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»Und du glaubst, er ist der Richtige für diesen Job?«, will ich von Carter wissen, während ich eine Haarsträhne um meinen Finger wickle. Das tue ich oft, wenn ich unsicher bin, und heute bin ich es. Carter ist unser Familienanwalt und ein gerissener Fuchs. Obwohl er die Siebzig bereits überschritten hat, arbeitet er immer noch für uns. Er steht an einen der Aktencontainer gelehnt und schaut auf mich herunter, während wir in dem winzigen Büro des FBI-Beamten ausharren, umgeben von modrigen Vorgängen, und auf meinen Personenschutz warten.

»Er ist der Beste«, sagt er.

Ich zucke nur mit den Schultern und stelle meine Louis- Vuitton-Tasche neben mir auf den Boden.

»Das kann ich für ihn nur hoffen.«

Abrupt stößt sich Carter vom Aktenschrank ab und kommt einen Schritt auf mich zu.

»Angel, er ist ein ehemaliger Navy Seal. Einer der härtesten Typen auf diesem Erdball. Die Jungs durchlaufen eine Ausbildung, da würde jeder Normalsterbliche bereits nach dem ersten Tag das Handtuch werfen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie hart das Training ist. Er ist für jede denkbare Gefahrensituation ausgebildet und reagiert schnell, emotionslos und kontrolliert.«

»Was macht dich so sicher? Du kennst ihn doch gar nicht«, stelle ich seine Aussage infrage.

»Das brauche ich auch nicht. Wenn Simon mir verspricht, dass er dir den besten Mann zur Verfügung stellt, dann reicht mir das. Wenn er dich nicht beschützen kann, dann kann es keiner.«

»Na, hoffentlich hast du recht. Obwohl ich immer noch glaube, dass ihr euch alle völlig unnötige Sorgen macht. Ich habe mit der Sache doch überhaupt nichts zu tun. Vermutlich übertreibt ihr alle nur.« Ich schlage die Beine übereinander und wippe mit dem Fuß.

»Ich wäre erleichtert, wenn dein Bauchgefühl zutreffen würde. Aber das glaube ich nicht. Meine Intuition hat mich noch nie getäuscht. Darum habe ich auch darauf bestanden, dass man dir den bestmöglichen Schutz zur Verfügung stellt. Das FBI ist dem Syndikat ganz nah auf den Fersen. Du wirst sehen, es wird nicht lange dauern und der Spuk ist vorbei«, redet er eindringlich auf mich ein. »Aber bis dahin solltest du vorsichtig sein und tun, was dieser Ross von dir verlangt.«

»Ross? Ist das sein Name? Hört sich an wie ein Pferd.« Ich muss ungewollt lachen und vergesse fast meine gute Erziehung.

»Ja, Ash Ross«, ergänzt er.

»Ash Ross«, lasse ich mir den Namen auf der Zunge zergehen, nicht, ohne mich schon wieder über ihn lustig zu machen. »Er wird sich meinem Tagesplan anpassen müssen. Auf keinen Fall umgekehrt.«

Mein Anwalt atmet tief ein. »Angel, übertreib es bitte nicht. Du hast gesehen, was passiert ist. Ich will nicht, dass noch ein Mensch getötet wird, bevor diese Sache über die Bühne gegangen ist. Es hat mich schon genug Nerven gekostet, deinen Vater davon zu überzeugen, sich nicht mehr ohne seine Bodyguards aus dem Haus zu bewegen. Vielleicht hättest du die nächsten Wochen doch auf seiner Ranch verbringen sollen, bis die ganze Sache erledigt ist, anstatt hier in Boston zu bleiben.«

Ich rolle die Augen. Mein Dad ist ein großes Tier unten in Texas, ihm gehört eine der bedeutendsten Ölfirmen. Er lebt auf der Überholspur, Angst ist ein Wort, das in seinem Sprachgebrauch nicht existiert. Und ich ticke im Grunde genauso wie er.

Zumindest tat ich das bis zu dem Zeitpunkt, als mein Leben nur noch an einem dünnen Faden hing. Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes den Hauch des Todes gespürt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich richtig Angst. Auf diese Erfahrung kann ich gerne verzichten, aber ich will mich nicht einschränken und mich schon gar nicht von irgendeinem Cop einengen lassen. Mal davon abgesehen, dass das Attentat in Dallas passiert ist. Jetzt bin ich wieder zu Hause, weit weg von Texas in Boston.

»Na, wenn er so gut ist, wie du sagst, dann kann doch nichts passieren, oder?«, behaupte ich selbstsicher, fast schon arrogant.

»Nein«, sagt er kurz angebunden. »Du bist genauso uneinsichtig wie Carlos.«

»Muss wohl so sein. Ich bin seine Tochter.« Damit greife ich nach meiner Handtasche und nehme einen Chanel-Lippenstift und einen Spiegel heraus, um meine Lippen nachzuziehen.

»Das bist du allerdings. Ich wünschte manchmal, du hättest mehr von deiner Mutter geerbt.«

Stimmen aus dem Nachbarbüro dringen zu uns, bevor ich ihn zum ersten Mal sehe und den Lippenstift wieder in der Hülle verschwinden lasse. Die Wände der Büros sind aus Glas und scheinbar nicht schallisoliert, sodass ich jedes Wort verstehen kann, das da nicht gerade leise gesprochen wird. Er geht aufgebracht auf den wenigen Quadratmetern auf und ab, schüttelt abwechselnd verneinend den Kopf und hebt warnend den Zeigefinger in Richtung seines Gesprächspartners, bevor er sich demonstrativ auf dem Schreibtisch des Beamten aufstützt und ihn wütend anfunkelt. Ich drehe mich auf dem Stuhl der Glaswand zu, um ihn besser sehen zu können. Das ist der Mann, der mich beschützen soll? Ich kann nur hoffen, dass es sich um einen schlechten Scherz handelt. Viel kann ich von ihm nicht erkennen, da er mir jetzt den Rücken zuwendet. Aber er ist groß und wirkt wie ein Bulle.

Und dann trifft mich die Aussage des ehemaligen Navy Seals wie ein Schlag ins Gesicht: »Das ist nicht dein Ernst, Simon. Du glaubst doch nicht, dass ich den Personenschutz für diese verwöhnte, reiche Göre übernehme!«

Ach, eine reiche verwöhnte Göre bin ich in den Augen dieses Schlammcatchers! Du wirst mich noch kennenlernen, du arroganter Klotz. Auch ich kann unnachgiebig und widerspenstig sein.

Dann dringen die Worte des FBI-Beamten zu uns herüber. »Ash, würdest du bitte etwas leiser sprechen. Miss Martinez sitzt mit ihrem Anwalt nebenan.«

Jetzt dreht sich der Mann, der mindestens eins neunzig groß ist, um und schaut durch die Glastrennwand direkt in mein Gesicht. Ich hatte mir gerade vorgenommen, ihm meinen herablassendsten Blick zu schenken, aber als er mich mit seinen dunklen Augen fixiert, die sich wie Pfeile in mich bohren, bin ich in einer Art Schockstarre. Mein Gott, wie kann ein Mann, der sich ausschließlich mit Schmutz, Gefahren und Gewalt beschäftigt, so verdammt sexy und atemberaubend aussehen?

Seine Lippen sind hart aufeinandergepresst und doch wirkt sein Mund sinnlich. Wenn man auf den Typ Holzfäller steht, könnte er einem direkt gefährlich werden. Was zum Glück auf mich nicht zutrifft. Seine Haut ist tief gebräunt, als würde er sich das ganze Jahr über im Freien aufhalten, und seine dunkelbraunen Haare haben eine verwaschene Tönung, als wäre er zu lange in der Sonne gewesen. Habe ich schon den Dreitagebart erwähnt, der ihm etwas Verwegenes verleiht? Aber den braucht er nicht, er ist verwegen in seiner ganzen Überheblichkeit und Ausstrahlung. Breite Schultern und eine muskulöse Brust zeichnen sich unter seinem T-Shirt ab, über dem er eine Lederjacke trägt, die ihn unglaublich kantig wirken lässt. Er hat sich die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben, was ihm einen Hauch Arroganz verleiht. Typisches Machogehabe, bei wolkenverhangenem Himmel mit einer Sonnenbrille auf dem Kopf herumzulaufen.

Jetzt dreht er sich wieder dem Mitarbeiter zu, ohne eine Regung zu zeigen oder Reue über seine unverschämten Worte zu äußern. Da die beiden nun leise weitersprechen, kann ich nichts mehr verstehen. Ich wende mich wieder Carter zu und verdrehe die Augen. Mein Anwalt zuckt nur die Schultern und winkt ab.

»Also, wenn das der beste Mann sein soll, dann kann ich dir jetzt schon sagen, dass ich mich nicht so herablassend behandeln lasse. Das kannst du ihm gerne ausrichten.« Dann stehe ich von meinem Stuhl auf, greife nach meiner Tasche und will den Raum verlassen.

»Ich glaube, das kannst du ihm gleich selbst mitteilen, da kommt er nämlich.« Carter deutet mit einer Kopfbewegung zur Tür, die sich in diesem Moment mit einem leichten Knarren öffnet.

Der FBI-Beamte betritt zusammen mit meinem neuen Bodyguard das winzige Büro, das jetzt noch beengter wirkt. Es passt mir zwar nicht, aber dieser Navy Seal wühlt meine Gefühle gehörig auf. Dabei sollte ich ihn doch hassen, diesen unverschämten Kerl. Und auf gewisse Weise tue ich das auch. Warum verschwende ich überhaupt einen Gedanken an ihn? Er ist mir im Grunde doch vollkommen egal. Das FBI kann mir schließlich keinen Bodyguard zur Verfügung stellen, der auch noch meinen Vorstellungen von einem heißen Typen entspricht. Bei dem Gedanken muss ich innerlich grinsen. Dieser Machomann, der hier vor mir steht, ist auf alle Fälle viel zu roh und kaltschnäuzig, als dass er mir gefährlich werden könnte.

Die Stimme des Beamten reißt mich aus diesen peinlichen Gedanken. »Miss Martinez, ich möchte Ihnen gerne Ash Ross vorstellen.« Dabei tritt er ein Stück zur Seite, sodass mein Beschützer mich in aller Seelenruhe abschätzen kann.

Mein Anwalt nickt ihm verhalten zu. Aber ich beachte ihn nicht weiter und wende meine Aufmerksamkeit dem Beamten zu, der sofort weiterspricht. Auch er scheint jetzt meine Abneigung zu spüren und räuspert sich kurz.

»Mister Ross wird für die nächste Zeit Ihren persönlichen Schutz übernehmen. Er hat viele Jahre als Navy Seal gearbeitet und ist darauf trainiert, Ihnen die bestmögliche Sicherheit zu bieten«, spricht er schnell weiter. Dann tritt er komplett zur Seite und mein Beschützer steht in voller Breite vor mir und schaut immer noch herablassend auf mich herab. Er taxiert mich für einige Sekunden, lässt seinen Blick an mir auf und ab gleiten, bevor er das Wort an mich richtet. Ich schiebe das Kinn nach vorne und begegne ihm genauso arrogant.

»Eins wollen wir von Anfang an klarstellen, Miss Martinez. Meine Befehle sind Gesetz. Widersetzen Sie sich meinen Anweisungen, stehen Sie ohne Schutz da.«

Eiskalt. Ich muss schlucken. Die Ansage war deutlich. Was denkt sich dieser Befehlshaber? Er weiß wohl nicht, wen er vor sich hat. Typisches Militärgehabe. Na, das kann ja interessant werden. Ich recke das Kinn noch ein wenig mehr vor und bin im ersten Moment sprachlos über seine Unverfrorenheit. Eine kurze Vorstellung oder einfach nur ein Hallo wäre hier angemessener gewesen. Stattdessen behandelt mich dieser Feldwebel wie ein trotziges Kind. Was fällt diesem Pfadfinder eigentlich ein, so mit mir zu sprechen? Hat die Vorstellung nebenan im Büro nicht bereits genügt? Sicher war er in seiner Einheit ein fürchterlicher Sklaventreiber und hat seine Leute bis aufs Blut getriezt. Zumindest könnte ich mir das bei ihm vorstellen.

Schnell fasse ich mich wieder und setze meine Blitzlichtmiene auf, die ich für die Kameras bestens beherrsche. Ich weiß genau, was er von mir denkt. Er sieht nur die junge Frau, die er aus den Klatschblättern und den Modezeitschriften kennt. Aber das bin ich nicht.

Langsam drehe ich mich zu ihm hin, zaubere ein Lächeln auf mein Gesicht und reiche diesem arroganten Schlachtross die Hand, um ihm zu zeigen, wie unmöglich er sich gerade benimmt und dass ein wenig Höflichkeit keine Schande ist.

»Nennen Sie mich Angel, Mister Ross. Auch wenn Sie davon ausgehen, dass ich eine verwöhnte reiche Göre bin, weiß ich doch, was sich gehört.«

Der Hieb hat gesessen. Sofort verschwindet sein grimmiger Gesichtsausdruck. Einige Sekunden stehen wir uns schweigend gegenüber, bevor er meine Hand ergreift und zudrückt. Sein Griff ist stark und unnachgiebig. Er ist zwar nicht mein Typ, aber irgendwie doch geil.

Endlich scheint er seine Verärgerung darüber abgelegt zu haben, dass er einen Auftrag übernehmen soll, der seines Erachtens völlig unter seinem Niveau liegt. Viel lieber würde er sich wohl aus fliegenden Helikoptern fallen lassen oder mitten im Kriegsgewitter für sein Land kämpfen oder so was.

»Dann dürften wir keine Schwierigkeiten haben. Und ich würde es vorziehen, wenn Sie mich Ash nennen. Das macht einiges einfacher.«

»Ist das jetzt ein Befehl?«, kontere ich, noch immer mit einem Lächeln im Gesicht. Ich könnte schwören, dass die Luft zwischen uns in den letzten Minuten um einige Grad aufgeheizt wurde. Ich bin mir meiner Wirkung auf Männer durchaus bewusst und außerdem nicht auf den Mund gefallen, wie er vielleicht angenommen hat.

Er braucht auf diese Frage nichts zu sagen, denn seine leicht nach oben gezogenen Mundwinkel sind Antwort genug. Ich bin sicher, dass er den Kampf mit mir gerne sofort aufnehmen würde. Auf jeden Fall bin ich ihm, was seine verbale Ausdrucksweise anbelangt, ebenbürtig, und das scheint ihm zu gefallen.

Wir werden sicher noch die eine oder andere Schlacht austragen, Mister Befehlshaber, denke ich sarkastisch. Du mit deinen Mitteln, ich mit meinen. Aber ich denke nicht daran, der Verlierer zu sein. Das Räuspern von Carter unterbricht die angespannte Atmosphäre, die seit einigen Sekunden zwischen uns in der Luft liegt. Schade eigentlich. Ich war gerade so richtig in Stimmung.

»Also, falls es nichts mehr zu besprechen gibt, dann würde ich jetzt gerne gehen. Mein Flieger geht in zwei Stunden und in Dallas warten Klienten auf mich«, wendet er sich an mich.

Ich drehe mich zu ihm um. »Ja klar, kein Problem. Grüß Dad von mir.«

Carter nickt mir zu, als wollte er mir einen stillen Wink geben. »Das mache ich. Und Angel, ruf mich an, wenn du irgendetwas brauchst. Du weißt ja, wo du mich finden kannst. Simon, Mister Ross«, verabschiedet er sich von meinem Beschützer und nickt dem FBI-Beamten zum Abschied zu.

»Das wird nicht nötig sein, Mr. Carter. Ich werde schon für ihr Wohlergehen sorgen«, lässt Ash ihn wissen, ohne den Blick von mir zu nehmen.

Das kann ich mir denken, du arroganter Wichtigtuer. Mein Anwalt schaut ihn mit großen Augen an, verabschiedet sich dann aber schulterzuckend, nicht, ohne mir einen warnenden Blick zuzuwerfen. Auch der FBI-Beamte verlässt den Raum. Jetzt sind wir allein.

»Wie haben Sie sich denn vorgestellt, mich zu beschützen?«, frage ich ihn, während ich einige Schritte durch das kleine Zimmer gehe und mich dann wieder zu ihm umdrehe.

Er steht völlig selbstbeherrscht und ruhig mit den Händen auf dem Rücken da und beobachtet mich.

»Lassen Sie das meine Sorge sein. Sie müssen sich nur meinen Anordnungen fügen, dann wird Ihnen nichts passieren.«

»Was macht Sie so sicher?«, fordere ich ihn heraus. Er dreht kurz den Kopf zur Seite und schnauft leise, bevor er mich mit leicht zusammengekniffenen Augen anfunkelt.

»Lady, ich mache diesen Job nicht zum ersten Mal. Also hören Sie auf, mein Können infrage zu stellen«, knurrt er mich an. Er kommt mir vor wie ein großer Hund, dem man seinen Knochen weggenommen hat und der jetzt zähnefletschend in Angriffsposition geht.

»Das hoffe ich für Sie.«

»Hm, passen Sie nur auf, dass Sie den Bogen nicht überspannen.«

»Keine Sorge, ich weiß genau, was ich tue.«

»Das glaube ich nicht. Kommen Sie jetzt. Ich muss Sicherheitsvorkehrungen treffen und will Sie so schnell wie möglich aus der Stadt bringen.«

»Moment, was heißt aus der Stadt bringen?«

Er atmet hörbar aus.

»Wenn ich Sie beschützen soll, muss ich alle Risiken ausschalten. Hier ist es zu gefährlich. Ich habe uns ein Haus außerhalb von Boston gemietet. Dort werden wir die nächsten Wochen bleiben.«

»Nein!«, fahre ich ihn entrüstet an. »Ich werde nicht mit Ihnen in irgendeiner Hütte wohnen. Ich bleibe in meinem Apartment. Ich habe ein Leben und das will ich nicht aufgeben. Dann hätte ich auch in Texas bei meinem Vater bleiben können. Wenn Sie so gut sind, wie alle behaupten, dann dürfte das ja wohl kein Problem für Sie sein.« Die Provokation ist Absicht, ich will ihn herausfordern. »Außerdem habe ich Termine in den nächsten Wochen. Ich arbeite. Das scheinen Sie wohl vergessen zu haben.«

Sein arroganter Blick streift von meinem Gesicht bis zu meinen Füßen, bevor ein kleines Zucken seiner Mundwinkel die einzige Regung ist, die er zulässt.

»Sie jobben als Model, nicht wahr

Ich schnaube entrüstet. Jobben? Was denkt sich dieser bornierte Cop eigentlich. Welche Vorstellung hat er von meinem Berufsstand? »Ihre sarkastischen Bemerkungen können Sie sich sparen, ich bin immun.«

Er zieht leicht die Augenbrauen nach oben, bevor er antwortet: »Immun? Wogegen?«

Mit diesen Worten kommt er ein Stück näher und mein Herz fängt plötzlich fürchterlich zu rasen an. Ich muss schon wieder schlucken, dabei entgeht mir sein leises Lachen nicht. Oh Gott, Angel, bekomm dich wieder unter Kontrolle. Das ist nur ein elender Cop, mehr nicht. Er wird dich schon nicht anfassen.

»Sie können nicht einfach mein ganzes Leben auf den Kopf stellen. Sie sollen mich beschützen und mehr nicht.«

»Glauben Sie, ich hätte andere Absichten, als Ihr Leben zu beschützen?«

Verflucht, er nimmt kein Blatt vor den Mund und dreht jedes Wort von mir ins Lächerliche. Ich habe ihn doch unterschätzt. Also zucke ich nur gleichgültig die Schultern, um meine Verärgerung zu verbergen.

»Das liegt wahrscheinlich daran, dass Ihre Bemerkungen unverschämt anzüglich sind.«

»Das kommt immer auf den Betrachter an. Wollen Sie überleben?«

Ich nicke verdattert. Überleben?

»Dann gewöhnen Sie sich am besten schnellstens an meine Bemerkungen und hören auf, mehr hineinzuinterpretieren, als da ist.«

Jetzt hat er mich schachmatt gesetzt. Ich schlucke wieder. So drastisch muss er mir das nicht unter die Nase reiben. Ich weiß selbst, dass ich in Gefahr sein könnte, deshalb ist er ja da. Trotzdem will ich mich nicht verstecken und ich kann mir einfach nicht vorstellen, warum mir ausgerechnet hier etwas passieren sollte. Er muss mich verdammt noch mal in Boston beschützen!

»Man hat mir erzählt, Sie wären der Beste. Also dann, zeigen Sie mal, was Sie können«, fordere ich ihn noch einmal heraus, um vom Thema abzulenken. Er kneift leicht die Augen zusammen und seine Miene versteinert regelrecht.

»Also schön, Prinzessin. Dieses Mal lasse ich Ihnen noch Ihren Willen. Wir bleiben in Boston. Aber ich warne Sie, wenn Sie nicht das tun, was ich Ihnen sage, werden Sie mich kennenlernen. Und sobald ich glaube, dass Sie in Gefahr sind, bringe ich Sie weg. Alles klar?«

»Soll das eine Drohung sein?«, frage ich süffisant.

»Nein, keine Drohung. Nur eine Warnung.«

»Ich habe verstanden.«

»Dann fügen Sie sich meinen Anordnungen? Ich habe keine Lust, Sie tot aus irgendeiner Ecke zu kratzen.«

Wieder nicke ich, kleinlauter dieses Mal. Sein ständiges Gerede über meinen bevorstehenden Tod geht mir auf die Nerven. Aber ein bisschen bedrückt es mich auch. Was, wenn er nicht übertreibt? Statt meine Furcht einzugestehen, straffe ich meine Schultern und schaue ihn so hochmütig wie möglich an.

»Ja, ist okay«, antworte ich pikiert.

Plötzlich bekommt sein Gesichtsausdruck einen weichen Zug. Er nimmt eine lockere Haltung an und weist zu dem Tisch mit den zwei Stühlen.

»Was halten Sie davon, wenn wir uns kurz setzen und Sie erzählen mir Ihre Version von der ganzen Sache? Was ist in dem Bürokomplex geschehen?«

Ich zögere und greife zu meiner Haarsträhne. Wieso verlangt er von mir, diese schmutzige Geschichte noch einmal aufleben zu lassen?

»Warum?«, frage ich leise.

»Weil ich Sie dann vielleicht besser verstehen kann.«

Wow, eine menschliche Regung. Er interessiert sich für meine Gefühle und nimmt mich endlich ernst.

»Also gut.«

Wir gehen auf den Tisch zu und setzen uns.

»Es war spät an einem Freitagabend, als es passierte. Die Angestellten hatten das Gebäude bereits verlassen und ich hatte im Büro meines Dads auf ihn gewartet. Wir wollten essen gehen.«

»Hm. Was passierte dann?«

Ich atme lang gezogen aus und beiße mir auf die Lippe, während die Szene wieder vor meinem geistigen Auge abläuft. Dann senke ich den Blick zu meinen Händen, die verschränkt auf dem Tisch liegen, bevor ich weitererzähle.

»Es war alles ruhig auf der Etage. Ich kann mich nur an das monotone Brummen des Staubsaugers der Putzkolonne erinnern. Ungeduldig bin ich durch das Arbeitszimmer geschlendert und habe mir die Fotos angeschaut, alles wichtige Meilensteine in der Karriere meines Vaters.

Weil ich Durst hatte, nahm ich mir eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank, ließ mich in den Chefsessel meines Dads fallen und legte die Füße auf den Schreibtisch. Das hätte meinen Vater auf die Palme gebracht, wenn er es gesehen hätte. Er kann sehr eigensinnig und streng sein.«

Bei dem Gedanken daran muss ich unwillkürlich grinsen. Ein Blick zu meinem Bodyguard zeigt mir, dass auch er sich jetzt entspannt zurückgelehnt hat, während er mir zuhört. Er wirkt amüsiert.

»Das kann ich mir denken«, wirft er ein, als würde er meinen Dad persönlich kennen.

»Sie kennen ihn ja nicht mal. Er ist das genaue Gegenteil meiner Mutter, heißt es. Er erwidert nichts darauf, darum erzähle ich weiter.

»Na ja, auf jeden Fall hätte der Abend sicher eine andere Wendung genommen, wenn ich nicht dringend zur Toilette gemusst hätte. Ich stand also auf und verließ das Büro. Im Gang hörte ich dann einen Schuss und kurz darauf rannten zwei Männer aus einem der Büros am anderen Ende. Der eine hielt noch die Waffe in der Hand, während der andere irgendwie gehetzt auf ihn einredete.«

»Was haben Sie getan?«

»Blöde Frage, ich hielt den Atem an und zitterte vor Angst. Durch die offene Tür sah ich jemanden auf dem Boden liegen. Er lag ausgestreckt auf dem Bauch und rührte sich nicht mehr, die Arme und Beine leblos neben seinem Körper. Mir war sofort klar, dass dieser Mann tot war. Man hatte ihn von hinten erschossen. Er hatte keine Chance.« Die hässliche Szene, die gerade wieder vor meinen Augen abgelaufen ist, lässt mich unwillkürlich frösteln. In diesem Moment ist alles wieder da. Das dunkle Rot, das auf den hellen Teppich sickerte und eine hässliche Spur hinterließ, und die Angst, die mir die Kehle zuschnürte.

»Wussten Sie, wer der Tote war? Und warum rannten Sie nicht gleich weg?«, reißt er mich aus meinen Gedanken.

»Ich stand unter Schock. Mein Hals schnürte sich zu und ich bekam Todesangst, als ich erkannte, dass es Arthur Black war, der Geschäftspartner meines Vaters, der da auf dem Boden lag. Ich drückte mich in das nächste Büro und mein Herz schlug mir bis zum Hals.«

»Die Täter haben Sie also nicht gesehen?«

Ich schüttle verneinend den Kopf. »Nein, sie liefen in meine Richtung und an mir vorbei. Ich bin fast gestoben vor Angst und dachte, jetzt ist es aus. Ich schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie mich bloß nicht entdeckten. Aber scheinbar war es wirklich zu dunkel im Flur, um mich zu sehen. Erst als sie an mir vorbei in Richtung der Aufzüge geeilt waren, rannte ich in die entgegengesetzte Richtung zum Notausgang und riss die Tür zum Treppenhaus auf.«

»Sie haben sich vollkommen richtig verhalten«, lobt er mich jetzt. »Was passierte dann?«

»Als ich die Tür aufmachte, ging sofort der Alarm los.«

»Und das machte die Täter auf Sie aufmerksam«, stellt er fest.

Ich nicke. »Einer der beiden rannte hinter mir her. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, es war durch eine Strumpfmaske verdeckt. Ich weiß nicht mehr, wie ich durch das Treppenhaus nach draußen kam. Treppe um Treppe stolperte ich nach unten, riss die Eingangstür des Gebäudes auf und rannte wie von Sinnen auf meinen geparkten Wagen zu, um mit quietschenden Reifen aus der Stadt raus und zur Ranch meines Vaters zu fahren.«

»Das war sicher ein schreckliches Erlebnis für Sie.«

»Manchmal träume ich noch davon«, gebe ich zu. »Dann wache ich schweißnass auf. Wie dumm, oder?« Jetzt lächle ich gezwungen.

»Nein, das ist nicht dumm. Es zeigt nur, wie sehr Sie die Angelegenheit noch beschäftigt«, korrigiert er mich.

»Ach, Blödsinn. Das Ganze fand in Dallas statt. Ich habe die Täter doch überhaupt nicht erkannt und sie mich sicher auch nicht. Es war dunkel in dem Gebäude. Es war reiner Zufall, dass ich mich dort aufgehalten habe. Hören Sie, Ash. Dieser Anschlag galt doch nicht mir. Carter übertreibt. Er ist ein alter Mann, der schon zu lange in seinem Beruf steckt.«

»Angel, nehmen Sie die Sache nicht zu leicht.«

»Was erwarten Sie jetzt von mir? Dass ich mich verstecke? Das bin ich nicht und ich glaube auch nicht daran, dass ich in wirklicher Gefahr bin«, sage ich etwas zu zickig. Einige Sekunden schweigen wir, jeder in seine Gedanken vertieft. Als ich die Stille nicht mehr ertragen kann, stehe ich auf.

»Wollen wir gehen?«

Irgendwie fühle ich mich hier überhaupt nicht wohl, zwischen all den Mordakten und in der Enge der Büros, die auf mich wie Hasenkästen wirken. Er steht ebenfalls auf und schüttelt leicht den Kopf. Wusste ich es doch, dass er mich nicht versteht. Wir leben nun mal in völlig verschiedenen Welten.

»Nach Ihnen.« Er hält mir die Tür auf und wir betreten den langen Gang, der von Neonröhren erhellt wird.