Menschen fühlen sich durch scherenschnittartige kulturelle Annahmen stereotypisiert und nicht als handelnde Individuen wahrgenommen. So wie Atsushi, ein japanischer Student, der an einer australischen Universität einen Linguistikkurs belegte, in dem es um kulturelle Aspekte von Sprache ging. Eines Ta-ges forderte der Dozent ihn auf, den anderen Seminarteilneh-mern zu zeigen, "wie Japaner sich begrüßen". Atsushi hob seine Hand, wedelte mit den Fingern und sagte "Hello". Der Dozent war unzufrieden: "Ich meine, wie begrüßt du Menschen in eher formellen Situationen?" Atsushi zuckte mit den Schul-tern und wiederholte seine Geste. Nun wurde der Dozent - der von Atsushi erwartet hatte, dass er eine Verbeugung vorführt - langsam ärgerlich und fragte: "Was machst Du bitte schön, wenn Du dem Kaiser vorgestellt wirst?" Atsushi, der sich inzwi-schen unangenehm bedrängt fühlte, erwiderte, er wolle den Kaiser lieber nicht kennen lernen. Schlussendlich führte der Dozent selbst eine "typische japanische Begrüßung" vor, wäh-rend Atsushi noch Wochen später empört von diesem Vorfall erzählte.
Das Bild der interagierenden Kulturen suggeriert, dass Kultu-ren miteinander kommunizieren, dass sie einen Geist, Gefühle und Strategien haben. Wir tun so, als sei eine Kultur ein auto-nomes Wesen mit einem Eigenleben. Aber Kultur ist nur ein Konzept. Kulturen treffen nicht aufeinander, sie kämpfen nicht miteinander und sie diskutieren auch nicht miteinander. Es sind immer einzelne Menschen, die miteinander Geschäfte machen, verhandeln, Anweisungen erteilen und entgegennehmen. Alle Menschen sind zwar auch Kinder ihrer Kultur, das heißt sie sind beeinflusst durch die Werte und Verhaltensstandards der sie umgebenden Gesellschaft, sie können aber nicht mit ihr gleich-gesetzt werden. Kultur ist vielmehr die heterogene und sich ständig verändernde Matrix, vor deren Hintergrund wir handeln und unsere Welt bewerten, mit der wir uns identifizieren oder von der wir uns abgrenzen, die wir durch unsere individuellen Taten aber auch vorantreiben und verändern.