kontrovers diskutiert. Vor allem Start-up-Unternehmen testen neue Arbeitsformen, die auch für den Mittelstand geeignet sein könnten. Während in einigen Unternehmen neue Konzepte zur Arbeitsgestaltung längst begeistert ausprobiert werden, stehen andere dieser Bewegung eher skeptisch und abwartend gegenüber. Sind diese Ansätze doch nur alter Wein in neuen Schläuchen und geht es tatsächlich auch darum, eine andere Haltung zu finden, die zu mehr Menschlichkeit in den Unternehmen und im Miteinander beiträgt?

1.1 Leistungsdruck und Veränderungen

Die Situation von Führungskräften und Mitarbeitenden in Unternehmen ist geprägt von einem starken Zeit- und Leistungsdruck. Das Handeln zielt vor allem auf wirtschaftlichen Erfolg und Wachstum ab. Viele sind unzufrieden und berichten von Situationen, in denen sie sich nicht wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen. Sie haben den Eindruck, dass sie in immer weniger Zeit immer mehr leisten sollen und insgesamt wenig Einfluss auf ihre Arbeitsbedingungen nehmen können. Hinzu kommt, dass sich die Unternehmen in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess befinden. Die Mitarbeitenden haben den Eindruck, dass es keine geplanten Veränderungen mehr gibt, die irgendwann abgeschlossen sind. Vielmehr berichten sie, dass sich ein Wandel an den nächsten anschließt oder gar mehrere parallel ablaufen. Eine Umstrukturierung schließt sich an die nächste an. Es ist erforderlich, in kurzer Zeit Neues zu integrieren, sich wieder zu stabilisieren und erneut auszurichten. Doch dafür haben Unternehmen und Mitarbeitende nicht die notwendige Ruhe. Ständig sind sie mit Anforderungen konfrontiert, die es zum Teil ohne entsprechende Vorerfahrungen zu meistern gilt. Um dennoch im Arbeitsalltag und am Markt bestehen zu können, brauchen Unternehmen sowohl eine hohe Flexibilität als auch eine ausgeprägte Robustheit.

Als Reaktion auf diese Zustände tauchen immer neue Konzepte auf, die die bisherige Arbeitswelt und ihre gültigen Gesetze infrage stellen. Auch dies trägt zur Verunsicherung der Mitarbeitenden bei. Wie sie damit umgehen und welche Bewältigungsstrategien sie einsetzen, gestaltet sich ganz unterschiedlich: Auf der einen Seite finden sich diejenigen, die sich mit den aktuellen Bedingungen arrangiert haben und einfach mit ihrem Job Geld verdienen wollen. Sie sind nicht daran interessiert, über den Tellerrand zu schauen oder sich mit neuen Ideen einzubringen, sondern machen Dienst nach Vorschrift. Viel zu oft haben sie in der Vergangenheit erlebt, dass ihr Engagement nicht gewürdigt wurde, am Ende nur Mehrarbeit für sie entstanden ist oder/und nicht der Effekt auftrat, den sie sich erhofft hatten. Doch nicht alle Mitarbeitende haben die gleichen Ansprüche an ihre Arbeit, was auch vollkommen in Ordnung ist.

Auf der anderen Seite stehen die Mitarbeitenden, die mit dem hadern, was sie über die Zeit durch viele Veränderungsprozesse im Unternehmen verloren haben. Das kann zum Beispiel die Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen, die familiäre Atmosphäre oder gemeinsame Rituale sein. Sie tun sich schwer damit, in Veränderungsprozessen Chancen und Möglichkeiten zu entdecken, die sie konstruktiv für sich nutzen können. Ihr Misstrauen gegenüber neuen Konzepten ist groß und sie befürchten, erneut enttäuscht zu werden. Häufig sind Sarkasmus und Bitterkeit Bewältigungsmuster, mit denen sie sich vor drohenden neuen Verlusten schützen. Wieder andere Mitarbeitende wollen sich aktiv beteiligen, dabei aber ihre eigenen Bedürfnisse nicht außer Acht lassen. Ihnen ist Ausgewogenheit und Balance wichtig. Ihnen geht es darum, Beruf, Familie und Freizeit unter einen Hut zu bekommen.

Die unterschiedlichen Arten, mit den Unsicherheiten, Unwägbarkeiten und ständigen Veränderungen umzugehen, beruhen unter anderem auf den Glaubenssätzen und Erfahrungen, die die Menschen in den Unternehmen in sich tragen. Das Spektrum reicht von „Die anderen machen sowieso, was sie wollen, ich habe eh keine Chance, etwas zu verändern“ bis hin zu „Jede Veränderung bietet mir Chancen zu wachsen“.

1.1.1 Wandel als einzige Konstante

Apropos Blick über den Tellerrand: Nicht nur die Arbeitswelt, sondern das ganze Leben ist heute „VUCA“. Diese Abkürzung steht für volatility (Veränderlichkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Hinzu kommen weitere Faktoren wie die fortschreitende Digitalisierung und neue Anforderungen an Gesellschaft und Unternehmen, etwa durch die alternde Bevölkerung. Sie sorgen dafür, dass der Einzelne in seiner täglichen Erlebenswelt mit vielen Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert wird. Auch wenn der Überblick phasenweise verloren geht, kann er durch aufmerksames, bewusstes Innehalten, Gewahrsein und Reflexion immer wieder zurückgewonnen werden.

Veränderlichkeit

Allgemein bezeichnet das Wort „Volatilität“ (lat. „volatilis“ für „fliegend“, „flüchtig“) in der Statistik die Schwankungsbreite von Werten über einen gewissen Zeitraum. Übertragen auf die Arbeitswelt bedeutet dies eine geringe Halbwertszeit, was Entscheidungen, ganze Projekte und Maßnahmen angeht. Kaum vorhanden, sind viele Informationen und Erkenntnisse auch schon wieder hinfällig oder treffen zumindest nicht mehr voll und ganz zu, Prioritäten verändern sich. Kontinuität, Verlässlichkeit und Verbindlichkeit bleiben häufig auf der Strecke.

Da die meisten Menschen gut und schnell über digitale Medien erreichbar sind, ist es deutlich einfacher geworden, Termine mit anderen zu verschieben. Auf der einen Seite hat dies den Vorteil, flexibel auf sich ändernde Situationen eingehen zu können. Auf der anderen Seite leidet darunter auch schon mal die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Wer kennt nicht das Gefühl, mal eben verschoben worden zu sein.

Alles befindet sich ständig im Wandel, nichts bleibt, wie es ist – das scheint zumindest der vorherrschende Eindruck zu sein, den die meisten Menschen in unserer Zeit haben. Immer mehr Ungeplantes, Unvorhersehbares muss gleichzeitig bewältigt werden.

Unsicherheit

Dadurch, dass ständig alles in Bewegung ist, entsteht eine Fülle von Unsicherheiten. Planungssicherheit und feste Qualitätsanforderungen sind Schnee von gestern. Zu bedenken ist, dass Unsicherheit auch Ungewissheit bedeutet. Kaum etwas lässt sich noch vorhersehen, verlässliche Prognosen sind unmöglich. Das Definieren langfristiger Ziele erscheint sinnlos, ändern sich doch ständig die inneren und äußeren Anforderungen. Auch Kennzahlen haben eine geringe Halbwertszeit und bieten wenig Kontrolle.

Das bedeutet in Bezug auf Arbeit: eigene Ansprüche, etwa an die Qualität der Ergebnisse, und die eigenen Vorstellungen, wie Arbeit zu gestalten ist, lassen sich aufgrund der Rahmenbedingungen kaum umsetzen. Die in den Unternehmen vorgegebenen Ziele passen nicht mehr zu den vorhandenen Ressourcen. Dies löst innere Wertekonflikte aus, die in der Regel mit einer hohen emotionalen Erregung einhergehen. Dies wiederum erleben viele als dauerhafte Belastung ohne Zeiten der Entspannung und Ruhe.

Komplexität

Die aktuelle Situation lässt sich nicht allein mit dem ständigen Wandel begründen, sondern sie hängt auch mit der gestiegenen Komplexität in der (Arbeits)Welt zusammen. So entstehen zum Beispiel neue Netzwerke über Ländergrenzen hinweg, wodurch sich bislang ungeahnte Chancen und Möglichkeiten eröffnen. Immer mehr Bereiche sind miteinander verbunden, der Einzelne steht vor ganz anderen Herausforderungen und in einem komplett veränderten Wirkungsgefüge. Das macht den eigenen Arbeitsbereich unkontrollierbar und immer undurchschaubarer. Der Einzelne wird mit unvorhersehbaren Ereignissen konfrontiert und muss darauf schnell, kreativ und besonnen reagieren.

Unsere Gesellschaft hat einen Grad an Komplexität erreicht, der schwer zu erfassen ist: Die Folgen einer Handlung lassen sich kaum noch abschätzen, weil die Abhängigkeiten zwischen den unterschiedlichsten Faktoren immer mehr und immer dichter werden.

Mehrdeutigkeit

Mit der zunehmenden Komplexität eng verbunden ist, dass sich immer häufiger Widersprüchlichkeiten und Mehrdeutigkeiten auftun. Dies erschwert klare Einschätzungen. Entscheidungen sind somit immer häufiger sowohl mit Unsicherheiten als auch mit Dilemmata behaftet. Die eine richtige Entscheidung kann es also nicht geben, weil es gilt, vielerlei Auswirkungen gegeneinander abzuwiegen und die vielfältigen Aspekte sinnvoll zu priorisieren. Häufig geht es darum festzulegen, welche Werte in einer bestimmten Situation ausschlaggebend sind – das kann allerdings schon sehr bald wieder ganz anders aussehen, wenn neue Einflussfaktoren und Zusammenhänge hinzukommen. Wie kann der Einzelne trotz Veränderungen der eigenen Wertehoheiten in unterschiedlichen Situationen von anderen als glaubhaft und zuverlässig erlebt werden?

Unsere Welt bietet mehr Möglichkeiten denn je. Egal, ob es um Konsumgüter, Bildungsangebote, Lebenspartner oder Meinungen geht – nie hatten wir mehr Auswahl als heute. Jede Entscheidung beruht darauf, Pro und Kontra abzuwägen. Doch je mehr Informationen und je mehr Alternativen verfügbar sind, desto mehr Argumente stehen im Raum und desto ausgeprägter kann die Unentschiedenheit sein und als Überforderung erlebt werden. Nie war es so klar ersichtlich wie jetzt: Es gibt keine eindeutigen Wahrheiten, Schwarz-Weiß-Denken reicht nicht aus. Oft sind Grautöne oder ein Sowohl-als-auch gefragt. Zusätzlich ist in mehrdeutigen Situationen eine gute Verbindung zu sich selbst und zur eigenen Intuition ausschlaggebend, um sowohl handlungsfähig zu bleiben als auch stimmige Entscheidungen treffen zu können.

Neue Herausforderungen für Führung und Zusammenarbeit

Es geht darum, die eigene Selbststeuerung zu erhalten, und darum, sich nicht lähmen zu lassen von der Unübersichtlichkeit, der Unsicherheit und der Unvorhersehbarkeit. Hier eine kleine Auswahl von Einflussfaktoren, die die Unternehmen in Zukunft fordern werden:

Durch die zunehmende Automatisierung fallen Arbeitsplätze weg, neue Arbeitsplätze kommen hinzu.

Die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Selbststeuerung der Mitarbeitenden wird immer wichtiger.

Klare Arbeitszeiten und räumliche Grenzen von Unternehmen lösen sich auf.

Es entsteht eine neue Kultur des Miteinanders, in der Kooperation, Offenheit und das Teilen von Ressourcen zentrale Bestandteile sind.

Die Ansprüche an die Organisation, an die Führung und an die Arbeit selbst steigen und ändern sich. Menschen möchten sich als selbstwirksam erfahren und Wohlbefinden auch am Arbeitsplatz erleben.

Führung ist gefordert, ihr Selbstverständnis kritisch zu hinterfragen, zudem braucht es ein neues Verständnis von Autorität.

Um in der heutigen Welt und unter den gegebenen Umständen bestehen zu können, sind ein Umdenken und eine werteorientierte Haltung hilfreich – sowohl bei den Unternehmen und ihrer Führung als auch bei Mitarbeitenden.

Unternehmen, die sich auf den Weg machen, die genannten Ansätze umzusetzen, fest zu verankern und mit Leben zu füllen, können neue Anforderungen meistern und sich am Markt durchsetzen. Grundlage dafür ist Vertrauen – in sich selbst, in andere und in die Welt. Durch Vertrauen reduziert sich Komplexität. Vertrauen ermutigt zu handeln, selbst wenn in einer Situation nicht alle relevanten Faktoren samt ihren Auswirkungen bekannt sind (mehr hierzu folgt in Kapitel 1.2.2). Wer die Herausforderungen annimmt, sich auf den Weg macht und mitgestaltet, entwickelt sich weiter. Dabei ist es wichtig, sich die eigenen Stärken und Ressourcen bewusst zu machen und über die eigene Fachlichkeit hinaus an seiner Persönlichkeit zu arbeiten. Wer stehen bleibt und vor Angst erstarrt, wird möglicherweise überholt und überlaufen.

Digitalisierung

Ein weiterer Faktor, der die Situation in den Unternehmen bestimmt, ist der digitale Wandel. Ohne Computer und Internet würde die Arbeit in vielen Unternehmen stillstehen. Die Mitarbeitenden sind über soziale Netzwerke verbunden und tauschen sich darüber aus, moderne Hard- und Software erleichtern Arbeitsabläufe und Absprachen. Neue Technologien tragen auch dazu bei, dass die Mitarbeitenden flexibler und unabhängig vom Aufenthaltsort tätig werden können. Darüber hinaus entstehen durch die Digitalisierung neue Arbeitsplätze, zuvor unbekannte Berufsfelder entwickeln sich. Social-Media-Manager, Bloggerinnen oder Medientechnologen werden heute und in Zukunft gebraucht, obwohl es sie vor einigen Jahren noch gar nicht gab.

Allerdings ist die Digitalisierung auch mit Risiken verbunden. So kann der Einsatz einer intelligenten Software menschliche Arbeit in einigen Bereichen überflüssig machen oder finanziell abwerten. Man denke hier nur an die Einkaufsmöglichkeiten online: Es ist nicht verwunderlich, dass viele kleine Kaufhäuser dem Wettbewerbsdruck nicht länger standhalten können und schließen. Hinzu kommt die viel zitierte ständige Erreichbarkeit. Mitarbeitende, die immer auf Abruf stehen, leiden häufig unter starkem Stress und kommen nicht zur Ruhe. Auch der Anspruch an die Flexibilität des Einzelnen steigt, denn häufig fallen im Zuge der Digitalisierung neue Aufgaben an, die zusätzlich zu erledigen sind, oder eine neue Software wird eingesetzt, was ebenfalls anfangs mehr Aufwand erfordert. Die Folge von dem entstehenden negativ wirkenden Stress (Distress) und erhöhten Druck sind Erkrankungen wie Burnout und Angsterkrankungen bis hin zu Depressionen. Viele Menschen können in ihrer sogenannten Freizeit nicht mehr abschalten und denken ständig an ihre Arbeitsbelastungen. Entspannung und Erholung fehlen, Körper und Geist sind permanent überfordert. Ganze Unternehmen befinden sich im Überforderungsmodus. Auch das Thema Datenschutz spielt in der digitalisierten Arbeitswelt eine immer größere Rolle. Arbeitnehmende und Arbeitgeber verlassen sich darauf, dass ihre Daten sicher sind. In diesem Zusammenhang tauchen viele neue Fragen auf, was zu bedenken ist, welche Gefahren bestehen und wie Schutz gewährleistet werden kann. Auch der Einzelne ist aufgefordert, sich selbst zu schützen und zu verhindern, dass er aufgrund seiner Aktivitäten in den Social Media „gläsern“ wird, sei es auf Xing, Facebook oder Twitter.

Die Digitalisierung wird künftig Arbeitsabläufe weiter vereinfachen und die Arbeitskraft der Menschen in vielen Bereichen ersetzen. Doch sie eröffnet auch neue Wege, Arbeit flexibler zu gestalten und die Mitarbeitenden zu entlasten. Damit im Ergebnis die Vorteile die Nachteile überwiegen, braucht es eine achtsame und verantwortungsbewusste Führung. Gute Selbststeuerung und ausgeprägte Selbstverantwortung sind gefragt, die gewährleisten, dass der Einzelne sich genug Zeiten der Erholung und Entspannung verschafft (siehe Workshop „Zeit der Reife“ in Kapitel 5.2.3).

Agilität

Agilität ist eine weitere Eigenschaft, die es Unternehmen und Organisationen erleichtert, sich mit dem Wandel fortzuentwickeln und neue Anforderungen zu erfüllen. Dieser Begriff beschreibt die Fähigkeit, Veränderungen und Ereignisse in der Unternehmensumwelt wahrzunehmen, um flexibel auf neue Bedarfe und Chancen zu reagieren sowie unter veränderten Umständen zügig angemessen agieren zu können. Je dynamischer und unsicherer das Umfeld, desto wichtiger ist es, agil zu sein. Ein Unternehmen gefährdet unter Umständen seine Existenz, wenn es sich zu sehr an Vorgaben, Regeln und Verfahrensanweisungen klammert und dabei übersieht, dass sich das Außen verändert. Denn das führt meistens dazu, dass es zu langsam reagiert oder zu starr ist, um Schritt halten zu können.

Agilität bedeutet daher in erster Linie wandlungsfähig zu sein und sich anpassen zu können. Dazu braucht ein Unternehmen flexible Strukturen und interdisziplinär zusammengesetzte Teams, in denen ganz unterschiedliches Know-how zusammenwirken kann. Diese Teams sollten in der Lage sein, weitestgehend selbstorganisiert und mit viel Eigenverantwortung zu arbeiten. Will ein Unternehmen seine Agilität ausbauen, sind also immer strukturelle und prozessuale Anpassungen, in der Regel auch grundlegende kulturelle und rechtliche Veränderungen erforderlich.

Mit dem bloßen Abbau von Hierarchien ist noch nicht viel gewonnen. Es ist wichtig, die Mitarbeitenden bei solch entscheidenden Veränderungen frühzeitig einzubeziehen. Der unternehmerische Wandel wird, wenn er nachhaltig wirken soll, tiefgreifend und umfassend ausfallen. Daher empfiehlt es sich, auch externe Dienstleister zur Unterstützung bei Kommunikationsprozessen hinzuzuziehen. Denn eine weitgehende Umgestaltung der Zusammenarbeit kann zum Beispiel durch traditionelle Rollenerwartungen bei den Mitarbeitenden und Führungskräften erschwert werden. Eventuell vorhandene Widerstände können Dritte, die nicht in das Unternehmen eingebunden sind, einfacher ansprechen, auflösen und konstruktiv für den Gesamtprozess nutzen (siehe Kapitel 4).

Um Agilität im Unternehmen zu fördern und zu etablieren, sind Mitarbeitende und Führungskräfte gefragt, die sich mit dieser Form der Zusammenarbeit identifizieren und sie bewusst im Arbeitsalltag leben wollen. Sie arbeiten gern interdisziplinär, eigenverantwortlich und in engem Austausch mit Kolleginnen. Eine streng autoritäre, kontrollierende, dominante Führung würde ihre Arbeit eher behindern. Außerdem sind sie motiviert, arbeiten selbstbestimmt, gestalten gern mit, sind neugierig auf neue Lernerfahrungen, schätzen die kreativen Gestaltungsfreiräume, denken konstruktiv kritisch, mitunter quer und gleichzeitig unternehmerisch.

Für die Führungskräfte gilt darüber hinaus die Herausforderung: loslassen und vertrauen. Das fällt besonders denjenigen schwer, die ein hierarchisch geprägtes, auf disziplinarischer Macht und formalisierten Prozessen beruhendes Verständnis von Führung haben. Führungskräfte in agilen Unternehmen tun gut daran, ihren Mitarbeitenden und ihren Teams den notwendigen Freiraum zu geben, damit diese kreativ Lösungsansätze erarbeiten können. Sie verstehen sich als „Ermutigende“ mit dem Ziel, das jede Einzelne Verantwortung übernimmt und initiativ wird – auch wenn damit der ein oder andere Fehler einhergeht. Dieses „Empowerment“ der Mitarbeitenden das Übertragen von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen ist eines der zentralen Elemente agiler Organisationen. Deshalb sind Führungskräfte Schlüsselfiguren auf dem Weg hin zu mehr Agilität im Unternehmen. Sie haben entscheidenden Einfluss darauf, ob die Möglichkeiten und Chancen flexibler Strukturen tatsächlich zum Wohl des Unternehmens genutzt werden.

Demografische Faktoren

Die Zusammensetzung der Mitwirkenden ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der Unternehmen stark prägt. Wie Mitarbeitende ihre Rolle in der Arbeitswelt sehen, hat auch damit zu tun, in welchem Alter sie sind. In vielen Unternehmen sind zum einen Mitarbeitende einer Generation vertreten, für die soziale Vernetzung und digitale Medien als Informationsquelle längst selbstverständlich sind. Ebenso finden sich Angehörige einer Generation, die bis heute Wertvorstellungen der Industrialisierung verkörpert und die unter einem starken Wettbewerbsdruck am Arbeitsplatz sozialisiert wurde. Das heißt, es kommen unterschiedliche Vorstellungen und Ansprüche von Mitarbeitenden an die Arbeit und an Führung zusammen.

Die folgende kurze Beschreibung der Generationen hilft, Verständnis füreinander zu schaffen und die Vorzüge der jeweiligen Altersklasse konstruktiv zu nutzen. Es gilt dabei jedoch auch, die Mitarbeitenden als Individuen wahrzunehmen und nicht aufgrund ihrer Generationszugehörigkeit zu stigmatisieren.

Die Mitarbeitenden aus der Generation Wirtschaftswunder (geboren circa 1945 bis 1955) sind geprägt von der Nachkriegszeit, viele von ihnen kennen harte, körperliche Arbeit. Ihre Devise ist: „Leben, um zu arbeiten.“ Sie gelten als idealistisch, loyal und zeigen sich eher skeptisch gegenüber Autoritäten. Ihnen sagt man nach, dass sie eine Anerkennung ihrer Lebensleistung wünschen. Viele von ihnen haben erwachsene Kinder und zu pflegende Angehörige. Dass ihre körperlichen Fähigkeiten altersbedingt nachlassen, kompensieren sie durch Routine.

Der berufliche Erfolg der Generation Babyboomer (1955 bis 1965) beruht darauf, dass sie sich und ihr Lebenskonzept häufig den Arbeitsanforderungen untergeordnet haben. Sie sind geprägt durch die ersten großen weltweiten Krisen und das Erleben von Arbeitslosigkeit. Ihre Devise lautet ebenfalls: „Leben, um zu arbeiten.“ Ihnen wird ein Wettbewerbsinteresse um Positionen zugeordnet. Angehörige dieser Generation gelten als ehrgeizig, emanzipiert, durchsetzungsfähig, politisch aktiv und umweltbewusst. Ihr Antrieb ist Erfolg, im Mittelpunkt steht die Leistung. Kritik anzunehmen scheint für sie eher schwierig. Das Privatleben wird oft hinter den Beruf zurückgestellt. Viele von ihnen sind aktuell Eltern erwachsener Kinder und pflegen Angehörige.

Die Angehörigen der Generation X (circa 1965 bis Ende der 1970 Jahre) sind unter dem Eindruck von Wohlstand aufgewachsen. Sie erlebten die Wiedervereinigung, finden Privatfernsehen selbstverständlich und kennen den Wettbewerb um Stellen. Für sie zählen Individualismus und materielle Güter. Ihre Devise heißt: „Arbeiten, um zu leben.“ Sie gelten als handlungsorientiert und zielstrebig und erwarten diese Eigenschaften auch von ihrer Führung. Heute sind sie in der mittleren Lebensphase, häufig im Beruf etabliert und interessiert an materiellen Anreizen. Als Belohnung streben diese in der Industrieökonomie sozialisierten Mitarbeitenden Machtbefugnisse und Privilegien an. Sie haben in der Regel spät eine Familie gegründet und gelten als nicht so traditionell.

Im Vergleich dazu gelten die Mitarbeitenden aus der Generation Y (circa 1980 bis 1990) als diejenigen, die mit Technik groß geworden sind. Sie haben viel Lob und Aufmerksamkeit aus ihrer Umwelt erfahren. Man sagt ihnen Selbstbewusstsein nach. Ihre Devise: „Leben beim Arbeiten.“ Bei aller Lernbereitschaft und Flexibilität steht bei ihnen die Lebensbalance zwischen Arbeit und Freizeit im Vordergrund. Hierarchien gegenüber sind sie eher skeptisch. Sie sind auf der Suche, hinterfragen Traditionelles, wollen mitreden und mitgestalten. Von Führung erwarten sie eine coachende Haltung, Freiräume für eigenverantwortliches Handeln und konstruktives Feedback statt kritischer Kontrolle. Manchmal werden sie als „Digital Natives“ bezeichnet, da sie in das digitale Zeitalter hineingeboren wurden und sich sicher darin bewegen. Sie gelten zudem als unabhängiger im Vergleich zu den Angehörigen der übrigen Generationen. Durch den Fachkräftemangel haben diese Mitarbeitenden weniger Anpassungsdruck. Sie wünschen sich sinnhafte Arbeitsaufträge sowie Teilhabe und Partizipation. Sind diese Bedingungen nicht gegeben, kann es sein, dass sie das Unternehmen verlassen.

Das Belohnungskonzept dieser Netzwerk-Generation ist die aktive Mitwirkung an interessanten Projekten, die Kommunikation auf Augenhöhe und die Wertschätzung der Gemeinschaft. Dem auf Fleiß und Gehorsam basierenden Arbeitsethos der älteren Mitarbeitenden stehen viele von ihnen ablehnend gegenüber. Der sogenannten Generation Y wird zugeschrieben, dass für sie Glück mehr als Geld zählt, die Suche nach Sinn und Freude bei der Arbeit wichtiger seien als Status. Sie brauchen keine Präsenzzeiten und ein räumlich definiertes Arbeitsumfeld, um produktiv sein zu können. Für sie hat das konkrete Ergebnis Bedeutung, es geht nicht darum, wie viele Stunden sie gearbeitet haben. Die Definition von Arbeit als etwas, das Sinn stiftet, scheint ihnen wichtig, eine klare Trennung von Berufs- und Privatleben hingegen nicht. Sie können überall arbeiten und erleben die Arbeit dadurch als produktiver, effektiver und effizienter.

Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, sich die unterschiedlichen Prägungen der Generationen bewusst zu machen, sie zu kommunizieren und eine Wertschätzung der Unterschiede zu befördern. Ein gemeinsamer Leitbildprozess oder eine bewusste Teamkonstellation, die aus einzelnen Mitarbeitenden der jeweiligen Generationen besteht, kann überraschende Synergien und ein größeres Verständnis füreinander sowie für unterschiedliche Kundenbedürfnisse erzeugen.

1.1.2 Wohlfühlen als Wettbewerbsfaktor

Die Ansprüche und Wünsche an Arbeit ändern sich. Arbeit ist heute für viele Menschen nicht mehr nur eine Notwendigkeit, um die materielle Existenz zu sichern, sondern ein wichtiger identitätsstiftender Faktor. Angesichts der beschriebenen Unsicherheit, Komplexität und Widersprüchlichkeit im Alltag rücken Werte wie Freude, Glück und Vertrauen wieder stärker ins Blickfeld. Sie werden als Voraussetzung gesehen, um Belastungen etwas Positives entgegenzusetzen.

Dieser Trend wird nicht nur im Privatleben spürbar, sondern auch in der Arbeitswelt. Besonders für Mitarbeitende aus der Generation X ist das Wohlfühlen am Arbeitsplatz ein wichtiger Aspekt. Sie folgen einer anderen Maxime als „höher, schneller, weiter“ und fragen sich, was Arbeitgeber in Bezug auf die genannten Werte zu bieten haben. Eine gute Antwort auf diese Frage zu finden wird für Unternehmen künftig immer wichtiger, wenn sie gute Fachkräfte gewinnen möchten. Damit die Arbeitgeber in der Öffentlichkeit als attraktiv gelten, tun sie gut daran, sich etwas einfallen zu lassen, um auf die Erwartungen der zukünftigen Arbeitnehmenden entsprechend einzugehen.

Die junge Generation gibt als oberste Erwartung an ihren Beruf den Wunsch nach Sicherheit an. Weitere wichtige Aspekte sind für sie der Nutzen und die Erfüllung sowie die Planbarkeit und Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Der Faktor Karriere wird als zweitrangig angesehen. Die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns steht eindeutig im Vordergrund. Das Gefühl, etwas zu leisten, die Möglichkeit, sich um andere zu kümmern und etwas zu tun, was sinnvoll erscheint. Jugendliche wünschen sich die Vereinbarkeit von Arbeit, Freizeit und Familie. Dabei geht es vor allem um planbare und verbindliche Gestaltungsmöglichkeiten und weniger um „ent-grenzte Welten“. Die Arbeit soll sicher sein und ein lebenswertes Leben ermöglichen, aber auch als eine selbstbestimmte, individuell und gesellschaftlich sinnvolle Tätigkeit erlebbar sein. Mehr als zuvor kann die Jugend von 2015 als eine „Generation im Aufbruch“ bezeichnet werden.2

Was bedeutet Wohlfühlen?

Ist ein Mensch mit sich und seiner Umwelt im Reinen, fühlt er oder sie sich wohl. Biologisches Pendant dazu: Das Belohnungszentrum im Gehirn ist aktiv. In diesem Zustand sind wir gesünder, leistungsfähiger und kreativer. Sicherheit und Vertrauen sind Säulen des Wohlfühlens. Entscheidend, so der Hirnforscher Gerald Hüther, ist auch „die Frage, ob eine Tätigkeit im Menschen das Gefühl erweckt, für etwas da zu sein oder für jemanden“, ob das Handeln also einen Sinn erfüllt. „Wohlbefinden ist […] kein Selbstzweck für das Gehirn. Wohlbefinden ist vielmehr ein tief verankertes biologisches Phänomen, das innere Prozesse unterstützt, die aus biologischer Perspektive dem langfristigen Überleben des Organismus dienen.“3 Wohlbefinden befördert Zufriedenheit und Gesundheit und bildet damit die Grundlage dafür, dass sich Mitarbeitende gut mit ihrer Arbeit identifizieren können und zum Erfolg des Unternehmens beitragen.

Wohlfühlen durch Wertschätzung

Die Werte eines Unternehmens bilden die Basis des unternehmerischen Handelns. Wird die Umsetzung der Werte von den Menschen im Unternehmen als glaubwürdig erlebt, sind die Begegnungen miteinander echt, kann sich Vertrauen entwickeln. Ist zudem der Umgang sowohl intern untereinander als auch extern mit Kunden und Kooperationspartnerinnen wertschätzend und redlich, sind entscheidende Bedingungen dafür geschaffen, dass sich die Menschen wohlfühlen.

„Wertschätzung bringt dazu auch wirtschaftlichen Erfolg.“ Das ist die These einer Studie von Rochus Mummert Execute Consultants.4 Diese Studie untersuchte, nach welchen Kriterien eine Wertschätzungskultur bemessen werden kann. Ausdrücklich benannt wurden dabei die folgenden: Eingehen auf Bedürfnisse, zeitnahes Feedback, Pünktlichkeit, Interesse an der eigenen Befindlichkeit sowie eine glaubwürdige Umsetzung des Leitbilds.

Wer sich wohlfühlt, kann eher sein kreatives Potenzial entfalten – was einem Unternehmen letztlich auch wirtschaftlich zugutekommt. Das Ergebnis der Studie zeigte: In wertschätzenden Unternehmen gibt es im Vergleich zu anderen sowohl einen höheren Prozentsatz von Mitarbeitenden die ihren Arbeitgeber an Dritte weiterempfehlen, als auch eine deutliche Steigerung der Rendite zu verzeichnen (siehe Studie, Seite 43). Um eine solche Unternehmenskultur zu etablieren, braucht es Führungskräfte als Normstifter und Vorbilder.

Ein Obstkorb reicht nicht

Wohlfühlen entsteht nicht zwangsläufig, wenn es für alle Mitarbeitende täglich frische Früchte gibt oder gemeinsam gesund gekocht wird, die Kinderbetreuung im Unternehmen funktioniert oder eine Feel Good Managerin eingestellt wird. Solche und ähnliche Maßnahmen können ein Ausdruck von Wertschätzung für die Mitarbeitenden sein, doch noch wichtiger ist es, dass eine echte und wertschätzende Haltung im Unternehmensleitbild fest verankert ist und im Arbeitsalltag spürbar gelebt und umgesetzt wird. Dies kann zum Beispiel durch ein respektvolles Miteinander– auch bei Konflikten und in Krisen – durch Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung an Projekten oder durch eine selbstverständliche Zuwendung und Unterstützung im Team geschehen.

Wenn von Wohlfühlen die Rede ist, geht es nicht um Idealismus und Harmonie. Die Maßnahmen und Aktivitäten sollen sich aus betrieblicher Sicht gleichzeitig auch auszahlen. In der Regel führen sie zu guter Leistung, mehr Zufriedenheit, einer geringen Fluktuation, gesunden Mitarbeitenden und einem niedrigen Krankenstand. Das ist völlig legitim, schließlich geht es ja um den Arbeitsplatz und das Erreichen der Unternehmensziele. „Jeder Fehltag kostet ein Unternehmen im Schnitt 252 Euro.“5 Bei Mitarbeitenden ohne emotionale Bindung zu ihren Unternehmen ließen sich fünf Fehltage mehr feststellen als bei stark gebundenen Arbeitnehmern. Aus dem Mehr an Fehlzeiten entstehen für ein Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitenden Kosten in Höhe von rund 1,3 Millionen Euro.7 Diese Ausgaben können Unternehmen einsparen, wenn sie eine Kultur der Wertschätzung leben. Mitarbeitende reagieren hingegen misstrauisch, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass alle Maßnahmen, die angeblich das Wohlgefühl fördern, nur auf mehr Leistung abzielen.

Angemerkt sei, dass laut einer Studie des Centers for Leadership and People Management der Ludwig-Maximilians-Universität München eine Unternehmenskultur, die auf Werten basiert, mittel- und langfristig sogar zu mehr Gewinn führt.6 Das Engagement in Meetings erhöht sich und die Fluktuation bei den Mitarbeitenden sinkt. Die Studie zeigt weiter: Eine werteorientierte Kultur verringert auch die Krankheitstage. Darüber hinaus verbessert sie das Unternehmensimage bei den Kunden, da die Mitarbeitenden das eigene Unternehmen positiver vertreten.

Auch Mitarbeitende der Generation 50 plus fordern vermehrt Unterstützung und Wertschätzung für ihre bisher geleisteten Dienste und wünschen sich spezielle Arbeitsbedingungen, die ihren Bedarfen gerecht werden. Ein an Lebensphasen orientiertes Personalmanagement könnte eine gute Lösung sein. Es gibt noch weitere Optionen, um Mitarbeitende langfristig anzusprechen, zu gewinnen und auch zu halten. Ein Beispiel für eine werteorientierte Maßnahme für die Generation 50 plus ist die jährliche Reise von Mitarbeitenden und Führungskräften eines Unternehmens, die circa zehn Jahre vor ihrem Ruhestand stehen. Anlass und Ziel des Angebots sind zum einen der Dank für die geleistete Arbeit in der Vergangenheit. Zum anderen soll die Gelegenheit geschaffen werden, entfernt vom beruflichen Alltag einen Blick in die Zukunft, also auf die letzten zehn Jahre der Berufstätigkeit, zu werfen. Auf welche Erfahrungen und Ressourcen lässt sich zurückgreifen, welche Ziele, Wünsche und Projekte gilt es noch anzugehen? Wie lässt sich das eigene Wissen auch für das Unternehmen nachhaltig sichern? Wie soll der Abschied aus der aktiven Berufstätigkeit gestaltet werden? Die Themen Resilienzstärkung und Netzwerkorientierung spielen eine große Rolle. Formate wie „Geh-Spräche“ mit Lernpartnern oder körperliche Übungen zur Selbstwahrnehmung und Selbststärkung können hilfreich sein. Es geht nicht um Onboarding, sondern um die langfristige Vorbereitung eines stimmigen und würdevollen Abschieds im Sinne eines Offboardings.

Eine andere Maßnahme könnte das Projekt Bürogestaltung sein. Menschen mit verschiedenen Hintergründen, beispielsweise was Alter oder Kultur angeht, haben unterschiedliche Vorstellungen und Vorlieben in Bezug auf die Ausgestaltung ihrer Arbeitsräume. Hier kann die Zusammenarbeit mit Architekturpsychologen eine gute Investition sein. In einem dialogischen Prozess werden die unterschiedlichen Wünsche, Bedarfe und Bedürfnisse erhoben und beharrlich verhandelt, bis ein Konsens vorliegt. Dies bringt nicht nur Räume hervor, in denen sich gut arbeiten lässt, sondern trägt auch erheblich zur Teamfindung und wertschätzenden Teamkultur bei. Im Idealfall sind die im Unternehmensleitbild formulierten Werte auch im Raumkonzept umgesetzt.

Zur Geschichte des Feel Good Managements

Seit einigen Jahren wird dem Thema „Wohlfühlen am Arbeitsplatz“ immer mehr Bedeutung zugemessen. Auch „Feel Good Management“ ist ein neuer Begriff in diesem Zusammenhang. Feel Good, das weckt angenehme Assoziationen. Und dann noch am Arbeitsplatz. Endlich. Nach all den Hiobsbotschaften über immer mehr Burnouts und psychische Erkrankungen.

Begonnen hatte es so: Die ersten Feel Good Managerinnen in Deutschland waren in Start-ups tätig. Gerade diese Unternehmer wollten der Anonymität entgegenwirken und das Gemeinschaftserleben stärken, da schnelles Wachstum häufig einen Verlust von Überschaubarkeit und Exklusivität mit sich bringt. Ihr Ziel bestand darin, dass sich die Mitarbeitenden unterstützt fühlen, flexibel arbeiten können und sich wohlfühlen. Einer Legende nach wurde die erste Feel Good Managerin bei Google tätig. Der Begriff sei entstanden, als die Ehefrau einer Führungskraft die Mitarbeitenden mit Broten und Getränken versorgte, während diese an einem Wochenende in einer Garage eine Extraschicht einlegten.