Chronik der Sternenkrieger, Folge 23/24 - Doppelband

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2018.

Inhaltsverzeichnis

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Chronik der Sternenkrieger – Folge 23 und 24

Band 23: Alte Götter

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Band 24: Schlachtpläne

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Chronik der Sternenkrieger – Folge 23 und 24

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Doppelband: Alte Götter / Schlachtpläne

von Alfred Bekker

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EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book

© 2005, 2008, 2012 by Alfred Bekker

© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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MITTE DES 23. JAHRHUNDERTS werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.

In dieser Zeit bricht die  STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...

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ALFRED BEKKER schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.

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DIESES EBOOK ENTHÄLT folgende zwei Bände:

Band 23:  Alte Götter

Band 24:  Schlachtpläne

Der Umfang dieses Ebook entspricht 214 Taschenbuchseiten.

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Band 23: Alte Götter

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Auf Qriidia, Jahr 11543 nach der Berufung des Ersten Aarriid (= 2252 n. Christus)

Auf den ersten Blick wirkte das kleine, vogelartige Wesen nicht wie das nominelle religiöse und weltliche Oberhaupt des Heiligen Imperiums. Ein vogelähnliches Wesen mit nach hinten geknickten Beinen, das bislang noch nicht einmal in der Lage war, aufrecht zu stehen.

Und doch – dieses unscheinbare Wesen war die Projektionsfläche für die transzendenten Sehnsüchte von Abermilliarden Qriid.

Der Aarriid.

Die Wiedergeburt von Gottes Stellvertreter im Universum, der das auserwählte Volk in die Zukunft führen würde – dem Zeitalter der Göttlichen Ordnung entgegen.

Noch war der Aarriid ein unselbständiges, kaum der Sprache mächtiges Qriid-Junges, an dem die Priesterschaft die göttlichen Zeichen festgestellt hatten. Noch regierten andere in seinem Namen, aber das würde sich irgendwann ändern.

„Versuch es noch einmal!“, sagte die Stimme. „Töte ihn! Töte den hässlichen Heiden!“

Der Aarriid hob einen Hand-Traser auf und richtete ihn auf die Gestalt eines Menschen, die sich etwa drei Meter von ihm entfernt befand und jetzt einen Schritt zurückwich.

„Töte ihn! Gott will es!“

Der kleine Aarriid hob mit Mühe den Hand-Traser und feuerte. Ein blassgrüner Strahl schoss aus der Mündung heraus. Der erste Schuss verfehlte den schnabellosen Säugetierabkömmling, der jetzt seinerseits zur Waffe griff. Der Aarriid versuchte es noch einmal. Der nächste Schuss saß. Der Strahl traf den Menschen in den Brustkorb. Ein zischender Laut war zu hören, als sich der Energiestrahl in den Körper hinein brannte. Der Schnabellose zuckte und fiel zu Boden, wo er regungslos liegen blieb.

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Der am Boden liegende Mensch verblasste. Die Qualität des Hologramms war ohnehin nicht besonders gut gewesen. Es glich eher einer zweidimensionalen Projektion, als dass wirklich ein körperhafter Eindruck entstanden wäre.

Aber für Qriid-Augen war das genug. Schließlich verfügten Qriid auf Grund ihrer weit auseinander stehenden Augen über ein nicht sonderlich gut ausgeprägtes räumliches Sehen.

Auch ein reales Gegenüber erschien ihnen nur als zweidimensionale Gestalt.

Das Hologramm verschwand und ein weiterer Mensch erschien wie aus dem Nichts – diesmal mit der Waffe im Anschlag.

„Es ist genug!“, sagte eine Stimme aus dem Hintergrund.

Der qriidische Priester wandte den Schnabel in Richtung des Sprechers. Er nahm unwillkürlich Haltung an und rückte das purpurne Priestergewand zurecht.

Eine Gestalt in der Kutte verharrte zwischen den Säulen der großen Wandelhalle im Tempelbezirk von Qatlanor, der strahlenden Hauptstadt des Heiligen Imperiums. Nur für einen Moment fielen ein paar Lichtstrahlen in das Dunkel unter der tief in das Gesicht gezogenen Kapuze, die kaum einen Blick auf die Schnabelspitze freiließ.

„Prediger!“, stieß der Priester hervor. Er war erst seit kurzem einer der offiziellen Erzieher des Aarriid, eine Aufgabe, die in erster Linie politisch und nicht pädagogisch verstanden wurde. Wer den Aarriid formte, solange seine Persönlichkeit noch formbar war, gewann Einfluss auf die politische Zukunft des Imperiums. Und das war auch der Grund dafür, warum sowohl die Priesterschaft als auch das Tanjaj-Militär darum buhlten, die Erzieher des Aarriid zu stellen.

Das zahlenmäßige Verhältnis dieser beiden Gruppen unter den Aarriid-Erziehern war ein sicherer Indikator für das politisch Kräfteverhältnis zwischen beiden Gruppen, die von jeher die Geschicke des Imperiums lenkten. Gegenwärtig stand dieses Verhältnis zwei zu zwei unentschieden.

Die Position des fünften Erziehers hatte der Prediger Ron-Nertas für sich persönlich reserviert.

Er war gegenwärtig die dominierende Kraft des Imperiums und führte als charismatischer Prediger, den viele für den legendären Friedensbringer der Legende hielten, auch die Regierungsgeschäfte.

Ein Herrscher, dessen absoluter Autorität sich selbst die Tanjaj und die Priesterschaft gegenwärtig beugten, weil sie sehr genau wussten, dass keine dieser Gruppen die spirituelle Führerschaft der Qriid gegen das Wort des Predigers zu übernehmen vermochte.

Zu groß war die Sehnsucht nach Frieden unter den Gläubigen gewesen.

Zu groß der verheerende und verweichlichende Einfluss des Wohlstands, wie Priester und Tanjaj in seltener Übereinstimmung die Stimmung unter der Bevölkerung analysierten.

Aber Ron-Nertas wusste nur zu gut, dass ihm die Macht nur auf Zeit überlassen war. Er regierte – wie alle anderen imperialen Regierungen vor ihm – im Namen des Aarriid, der noch ein kleiner, hilfloser Schlüpfling war.

Doch er würde wachsen und eines Tages, wenn er dazu in der Lage war, selbst die Macht übernehmen.

Und dann kam es darauf an, welches Gedankengut den Stellvertreter Gottes geprägt hatte, welche Einstellungen, Ängste, Abneigungen und Vorlieben dann seine Entscheidungen prägen würden.

Der Kampf um die Seele des noch so jungen Oberhauptes aller Gläubigen hatte bereits begonnen und Ron-Nertas war sich nicht sicher, ob er auf diesem Gebiet tatsächlich so erfolgreich war, wie er sein musste, wollte er die Veränderungen zementieren, die sein Umsturz gebracht hatte.

Ein Dutzend Qriidia-Jahre blieben ihm vielleicht noch, um in das Herz des Aarriid die Saat des Friedens zu pflanzen.

Aber Tanjaj und Priesterschaft säten gleichzeitig etwas ganz anderes und verteidigten darüber hinaus mit Schnabel und Klauen ihre Positionen an der Sandwiege des Aarriid.

Der priesterliche Erzieher schaltete den Projektor für die Holografie ab.

„Ich habe die Zeit vergessen“, sagte er.

„Mag sein.“

„Die Ausbildung des Aarriid ist eine ernste Angelegenheit, der ich mich voll und ganz gewidmet habe.“

„Das tue ich auch“, sagte Ron-Nertas. „Also schmälere nicht die Zeit, die ich mit dem neuen Aarriid verbringen kann. Sie ist kurz genug.“

„Das empfindet jeder in der gleichen Weise, dessen Privileg die Erziehung von Gottes Stellvertreter ist.“

Der Prediger schlug seine Kutte zurück.

Der federnlose Vogelkopf kam zum Vorschein. Die gebogenen Schnabelhälften schabten mit einem durchdringenden Geräusch gegeneinander.

Der priesterliche Erzieher neigte sich nach vorn.

Ein Zeichen der Unterwerfung und des Respekts, bei dem Ron-Nertas nicht das Gefühl hatte, dass es ernst gemeint war.

„Ich ziehe mich nun zurück“, sagte der priesterliche Erzieher.

Ron-Nertas wandte sich dem kleinen Aarriid zu. Der Schlüpfling krabbelte durch den Sand. Den Spielzeug-Traser hatte er zwischenzeitlich vollkommen vergessen. Jetzt entdeckte er ihn erneut. Ein Sekret sabberte aus seinem Schnabel heraus, was in seinem Alter bei Schlüpflingen ganz normal war. Er nahm die Spielzeugwaffe und aktivierte sie. Dann fuchtelte er mit dem harmlosen Strahl herum und freute sich daran, dass an der Deckenmaserung Lichtmuster entstanden. Glucksende Geräusche kamen ihm über den Schnabel.

Er drehte sich im Sand um die eigene Achse und richtete die ‚Waffe’ auf Ron-Nertas.

Ein Schaben der Schnabelhälften folgte und der Schlüpfling drückte ab.

Der Strahl traf Ron-Nertas mitten in der Brust, während der gesalbte Aarriid glucksende Laute hervorstieß. Laute, die zunehmend unzufriedener wurden und schließlich durch ein penetrantes, unzufriedenes Schnabelschaben völlig ersetzt wurden.

„Du erwartest, dass ich getroffen zu Boden falle wie die Hologramme der hässlichen Heiden“, stellte Ron-Nertas fest. Er näherte sich und beugte sich nieder. Der Schlüpfling hatte unterdessen damit aufgehört, den Prediger zu beschießen. „Es ist erschreckend, wie schnell du gelernt hast.“

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Schritte waren in der Wandelhalle zu hören.

Der Prediger blickte auf. Ein Qriid in der Uniform eines hochrangigen Tanjaj-Offiziers trat auf die Sandwiege des Schlüpflings zu, blieb einige Meter davor stehen und nahm Haltung an.

Der Schlüpfling musterte den Tanjaj neugierig. Er entdeckte gleich den Traser an dessen Gürtel, deutete mit der Krallenhand darauf und stieß ein paar Laute aus, die deutlich machten, dass er etwas wiedererkannt hatte.

„Tanjaj-Nom Her-Kuf bittet um Verzeihung, den Prediger in einem unangemessenen Moment anzusprechen“, sagte der Offizier.

„Warum tust du das, Her-Kuf? Die Zeit, die ich mit dem Aarriid verbringe, ist tabu. Hat man dir das nicht gesagt?“

„Ich hätte dieses Tabu nicht verletzt, wenn nicht eine äußerst wichtige Nachricht eingetroffen wäre. In der Heimat der achtbeinigen Heiden steht eine Katastrophe bevor.“

Rewak-Ter-Tom, so lautete der Qriid-Name für jenes System, von dem der Tanjaj Her-Kuf gesprochen hatte. Die Qriid hatten es während ihres Eroberungszuges ihrem Imperium einverleibt, in dessen Verlauf das Heilige Imperium erstmals mit den Humanen Welten der Menschheit zusammengeprallt war.

Die Hirn fressenden, achtbeinigen Bewohner waren geflohen. Sie selbst nannten sich Wsssarrr und waren für die Qriid so etwas wie die sinnbildliche Verkörperung des Bösen. Zu rituellen Zwecken entführten die Wsssarrr Angehörige anderer Spezies, um ihre Hirne zu verspeisen, weil sie glaubten, dass dadurch etwas von der geistigen Kraft und dem Wissen ihrer Opfer auf sie überginge.

Rewak-Ter-Tom bedeutete ‚Zweite Teufel-Heimat.’

Die Qriid hatten bereits vor langer Zeit die Wsssarrr vertrieben. Auf dem zweiten Planeten der Sonne Rewak-Ter-Tom (von den Menschen Spider II genannt) waren die Gotteskrieger des Imperiums dann erneut dieser Ausgeburt des Bösen begegnet.

Leider hatte ein Großteil der Wsssarrr fliehen können.

Auf welche Weise war bis heute nicht bis in die Einzelheiten hinein bekannt. Aber sie hatten dazu wohl eine Transmitterfähige Anlage benutzt, die sich auf dem Planeten befand.

„Es wurden sehr starke Resonanzen höherdimensionaler Impulse gemessen. Abgesehen von den Anlagen, auf die wir dort gestoßen sind, scheint es noch weitere, sehr viel größere technische Hinterlassenschaften der Sambana zu geben“, erklärte der Tanjaj.

„So war es richtig, diese Welt zur Tabu-Zone zu erklären“, erwiderte der Prediger.

„Nach Ansicht unserer Experten könnte es allerdings schon sehr bald zu einer Katastrophe kommen. Und ich glaube nicht, dass wir eine Möglichkeit haben, das Problem aus eigener Kraft in den Griff zu bekommen.“

Der Prediger starrte sein Gegenüber an. „Du meinst, nur mit  Hilfe der Menschheit?“

„Sie haben immer versucht, die Sambana-Technik zu erforschen, während wir durch die Tabus der Priesterschaft daran gehindert wurden, die Errungenschaften von ‚Gottes zuerst erwähltem Volk’ für uns nutzbar zu machen.“

„Es war Gottes zu Unrecht erwähltes Volk!“, hielt Ron-Nertas seinem Gegenüber entgegen.

Auch in dieser Frage herrschte seit langem zwischen Tanjaj und Priesterschaft ein unversöhnlicher Konflikt.

„Während der Schlacht im Dreisonnensystem ist durch einen dieser Sambana-Quader ein schwarzes Loch entstanden, durch das seinerzeit das gesamte System zerstört wurde und wir die Schlacht verloren“, gab Her-Kuf zu bedenken. „Aber diesmal, so vermuten unsere Spezialisten, könnte der Effekt um den Faktor tausend größer sein.“

„Das würde bedeuten, auch benachbarte Systeme könnten in Mitleidenschaft gezogen werden?“ 

„Ja“, bestätigte Her-Kuf. „Außerdem befürchten unsere Wissenschaftler einen fünfdimensionalen Blitz, der große Teile unserer Infrastruktur in einem Umkreis von bis zu zehn  Lichtjahren völlig lahm legen könnte.“

Ist das ein Trick?, überlegte der Prediger. Ein Trick, der mich dazu verleiten soll, die Hilfe der Humanen Welten einzufordern – was mich politisch als deren Büttel darstellen würde und ich sowohl bei Tanjaj als auch der Priesterschaft an Autorität verlieren ließe?

Eine derartige Intrige traute der Prediger dem Tanjaj durchaus zu – wie im Übrigen auch der Priesterschaft. Vielleicht handelten die traditionellen Mächte innerhalb des Qriid-Reiches in diesem Fall sogar koordiniert. Schließlich hatten beide seit der Machtübernahme des Predigers erheblich an Einfluss eingebüßt.

„Ich werde mich dem Problem widmen“, kündigte Ron-Nertas an.

„Es müssen schnelle Entscheidungen getroffen werden!“, erwiderte Her-Kuf.

Aber dies schien der Prediger vollkommen anders zu  beurteilen. Er dachte nicht daran, sich drängen zu lassen. Gott führte die Geschicke des Universums. Davon war er überzeugt. Und er wollte sich nicht eher entscheiden, ehe er wusste, welchen Weg Gott ihm wies.

„Ich werde mich dem Problem widmen, nach dem ich meine Pflichten als Erzieher des Aarriids für heute erfüllt habe“, gab der Prediger mit großer Bestimmtheit zurück.

„Sehr wohl“, krächzte Her-Kuf leise zwischen seinen Schnabelhälften hervor.

„Nichts könnte wichtiger sein, als die Seele von Gottes Stellvertreter“, fügte Ron-Nertas noch hinzu. „Denn so steht es geschrieben im Buch des Ersten Aarriid: Was ihr dem antut, der Gott gegenüber den Gläubigen vertritt, dass tut ihr ihm selbst an.“

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Sambana nennen Qriid nicht ohne Schaudern ein Volk, das vor Äonen diesen Teil der Galaxis beherrschte und eine Technik zu Stande brachte, von der die Menschheit noch in Jahrtausenden nur träumen kann. Wahrscheinlich sind die Sambana mit den ‚Alten Göttern’ der Fash’rar identisch. Andere bezeichnen sie als ‚die Erhabenen’.

Das Qriid-Wort Sambana bedeutet ‚Gottes zuerst erwähltes Volk’, das mit allen Wundern der Technik ausgestattet wurde und dies Gott mit Undank und Überheblichkeit dankte. Der Legende nach glaubten die Sambana schließlich, selbst Götter zu sein, weshalb sie häufig auch als ‚Sambano’ bezeichnet werden. Dieser o-Laut am Ende verändert die Bedeutung in ‚Gottes zu Unrecht erwähltes Volk’.

Aus: DAS MOTIV DES ERWÄHLTEN VOLKES IM PENTATEUCH UND IM BUCH DES ERSTEN AARRIID – EIN VERGLEICH; abrufbar im Datennetz ab Januar 2252; Verfasser: Guillermo Benford (Ordensname: Bruder Guillermo)

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Bruder Guillermo, der Olvanorer-Mönch und wissenschaftliche Berater mit Offiziersprivilegien an Bord der STERNENKRIEGER II, hatte in einem Aufenthaltsräume platzgenommen, um eine Mahlzeit einzunehmen. Der Syntho-Salat war gut gewürzt und sehr schmackhaft. Er trank dazu reines Wasser. Die STERNENKRIEGER befand sich auf einer fast zweiwöchigen Sandström-Flugphase auf dem Weg ins Qriid-Imperium. Der Überlichtflug war immer eine Phase, in der es wenig an Bord zu tun gab. Da die Mission darüber hinaus unter strengster Geheimhaltung lief, war es auch kaum möglich, sich in irgendeiner Form darauf vorzubereiten.

So hatte Bruder Guillermo die Zeit genutzt, um sich seinen Studien zu widmen.

Fast zwei Standard-Tage lang hatte er nichts gegessen und nur ein wenig Wasser getrunken, so sehr hatte ihn das Studium gewisser Schriften in den Bann gezogen.

An einem der anderen Tische waren der ehemalige Chefentwickler des Far Galaxy-Konzerns Professor Dr. Yasuhiro von Schlichten sowie der Exo-Mediziner und jetzige Dozent an der Far Galaxy-Akademie auf dem solaren Zwergplaneten Sedna Professor Dr. Miles Rollins in ein sehr intensives Gespräch vertieft. Dass diese beiden hochkarätigen Wissenschaftler sich an Bord der STERNENKRIEGER befanden, wies darauf hin, dass es sich offenbar um eine außergewöhnliche Mission handelte, an der die Besatzung des Sondereinsatzkreuzers beteiligt war.

Mehr als das ungefähre Ziel war der Crew bisher nicht mitgeteilt worden.

Es ging in jenen Teil des sogenannten Niemandslandes, dass während des ersten Qriid-Krieges dem Heiligen Imperium einverleibt worden war. Eine Hilfsmission für die inzwischen mit der Menschheit verbündeten Qriid.

Bruder Guillermo hatte nicht viele Gedanken daran verschwendet, um was für eine Mission es sich da wohl handeln mochte. Captain Warrington würde sie schon früh genug darüber aufklären.

Nirat-Son, der Qriidische Austauschoffizier an Bord der STERNENKRIEGER, betrat in diesem Augenblick den Raum. Er ließ den Blick seiner weit auseinanderliegenden Vogelaugen umherschweifen. Für einen menschlichen Betrachter war es immer nicht ganz eindeutig zu sagen, worauf der Blick eines Qriid eigentlich gerichtet war.

Dann hatte Nirat-Son den Olvanorer-Mönch entdeckt und ging geradewegs auf ihn zu.

„Darf ich mich zu Ihnen setzen, Bruder Guillermo?“

„Selbstverständlich.“

Etwas umständlich setzte sich der Qriid. Das Sitzmobiliar kam seiner Qriid-Anatomie nicht gerade entgegen. Insbesondere galt dies natürlich für die nach vorn geknickten Beine.

„Es ist immer ein eigenartiges Gefühl, an Bord eines Kriegsschiffs im Dienst des Space Army Corps in das Heilige Imperium zu fliegen.“

„Das geschieht nicht zum ersten Mal!“, erinnerte ihn Bruder Guillermo.

„Das mag sein. Aber das eigenartige Gefühl dabei bleibt doch immer dasselbe.“

„Da unsere Spezies im Augenblick nicht verfeindet sind und eigentlich auch nicht abzusehen ist, dass dies mittelfristig wieder geschehen könnte, sehe ich keinen Anlass für einen Loyalitätskonflikt“, erklärte Bruder Guillermo sachlich.

„Latent ist dieser Konflikt doch immer vorhanden oder sehen Sie das nicht so, Bruder Guillermo? Ich meine – ganz ähnlich wie bei Ihnen?“

„Bei mir?“

„Sie sind Olvanorer und Crewmitglied eines Space Army Corps Schiffs. Ein Pazifist im Dienst einer Raumstreitmacht. Sagen Sie mir nicht, dass es da in der Vergangenheit nicht durchaus auch Loyalitätskonflikte gab, die Sie mit sich austragen mussten. Ich erinnere da nur an den Einsatz des Anti-Etnord-Virus...“

Bruder Guillermo schwieg einige Augenblicke, ehe er schließlich sagte: „Ich denke für uns beide gibt es letztlich nur eine einzige Richtschnur.“

„Sie sprechen vom Willen Gottes?“

„Ja. Allerdings sind Sie in der beneidenswerten Lage, sich dieses Willens sehr viel sicherer zu sein als ich das von mir behaupten könnte.“

„Ja, unsere alte Diskussion, Bruder Guillermo: Ist ein derart von Zweifeln durchsetzter Glaube, wie Sie ihn praktizieren überhaupt noch ein Glaube?“ Er machte eine Pause, während Bruder Guillermo den letzten Rest seines Syntho-Salats zu sich nahm und sich schließlich etwas zurücklehnte. Nirat-Son schien ihn zu mustern, auch wenn man angesichts der starren Mimik der Vogelartigen nie wirklich sicher sein konnte. Der Schnabel des Qriid war halb geöffnet.

Ihm liegt noch etwa auf der Zunge, erkannte Bruder Guillermo und musste sogleich über die Formulierung schmunzeln, die für Qriid irgendwie nicht passte. Meinetwegen liegt es ihm im Schnabel, aber er will etwas sagen.

„Sprechen Sie ruhig“, sagte Bruder Guillermo laut.

Der Schnabel Nirat-Sons öffnete sich etwas mehr und blieb dann so. Vielleicht war das die Qriid-Entsprechung für großes Erstaunen.

„Nun, es ist seltsam mit Ihnen. Man will Sie wegen irgendeiner Sache ansprechen, kommuniziert dann aber über ganz andere Dinge und sagt Sachen von denen man Augenblicke zuvor noch nicht geahnt hätte, dass sie überhaupt Teil der eigenen Gedanken sind.“

„Es war nicht meine Absicht, Sie zu verwirren, Nirat-Son.“

„Eigentlich wollte ich Sie wegen der Forschungsarbeit ansprechen, die ich von Ihnen im Datennetz entdeckt habe.“

Bruder Guillermo wirkte etwas verlegen. „Welche meiner Arbeiten meinen Sie?“

„Das Motiv des erwählten Volkes im Pentateuch und im Buch des Ersten Aarriid. Ich hatte bisher nicht gewusst, dass es offenbar auch in der Geschichte Ihrer Spezies Gedanken gab, die den Überlieferungen unser Religion so sehr ähneln.“

„Ja, es gibt durchaus einige Parallelen. Aber auch Unterschiede.“

„Ihr Interesse an unserer Kultur scheint jedenfalls ernsthaft zu sein“, stellte Nirat-Son fest. „Vor allem ist es ohne die allgegenwärtige Arroganz, die mir ansonsten begegnet. Eine Haltung, die davon ausgeht, dass ein fester Glauben gleichzusetzen ist mit geistiger Starre.“

Bruder Guillermo trank den Rest seines Wassers leer. „Es freut mich, dass Sie meine Haltung anerkennen.“

„Ihre besondere Fähigkeit, die Gedanken und Emotionen anderer zu erfassen, ist mir im Übrigen auch nicht entgangen. Es würde mich interessieren, wie Sie den neuen Captain einschätzen?“

„Captain Warrington ist noch nicht lange an Bord“, wich Bruder Guillermo aus.

„Ich bin mir in der Einschätzung menschlicher Interaktionen bei weitem nicht so sicher wie Sie es für sich beanspruchen können, Bruder Guillermo. Ich glaube bemerkt zu haben, dass der Captain sehr angespannt wirkt und sich vor allem auf das Urteilsvermögen seines Ersten Offiziers verlässt.“

Bruder Willliam die Augenbrauen. „Lieutenant Commander Van Doren ist ein außergewöhnlich fähiger Raumkommandant gewesen, der durch unglückliche Umstände degradiert wurde. Er war im Übrigen auch Captain Sunfrost an Erfahrungsreichtum überlegen, sodass auch sie sich sehr häufig auf Van Dorens Urteilsvermögen verließ.“

„Da sehe ich dennoch einen gravierenden Unterschied“, widersprach Nirat-Son. „Captain Sunfrost schien mit ihrer Rolle als Captain überein zu stimmen – und das erstaunlicherweise, obwohl sie ein Weibchen war.“

„Eine Frau“, korrigierte Bruder Guillermo.

„Ich habe bewusst einen Begriff verwendet, der in Ihrer Sprache für alle Spezies verwendet wird und sowohl Eierlegerinnen wie Frauen einschließt“, gab Nirat-Son zurück.

„Sie scheinen den Captain ja beinahe zu vermissen, Nirat-Son!“, stellte Bruder Guillermo überrascht fest.

„Das ist in der Tat korrekt. Und das bezieht sich sowohl auf ihre Funktion als Captain als auch ihre Person. Es überrascht mich selbst und hat gewiss auch damit zu tun, dass ich in Rena Sunfrost nie ein vollwertiges Weibchen gesehen habe, da ihr die Fähigkeit, Eier zu legen fehlte.“

„Abgesehen von Ihren Vorbehalten gegen nicht zur Eiablage fähige Frauen teile ich Ihre Sicht der Dinge voll und ganz“, murmelte Bruder Guillermo. Sein Blick wurde nachdenklich. Er starrte durch Nirat-Son hindurch ins Nichts. Tatsache ist, dass Rena Sunfrost für tot erklärt wurde. Ein Verlust unter vielen in den Reihen des Space Army Corps. Und doch hatte er das Gefühl, dass Rena Sunfrost noch irgendwo existierte. Vielleicht Lichtjahre entfernt, vielleicht auch in einer anderen, transzendenten Ebene der Existenz. Du bist Wissenschaftler. Vergiss das nicht und halte deine transzendentalen Sehnsuchtsfantasien im Zaum. Was geschehen ist, ist geschehen. So ist es nun mal.

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Eintrag aus dem persönlichen Logbuch von Captain Milton Warrington III:

Ich habe seit kurzem das Kommando über den Sondereinsatzkreuzer STERNENKRIEGER II übernommen, nachdem meine Vorgängerin Captain Rena Sunfrost nun durch das Space Army Corps offiziell für tot erklärt wurde.

Sie wurde bis dahin als vermisst geführt und Teile der Besatzung scheinen immer noch der Hoffnung nachzuhängen, dass sie noch leben könnte.

Aber wie pflegte schon mein viel gerühmter Vater immer zu sagen: Hoffnung ist meistens ein Mangel an Information.

Mit der Besatzung komme ich einigermaßen klar.

Kleinere Reibungspunkte und Schwierigkeiten werden sich hoffentlich noch geben.

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Achtung, Captain auf der Brücke!“, meldete Commander Van Doren. Der Erste Offizier der STERNENKRIEGER II erhob sich vom Sitz des Kommandanten und nahm Haltung an.

„Stehen Sie bequem“, sagte Captain Milton Warrington III, der neue Kommandant der STERNENKRIEGER.

„Danke Sir. Wir befinden uns kurz vor dem Austritt aus dem Sandströmraum.“

Van Doren trat an die Konsole des Ersten Offiziers. Seine Finger glitten über die Sensorpunkte des Touch Screens. Er ließ sich die wichtigsten Flugdaten anzeigen.

Rudergänger Lieutenant John Taranos meldete sich zu Wort. „Eintritt in den Normalraum in zehn Sekunden. Countdown läuft.“ Taranos zählte den Countdown mit.

Dann erfolgte das Eintauchen ins Einsteinuniversum.

„Sir, ich verändere den Zoom des Hauptbildschirms“, kündigte unterdessen Ortungsoffizier Lieutenant Wiley Riggs an.

Lieutenant Commander Robert Ukasi nahm plötzlich ein paar Schaltungen an jener Konsole vor, über die der Taktikoffizier normalerweise den Einsatz der zehn schwenkbaren und jeweils von einem Waffenoffizier bemannten Gauss-Geschütze koordinierte. Jetzt ließ er sich die Ortungsdaten anzeugen. Die Verblüffung war ihm ins Gesicht geschrieben.

„Das Spider-System!“, entfuhr es ihm. Er drehte sich herum. „Die Koordinaten kamen mir gleich bekannt vor.“

Warrington hob die Augenbrauen und schlug die Beine übereinander. „Waren Sie schon einmal hier, Lieutenant Commander Ukasi?“

„Ja. Als Fähnrich habe an der ersten Mission der STERNENKRIEGER in dieser Gegend teilgenommen. Ähnliches gilt für Commander Van Doren, der damals Kommandant der JUPITER war. Allerdings gehörte dieser Raumsektor da noch zum Niemandsland.“

„Das ist korrekt“, bestätigte Van Doren etwa einsilbig.

„Gut, dann werde ich jetzt die Katze aus dem Sack lassen“, erklärte Milton Warrington III.  „Ruder! Nehmen Sie Kurs auf Spider II und leiten Sie ein entsprechendes Bremsmanöver ein. Der Austrittspunkt war entsprechend gewählt, sodass Sie keine Schwierigkeiten haben werden, die STERNENKRIEGER rechtzeitig abzubremsen, um in eine Umlaufbahn einschwenken zu können.“

„Aye, aye, Sir!“, meldete John Taranos. Seine Körperhaltung straffte sich etwas, während seine Finger mit  traumwandlerischer Sicherheit über die Sensorpunkte schnellten. „Die Geschwindigkeit beträgt 0,4076 LG. Mesonentriebwerk aktiviert, Bremsmanöver eingeleitet. In drei Stunden 45 Minuten werden wir Spider II erreichen.“

Ortungsoffizier Wiley Riggs meldete sich zu Wort. „Captain, ich orte fünf qriidische Kriegschiffe in unmittelbarer Nähe des zweiten Spider-Planeten.“

„Soeben erreicht uns die Aufforderung, uns zu identifizieren“, erklärte Fähnrich Ricardo Dunston, der die Kommunikationsoffizierin Lieutenant Susan Jamalkerim gegenwärtig auf ihrem Posten vertrat.

Warrington reagierte nicht. Er schien gedanklich abwesend zu sein.

„ID-Signal senden“, befahl Van Doren an Stelle des Captains – in der Annahme, dass dieser damit einverstanden war. Beim Anflug auf eine Welt, die zu einem verbündeten Sternenreich gehörte, gab es ohnehin keine Alternative. Die Kontaktprozedur war immer dieselbe.

Captain Warrington erhob sich von seinem Platz, während ein dumpfes Rumoren den Boden zu seinen Füßen leicht erzittern ließ – ein Zeichen dafür, dass die Mesonentriebwerke sich warmliefen, um wenig später das Bremsmanöver einzuleiten.

Seit Generationen waren die Warringtons Militärs – welche Chance hätte Milton III da wohl gehabt, etwas anderes zu werden?, ging es Van Doren durch den Kopf.

Warrington ließ den Blick durch die Zentrale der STERNENKRIEGER schweifen.

Erwartet er jetzt Aufmerksamkeit?, fragte sich Van Doren. Er wird sie nicht bekommen, so lange er nichts sagt.

Warrington räusperte sich.

„Ich nehme an, Captain, Sie werden uns jetzt darüber aufklären, was Sinn und Zweck unserer Geheimmission im Spider-System ist.“

„Sehr richtig, I.O. Ich beordere alle Offiziere in meinen Konferenzraum. In zehn Minuten.“

„Ich werde eine Ersatzbrückencrew aus Fähnrichen einteilen“, kündigte Van Doren an. „Wollen Sie dass auch die Waffenoffiziere an der Unterredung teilnehmen?“

„Ja. Außerdem natürlich Bruder Guillermo sowie die Gäste, die wir an Bord haben.“

Mit „Gästen“ meinte Captain Warrington natürlich in erster Linie die beiden Wissenschaftler Yasuhiro von Schlichten und Miles Rollins. Abgesehen davon befand sich auch noch Commodore Jay Thornton an Bord, ein Mitglied des Stabes um Admiral Akato, den Oberbefehlshaber der Space Army Corps-Verbände.

Aus welchem Grund Thornton an Bord war, erahnte Van Doren bereits, seit ihm klar war, welches Ziel die STERNENKRIEGER ansteuerte. Aber er behielt seine Rückschlüsse für sich. Schließlich war es Warringtons Aufgabe, alle Beteiligten über den Auftrag aufzuklären, den die STERNENKRIEGER erhalten hatte.

„Mit Ihrem Einverständnis werde ich das Kommando über die Brücke Lieutenant Mandagor übergeben“, kündigte Van Doren an. „Er macht das nicht zum ersten Mal und auch wenn wir uns gegenwärtig nicht in einer direkten Gefahrensituation befinden, sollte zumindest einer auf der Brücke über etwas Erfahrung verfügen.“

Lieutenant Paul Mandagor war normalerweise der Waffenoffizier von Gauss-Geschütz Nummer 8 – ein 2,30 m großer Real Martian. Diese Nachfahren der ersten Marssiedler konnten sich nur mit Hilfe eines Antigrav-Paks unter den Bedingungen der Erdschwerkraft bewegen, die an Bord der STERNENKRIEGER herrschten.

Nichtsdestotrotz war Mandagor ein sehr fähiger Offizier, dessen Fähigkeiten Van Doren sehr hoch einschätzte.

Captain Warrington nickte.

„Okay, I.O.. Sie regeln das schon!“

Dann ging der Kommandant der STERNENKRIEGER auf die Tür zu, die die Brücke vom Konferenzraum trennte und verschwand dahinter.

Es reicht offensichtlich nicht, ein Musterschüler an der Ganymed-Akademie und ein netter Kerl zu sein, um einen fähigen Captain abzugeben, dachte Van Doren.

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Wenig später versammelte sich das gesamte Offizierskorps der STERNENKRIEGER im Konferenzraum.

Ich wette, Commodore Thornton ist längst eingeweiht, ging es Van Doren durch den Kopf. Allerdings frage ich mich, weshalb man gegenüber dem Rest der Besatzung so ein Tamtam um die Geheimhaltung macht...

„Wir sind hier im Spider-System auf Grund eines akuten Hilfeersuchens der Regierung des Heiligen Imperiums der Qriid“, begann Captain Warrington mit seinen Ausführungen. „Im Jahr 2234 traf die Menschheit erstmalig auf die Qriid, deren aggressiver Expansionsdrang ganze Völkerscharen vor sich her scheuchte. Die arachnoiden Wsssarrr hatten sich hier ins Spider-System geflüchtet und dort eine neue Basis geschaffen, um sich gegen die herannahenden Qriid zu verteidigen. Vergeblich. Vor der völligen Vernichtung ihrer Zivilisation flohen die Wsssarrr über ein System von quaderförmigen Transmitterstationen, die unter anderem in den Systemen Dambanor, Triple Sun 2244 und Rendezvous gefunden wurden. Ob sich die Wsssarrr diese Technik selbst entwickelt hatten oder sie sich nur der Technik viel älterer Rassen bedienten, die sie sich erfolgreich aneigneten, ist seither umstritten. Es gibt Wissenschaftler, die behaupten sogar, dass die Wsssarrr mit den sogenannten ‚Alten Göttern’ identisch sind. Aber das ist umstritten. Tatsache ist, dass die von ihnen benutzen technischen Relikte äußerst gefährlich sind. Das hat schon das – wie wir heute wissen – relativ kleine Quader-Artefakt im Triple Sun-System bewiesen, das sich in ein Black Hole verwandelte und damit die Planeten des Systems wie Billard-Kugeln durcheinander wirbelte.“

„Immerhin brachte uns das einen der wenigen Siege während des ersten Qriid-Krieges ein“, gab Van Doren zu bedenken.

„Aber ein verdammt teuer erkaufter Sieg“, warf Ukasi ein.

Captain Warrington schmunzelte. „Bevor das hier zu einem Veteranen-Stammtisch wird, möchte ich gerne fortfahren! Die Qriid haben die von Wsssarrr verwendete Technik als Artefakte der Sambana identifiziert, des von Gott zuerst erwählten Volkes, das an seiner eigenen Hybris zu Grunde ging. Deswegen ist Spider II zu einer Tabuwelt erklärt worden. Vielleicht können Sie zu diesem Punkt etwas mehr sagen, Nirat-Son.“

„Die Frage, ob es legitim ist, Technik der Sambana zu verwenden, hat schon von jeher für theologische Differenzen zwischen den Tanjaj und der Priesterschaft gesorgt“, erklärte der qriidische Austauschoffizier. „Während wir Tanjaj in dieser Frage pragmatisch sind und durchaus für eine Ausbeutung dieser Technik plädiert haben, ist die Position der Priesterschaft in dieser Frage vollkommen starr. Sie hält es für ein Gebot der Glaubensreinheit, dass wir nicht die Technik derjenigen verwenden, die vor Äonen Gottes Willen so sehr missachteten und schließlich sogar den Frevel begingen, sich selbst für Götter zu halten.“

„Tja, deshalb nannte man die dann später ja auch die Alten Götter“, murmelte Sergeant Ray Kelleney, der Kommandant der dreißigköpfigen Truppe von Marines, die an Bord der STERNENKRIEGER stationiert war. Alle Blicke waren für einen Moment auf ihn gerichtet.

Captain Warrington sah ihn tadelnd an.

Kelleney hob die Schultern.

„Entschuldigung, Sir, das war vielleicht nicht ganz angemessen“, murmelte er dann vor sich hin.

„Fahren Sie fort, Nirat-Son“, sagte Captain Warrington.

„Wie ich schon sagte, bestand in dieser Frage immer ein starker Dissens, aber die Position der Priesterschaft konnte sich über Generationen hinweg durchsetzen. Das liegt vor allem daran, dass mindestens die letzten fünf Aarriids sich die priesterliche Auffassung zu Eigen gemacht hatten.“

Gar nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sich die Tanjaj-Position hätte durchsetzen können, dachte Van Doren. Jedenfalls hätten die Qriid die Humanen Welten vermutlich schon während des ersten Krieges, den wir mit ihnen auszufechten hatten, einfach überrannt, wenn ihnen nur ein Bruchteil jener Wunderwaffen zur Verfügung gestanden hätte, die von den Sambana erfunden worden sind...

„Die gegenwärtige Bedrohung besteht wahrscheinlich darin, dass sich auf Spider II eine bisher verborgene Sambana-Anlage befindet“, fuhr Captain Warrington fort. „Eine Anlage, die vermutlich den Quader-Artefakten ähnelt, die auch andernorts gefunden wurden, nur viel größer ist und kurz vor dem Kollaps steht.“

„Heißt dass, es steht eine Katastrophe wie im Triple Sun 2244-System bevor?“, meldete sich nun Professor Yasuhiro von Schlichten zu Wort. „Ich habe mich als junger Doktorand sehr intensiv mit den Folgen dieses Kollapses beschäftigt und damals die Theorie aufgestellt, dass sich in diesem Quader ein Antimaterie-Konverter befunden haben müsste, der kollabierte.“

„Nein, unsere qriidischen Alliierten gehen auf Grund der bisher angemessenen 5-D-Resonanzen davon aus, dass ein Kollaps dieser Anlage lichtjahrweit zu spüren wäre und vermutlich mit einem 5-D-Blitz einherginge, der in einem großen Gebiet jegliche Sandström-Technik außer Kraft setzen könnte“, gab Warrington Auskunft.

„Und wie groß wäre das betroffene Gebiet?“, erkundigte sich von Schlichten.

„Die Qriid gehen von zehn Kubiklichtjahren aus. Aber das sind reine Spekulationen.“ Warrington atmete tief durch. „Jeder von Ihnen kann ein Datendossier über seinen persönlichen Rechnerzugang abrufen. Ich möchte Sie dringend ersuchen, dies auch zu tun. Die Geheimhaltung erfolgt übrigens nicht in erster Linie aus einem Interesse unserer eigenen Regierung heraus, sondern weil wir uns auf einem politisch sehr dünnen Eis befinden. Es gibt durchaus Kräfte innerhalb des Qriid-Imperiums, die es gar nicht gerne sehen, dass wir hier eingreifen. Abgesehen davon könnte eine falsche, unbedachte Aktion unsererseits für die Destabilisierung des Regimes von Ron-Nertas sorgen und das Imperium möglicherweise wieder unter die Kontrolle der Tanjaj oder der Priesterschaft bringen – was sehr schnell aus einem außenpolitischen Alliierten wieder einen Feind machen könnte.“

„Können Sie uns nähere Informationen über die derzeitige Situation auf Spider II geben?“, fragte Sergeant Kelleney.

Captain Warrington schüttelte den Kopf. „Nein. Diese Welt wurde nach der Eroberung durch die Qriid vollkommen abgeschirmt. Letztlich wissen wir noch nicht einmal, ob sich möglicherweise noch Wsssarrr irgendwo an abgelegenen Orten verstecken konnten und vielleicht für die Aktivierung dieser technischen Anlagen verantwortlich sind.“ Warrington nickte Commodore Jay Thornton zu. „Der Commodore befand sich nach der Havarie der CAMBRIDGE für einige Zeit in Gefangenschaft der Wsssarrr. Er dürfte also zu den Menschen zählen, die wenigstens etwas über dieses rätselhafte Volk wissen, über dessen Schicksal wir nun schon seit Jahren nichts mehr gehört haben.“

„Immerhin trauen die Qriid uns zu, den Schaden zu beheben“, stellte Lieutenant Simon E. Erixon fest, seines Zeichens leitender Ingenieur an Bord der STERNENKRIEGER, der darüber hinaus eine Zusatzausbildung in Fremdvölkertechnik absolviert hatte. Der Genetic mit den nichtmenschlich wirkenden, ausschließlich zur Infrarotsicht fähigen Facettenaugen wandte den Kopf in Richtung des Captains. „Ich meine, besonders erfolgreich waren irdische Wissenschaftler bis jetzt auch nicht, was die Nutzung von Artefakten der Alten Götter angeht.“

„Ich nehme an, dass es in erster Linie politische Gründe hat, dass sich der Prediger Ron-Nertas an die Humanen Welten gewandt hat“, mischte sich nun Bruder Guillermo in das Gespräch ein. „Die Wissenschaftler-Gilden der Qriid stehen unter starkem Einfluss der Priesterschaft. Der Prediger konnte sie unmöglich um Hilfe bitten, ohne damit die Priesterschaft sogleich über den Tabu-Bruch zu informieren, den ein Eingreifen auf Spider II notgedrungen mit sich brächte. Wenn die Priesterschaft dem Prediger allerdings einen Frevel nachweisen könnte, hätte sie damit den Hebel zu seinem Sturz. Darum auch die extreme Geheimhaltung.“

„Man könnte fast annehmen, dass man Sie zuvor in dieser Sache speziell gebrieft hat“, erklärte Warrington, dem die Verblüffung über Bruder Guillermos präzise Analyse deutlich anzusehen war.

Bruder Guillermo wirkte verlegen.

„Sir, ich beschäftigte mich seit Jahren mit den innerqriidischen Kräfteverhältnissen.“

„Und wie mir die Lektüre Ihrer letzten Forschungsarbeit verraten hat, haben Sie diese in einer Weise erfasst, wie ich es für eine Ungläubigen kaum für möglich gehalten hätte“, fügte Nirat-Son hinzu. Auch wenn sein aus anatomischem Grunde krächzender Tonfall dies nicht so recht zum Ausdruck bringen vermochte, so war dieses Statement zweifellos als Ausdruck der Anerkennung gedacht.

Bruder Guillermo wandte den Blick in Richtung des Qriid.

„Ich würde es bevorzugen, wenn Sie mich nicht als Ungläubigen bezeichnen würden, Nirat-Son. Sie werden vielleicht bemerkt haben, dass ich diese Bezeichnung auch Ihnen gegenüber nie verwendet habe.“

In diesem Augenblick ertönte ein Summgeräusch.

Das Interkom meldete sich.

Captain Warrington betätigte einen Schalter.

„Hier spricht der Captain. Was gibt es?“

Es war die Brücke. „Hier Fähnrich Dunston. Wir bekommen gerade eine Transmission der Qriid herein.“

„Ich bin sofort bei Ihnen, Fähnrich. Senden Sie zunächst eine freundliche Grußbotschaft.“

„Aye, aye, Sir.“

Warrington unterbrach die Verbindung und erhob sich von seinem Platz. „Ich denke, wir haben alles besprochen. Den Rest entnehmen Sie bitte Ihrem Datenmaterial. Bruder Guillermo?“

„Captain?“

„Ich wünsche Ihre Anwesenheit auf der Brücke während der Kontaktaufnahme mit den Qriid.“

„In Ordnung, Sir.“

„Wer weiß, vielleicht ist Ihr sprichwörtliches diplomatisches Fingerspitzengefühl vonnöten.“

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Captain Warrington betrat die Brücke. Bruder Guillermo und Steven Van Doren befanden sich in seinem Gefolge.

Alle anderen Offiziere hatten Order, sich das vorhandene Datenmaterial anzusehen. Die gegenwärtig auf der Brücke Dienst tuende Ersatzmannschaft wurde vorerst nicht ersetzt. Dies sollte erst bei Eintreffen im Orbit von Spider II geschehen.

Lieutenant Mandagor verließ den Sitz des Captains und begab sich stattdessen zur Konsole des Taktikoffiziers.

„Die Qriid warten auf Ihre Kontaktbereitschaft“, erklärte Mandagor. Der 2,30 lange, fragil wirkende Real Martian nahm Haltung an, was bei seiner körperlichen Statur wie eine Parodie auf militärische Formen wirkte.

Paul Mandagor nahm diese Formalien jedoch sehr ernst.

„Schalten Sie den Funkkanal frei, Fähnrich Dunston“, befahl Warrington.

Auf dem Hauptschirm erschienen einige Schriftzeichen des qriidischen Alphabets.