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FÜR LÄUFER

Übersetzt von Michael Pfingstl

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Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel „Run with Power: The Complete Guide to Power Meters for Running“ bei VeloPress, 3002 Sterling Circle, Suite 100, Boulder, CO 80301-2338, USA; www.velopress.com.

 

Copyright © 2016 by Jim Vance

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

© der deutschsprachigen Ausgabe: spomedis GmbH, Hamburg 2016

 

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten.
Dieses Buch oder Teile dieses Buchs dürfen nicht ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags vervielfältigt, elektronisch gespeichert oder auf andere Medien übertragen werden.

 

Übersetzung: Michael Pfingstl

Übersetzungslektorat: Gabi Hagedorn

Layout und Satz: Sünje Carstensen

Umschlagabbildung: dreamstime.com (Andrey Anishchenko)

 

ISBN 978-3-95590-121-9

 

www.spomedis.de

Einführung: Die Zukunft beginnt jetzt

Einführung: Die Zukunft beginnt jetzt

Wir stehen kurz vor einer Revolution im Laufsport. Das Zusammenspiel zwischen Trainingswissenschaften und Coaching wird immer feiner und enger. Das Power Meter gibt uns die Möglichkeit, sportliche Leistung direkt, objektiv und durchgängig zu messen. Wir können die vom Athleten erzeugte Leistung nicht nur während des Trainings, sondern auch im Wettkampf präzise erfassen. Dadurch wird es möglich, sich genau auf die spezifischen Anforderungen eines bevorstehenden Wettkampfs einzustellen und sich dabei die Stärken des Athleten zunutze zu machen. Das Power Meter ist mit Abstand das beste Werkzeug, das es je gab, um Laufstil, Fitness und Leistungspotenzial zu beurteilen. Richtig eingesetzt, wird es Sie zu einem besseren, schnelleren Läufer machen.

Vielleicht denken Sie jetzt, Sie hätten das alles schon einmal gehört. In gewisser Weise stimmt das auch. Als Pulsmessgeräte auf den Markt kamen, gab es viele Sportler, die sich zunächst nicht die Mühe machten, zu lernen, wie die neue Technologie verwendet wird. Wer heute allerdings nur einen Pulsmesser – oder gar eine Stoppuhr – verwendet, gilt schon als altmodisch, weil er kein GPS benutzt. Die Einführung von GPS war und ist eine wichtige Verbesserung für unser Training. Aber sobald Sie das volle Potenzial von Power Metern erkannt haben, werden Sie merken, dass GPS nur ein erster Schritt war, vor allem für Athleten mit hochgesteckten Zielen.

Was wird kommen?

Einen Marathon unter zwei Stunden zu laufen, gilt im Moment als magische Grenze, ganz ähnlich wie die 4-Minuten-Schallmauer beim Meilenlauf, die Roger Bannister 1954 durchbrochen hat. Viele bezweifeln, dass der Mensch überhaupt in der Lage ist, eine solche Marathonzeit zu erzielen. Zahllose Artikel, Publikationen und Foren beschäftigen sich mit der Frage. Topläufer und Experten streiten noch darüber, wann es (wenn überhaupt) so weit sein wird, wie die Anforderungen an den Athleten aussehen und wie die Strecke beschaffen sein muss, dass eine so spektakuläre Leistung möglich wird.

Lange Zeit glaubte man, es wäre nicht oder nur sehr schwer machbar, einen Halbmarathon unter einer Stunde zu laufen, doch 1993 geschah es. Im Jahr 2011 war die vermeintlich unüberwindbare Grenze sogar über 150 Mal durchbrochen worden.

Wenn wir zurückschauen auf die Mitte der 1990er-Jahre, sehen wir eine Generation junger ostafrikanischer Läufer, die die Geschichte der Rekorde über 5000 und 10.000 Meter regelrecht umgeschrieben hat, und das Monat für Monat, Jahr für Jahr. Anfangs fragten wir uns, ob noch jemand außer Saïd Aouita die 5000 Meter in weniger als 13 Minuten laufen kann, wie er es 1987 getan hat – im Jahr 2011 war es über 250 Mal passiert. Während ich diese Zeilen schreibe, steht der Rekord bei 12:37 Minuten, das entspricht einer Pace von beinahe 4 Minuten pro Meile, doch es kommt noch besser: Der Weltrekord für den Meilenlauf der Männer steht mittlerweile bei 3:43 Minuten, das ist pro Stadionrunde über 4 Sekunden schneller, als Bannister war! Der Weltrekord der Frauen liegt immer noch bei 4:12 Minuten. Werden auch die Frauen die magische 4-Minuten-pro-Meile-Grenze durchbrechen? Wahrscheinlich schon früher, als wir denken.

Sie mögen mich für übertrieben optimistisch halten, aber ich glaube, die 2-Stunden-Marke beim Marathon wird schon bald fallen. Wahrscheinlich spätestens bei den Olympischen Spielen 2028. Und das ist erst der Anfang. 2028 mag noch weit weg klingen, aber vielen von uns sind die unglaublichen Leistungen der 1990er-Jahre noch so gut in Erinnerung, als wäre es erst gestern gewesen.

Das Problem an der Überzeugung, eine bestimmte Leistung wäre unmöglich oder noch so weit weg, dass wir sie nicht mehr erleben werden, ist, dass wir dabei nur auf das Ergebnis schauen, nicht aber auf den Weg, der dorthin führt. Als professioneller Coach glaube ich, dass die Ergebnisse von selbst folgen, wenn sich das Training verbessert.

Ich bin ein Trainer, der viel von Daten und technologischen Trainingswerkzeugen hält. Im Radsport haben Power Meter Training und Wettkampfleistungen regelrecht revolutioniert. Schwimmer profitieren enorm vom Training mit Kraftmessplatten oder in Strömungskanälen, von Technikanalysen per Video, außerdem von den Erkenntnissen mutiger und sachkundiger Trainer, die neue Periodisierungsmodelle und Trainingspläne entwickeln. In vielen Ausdauersportarten haben Training und Wettkampfleistungen ebenso große Fortschritte gemacht wie die eingesetzte Technologie, nur beim Laufen war das bisher anders. Damit ist es nun vorbei.

Wie ist der momentane Stand?

Was beim Laufsport bisher gefehlt hat, war eine Methode, mit der sich die erzeugte Leistung durchgängig messen lässt: während der Saison, im Wettkampf, auf Strecken mit unterschiedlichem Profil, bei wechselnden Wetterbedingungen und so weiter. Nun gibt es dieses Werkzeug, und es ist so einfach, dass man sich fragt, weshalb es so lange gedauert hat. Ich bin der Überzeugung, dass die Marathonzeit von unter 2 Stunden nur der Anfang sein wird. Die Weltrekorde werden nur so purzeln, vom Marathon bis zum 100-Meter-Sprint. Sobald auch in den anderen Bereichen der Leichtathletik wie Weit- und Hochsprung, Stabhochsprung sowie den Wurfdisziplinen ein Power Meter verfügbar ist, wird es dort genauso sein.

Und all das wegen eines einfachen Werkzeugs, dass es im Laufsport jetzt schon gibt. Mit dem Power Meter können wir die erzeugte Leistung direkt messen, noch während sie erbracht wird, statt lediglich indirekt anhand der erzielten Zeit oder anderen, erst nach der Leistung erfassten Parametern. Mit diesem Werkzeug erweitern wir unseren Datenschatz um Messgrößen und Maße, von denen wir bisher nicht einmal etwas wussten, und diese Erweiterung wird uns ein vollkommen neues Leistungsniveau erschließen.

Neue Technologien können einschüchternd sein. Manche werden sich gegen ein Power Meter entscheiden und lieber so weitermachen wie bisher. Doch ich garantiere Ihnen: Wenn Sie diese Gelegenheit mit offenen Armen empfangen und lernen, wie man mit einem Power Meter trainiert, werden die im Training gewonnenen Daten Sie auf smarte Weise schneller machen. Die Informationsflut mag für Trainer und Athleten zunächst überwältigend sein, aber wer sie bewältigt und lernt, sie zu seinem Vorteil zu nutzen, wird den Wettbewerbsvorteil schnell spüren. Wenn die besten Athleten mit den besten Trainern zusammenarbeiten, die wissen, wie sich anhand der Daten optimale Trainingsprogramme erstellen lassen, um an den Schwächen eines Athleten zu arbeiten, beginnt eine Revolution. Wir werden Leistungen sehen, die uns den Kiefer nach unten klappen lassen. Falls Sie mir nicht glauben, werfen Sie einmal einen Blick auf die historische Entwicklung des Laufsports. Sie werden sehen, die Stunde hat geschlagen: Die Geschichte wiederholt sich, und die Zukunft beginnt jetzt.

1 Power Meter beim Laufen – wozu?

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Kapitel 1

Power Meter beim Laufen – wozu?

Haben Sie hohe Ziele? Haben Sie vor, sich für ein bestimmtes Event zu qualifizieren oder einen besonders guten Platz in einem Wettkampf zu belegen? Vielleicht wollen Sie einfach schneller laufen als bisher. Je höher Sie Ihre Ziele stecken und je besser Sie werden, desto mehr Engagement braucht es, um das nächste Level zu erreichen. Und je anspruchsvoller Ihre Ziele sind, desto stärker wirken sich Fehler aus, die Sie in der Vorbereitung oder während des Wettkampfs machen. Viele Ihrer Mitbewerber sind genauso gut wie Sie, manche sogar besser. Das richtige Training ist somit von entscheidender Bedeutung.

Training bedeutet eine Belastung für den Körper. Das muss es auch, denn sportliche Leistung ist nichts anderes als die Fähigkeit des Körpers, mit Belastung zurechtzukommen. Je schneller Sie laufen, desto größer wird die Belastung. Bisher war es allerdings kaum möglich, die Belastung, der wir uns aussetzen, exakt zu messen.

Der Trainingsumfang lässt sich leicht erfassen. Dazu braucht es nicht mehr als ein Trainingstagebuch, in dem wir Trainingsstrecke und -dauer aufschreiben. Doch der Umfang spiegelt die tatsächliche Belastung nicht wider.

Die Belastungsintensität ist der eigentliche Schlüssel zur Leistung, und die herkömmlichen Messmethoden, wie die gefühlte Erschöpfung (RPE), sind subjektiv. Der Puls (HR), der bisher zur Messung der Belastung herangezogen wurde, ist ebenfalls fehlerbehaftet: Erstens gibt er die Intensität nur indirekt wieder, zweitens wird er auch durch andere Parameter beeinflusst, die mit dem Training an sich nichts zu tun haben: Ernährung, Lufttemperatur, Stress beispielsweise.

Die Pace erscheint auf den ersten Blick als brauchbarer Parameter, doch auch sie unterliegt Faktoren wie Beschaffenheit des Terrains und Meereshöhe, deren Einfluss schwer zu beziffern ist. Wind, Hitze oder Kälte können sich ebenfalls positiv oder negativ auf die Pace auswirken und machen die Beurteilung der Leistung noch schwieriger.

Mit einem Power Meter haben Sie die Kontrolle über Training und Wettkampf und können jeden Aspekt Ihrer Leistung verbessern.

All diese Parameter lassen Rückschlüsse auf Ihre aktuelle Leistungsfähigkeit zu, liefern aber keinen objektiven und ausreichend genauen Wert der Trainingsintensität. Wird die Intensität falsch gemessen, leidet das Training. Wir werden anfälliger für Verletzungen, erholen uns vielleicht zu wenig oder steuern die Belastung falsch. All das kann unseren gesamten Trainingsplan über den Haufen werfen.

Was wir also brauchen, ist eine zuverlässige Methode, die Belastung zu messen, der wir uns beim täglichen Training aussetzen. Genau das bietet das Power Meter. Genau das ist der Grund, warum das Power Meter das Potenzial hat, Ihr Lauftraining zu revolutionieren.

Mit dem Power Meter können Sie Ihre Leistung und die Trainingsbelastung genauer messen denn je. Sie können die Kontrolle über Training und Wettkampf übernehmen und jeden Aspekt Ihrer Leistung verbessern. Sie brauchen sich nie wieder zu fragen, ob Sie Belastung, Erholung, Pace und Umfänge richtig steuern. Sie bekommen absolute Klarheit über Ihr Training und können Veränderungen und Fortschritte jedes Aspekts Ihrer Laufleistung genau beobachten.

Warum Watt?

Wenn Sie Triathlet oder Radrennfahrer (oder ein Fan dieser Sportarten) sind, wissen Sie wahrscheinlich, dass Wattmessgeräte dort bereits seit Langem verwendet werden. Die Wattmessung hat Training und Wettkampfleistung im Radsport verbessert wie kein anderes Trainingswerkzeug, da sie eine objektive und reproduzierbare Einschätzung der Gesamtleistung ermöglicht, und das ohne die Nachteile der älteren Methoden wie Pulsmessung, Geschwindigkeit und gefühlte Erschöpfung. Tatsächlich sind die Vorteile, die Wattmessung im Radsport und Triathlon bietet, so groß (und der Wettbewerb an der Spitze so eng), dass ein Verzicht auf diese Technologie quasi bedeuten würde, den Sieg aus der Hand zu geben, noch bevor das Rennen überhaupt begonnen hat.

Im Laufsport wurden GPS-Uhren während der letzten Jahre immer beliebter und die Uhren selbst immer kleiner. Diese Tatsache zeigt, dass die Laufwelt technischen Neuerungen und deren Vorzügen im Prinzip genauso offen gegenübersteht wie der Radsport.

GPS ist nützlich, verblasst aber im Vergleich zu den Vorteilen, die Wattmessung bietet. Der technologische Quantensprung, den Power Meter darstellen, lässt sich in etwa vergleichen mit dem Schritt von der Schreibmaschine zum Computer. In der Geschichte des Laufsports ist die althergebrachte Stoppuhr wiederum so etwas wie die Schreibmaschine: für ihren Einsatzzweck gut geeignet, aber darüber hinaus nicht gerade universell. Pulsmessgeräte hatten da schon mehr zu bieten, doch in der Rückschau war der Schritt auch nicht größer als der von der Schreibmaschine zu den ersten, klobigen Großrechnern. Moderne GPS-Uhren sind so etwas wie die ersten Handys, und das tragbare Power Meter stellt nun den nächsten Schritt dar, der die Vorteile von Laptop, Tablet und Smartphone vereint. Mit einem Desktop-Computer lässt sich einiges anfangen, aber wer sein Arsenal um Laptop, Tablet und Smartphone erweitert, tut sich dennoch leichter. Das ist der Punkt, an dem wir dank des Power Meters stehen.

Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, was denn nun so toll ist an diesem Gerät. Hier eine Auflistung nur einiger weniger Vorteile eines Lauf-Power-Meters:

Genauigkeit

Genauigkeit ist eines der wichtigsten Prinzipien des sportlichen Trainings. Vereinfacht ausgedrückt, müssen Sie, wenn Sie sich in einem bestimmten Aspekt verbessern wollen, genau diesen Aspekt üben und trainieren. Wenn Sie beispielsweise in der Nebensaison langlaufen, kann sich das durchaus positiv auf Ihre Marathonleistung auswirken, trotzdem hat Langlauftraining noch niemanden zum Marathon-Champion gemacht. Das Gegenteil gilt selbstverständlich genauso: Intensives Lauftraining macht noch lange keinen Langlaufmeister.

Der Wattmesser zeigt Ihnen, ob und inwieweit sich Ihre Leistung durch spezifisches Training verbessert hat. Anders ausgedrückt: Der Wattmesser kann Ihnen helfen, sich exakt auf die spezifischen Anforderungen des nächsten Wettkampfs vorzubereiten. Wenn es sich um eine hügelige Strecke handelt oder um eine, auf der häufige Zwischenspurts (also Leistungsspitzen) zu erwarten sind, können Sie sich mit dem Power Meter darauf vorbereiten und die Verbesserung Ihrer Leistung bei Zwischenspurts oder an Steigungen genau messen.

Sobald Sie wissen, was Sie erwartet, können Sie Ihr Training besser planen, um am Wettkampftag optimal vorbereitet zu sein.

Verbesserung der Lauftechnik

Stellen Sie sich vor, Sie verändern Ihren Laufstil nur um eine Nuance und bemerken eine große Leistungsveränderung, sei es zum Guten oder Schlechten. Der Wattmesser hilft Ihnen, zu verstehen, auf welche Aspekte Ihrer Technik Sie sich konzentrieren müssen, welche davon sich verbessern lassen und welche Sie vernachlässigen können. Dieses Verständnis ist besonders hilfreich, wenn Sie etwas Neues probieren. Auch in der Endphase eines Rennens, wenn Sie müde sind und Unterstützung brauchen, um das Letzte aus sich herauszuholen, kann der Wattmesser helfen, indem er Ihre Pace sowie die erzeugte Leistung überwacht und Ihnen genau sagt, wie viel Sie noch „im Tank“ haben.

Objektive Messung der Leistung

Die Leistung scheint auf den ersten Blick leicht zu messen: Sie sehen sich einfach an, wie schnell Sie gelaufen sind. Aber nicht alle Strecken sind gleich, auch die äußeren Bedingungen variieren. Was, wenn Sie konstanten Gegenwind hatten? Oder Rückenwind? Die Pace ist gut geeignet, um Ihre Leistung zu messen, aber Leistung und Pace zusammen sind noch besser. Nehmen Sie noch die Herzfrequenz (HR) dazu, bekommen Sie eine ganze Reihe objektiver Daten, mit denen Sie arbeiten können.

Diese Variablen sagen Ihnen beispielsweise, wenn Ihre Leistung stagniert und Sie über eine Trainingsumstellung nachdenken sollten. Wenn es Ihnen gelingt, solche Stagnierung zu vermeiden, und Sie beständig besser werden, ist das erstens gut für Ihr Selbstvertrauen und zweitens werden Sie die Ziele, die Sie sich gesteckt haben, schneller erreichen.

Nach einer Verletzung zeigen Ihnen die Messungen, wie viel Leistung Sie eingebüßt haben oder, noch besser, wie wenig. In manchen Fällen können die Daten des Power Meters Ihnen sogar sagen, ob Sie immer noch an den Nachwirkungen einer Verletzung leiden, die Sie bereits überwunden glaubten (oder, was öfter vorkommt, die Sie unbewusst ignoriert haben). Somit können Sie eine weitere Verschlimmerung vermeiden. Wenn Sie anfangen, Ihre Leistung anhand der Wattzahl zu messen, verschafft Ihnen das vollkommen neue Einblicke in Ihre Lauftechnik.

Quantifizierung der Trainingsbelastung

Die Wattzahlen liefern nicht nur objektive Daten zu Ihrer Leistungsfähigkeit. Da Sie die Trainingsintensität genau messen können, können Sie auch die Belastung und die in der Folge auftretende Ermüdung besser einschätzen. In Kapitel 8 lernen Sie den Training Stress Score TSS (dt.: Trainingsbelastungsgrad) kennen, mit dem sich die Belastung genau quantifizieren lässt. Der Wert hilft Ihnen, für das richtige Verhältnis zwischen Belastung und Erholung zu sorgen. Auch hier ist das Power Meter besser geeignet, Ermüdung und Trainingsbelastung abzuschätzen als die Pace.

Bessere Erholung

Wenn Sie sich nicht ausreichend erholen, trainieren Sie nicht. Sie machen sich nur fertig. Wahrscheinlich kennen Sie die Formel Training = Belastung + Erholung. Aber wie viel Belastung ist genug? Wie viel ist zu viel? Wie oft sollten Sie einen Erholungstag einlegen? Wie viele Erholungstage brauchen Sie nach einem längeren Trainingsblock?

Die Regenerationsfähigkeit nach einem harten Training variiert individuell sehr stark. Wenn Sie einen freien Tag einlegen, nur weil die anderen in Ihrer Trainingsgruppe es ebenfalls tun oder Sie das Gefühl haben, Sie könnten ihn gebrauchen, verschenken Sie womöglich Verbesserungspotenzial. Wenn Sie andererseits aufgrund der Daten des Power Meters genau wissen, wie viel Erholung Sie brauchen, macht das Ihr Training besser. Und mit besserem Training kommen bessere Leistungen.

Präzises Tapering

Tapering ist ein weites Feld. Manche Sportler tapern überhaupt nicht, andere beschäftigen sich intensiv mit der Frage, wie lange sie tapern sollten, wieder andere überlegen, welche Art von Tapering für sie die richtige ist. Wenn Sie von Ihrem Power Meter genaue Daten zu Trainingsbelastung und Ermüdung haben, können Sie Ihr Tapering damit exakt planen. Nach einem präzisen Tapering wissen Sie, dass Sie bereit sind, wenn Sie an der Startlinie stehen.

Effektives Aufwärmen

Kaum ein erfolgreicher Läufer geht ins Rennen, ohne sich vorher aufzuwärmen, Dauer und Intensität des Aufwärmens variieren allerdings erheblich. Vor einem Rennen sollte man auf keinen Fall mehr Energie verbrauchen als unbedingt notwendig. Die Daten eines Power Meters informieren Sie exakt über die Intensität Ihres Aufwärmprogramms, sodass Sie ganz spezifische physiologische Systeme ansprechen können, um sich optimal auf den Wettkampf vorzubereiten.

Verhältnis von Leistung zu Körpergewicht

Im Radsport wird die Wattleistung geteilt durch das Gewicht des Athleten schon seit Längerem zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Fahrer herangezogen. Ausgedrückt wird der Wert in Watt pro Kilogramm (W/kg). Liegt er über einer bestimmten Schwelle, wissen wir, dass der Athlet zu hervorragenden Leistungen in der Lage ist. Das Power Meter für Läufer gibt nun auch uns die Möglichkeit, diese Rechnung durchzuführen. Die Fähigkeit, die von Ihnen geleisteten Watt in Geschwindigkeit umzusetzen, steht in engem Zusammenhang mit Ihrer Körpermasse, wie wir in Kapitel 5 sehen werden. Falls Sie beispielsweise vorhaben, einen Marathon unter 3 Stunden zu laufen, kann es sehr nützlich sein, wenn Sie Training und Ernährung darauf ausrichten, einen bestimmten Watt-pro-Kilogramm-Körpergewicht-Wert zu erreichen.

Geschwindigkeit pro Watt

Das wohl wichtigste Konzept in diesem Buch (und gleichzeitig der größte Vorteil eines Power Meters) ist, Ihr Verständnis dafür zu verbessern, wie Sie die von Ihnen erzeugten Watt in Geschwindigkeit umsetzen. Bisher war es schlichtweg nicht möglich, dies zu messen.

Objektives Feedback zur Trainingsperiodisierung

Am Ende der Saison können Sie anhand der gesammelten Daten weit besser beurteilen, wie gut Ihr Trainingsplan funktioniert hat und wie Sie mit Ihrem Training weitermachen sollten.

Wie lief das Training im letzten Jahr? Gab es Einheiten, auf die Sie besonders gut angesprochen haben? Welche, bei denen es umgekehrt war? Gab es einen Punkt, ab dem die Entwicklung eher rückwärts ging und Ihre Leistungen schlechter wurden? Wenn Sie die Kurve der Höhen und Tiefen der letzten Saison schwarz auf weiß vor sich haben, lernen Sie eine Menge über sich und Ihren Körper.

Pacing

Eine gute Leistungsfähigkeit gibt Ihnen einen gewissen Spielraum beim Pacing. Der Schaden von Pacingfehlern lässt sich begrenzen – allerdings nur, wenn man gut genug ist. Wenn die Konkurrenz hart ist und die Strecke anspruchsvoll und noch schlechte Bedingungen dazukommen, kann es allerdings passieren, dass Sie einen einmal gemachten Pacingfehler nicht mehr ausgleichen können. Das richtige Pacing ist somit ein entscheidender Erfolgsfaktor, und das umso mehr, je ehrgeiziger Ihre Ziele werden.

Ein Power Meter kann Ihnen helfen, die richtige Pace zu wählen und zu halten, und das auch auf Strecken, auf denen es schwierig ist, einen Rhythmus zu finden. Wenn Sie sich beispielsweise auf eine hügelige Strecke vorbereiten, die absolut fehlerloses Pacing erfordert, hilft das Power Meter Ihnen auf jedem Abschnitt, das richtige Tempo zu laufen.

Noch ein Vorteil: Viele Läufer orientieren sich an ihrer Pace, um es zu Beginn des Wettkampfs nicht gleich zu übertreiben oder um im Mittelteil, wenn das Feld sich in die Länge zieht, nicht zu schnell zu laufen. Nach einem guten Tapering könnten Sie allerdings in der Lage sein, schneller zu laufen, als Sie erwartet hatten. In diesem Fall verhindert eine vorab festgelegte, zu niedrige Pace, dass Sie so gut abschneiden, wie Sie es eigentlich könnten. Ein Power Meter gibt hierzu eine objektive Einschätzung und ermöglicht Ihnen, noch mitten im Rennen das Tempo anzuziehen, wenn Sie die nötige Form haben.

Training nach Herzfrequenz und Watt

Falls Sie in Wettkampf und Training bereits einen Pulsmesser verwenden, fragen Sie sich vielleicht, wozu Sie nun auch noch ein Power Meter brauchen. Der Hauptgrund ist, dass der Puls der tatsächlichen Belastung stets hinterherhinkt. Die Wattzahl hingegen zeigt Ihnen sofort und in jeder Situation, wie hoch die momentane Belastung ist. Der Pulsmesser ist dazu im Vergleich wie ein Blick in den Rückspiegel und zeigt lediglich, was bereits hinter Ihnen liegt. Wenn Sie Ihr Tempo erhöhen und beispielsweise einen Zwischenspurt einlegen, braucht das Herz eine Weile, um seine Pumpleistung an den erhöhten Sauerstoffbedarf der Muskulatur anzupassen. Die von Ihnen erzeugte Wattleistung jedoch steigt sofort an, ebenso die verrichtete Arbeit, aber der Puls bleibt zunächst unverändert, als wäre nichts passiert. Das Gleiche gilt, wenn Sie Tempo rausnehmen: Geschwindigkeit und Wattleistung sinken sofort, doch Ihr Herz schlägt noch eine Weile wie wild, bis das physiologische Gleichgewicht wieder hergestellt ist.

Das bedeutet nicht, dass Pulsdaten aus Training und Wettkampf wertlos wären. Sie müssen lediglich um andere Messwerte ergänzt werden, wenn die Analyse wirklich etwas bringen soll. Nehmen wir die Pulsdaten und vergleichen Sie mit tatsächlichen Leistungsdaten wie Pace oder Watt, sieht das Bild gleich ganz anders aus: Jetzt können wir Ökonomie und Effizienz messen, zwei wichtige Parameter, von denen Ihr Training enorm profitieren wird. Ökonomie bedeutet in diesem Fall, wie viele Meter Sie pro Milliliter aufgenommenen Sauerstoffs zurücklegen. Die Effizienz gibt an, wie gut Sie die erzeugten Watt in Geschwindigkeit umsetzen. All das werden wir in den nächsten Kapiteln behandeln. Fürs Erste lautet die Botschaft: Wenn Sie bereits einen Pulsmesser verwenden, wird ein Power Meter den Nutzen vervielfachen.

Training nach Watt versus Training nach Gefühl

Unter Radsportlern und Triathleten ist das Missverständnis weit verbreitet (und ich bin sicher, auch unter Läufern), die Benutzung eines Power Meters und die Analyse der Daten würde bedeuten, sie könnten nicht mehr nach dem Gefühl trainieren und müssten ihre Wettkämpfe ausschließlich nach den Zahlen auf dem Display bestreiten. Ich bin nicht sicher, woher dieses Missverständnis kommt. Vielleicht von der Annahme, dass das Power Meter das Denken übernimmt und keinerlei Abweichung gestattet. Doch das Gerät denkt weder, noch wurde es erfunden, um Trainingsinnovation zu verhindern. Ganz im Gegenteil: Das Power Meter soll Trainingsinnovation fördern.

Innovation ist ein grundlegender Bestandteil des erfolgreichen Sporttreibens. Die besten Trainer und Athleten sind die, die in der Lage sind, auf individuelle Bedürfnisse, Stärken und Schwächen abgestimmte Trainingspläne zu erstellen – Tag für Tag. Manchmal fühlt sich ein Athlet gut und kann ein höheres Tempo gehen, manchmal nicht, und das obwohl er das Gleiche tut wie am Tag zuvor.

Die Fähigkeit, Ermüdungsanzeichen richtig zu interpretieren, in den Körper hineinzuhorchen und das letzte Quäntchen aus dem Training herauszuholen, um seine Leistung zu erhöhen und das eigene Potenzial maximal auszuschöpfen, erfordert sorgfältige Beobachtung vonseiten des Trainers und des Athleten selbst. Ein Power Meter unterstützt das, weil er Ihnen nicht lediglich die Pace anzeigt (oder Zeit, Strecke, Schrittfrequenz), sondern die Wattleistung und mechanische Arbeit, die Sie tatsächlich verrichten.

Wenn Sie ohne Coach trainieren, haben Sie keinen objektiven Experten an der Seite, der seine Entscheidungen frei von allen Emotionen trifft. Das Power Meter kann diese Rolle übernehmen und Ihnen objektive Daten liefern, anhand derer Sie Ihr Training beurteilen und die richtigen Entscheidungen für zukünftige Einheiten treffen können.

Natürlich ist nichts auf dieser Welt perfekt, und das Power Meter fürs Laufen bildet hier keine Ausnahme. Manche Geräte berücksichtigen den Wind, andere nicht. Manche beziehen die Schuhe, die Sie tragen, mit ein oder das Terrain, auf dem Sie laufen, andere können das nicht.

Ein Power Meter kann Ihnen nicht sagen, wie sich Ihre Beine anfühlen oder wo Sie gerade mit Ihren Gedanken sind. Während eines Wettkampfs verrät es Ihnen nicht, wann es Zeit für eine Attacke ist. Doch es kann Ihnen helfen, Ihre Stärken und Schwächen besser kennenzulernen. Es ist eine Ergänzung Ihres Bauchgefühls und Ihrer Fähigkeit, die Signale Ihres Körpers zu lesen. Es sagt Ihnen, wann Sie Ihre Leistung erhöhen können und wann Sie sich zurückhalten sollten. Und es kann Ihnen sagen, wie weit Sie Ihre Leistung erhöhen sollten – sowohl im Training als auch im Wettkampf. Alles in allem kann ein Power Meter Sie schneller und fitter machen, als Sie es je waren.

Dieses Buch vermittelt Ihnen ein umfassendes Verständnis des momentanen Stands der Power-Meter-Technologie und erklärt, wie Sie das Gerät für sich nutzen können. Es ist das erste Buch seiner Art, und ich gebe unumwunden zu, dass es in den kommenden Jahren noch viel über Power Meter zu lernen gilt. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass das Power Meter Ihnen helfen wird, Ihr Training und Ihre Leistung zu verbessern – und das ab sofort. Ich bin außerdem überzeugt, dass dieses Buch genau die Informationen liefert, die Sie brauchen, um Ihr Power Meter effektiv zu nutzen. In den folgenden Kapiteln werde ich Ihnen die Prinzipien von physikalischer Leistung und Arbeit erklären, dann werden wir die vielen Art und Weisen untersuchen, wie Sie die gewonnenen Daten gewinnbringend in Training und Wettkampf einsetzen. Fangen wir an, einen besseren Läufer aus Ihnen zu machen!