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Herbert Rütters

Xanthia Anthares

Die Löwin von Assur

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© 2017 Herbert Rütters

Umschlaggestaltung, Illustration: Michael Marx

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
Paperback:978-3-7439-1590-9
Hardcover:978-3-7439-1591-6
e-Book:978-3-7439-1592-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Das Buch:

Der Irak, kurz vor Ausbruch des ersten Golfkrieges.

Während einer archäologischen Grabung stößt die Wissenschaftlerin Silva Andress eher zufällig auf die vollständig erhaltene Autobiographie einer assyrischen Landesfürstin und versinkt bei deren Lektüre in die faszinierende Lebenswelt der Antike ...

Mesopotamien, lange vor Christi Geburt.

Dort lebt die blutjunge Xanthia in einer abgelegenen dörflichen Gemeinschaft und träumt von der großen Liebe und der weiten Welt – ohne von beiden bisher das Geringste zu kennen.

Völlig unerwartet gerät Xanthia über Nacht in die Hände von Menschenhändlern und wird weit aus ihrer Heimat verschleppt. In einer gänzlich unbekannten Welt gelingt es dem willensstarken Mädchen bald allen Demütigungen zum Trotz nicht nur die ihre Freiheit wieder zu gewinnen. Mit Geschick und viel Glück gelangt sie sogar an die Schalthebel der Macht und findet nach vielen, wilden Abenteuern endlich auch ihr persönliches Glück, womit sie den Grundstein zu einer mächtigen Dynastie legt.

„Die Löwin von Assur“, das erste Buch aus der Romanreihe „Xanthia Anthares“, ist als belletristisches Werk zu verstehen, das sich an verschiedenen geschichtlichen Epochen des Zweistromlandes orientiert, ohne den Anspruch zu erheben, diese historisch genau wieder zu geben.

So wurden zum Beispiel die überlieferten assyrischen Eigennamen teilweise adaptiert, da die antiken Originale für den heutigen Sprachgebrauch einfach zu lang und nahezu unaussprechlich wären.

Dennoch sind viele technische wie gesellschaftliche Details der Handlung sorgfältig recherchiert und können so einige Einblicke in das unsichere Leben der Menschen dieser schon so lange vergangenen Zeit vermitteln.

Der Autor:

Herbert Rütters, geboren 1959 in Mülheim an der Ruhr, studierte ev. Theologie und Naturheilkunde in Duisburg, Wuppertal und Bochum. Seit 1986 lebt er im bewussten Gegensatz zu seiner urbanen Herkunft im Hunsrück, wo er eine chirotherapeutische Praxis betreibt.

Für Maria, meiner Liebe und Inspiration 

Prolog

Bis zum heutigen Tage bin ich der festen Überzeugung, dass ich meine flammende Begeisterung für die frühe Geschichte der Menschheit von meiner fabelhaften Großmutter Sam, eigentlich Samantha, in die Gene gelegt bekommen habe.

Schon als kleines Mädchen hing ich fasziniert an ihren Lippen wenn sie mir zur Nacht Geschichten über Kleopatra, Nofretete und Hatschepsut zum Besten gab, so lebendig als ob diese großen Königinnen der Vergangenheit gleich hinter der Türe meines Kinderzimmers auf mich warteten. Damit war die Saat gelegt und die Konsequenzen blieben unausweichlich: Nachdem ich mich eher widerwillig aber erfolgreich durch die unabwendbare Schulzeit gekämpft hatte schrieb ich mich pünktlich zu meinem neunzehnten Geburtstag zum Studium der Geschichte und Archäologie an der Uni München ein.

Schon bald konnte ich meiner inzwischen betagten doch noch immer höchst interessierten Oma von den neuesten archäologischen Forschungsergebnissen aus aller Welt berichten - was uns beiden stets sehr viel Freude bereitete.

Irgendwann folgten meine abschließenden Prüfungen und danach ein langweiliges, aber immerhin gut bezahltes Jahr als Kuratorin in einem Münchner Museum - bis ich in einer Fachzeitschrift die Stellenausschreibung eines Professor Gebaurs las.

Der renommierte Archäologe suchte nach einer Forschungsassistentin für ein Grabungsprojekt in der irakischen Wüste, woraufhin ich die Vorzimmerdame des Professors mit meiner Bewerbungsmappe unterm Arm einfach nieder rannte.

Das Wunder geschah, einen Monat später saß ich in einem Billigflieger gen Bagdad - für mehr reichte das knappe Budget des Projektes leider nicht.

Nach einer nicht enden wollender Kontrolle meiner einwandfreien Papiere durch zwei nach Bier und Schweiß stinkenden irakischen Grenzbeamte durfte ich endlich das Arrival-Terminal betreten, wo mich wie verabredet ein einheimischer Mitarbeiter des Professors erwartete. Das Englisch des freundlichen, jungen Mannes war durchaus passabel - die mehrstündige Autofahrt zur Ausgrabungsstelle versprach unterhaltsam zu verlaufen.

Der Anblick des altersschwachen Geländewagens, in dessen von Rost zerfressenen Kofferraum Faruk mein Gepäck verfrachtete, weckte nicht gerade mein Vertrauen in die technische Ausstattung der Grabung, doch der Motor sprang bereits nach dem dritten Anlassen mit einer schwarzbraunen Abgaswolke an.

„Good car, just a little special”, meinte mein Fahrer und setzte das Vehikel mit knirschendem Getriebe in Bewegung. Der Verkehr auf der breiten Ausfallstraße vom Flughafen ins Landesinnere war ein Erlebnis für sich: Die wichtigste Verkehrsregel bestand offenbar darin sich an keine weiteren Regeln zu halten. Immerhin, die Hupe des alten Rovers funktionierte einwandfrei, so kamen wir gut voran bis Faruk plötzlich auf eine Nebenstrecke ins Nirgendwo abbog.

Diese Piste bestand in erster Linie aus Bodenwellen und gemeinen Schlaglöchern, unter der sengenden Wüstensonne holperten wir nun durch eine öde Mondlandschaft aus Sand und grauen Felsen.

An eine weitere Unterhaltung war unter diesen Umständen natürlich nicht mehr zu denken, aber bis dahin hatte ich von Faruk schon einiges über den aktuellen Stand der Ausgrabung erfahren:

Inzwischen gab es eindeutige Beweise dafür, dass die aus vorrömischer Zeit stammende Festungsanlage, wahrscheinlich sumerischen Ursprunges, deutlich größer und ausgedehnter war als zu Anfang der Arbeiten angenommen. Die eigentliche, bisher unveröffentlichte Sensation aber war der Fund mehrerer Steintafeln. Auf denen sollten sich angeblich lateinische Schriftzeichen befinden - eigentlich eine archäologische Unmöglichkeit.

Meine Arbeit versprach äußerst interessant zu werden - während ich mir aller Fahrkünste Faruks zum Trotz sämtliche Knochen anschlug sah ich mich bereits als strahlende Entdeckerin der unglaublichsten Artefakte, gar schon in der Nachfolge eines der wirklich Großen wie Schliemann oder Carter.

Der Empfang im Camp, das mit seinen zwei Wohncontainern und einem Dutzend Zelten einen eher tristen Eindruck vermittelte, war ausgesprochen herzlich. Professor Gebaur, ein äußerst kultivierter Herr Ende Fünfzig nahm sich alle Zeit um mich persönlich in die örtlichen Verhältnisse einzuweisen. Zuletzt präsentierte er mir am Ende unserer kleinen Exkursion in einem der Container die wichtigsten Funde, darunter die bewussten Steintafeln.

„Niemals hätte ich erwartet altlateinisches Schriftmaterial in diesen Grabungsschichten, die ganz sicher in die vorrömische Epoche zu datieren sind, zu entdecken“, der Professor war sich seiner Sache offenbar selbst nicht sicher. „Aber wenn die C-14-Methode meine Vermutungen bestätigt, dann gab es einen kulturellen Austausch zwischen dem latininschen Raum und dieser Gegend lange bevor Rom zur Großmacht wurde oder an Cäsar auch nur gedacht wurde.“

Ich inspizierte die aus feinstem, weißem Marmor gehauenen Tafeln genauer und war begeistert. Gebaur war auf Teile eines in Stein geschlagenen Gesetzestextes gestoßen, die Sprache war ein mir leidlich bekannter semitisch - sumerischer Dialekt aus der Epoche der mesopotamischen Stadtstaaten. Bei der verwendeten Schrift hingegen handelte es sich in der Tat um archaische lateinische Buchstaben - dort, wo man eigentlich die bekannte Keilschrift der Sumerer hätte erwarten müssen.

„Die Tafeln wurden unweit des Haupttores an der äußeren Festungsmauer gefunden“, fuhr Gebaur fort. „Was darauf schließen lässt, dass ein Herrscher oder Richter das geschriebene Recht jedermann zugänglich machen wollte. Das erklärt aber nicht die offene Diskrepanz zwischen Sprache und Schrift. Dieses Phänomen bleibt mir vorerst ein einziges Rätsel.“

„Herr Professor, was, wenn unsere Labormäuse in München diese Tafeln wirklich in die persisch - vorrömische Zeit datieren sollten? Mein Gott, die gesamte babylonische Geschichte müsste neu geschrieben werden!“, erst langsam wurde mir die Tragweite dieser Funde bewusst.

„Ganz recht, Fräulein Andress. Hier stoßen Dinge aufeinander, die rein epochal nicht zusammen gehören. Entweder sind an diesem Ort Zeugnisse gänzlich verschiedener Zeiten zufällig vermengt worden, oder … Aber soweit will ich gar nicht denken.“

Bis zu diesem Punkt war meine Reise in den Irak nur eine willkommene Abwechslung von meinem eintönigen Kuratoriumsjob gewesen, vielleicht sogar eine Möglichkeit über die Grabung zu promovieren. Doch jetzt war ich Feuer und Flamme, bereit die bedauernswerte Welt der Archäologie völlig auf den Kopf zu stellen.

„Ich gebe Ihnen hier einige Unterlagen zur Hand, es wäre schön wenn sie diese nach dem Abendessen noch durcharbeiten könnten“, sagte Gebaur und reichte mir eine nicht gerade dünne Mappe. „Dann können sie morgen früh gleich richtig loslegen. Sie werden allerdings so ziemlich auf sich selbst gestellt sein. Ich muss morgen nach Bagdad abreisen - das Genehmigungsverfahren zur Verlängerung unserer Arbeit steht leider an. Ich fürchte unser Konto wird dabei ordentlich zur Ader gelassen, Saddam bezahlt seine Beamten nämlich nicht sonderlich gut. Da bedarf es regelmäßiger Schmierung der entscheidenden Rädchen, Sie verstehen?“

Das war ja sensationell! Kaum angekommen würde ich Dank der landestypischen Korruption so gut wie selbstständig arbeiten können, mehr konnte ich wirklich nicht erwarten.

„Unser zweiter Grabungsleiter, Dr. Bracegirdle aus London, ist bereits seit gestern im Ministerium und fühlt beim zuständigen Staatssekretär vor. Ich hatte ihn vorhin, kurz vor Ihrer Ankunft, am Satellitentelefon. Er glaubt es läuft ganz gut für uns. Ach so, das Telefon steht Ihnen natürlich auch zur Verfügung, allerdings nur nach Absprache mit unserem irakischen Wachhund, Leutnant al - Saadi.“

„Wie - Wachhund? Ich verstehe nicht ganz.“

„Die irakische Abwehr vermutet hinter jedem Wüstenbusch einen CIA-Agenten. Aber unser Leutnant ist ganz in Ordnung und schaut uns nur pro forma auf die Finger. Er spricht gutes Deutsch und ich glaube, mittlerweile interessiert ihn unsere Arbeit sogar. Sie werden ihn nachher beim Abendessen kennenlernen.“

Was kümmerte mich schon dieser militärische Aufpasser? Ich hatte nur noch die Grabung im Kopf und stürzte mich umgehend voller Elan auf die bisherigen Grabungsberichte, die sich spannender lasen als jeder Krimi.

Meine anfangs negative Einstellung zu Leutnant al - Saadi änderte sich schlagartig sobald ich den hochgewachsenen jungen Offizier am Abend zum ersten mal sah. Mit seinen blauen Augen und dem kurzgeschnittenen schwarzen Haar bot er einen bemerkenswerten Anblick und seine gelegentlichen Bemerkungen während des gemeinsamen Essens zeugten von einer gewissen Sachkenntnis. Trotz seiner zurückhaltenden Art strahlte al - Saadi mehr Charme und Persönlichkeit aus als mir an diesem Abend bewusst wurde. Meine Gedanken kreisten in diesen Stunden nur noch um unser Projekt.

Später, allein in meinem Zelt, rechnete ich nicht damit bald Schlaf zu finden. Jedoch, das alte Feldbett konnte quietschen wie es wollte, die Augen fielen mir nach dem langen Tag fast auf der Stelle zu.

Am nächsten Morgen musste ich mich nach dem Aufwachen erst einmal kurz orientieren. Nein, ich befand mich eindeutig nicht in meiner aufgeräumten Münchner Apartmentwohnung sondern stand mitten in der Wüste am Anfang eines großen beruflichen Abenteuers - ich konnte gar nicht schnell genug aus dem Bett heraus. Im Camp war es noch vollkommen still, ich war wohl die erste, die aufgestanden war. Sofort warf ich mich wüsten tauglich in Schale und trat in das rosafarbene Licht der aufgehenden Sonne hinaus, deren erste Strahlen warm auf meine Haut trafen.

Wirklich war weit und breit noch niemand zu sehen, so ging ich mutterseelenallein den sanften Hang hinauf, auf dessen Höhe der ausgedehnte Festungskomplex lag. Über ein Jahr lang hatte der Professor mit einem Team von zeitweise bis zu fünfzig Mitarbeitern gegraben, daher war die oberflächliche Freilegung der Mauern so gut wie abgeschlossen und damit die Strukturen der alten Gebäude klar erkenntlich. Die eigentliche Feinarbeit konnte nunmehr beginnen. Zur Zeit mühten sich allerdings nur noch zehn irakische Studenten für ein paar Dollar am Tag mit Kellen, Pinseln und Sieben ab. Ihre Aufgaben zu koordinieren, etwaige Funde zu fotografieren sowie sie in den Grabungskatalog einzupflegen, dies waren in den nächsten Wochen meine Aufgaben - ich konnte es kaum erwarten.

Nach einem Rundblick setzte ich mich auf einen der zahlreichen Steinblöcke und genoss die eigentümliche Atmosphäre dieses Ortes, die mir, warum auch immer, seltsam vertraut vorkam.

„Guten Morgen, Fräulein Andress“, ich fuhr erschrocken aus meinen Gedanken auf. „Es ist zwar nicht unbedingt gefährlich hier, aber die Wüste birgt für einen einzelnen Menschen immer gewisse Risiken. Sie bleiben also in Zukunft besser in Begleitung.“

Ich hatte Leutnant al - Saadi trotz seiner schweren Stiefel nicht kommen gehört.

„Am besten wohl in Ihrer Begleitung, was?“, fuhr ich ihn ärgerlich an.

„Stets gerne zu Ihrer Verfügung“, der Leutnant ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Aber es ist Zeit fürs` Frühstück. Außerdem möchte Professor Gebaur sich verabschieden.“

„Gut, dann gehen wir eben frühstücken - und danach möchte ich gerne an meine Arbeit. Ob in Ihrer Gesellschaft oder nicht, Herr Leutnant.“

Nach dem Essen stellte mich Gebaur dem gesamten Team nochmals vor und erläuterte meine Kompetenzen, damit war ich für die Zeit seiner Abwesenheit quasi Chefin vor Ort - kein schlechter Anfang für eine kleine Assistentin.

Die Abfahrt des Professors verzögerte sich um eine geschlagene halbe Stunde, erst dann gelang es Faruk den Rover zum Laufen zu bringen. Die klapprige, alte Kiste hatte bis dahin das ganze Camp in dichten, schwarzen Nebel eingehüllt.

„Ein ganzer Liter Diesel nur fürs` Starten“, meinte al - Saadi lachend. „Aber wenigstens haben wir jetzt erst mal keine Stechmücken mehr.“

Den halben Vormittag lang wanderte ich mit dem Grundriss der Festung in der Hand durch das verzweigte Gewirr von Mauern und Bogengängen, bis ich mir einbildete mich halbwegs auszukennen. Mit jedem Meter wuchs meine Achtung vor den Menschen, die diesen gewaltigen Gebäudekomplex vor Urzeiten geplant und realisiert hatten. Wir alle waren überzeugt, dass uns die noch unter Sand und Steinen verborgenen Gebrauchsgegenstände, Waffen und was sonst noch zum Vorschein kommen mochte etwas über das tägliche Leben, die Kultur und vielleicht sogar über die Vorlieben und Sorgen der Bewohner dieser Wehranlage erzählten konnten.

Die Studenten arbeiteten unter Sonnensegeln, immer wieder wurde ich über Betriebsfunk angerufen wenn eine Keramikscherbe oder ein verbogenes Kettenglied ans Tageslicht kam. Die Metallfunde, ob aus Eisen, Kupfer oder Bronze waren zwar nur klein, dafür aber äußerst zahlreich. Wirtschaftliche Not konnte hier nicht geherrscht haben, dessen war ich mir bald sicher.

Je weiter wir uns vorarbeiteten, desto häufiger stießen wir auch auf größere Stücke: Da waren die Zugdeichsel eines Lastkarrens, zwei allerdings zerborstene Fässer und zu unser aller Freude eine kleine, völlig unversehrte Glasflasche, deren Bauch in ein feines Goldgeflecht eingefasst war. Der eingeschliffene Verschluss saß fest im Flaschenhals - was mochte dieses Gefäß einst enthalten haben? Vom Inhalt war nur ein kristalliner Niederschlag erhalten geblieben, das war eindeutig ein Fall für unser Labor. Das Fläschchen wurde penibel verpackt und war für einige Tage der Star unserer Sammlung bis ich zu einem der Nebengebäude gerufen wurde.

Ein Student aus Basra besaß irgendwie die richtige Nase für das erfolgbringende Plätzchen, er war es, der auch schon auf die Fässer gestoßen war. Heute bescherte er mir stolz ein Holzgestell mit sechs Schwertern darin - keine Prunkwaffen, sondern mächtige Klingen für den harten Gebrauch. Der junge Mann hätte ja eigentlich vor Freude über seinen Fund nur so sprühen müssen, er wirkte jedoch ein wenig verstört.

„The material, Miss Professor, the material is really wrong”, aufgeregt tippte er auf eine der breiten Klingen, die bereits nach den wenigen Minuten seit ihrer Freilegung einen Hauch von Flugrost zeigte.

„Stahl, das ist doch eine Stahllegierung …“, mir blieb die Stimme weg. Erst Latein in Mesopotamien und jetzt Stahl aus einer Zeit in der es so etwas noch gar nicht eben durfte! Gebaur würde Augen machen und die wissenschaftliche Fachwelt mit ihm.

„Miss Professor, look here! It`s amazing, Latin letters once again”, wieder deutete der Student auf das Schwert. Es war erstaunlich, S, X, A, diese Buchstabenfolge war in jede der sechs Klingen eingeschlagen, die nach ihrer Länge und Gewicht für wahre Riesen geschmiedet sein mussten.

Bei aller Freude die mir dieser Fund bereitete - langsam beschlich mich das Gefühl an meine fachlichen Grenzen zu stoßen.

Fotografieren, luftdicht verpacken, auf Gebaur warten, sagte ich mir in Gedanken vor. Noch ein, zwei solcher Funde unter meiner Regie und mein Name wäre mehr als eine unbedeutende Fußnote im abschließenden Forschungsbericht. Mein Jagdinstinkt war endgültig geweckt, in jeder freien Minute grub ich nun selbst in allerlei Winkeln herum. Nur wollte mir nicht viel glücken, außer einigen unscheinbaren Tonscherben kam unter meinem Gekratze nichts hervor. Ich war schon soweit mein Werkzeug wieder zusammenzupacken, da blitzte es mir aus dem staubigen Sand hell entgegen. Eine kleine Goldmünze lag da vor mir, in beide Seiten war ein stilisierter Skorpion eingeprägt.

Diese Stätte begann mir ernsthaft Kopfzerbrechen zu machen - pekuniäre Währung war nach allem was ich wusste den alten Sumerern noch völlig unbekannt. Aber, ich konnte es drehen wie ich wollte und den Zollstock zum dritten mal ansetzen - es blieb dabei. Der Grabungstiefe zufolge musste die Skorpionmünze aus dieser Zeit stammen. Obwohl ich noch eine Weile weitersuchte blieb es für mich bei diesem einen Fund, der mich jedoch mehr als zufriedenstellte. Zurück im Camp betrachtete ich mir noch einmal die inzwischen gereinigten Objekte, es war bemerkenswert in welch gutem Zustand sie sich befanden. Der nahezu keimfreie Wüstensand hatte sich als perfekter Konservator erwiesen, was die Aussicht auf weitere Funde solcher Qualität erheblich steigerte.

In den nächsten beiden Tagen bot uns die alte Festung noch so manche Überraschung, mehrfach brach der Sandboden unerwartet ein und gab so kleinere Hohlräume frei, die sich als wahre Fundgruben erwiesen. Ich kam mit meiner Dokumentation kaum nach. In den Containern stapelten sich Keramik, eiserne Werkzeuge und ein vollständiges Kochgeschirr aus reinem Kupfer, welches durchaus noch gebrauchsfähig gewesen wäre.

In diesen Tagen beunruhigten mich zunehmend die Rotorengeräusche von großen Helikoptern und das infernalische Geheul tieffliegender Militärjets, ohne dass ich die Maschinen selbst je zu sehen bekam.

„Unser verehrter Präsident und seine republikanischen Garden lassen mal wieder die Muskeln spielen“, meinte Leutnant al - Saadi mit feiner Ironie. „Damit die Zionisten in Tel Aviv und die Imperialisten in Washington nicht vergessen wer über den größten Militärapparat am Golf verfügt.“

Obwohl er die Uniform der irakischen Armee trug war al - Saadi kein linientreuer Anhänger Saddam Husseins, soviel hatte er mir zwischen den Zeilen längst zu verstehen gegeben. Dennoch bereitete mir das militärische Säbelrasseln in unserer Umgebung einige Sorge.

Die Katastrophe brach völlig überraschend mitten in der Nacht über uns herein, der Lärm schwerer Dieselmotoren riss mich unsanft aus dem Schlaf. Mitten im Camp standen ein Jeep und ein Lkw mit abgedunkelten Scheinwerfern, beides eindeutig Armeefahrzeuge. Unsere schlaftrunkenen Grabungshelfer wurden soeben von einigen Soldaten aus ihren Zelten grob auf den Lkw getrieben während sich mein Leutnant in lebhaftem Gespräch mit einem anderen Offizier befand. Die kurze Unterhaltung endete mit einem beiderseitigen Gruß, danach stieg der fremde Uniformierte zu seinem Fahrer und der kleine Konvoi verließ unser Lager wie ein nächtlicher Spuk.

„Leutnant al - Saadi, wollen Sie mir freundlichst erklären was hier vor sich geht!“, ich war wütend, angespannt und verängstigt zugleich. „Haben wir plötzlich Krieg oder was soll ...“

„Ich fürchte genauso ist es“, al - Saadi kam langsam auf mein Zelt zu. „Der Wahnsinnige und sein Clan haben unsere Armee in Kuwait einmarschieren lassen. Das Emirat wird jetzt als Provinz des Iraks bezeichnet, wenigsten in unseren staatlichen Medien. Bush wird sich das niemals gefallen lassen, wenn Saddam den Schwanz nicht ganz schnell wieder einzieht werden die USA mit allem was sie haben über mein Land kommen.“

Das war also das Ende aller meiner Hoffnungen und Träume! Ein durchgeknallter Despot stand im Begriff unsere gesamte Arbeit seiner Großmannssucht zu opfern, mir standen die Tränen in den Augen.

„Und unsere Studenten?“, würgte ich hervor.

„Unterliegen alle der Reservedienstpflicht“, antwortete al - Saadi mit deutlichem Bedauern. „Von hier aus bringt man sie direkt in die Kaserne und später in Stellung.“

Wütend trat er einen Stein in die Dunkelheit hinaus, derweil ich mir klar machte, dass ich nun mit diesem Mann allein in der Wüste saß - mehr als einhundert Kilometer vom nächsten Ort entfernt.

„Was wird aus uns, werden wir auch abgeholt?“, wollte ich wissen, doch der Leutnant hob nur die Schultern.

„Der Offizier hatte von Ihrer Anwesenheit gar keine Ahnung. Nur gut, dass Sie sich nicht gezeigt haben. Ich soll hier bis auf weiteren Befehl die Stellung halten, mehr weiß ich auch nicht.“

Das war unsere Lage vor Beginn des ersten Golfkrieges, bescheiden genug. Nach drei langen und entnervenden Tagen des Wartens stand fest - man hatte uns vergessen! Das Land rüstete sich für den großen Krieg, die Mutter aller Schlachten stand bevor, so plärrte es aus meinem Radio - bei diesen Propagandasendungen klopfte sich der Herr Leutnant nur gegen die Stirn.

Eine lange Woche verging ohne dass sich ein Mensch für uns interessierte - selbst Gebaur musste irgendwo in Bagdad festhängen. Daher beschlossen wir das Zeltlager zu verlassen. Baruk, wir waren inzwischen bei unseren Vornamen, befürchtete, dass irgendein texanischer Cowboy am Steuer seines Jets unser Camp mit einer irakischen Stellung verwechseln könnte. Auch die Sonnensegel bauten wir ab, Baruk traute seinen eigenen Landsleuten eben so wenig wie den Amerikanern.

Tagelang schleppten wir den gottlob reichlich vorhandenen Proviant zur Festung, nur das Wasser war knapp. Länger als zwei Wochen würde der Vorrat für uns beide nicht reichen.

Wir richteten uns in zwei sehr großen, vollständig freigelegten Gewölbebögen ein, diese Räume waren Teil des obersten Stockwerkes des Hauptgebäudes der Festung. Wie viele Geschosse darunter lagen war bisher noch unbekannt.

So besaß jeder von uns sozusagen sein eigenes Appartement, die beiden Räume waren durch eine schwere Tür verbunden, die nach ausgiebigem Ölen sogar wieder gängig wurde. Bei dieser Arbeit waren ein paar Tropfen Schmierfett danebengegangen, die ich mit einem Lappen vom Türdrücker entfernen wollte. Beim Wischen löste sich ein Teil der jahrtausendealten Staubkruste, sofort putzte ich an anderen Stellen weiter - das Ergebnis überall dasselbe: Pures Gold!

„Hier hat also nicht die Küchenmagd gewohnt“, sagte Baruk ehrfürchtig. „Aber wie kann es sein, dass dieses viele Gold nicht längst von Räubern fortgeschafft wurde?“

Ich konnte seine Frage nicht sicher beantworten, aber offensichtlich war die Festung niemals geplündert worden - kein Eroberer hätte solche Werte einfach zurückgelassen.

Trotz unserer seltsamen Situation inmitten eines potentiellen Kriegsgebietes und dennoch weitab von allem Geschehen erwachte unsere Neugier von neuem. Doch zuerst einmal holten wir alles von Nutzen und die wertvollsten Funde aus dem Camp, das nun einsam und verlassen unterhalb der Festung lag.

Tagsüber bewegten wir uns vorsichtig auf dem Grabungsfeld ohne je einen Menschen zu Gesicht zu bekommen, die Nächte verbrachten wir bis zum Schlafengehen gemeinsam in unserem antiken Gewölbehotel. Durch die Einstiegsöffnung in der Decke konnten wir den grandiosen Sternenhimmel über der Wüste sehen und Langeweile kam bei unseren intensiven, immer persönlicher geführten Gesprächen nicht auf.

Bald erfuhr ich den Grund für Baruks hervorragendes Deutsch: Er hatte mehrere Semester in Deutschland Architektur studiert und leistete seinen Wehrdienst dank guter Beziehungen seiner Familie als „offizieller Berater“ der Grabung ab. Sonst stand er, wie ich selber, allein im Leben - wohl auch ein Grund dafür, dass wir uns schnell näherkamen.

Wieder und wieder streiften wir gemeinsam durch die alten Gemäuer und staunten eins ums andere mal über eine kreisrunde Maueranlage innerhalb der Burg, deren Bedeutung schon Gebaur nicht verstanden hatte. Die Größe der Anlage mochte der einer Arena oder eines Amphitheaters entsprechen, doch Ränge für Zuschauer fehlten völlig, auch gab es im Inneren des Rondells keinerlei Gebäude. Allerdings war der Boden dieses Platzes noch nicht vollständig vom Sand befreit.

Eines Morgens war Baruk schon vor mir unterwegs, gerade als ich aus unserem Versteck kletterte kehrte er zurück, seine Uniform war triefend nass. Eine solche Wasserverschwendung konnten wir uns nicht leisten und war bestimmt nicht Baruks Art, daher war ich mehr als erstaunt.

„Wasser, Silva! Ich habe Wasser gefunden - frisches Wasser und zwar jede Menge davon!“

„Wasser? Aber wo denn, wo soll es hier Frischwasser geben?“

„Unter dem runden Platz. Da gibt es direkt am Rand - ach, komm besser gleich mit und schau dir das selber an.“

Nachdem wir an einer Strickleiter die hohe Ringmauer herabgeklettert waren führte mich Baruk quer über den Platz bis wir uns wieder dem steinernen Ring näherten. Dort hatte er per Zufall eine flache Senke im losen Bodengrund entdeckt. Hier war wie an so vielen Stellen der Sand nachgerutscht und machte den Blick auf eine gemauerte Öffnung frei.

Von dort unten klang deutlich das Rauschen von Wasser zu uns herauf. Im Licht der Taschenlampen zeigte sich mir ein nicht allzu großer Raum, der in ganzer Länge von einem sauber eingemauerten Wasserlauf durchzogen wurde.

„Eine gefasste Quelle, und dazu noch völlig intakt - nach so langer Zeit, nicht zu glauben!“, rief ich überrascht und erschrak postwendend über das laute Echo aus dem kleinen Raum. Am liebsten hätte ich dieses Quellhaus sofort auf den Kopf gestellt, nur Baruk dachte pragmatischer und bestand darauf zuerst alle leeren Wasserkanister gründlich zu spülen und aufzufüllen.

Wir hatten den letzten Behälter eben mit Hilfe eines Flaschenzuges über die Mauerkrone gezogen als uns ein heißer Hauch aus der Wüste traf. Bevor ich fragen konnte gab mir Baruk bereits Antwort.

„Ein Wüstensturm! Beeile dich, so etwas kommt blitzschnell. Wir müssen uns sofort einigeln!“

Weil ich den schweren Kanister nicht schleppen musste kam ich vor Baruk an unserem Gewölbe an und legte einige Planken über den Einstieg, Baruk warf den Kanister einfach durch die Öffnung, schnell zurrten wir noch eine Plane über dem Loch fest. Bei den letzten Handgriffen trieb uns der stark aufkommende Wind bereits den Sand in die Augen, ich war froh über die Aluminiumleiter in die Geborgenheit unseres Versteckes zu entkommen. Über der dicken Steindecke pfiff es nun gewaltig, immerzu trieb der Sturm dichte Sandschleier zu uns herunter.

Schließlich wurde es Baruk zu bunt, er öffnete schnell „Die goldene Pforte“, wie wir die Verbindungstüre zwischen unseren Zimmern nannten und zog mich in den nächsten Raum. Wir verzichteten auf offenes Licht und opferten lieber ein paar Batterien für die Beleuchtung. Luft zum Atmen bot uns das große Zimmer mehr als genug, aber die Gaslampen verbrauchten schließlich auch eine Menge Sauerstoff.

Zwei Stunden lang beschäftigte ich mich mit den hier eingelagerten Artefakten, in dieser Zeit konnte Baruk seine Finger natürlich nicht von den Schwertern lassen. Zum Glück trug er dabei feine Baumwollhandschuhe.

„Auch wenn ich kein ausgebildeter Forscher bin“, sagte er nach einer Weile. „Einerseits sind diese Waffen Einheitsware, andererseits aber von höchster Qualität und ganz bestimmt nicht für das gemeine Fußvolk bestimmt gewesen.“

Er bog eine der Klingen derart, dass ich fürchtete sie müsste zerbrechen, doch das Metall hielt der enormen Beanspruchung stand.

„Billiger Chinastahl aus heutiger Produktion wäre mir jetzt um die Ohren geflogen“, urteilte Baruk und legte die Waffe zurück. „Und da ist noch die Prägung auf den Klingen.

Diese Punzen erinnern mich sehr an die Beschußstempel moderner Waffen.“

„Und - dein Fazit?“

„Spezialbewaffnung für eine Eliteeinheit, deren Dienstherr nicht jeden Morgen nervös seinen Kontostand prüfen musste. Alles so wie heute auch, nur eben Schwert statt Sturmgewehr.“

In diesen Worten lag bestimmt viel Wahres, hier musste ein mächtiges und vor allem sehr reiches Geschlecht über lange Zeit geherrscht haben. Aber wo waren dessen Spuren in der Geschichte geblieben?

Ich konnte nicht länger sitzen bleiben und lief unstet an der nächsten Querwand auf und ab, dabei rief ich all mein Wissen über die sumerischen Stadtstaaten ab, die einst diese Region beherrscht hatten. Jedoch, Theorie und Praxis kamen hier einfach nicht überein, unsere Festung zum Beispiel war größtenteils aus natürlichem Bruchstein errichtet, die alten Sumerer hingegen bauten meist mit gebrannten Ziegeln, das lernte man im ersten Semester.

„Kannst du mir sagen wie lange die Vorstellung da draußen noch dauern wird?“, fragte ich Baruk und schlug frustriert mit der Faust gegen die Wand, woraufhin sich ein kleines Stück des Putzes löste und staubend zu Boden fiel.

„Das ist vorsätzliche Beschädigung von kulturhistorischem Besitz des irakischen Volkes“, entrüstete sich Baruk im Scherz. „Ein schwerer Straftatbestand, der streng geahndet …“

Mit lautem Prasseln brach plötzlich der gesamte restliche Verputz herab, jetzt war die Staubentwicklung so enorm, dass wir die Hand vor Augen nicht mehr sahen. Die Wolke legte sich aber schnell wieder, hustend standen wir ungläubig vor dem was mein spontaner Faustschlag freigelegt hatte.

„Noch eine Türe, wie es scheint“, sagte Baruk und verglich die Maße des schwarzen Rechteckes in der Wand mit unserer „Goldenen Pforte“.

„Identisch, bis auf den Zentimeter genau“, fand er in kurzer Zeit heraus. „Aber warum unter dieser dünnen Mörtelschicht versteckt? Und - was ist das für ein schwarzer Überzug?“

Ich löste eine Kleinigkeit von dem Zeug mit meinem Taschenmesser ab - was leicht gelang, da die dunkle Masse der Klinge keinen großen Widerstand bot.

„Das war einmal Bitumen oder Teer. Baruk, diese Tür ist vor Urzeiten versiegelt worden, danach hat man die Öffnung sorgfältig getarnt.“

„Dieser Aufwand wäre ja eines Pharaos würdig. Glaubst du hinter dieser Türe warten ein paar Mumien auf uns?“

„Ein Grab im obersten Stockwerk? Wohl kaum. Doch ohne guten Grund hat man sich diese Mühe bestimmt nicht gemacht.“

Ich bemerkte Baruks wachsende Erregung und wäre selbst am liebsten auf der Stelle in den verborgenen Raum gestürmt. Doch wir mussten professionell vorgehen, außerdem waren noch lebenswichtige Sicherheitsregeln zu beachten. Wir brachten weitere Lampen, Seile, meine Kamera und zwei Atemmasken von nebenan herbei - wir wollten keinesfalls in irgendwelche Löcher fallen oder an einer heimtückischen Lungenpilzinfektion erkranken.

Zuerst jedoch musste die dicke Bitumenschicht entfernt werden, so spröde wie das Material war fiel es uns nicht schwer es in großen Stücken abzuziehen.

Wie sich schnell herausstellte war diese Türe noch viel aufwendiger und kostbarer als die erste gestaltet, selbst das Blatt bestand aus mit feinen Ornamenten versehenem Goldblech. Ich schoss rasch einige Fotos, dann war Baruk wieder mit dem Kriechöl an der Reihe.

„Wir lassen es besser einige Minuten einwirken“, sagte er und bot mir eine Zigarette und Feuer an. Wir rauchten schweigend, beide noch immer von der Pracht dieses Portals überwältigt. Erst nach den letzten Zügen fiel Baruk auf, dass der Türe die Klinke fehlte - natürlich, sie hätte aus dem Blendputz verräterisch herausgeragt. Uns stand bestes Werkzeug zur Verfügung, Baruk brauchte nur zehn Minuten um den Drücker der ersten Tür abzubauen und in das Schloss des Prachtportals einzusetzen. Er sprühte noch einmal Öl, danach war es soweit.

„Öffne du, es ist deine Grabung“, damit trat Baruk einen Schritt zurück und schaltete den Stativstrahler ein. Ich brauchte nur meine Hand auf den breiten Drücker zu legen, schon gab das Schloss ohne Widerstand nach. Die Türe hingegen wollte meinem Zug nicht folgen, erst als Baruk ein Brecheisen in den Spalt setzte und ein wenig hebelte gab es einen lauten Knacks und die Flügel schwangen langsam auf.

Das weiße Licht des starken Halogenstrahlers drang in die tiefe Dunkelheit und entriss den Jahrtausenden nie erahnte Schätze.

Ich weiß nicht mehr wie lange Baruk und ich ergriffen wie Kinder vor dem Weihnachtsbaum dastanden, erst als er mich bei der Hand fasste brachte mich die körperliche Berührung in die Realität zurück.

„Das ist das Größte seit Tut`s Grab, weiß Gott. Aber das hier ist kein Grab, es ist, es ist …“

„Einfach wunderschön“, half Baruk mir weiter. „Und von hier aus sieht es wirklich so aus als sei dieser Raum noch bewohnt. Wollen wir es wagen, gehen wir hinein?“

Seite an Seite überschritten wir die Schwelle und tauchten in eine Welt aus Tausend und einer Nacht ein, schöner und prachtvoller als dass ein Hollywoodfilm sie je hätte nachstellen können. Ein wahrhaft königliches Gemach ohne gleichen - anders konnte man diesen kleinen Palast nicht beschreiben.

Die zierlichen Tische und Sitzmöbel waren aus Rosen- und Zedernholz, reich mit Schnitzereien verziert, sogar die dicken Polster aus roter und grüner Seide waren gut erhalten. Aus jedem Winkel blinkte Gold und Silber, ob es die Einlegearbeiten in den edlen Hölzern oder die vielen Öllämpchen waren. Vasen, Skulpturen und Regale, alles war aus den erlesensten Materialien gemacht, die sich bis heute in diesem Umfang nur die Superreichen leisten konnten.

Es kostete uns unmenschliche Anstrengung all diese Kostbarkeiten direkt vor Augen zu haben und trotzdem nichts davon anzufassen, mit Ausnahme der Objekte aus Stein jedenfalls. Je mehr ich sah und fotografierte, desto mehr wuchs in mir das unbestimmte Gefühl mich im privatesten Bereich eines lebendigen Menschen zu bewegen, der mich in der nächsten Sekunde fragen würde was ich hier zu suchen hatte.

Baruk stand vor einem Schreibtisch, den man eher im Weißen Haus oder auch im Kreml erwartet hätte. Auf der Ebenholzplatte lagen fein säuberlich geordnet verschiedene Schreibgeräte wie Federn mit Goldspitzen und Griffel aus weißem Alabaster, auch ein Tintendöschen, selbstverständlich in Gold, fehlte nicht.

„Sieh nur, dieser Stempel“, Baruk zeigte mit vorschriftsmäßig behandschuhtem Finger auf einen Adlerkopf in Miniaturformat, der in einer passenden Vertiefung der Tischplatte steckte. „Ich stelle mir gerade vor wie der Herr des Hauses hier an diesem Schreibtisch seine Verfügungen niedergeschrieben hat - oder seine persönlichen Briefe vielleicht“, Baruks Phantasie war für alle Möglichkeiten offen.

„Oh nein, mein Lieber, hier hat kein Herrscher gewohnt. In diesem Raum lebte eindeutig eine Frau. Zum einen sehe ich das am Arrangement des Mobiliars und sicher bin ich mir seit ich da hinten ein perfektes Schminktischchen entdeckt habe - inklusive eines runden Glasspiegels. So etwas besaß nicht einmal Nofretete.“

„Und was sagt dir das hier?“, eigenmächtig nahm Baruk den kleinen Adlerkopf vom Schreibtisch und hielt mir die Prägefläche des Siegels entgegen. Auch in Spiegelschrift kam dabei nicht anderes heraus als die Buchstabenfolge „S, X, A“, darunter ein sich bäumender Hengst und ein Falke.

„Die gleiche Prägung wie auf den Schwertern“, sagte Baruk leise. „Das ist kein Zufall.“

„Wofür mag diese Abkürzung nur stehen?“, rätselte ich. „Aber bestimmt finden wir noch mehr. Die Dame, die einst hier lebte, hat ganz sicher noch andere Hinweise auf ihre Identität hinterlassen.“

Als nächstes musste ich einfach zu dem Schminktisch, einem Schmuckstück aus Wurzelholz mit Arabesken und heller Rauchglasplatte. Darauf fand sich alles wovon Frau nur träumen konnte: Geschliffenen Kristallflakons, mit Perlen und bunten Edelsteinen besetzte Puderdosen, von Hand bemalte, kleine Tiegel aus hauchfeiner Keramik, Nerzhaarpinsel in allen Variationen und elfenbeinerne Pinzetten warteten scheinbar nur darauf sogleich benutzt zu werden.

Ich konnte nicht anders und beging eine wissenschaftliche Todsünde - ich rückte den aufwendig gepolsterten Stuhl zurück und nahm im Zeitlupentempo darauf Platz. Gewiss war der Stuhl wie alle anderen Sitzmöbel hier eine Maßanfertigung - und siehe, er war wie für mich gemacht. Die Dame des Hauses musste in etwa meine Statur und Größe gehabt haben.

Ich blickte in mein durch die Atemmaske verunstaltetes Gesicht, der Spiegel gab jedes Detail ohne Verzerrung wieder. Wer hatte sich wohl vor tausenden Jahren darin betrachtet? Jetzt zeigte sich neben dem meinen Baruks Konterfei, zu meinem Schrecken ohne Maske.

„Keine Sorge, Silva. Während du dich hier von steinalten Kosmetikartikeln betören lässt habe ich drei Schnelltests durchgeführt. Keine Spur von Pilzsporen, du kannst deine Maske bedenkenlos abnehmen. Übrigens glaube ich jetzt zu wissen weshalb sich hier alles in solch gutem Zustand befindet, sieh mal.“

Er zeigte mir vier flache Feuerbecken auf einfachen, eisernen Füßen, in denen Asche und halb verbrannte Holzreste lagen.

„Diese Becken passen in nichts zu der restlichen Einrichtung“, meinte Baruk und hatte Recht damit. „Sie haben niemals zur ursprünglichen Ausstattung gehört. Ich denke mir das so: Kurz bevor dieser Raum endgültig verschlossen wurde hat man die Feuer in den Becken entzündet, weit genug weg von den Möbeln natürlich und danach die Türe luftdicht versiegelt. Das Feuer verzehrte dann einen Großteil des Sauerstoffs und die Hitze hat den Keimen in der Luft auch nicht gut getan.“

„Einfach genial. Genial und einfach!“

„Was denn nun - meine Rückschlüsse oder die Konservierungstechnik der Alten?“, amüsierte sich Baruk.

„Beides natürlich, aber eines ist jetzt sehr wichtig. Wir haben wieder Sauerstoff hereingelassen - ab sofort wird der Verfall, besonders an den Stoffe einsetzen, wenn wir nicht schnell etwas dagegen tun. Aber was?“

„Was einmal funktioniert hat wird auch heute seine Wirkung nicht verfehlen. Ich fülle die Becken wieder mit Holz und für die Türfugen haben wir Montageschaum. Du musst dir aber schon einmal überlegen welche der vielen Schätze wir heute schon mitnehmen wollen. Wir können diese Prozedur nicht jeden Tag wiederholen.“

Baruk war klug und ein Mann der Tat dazu, nicht nur deshalb war ich froh ihn bei mir zu wissen.

„Silva, ein Objekt möchte ich dir besonders ans Herz legen. Es passt nämlich genau sowenig hier hinein wie die Feuerbecken.“

Baruk deutete auf eine Bronzetruhe, achtzig auf achtzig Zentimeter und fast einen Meter in der Höhe. Der schmucklose Kasten stand einfach mitten im Raum, warum nur war mir die Truhe bisher nicht aufgefallen?

Während Baruk Brennholz holte trug ich kiloweise Gold in Gestalt von Leuchtern, Vasen und sonstigem Kunsthandwerk aus dem Prunkzimmer, als letztes schleppten wir die Truhe heraus. Obwohl Baruk dabei die Hauptarbeit leistete brach es mir fast das Kreuz, so schwer war diese unscheinbare Kiste.

Derweil Baruk die Feuer entzündete und wie besprochen das Portal erneut versiegelte rückte ich der Truhe zu Leibe. Keine Gravur, kein Ornament war auf diesem Stück angebracht, ich fand neben einer Schlüsselöffnung nur zwei bleierne Siegel. Eines zeigte Hengst und Falken, das andere Buchstaben, aber andere als auf dem Siegelstempel und den Schwertern.

„Das Tieremblem steht für eine Dynastie, ein herrschendes Geschlecht, natürlich - und die Buchstaben sind die Initialen der Machthaber einer jeden Generation!“ Ich sprach zwar mit mir selbst, aber Baruk antwortete trotzdem.

„So sieht es aus - und wenn wir diese Truhe erst geöffnet haben wissen wir mehr. Ich möchte fast wetten, dass sie den Schlüssel für alle Geheimnisse der Festung enthält.“

„Und was macht dich da so sicher?“

„Der Raum nebenan quillt vor kostbaren Dingen nur so über. Welchen Sinn macht es da weitere Schätze gut zu verpacken und mitten hinein zu stellen? Nein, ich bleibe dabei, die Truhe birgt ideelle Werte. Etwas, das den Menschen dereinst ungeheuer wichtig gewesen sein muss, sonst hätte man solchen Aufwand nicht betrieben.“

Da es hoch über unseren Köpfen noch immer furchtbar stürmte nahmen wir uns die Zeit für eine rasche Mahlzeit, dann untersuchte Baruk das Schloss der Truhe.

Zu unserer Ausrüstung gehörte eine Tasche mit Spezialwerkzeug, doch je länger sich Baruk mit dem Mechanismus beschäftigte, desto länger zog sich auch sein Gesicht.

„Der Teufel selbst hat diesen Murks ersonnen!“, schimpfte er nach einer Stunde los und schielte begehrlich nach einem groben Vorschlaghammer - nebst Bagger, Kreuzhacke und Spaten einer der natürlichen Feinde eines jeden modernen Archäologen.

„Du wirst doch wohl nicht“, mahnte ich und kämpfte plötzlich gegen ein übermächtiges Schlafbedürfnis an, das einfach nicht abzuschütteln war.

„Silva, leg dich doch ein Stündchen hin. Deine Entdeckungen und ich laufen dir nicht weg“, dankbar ließ ich mich auf einen Schlafsack drücken, Baruks gepflegte Hände waren sanft und fürsorglich.

Ich träumte von Kleopatra und von einer unbekannten Herrscherin, deren Gestalt mir nur in Schemen vor Augen kam. Erst sah ich sie als kleines, mageres Mädchen, später war sie eine jugendliche Schönheit, deren Haltung Verzweiflung wie Entschlossenheit gleichsam zeigte.

So gerne wollte ich weiter träumen, aber Baruk hatte mich an den Schultern gepackt und rüttelte mich energisch wach.

„Silva, ich habe es endlich geschafft! Ich musste mir erst einen Dietrich zusammen biegen, aber jetzt ist die verflixte Kiste offen - auch ohne Hammer.“

Ich rieb mir Sand und Staub aus den Augen, meine Uhr verriet mir, dass ich fast drei Stunden am Stück geschlafen hatte. Die Truhe stand äußerlich unverändert da, doch Baruk hob den gewölbten Deckel einen Zentimeter an um ihn dann ganz vorsichtig zurückgleiten zu lassen.

„Weiter habe ich sie noch nicht geöffnet, das überlasse ich lieber der Expertin - obwohl, es hat mich ganz schön in den Fingern gejuckt einen Blick hineinzuwerfen.“

Ich war hellwach als wir den Strahler in Stellung brachten, dann zogen wir wieder unsere dünnen Handschuhe über.

„So, der große Moment ist gekommen“, sagte Baruk entschlossen. „Hoffentlich sitzen wir keinem antiken Streich auf und stehen gleich mit dummen Gesichtern vor einem hübschen Feldstein oder einer Gewürzsammlung.“

Anders als die Portale quietschten die Scharniere der Truhe gottserbärmlich, Baruk hatte klugerweise kein Öl benutzt um den unbekannten Inhalt nicht zu gefährden. Das widerliche Geräusch drang durch Mark und Bein bis der schwere Deckel schließlich in seiner Öffnungraste einhakte. Wir blickten auf ein glattgestrichenes, grünes Seidentuch, auf das Hengst und Falke gestickt waren.

„Schon wieder dieses Wappen, jetzt wird es spannend. Baruk, sei so gut und halte das Silikon bereit. Falls wir sofort wieder verschließen müssen sollte alles zur Hand sein.“

Ich zählte bis drei und zog das Tuch beiseite. Beide rissen wir die Hände vor Augen, so stark wurden wir von dem gleißenden Licht geblendet, das uns urplötzlich entgegenschlug. Baruk reagierte augenblicklich, er schaltete nämlich einfach den Strahler ab.

„Das ist blankes, hochreines Gold!“, entfuhr es ihm. „Spiegelblank poliert, daher haben wir uns also derart abschleppen müssen.“

„Der Goldblock ist beschriftet. Sieh nur, es sind auch wieder lateinische Buchstaben.“

„Das sehe ich, Silva. Aber, was für eine Sprache ist es? Ich meine, ist die Inschrift übersetzbar?“

Erst nach Minuten merkte ich, dass ich halblaut Silben formte, Buchstabe für Buchstabe öffnete sich mir der Text.

„Baruk, ich habe meine Diplome nicht auf der Kirmes gewonnen! Und ja, diese Inschrift ist übersetzbar, sogar von mir.“

Ich berührte die Oberfläche des Blockes, da verschoben sich die Zeilen um ein weniges, so als habe sich die ganze Truhe bewegt. Noch einmal stieß ich vorsichtig gegen das Gold und wieder verrutschte das Schriftbild um einige Millimeter.

„Das ist gar kein solider Klotz!“, mit Fingerspitzen griff ich an den sauberen Rand der Zeilen und hielt ein goldenes Blatt in der Hand, so dünn gewalzt wie Schreibpapier. Darunter lag ein Stück feiner Rohseide von identischen Maßen, dann kam wieder ein eng beschriebenes Goldblatt und immer so weiter.

„Das müssen hunderte Folien sein, ein dickes Buch auf Gold geprägt“, sagte Baruk ungläubig.

„Und damit für alle Ewigkeit verfasst - dies ist mit allem was jemals gefunden wurde nicht vergleichbar. Einfach unfassbar, wie so vieles hier.“

„Nun sag schon - welche Sprache ist es?“

„Eindeutig spätes Sumerisch - und das habe ich dem Himmel sei Dank zwei Semester lang gebüffelt.“

Ich setzte mich, das erste Blatt in zittrigen Fingern zu Boden und ließ mir eine Zigarette geben. Baruk nahm neben mir Platz und zog einen Flachmann aus der Beintasche seiner Uniformhose, der alte Scotch kam mir jetzt gerade recht.

„Silva, lass mich nicht dumm sterben. Was steht da geschrieben? So übersetze doch bitte!“

Ich nahm noch einen Drink aus der Flasche, jetzt fühlte ich mich bereit und begann, zuerst langsam und stockend, dann zunehmend flüssiger mit meiner Übersetzung - nicht ahnend, dass damit nicht nur mein Leben völlig aus den Fugen geraten sollte.

1. Kapitel: Der Untergang

Das Sommergewitter war nur kurz, aber äußerst laut und heftig gewesen, als habe sich der Zorn aller Götter Assurs einzig und allein über unserem kleinen Dorf entladen. Jetzt strahlte die Sonne wieder heiß vom wolkenlosen Himmel herab, feuchter Dunst stieg von den Strohdächern der Häuser und Stallungen auf. Jenseits des hölzernen Palisadenzauns hatte einer der zahlreichen Blitze eine mächtige Pinie gespalten, doch im Dorf selbst hatte es anscheinend keine nennenswerten Schäden gegeben.

Gemeinsam mit den Nachbarn trat ich auf die noch schlammige Straße heraus und entdeckte gleich darauf meine beste Freundin Siri, die mir freudig zuwinkte. Wir alle waren voll freudiger Erwartung und hatten es nach dem starken Regen furchtbar eilig zum Dorfplatz zu gelangen, denn jede Minute mussten unsere Krieger mit reicher Beute von ihrem Zug um Gold und Sklaven zurückkehren. So zumindest hatte es am Morgen ein Reiter vermeldet, den mein Vater seiner Kriegsschar vorausgesandt hatte.

Eine ansehnliche Kriegsbeute konnte unser armes Dorf nun wirklich dringend brauchen, vor allem kräftige Sklaven für die harte Feldarbeit fehlten meinem Stamm schon seit langer Zeit. Selbst meinem Vater, einem der Dorfältesten und dem Führer unserer Krieger, meiner jüngeren Schwester Rovanna und mir ging nur die alte Sklavin Alla im Haushalt und in den Ställen zur Hand, so dass manch unwürdige Arbeit an uns Schwestern hängenblieb. Jetzt schon im sechzehnten Sommer, die eindeutigen Blicke der jungen Burschen im Rücken standen mir die Sinne nach Vergnüglicherem als Wasser zu schleppen und die Dielen zu scheuern.