Die Gutsherrin Anna

von Monika Mahler

Bibliothekshinweis

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detailliert Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Impressum:

Copyright: Verlag Kern · www.verlag-kern.de

Wolfsbacher Straße 19 · D-95448 Bayreuth

Herstellung: www.verlag-redaktionsbuero.de

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2012

Umschlag: Brigitte Winkler · wmitteleuropa@t-online.de

ISBN: 9783939478461

Meine lieben Leser/innen.

Mein ganzes Leben lang wünschte ich mir schon, eines Tages ein Buch schreiben zu können.

Nun endlich, da meine beiden Töchter aus dem Haus sind und ich meinen eigentlichen Beruf als Gärtnerin aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste, habe ich die Möglichkeit, diesen Traum zu verwirklichen.

Meine Fantasie ging in diesem ersten Roman ein wenig mit mir durch, aber ich freue mich, wenn ich dem einen oder anderen Leser damit eine Freude machen kann.

Herzlich

Ihre Monika Mahler

Es ist ein sonniger, klarer Morgen. Anna, die Gutsherrin, geht wie immer um diese Zeit spazieren. Sie ist sehr schön, hat langes, braunes Haar, das sie hochgesteckt hat, was sie sehr jugendlich erscheinen lässt. Ihre perfekte Erscheinung wird durch ihre elegante Kleidung unterstrichen. Sie legt sehr großen Wert auf ein perfektes Erscheinungsbild, alles muss passen.

Sie geht den langen Weg entlang der Baumreihen. Hier zwitschern die Vögel besonders schön am frühen Morgen, woran Anna ihre Freude hat. Die Ruhe und die frische Morgenluft genießend dreht sie sich plötzlich um, weil sie Pferdehufe hört. Ihr Mann kommt auf seinem braunen Hengst daher geritten, steigt ab und umarmt seine Frau, die er noch immer wie am ersten Tag liebt.

„Ach, da bist Du ja wieder, ist alles in Ordnung auf dem Feld und im Wald?“, fragt Anna.

„Ja. Alles ist in bester Ordnung“, sagt er, und langsam gehen sie Seite an Seite weiter. Sein Pferd führt er am Zügel.

„Für die nächsten Tage kannst Du ein paar Arbeiter für den Wald einteilen, da der Sturm viele Bäume umgeknickt hat. Es sind auch viele trockene Äste auszuschneiden. Das ist eine gefährliche Arbeit, darum bitte ich Dich, die Arbeiter auch besser zu bezahlen!“, sagt Hans zu seiner Frau.

„Wird gemacht, mein lieber Mann“, antwortet sie und lächelt ihm zu.

Sie muss sich immer wieder wundern, wie gut er sich in die Land- und Forstwirtschaft eingearbeitet hat. Früher, vor ihrer Heirat, hatte er einen ganz anderen Beruf. Aber mit ihr hatte sich sein Leben total verändert. Vom Arbeiter zum Gutsbesitzer. Er nahm auch den Namen seiner Frau an, weil das Gut mit dem Namen Schönfeld schon seit Generationen verbunden ist. Hans hat damit kein Problem, schließlich wollte er mit der Heirat der reichen Anna nichts verändern, was der Familie heilig war. Seit dem Tod ihrer Eltern leitet Anna das Gut, wie zuvor schon ihre Mutter und ihre Großmutter. Da immer nur Töchter da waren, hat es sich so über Generationen ergeben, dass die eingeheirateten Männer immer den Namen Schönfeld annahmen. Schließlich war die Familie sehr bekannt.

Auch Anna und Hans haben eine Tochter. Die fast achtzehnjährige Katharina ist ganz die Mama, bildschön, aber sehr viel temperamentvoller als die Mutter. Katharina steht kurz vor dem Abitur und genießt zuhause ihre letzten Ferien vor den Prüfungen. Das Mädchen liebt Pferde über alles und reitet jeden Tag auf ihrer Lena durch Wald und Feld und über die große Wiese, die am Waldrand liegt und ihr Lieblingsplatz ist.

Das Ehepaar geht schweigend zurück zum Gutshaus. Wie immer bleibt Anna an einem bestimmten Platz stehen. Von hier aus kann man das herrliche, alte Gutshaus im Sonnenlicht sehen. Hier atmet Anna durch. Das Gefühl, hier zuhause zu sein, erwärmt ihr Herz.

Das große Anwesen ist umgeben von vielen alten Bäumen. Das alles wurde von ihren Großeltern erbaut und angelegt. Ihre Eltern haben vieles dazu getan, das Gut zu erhalten, aber auch Anna und Hans waren nicht untätig. Sie haben das Gebäude und die Stallungen vergrößern lassen, die Terrasse erneuert und den Viehbestand erweitert. Auch das dazu­gehörige Gestüt wurde von Hans und Anna erst so richtig in Betrieb genommen.

„Ach Hans, nie habe ich Dich gefragt, ob Du vielleicht auch einmal reisen oder nur einen Erholungsurlaub machen möchtest“, sagt Anna mit einem Stoßseufzer.

Hans lächelt und drückt die Hand seiner Frau ganz fest.

„Meine liebe Anna, ich war immer sehr glücklich, wenn ich Dich so zufrieden gesehen habe. Du hast Dich stets wie ein kleines Kind gefreut, wenn wieder etwas fertig gestellt war, und das ist besser als jeder Urlaub. Ich wünsche mir nichts mehr als die Gesundheit für uns und unsere Tochter, und möge sie auch so glücklich werden, wie wir beide es sind, wenn sie einmal heiraten wird.“

Er geht mit dem Pferd zum Stall. Da kommt auch schon der Stalljunge, nimmt ihm das Pferd ab und führt es zurück auf seinen Platz, um es zu versorgen.

Hans geht in den Waschraum, um sich die Hände zu waschen. In der daneben liegenden Küche wird das Mittagessen zubereitet, es duftet herrlich. Hans geht hinein und begrüßt das weibliche Küchenpersonal, so wie er es jeden Tag tut. Die etwas runde Köchin hat ganz rote Wangen vor Aufregung und Eile. Sie grüßt schnell zurück, ohne dabei ihre Arbeit zu unterbrechen. Am großen Tisch steht das neue Küchenmädchen. Er fragt sie, wie es ihr auf dem Gutshof gefällt. Fast lässt sie vor Aufregung den Teller fallen, den sie gerade in den Händen hält. Sie hatte den Gutsherren noch nie gesehen. Überhaupt hatte sie so ein schönes Paar noch nie gesehen. Der Herr, so groß und schlank mit blondem Haar und blauen Augen, lacht sie freundlich an. Schnell nimmt sie den Stapel Teller und das Besteck und trägt es in das Speisezimmer. In der Diele begegnet sie der Gutsherrin, die sie freundlich anlächelt. Frau Schönfeld hatte sie eingestellt, wofür das Mädchen sehr dankbar ist. Anna geht derweil noch einmal in ihr Büro, wo sie noch etwas zu erledigen hat. Der ganze Bürokram und die Buchhaltung ist Ihr Bereich, damit hat ihr Mann nichts am Hut. Zwar bespricht sie alles mit ihm, aber jeder hat so seine Aufgaben auf dem Gut.

Die Mittagsglocke läutet. Das heißt für alle Menschen auf dem Gut, jetzt ist Mittagspause. Das gesamte Personal isst in der großen Küche. Anna legt ihre Papiere zur Seite und geht in das Speisezimmer. Kaum hat sie Platz genommen, kommt auch schon Hans und setzt sich neben sie. Die Köchin bringt die Suppenterrine, stellt sie auf den Tisch und wünscht einen guten Appetit.

„Wo bleibt nur wieder Kathrin?“ Anna nennt ihre Tochter manchmal liebevoll so.

„Bei mir hat sie sich nicht abgemeldet“, sagt Hans lächelnd. Aus der Diele hört man ein lautes Lachen, Katharina ist im Anmarsch. Schon stürmt sie ins Zimmer, noch immer lachend, und entschuldigte sich für ihre Verspätung.

„Was gab es denn zu lachen auf der Diele?“, fragt Hans seine Tochter.

„Ach, die Köchin sagte, ich solle mich beeilen zum Essen zu kommen, sonst gibt es einen Klaps von Dir auf den Hintern – aber das würdest DU doch niemals tun, Papilein, oder?“

„Sicher nicht, mein Liebling, so etwas käme mir niemals in den Sinn. Aber wo wir schon so nett plaudern, sage mir doch bitte, was Du nun vorhast, wenn die Schule beendet ist. Übernimmst Du jetzt den Gutshof? Dann könnten Deine Mama und ich mal eine Weltreise machen“, erwidert Hans schmunzelnd.

„Ist das Dein Ernst, Papi? Ihr seid beide noch so jung und wollt mir schon so eine Last aufbürden? Nein, nein, danke – ich bin doch noch viel zu jung, ein paar Jährchen müsst ihr schon noch arbeiten. Außerdem möchte ich Mami nicht traurig sehen“, plappert Katharina weiter, „ich werde sie ohnehin zu meiner Sekretärin machen, wenn ich einmal hier die Regie führe, und sie bis zu ihrem achtzigsten Geburtstag be­schäftigen, sie ist nämlich die beste Sekretärin der Welt, findest Du nicht auch, Papa?“

„Danke“ sagt nun Anna und streichelt liebevoll den Arm ihrer Tochter. „Übrigens, bald hast Du Geburtstag, Dein Achtzehnter. Wie groß soll denn die Feier werden? Der Verwandtenkreis ist ja nicht groß. Lass mal überlegen: Tante Margarete, Tante Lisbeth, dann noch Barbara aus Amerika und Ludwig, mein Cousin. Das wäre es schon meinerseits. Die Verwandten Deines Vaters sind weit weg und haben uns nie besucht. Aber Du kannst gerne alle Deine Schulfreunde einladen.“

„Ob Onkel Ludwig kommt? Er ist doch immer so schrecklich beschäftigt, und wenn er uns besucht, dann nur bei Nacht und Nebel“, überlegt Katharina. Dann beginnt sie so richtig mit Appetit zu essen.

„Barbara wird bestimmt nicht kommen“, denkt Anna laut nach „sie hatte uns nach unserer Hochzeit eingeladen, die Flitterwochen bei ihr zu verbringen, erinnerst Du Dich, Hans? Aber leider hatten wir niemals die Zeit dazu.“

„Ich kann es für Euch ja wieder gut machen. Wenn ich einmal heirate, werde ich sie besuchen und gleichzeitig meine Flitterwochen dort verbringen, oder habt Ihr etwas dagegen?“ fragt Katharina lachend ihre Eltern, und ohne auf eine Antwort zu warten steht sie auf und sagt: „Ich muss jetzt aber weg, sonst kommt noch der Regen, bevor ich ausreiten kann.“ Und schon ist sie verschwunden.

Am Stall erfährt sie vom Stalljungen, dass ihr Pferd noch fressen müsse und es noch ein kleine Weile dauern würde. Trotzig stampft sie mit dem Fuß auf, aber es hilft nichts. Sie schaut zum Himmel, kein Wölkchen ist zu sehen. Langsam schlendert sie zu den anderen Tieren hinüber. Zu den Hühnern, den Enten und schließlich zu den Schafen, bei denen sie schon lange nicht mehr war. Plötzlich kommt es ihr so vor, als sei sie wieder ein Kind. Damals war sie jeden Tag bei den Tieren. Sie hatte weder Freunde noch Geschwister. Das wird bei ihren Kindern sicher nicht so sein, denkt sich Katharina. Sie bemerkt auf ihrem Rundgang, wie schön doch alles hier ist und was ihre Eltern im Laufe der Jahre alles verändert haben. Es ist wunderbar, hier zu leben, denkt sie sich und geht zurück zum Stall.

Das Pferd ist fertig gesattelt, und sie kann los reiten. Ein leichter Stoß in die Flanken, und Lena läuft los. Sie reitet an den alten Bäumen vorbei in Richtung Wiese bis zu ihrem Lieblingsplatz am Waldrand. Ein kühler Wind weht ihr um den blonden Haarschopf, was sie als sehr angenehm empfindet. Das Mädchen erfreut sich an dem frischen Grün der Wiese und den vielen Blumen darin. Fast hat sie ihr Ziel erreicht, da bemerkt sie, dass jemand am Waldrand im Gras sitzt. Neugierig reitet sie auf ihn zu. Ein junger Mann steht auf, denn auch er hat sie kommen sehen. Sie steigt vom Pferd und geht auf ihn zu. Sie bemerkt, dass er ihrem Papa ganz ähnlich sieht, groß, blond und schlank. Er streckt ihr seine Hand entgegen und stellt sich vor.

„Ich bin Martin, der Bäcker vom nächsten Dorf, mit wem habe ich das Vergnügen?“

„Ich bin Katharina von Schönfeld“, sagt sie.

„Wie schön sie ist“, denkt sich Martin, „gerade so wie ihre Mutter.“

„Endlich lerne ich jemanden aus der Umgebung kennen“, freut sich Katharina. „Durch meinen Aufenthalt im Internat hatte ich leider nicht viel Gelegenheit, die Dorfjugend hier kennen zu lernen. Jetzt habe ich meine Schule beendet, und ich hoffe, dass ich nun mehr Leuten hier begegne,“ plappert sie weiter. „Sobald ich meinen Führerschein habe, sause ich von einer Disco in die andere, da werde ich schon alle treffen. Und wo bist Du jetzt unterwegs?“

„Ich muss noch Brot und allerhand Gebäck ausfahren“, antwortet Martin und sieht auf seine Uhr, „ich lege nur eine kleine Pause ein, denn ich komme so selten an die Luft. Entweder bin ich im Auto oder in der Backstube.“

„Übrigens ist das hier mein Lieblingsort“, sagt Katharina, „wenn ich ausreite, komme ich immer hier vorbei.“

Sie verabschieden sich freundlich, Martin geht zu seinem Wagen, aber als er schon eine ganze Weile wieder unterwegs ist, fällt ihm auf, dass er immerzu nur an sie denkt. Schon so oft war er auf dem Gutshof, um Brot auszuliefern, aber er war ihr nie begegnet. Auf einmal hat er sehr gute Laune und pfeift ein Lied vor sich hin, was er selten tut.

Katharina steigt auf das Pferd und macht sich auf den Heimweg. Unterwegs muss sie an den jungen Bäcker denken. Er ist ihr sehr sympathisch, und eigentlich findet sie ihn richtig nett. Zuhause angekommen springt sie vom Pferd, und alles ist vergessen. Sie versorgt Lena mit Heu und Wasser und geht zum Ausgang. Da sieht sie das kleine Fohlen bei seiner Mutter stehen und bleibt verzückt stehen, um zuzusehen, wie es an den Zitzen seiner Mutter nuckelt. Es ist noch so klein, erst ein paar Tage alt, wie süß es doch ist.

Sie sieht ihre Eltern auf der Terrasse sitzen. Es ist Kaffeezeit. Sie winkt ihnen gutgelaunt zu, geht schnell in ihr Zimmer, um den Reitdress auszuziehen und sich zu waschen. Sie schlüpft in ein hübsches blaues Kleid und gesellt sich zu ihren Eltern.

„Wie war der Ausritt?“ fragt Hans.

„Ach Papa, es war wunderbar, wie immer“, erzählt das Mädchen fröhlich, „die Vögel zwitscherten, die Sonne schien und ein kühler Wind blies mir um die Ohren, was will man mehr?“

Hans und Anna lächeln, als sie sich ansehen, „Willst du uns nicht mehr erzählen?“, fragt sie ihr Vater.

„Ach, ihr habt mich durchschaut, vor Euch kann man wirklich kein Geheimnis bewahren!“

„Na sag schon“ fordert sie nun auch Anna auf.

„Ich habe den jungen Bäcker getroffen, der saß am Waldrand, um sich etwas auszuruhen. Er ist ein ganz sympathischer Mensch.“

Katharinas Augen strahlen.

“Ja, das ist Martin, der Sohn von unserem Dorfbäcker Martens. Sie versorgen uns schon seit Jahrzehnten mit Brot. Hast Du ihn nie bei uns gesehen?“

„Nein, nie, wahrscheinlich war ich immer in der Schule, wenn die Lieferung kam“, meint Kathrina.

„Nein, um diese Zeit hast Du immer geschlafen, denn der Bäcker kommt schon ganz früh, so um sechs Uhr, denn jeder will zum Frühstück ein frisches Brötchen haben. Die fangen mitten in der Nacht an zu backen“, sagt Hans.

„Nicht alle Menschen haben es so schön wie wir, mein Liebes“, sagt Anna, „wir könnten so lange schlafen wie wir wollen. Unsere Mitarbeiter, sowohl auf dem Gutshof als auch auf dem Feld und im Wald, wissen genau, was sie zu tun haben. Sie sind alle sehr zuverlässig.“

Katharina hört ganz entspannt zu, bis das Läuten des Telefons sie aus ihren Gedanken reißt. Anna steht auf und geht ins Büro hinüber. Als sie zurück kommt, berichtet sie, dass morgen ein Herr Bauer kommen würde, um ein Pferd für seinen Sohn zu kaufen.

„Triffst Du Dich wieder mit Martin?“, fragt Hans seine Tochter.

„Schon möglich, aber verabredet haben wir uns nicht, wenn Du das meinst. Übrigens, er sieht Dir sehr ähnlich, so blond und schlank. Ich könnte ihn ja auch hier treffen, ich stehe jeden Morgen um sechs Uhr auf, dann könnten wir täglich ein wenig reden“, überlegt Katharina laut.

„Wer’s glaubt wird selig“, lacht ihr Vater, „Du und sechs Uhr, niemals.“

Am nächsten Tag, kurz bevor der angekündigte Kunde erscheint, kommt Katharina vom Reiten zurück und trifft am Stall auf ihren Vater.

„Hallo Papa, verkaufe nur nicht aus Versehen meine Lena“, ruft sie ihm entgegen.“

„Keine Sorge mein Kind, weiße Pferde sind nicht so beliebt bei Männern.“

Dann fährt der Wagen vor. Zwei Herren steigen aus. Hans und Anna sitzen bereits beim Kaffee auf der Terrasse und winken die Herren zu sich. Die Männer steigen die Treppe hoch zur Terrasse und sehen sich dabei um. Oben angelangt, stellen sie sich vor. „Ich bin Rechtsanwalt Bauer, angenehm, wir hatten gestern telefoniert“, sagt der größere der beiden. „Das ist mein Berater, Herr Dekersdorfer. Er ist Reitlehrer und versteht etwas von Pferden.“

Anna und ihr Mann begrüßen die Herren herzlich und bitten sie, Platz zu nehmen und einen Kaffe mit ihnen zu trinken.

“Sie haben hier ein wunderschönes Anwesen, davon kann man nur träumen“, staunt der Anwalt.

„Schön, dass Ihnen unser Gut gefällt. Das ist gedacht für Generationen. Meine Eltern haben es gebaut, wir haben es vergrößert, und unsere Tochter, so hoffen wir, wird auch ihren Teil dazu beitragen, dass es weiter besteht.“, erklärt Anna.

Die beiden Herren hören ihr interessiert zu.

„Bewundernswert“, denkt sich der Anwalt, „so eine gebildete und schöne Frau.“

Nun erzählt er von seinem Sohn, der gerne reitet und er ihm deshalb ein eigenes Pferd kaufen möchte.

„Ich habe schon viel Geld ausgegeben, damit er auf einem Reiterhof seinem Hobby nachgehen kann, da wird es auf die Dauer mit einem eigenen Pferd günstiger.“

„Wie unsere Tochter“, meint nun Hans, „die verbringt auch jede freie Minute auf dem Rücken ihres Pferdes.“

„Sie habe schon eine erwachsene Tochter?“ fragt der Anwalt Anna, „das kann doch nicht sein, Sie sind doch noch viel zu jung.“

„Danke für das Kompliment, aber unsere Tochter wird nächsten Monat achtzehn“, sagt Anna stolz.

Der Anwalt staunt, dann wechselt er das Thema: „Wie viele Pferde haben Sie eigentlich, Herr von Schönfeld?“

Hans antwortet: „Insgesamt einundzwanzig, mit unserem Fohlen. Das reicht uns vollkommen, mehr möchte ich gar nicht haben. Die Ausgaben für gute Pferde sind auch sehr groß. Wir selbst haben nur zwei Pferde, eines teile ich mir mit meiner Frau, das zweite gehört unserer Tochter. Alle anderen gehören in die Zucht und stehen zum Verkauf. Wenn ich nun bitten darf, meine Herren, ich zeige sie Ihnen.“

Sie stehen auf und gehen zum Stall hinüber. Gerade wurde das letzte der Pferde von der Koppel in den Stall gebracht. Nur Lena und das Pferd von Hans und Anna stehen noch draußen. Die Herren sind schon von dem großen, hellen Stall beeindruckt. Er ist sehr geräumig und gut durchlüftet. Sie gehen von Box zu Box. Die Besucher staunen sehr, denn ein Pferd ist schöner als das andere.

„Habe ich Ihnen zuviel versprochen?“, fragt der Gutsherr.

„Nein, nein, auf keinen Fall“, sagt Herr Bauer begeistert, „ich bin auch richtig froh, dass Herr Dekersdorfer bei mir ist.“

„Was meinen Sie“, fragt der Anwalt seinen Begleiter, „welches dieser Pferde wäre wohl das Richtige für meinen Sohn?“

„Ehrlich gesagt bin ich sehr überrascht“, sagt der Pferdefachmann, „so schöne und gesunde Pferde habe ich selten gesehen.“

„Meinen Sie, das dunkelbraune würde ihm gefallen?“

„Mit Sicherheit, das ist einer der schönsten und kräftigsten Hengste überhaupt. Ihr Sohn wird sich sicher sehr über diese Auswahl freuen.“

„Gut“, sagt Herr Bauer zu Hans, „dann bleibt es dabei. Wenn wir uns jetzt über den Preis einig werden, komme ich morgen mit einem Hänger und hole es ab.“

Sie werden sich einig, und der Anwalt stellt den Scheck aus. Das Geschäft ist perfekt, und der Stalljunge bringt die Pferde wieder hinaus auf die Koppel. Auf dem Nachhauseweg plaudern die beiden Herren noch lange über den Gutshof und seine Besitzer.

„Da kann man so richtig spüren, was Tradition bedeutet“, sagt der Anwalt, „das geht immer so weiter, bis eine nachfolgende Generation Fehler macht, dann kann es ganz schnell vorbei sein.“

„Wie meinen sie das?“ fragt der Reitlehrer.

„Nun, Fehlinvestition, schlechte Ernten, Kinder, die das Vermögen verschleudern, da gibt es viele Dummheiten, die man machen kann. Haben Sie gesehen, wie solide das Haus gebaut ist? Diese dicken Mauern, die Treppen, die bis hinauf in den ersten Stock untermauert sind. Man könnte im Notfall alles nach oben verlagern. Da könnte eine Jahrhundertflut kommen, dieses Haus würde alles überstehen.“ Der Anwalt gerät richtig ins Schwärmen.

„Ich wette mit Ihnen, dass da bestimmt hundertjähriges Porzellan zu finden ist. Das ist so bei diesem Adel. Das sind Schätze, die bei einer Versteigerung ein Vermögen bringen würden.“

„Das unterscheidet uns kleine Leute von den Reichen“, sagt der Reitlehrer. „Was wohl die junge Tochter macht? Ob sie schon so langsam in die Geschäftsführung eingebunden wird?“

„Ich glaube, dass sie nur das Mindeste ausgeben und alles schön zusammen halten wird. Denn schauen Sie mal, schon alleine diese riesige Stallhalle, das kostet doch alles ein Vermögen“, erwidert der Anwalt.

Zuhause angekommen, setzt der Reitlehrer Herrn Bauer ab und fährt weiter. Der Anwalt geht ins Haus und lässt sich auf dem nächstbesten Stuhl nieder. Seine Frau kommt ins Zimmer und ist sehr erstaunt darüber, ihren Mann so zu sehen.

„Geht es Dir nicht gut?“, fragt sie besorgt, „musstet ihr weit laufen?“

„Nein, nein, keine Sorge, mir geht es gut. Nur, weißt Du, Helene, ich habe ja schon viel gesehen, schon einige dramatische Fälle gelöst, aber heute war ich in einer anderen Welt, in einer perfekten Welt.“

„Erzähle schon, Richard, von Anfang an“, fordert ihn nun neugierig seine Frau auf.

„Also diese von Schönfelds sind wohl in der ganzen Gegend dort sehr bekannt. Jeder kennt sie. Nachdem wir uns verfahren hatten, fragten wir nach dem Weg, und dann fuhren wir durch einen kleinen Wald. Als die Bäume immer lichter wurden, lag plötzlich dieser Gutshof vor uns, ein Anblick, sage ich Dir. Und erst das Gutshaus. Wirklich herrlich, wie ein Schloss. Wir saßen mit Herrn und Frau von Schönfeld auf der großen Terrasse und tranken Kaffee. Dann dieser Stall und die herrlichen Pferde. Ich fahre morgen wieder hin, den Hengst abholen, den ich gekauft habe. Willst Du mitkommen?“

„Ja, gerne, da bin ich richtig gespannt auf diese vornehmen Leute.“

Der Anwalt grübelt aber laut weiter: „Weißt Du, das wäre etwas für unseren Sohn. Wenn er diese Tochter doch kennen lernen könnte, dann...“

„Hör auf, Richard, Deine Fantasie geht mal wieder mit Dir durch.“

„Wieso? Ich habe mitbekommen, dass die Tochter jetzt ihr Abi macht, dann sucht sie doch bestimmt eine Anstellung, weil sie ja etwas lernen will. Ich könnte ihr doch eine Stelle in unserer Kanzlei anbieten.“

„Du vergisst, dass unser Sohn Technischer Zeichner ist, kein Anwalt. Außerdem denke ich, dass diese Leute in ganz anderen Kreisen verkehren als wir.“

„Warten wir es doch mal ab, so schlecht sieht unser Sohn ja nicht aus. Ich sage Dir, das wäre die passende Partie für ihn.“

„Hast Du die Gutsherren-Tochter denn überhaupt gesehen?“

„Ach, was spielt das denn für eine Rolle?“

„Also Richard, hör jetzt bitte auf damit.“

Am nächsten Tag holen sie den Hengst für ihren Sohn ab. Der Stalljunge übergibt ihnen das Pferd. Von den Gutsherren ist weit und breit nichts zu sehen.

Wieder vergeht eine Woche. Katharinas Prüfungen stehen bevor. Sie sitzt deshalb in ihrem Zimmer und lernt fleißig. Außer den ganz kurzen Ausritten und dem gemeinsamen Essen mit ihren Eltern hat sie zurzeit keine Ablenkung. Sie will auch einen sehr guten Abschluss machen, damit sie eine ordentliche Anstellung bekommt. Schließlich will sie ihren Eltern nicht auf der Tasche liegen. Das Wetter draußen ist wunderschön, Katharina schaut immer wieder zum Fenster hinaus. Aber sie zwingt sich weiter zu lernen, auch wenn es schwer fällt.

Heute möchte Anna am Mittagstisch die Geburtstagsfeier für Katharina besprechen. Als die Mittagsglocke läutet, verlässt Anna ihr Büro. Auch Katharina hört die Glocke und beeilt sich, rechtzeitig bei Tisch zu sein.

„Hallo“, ruft Katharina ihren Eltern zu, die bereits auf sie warten. Ihrer Mutter gefällt dieser legere Gruß eigentlich gar nicht, sie sagt aber vorerst nichts. Beim Essen werden nur friedliche Dinge besprochen, damit die Speisen nicht auf den Magen schlagen, wenn man sich während des Essens aufregt. So wird das Essen dann auch ganz still eingenommen. Erst danach wendet Anna sich an ihre hübsche Tochter:

„Du weißt ja, Katharina, dass in unseren Kreisen sowohl auf Manieren als auch auf eine gute Erziehung geachtet wird. Man legt großen Wert darauf, dass sich Kinder und vor allem junge Damen zu benehmen wissen. Es würde mich sehr kränken, wenn mir auffallen würde, dass du Deine Manieren vergisst, die wir Dir beigebracht haben. Es würde mich freuen, wenn du dieses “Hallo” wieder aus Deinem Wortschatz streichst.“

Anna wendet sich an ihren Mann: „Stimmst Du mir zu, Hans?“ Sie sieht ihn fragend an.

„Natürlich hast du Recht, liebe Anna, „aber in der Schule sind Kinder aus allen sozialen Schichten, die sind nicht alle perfekt erzogen. Andere Eltern mögen das lockerer sehen. Da passt man sich eben an. Ich sehe das nicht so eng. Katharina weiß schließlich, was sich gehört.“

„Bitte entschuldige, liebe Mama“, sagt Katharina etwas kleinlaut, „ich habe nicht gewusst, dass Dich das stört. Aber weißt Du, in der Schule war das kein Problem. Man lebt dort völlig frei und ohne Zwang. Jeder kann reden wie und was er möchte. Man kann auch dazwischen quatschen, wenn sich andere unterhalten, oder laut lachen, wenn einem danach zumute ist.“

„Schon gut, mein Kind, ich wollte damit auch nur sagen, dass Du Dich nun wieder auf Deine gute Erziehung besinnen solltest.“

Katharina ist dieses Gespräch unangenehm. Sie entschuldigt sich und meint, dass sie nun weiter lernen muss, um eine gute Prüfung zu machen.