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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Landkarte von Altra

Prolog Schatten

Kapitel 1 - Alia

Kapitel 2 - Alia

Kapitel 3 - Alia

Kapitel 4 - Myerta

Kapitel 5 - Alia

Kapitel 6 - Maryo

Kapitel 7 - Alia

Kapitel 8 - Alia

Kapitel 9 - Alia

Kapitel 10 - Alia

Kapitel 11 - Alia

Kapitel 12 - Alia

Kapitel 13 - Alia

Kapitel 14 - Lucja

Kapitel 15 - Alia

Kapitel 16 - Xenos

Kapitel 17 - Reyvan

Kapitel 18 - Schatten

Kapitel 19 - Alia

Kapitel 20 - Lucja

Kapitel 21 - Lucja

Kapitel 22 - Maryo

Kapitel 23 - Reyvan

Kapitel 24 - Reyvan

Kapitel 25 - Maryo

Kapitel 26 - Reyvan

Kapitel 27 - Reyvan

Kapitel 28 - Lucja

Kapitel 29 - Schatten

Kapitel 30 - Alia

Kapitel 31 - Schatten

Kapitel 32 - Schatten

Kapitel 33 - Maryo

Kapitel 34 - Lucja

Kapitel 35 - Alia

Kapitel 36 - Lucja

Kapitel 37 - Alia

Kapitel 38 - Lucja

Kapitel 39 - Lucja

Kapitel 40 - Reyvan

Kapitel 41 - Alia

Kapitel 42 - Lucja

Kapitel 43 - Alia

Kapitel 44 - Reyvan

Kapitel 45 - Alia

Kapitel 46 - Reyvan

Kapitel 47 - Alia

Kapitel 48 - Alia

Kapitel 49 - Maryo

Kapitel 50 - Schatten

Kapitel 51 - Reyvan

Kapitel 52 - Alia

Kapitel 53 - Reyvan

Kapitel 54 - Maryo

Epilog Alia

Schlusswort

Glossar

 

C. M. Spoerri

 

 

Alia

Band 5: Die Magier von Altra

 

 

Fantasy

Alia (Band 5): Die Magier von Altra

Die Erfüllung von Alias Schicksal steht kurz bevor. Doch wenn sie glaubte, dass sie damit an ihrem Ziel angekommen ist, hat sie sich getäuscht. Der sich anbahnende Umbruch ruft in den Rängen der Magier von Altra nicht nur Ränkeschmiede, sondern auch uralte Allianzen auf den Plan. Ist Alia stark genug, um sich all dem entgegenzustellen? Und welche Opfer muss sie bringen, damit sich die Prophezeiung erfüllt?

 

Die Autorin

C. M. Spoerri wurde 1983 geboren und lebt in der Schweiz. Sie studierte Psychologie und promovierte im Frühling 2013 in Klinischer Psychologie und Psychotherapie. Seit Ende 2014 hat sie sich jedoch voll und ganz dem Schreiben gewidmet. Ihre Fantasy-Jugendromane (›Alia-Saga‹, ›Greifen-Saga‹) wurden bereits tausendfach verkauft, zudem schreibt sie erfolgreich Liebesromane. Im Herbst 2015 gründete sie mit ihrem Mann den Sternensand Verlag.

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

info@sternensand-verlag.ch

 

1. Auflage, Februar 2020

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

Korrektorat 2: Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-088-1

ISBN (epub): 978-3-03896-099-7

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für meine Leser.

Danke für eure Unterstützung

und eure Liebe zu dieser Geschichte.

 

Landkarte von Altra

 

Prolog Schatten

 

Ein Assassine der Schattengilde von Karinth zu sein, bedeutet vor allem drei Dinge: keine Fragen, kein Aufsehen, kein Gewissen. Dinge, die ich durch jahrzehntelanges Training verinnerlicht habe. Und doch … fehlt etwas. Ich kann nicht genau benennen, was es ist, aber in den vergangenen Jahren hat es mir immer weniger Erfüllung gebracht, meinen Beruf auszuüben. Erfüllung. Ein Wort, das es im Leben eines Schattens eigentlich nicht geben darf. Und dennoch hat es mich dazu gebracht, einen womöglich tödlichen Entschluss zu fassen: die Schattengilde zu verlassen.

Ich blicke über die sandige Landschaft von Südkarinth ins Tal, wo noch das Zelt meines Opfers steht und von den letzten Strahlen der blutroten Sonne, die langsam über dem Horizont untergeht, beschienen wird.

Blut … es hat an meinen Klingen geklebt, als ich vor wenigen Minuten zum unzähligen Mal eine Kehle durchgeschnitten habe. Es ging schnell, denn das Opfer hat nichts ahnend bereits geschlafen. War wahrscheinlich müde vom langen Ritt durch die Desora-Wüste.

Ich nehme die Augenbinde ab, die ich tagsüber trage, um mich vor zu hellem Licht zu schützen, und verstaue sie in meiner Lederweste. Mein Blick gleitet zur untergehenden Sonne, und trotz der jahrhundertelangen Schulung brennt das verblassende Licht noch immer in meinen Augen, wenn ich zu direkt hinsehe. Das liegt daran, dass Dunkelelfen – wie ich einer bin – von Natur aus dafür geschaffen sind, in der Nacht oder unter der Erde zu leben. Tageslicht schmerzt in unseren roten Augen.

Eigentlich ist die Nacht mein Verbündeter und eigentlich hätte ich bis zur Dämmerung warten sollen. Denn neben der Tatsache, dass meine Augen empfindlich auf Tageslicht reagieren, lassen sich meine spitzen Ohren und die dunkle, vernarbte Haut nur schwer verbergen, sodass ich mir angewöhnt habe, erst nach Einbruch der Dämmerung nach draußen zu gehen. Das für Dunkelelfen übliche weiße Haar färbe ich schwarz, damit ich in den Schatten der Nacht weniger auffalle. Zudem ist meine Erscheinung zwielichtig mit der Narbe, die sich quer über mein Gesicht zieht.

Ich wollte diesen Auftrag einfach nur hinter mich bringen und als ich sah, dass das Opfer allein war, habe ich zugeschlagen.

Diese Ungeduld … so kenne ich mich nicht.

Aus Gewohnheit greife ich an meinen Gürtel, wo ich normalerweise ein Fläschchen mit Umbrium, wie die Schattenessenz genannt wird, trage. Doch seit einigen Tagen ist das nicht mehr der Fall und meine Hände greifen ins Leere. Früher habe ich mir nach einem erfolgreich beendeten Auftrag immer einen Schluck gegönnt, habe die Schattenkraft durch meine Adern rauschen gespürt und mir einen kurzen Moment erlaubt, es zu genießen. Nun aber starre ich mit leerem Blick auf das Zelt und weiß nicht genau, was ich tun soll.

Ist die Ungeduld, die ich vor dem Auftrag verspürt habe, darauf zurückzuführen? Dass ich die Essenz nicht mehr nehme?

Ich will davon loskommen, denn ich habe schon viel zu lange in Abhängigkeit von dieser bereichernden und gleichzeitig süchtig machenden Essenz gelebt.

Bereichernd ist sie, weil sie mir zu den besonderen Fähigkeiten verhilft, die nur Schatten besitzen und die es mir ermöglichen, meine Aufträge erfolgreich auszuführen. Doch jeder Schatten wird mit der Zeit davon abhängig und irgendwann konnte ich nicht mehr ohne sie leben.

Wir Assassinen erhalten die Essenz von dem Moment an, in dem wir in die Gilde aufgenommen werden. Die Ältesten kontrollieren die Abgabe akribisch und durch die damit verbundene Sucht auch die Mitglieder. Woher die Schattenessenz kommt, bleibt ein Geheimnis, das nur den Schattenältesten bekannt ist. Einige munkeln, sie stamme aus der Todeszone, wie die todbringende Ebene hinter der Desora-Wüste genannt wird. Wieder andere behaupten, der Totengott persönlich hätte sie der Gilde geschenkt, zum Dank, weil sie ihm so viele Seelen bringt.

Ich erhebe mich und schüttle den Kopf, als wollte ich eine Fliege loswerden. Dann gehe ich zu meinem Reittier und verspüre erneut einen Stich, als ich es ansehe. Es ist nicht mein Reittier. Es ist nicht Edalon, mein Schattenpferd, das ich noch vor einigen Monaten hatte. Bis zu dieser Prüfung, die mich brach. Die mir aufzeigte, dass ich dieses Leben nicht mehr weiterführen kann. Dass es Grenzen gibt, die nicht einmal ich überwinden kann. Und Taten, die mich schwach werden lassen … die mich innerlich zerstören.

Die Prüfung war härter als alles, was ich bis dahin hatte überstehen müssen.

Weder das Jahr in meiner Schattenausbildung, in dem ich nur Blut trinken durfte, um mich an den Geschmack zu gewöhnen und um meine Blutrünstigkeit zu schüren, noch das Jahr, als ich mit einer Tinktur blind gemacht worden bin, um meine anderen Sinne zu schärfen, waren so schlimm wie diese Prüfung, die mich in der Ältestennachfolge ein Stück nach vorne bringen sollte.

Von dem Augenblick an, als ich den Entschluss gefasst habe, die Gilde zu verlassen, war mir klar, dass ich dies nur zu bewältigen vermag, wenn ich das Umbrium absetze. Und dies muss geschehen, bevor ich aus der Gilde austrete, ansonsten hätte ich keinerlei Möglichkeit mehr, zu fliehen und unterzutauchen – denn die Entzugserscheinungen würden mich immer wieder zur Gilde zurücktreiben und ich wäre nicht klar genug im Kopf, um mich zu tarnen.

Verdammtes Umbrium …

Diese Schattenessenz hat mich über all die Zeit verändert, kalt und hartherzig werden lassen – mich zu einem brutalen, gewissenlosen Mörder gemacht … das ist mir nur allzu bewusst.

Wieder blitzen in mir die Bilder auf, die mich seit Monaten in meinen dunkelsten Stunden heimsuchen und die ich in den entlegensten Winkel meiner Gedanken verscheuche, wann immer sie in mir ein Gefühl hervorzurufen drohen, das kein Schatten haben sollte: Reue.

Kapitel 1 - Alia

 

Es ist bereits Abend, als die Lichter von Merita unter uns erscheinen. Mein Herz hämmert wie wild, während ich die Stadt zum ersten Mal erblicke. Sie ist mindestens so groß wie Lormir und Chakas zusammen und liegt direkt am Meer in einer Landzunge.

Hier also ist meine Mutter aufgewachsen. Das wäre meine Heimat geworden, hätten sie und mein Vater nicht vor Lesath fliehen müssen. Es ist ein eigenartiges Gefühl, das mich mit Wehmut und Trauer, aber auch mit Aufregung, Neugier und Freude erfüllt.

Endlich bin ich da, wo alles begonnen hat. Das hier ist das Ziel der langen Reise, die mich quer durch Altra führte. Wenn alles gut geht, werde ich vielleicht morgen schon meinem Großvater gegenüberstehen … ein komischer Gedanke, der mich mit Angst erfüllt.

Werde ich wirklich bereit sein für das, was von mir erwartet wird? Denn ich fühle mich ganz und gar nicht so …

Ein leichter Wind weht und es ist schwülwarm, obwohl die Sonne bereits untergegangen ist und die Sterne ihren Platz am Himmel eingenommen haben. Ein wenig erinnert es mich an das Klima in Chakas, auch wenn es dort trockener ist als hier und der Meereswind zumindest ein bisschen für Abkühlung sorgt. In Merita jedoch vermag er nicht, die Wärme des Tages zu verdrängen.

Als ich mit der Hand über meinen Unterarm fahre, ist die Haut nass von der Feuchtigkeit der Luft.

Rasch steige ich von Sonnenauge, nachdem dieser auf einer Klippe, etwa eine halbe Wegstunde östlich der Stadt, gelandet ist. Wir haben beschlossen, dass die Greife und Ksoras Tarnkatze Belua vor Merita auf uns warten sollen, jedoch nicht zu weit weg, sodass wir sie rufen können, falls wir in Schwierigkeiten sind.

Ohnehin wollten sich Maryo und Reyvan zunächst in der Gegend umsehen. Zaron wird sich in die Stadt begeben und versuchen, in Erfahrung zu bringen, ob Lesath bereits vorgewarnt wurde. Die beiden Elfen werden inzwischen den Strand und die Klippen absuchen, um nach einer geeigneten Stelle oder einem Geheimgang Ausschau zu halten, damit wir auf die Insel gelangen können, die schwarz gegen den Sternenhimmel auszumachen ist. Dort liegt der Zirkel von Merita, wo mein Großvater Lesath über das gesamte Land herrscht.

Ich schaudere, als ich den Blick über das Wasser zu den dunklen Umrissen schweifen lasse. Die Insel ist nicht groß, aber bietet genug Platz für die gewaltigen Mauern, mit denen die Elementzirkel von fremden Blicken abgeschirmt sind.

Maryo ist sich sicher, dass es einen unterirdischen Gang dorthin geben muss, der unter dem Meer zur Insel führt. Und ebendiesen Gang werden die beiden Elfen nun suchen, damit wir in den Zirkel gelangen können.

Ihre beiden Gestalten verschwinden lautlos zwischen den kantigen Felsen.

»Ich bin bald wieder hier«, sagt Zaron, als er sich ebenfalls von mir verabschiedet. Er legt mir eine Hand an die Wange und streicht mit dem Daumen zärtlich darüber, während er mich ansieht. »Sorge dafür, dass die anderen in der Zwischenzeit keine Dummheiten anstellen. Wir dürfen nicht auffallen. Am besten sucht ihr euch zwischen den Felsen einen Unterschlupf. Ich werde euch schon finden.«

Ich nicke, unfähig, ihm zu antworten. Angst kriecht in mir hoch wie jedes Mal, wenn er allein in eine Stadt aufbricht.

»Keine Sorge«, murmelt er und neigt sich zu mir herunter, um mir einen Kuss auf die Lippen zu drücken. »Bis später.«

Ich sehe ihm nach, wie er zur Hauptstraße geht, die einige Hundert Schritt von uns entfernt ist, und dann in der Dunkelheit Richtung Merita verschwindet.

»Komm, Sonnenschein.« Ogrem tritt neben mich und berührt meinen Arm. »Wir suchen uns ein nettes Plätzchen zum Däumchendrehen.«

Dem Zwerg scheint es ebenso wenig wie mir zu passen, untätig herumzusitzen. Aber Reyvan und Maryo sind die Einzigen in unserer Gruppe, die bei dieser Dunkelheit kein Wagnis eingehen, wenn sie über die schwarzen Klippen klettern. Und Zaron ist am meisten darin geübt, unauffällig Informationen zu beschaffen.

Das sehe ich ja alles ein … trotzdem habe ich ein mulmiges Gefühl dabei, dass wir uns trennen. So viel hängt von dieser Mission ab und falls jemandem von ihnen etwas geschieht, könnte ich mir das nie verzeihen. Jeder von ihnen ist nur meinetwegen hier – um mich in der Erfüllung der Prophezeiung zu unterstützen. Und ich habe in den vergangenen Monaten jeden Einzelnen von ihnen in mein Herz geschlossen.

Seufzend verabschiede ich mich von meinem Greif Sonnenauge, der mir einen langen Blick aus seinen Adleraugen zuwirft. Er sendet mir ein Bild von einem ausgewachsenen Bären. Ich verstehe, dass er mir damit sagen will, ich soll stark sein und mich zusammenreißen.

Lächelnd umarme ich seinen gefiederten Hals und drücke ihm einen Kuss auf den Schnabel. Er reibt seinen Kopf an meiner Schulter, ehe er mit den anderen in die Lüfte steigt. Sie werden die Küste entlang nach Norden fliegen, um einen Platz zu suchen, wo sie möglichst unauffällig warten können. Das hat Cilian zumindest seinem Greif Mondsichel geraten.

Vor morgen früh werden wir ohnehin nichts bewirken können. Die Nacht ist bereits zu weit fortgeschritten, um jetzt noch daran zu denken, Lesath gegenüberzutreten, und wir sollten ausgeruht in den Kampf ziehen … sollte es denn überhaupt einen geben. Keiner von uns weiß, was uns bevorsteht.

Ich folge Ogrem zu den anderen, die nach einer geeigneten Stelle suchen, um zwischen die Klippen zu steigen und einen Rastplatz zu finden.

Bald entdecken wir eine einfache Passage, die uns an den Strand hinunterführt, und schlagen unser Lager zwischen einigen Felsen auf. Auf ein Feuer verzichten wir in dieser Nacht, die Magier auf der Insel könnten es sehen und jemanden schicken, der nach dem Rechten sieht. Ich bezweifle, dass hier jede Nacht jemand am Strand sein Lager aufschlägt, da man in nur einer halben Stunde in der Stadt sein könnte.

Also gibt es heute Trockenfleisch zu essen, was mir recht ist, denn bei der Hitze würde ich ohnehin kein warmes Fleisch hinunterbringen. Ich kühle meinen Körper mit Magie und starre in den Sternenhimmel über uns.

Es ist eine klare Nacht, der Mond scheint genügend hell, um unsere Umgebung in ein fahles Licht zu tauchen. Mein Blick gleitet zu der schwarzen Wasserfläche, deren Wellen sanft den Strand streicheln. Ihr Rauschen verschluckt fast alle sonstigen Geräusche.

Die anderen sprechen nicht viel und das ist mir im Moment mehr als willkommen. Morgen um diese Zeit bin ich vielleicht bereits im Zirkel und stehe Lesath gegenüber. Und dann? Wie soll ich mich gegen ihn durchsetzen? Welche Rolle spielt das Auge des Drachen? Wie kann ich mein Kind vor Lesaths Magie schützen?

Ich lasse meine Magie in mich fließen und spüre augenblicklich das kleine Leben in mir, das mich mit warmer Energie begrüßt. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus, ohne dass ich es will.

Zaron ist sich sicher, dass es sich um ein Mädchen handelt. Wie es wohl aussehen wird? Wird es Ähnlichkeit mit ihm haben? Oder mit mir? Welches Element wird es in sich tragen? Wie wird seine Stimme klingen?

Meine kleine Tochter ist es, die mir in diesem Moment Kraft und Zuversicht gibt. Für sie werde ich mein Schicksal meistern. Für sie und die gemeinsame Zukunft mit Zaron. Unserer Familie.

Ich berühre gedankenverloren das Auge des Drachen, das ich in meinem Rucksack aufbewahre. Es fühlt sich kühl und fest an.

Was es damit wohl auf sich haben wird? Alandril wollte mir bis jetzt nichts Genaueres darüber sagen und vom Hohen Drachen weiß ich nur, dass ich es dann erfahren werde, wenn es an der Zeit ist … also wohl spätestens morgen.

Als ich aufsehe, bemerke ich, dass der Feuerdrache, der sich wieder in seine rot glühende Menschengestalt verwandelt hat, mich schweigend beobachtet. Nicht zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass er mir etwas verheimlicht. Etwas, das mit dem Stein im Zusammenhang steht. Doch jedes Mal, wenn ich versucht habe, ihn auszufragen, ist er mir ausgewichen oder hat einfach keine Antwort gegeben. Daher habe ich es aufgegeben, von ihm Informationen bekommen zu wollen.

Behutsam hole ich den Stein aus dem Rucksack und wiege ihn in den Händen. Die schwarze Oberfläche reflektiert weder das Licht des Mondes noch das der Sterne. Ich drehe ihn vorsichtig hin und her und spüre die Kraft, die ihm innewohnt. Es wirkt beinahe, als wollte sie sich mit meiner Magie verbinden, und ehe ich michs versehe, wird es mit einem Mal dunkel um mich. Ich keuche unvermittelt auf.

Wie am Tag zuvor wird mein Geist mit Bildern und Gefühlen überflutet. Dunkelheit, Schatten, Nebel, graue Gestalten, Trauer, Schmerz und Angst – Todesangst – prasseln auf mich nieder.

Ich versuche zu schreien, will mich von den Bildern befreien, die mir die Sinne zu rauben drohen. Aber es nützt nichts. Dieses Mal ist Zaron nicht da, um mich zurückzuholen, und ich bin hilflos den Empfindungen ausgeliefert. Obwohl sich alles in mir aufbäumt, bleibt mein Mund geschlossen und ich habe keine Möglichkeit, der Bilderflut zu entrinnen.

Plötzlich erscheint ein gleißendes Licht, dann ist alles wieder dunkel.

Ich stöhne und blinzle, während ich bemerke, dass ich im Sand liege und der Stein mir aus den Händen gerollt ist. Als ich den Kopf drehe, hebt Cilian ihn gerade auf.

Verwirrt starre ich meinen Cousin an, während er zu mir kommt.

Er bleibt neben mir stehen und sieht besorgt auf mich herunter. Dann streckt er eine Hand aus und hilft mir, aufzustehen. »Alia, was ist passiert?«, fragt er leise. »Du hast gekeucht und den Stein von dir weggeworfen.«

»Keine Ahnung.« Ich starre auf das Artefakt, das Cilian wieder in meinem Rucksack verstaut. »Da waren Bilder. Ich hatte das schon einmal.«

»Was für Bilder?« Er setzt sich neben mich und stützt seinen Arm auf dem Knie ab. »Geht es dir gut?«

»Ja, jetzt geht es wieder.« Ich spüre, dass ich dennoch am ganzen Körper zittere.

»Was ist los?«, fragt Ogrem.

Ich wende mich dem Zwerg zu und zucke mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich hatte eine Art Vision.«

»Böses Omen?« Ksora hockt sich neben Cilian und beobachtet mich mit glitzernden Katzenaugen.

Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich habe Dunkelheit und Schatten gesehen. Gespenstischen Nebel, unheimliche Gestalten.« Von der Todesangst, die ich abermals gefühlt habe, erzähle ich nichts. Warum, weiß ich nicht genau, aber ich habe das Gefühl, dass es meine Gefährten nur unnötig beunruhigen würde.

»Das klingt nicht gut«, bemerkt Lock, der ebenfalls zugehört hat.

Ihr habt die Kraft des Steins gefühlt‹, erklingt Alandrils Stimme in meinem Kopf.

»Und was bedeutet das?« Ich wende mich dem Drachen zu, der in unveränderter Position dasitzt und mich immer noch beobachtet.

Er hat zu allen gesprochen, denn meine Gefährten sehen ihn ebenfalls neugierig an.

Dass er bereit ist, zu erwachen. Sein Schicksal zu erfüllen.

Ich runzle verwirrt die Stirn. »Welches Schicksal?«

Erst wenn es so weit ist, werdet Ihr es wissen.

»Was ist das für ein Humbug?!«, poltert Ogrem und schlägt mit der Faust in die offene Hand, dass es laut klatscht. »Könnt Ihr verdammten Drachen mal aufhören, in Rätseln zu sprechen?!«

Beleidigt mich nie wieder, Zwerg.‹ Alandrils Stimme klingt zwar ruhig, aber seine Augen flammen wie hellstes Feuer. ›Ihr werdet Euch in Geduld üben müssen.

»Da kommen Maryo und Reyvan«, unterbricht Lock den Streit und wir wenden uns dem Strand zu.

Die Umrisse der beiden Elfen erkenne ich von Weitem. Reyvan ist ein wenig kleiner und schlanker als Maryo, aber beide bewegen sich mit einer Anmut, die sofort zeigt, dass sie keine Menschen sein können. Selbst Maryos schwankender Matrosengang tut dem keinen Abbruch.

»Gute Neuigkeiten«, ruft Maryo uns zu, noch bevor er beim Lager angelangt ist. »Wir haben einen Gang entdeckt und er scheint tatsächlich unter dem Meer in Richtung Zirkel zu führen.« Er bleibt stehen und sieht uns mit zusammengezogenen Augenbrauen an. »Was ist denn hier los?«

»Alia hatte eine Art Vision«, erklärt Cilian, ehe ich antworten kann.

»Eine Vision?« Reyvan verschränkt die Arme vor der Brust. Sein Blick droht mich zu durchbohren, aber ich bemerke vor allem Sorge darin. »Erzähl.«

»Nichts Konkretes«, wiegle ich ab, um seine Besorgnis nicht noch weiter zu schüren. »Ich habe offenbar die Kraft des Steines gefühlt. Habe dunkle Schatten, Nebel und so gesehen.«

»Und so …«, wiederholt Reyvan gedehnt. Zwar erkenne ich seine Gesichtszüge im Halbdunkeln nicht richtig, aber ich kann mir vorstellen, dass er gerade eine Augenbraue hebt. ›Alia, erzähl mir die Wahrheit‹, tönt seine Stimme in meinen Gedanken.

Ich wende den Blick ab und unterbreche damit unsere Gedankenverbindung. Ich will nicht, dass er oder die anderen sich unnötig sorgen. Zu viel steht morgen auf dem Spiel, als dass wir eine beängstigende Vision gebrauchen könnten. Es reicht, wenn ich dadurch beunruhigt bin.

Aber wenn ich gedacht hatte, dass Reyvan lockerlässt, habe ich mich getäuscht. Er setzt sich kurzerhand neben mich und wartet, bis sich die anderen allesamt Maryo zugewandt haben, der auf Alandrils Nachfragen hin ausführlich von dem Gang erzählt und wo genau der Eingang ist. Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Drache die anderen aus Absicht ablenkt, damit sich Reyvan in Ruhe mit mir unterhalten kann.

Der Elf zögert keine Sekunde, ergreift meine Hand und zwingt mich, ihn anzusehen, indem er die andere an meine Wange legt. ›Alia, wenn du es mir nicht freiwillig erzählst, werde ich nicht davor zurückschrecken, deine Gedanken zu lesen‹, sagt er ernst.

Es war nichts‹, versuche ich mich herauszuwinden.

Für nichts bist du aber viel zu bleich.

Verdammt, warum müssen Elfen in der Dunkelheit bloß so gut sehen?

Natürlich hört er diesen Gedanken, denn ich sehe ihn dabei immer noch an. Ich vermeine, ein Lächeln auf seinen Zügen zu erkennen.

Alia.‹ Seine Stimme klingt jetzt weicher und er lässt meine Wange los. ›Du brauchst mich nicht zu schonen. Ich werde es ohnehin erfahren, ob du willst oder nicht.

Entnervt verdrehe ich die Augen und entziehe ihm die Hand, um damit durch mein Haar zu fahren. Ich fühle mich in die Enge getrieben, da ich weiß, dass Reyvan nicht lockerlassen wird, bis ich ihm alles erzählt habe.

Also gut.‹ Ich wische mit beiden Händen über mein Gesicht und hole tief Luft, ehe ich mich ihm wieder zuwende. ›Ich hatte diese Vision schon einmal. Zaron weiß davon, es war gestern. Damals und auch heute habe ich Todesangst erlebt. Und da war ein helles Licht, das am Schluss aufgeleuchtet hat. Dann war alles vorbei.

Du hattest Todesangst?‹ Reyvans Augen weiten sich ein wenig, sodass ich das Weiße darin erkenne.

Ich nicke kaum merklich. ›Ja. Aber ich will nicht, dass die anderen dadurch beunruhigt werden. Alandril meinte, ich hätte die Kräfte des Steines gespürt. Aber da war noch mehr. So als ob mich der Stein warnen wollte.

Dass wir bei der ganzen Sache sterben könnten, ist nichts Neues‹, bemerkt Reyvan trocken. ›Aber diese Angst scheint mir nicht daher zu rühren. Sondern eher davon, dass du befürchtest, etwas verlieren zu können, was dich noch schlimmer treffen würde, als wenn du dein eigenes Leben verlierst.

Ich nestle an meinem Oberteil herum, da ich meine Hände irgendwie beschäftigen muss. ›Genau so. So hat es sich angefühlt …

Reyvan nickt, sagt aber nichts mehr, sondern starrt hinüber zu der Insel. Nach einer Weile dreht er sich zu mir um. ›Wir können immer noch umkehren, wenn es das ist, was du möchtest‹, meint er sanft.

Ich schüttle entschieden den Kopf. ›Nein. Das können wir nicht … zu viel ist bereits passiert. Allein schon Duhr und Delaila gegenüber sind wir verpflichtet, das hier durchzuziehen.

Ein Lächeln gleitet über seine Züge. ›Genau dafür liebe ich dich, Alia.‹ Er beugt sich vor und haucht mir, ehe ich michs versehe, einen Kuss auf die Wange, direkt neben meinen Mundwinkel.

Seine Lippen berühren für den Bruchteil einer Sekunde die meinen, aber es fühlt sich an, als hätte er mich verbrannt.

»Rey«, flüstere ich und werfe einen Blick zu den anderen, die immer noch gebannt Maryos Erzählungen lauschen. Keiner hat zum Glück den Kuss bemerkt. »Tu das bitte nie wieder …«

»Warum?« Auch er hat die Stimme gesenkt, damit die anderen uns nicht hören. »Ich weiß, dass du mich noch liebst, und morgen …«

»Ja«, unterbreche ich ihn und nehme all meinen Mut zusammen, um endgültig für Klarheit zwischen uns zu sorgen. Auch wenn es ihm wehtun wird. »Aber … Zaron und ich … wir wollen heiraten, wenn all das vorbei ist.«

Reyvan sieht mich an, als hätte ich ihn mitten ins Gesicht geschlagen. »Wann …« Er räuspert sich und hat sichtlich Mühe, Herr seiner Stimme zu bleiben. »Wann hattest du vor, mir das zu sagen?«

»Ich bin dir nicht verpflichtet.« Ärger breitet sich in meinem Bauch aus. »Du bist selbst verheiratet, schon vergessen?«

»Wie könnte ich?« Er steht auf und zwingt sich sichtlich dazu, ruhig zu atmen. »Das habe ich doch vor allem für dich getan!« Damit dreht er sich auf dem Absatz um und geht schnellen Schrittes davon, den Strand entlang.

Ich starre ihm hinterher, unschlüssig, ob ich ihm folgen soll oder nicht.

Ich weiß, dass er die Entscheidung, die Tochter der Königin von Westend zu heiraten, in erster Linie deswegen getroffen hat, damit sich meine Prophezeiung erfüllt, und erst in zweiter Linie aus Liebe und Verpflichtung gegenüber seinem Volk. Aber bisher hat er mir dies noch nie vorgeworfen.

Ich schelte mich, dass ich ihm die Neuigkeit über Zaron und mich nicht schonender beigebracht habe. Zum Glück habe ich ihm nichts von unserem Kind erzählt, das hätte er wahrscheinlich nicht ertragen.

Warum war ich nicht feinfühliger?

Nun ja, er hat mich überrumpelt und diese Gefühle in mir geweckt, die ich jeden Tag aufs Neue verdränge. Die ich nicht haben sollte, da ich Zaron über alles liebe. Und trotzdem … der flüchtige Kuss von vorhin brennt immer noch auf meinem Mundwinkel.

Meine Güte, dabei habe ich doch gar keine Zeit, mich zusätzlich mit einem Gefühlschaos herumzuschlagen! Morgen werde ich gegen Lesath – meinen Großvater! – antreten. Dafür brauche ich all meine Konzentration und kann es mir nicht leisten, von irgendwelchen Herzensangelegenheiten abgelenkt zu werden!

Reiß dich zusammen, Alia!‹, ermahne ich mich und atme tief durch.

In dem Moment sehe ich eine hohe Gestalt den Strand entlangkommen. Ich erkenne sofort an den Bewegungen, dass es Zaron ist, und springe auf, um ihm entgegenzulaufen.

Als ich bei ihm ankomme, umarme ich ihn so stürmisch, dass er einen Moment ins Straucheln gerät.

»Na, so lange war ich nun auch wieder nicht weg«, meint er schmunzelnd, als er mich ein wenig von sich wegschiebt. »Alles klar hier?«

Ich nicke und gebe ihm rasch einen Kuss, um Reyvans Lippen zu vergessen. Dabei fühle ich mich elend und gemein.

Zaron scheint zum Glück nichts davon zu merken. »Komm«, sagt er und nimmt mich bei der Hand. »Ich habe einige Neuigkeiten, die euch interessieren werden.«

Ich versuche, mein Herz zu beruhigen. Es gehört zu ihm. Zu Zaron. Und er gibt mir die notwendige Sicherheit, die ich für morgen brauche.

Als wir bei den anderen ankommen, bemerke ich, dass Reyvan wieder zurückgekehrt ist. Er sieht weder Zaron noch mich an, was mir allerdings mehr als recht ist.

»Und, Schwarzmagier, was hast du herausgefunden?«, fragt Maryo.

Zaron setzt sich hin und lässt dabei meine Hand los. »Wir müssen schnell handeln, uns bleibt wenig Zeit. Der Zirkel ist seit zwei Tagen im Ausnahmezustand.« Ich schnappe unwillkürlich nach Luft, während er fortfährt: »Die Bewohner der Stadt sprechen davon, dass Lesath dem Wahnsinn verfallen sei. Viele der Magier haben den Zirkel fluchtartig verlassen, selbst die Lehrlinge und Diener. Man sagt, es sei dort nicht mehr sicher, da Lesath die schlimmsten Wesen aus der Unterwelt beschworen hat, aber keiner getraut sich, sich gegen ihn zu erheben, er ist viel zu mächtig und trägt sein Amulett nicht mehr. Jeder, der in die Nähe des Zirkels kommt, ist seiner schwarzen Magie schutzlos ausgeliefert.«

Ich starre ihn mit offenem Mund an.

»Hm, interessante Wendung«, murmelt Maryo und fährt sich mit einem Finger über das Kinn. »Was gibt es sonst noch, was wir wissen sollten?«

Zaron schnaubt leise. »Er scheint zu wissen, dass das Auge des Drachen gestohlen wurde. Zumindest habe ich mir das aus einigen Aussagen zusammengereimt. Ein paar Bewohner haben nämlich beobachtet, wie ein Eilbote aus dem Norden in die Stadt kam und dringend eine Überfahrt in den Zirkel wollte. Wie er uns überholen konnte, ist mir schleierhaft, aber er ist vor zwei Tagen dort angekommen. Es gehen Gerüchte um, dass er unterwegs zwanzig Pferde zuschanden geritten hat. Jedenfalls war das der Auslöser der plötzlichen Flucht der Magier aus dem Zirkel. Denn kurz nach dessen Ankunft muss Lesath mit einer Verteidigungsstrategie begonnen haben – ohne Rücksicht auf die anderen Magier.«

Maryo nickt bedächtig. »Also müssen wir davon ausgehen, dass Lesath vorgewarnt ist.«

»Meinst du, er weiß, dass es seine Enkelin ist, die ihn herausfordert?«, fragt Cilian.

»Möglich.« Zaron zuckt mit den Schultern. »Vielleicht geht er auch einfach davon aus, dass jemand ihm die Macht streitig machen will. So oder so, er muss mächtige Angst vor dem Auge des Drachen haben.«

Das sollte er auch‹, hören wir Alandrils Stimme. ›Das Auge kann seinen schwarzen Kräften ein Ende setzen und damit verliert er seine Macht.

»Schon wieder solche Andeutungen«, knurrt Ogrem und wirft dem Feuerdrachen einen bösen Blick zu.

»Was meinst du damit?« Zaron sieht den Zwerg mit schmalen Augen an.

»Ach, deine Geliebte hatte wieder mal eine Vision«, kommt ihm Maryo zuvor und deutet auf mich.

Zarons Blick gleitet zu mir und bleibt prüfend an meinen Augen hängen. »Dieselbe?«, fragt er leise.

Ich nicke und senke den Blick. Ich habe keine Lust, schon wieder darüber zu sprechen. Zumal ich mir Reyvans Gegenwart mehr als bewusst bin.

Zaron versteht zum Glück, dass ich jetzt nicht reden will, und wendet sich an Reyvan und Maryo. »Was habt ihr herausgefunden?«

»Wir haben einen Gang entdeckt, der mit großer Sicherheit zur Insel führt«, antwortet der Elfenkapitän. »Aber wir haben morgen noch Zeit, uns gründlich zu beratschlagen. Ich schlage vor, dass wir uns jetzt alle mal aufs Ohr hauen.«

»Da bin ich dabei«, brummt Ogrem und breitet seine Decke auf dem Sand aus.

Ich suche mir ebenfalls eine geeignete Stelle zwischen den Felsen.

Zaron legt sich neben mich und ich spüre seinen Körper dicht an meinem. Eigentlich sollte mir das ein Gefühl von Geborgenheit geben, wie immer. Aber das tut es nicht, ich kann nicht einschlafen und wälze mich unruhig hin und her.

»Alia.« Zarons Stimme ist so leise, dass ich ihn kaum verstehe.

Ich drehe mich zu ihm, um ihm in die Augen zu sehen, obwohl ich im fahlen Sternenlicht gerade mal seine Umrisse erkenne. »Kannst du auch nicht schlafen?«, frage ich ihn.

Er schüttelt leicht den Kopf. »Ab morgen wird sich vieles verändern.« Er fährt mit der Hand sanft über meinen Bauch.

Ich zucke unter der Berührung unwillkürlich zusammen. »Wie meinst du das?«

Sein Gesicht ist mir zugewandt und ich wünschte, ich könnte jetzt seine Augen richtig erkennen, während er weiterredet. »Ich verspreche dir, dass ich alles dafür tun werde, damit unsere Tochter in einer besseren Zukunft aufwachsen kann.«

»Zaron, du machst mir Angst.« Ich halte seine Hand fest. »Was willst du damit andeuten? Hat es etwas damit zu tun, was Alandril dir erzählte?«

Der Drache hat ihm irgendetwas unter vier Augen mitgeteilt und Zaron hat es bisher für sich behalten.

»Ich kann es dir noch nicht sagen.« Er drückt mir einen Kuss auf die Wange. »Du musst darauf vertrauen, dass alles gut werden wird.«

»Verdammt, hör auf, mich zu bevormunden, ich bin kein kleines Kind mehr.« Ich spüre Ärger in mir, der sich mit der Angst und Anspannung vermischt. »Sag mir endlich, was Alandril dir erzählt hat, oder ich lese deine Gedanken!«

Ich erkenne, wie Zaron die Stirn in Falten legt. »Hab Vertrauen in die Prophezeiung«, erwidert er nur.

Ich bin nahe dran, wirklich gegen seinen Willen seine Gedanken zu lesen, kann mich aber gerade noch beherrschen.

Warum fühlt es sich so an, als würde er sich von mir verabschieden?

Doch er sagt kein weiteres Wort mehr, sosehr ich auch auf ihn einrede.

Schließlich gebe ich auf und starre in den Sternenhimmel. Es ist eine laue Nacht, und wenn sich morgen nicht mein ganzes Leben verändern würde, könnte ich hier fast so etwas wie Frieden finden.

Aber das tue ich nicht. Im Gegenteil, ich kann nicht einschlafen. Zu sehr beschäftigen mich die Gedanken, was der morgige Tag alles bringen wird und was Zarons und Alandrils Andeutungen bedeuten. So oder so, es ist der letzte Abend, die letzte Nacht, die wir alle gemeinsam verbringen werden.

In meinem Kopf hallt die Erinnerung an die Todesangst wider, die ich gefühlt habe, und ich schicke ein Stoßgebet zu den Göttern, dass das, was auch immer sie auslöst, nicht eintreffen wird.

Außerdem versuche ich mit aller Macht, die Gedanken an Reyvan und den flüchtigen Kuss zu verdrängen, die sich immer wieder in meinen Kopf schleichen.

Kapitel 2 - Alia

 

Nachdem wir uns im Morgengrauen gründlich beratschlagt haben, brechen wir auf, um den Tunnel zu untersuchen, den Maryo und Reyvan am Tag zuvor gefunden haben. Er befindet sich gut versteckt in einer Felsspalte. Zunächst wollen wir die beiden Elfen allein vorausschicken, um den Gang auszukundschaften. Da uns die Zeit jedoch davonrennt, entscheiden wir uns schlussendlich, gemeinsam hineinzugehen. Jede Sekunde zählt jetzt, denn je länger Lesath Zeit hat, eine Verteidigung aufzubauen, desto schwieriger wird es für uns, in den Zirkel zu gelangen.

Wir haben beschlossen, die Greife nicht zu rufen, da sie im unterirdischen Gang in ihren Bewegungen zu eingeschränkt wären. Zudem könnte die Menge an schwarzer Magie, die Lesath offenbar freigesetzt hat, sie ernsthaft verletzen. Selbst Greife tragen nicht endlos Wärme in sich. Ihre Aufgabe war es in erster Linie, uns zu den Drachen und über die Talmeren zu bringen. Ich bin zwar nicht sicher, wie ich Lesath ohne Sonnenauges Unterstützung besiegen soll, aber ich sehe ein, dass es ein zu großes Risiko für ihn ist, in den Zirkel von Merita mitzukommen.

»Bis wir im Zirkel sind, werden wir zusammenbleiben«, sagt Maryo, während er eine der Fackeln entzündet, die wir mitgenommen haben. »Wir wissen nicht, was uns in dem Tunnel erwartet, und ich bezweifle, dass Lesath vergessen hat, ein paar seiner Monster dort hineinzuschicken. Danach können wir an unserem Plan festhalten: Die Erben werden sich Lesath stellen, während wir anderen uns mit den Ausgeburten der Unterwelt vergnügen und euch den Rücken freihalten.«

In seinen glänzend goldenen Augen lese ich, dass er es kaum erwarten kann, endlich zu kämpfen. Ganz im Gegensatz zu mir …

»Haltet eure Waffen bereit!« Der Elfenkapitän geht vorsichtig auf den Spalt zu und verschwindet im Dunkeln.

Wir folgen ihm mit gezückten Klingen und ich spüre eine Gänsehaut, als ich den schwarzen Gang betrete. Jetzt gibt es kein Zurück mehr – mein Schicksal wird sich in den nächsten Stunden erfüllen.

Mit meiner Magie bilde ich eine Lichtkugel, welche die Umgebung ein wenig erhellt. Die anderen halten Fackeln in den Händen. Auch Zaron. Er wird keine Zauber wirken, solange es nicht nötig ist, denn das könnte unser Kommen verraten – falls der Tunnel überhaupt in den Zirkel führt.

Der Gang ist so schmal, dass wir hintereinandergehen müssen. Wenn ich den Arm in die Höhe strecke, kann ich sogar die Decke berühren, die aus kaltem, unbearbeitetem Felsen besteht. Es riecht nach moderiger Erde, und der Boden ist feucht – wie in jedem Tunnel, in dem ich bisher war.

Langsam geht Maryo voran. Reyvan hält sich dicht hinter ihm, dann kommen Lock, ich, Zaron, Cilian, Ksora und Alandril. Den Abschluss bildet Ogrem.

Ich vermeine, von irgendwoher Stimmen zu hören, aber das kann auch der Wind sein, der meinen Ohren einen Streich spielt. Wären meine Gefährten nicht dabei, würde ich es hier unten äußerst unheimlich finden.

Der Gang beschreibt nach wenigen Dutzend Schritten eine Biegung und verläuft ab da direkt auf das Meer und damit die Insel zu. Hatten Maryo und Reyvan also recht mit ihrer Vermutung: Der Tunnel scheint tatsächlich zum magischen Zirkel von Merita zu führen. Zu meinem Großvater.

In der Dunkelheit können wir nicht viel erkennen und kommen entsprechend nur langsam voran. So leise wie möglich bewegen wir uns durch den Gang, halten immer die Augen und Ohren nach Gefahren offen.

Nach ein paar Hundert Schritt bleibt Lock vor mir plötzlich stehen.

»Was ist?«, flüstere ich und versuche, um den Seemann herumzuschauen.

»Dort vorne ist eine Tür«, erklärt er. »Reyvan ist gerade dabei, sie zu öffnen.«

Nach einigen Sekunden ist ein Knacken zu vernehmen.

»Lesath scheint seine Geheimgänge nicht gut abzuschließen«, sagt Reyvan triumphierend.

Keinen Augenblick später ertönt ein hohles Schreien, das mir durch Mark und Bein geht. Mein Herz rast und ich bilde reflexartig einen Schutzschild. Vor mir höre ich Klingen aufeinanderschlagen und sehe, dass sowohl Maryo als auch Reyvan in Kämpfe verwickelt sind mit … was sind das denn für Dinger? Sie sehen aus wie Skelette.

Moment, es sind Skelette.

»Nekri«, knurrt Zaron, zieht seinen Zweihänder und drängt sich an mir vorbei, um sich zusammen mit Lock dem Kampf anzuschließen.

Rasch renne auch ich durch die Tür und bleibe wie angewurzelt stehen.

Vor uns breitet sich ein weitläufiger Raum aus, der voll von Skelettkriegern ist. Es müssen mindestens hundert, wenn nicht zweihundert sein. Ihre Größe unterscheidet sich nicht von der eines Menschen und sie tragen rostige Rüstungsteile, die nur halb ihre Knochen verdecken. Über ihren behelmten Köpfen schwingen sie Schwerter und stürzen sich auf mich und meine Gefährten, die sich in einer Reihe aufgestellt haben und sie mit blankem Stahl erwarten.

Reyvan und Maryo kämpfen mit zwei Waffen gleichzeitig gegen eine ganze Horde, die sich um die beiden Elfen geschart hat. Ich kann sie in dem Getümmel kaum mehr ausmachen. Zarons hohe Gestalt überragt die meisten Skelette, und sein flammender Zweihänder saust durch die Luft, während er sich einen Gegner nach dem anderen vornimmt. Lock, der vorhin noch direkt vor ihm war, entdecke ich jedoch nirgendwo. Dafür Ogrem, der von weiter hinten Bolzen auf die Krieger schießt.

Die Luft ist erfüllt vom Klirren des Stahls, dem Gekreische der Skelette und dem Keuchen der Kämpfenden, während ich wie erstarrt an der Stelle stehe und nicht genau weiß, wie ich meine Gefährten unterstützen soll.

Hastig wende ich mich zu Alandril, der immer noch seine Menschengestalt behalten hat. Der Grund dafür ist klar: Der Raum ist zwar groß, aber nicht groß genug für einen ausgewachsenen Drachen. Er könnte sich nicht einmal umdrehen, ohne Gefahr zu laufen, einen seiner Gefährten mit seinem Flammenkörper zu verletzen. Also zielt er mit Feuerwellen, die aus seinem Mund schießen, nach den Skeletten. Diese stehen zwar in Flammen, schlagen aber mit unverminderter Stärke zu. Das Feuer scheint ihnen nicht viel anhaben zu können.

Cilian versucht es mit Eis, aber auch dieses Element drängt sie nicht zurück. Es bewirkt lediglich, dass der ein oder andere Nekri auf dem Eis ausrutscht oder kurze Zeit eingefroren wird.

Ich habe keine Zeit, weiter auf die anderen zu achten, denn jetzt stürzen sich zwei der Skelettkrieger auch auf mich. Da ich bei Alandril und Cilian gesehen habe, dass Magie nicht wirkt, versuche erst gar nicht, sie damit anzugreifen, sondern behalte meinen Schutzschild aufrecht und verteidige mich, so gut es geht, mit dem Flammenschwert gegen die Skelette. Sie haben eine ungeheure Kraft in ihren Knochenarmen und prügeln auf meinen Schild ein, dass dieser darunter erbebt.

Was mich am meisten beunruhigt, ist, dass sie immun gegen Zauber sind. Nicht einmal, als Zaron schwarze Magie wirkt, wie ich aus dem Augenwinkel erkenne, hilft das etwas. Die Kreaturen scheinen gegen jegliche Zauberkraft resistent zu sein.

Während ich mir die Skelette vom Leib halte, bemerke ich Ksora, die wie eine Wilde kämpft. Sie wirbelt herum und ihre Messer verfangen sich in den Knochen der Feinde. Gerade reißt die Gorka einem Skelett den Arm aus und schmettert den ehemaligen Besitzer gegen die Wand, dass die Gebeine klappern. Trotzdem steht dieser wieder auf und greift – nur noch mit einem Arm – erneut an.

Sie scheinen unbezwingbar zu sein. Und ständig stürmen neue Krieger auf uns zu.

Wenn ich nicht schnell handle, werden wir diesen Kampf verlieren, schießt es mir durch den Kopf. Ein flüchtiger Blick zu meinen Gefährten zeigt mir, dass sie trotz ihrer Magie und Kampferfahrung nicht mehr lange durchhalten können, da die Skelette uns in ihrer Anzahl bei Weitem überlegen sind und sich nicht zurückdrängen lassen. Selbst die Elfen atmen schwer und ihre Bewegungen werden von Minute zu Minute langsamer. Auf jeden, den sie zu Boden schmettern, folgen zwei weitere, die angreifen. Und selbst diejenigen, deren Körper in der Mitte halbiert wurden, versuchen, wieder aufzustehen und weiterzukämpfen.

Fieberhaft überlege ich, wie ich den Kampf zu unseren Gunsten ausgehen lassen kann, und blocke die Angriffe der Skelette, die sich bemühen, meinen Schutzschild zu durchdringen.

Plötzlich kommt mir eine Idee. »Weicht zurück zur Wand!«, rufe ich meinen Gefährten zu, was jedoch schwierig ist, denn meine Stimme geht im Kampflärm unter. Erst nachdem ich ein zweites Mal gerufen habe, richten sie ihre Aufmerksamkeit auf mich.

Sie werfen mir zwar stirnrunzelnde Blicke zu, folgen aber augenblicklich meiner Aufforderung, als sie sehen, dass ich die Hände hebe und mein Schwert fallen lasse. Ich befördere die beiden Skelette, die unermüdlich auf meinen Schutzschild eingeschlagen haben, mit einem Magiestoß ein paar Schritt durch den Raum.

Am Rande registriere ich, dass Maryo Locks Körper vom Boden aufhebt und rasch mit ihm über der Schulter zur Seite rennt. Der Seemann scheint bewusstlos zu sein, seine Arme baumeln leblos herunter. Aber ich habe keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, die Skelettkrieger nehmen die Verfolgung auf und rennen auf meine Freunde zu, die sich an der gegenüberliegenden Wand auf eine neue Angriffswelle gefasst machen.

So rasch ich kann, bilde ich einen Wirbelsturm, der wenige Augenblicke später quer durch den Raum rast. Die Skelette sind – trotz ihrer rostigen Rüstungen – so leicht, dass sie von dem Wind erfasst werden, ohne dass sie sich dagegen wehren können. Eines um das andere wird von den Füßen gerissen und wirbelt hilflos in der Luft.

Mit aller Macht dränge ich sie mithilfe meiner Magie in einen Winkel des Raumes. Gleichzeitig lasse ich aus dem Felsen über ihnen Wasser auf sie herunterregnen. Wir befinden uns jetzt direkt unter dem Meer, also ist es ein Leichtes, das Wasser durch den Stein zu ziehen.

Ich lasse die Welle, die sich über die Skelettkrieger ergießt, in der Ecke anstauen, sodass sie mit rudernden Armen und Beinen im Wasser gefangen sind. Ertrinken können sie ja nicht, sie sind bereits tot. Trotzdem hält das Wasser sie in der Ecke fest. Mit einem letzten Kraftakt lasse ich die Wassermasse mitsamt den Kriegern gefrieren.

Keuchend sinke ich auf die Knie, als es mir gelungen ist, die Nekri als ungeordneten Knochenstapel in den Eisklotz zu verbannen. Meine Seite sticht, als ich tief Luft hole, und meine Hände zittern ebenso wie meine Beine.

»Alia, geht es dir gut?« Zaron stürzt zu mir und hebt mein Kinn an, um mir in die Augen zu sehen.

»Ja«, keuche ich. »Danke.«

Er ist außer Atem und schweißüberströmt, genau wie ich.

»Das war brillant.« Cilian klopft mir anerkennend auf die Schulter. Auch er sieht mitgenommen aus.

»Beeindruckend«, keucht Reyvan, der mir zusammen mit Zaron hilft, aufzustehen.

Ich fühle mich ein wenig wackelig auf den Beinen, aber ansonsten geht es mir gut. Zwar hat mich die Magie viel Wärme gekostet, aber ich spüre, dass Sonnenauge in der Nähe sein muss, denn er schickt mir ein Bild vom Meer. Offenbar war er die ganze Zeit bei mir und ich habe noch nicht einmal gemerkt, dass er seine Magie mit meiner verbunden hat. Ich bin erleichtert, dass er nicht auf meinen Befehl, dem Zirkel fernzubleiben, gehört hat. Ohne seine Hilfe wären wir jetzt vielleicht alle tot.

»Ist jemand verletzt?«, frage ich schwer atmend. »Was ist mit Lock?«

»Er hat es nicht geschafft«, antwortet Maryo, der ein paar Schritt entfernt neben dem leblosen Körper seines Mannschaftsmitglieds kniet.

Der dunkelhaarige Elf hebt den Kopf und sieht mich mit ausdrucksloser Miene an, aber in seinen Augen lese ich den Schmerz, den er zu unterdrücken versucht. Ich bin mir sicher, dass er, wenn das hier alles vorbei ist, um seinen treuen Freund trauern wird, doch jetzt versucht er, dagegen anzukämpfen.

Er wendet den Blick wieder ab und betrachtet das friedlich anmutende Gesicht des Toten, der zu seinen Füßen auf dem Boden liegt. Langsam kniet sich Maryo neben ihn und fährt Lock fast liebevoll über das blonde, verfilzte Haar, ehe er ein paar Sekunden lang in dieser Position verharrt. Ich bemerke erstaunt, dass er betet.

Ksora tritt hinter ihren Kapitän und senkt ebenfalls den Kopf. Mit Bestürzung erkenne ich, dass Tränen über ihre braunen Wangen rinnen. Sie weint stumm um Lock.

Mein Herz zieht sich bei dem Anblick zusammen. Sie kannte ihn neben Maryo von uns am besten und Lock war der Einzige, mit dem sie sich auch ab und zu beim Lagerfeuer unterhalten hat. Offenbar war er ein guter Freund für sie geworden, um den sie nun trauert.

Ich senke den Blick und atme tief durch.

Wie viele denn noch …? Wie viele müssen noch sterben, bis sich mein Schicksal erfüllt?

Ich unterdrücke ein Schluchzen. Trotzdem rinnt mir eine Träne über die Wange, als ich abermals auf Locks’ Leichnam sehe. Ich wische sie mit dem Ärmel meines Hemdes weg und lasse die Trauer in meinem Herzen kurz zu.

Auch ich habe Lock sehr gemocht. Er hatte eine einfache und klare Art, Dinge auszudrücken und anzugehen. Ganz zu schweigen von seinen Kampfeskünsten. Er wird uns sehr fehlen. Und trotzdem werden wir nicht bleiben können, um ihn zu beerdigen.

»Ich werde ihn nicht hierlassen«, sagt in dem Moment Maryo energisch, als hätte er meine Gedanken erraten. Er steht auf, um seinen Freund auf die Schultern zu hieven.

»Lass mich machen.« Ksora hält den groß gewachsenen Elfen am Arm zurück und blickt ihn fest an.

Der Kapitän nickt knapp und sieht zu, wie die Gorka den toten Matrosen behutsam hochhebt und über ihre Schulter legt, als wäre er nicht schwerer als ein Sack Mehl.

Ich schlucke den Kloß herunter, der sich im Hals einen Weg nach oben bahnen will.

»Die werden bald wieder schmelzen«, unterbricht Cilian meine trüben Gedanken.

Ich werfe einen Blick zu dem Eisklotz, in dem die Nekri mit verrenkten Gliedern gefangen sind. Es stimmt, es ist nicht kalt genug im Raum, als dass das Eis lange gefroren bleibt. »Wir müssen hier weg«, murmle ich.

»Die Idee könnte von mir stammen.« Ogrem marschiert zur anderen Seite des Raumes, wo sich eine weitere Tür befindet. »Elf, hilfst du mal?« Er nickt Reyvan zu.

Dieser streckt die Schultern durch und als ich sein Gesicht mustere, merke ich, dass auch ihm Locks Tod nahegeht. »Erst verschließe ich die andere Tür«, sagt er und begibt sich zu dem Eingang, durch den wir gekommen sind. »Wir wollen ja nicht, dass die Nekri auf die Menschheit losgelassen werden.«

»Geht es wieder?«, fragt Zaron, der immer noch neben mir steht und mir nun eine Hand auf den Rücken legt.

»Geht schon.« Ich fahre mir rasch über die Augen und beobachte Reyvan, der die Tür verschließt und sich dann der gegenüberliegenden widmet. »Hoffentlich erwarten uns dahinter nicht weitere Nekri …«

»Ich gehe davon aus, dass das hier nicht die einzigen waren.« Zaron betrachtet mit schmalen Augen den Eisklotz. »Womöglich hat Lesath noch weitere Überraschungen auf Lager. Es gibt leider eine Menge Monster und Dämonen, die ein irrer Nekromant beschwören kann. Zum Beispiel …«

»Lass, ich will erst gar nicht wissen, was es alles sein könnte«, unterbreche ich ihn. »Sonst fehlt mir am Ende noch der Mut, weiterzugehen.«

Zaron sieht mich mit seinen schwarzen Augen vielsagend an, erwidert aber nichts.

In dem Moment knarrt die Tür und springt auf.

»Lasst uns weitergehen.« Reyvan steckt seine Dietriche in die Taschen zurück und nimmt die Fackel, die Ogrem ihm hinhält, um voranzugehen.

Als wir den Gang dahinter betreten, bin ich erstaunt, dass es hier in den Wänden Fackelhalter gibt. Offenbar wird dieser Bereich häufiger genutzt als der andere. Zaron verschließt hinter uns die Tür zusätzlich mit einem Zauber, damit uns die Nekri nicht folgen können.