Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© by Verlag Kern GmbH

© Inhaltliche Rechte beim Autor

Autorin: Heidi Tietschert

Layout / ​Satz: Brigitte Winkler, www.winkler-layout.de

Titelbild: Happy people group, © Kurhan | www.fotolia.com

Grafik auf S. 93: © Noedelhap | www.fotosearch.de

1. Auflage / ​2015

Lektorat: Manfred Enderle

Sprache: deutsch

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN: 9783957161-222

ISBN E-Book: 9783957161-666

www.verlag-kern.de

Heidi Tietschert

100 Gesichter

Inhalt

Cover

Impressum

Titel

Vorwort

Lernen und Lehren

Der natürliche Lernprozess

Lernen erleichtern

Gedächtnistraining

Mnemotechnik

Mindmap

Die Lernkartei

ABC-Merkliste

Lernziele

Lerntypen

Ausbildungsmethoden

Der Vortrag

Das Lehrgespräch

Die Vier-Stufen-Methode

Das Rollenspiel

Die Fall-Methode

Das Planspiel

Leittext- und Projektmethode

Führen ist

Grundlagen zur Führung

Motivation

Autorität

Führungsstile und Techniken

Führungsmittel

Mitarbeitergespräche

Konfliktbewältigung

Gruppenverhalten

Moderation von Gruppen

Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten

Erziehen

Willkommen im Leben

Beschäftigung

Kompetenzen des Kindes

Sozialisation in der Gemeinschaft

Schule

Literaturhinweise

Schlusswort

Vorwort

Irgendwann hatte ich sie einmal gezählt, die Gesichter, die mich in einer Woche erwartungsvoll anschauen, die Gesichter, in denen ich zu lesen versuche, ob sie begriffen haben, die Gesichter, die mich anlächeln, die Gesichter mit Augen, fast geschlossen, weil so müde, die Gesichter, die beteiligt sind und mitreden, die Gesichter, die sich vom Kopfschmerz verziehen, weil die Aufgabe so schwer ist …, ja, und es ist gar nicht so selten, da kommuniziere ich pro Woche eben mit etwa 100 Gesichtern.

Die Gesichter haben Namen, hinter jedem Namen steht ein Leben, ein Schicksal. Und wenn ich sie dann kenne, gebe ich sie auch schon ab. Dann kommen neue. – So ist das in der Bildung. Das Glas ist gefüllt, meine Aufgabe erfüllt. – Schade eigentlich, aber es ist unmöglich, alle Wege weiter zu begleiten oder zu verfolgen. Denn es hört nicht auf. Immer neue Gesichter wollen weiter lernen. Das mache ich gern, bei ihnen Lernen bewirken. Und ich glaube, da bin ich ganz gut drin. Das ist mein Ding, seit über 20 Jahren.

Und ob ich nun erziehe, lehre oder führe – egal, ich gehe mit Menschen um. Im besten Fall begleite ich sie und hole das Beste aus ihnen heraus. Wofür sie dankbar sind. Eine Win-Win-Situation eben.

Das vorliegende Werk ist vor allem ein Erfahrungsbuch. Natürlich habe ich über die Jahre viel gelesen, recherchiert und selbst an Seminaren und Fernkursen teilgenommen. Literaturhinweise finden Sie am Ende des Buches.

Aus dieser Mischung heraus kann ich heute ganz wunderbar mit meinen Teilnehmern oder Klienten agieren. An dieser Freude möchte ich Sie teilhaben lassen und ich möchte natürlich auch bei Ihnen Lernen bewirken.

Der Zusammenhang zwischen Lehren, Führen, Erziehen und Lernen wird Ihnen beim Lesen des Buches allmählich klar. Da Lernen dabei das Ding ist, um das sich alles dreht, beginne ich damit und gehe natürlich auch auf das Lehren ein. Aber auch wenn Sie führen oder erziehen, Sie wollen am Verhalten eines Menschen etwas verändern oder erhalten.

Und wenn das Ihr Anspruch ist, dann sollten Sie wissen, was in diesem Menschen passiert.

Lernen und Lehren

Ja, was ist Lernen nun eigentlich? Aneignung von Wissen? Pauken? Schule? – Nun ja, in gewisser Weise kennen wir das gar nicht anders.

Bei der Frage, wann denn Lernen anfängt, antworten meine Teilnehmer ziemlich zügig: „Von Geburt an.“

„Richtig“, ist meine Antwort dann, wobei ich zur Diskussion stelle, ob Lernen nicht schon im Mutterleib beginnt. Und dann arbeiten wir uns vor. Wir reden über eigene und fremde Lernerfahrungen, stellen fest, dass wir ständig Informationen aufnehmen, Erfahrungen machen und dass es durchaus beglückend ist, „wenn der Groschen fällt“.

Wir reden auch über die Zeit nach einer Schulung und über die Veränderung, die wir erleben. Wir reden über Lernlust und -frust und merken, dass nicht jede Art von Schule Spaß macht. Und so fassen wir zusammen:

Lernen beginnt in der Auseinandersetzung mit der Umwelt, was Motivation voraussetzt. Wir nehmen Informationen auf, sammeln Erfahrungen und finden Zusammenhänge. Das Ergebnis des Lernens ist eine Verhaltensänderung.

Die gute Nachricht: Lernen ist ein ganz natürliches Bedürfnis, wir lernen ständig, immerzu. Weil wir neugierig sind, weil wir entdecken und wissen wollen …

Das ist doch mal eine tolle Voraussetzung. Nur, wie können wir uns überwinden, wenn der Lernstoff schwierig erscheint, wenn wir uns mühen müssen mit Definitionen und Vokabeln, mit Rechenwegen und Formeln?

Lesen Sie einfach einmal weiter. Es hilft schon einiges, wenn man weiß, wie Lernen funktioniert.

Der natürliche Lernprozess

Nachdem der Begriff Lernen geklärt ist, stellt sich die Frage, was wir unter Lehren verstehen. Das kann ganz kurz und eindeutig erklärt werden.

Lehren heißt Lernen bewirken.

Und wenn das unser Anspruch ist, müssen wir uns noch tiefer mit dem Lernenden auseinandersetzen, damit, was eigentlich während des Lernprozesses „passiert“.

Heinrich Roth stellt den natürlichen Lernprozess so dar:

Dazu ein Beispiel von mir: Autofahren lernen

1. Interesse ist die Basis für das Lernen. Es kann aufgrund von Wissensdurst primär oder aufgrund des Strebens nach einer Berechtigung bzw. eines Vorteils sekundär vorliegen. In unserem Beispiel will der Mensch also unbedingt fahren können oder er benötigt die Berechtigung, um von A nach B zu gelangen.

2. Jeder Lernende bemerkt die Schwierigkeit, zu wissen, dass man etwas noch nicht weiß oder kann. Das ist zunächst schwer – durch Stufe 1 aber zu überwinden . Und es ist schwer, all die Knöpfe, Schalter, Hebel und Pedale zu bedienen und darüber hinaus noch die Regeln des Straßenverkehrs zu erfassen.

3. Die Lösung wird dargeboten oder selbst aufgrund eines Versuches gefunden. Beim Autofahren lernen ist vom Versuch abzuraten . Das kann freilich schiefgehen. Besser, der Fahrlehrer unterweist den Fahrschüler theoretisch und praktisch.

4. Nun ist es an der Zeit, selbst das zunächst theoretisch Erfasste auch praktisch anzuwenden. Der Fahrschüler bearbeitet Prüfungsbögen, später darf er sich ans Steuer setzen.

5. Von einmal Tun kann keiner erwarten, den Ablauf, die Regeln zu beherrschen. Aber wenn wir es immer wieder wiederholen, also weiter Prüfungsbögen bearbeiten und das Fahren üben, dann prägen sich die Abläufe allmählich ein.

6. Nach bestandener Prüfung fährt unser Absolvent noch zögerlich. Er muss sich vielen neuen Situationen im Straßenverkehr stellen und überträgt so seine Kenntnisse und Fertigkeiten auf verschiedene Handlungsfälle. Irgendwann fährt er und es kommt vor, dass er nicht wirklich weiß, wie genau er von A nach B gelangt ist. – Ein Busfahrer – mein ehemaliger Meisterschüler – erzählte, dass er abends mit seinem PKW auf dem Nachhauseweg an jeder Bushaltestelle gehalten hätte. Das ist zwar komisch, zeigt aber, dass nun völlig routiniert, auch wenn wir gedanklich „abwesend“ sind, Handlung ablaufen kann. – Das Verhalten hat sich geändert.

• Lernen erleichtern

Nun, eigentlich muss man das ja gar nicht. Was man mit Lust und Liebe tut, kann man irgendwann richtig gut. Nur ist das mit der Liebe und der Lust so eine Sache. Und vermutlich können viele Menschen es sich in einer derart spezialisierten Welt nicht mehr heraussuchen, was sie lernen wollen.

Denken Sie an Ihr Hobby. Ohne große Mühe und Last gelingt es Ihnen, einen dicken Wälzer in kurzer Zeit durchzulesen, Ihren Garten in ein Schmuckstück zu verwandeln oder einen Strike nach dem anderen zu bowlen. Sie sind intrinsisch motiviert, Sie sind heiß, Sie haben Spaß an dem, was sie tun. – Menschen, die ihrem Traumberuf nachgehen, tun das mit großer Leidenschaft. Menschen, die in ihrem Beruf richtig gut sind, Sterneköche zum Beispiel, müssen ganz einfach intrinsisch motiviert sein. Gute Lehrer, an die Sie sich erinnern, haben sicherlich mit großer Freude unterrichtet. Nur wer selbst brennt, kann ein Feuer entfachen.

Tja, wenn Sie jetzt sagen: „Ich will ja nur unterrichten, weil man da gutes Geld verdienen kann“, dann rate ich Ihnen ab, Ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie werden über kurz oder lang ermüden, vielleicht werden Sie gleichgültig, vielleicht auch krank.

Grundvoraussetzung für einen Lehrer oder Ausbilder ist die Freude und die Lust daran, anderen Menschen Wissen zu vermitteln. Alle anderen, die das nur tun, damit sie nichts anderes tun müssen, sind „Pfeifen“, wie wir Lehrermädels zu sagen pflegen. Das ist aber noch nicht das Schlimmste. Denn jene hinterlassen ein Chaos, welches andere dann aufräumen müssen. Ich – nein, wir haben das oft machen müssen. Um zu retten, was noch zu retten war.

Aber zurück. Sie wollen ja bei Menschen Lernen bewirken, nicht wahr? Warum sonst haben Sie sich dieses Buch gekauft? – Also, lassen Sie uns beginnen:

Grundvoraussetzung, wie wir nun wissen, ist das Interesse daran, sich ein bestimmtes Stoffgebiet zu erschließen – die Motivation.

Sie würden blauäugig ans Werk gehen, wenn Sie glaubten, Ihre Teilnehmer und Teilnehmerinnen in den Seminaren der Aufstiegsfortbildung oder Ihre Studenten sind primär am Lerngegenstand interessiert. Sie beschäftigen sich zunächst mit „Ihrem Stoff“ nur deswegen, um eine Prüfung zu bestehen und/​oder einen Abschluss zu erzielen. Aber gut. Sie sind immerhin freiwillig bei Ihnen und daher motiviert. Wenn auch sekundär, oder extrinsisch. Sie tun es sich an, Ihnen zu folgen, weil sie ein Ziel vor Augen haben. Und das ist Ihre Chance:

Wenn Sie es jetzt schaffen, intrinsische Motive zu wecken, dann haben Sie es geschafft, dann haben es auch Ihre Lernenden so gut wie geschafft. Denn scheinbar mühelos gelingt die Aufnahme des Wissens, die aktive Beschäftigung mit dem Lerngegenstand.

Hier die Erklärung:

Informationen gelangen als Erstes ins Ultrakurzzeitgedächtnis – durch Sehen, Hören, Anfassen, Riechen, Schmecken. – Unsere Sinne nehmen zunächst alles auf, aber …

Das Ultrakurzzeitgedächtnis ist schlau, denn es nimmt eine Art Auslese vor. Nur die Informationen, die wichtig sind, werden ans Kurzzeitgedächtnis weitergereicht. Was nicht interessiert, fliegt wieder raus, nach dem Motto: „Ins eine Ohr hinein, aus dem anderen Ohr wieder heraus.“ So können wir uns auch das Verhalten des kleinen Träumers in der Grundschule erklären, der viel lieber aus dem Fenster schaut oder seinen Gedanken nachhängt. Der hat vermutlich kein Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, denn er schaut ja aufmerksam dem Treiben da draußen zu. Aber er kommt da nicht hin, da er Schulpflicht hat.

Sollten Informationen, die ins Ultrakurzzeitgedächtnis gelangen, nun eine unverzügliche Handlung zwingend erfordern, so machen wir das automatisch. Oder haben Sie schon mal in dem Moment, wo es notwendig war, ernsthaft darüber nachgedacht, ob und wie Sie an einer roten Ampel anhalten? Nein, häufig wissen Sie noch nicht mal im Detail, wie Sie von A nach B gelangt sind, da alles sehr routiniert abläuft.

Zurück zur Ausgangssituation:

Sie versuchen, Ihren Lernenden den Betriebsabrechnungsbogen nahezubringen. Da diese ihre Freizeit opfern und sich zu Ihnen setzen, haben Sie schon einmal ein grundlegendes Interesse, auf das Sie aufbauen können. Wenn Sie jetzt aber reden, wie ein lahmes Reh, schlafen Ihnen die geschafften Menschen weg. Und wenn Sie mit Powerpoint-Folien durch die Seiten fliegen, geben es selbst die Begabtesten auf, Ihnen zu folgen. – Sie stellen Ihre Unterlagen ja ins Netz. Da kann man dann noch mal reinschauen. – Da muss man dann noch mal reinschauen und hätte sich die Stunden mit Ihnen sparen können!!

Aber Sie machen das natürlich anders. Sie begrüßen Ihre Teilnehmer freundlich und geben das heutige Thema bekannt und bekunden, wie interessant das für Sie und auch für Ihre Zuhörer sein wird. Da darf ruhig ein wenig Humor dabei sein. Ich sage meinen Leuten zum Beispiel, dass ich den BAB (Betriebsabrechnungsbogen, Instrument der Kostenstellenrechnung) geradezu liebe, dass es Spaß macht, abends mal eben einen BAB aufzustellen und dass Sie diese Freude gern mit Ihren Teilnehmern teilen wollen. Und dann wiederholen Sie den Stoff der letzten Einheit gemeinsam. Damit setzen Sie ein pädagogisches Prinzip um, nämlich „vom Leichten zum Schweren“ und ein didaktisches Prinzip, nämlich das der „Aktivität des Lernenden“.

Und damit erreichen Sie, dass die Informationen, die nun folgen, so interessant sind, dass sie ins Kurzzeitgedächtnis gelangen.

Damit haben wir schon einen guten Weg geschafft. Wie gelangen die Informationen nun aber ins Langzeitgedächtnis, also dahin, wo sie abrufbereit liegen? Hier können Sie bereits gute Starthilfe leisten. Lassen Sie etwas, was Sie gerade erklärt haben, Ihre Lernenden mittun und noch einmal als Übung bearbeiten. Geben Sie noch weitere Übungen mit nach Hause, vor allem bei solchem Lernstoff, wo sich eine Systematik einprägen muss.

Handelt es sich um „reine“ Theorie, also um Stoff, den man sich einprägen und auf Situationen bezogen wiedergeben oder anwenden muss, hilft vor allem das Gespräch und die Beispiele, die Sie anbringen. Wichtig ist hier, dass sich Ihre Lernenden vorstellen können, was Sie meinen. Malen Sie ihnen eine Welt, die zum Lernstoff passt.

Hier die Erklärung:

Informationen werden nur eine bestimmte Zeit im Kurzzeitgedächtnis aufbewahrt. Dann wird irgendwann der Speicher zu voll und er muss gelöscht werden. Das sollten Ihre Lernenden wissen. Sie müssen sich auch weiterhin mit dem „alten Stoff“ beschäftigen. Klar, Sie als Lehrkörper müssen weitergehen, die Stunden sind begrenzt. Aber halten Sie ab und an inne, wiederholen Sie Altes, fragen Sie ab oder flechten Sie Übungen ein. Erinnern Sie Ihre Leute daran, sich mit den bereits gehörten Informationen wieder und wieder auseinanderzusetzen.

Also, steter Tropfen höhlt den Stein, oder stetes Wiederholen prägt Lernstoff ein.

Eine andere Möglichkeit, Informationen ins Langzeitgedächtnis zu überführen, besteht darin, sie an starke Emotionen zu koppeln. Das dürfte für uns Lehrende auf Dauer aber schwer werden. Immerhin, es funktioniert. Viele von uns Älteren wissen noch genau, was sie an dem Tag gemacht haben, als die Grenzen öffneten. Oder nahezu jeder weiß, was er/​sie am 11. 9. 2001 gemacht hat. Auf Techniken, wie wir Informationen ins Langzeitgedächtnis überführen, gehen wir im nächsten Kapitel näher ein.

Zurück zum BAB:

Sie geben ein Fallbeispiel, Sie zeigen den Aufbau des BAB, Sie füllen gemeinsam mit den Teilnehmern die ersten Zeilen aus und visualisieren Ihre Vorgehensweise. Die nächsten Zeilen können die Teilnehmer bereits selbst ausfüllen. Dann vergleichen Sie die Ergebnisse. Es ist für die Lernenden absolut beglückend, wenn sie es richtig haben. Loben Sie dann. Hat es noch nicht geklappt, so suchen Sie gemeinsam den Fehler – hier ist auch einmal Einzelbetreuung angesagt. Ermutigen Sie: „Das wird schon, ist schließlich das erste Mal, dass Sie sich mit einem BAB beschäftigen.“