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2. Auflage 2022

© 2019 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstrasse 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096


© der Originalausgabe 2018 by Jocko Willink und Leif Babin


Die englische Originalausgabe erschien 2018 bei Curtis Brown Group Limited unter dem Titel The Dichotomy of Leadership.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.


Übersetzung: Jordan Wegberg, Berlin

Redaktion: Matthias Michel, Wiesbaden

Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern


ISBN Print 978-3-86881-764-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-150-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-151-8

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www.redline-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Für die Großen Starken Froschmänner von SEAL-Team Three, Task Unit »Bruiser«, insbesondere:

Marc Lee, Mike Monsoor und Ryan Job, die ihr Leben gelassen haben;

Chris Kyle, ein Freund und eine Legende;

sowie Seth Stone, Kommandant von Delta Platoon, unser Bruder.

Mögen wir ihnen immer Ehre erweisen.

Inhalt

Vorwort

Einleitung: Das Gleichgewicht finden

Block J, Süd-Ramadi, Irak: 2006

Die zwei Seiten: die Herausforderungen von Extreme Ownership ins Gleichgewicht bringen

Teil I: Menschen ins Gleichgewicht bringen

Kapitel 1: Der ultimative Zwiespalt

Charlie Medical Facility, Camp Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 2: Verantwortung tragen, aber andere mit einbeziehen

Falludscha, Irak: 2003

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 3: Resolut, aber nicht herrisch

Süd-Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 4: Wann unterstützen und wann entlassen?

Malaab-Distrikt, Ost-Ramadi: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Teil II: Die Mission im Gleichgewicht ­halten

Kapitel 5: Hart, aber clever trainieren

Feindliches Territorium: 2009

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 6: Aggressiv, nicht leichtsinnig

»VietRam« – MC-1-Einsatzgebiet, nordöstlich von Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 7: Diszipliniert, nicht unbeweglich

Bagdad-Mitte, Irak: 2003

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 8: Die Leute nicht an die Hand nehmen, sondern zur Verantwortung ziehen

Bagdad, Irak: 2003

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Teil III: Das eigene ­Gleichgewicht

Kapitel 9: Befehl und Gehorsam

Süd-Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 10: Planen, aber nicht überorganisieren

Firecracker Circle, Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 11: Bescheiden, nicht passiv

Route Michigan, Süd-Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Kapitel 12: Fokussiert, aber mit Abstand

West-Ramadi, Irak: 2006

Das Prinzip

Geschäftliche Umsetzung

Nachwort

Anhang: Ergänzende Beiträge zu Die zwei Seiten der Führung

Die zwei Seiten der Führung – ein persönliches Resümee

Gedenken

Um jeden Preis gewinnen

Abb006

SEALs der Task Unit Bruiser, Bombenentschärfungstechniker und irakische Soldaten bei einem Durchsuchungseinsatz im Malaab-Distrikt von Ost-Ramadi, gemeinsam mit US-Soldaten der Task Force Red Currahee, dem legendären »Band of Brothers« des 1. Bataillons, 506. Fallschirmspringerregiment (1/506th), 101. Luftwaffendivision. Ein Kompanieführer der 1/506th, »Gunfighter Six«, ein herausragender Krieger und professioneller Soldat, ist im Vordergrund rechts zu sehen. (Foto: Todd Pitman)

Vorwort

Der Krieg ist ein Albtraum. Er ist schrecklich, gleichgültig, verheerend und böse.

Der Krieg ist die Hölle.

Aber der Krieg ist auch ein unglaublicher Lehrmeister – ein brutaler Ausbilder. Im Krieg haben wir mit Blut geschriebene Lektionen gelernt über Leid, Verlust und Schmerz. Wir haben auch die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens kennengelernt und die Stärke des menschlichen Geistes.

Natürlich haben wir etwas über Strategie und Taktik gelernt. Wir haben gelernt, wie wir am effektivsten den Kampf gegen unsere Gegner aufnehmen. Wir haben gelernt, Ziele zu analysieren, Informationen zusammenzutragen und auszuwerten, die gegnerischen Schwachstellen ausfindig zu machen und sie zu unserem Vorteil zu nutzen. Wir haben diese Lektionen angewendet und dafür gesorgt, dass der Feind für seine Verstöße und Übergriffe bezahlen musste.

Aber von allem, was wir gelernt haben, ist nichts so universell und übertragbar wie unsere Einblicke in die Macht der Führung. Wir haben gesehen, wie erfolgreiche Führungskräfte Siege errangen, wo der Sieg unmöglich erschien. Wir haben auch erlebt, wie schlechte Führung Teams scheitern ließ, die unbesiegbar schienen.

Wir haben aus unmittelbarer Anschauung erfahren, dass die Prinzipien der Führung »einfach, aber nicht bequem« sind. Es gibt Strategien, Techniken und Fähigkeiten, die Zeit und Übung brauchen, um effektiv angewendet zu werden. Die höchste Anforderung für gute Führung ist Bescheidenheit, damit die Führungskräfte ihre eigenen Unzulänglichkeiten vollkommen begreifen und einsehen. Wir haben auf dem Gefechtsfeld viele Lektionen gelernt und versucht, diese Lektionen weiterzugeben, aber unsere Fehler und alles, was wir weiterhin lernen, halten uns immer noch tagtäglich zur Bescheidenheit an.

Dieses Buch baut auf unserem ersten Buch auf, Extreme Ownership: Mit Verantwortung führen. Es ist der Nachfolger, den zu schreiben uns so viele Leser von Extreme Ownership baten. Als wir das Konzept von Die zwei Seiten der Führung entwickelten, achteten wir darauf, dass unsere Schilderungen klar und eingebettet in die Zusammenhänge sein sollten, damit das Buch auch ohne Kenntnis seines Vorgängers verstanden werden kann. Eine ausführlichere Schilderung, mit tieferen Einsichten und mehr Hintergrundinformationen, als sie der Überblick auf den folgenden Seiten gibt, bietet die Einleitung von Extreme Ownership. Doch auch wenn es hilfreich sein mag, für eine umfassendere Erkenntnis das erste Buch gelesen zu haben, ist keineswegs eine notwendige Voraussetzung.

In beiden Büchern nehmen wir Bezug auf unsere Erfahrungen beim US-Militär, in dem wir beide als SEAL-Offiziere dienten. Einen Großteil unserer Lektionen lernten wir in der Schlacht von Ramadi im Jahr 2006, wo wir als Führer des SEAL-Teams Three, Task Unit »Bruiser«, dienten. In dieser Schlacht kämpften die SEALs der Task Unit Bruiser mit unglaublicher Tapferkeit und Zähigkeit. Sie bewirkten auf dem Gefechtsfeld wahre Wunder. Aber die Task Unit Bruiser erlitt auch schwere Verluste. Diese Opfer werden niemals in Vergessenheit geraten.

Nach unserem Abschied aus dem aktiven Dienst bei der US Navy gründeten wir ein Unternehmen, Echelon Front, um die von uns gelernten Lektionen an Führungskräfte aller Art weiterzugeben. Im Jahr 2015 veröffentlichten wir Extreme Ownership. Durch dieses Buch vermittelten wir Führungskräften auf aller Welt unsere grundlegenden Prinzipen – die innere Einstellung von Extreme Ownership und die vier Gesetze des Kampfes: (1) Deckung und Bewegung, (2) Einfach, (3) Prioritäten setzen und ausführen sowie (4) Dezentrales Kommando. Über eine Million Leser haben diese Leitsätze mit hervorragenden Ergebnissen in ihr berufliches und privates Leben integriert.

Doch die vollständige Umsetzung dieser Prinzipien erweist sich als Herausforderung. Werden auch nur Nuancen vernachlässigt oder falsch verstanden, erwachsen daraus nur schwer zu überwindende Hindernissen. Wir haben dieses Buch geschrieben, um die detaillierte Einsicht und das Verständnis weiterzugeben, die häufig den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern ausmachen. Dieses Buch ermöglicht es Ihnen, die Führungsprinzipen besser zu verarbeiten, zu analysieren und auf Ihr Gefechtsfeld anzuwenden, in welchem Bereich auch immer es liegen mag, ob es um Führung im Kampf, im Unternehmen oder im Leben geht.

Der Aufbau von Die zwei Seiten der Führung spiegelt den von Extreme Ownership: Es gibt drei Teile mit jeweils vier Kapiteln und jedes Kapitel ist in drei Abschnitte unterteilt. Der erste Abschnitt jedes Kapitels beschreibt eine Erfahrung aus dem Kriegseinsatz oder der SEAL-Ausbildung, im zweiten Abschnitt werden die relevanten Leitsätze besprochen und im dritten Teil geht es um die unmittelbare Anwendung des Konzepts auf die Unternehmenswelt.

Die zwei Seiten der Führung ist kein persönliches Erinnerungsbuch und keine Geschichte des Irakkriegs. Wie wir schon in Extreme Ownership betonten: »In diesem Buch geht es um Führung. Es wurde geschrieben für die Leiter von großen und kleinen Teams, für Männer und Frauen, für alle, die besser werden wollen. Auch wenn es spannende Berichte über SEAL-Kampfeinsätze enthält, ist es … eine Sammlung von Lektionen, die wir aus unseren Erfahrungen gewonnen haben und mit denen wir anderen Führungskräften zum Sieg verhelfen wollen. Wenn es eine nützliche Richtlinie für Führungskräfte darstellt, die leistungsstarke Siegerteams aufbauen, schulen und führen wollen, dann hat es seinen Zweck erfüllt.«

Die von uns beschriebenen Kampf- und Ausbildungserlebnisse sind alle wahre Geschichten. Doch sie sollen keinen historischen Bezug herstellen. Die Dialoge, die wir geschrieben haben, sollen die Botschaft und die Bedeutung von Gesprächen vermitteln. Sie sind unvollständig, seither ist Zeit vergangen, und die Erinnerung an sie unterliegt den Unzulänglichkeiten des menschlichen Gedächtnisses. Zudem haben wir bestimmte Taktiken, Techniken und Abläufe ausgelassen und dafür gesorgt, dass keine geheimen Informationen über Zeitpunkt und Ort bestimmter Operationen und ihre Teilnehmer enthüllt werden. In Übereinstimmung mit den Anforderungen des US-Verteidigungsministeriums wurde dieses Manuskript einer Sicherheitsüberprüfung durch das Pentagon unterzogen und genehmigt. Wir nennen nicht die Namen unserer SEAL-Kameraden, es sei denn, es handelt sich um die Namen unserer Gefallenen oder um SEALs, die bereits im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen. Unsere Brüder, die immer noch aktiv in den SEAL-Teams dienen, sind stille Profis, die nicht nach Anerkennung gieren, und wir nehmen unsere Verantwortung sehr ernst, ihnen den größtmöglichen Schutz zu gewährleisten.

Dieselben Vorsichtsmaßnahmen haben wir berücksichtigt, um die außergewöhnlichen Soldaten und Marines* zu schützen, mit denen wir in der Schlacht von Ramadi und anderswo gekämpft haben. Ihre Namen sind in unserer Erinnerung mit den hervorragenden Führungseigenschaften, der Opferbereitschaft und der Heldenhaftigkeit verknüpft, die sie unter Beweis gestellt haben. Aber zum Schutz ihrer Privatsphäre und ihrer Sicherheit verwenden wir in diesem Buch nicht ihre Namen, sofern sie der Öffentlichkeit nicht bereits bekannt sind.

Entsprechend vertraulich behandeln wir die Kundendaten unseres Leadership-Beratungsunternehmens Echelon Front. Wir nennen keine Firmennamen, haben die Namen und Berufsbezeichnungen der Personen geändert und in einigen Fällen auf branchenspezifische Informationen verzichtet beziehungsweise sie verändert. Die Geschichten, die wir aus der Businesswelt erzählen, beruhen wie schon in Extreme Ownership auf tatsächlichen Erfahrungen, doch in einigen Fällen haben wir Situationen zusammengefasst, Zeitabläufe komprimiert und Details abgewandelt, um die Anonymität zu gewährleisten oder die zugrunde liegenden Prinzipen stärker hervorzuheben, die wir damit illustrieren wollen.

Es war erfreulich, die weltweite Reichweite und Bedeutung von Extreme Ownership zu sehen, insbesondere in Form des Erfolgs, den so viele Leser durch die darin vorgestellten Prinzipien erzielt haben. Aber der eine oder andere Leser hat den Titel des Buches und seine mächtigen Grundprinzipien missverstanden: die innere Einstellung und Haltung von Extreme Ownership. In den meisten Fällen erfordert Führung keine Extreme, sondern Gleichgewicht. Führungskräfte müssen die Balance zwischen widerstreitenden Kräften finden, die in unterschiedliche Richtungen drängen. Aggressiv, aber vorsichtig sein, diszipliniert, aber nicht unnachgiebig, Führender und auch Folgender – das trifft auf praktisch jeden Aspekt von Leadership zu. Das richtige Gleichgewicht zwischen all diesen Widersprüchen – den zwei Seiten der Führung – zu erlangen ist der schwierigste Aspekt des Führens.

Wir haben Die zwei Seiten der Führung geschrieben, damit Führungskräfte diese Herausforderung verstehen und das notwendige Gleichgewicht finden, um höchst effektiv zu führen und zu gewinnen. Egal auf welchem Gebiet, für optimale Leistungen muss Balance gewahrt werden. Wenn eine Führungskraft zu viel Autorität zeigt, entwickelt das Team Widerstand gegen die Umsetzung; zeigt sie zu wenig, hat das Team keine Richtung. Wenn Führungskräfte zu aggressiv vorgehen, setzen sie Team und Mission einem Risiko aus; warten sie jedoch zu lange, bis sie handeln, so können die Ergebnisse ebenso katastrophal ausfallen. Drillt eine Führungskraft ihre Leute zu stark, können sie ausbrennen; doch ohne Herausforderungen und eine realistische Schulung bleibt das Team unvorbereitet auf die tatsächlichen Situationen, denen es begegnen kann. So lassen sich die Widersprüchlichkeiten immer weiter fortsetzen, und jede davon erfordert ein Gleichgewicht.

Seit der Veröffentlichung von Extreme Ownership zielte der überwiegende Teil der Fragen bei unserer Zusammenarbeit mit Tausenden Führungskräften aus Hunderten Unternehmen und Organisationen auf dieses Konzept und dieses Bemühen ab: trotz der Widersprüchlichkeit des Führens das Gleichgewicht zu bewahren.

Wir haben dieses Buch geschrieben, um genau diese Fragen zu beantworten. Wie wir bereits in der Einleitung von Extreme Ownership erklärten, kennen wir nicht alle Antworten. Das tut niemand. Aber wir haben als Militärführer extrem demütigende und wertvolle Lektionen gelernt – sowohl aus unserem Versagen als auch aus unseren Erfolgen. Oft lieferten unsere Fehler und Misserfolge uns die wertvollsten Lektionen, aus denen wir gelernt haben und an denen wir gewachsen sind. Wir lernen und wachsen bis zum heutigen Tage immer weiter.

Da Die zwei Seiten der Führung auf dem Konzept von Extreme Ownership aufbaut, trifft auch hier die Aussage des Vorworts unserer vorangehenden Arbeit zu:

Wir haben das vorliegende Buch geschrieben, um diese Führungsprinzipien für künftige Generationen festzuhalten, damit sie nicht in Vergessenheit geraten und solche entscheidenden Lektionen nicht ganz neu gelernt werden müssen, wenn weitere Kriege beginnen und enden – neu geschrieben mit noch mehr Blut. Wir haben das Buch geschrieben, damit die Führungslektionen weiterhin auf Teams jenseits des Schlachtfelds in allen Führungssituationen wirken können – in jedem Unternehmen, jeder Abteilung oder jeder Organisation, in denen eine Gruppe von Menschen ein Ziel verfolgt und eine Mission erfüllen will. Wir haben dieses Buch für Führungskräfte in allen Bereichen geschrieben, um anhand der von uns vermittelten Prinzipien zu führen und zu gewinnen.


* In Abstimmung mit den Leitlinien des US-Verteidigungsministeriums verwenden wir in diesem Buch durchgängig den Begriff »Soldat« für »US-Soldat« sowie »Marine« für »US-Marineinfanterist«.

Einleitung

Das Gleichgewicht finden

Block J, Süd-Ramadi, Irak: 2006

Leif Babin

»Bitte bereithalten«, sagte jemand über das truppeninterne Funknetz mit jener Gelassenheit, die man von einer Flugbegleiterin erwartet, wenn sie die Passagiere bittet, vor der Landung die Tische hochzuklappen. Die Straße vor uns hatte sich geleert. Sämtliche Ortsansässige schienen vom Boden verschluckt. Und wir wussten, was das bedeutete: Ein Angriff drohte. Erwartungsvoll stellten sich meine Nackenhaare auf.

Nach vielen heftigen Schusswechseln in Ramadi war »Bitte bereithalten« zu einem Running Gag geworden, der die Anspannung lockerte, wenn wir wussten, dass Ärger bevorstand. Je nonchalanter es unter den schwierigsten Umständen gesagt werden konnte, desto lustiger war es.

Es war helllichter Tag, als unsere Patrouille aus SEALs und irakischen Soldaten zu Fuß die schmale städtische Straße entlangging, die auf beiden Seiten von hohen Betonmauern umgeben war.

Plötzlich explodierte die Welt. Dutzende von Kugeln sausten durch die Luft, jede mit einem scharfen Überschall-Knack, und schlugen mit Donnergewalt in die Betonmauer neben mir ein. Betonsplitter flogen in alle Richtungen. Die schweren Detonationen des Beschusses hörten sich an, als würden zahlreiche Presslufthämmer gleichzeitig die Straßen und die Wände ringsum einreißen.

Wir waren geradewegs in eine feindliche Kreissäge hineingelaufen. Aufständische Kämpfer attackierten uns aus mehreren Richtungen mit Maschinengewehren. Ich konnte sie oder ihre Schusspositionen nicht sehen, aber eine ungeheure Menge gegnerischer Kugeln schwirrte durch die Luft.

Wir konnten uns nirgends verstecken. Die schmale mauergesäumte Straße bot keinerlei Deckung. Nichts trennte uns von den feindlichen Maschinengewehren bis auf ein einzelnes am Straßenrand geparktes Auto in einiger Entfernung und der typische überall verstreute Müll. Die Patrouille befand sich in Doppelformation – jede Abteilung auf die gegenüberliegenden Straßenseiten aufgeteilt, dicht an die Mauern gekauert. Es gab nichts, wohinter wir uns vor den Geschossen verbergen konnten. Aber ein Ass hatten wir im Ärmel: vernichtendes Geschützfeuer. Bei jeder Patrouille in diese vom Feind besetzte Gegend rechneten wir mit einer Schießerei und waren schwer bewaffnet. Jeder Trupp von acht SEALs hatte mindestens vier Maschinengewehre dabei, um gegen feindliche Angriffe gewappnet zu sein. Als wir unter Beschuss genommen wurden, stellte unsere unmittelbare Reaktion aus brutalem und übermächtigem Geschützfeuer die einzige Antwort dar: Deckung und Bewegung. Durch die bitteren Erfahrungen des monatelangen Straßenkampfes hatte die Task Unit Bruiser reichlich Praxis in diesem grundlegenden Feuergefechtsprinzip.

Innerhalb von Nanosekunden lösten die SEALs mit den großen Maschinengewehren weiter vorne den gnadenlosesten und tödlichsten nur vorstellbaren Kugelhagel aus. Trotz der Heftigkeit und Gewaltsamkeit des Häuserkampfs konnte ich ein Lächeln nicht unterdrücken.

Mein Gott, ich liebte diese Jungs – die Großen Starken Froschmänner, die schwere Mk481- und Mk46-Maschinengewehre (»Mark forty-eight« und »Mark forty-six« gesprochen) und das Gewicht von Hunderten Patronen trugen, zusätzlich zu ihren Panzerwesten, Helmen, Funkgeräten, Wasserflaschen und allem anderen, was sie in der brütenden Hitze der irakischen Sommersonne mit sich herumschleppen mussten.

Diese SEAL-Maschinengewehrschützen hielten uns am Leben. Unsere Scharfschützen (»Sniper«) töteten eine Menge böse Jungs und erhielten dafür zahlreiche wohlverdiente Auszeichnungen, aber wann immer wir angegriffen wurden, waren es die SEAL-Maschinengewehrschützen, die die Bedrohung durch das feindliche Feuer abwendeten. Stehend oder kniend schossen sie ihre Waffen von der Schulter aus ab, und das mit unglaublicher Präzision. Dieses Maschinengewehrfeuer eliminierte die Aufständischen, die uns im Visier hatten, oder zwang sie in Deckung (was bedeutete, dass sie uns nicht gezielt angreifen konnten), und das gab uns die Möglichkeit zu manövrieren, auszuweichen oder einfach von der Straße wegzukommen und dem Unheil aus dem Weg zu gehen.

Trotz der Dutzenden von Kugeln, die in die Straße und die Mauern neben uns einschlugen, wurde niemand getroffen. Das war das Schöne an Deckung und Bewegung.

Als Kommandant (Zugführer) von Charlie Platoon und Ranghöchster vor Ort verspürte ich den Drang, eine Entscheidung zu treffen, das Kommando zum Rückzug zu geben und ein nahe gelegenes Gebäude als »Stützpunkt« zu wählen, in dem wir hinter Betonwänden Schutz fanden, und hinauf ins Dachgeschoss zu steigen. Von dort aus könnten wir unsere Angreifer lokalisieren, einen Trupp losschicken, um sie seitlich zu umgehen, oder die Panzer anfordern, um sie in die Vergessenheit zu befördern. Schon als Kind hatte ich davon geträumt, ein Gefechtsführer zu sein. Spätestens seit der Mittelschule wollte ich SEAL werden, als ich zum ersten Mal von dieser legendären Spezialeinheit gehört hatte. Die Führung bei komplexen Kampfeinsätzen an einem Ort wie Ramadi war die ultimative Erfüllung dieses Traums. Mit jeder Faser meines Körpers wollte ich vortreten und Verantwortung übernehmen, ein Kommando bellen, das über den Lärm des heftigen Feuergefechts hinweg zu hören war.

Aber ich trug die Verantwortung nicht.

Bei diesem speziellen Kampfeinsatz lag die Führung bei dem Junior Officer (oder Assistant Officer in Charge, AOIC) von Charlie Platoon, dem unerfahrensten Offizier des Zuges. Es war sein Einsatz und er musste handeln.

Ich würde natürlich einspringen und eine Entscheidung treffen, wenn er oder andere mich brauchten und wenn die Situation es verlangte. Aber er war ein ausgezeichneter Offizier und schloss sich mit Tony Eafrati zusammen, unserem herausragenden und äußerst erfahrenen Zugführer, ich hatte absolutes Vertrauen zu meinem AOIC und er erwies sich ein ums andere Mal als fähig.

Rasch machte der AOIC ein größeres Gebäude als Stützpunkt ausfindig. Während die SEALs in der ersten Reihe Unterstützungsfeuer boten, schlugen andere SEALs den von der Straße wegführenden Weg ein, der zum Eingangstor führte und betraten das Gelände.

Aus meiner Position ziemlich in der Mitte der Patrouille beobachtete ich mindestens eine feindliche Schussposition ein paar Häuserblocks vor uns und feuerte etliche 40-mm-Granaten aus dem M203-Granatwerfer ab, der an meinem M4-Gewehr befestigt war. Ich schickte die hochexplosiven »Goldeier« über die Köpfe unserer Patrouille hinweg in die feindliche Position hinein, wo sie mit einer heftigen Detonation explodierten. Es war nur ein kleiner Beitrag, aber eine wirksame Methode, um zusätzlich zu unserem Maschinengewehrfeuer die bösen Jungs im Zaum zu halten.

Dann bewegte ich mich auf das Eingangstor des Geländes zu und bezog unmittelbar außerhalb auf der Straße Position, wo ich die Jungs, die sich aufzuschließen bemühten, durch das Tor dirigierte. Marc Lee mit seinem großen Mk48-Maschinengewehr stand direkt vor mir auf der Straße und verschoss einen Patronengurt nach dem anderen und verschaffte uns so Deckung. Marc war ein knallharter Typ. Feindliche Kugeln schwirrten immer noch um uns herum und die Straße entlang, aber durch Marcs entschlossene Erwiderung war das feindliche Feuer weniger präzise.

Ich drehte mich nach dem Ende der Patrouille um. Einer der letzten SEALs, die sich noch auf der Straße befanden, rannte in meine Richtung.

»Los, los!«, rief ich ihm zu und winkte ihn auf das Tor zu.

Plötzlich, nur wenige Meter von mir und der Sicherheit der Betonmauern entfernt, stürzte der SEAL und landete hart mit dem Gesicht auf dem Straßenpflaster. Entsetzt eilte ich zu ihm.

Ein Verwundeter, dachte ich. Er muss in die Brust oder in den Kopf getroffen worden sein.

Ich hastete hinüber und rechnete mit viel Blut. Umso überraschter war ich, als ich ihn da liegen und zu mir hochlächeln sah.

»Alles okay bei dir?«, rief ich über den Geschützlärm hinweg. Immer noch sausten die Kugeln um uns herum, wirbelten nur ein paar Meter entfernt den Staub auf und prallten von den Wänden ab.

»Mir geht’s gut«, erwiderte er. »Bin gestolpert.«

Ich lächelte erleichtert und dankbar, dass er nicht ernsthaft verletzt oder tot war.

»Bro!«, schrie ich gegen den Kampflärm an. »Ich dachte, sie hätten dir die Rübe weggeschossen!« Wir grinsten beide.

Rasch griff ich nach seiner Hand und half ihm auf die Beine. Wir rannten den restlichen Weg zurück zum Tor. Als der SEAL in das Tor hineinschlüpfte, eilte ich nach vorne und klopfte Marc auf den Rücken.

»Letzter Mann!«, rief ich. Damit wusste Marc, dass alle durch waren. Dann gab ich ihm Deckung, während er sich zurückzog, sein Gewehr mit rauchendem Lauf himmelwärts gerichtet, und wir traten gemeinsam durch das Tor. Endlich waren alle von der Straße weg, aus der feindlichen Schusslinie heraus und innerhalb des Gebäudes in der Deckung von Betonmauern. Dank Marc und unseren anderen Maschinengewehrschützen, unterstützt von SEAL-Schützen mit ihren M4-Gewehren, war trotz des hinterhältigen feindlichen Beschusses mit erheblicher Feuerkraft keiner von uns getroffen worden.

Ich begab mich hoch auf das Dach, wo SEAL-Schützen Gefechtsposition eingenommen hatten. Während die feindlichen Kämpfer sich von Gebäude zu Gebäude bewegten und ihren Angriff fortsetzten, beschossen wir sie. Der AOIC war ebenfalls auf dem Dach, gemeinsam mit unserem Funker von Charlie Platoon, und schätzte die Lage ein.

»Was willst du machen?«, fragte ich ihn.

»Wir sollten die Panzer zur Unterstützung anfordern«, sagte er ruhig. Der AOIC blieb unter Beschuss gelassen – eine hervorragende Eigenschaft, auf die jede Führungskraft hinarbeiten sollte.

»Verstanden«, antwortete ich. Das war genau die richtige Entscheidung. Wir hatten auf dem Dach eine überlegene Position. Die Betonwände boten uns einen guten Schutz. Der SEAL-Funker nahm Kontakt auf zur Kompanie Team Bulldog (Bravo Company, 1. Bataillon, 37. Panzerregiment der 1. Brigade, 1. Panzerdivision) und ließ die M1A2-Abrams-Panzer mit ihrer massiven Schusskraft in unsere Richtung anrücken. Wir liebten diese Soldaten unter dem Kommando von Captain »Main Gun« Mike Bajema. Ungeachtet der tödlichen Bedrohung durch IEDs2, die in der Gegend von Süd-Ramadi eine Reihe von Panzern zerstört hatten, stieg »Main Gun« Mike bei jedem einzelnen unserer Notrufe persönlich in seinen Panzer und eilte uns furchtlos zur Hilfe, begleitet von einem weiteren Bulldog-Panzer. Wir konnten große Risiken eingehen und tief in feindliches Territorium vordringen, weil wir wussten, dass Team Bulldog uns immer beschützen würde, wenn wir in Schwierigkeiten gerieten. Mike und seine Soldaten waren herausragende, aggressive Krieger. Sie hätten alles in ihrer Macht Stehende getan, um zu uns zu gelangen, egal wie gefährlich oder schwierig es wäre. Und wenn sie mit ihren Panzern eintrafen, brachten sie den Donner mit.

Die Panzerbesatzung brauchte ein paar Minuten, um einzusteigen und zu unserem Standort zu fahren. Weiterhin wurden wir aus mehreren Richtungen vom Feind beschossen. Ein SEAL hob den Kopf über die Dachmauer, um herauszufinden, wo die Übeltäter steckten. Da erhielt er einen heftigen Schlag und fiel hintenüber. Er setzte sich auf, unverletzt, und fragte sich, was zum Teufel da gerade passiert war. Als er seinen Helm abnahm und ihn untersuchte, entdeckte er eine tiefe Scharte, wo eine feindliche Kugel die Nachtsichtvorrichtung von der Vorderseite des Helms gerissen hatte. Nur ein paar Zentimeter tiefer, und die Munition hätte ihm den Kopf abgerissen.

»Was ist los?«, fragte ein Kamerad neben ihm.

»Bin getroffen worden«, grinste er und zeigte auf seinen Helm.

Das war knapp gewesen, aber zum Glück konnten wir darüber lachen.

Während wir auf dem Dach warteten, schaltete ich mein Funkgerät auf das Kommunikationsnetz der Kompanie Bulldog um. Ich hörte »Main Gun« Mike fragen, ob wir die Gebäude kennzeichnen könnten, von denen der Feind immer noch auf uns feuerte.

»Habt ihr rote Rauchgranaten?«, fragte der Funker. Ich hatte keine dabei.

»Wir haben Leuchtspur«, schlug ich vor. Der SEAL-Funker hatte ein ganzes Magazin Leuchtspurgeschosse, die ein sichtbares orangefarbenes Glimmen hinter sich herzogen, wenn sie abgefeuert wurden. Auch jede fünfte Patrone in Marc Lees Munitionsgurt war ein Leuchtspurgeschoss. Wir teilten unseren Plan »Main Gun« Mike und seinen Panzergrenadieren mit. Als die schweren Abrams sich näherten und ihre Ketten über die asphaltierten Straßen der Stadt ratterten, hörte ich über Funk das Codewort, das Ziel zu markieren, und gab den Befehl mündlich weiter.

»Markiert das Ziel!«, schrie ich. Marc und der SEAL-Funker erhellten die feindliche Position mit Leuchtspurmunition.

Bitte bereithalten, dachte ich, als Mikes Abrams-Panzer ihre gewaltigen Geschütztürme drehten und die mächtigen 120-mm-Kanonen auf das Gebäude richteten, aus dem wir beschossen worden waren. Der Panzer ließ seine Donnergewalt auf das Gebäude los und beendete damit den feindlichen Angriff. Diejenigen aufständischen Kämpfer, die nicht ausgelöscht worden waren, traten einen hastigen Rückzug an. Dank Mike und seinem Team Bulldog wurden wir an diesem Tag nicht mehr unter feindlichen Beschuss genommen. Wieder einmal waren die Panzer unsere Rettung gewesen. Gemeinsam hatten das SEAL-Team und die Soldaten der US Army den Aufständischen mehr gegeben, als sie verkraften konnten. Und mein AOIC hatte einmal mehr bewiesen, dass er ein verlässlicher Führer war, kompetent und mit kühlem Kopf, selbst unter der Belastung einer unmittelbaren Gefechtssituation.

Aber genau wie mein stellvertretender Zugführer zum Führen bereit sein musste, so musste auch ich in dieser Situation zum Gehorchen bereit sein. Das Ziel aller Führungskräfte sollte es sein, sich selbst verzichtbar zu machen. Das wird nie ganz zu erreichen sein, aber indem wir rangniedrigeren Vorgesetzten und den Truppen an vorderster Front Verantwortung übertrugen, waren unser SEAL-Zug und die Task Unit wesentlich effektiver. Das erzeugte Führungskultur auf allen Ebenen des Teams. Der Versuch des Spagats zwischen Führen und Folgen war ein Beispiel für die zwei Seiten der Führung, die Balance, die jeder Führende zwischen den widerstreitenden Kräften des Führens finden muss. Zum Führen bereit zu sein, aber auch zu wissen, wann man gehorchen muss. Extreme Ownership für alles zu übernehmen, was die Mission beeinflusst, aber auch andere in die Lage zu versetzen, mithilfe des Dezentralen Kommandos die Führung zu übernehmen. Die Einsicht in die vielen Widersprüchlichkeiten und die Fähigkeit, sie miteinander in Einklang zu bringen, ist ein nützliches Werkzeug, das es Führungskräften ermöglicht, auf allen Ebenen zu führen und zu siegen.

Die zwei Seiten: die Herausforderungen von Extreme Ownership ins Gleichgewicht bringen

Jocko Willink und Leif Babin

Unser erstes Buch Extreme Ownership stieß bei vielen Lesern auf große Resonanz. Die Vorstellung, dass Führungskräfte Verantwortung übernehmen müssen – Extreme Ownership – für alles, was in ihrer Welt vor sich geht, für alles, was sich auf ihre Mission auswirkt, hat die Vorstellung vieler Menschen von Führung verändert. Wenn Fehler passieren, schieben effektive Führungskräfte die Schuld nicht auf andere. Sie stehen für ihre Fehler ein, ermitteln, was genau schiefgegangen ist, entwickeln Lösungen, um die Fehler zu korrigieren, und sorgen dafür, dass sie im weiteren Verlauf nicht noch einmal passieren.

Selbst die besten Teams und die besten Führungskräfte liefern keine makellose Leistung ab. Niemand erzielt Perfektion. Die Größe der besten Führungskräfte und Teams besteht darin, dass sie ihre Fehler erkennen, die Verantwortung dafür übernehmen und Korrekturen vornehmen, um ihre Leistung zu verbessern. Mit jedem Schritt steigern das Team und seine Führungskräfte ihre Effektivität. Im Laufe der Zeit setzen sich diese Teams gegen ihre Konkurrenz durch, besonders gegen jene Teams, deren Performance sich nie verbessert, weil sie eine Ausreden- und Schuldzuweisungskultur haben, durch die Probleme nie gelöst werden.

Unsere vier Gesetze des Kampfes verhalfen Teams und Organisationen – ob groß oder klein – in den Vereinigten Staaten und weltweit in fast jeder Geschäftsbranche ebenso wie in Einheiten von Militär, Polizei und Feuerwehr, in Wohltätigkeitsorganisationen, Schulverwaltungen und Sportmannschaften zu einer radikalen Leistungsverbesserung.

Das erste Gesetz des Kampfes: Deckung und Bewegung. Das ist Teamwork – jeder Einzelne und jede Gruppe innerhalb des Teams geben einander Unterstützung, um die Mission zu erfüllen. Abteilungen und Gruppen innerhalb des Teams und selbst diejenigen außerhalb des unmittelbaren Teams, die dennoch mit über den Erfolg entscheiden, müssen über den Tellerrand hinausdenken und zusammenarbeiten, um Gewinne zu erringen. Es spielt keine Rolle, ob ein Element innerhalb der Gruppe seine Aufgabe erfüllt: Wenn das Team versagt, versagen alle. Doch wenn das gesamte Team gewinnt, gewinnen alle. Jeder hat seinen Anteil an diesem Erfolg.

Das zweite Gesetz des Kampfes: Einfach. Komplexität führt zu Chaos und Katastrophen, besonders wenn die Dinge nicht planmäßig verlaufen. Und das tun sie nie. Wenn Pläne und Anweisungen zu komplex werden, verstehen diejenigen, die sie ausführen sollen, sie nicht. Wenn Teammitglieder etwas nicht verstehen, können sie es nicht umsetzen. Deshalb müssen die Pläne vereinfacht werden, damit jeder im Team die übergeordnete »Befehlsabsicht« erkennen kann – die hinter der Mission stehende Zielsetzung – und seine Rolle beim Erreichen des Missionserfolgs begreift. Befehle müssen »einfach, klar und präzise« erteilt werden. Der wahre Test dafür, ob Pläne und Befehle wirkungsvoll kommuniziert worden sind, ist ganz einfach: Das Team hat sie verstanden. Wenn die Teammitglieder sie verstehen, können sie sie umsetzen.

Das dritte Gesetz des Kampfes: Prioritäten setzen und ausführen. Wenn mehrere Probleme gleichzeitig auftreten (was häufig vorkommt), führt es zum Scheitern, zu viele davon auf einmal angehen zu wollen. Es ist unerlässlich, dass die Führungskräfte sich Abstand verschaffen – die Details aus einer übergeordneten Perspektive betrachten – und eine Einschätzung vornehmen, um die höchste Priorität für die strategische Mission zu bestimmen. Ist die Aufgabe mit der höchsten Priorität bestimmt, müssen die Führungskräfte diese Priorität dem Team klar vermitteln und sicherstellen, dass es sie umsetzt. Und dann die nächste. Schulungen und eine ordentliche Zufallsplanung sind von großem Nutzen, wenn es darum geht, Teams und Führungskräfte darauf vorzubereiten, unter Druck und in Echtzeit Prioritäten zu setzen und durchzuführen.

Das vierte Gesetz des Kampfes: Dezentrales Kommando. Ein einzelner Vorgesetzter kann sich nicht um alles kümmern oder jede Entscheidung treffen. Vielmehr muss Führung dezentralisiert werden, und Führungskräfte auf jeder Ebene müssen Entscheidungsbefugnisse haben, bis hin zu den Truppen an vorderster Front, die für nichts als sich selbst und ihren kleinen Anteil der Mission verantwortlich sind. Bei Dezentralem Kommando hat jeder eine Führungsfunktion. Damit jeder im Team zum Führen in der Lage ist, müssen die Teammitglieder nicht nur verstehen, was zu tun ist, sondern auch warum sie es tun. Das erfordert eine klare und häufige Kommunikation in beide Richtungen der Befehlskette – und was das Wichtigste ist: Vertrauen. Nachwuchsführungskräfte müssen darauf vertrauen können, dass sie die strategische Mission, die Befehlsabsicht ihres Vorgesetzten und die Parameter, innerhalb deren sie Entscheidungen treffen können, genau verstehen. Vorgesetzte auf den höheren Ebenen müssen sich darauf verlassen, dass ihre Gruppenleiter die richtigen Entscheidungen treffen, und sie dazu ermutigen. Das erfordert Schulung und regelmäßige Kommunikation, die mit der größtmöglichen Effektivität anzuwenden sind.

Es gab ein großes Problem bei dem Buch Extreme Ownership: den Titel. Zwar brachte er die wichtigsten im Buch diskutierten Führungsgrundlagen auf den Punkt, aber er war auch leicht irreführend. Extreme Ownership ist die Grundlage guter Führung. Aber Führung erfordert nur selten extreme Ideen oder Einstellungen. Genau genommen gilt das exakte Gegenteil: Führung erfordert eine Balance, einen Ausgleich der zwei Seiten der Führung. Dieses Konzept haben wir in Kapitel 12 von Extreme Ownership behandelt, »Disziplin gleich Freiheit – der Zwiespalt des Führens«. Wir konnten jedoch beobachten, dass viele der ungezählten Führungskräfte in Firmen, Teams und Organisationen sich bei der Umsetzung der von uns in dem Buch vermittelten Prinzipien damit schwertaten, das richtige Gleichgewicht zu finden. Dieses Problem stellt die größte Herausforderung dar, die wir bei unserer Schulung und Beratung von Hunderten Unternehmen und Tausenden Führungskräften während der letzten Jahre durch unsere Beratungsfirma Echelon Front beobachten konnten.

Im letzten Kapitel von Extreme Ownership heißt es:

Jede Führungskraft vollzieht eine Gratwanderung. (…) In der Führung [muss] das Gleichgewicht zwischen einander scheinbar widersprechenden Qualitäten gefunden werden, zwischen zwei Extremen. Die schlichte Erkenntnis dieser beiden widerstreitenden Kräfte ist eins der mächtigsten Werkzeuge, über die ein Führender verfügt. Vor diesem Wissenshintergrund kann er die gegensätzlichen Kräfte leichter ausbalancieren und mit maximaler Effektivität führen.

Jede Verhaltensweise oder Eigenheit einer Führungskraft kann über das Ziel hinausschießen. Führungskräfte können zu extrem werden und die notwendige Balance verlieren, um ein Team effektiv zu leiten. Wenn das Gleichgewicht verloren geht, leidet die Führung darunter und die Teamleistungen gehen rapide zurück.

Selbst die grundlegenden Prinzipien der Kampfführung mit Extreme Ownership können aus dem Gleichgewicht geraten. Ein Anführer kann es mit Deckung und Bewegung übertreiben und anderen Vorgesetzten, Abteilungen oder Divisionen auf die Füße treten. Ein Plan kann zu einfach sein und wahrscheinliche Eventualitäten nicht berücksichtigen. Ein Team kann in Sachen Prioritäten setzen und ausführen zu weit gehen, was zu einer Zielfixierung und dem Verlust der situationsbezogenen Aufmerksamkeit für neu auftauchende Probleme und Bedrohungen führt. Auch das Dezentrale Kommando kann übertrieben werden, wenn den untergeordneten Führungskräften zu viel Autonomie erteilt wird, die dann nicht vollständig begreifen, welches die strategischen Ziele sind und welche Maßnahmen sie zu ihrer Erreichung treffen müssen.

Und diese Idee lässt sich auf nahezu alles ausweiten, was ein Vorgesetzter tut. Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern nahe sein, aber nicht so nahe, dass es zum Problem wird. Sie müssen auf die Einhaltung der Disziplin achten, aber nicht tyrannisch werden. Ein Vorgesetzter kann sogar in Sachen Extreme Ownership zu extrem werden, wenn er so viel Verantwortung für alles in seiner Welt übernimmt, dass die Teammitglieder den Eindruck gewinnen, es falle gar nichts mehr in ihre Zuständigkeit. In solchen Fällen führen sie nur noch die genauen Anweisungen des Chefs aus, ohne selbst Verantwortung oder Engagement zu zeigen, und dabei entsteht ein Team, das viel weniger in der Lage ist, Hindernisse zu überwinden und die Mission zu erfüllen.

Eine ausgewogene Führung ist daher entscheidend für den Sieg. Sie muss jederzeit kontrolliert und an spezifische Situationen angepasst werden. Wenn zum Beispiel ein Teammitglied keine angemessene Leistung bringt, muss ein Vorgesetzter selbst Hand anlegen und sich mit ihm auseinandersetzen, bis es wieder korrekt arbeitet. Doch sobald das Teammitglied wieder in der Spur ist und eine effektive Performance aufweist, muss der Vorgesetzte in der Lage zu sein, sich zurückzuziehen und ihm den Raum zu lassen, um mehr Verantwortung zu übernehmen und Aufgaben selbstständig zu erfüllen.

Es ist nicht einfach, die konstanten Veränderungen, die ständigen Anpassungen und die häufigen Feineinstellungen vorzunehmen, die notwendig sind, um all die Widersprüche in jedem Spektrum von Führungseigenschaften im Gleichgewicht zu halten. Doch diese Fähigkeit ist essenziell für effektive Führung.

Wir beobachten dieses Bemühen fortwährend bei guten Führungskräften, die noch besser werden wollen. Das war es, was uns veranlasst hat, tiefer in das Konzept der zwei Seiten der Führung einzusteigen. Ziel dieses Buches ist es, Führungskräften bei diesem Bemühen zu helfen – um die Idee des Führens durch Extreme abzuschwächen und den Fokus auf die Balance zu legen –, indem wir Beispiele dafür präsentieren, wie man bei der Führung das richtige Gleichgewicht findet, sowohl in Teams unter Gleichgestellten als auch in beide Richtungen der Befehlskette. Jede gute Führungskraft muss die Fähigkeit entwickeln, zu erkennen, zu verstehen und die Balance herzustellen. Leicht ist das nicht, aber durch Wissen, diszipliniertes Üben und anhaltendes Bemühen kann jeder das Gleichgewicht zwischen den zwei Seiten der Führung finden. Wer das schafft, der dominiert sein Kampfgebiet und führt sein Team zum Sieg.


1 Mk48: Mark 48, ein mittleres Maschinengewehr im Kaliber 7,62 mm NATO speziell für die US-Navy-SEAL-Teams und der große Bruder des Mark 46, eines leichteren mittleren Maschinengewehrs mit dem kleineren Kaliber von 5,56 mm NATO.

2 IED: Akronym des amerikanischen Militärs für Improvised Explosive Device, das sind todbringende Straßenbomben, die von den Aufständischen als hauptsächliche und effektivste Waffe eingesetzt wurden.