Details

Plötzlich lachte Dr. Bunsen


Plötzlich lachte Dr. Bunsen

Zehn Geschichten und ein Nachwort
1. Auflage

von: Wolfgang Eckert

CHF 8.00

Verlag: Edition Digital
Format: PDF
Veröffentl.: 07.12.2022
ISBN/EAN: 9783965218093
Sprache: deutsch
Anzahl Seiten: 186

Dieses eBook enthält ein Wasserzeichen.

Beschreibungen

Es gibt Leute, die fangen das Buch von hinten zu lesen an und entscheiden danach, ob sie es kaufen oder nicht. Machen wir es doch auch einfach mal so und schauen uns statt der zehn Geschichten dieses Buches zuerst das eine Nachwort an. Und danach können Sie entscheiden, ob sie die 10 Geschichten zuvor auch haben wollen oder nicht …
Das eine Nachwort stammt vom selben Autor wie die zehn Geschichten zuvor. Darin ist viel von Meerane die Rede, der Geburts- und Heimstadt des Verfassers, aber auch vom benachbarten Glauchau sowie von der Gefährlichkeit des Schreibens – zumal, wenn der Schriftsteller wie in diesem Falle in einer kleinen Stadt zu Hause ist, die neben einer anderen kleinen Stadt liegt. Meerane neben Glauchau oder umgekehrt. So scheint alles überprüfbar:
Im Postamt bemerkte ich, wie sich einige Leute in meiner Nähe über mich verständigten. Danach hörte ich den Ausruf: „Der Dichter!“
Ich verließ die Post, ohne etwas einzuzahlen, und rannte einem seriösen Herrn in die Arme, der mich vertraulich festhielt und fragte: „Hören Sie mal, Sie schreiben da, zwölf Fabrikanten aus unserer Stadt hätten nach fünfundvierzig das Land verlassen. Ich bekomme aber nur elf zusammen. Wer ist denn der zwölfte?“
Ich riss mich los, aber er verfolgte mich klagend. „Wer ist denn der zwölfte um alles in der Welt! Ich kann nicht mehr schlafen! Ich bin doch hiergeblieben!“
Auf dem Marktplatz schüttelte eine Bekannte bei meinem Anblick missbilligend den Kopf. „Im zweiten Kapitel läuft dein Paul Weidauer von hier aus, wo wir stehen, über die Augasse zum Thälmannplatz. Guck mal: Wenn er durch die Marienstraße geht, hat er es kürzer. Müsstest du als Meeraner eigentlich wissen! Dann war ich in der Karl-Schiefer-Straße. Das Haus hat eine Etage, nicht zwei. Meine Güte, du bist auch noch darin geboren! Sag mal, hast du das Buch überhaupt selber geschrieben –?“
Ich lief weiter und hielt mir ein Taschentuch vor das halbe Gesicht, so wie bei einem, der vom Zahnarzt kommt. Aber ein Dritter erkannte mich, verstellte mir den Weg und tadelte: „Die Musiker in Berthels Hotel trugen schon sofort nach dem Krieg gleichfarbige Sakkos und waren nicht, wie Sie das behaupten, bunter als ein Schwarm Papageien, Mann!“
Schriftsteller leben gefährlich. Besonders wenn sie in kleinen Städten wohnen. Und warum lachte übrigens Doktor Bunsen plötzlich? Das steht in der zehnten der zehn Geschichten zuvor und hat etwas mit einer ganz besonderen Erfindung zu tun. Ja erfinden, das können sie, diese Schriftsteller.
EIN HUT AUF DER ELBE
ICH HABE ZWEI JAHRE BAU HINTER MIR
PROLOG
WIE ICH EIN BAUHERR WURDE
WIE ICH DEN VERSUCH UNTERNAHM, EINEN ZEMENTSACK ZU HEBEN
WIE ICH SPRINGEN LERNTE
WIE ICH EINEN GERADEN WEG GING
WIE ICH EIN GLEIS IN MEIN HAUS LEGTE
WIE MAN EINEN HAUSBAU BEENDET
RICHTER AUS DER LINDENSCHULE
TAUSCHE MAMMUT GEGEN ELEFANT
FRÜHLING IM ALLGÄU
KASPERLE IST WIEDER DA
SCHILBILEIN
DIE BESICHTIGUNG DER HOLLÄNDER
DAS ZASPEL-PHÄNOMEN
PLÖTZLICH LACHTE DOKTOR BUNSEN
ALS ICH MEIN GÄRTNER WAR
Geboren am 28. April 1935 in Meerane.
Nach der Grundschule Besuch der Meeraner Webschule mit dem Abschluss als Wollstoffmacher und arbeitete anschließend in Webereien.
Von 1960 bis 1963 studierte er am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“. Danach leitete er die Gewerkschaftsbibliothek im VEB „Palla“. Neben der Halbtagstätigkeit widmete er sich seinem schriftstellerischen Schaffen.
Er gründete einen Literaturklub, war künstlerischer Betreuer des Zirkels Schreibender des Kulturbundes des Kreises Glauchau.
Von 1989 bis 1992 war er Redakteur beim „Meeraner Blatt“ und von 1992 bis 1993Referent des sächsischen Landtagsabgeordneten Joachim Schindler (SPD).
Seit 1970 schrieb Eckert als freiberuflicher Schriftsteller zwei Fernsehspiele, ein Theaterstück, zwei Romane, Erzählungen, Feuilletons, Geschichten, Aphorismen, Autobiografien, eine Biografie und Gedichte. Außerdem verfasste er Beiträge für 24 Anthologien sowie Artikel für zahlreiche Zeitungen. Eckerts Erzählweise reicht von humoristischen, ironisch-satirischen, politisch bissigen bis hin zu ernsten Tönen.
Auszeichnungen:
Förderpreis des Institutes für Literatur „J. R. Becher“ Leipzig und des Mitteldeutschen Verlages Halle 1972
Hans-Marchwitza-Preis der Akademie der Künste der DDR 1974
Kurt-Barthel-Preis des Bezirkes Karl-Marx-Stadt 1983
Johannes-R.-Becher-Medaille in Silber und Bronze des Kulturbundes der DDR
Bürgermedaille der Stadt Meerane 2016
So begab sich Anton Dolbutzer pflichtgemäß zu Kollegen Flämig, von dem er durch die Verzweigtheit der einzelnen Betriebsteile keinerlei Ahnung hatte, eben nur, dass er bisher zehnmal im Theater gewesen war. Anton Dolbutzer kramte in seinem Hinterkopf Bruchstücke über die darstellende Kunst zusammen, die ein Kulturkommissionsmitglied hin und wieder klug bei solchem bevorstehenden Fall in das Gespräch werfen musste. Herr Puntila fiel ihm ein, Wallenstein und eine Matinee, bestehend aus Artistik, Zauberei und einer Hundedressur. Die Sonne stand nun steil über seiner durchschimmernden Kopfhaut und dem groß karierten Cowboyhemd. Aufgeregt transpirierte er ein bisschen.
Der Kollege Flämig empfing ihn tief bewegt, ja, seine Augen wurden sogar feucht. Groß, hager und aufrecht hörte er sich die Glückwünsche an. Man sah, dass Anton Dolbutzer für ihn die Leibhaftigkeit aller leitenden Bereiche des Großbetriebes war. Und Anton Dolbutzer, beflügelt von dieser Wirkung, ließ sich kräftiger als beabsichtigt zu einem nicht endenwollenden Händeschütteln hinreißen. Als hätte der Kollege Flämig durch eine geniale Idee die schriftlichen Erfolgsmeldungen des Betriebes so entwickelt, dass sie auch im volkseigenen Kindergarten zu den Märchenstunden vorgelesen werden konnten.
Der Gast wurde in die Wohnung gebeten. Frau Flämig versorgte die etwas schlaff gewordenen Tulpen mit frischem Wasser. Anton Dolbutzer fiel ihr aufgeschreckt in den Arm, als sie auch den zweiten Strauß aufschneiden wollte. Nein, der wäre für den Genossen Roggenpfuhl!
„Und was machst du, Kollege – Kollege –?“, fragte Flämig.
„Dolbutzer“, beeilte sich Anton Dolbutzer zu sagen, „Dolbutzer aus der Verwaltung.“
Er hatte das Gefühl, Flämig dachte für einige Augenblicke, er sei von Beruf Gratulant.
Frau Flämig brachte zwei Gläser und eine Flasche Kristallklaren. „Sie müssen wissen“, sagte sie, „seit heute früh wartet mein Mann auf diesen Augenblick. Ständig fragte er mich: Hat es nicht eben geklingelt?“
Anton Dolbutzer forschte überrascht, ob in Frau Flämigs Augenwinkeln Spottlust blitzte. Doch sie sah ihn freundlich an, und er beruhigte sich wieder. Er glaubte sogar, bei dem Kollegen Flämig eine gewisse Ähnlichkeit zu erkennen, was das Herabhängen der Schultern betraf. Spontan hob er sein Glas und sagte: „Ich heiße Toni.“
„Willy“, erwiderte der Kollege Flämig feierlich, „aber sie rufen mich alle Will.“
Der Klare kühlte Tonis Kehle und prallte dann heiß auf sein Pflichtgefühl, das sich sofort in Bewegung setzte. „Ich vergaß, dir auch noch zum Theaterjubiläum zu gratulieren.“
Will traf während des Nachgießens die Tischdecke.
„Ich bin doch gar nicht beim Theater.“
„Nicht beim, sondern im“, zwinkerte Toni, „wir haben herausbekommen, du warst zehnmal im Theater. Ja, ja, wir kriegen alles heraus. Ich gratuliere!“
„Mein Gott“, hauchte Will, „das letzte Stück war, glaube ich, Emilia Galotti. Und das noch zu meiner Schulzeit.“
„Aber der Vorsitzende sagte doch, du wärest zehnmal –!“, stammelte Toni.
„Ich hab' die Karten nur genommen“, gestand Will gequält. „Unser A-Ge-El tat mir immer so leid. Und bezahlt waren sie ja! Toni, das kannst du mir glauben, ich schwöre das! Schauspieler wollen auch leben. Versteh mich mal, Toni, ich konnte doch als Leiter –“
„Auch ich war nie im Theater!“, rief Toni erfreut.
Will beugte sich fassungslos nach vorn. „Aber – du bist doch in der Kulturkommission“, flüsterte er.
„Dort bin ich nur, weil ich ein Autogramm Lutz Jahodas besitze“, flüsterte Toni zurück.
„Das ist ja fantastisch“, jauchzte Will, „du interessierst dich also ebenfalls für Sport! Ich hätte beinahe mal von Täve Schur eines bekommen. Aber er fuhr zu schnell vorbei. Im Theater kannst du die Beine nicht ausstrecken, das ist es, Toni, deshalb.“
„Und sie machen jetzt kaum noch Pausen, hab' ich gehört“, erklärte Anton Dolbutzer.
Sie lehnten sich beide erleichtert zurück, und es wurde noch eine schöne Geburtstagsfeier.
Als Anton Dolbutzer zur Haustür geleitet wurde, trug er die Tulpen für den Genossen Roggenpfuhl, als hätte er eine Flasche in der Hand. Grell flimmerten einige Sonnen vor seinen Augen.
„Hier um die Ecke ist eine Bushaltestelle“, sagte Will Flämig, „an der vierten Station aussteigen. Es ist ein Viertel mit Einfamilienhäusern. Dann rechts einhundert Meter zurücklaufen, warte mal – das siebente Haus ist das vom Genossen Roggenpfuhl. Besuche mich wieder, Toni, und ich dank' dir und …“, er legte verschwörerisch den Zeigefinger an die Lippen, „Lutz Jahoda.“
„Täve Schur“, sagte Anton Dolbutzer geheimbündlerisch. Er wippte die Straße entlang. Seine Schultern berührten fast die Ohren.
Der Bus war zum Bersten gefüllt mit Jugendlichen, die trotz der Hitze lange farbige Schals trugen, Trompeten und Rasseln mit sich führten und nach Bier stanken. „Blau-weiß-Rot – schlagt sie tot!“, schrien sie.
Anton Dolbutzer, der keine Ahnung von Fußballleidenschaft hatte, dachte, dass irgendwo wieder ein Rockfestival ausgebrochen war. Er zwängte sich in die stickige Luft des Busses. Mit dem Rücken schützte er die kostbaren Tulpen. Der Lärm verursachte bei ihm als Gegenwehr eine lähmende Müdigkeit. Sein Atem roch nach Schnaps. So unterschied er sich wenigstens nicht in dieser Hinsicht von seinen Mitreisenden. Aber er hätte jetzt lieber auf seinem Sofa ein Nickerchen gemacht oder glücklich versunken vor seiner Kakteensammlung gesessen. Zu beiden Seiten ließen die Häuserreihen nach, und der Blick in die Ferne wurde frei. Anton Dolbutzer zählte krampfhaft die Haltestellen. Bungalowgrundstücke tauchten auf mit Menschen darin, die sich in Swimmingpools tummelten, Rasenmäher wie Kinderwagen vor sich her schoben, die Gartensauna verkleideten, hinter Sichtschutzwänden bräunten: die also alle etwas Wichtiges zu tun hatten. Und er fuhr zu einem Genossen Roggenpfuhl! Diesmal aber nahm er sich vor, die fünffachen volkseigenen Glückwünsche gleich an der Tür loszuwerden, damit er am Kaffeetisch seiner Frau die restlichen Stunden des Sonntags endlich die zweiundfünfzigste Wiederkehr seiner Geburt feiern konnte. Er taumelte an der vierten Haltestelle aus dem Bus, lief auf der rechten Seite zurück, zählte bis sieben und bog in den Kiesweg eines weiß gestrichenen Hauses ein. Hohe Fichten spendeten ihm zum ersten Mal wohltuende Kühle. Er tastete nach dem Glückwunschkuvert, sah an der Beschaffenheit der Tulpen, dass er sich beeilen musste, und stieg die Vortreppe hinauf.
Durch die Glasscheibe der Haustür wurde Anton Dolbutzer bereits gesichtet. Ein Mann, dem anzusehen war, dass er sich irrtümlicherweise in den besten Jahren vermutete, riss die Tür auf und rief: „Ahoi, mein Freund, tritt ein, damit das Haus voll werde, ich bin es schon!“

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