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Vorwort

Das 2017 erschienene Buch »Vorarlberg kompakt: 101 Fragen – 101 Antworten« fand bei einem breiten Publikum eine sehr erfreuliche Resonanz. Moniert wurde allenfalls, dass man das eine oder andere interessante Thema vermisse. Um diesem Mangel abzuhelfen, entschlossen sich Verlag und Herausgeber, weitere 101 Fragen aus Vorarlbergs Geschichte und Gegenwart, aus Politik und Wirtschaft, aus Natur und Kultur durch ein überwiegend bereits bewährtes Team von Autorinnen und Autoren gleichermaßen fundiert wie kurz und bündig beantworten zu lassen – wie etwa: Woher stammt der Vorarlberger liebstes Kartenspiel, das Jassen? Schreibt man Montafon mit »f« oder mit »v«? Was hatte es mit dem »Ehekonsens« und der »Fraueneinkaufstaxe« auf sich? Welche Getränke galten als des »Bauersmanns Lieblinge«? Worum ging es beim Bregenzer »Autobahnkrieg«? Gibt es in Vorarlberg »heilige Berge«?

Auch dieser Band wendet sich an alle, die auf kompakte Weise mehr über Land und Leute erfahren wollen, ob als »Alteingesessene«, als »Zuzügler« oder als Gäste.

Für ein höchst erfreuliches Da capo darf der Herausgeber zunächst den beteiligten Fachkolleginnen und -kollegen danken, des Weiteren dem Universitätsverlag Wagner für die gewohnt umsichtige verlegerische Betreuung – vor allem Frau Mag.a Theresa Frank sowie Frau Hana Hubálková als Grafikerin – und nicht zuletzt Frau Mag.a Gabriela Dür, Vorständin der Abteilung Wissenschaft und Weiterbildung im Amt der Vorarlberger Landesregierung, deren ideeller wie materieller Unterstützung das Projekt letztlich seine Realisierung verdankt.

Alois Niederstätter

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»Vereinigt fürcht ich keinen Feind« ist das Motto dieser Feldkircher Schützenscheibe aus dem Kriegsjahr 1796. Die erfolgreiche Landesverteidigung gegen französische Revolutionstruppen schärfte das entstehende Landesbewusstsein zweifellos. Weil es kein Landeswappen gab, musste man sich mit den Wappen der Städte Feldkirch, Bregenz und Bludenz behelfen.

Inhalt

001

Seit wann gibt es ein Vorarlberger Landesbewusstsein?

Alois Niederstätter

002

Weshalb entstanden schon in früheren Zeiten folgenschwere Umweltschäden?

Helmut Tiefenthaler

003

Welche der Vorarlberger Klöster sind die ältesten?

Alois Niederstätter

004

Warum hat Vorarlberg eine eigene Verfassung?

Peter Bußjäger

005

Welche militärische Bewandtnis hatte es mit der Regel »bei Tag aus, bei Tag zurück«?

Alois Niederstätter

006

Wie viele Menschen lebten früher in Vorarlberg?

Alois Niederstätter

007

Wer war jene Guta, die Bregenz gerettet haben soll?

Alois Niederstätter

008

Seit wann werden in Vorarlberg freie, gleiche und geheime Wahlen abgehalten?

Alois Niederstätter

009

Dienten Tanzhäuser nur der Lustbarkeit?

Annemarie Bösch-Niederer

010

Gab es auch in Vorarlberg Scharfrichter ?

Wolfgang Scheffknecht

011

Durfte man früher fischen, wo und wie man wollte?

Alois Niederstätter

012

Heißt es nun »Käsknöpfle« oder »Kässpätzle« – und wo verläuft der »Sauerkäse-Äquator«?

Alois Niederstätter

013

Wann wurden die Vorarlberger Talschaften mit Fahrstraßen erschlossen?

Meinrad Pichler/Alois Niederstätter

014

Warum bezeichnete man Frauen im Kleinwalsertal als Kümmernis?

Manfred Tschaikner

015

Warum konnte ein österreichischer Minister sagen, Vorarlberg werde vom »Misthaufen aus« regiert?

Alois Niederstätter

016

Was hat die »elektrifizierte« Küche mit der Vorarlberger Textilindustrie zu tun?

Alois Niederstätter

017

Gibt es »original« Vorarlberger Volkslieder?

Annemarie Bösch-Niederer

018

Ist Landesgesetzgebung schlecht?

Peter Bußjäger

019

Seit wann wird in Vorarlberg Bier gebraut?

Alois Niederstätter

020

Verlor der Eremit Eusebius wirklich seinen Kopf?

Alois Niederstätter

021

Was hat es mit dem in Vorarlberg (noch) verbreiteten Gruß »Heil« auf sich?

Alois Niederstätter

022

Welche »Orden« verleiht das Land Vorarlberg?

Alois Niederstätter

023

Weshalb war Lustenau ein »Reichshof«?

Alois Niederstätter

024

Wie »adelig« war Vorarlberg?

Alois Niederstätter

025

Gehörte Liechtenstein einst zu Vorarlberg?

Alois Niederstätter

026

Hat Kaiserin Maria Theresia den »Spatzenkrieg« gewonnen?

Alois Niederstätter

027

Warum durfte man den Andelsbucher Hans Bach ungestraft einen »Narren« nennen?

Alois Niederstätter

028

Seit wann erscheinen in Vorarlberg Zeitungen?

Alois Niederstätter

029

Warum hätten sich die Bewohner von Frastanz früher über ein Rauchverbot sehr geärgert?

Alois Niederstätter

030

Was trieben die Vorarlberger Schatzgräber?

Manfred Tschaikner

031

Gab es die »seligen Geschwister« Diedo, Merbod und Ilga wirklich?

Alois Niederstätter

032

Hat Vorarlberg eine Theatertradition?

Alois Niederstätter

033

Kann man in Vorarlberg auch mit einem leeren Stimmzettel wählen?

Peter Bußjäger

034

Was wollte die Initiative »Pro Vorarlberg« bewirken?

Meinrad Pichler

035

Seit wann gibt es in Vorarlberg Vereine?

Alois Niederstätter

036

Welche beiden »Vorarlberger« Kirchenfürsten wurden trotz enger Verwandtschaft zu Feinden?

Alois Niederstätter

037

Warum spielt die Bregenzerwälder Gemeinde Au in der Vorarlberger Glaubensgeschichte eine besondere Rolle?

Alois Niederstätter

038

Wann kamen Alpinismus und Schilauf nach Vorarlberg?

Meinrad Pichler

039

Wie wurde die Fasnacht in Vorarlberg vor einigen Jahrhunderten gefeiert?

Manfred Tschaikner

040

Warum ist das größte Wiener Unfallkrankenhaus nach einem Vorarlberger benannt?

Alois Niederstätter

041

Wie wurde aus dem Schauspieler Johann Martin der Kapuzinerpater Laurentius von Schnifis – und ein berühmter Barockdichter?

Alois Niederstätter

042

Welche Brandkatastrophen gab es in der Vorarlberger Geschichte?

Alois Niederstätter

043

Welche Innovation ist Appenzeller »Entwicklungshelfern« zu verdanken?

Alois Niederstätter

044

Wann erlernten die Vorarlberger das Schwimmen – und wo wurde die erste Badeanstalt errichtet?

Alois Niederstätter

045

Schreibt man Montafon mit »f« oder mit »v«?

Peter Bußjäger

046

Warum wäre der Vorarlberger Geistliche Franz Joseph Rudigier beinahe ins Gefängnis gekommen?

Alois Niederstätter

047

Seit wann können in Vorarlberg heimische Radioprogramme empfangen werden?

Alois Niederstätter

048

Was für eine Heldentat sollen die Bregenzerwälderinnen an der »Roten Egg« vollbracht haben?

Alois Niederstätter

049

Was hat die »Donauschule« mit Vorarlberg zu tun?

Alois Niederstätter

050

Wann gab es erstmals eine österreichische Bodenseeflottille in Vorarlberg – und warum?

Markus Schmidgall

051

Wie kam der Fußballsport nach Vorarlberg?

Alois Niederstätter

052

Wann wurde in Vorarlberg zum ersten Mal ein Buch gedruckt?

Alois Niederstätter

053

Wer war im 18. Jahrhundert der weitaus berühmteste Vorarlberger?

Manfred Tschaikner

054

Warum wurde Dr. Anton Schneider kein Vorarlberger Andreas Hofer?

Alois Niederstätter

055

Welche Seuchen wüteten einst in Vorarlberg?

Alois Niederstätter

056

Wann wurden Bär, Wolf und Luchs in Vorarlberg ausgerottet?

Alois Niederstätter

057

Wie endete Vorarlbergs erster Flugzeugstart?

Alois Niederstätter

058

Was hatte es mit dem »Ehekonsens« und der »Fraueneinkaufstaxe« auf sich?

Alois Niederstätter

059

Wann wurde der Alpenrhein zur Grenze zwischen Vorarlberg und der Schweiz?

Alois Niederstätter

060

Welche der Vorarlberger Burgen sind die ältesten?

Alois Niederstätter

061

Wann wurden in Vorarlberg erstmals Impfungen vorgenommen?

Wolfgang Scheffknecht

062

Wozu brauchte es »Landsbräuche«?

Alois Niederstätter

063

Gibt es auch in Vorarlberg »heilige Berge«?

Manfred Tschaikner

064

Was machte »verdroßne Weiber wider lustig«?

Alois Niederstätter

065

Wozu dienten »Allmenden« – und wer durfte sie nutzen?

Alois Niederstätter

066

War ein Teil Vorarlbergs einmal holländisch?

Alois Niederstätter

067

Welche Sonderstellung besitzt das Kleinwalsertal?

Alois Niederstätter

068

Wie vielfältig ist Vorarlbergs Dialektlandschaft?

Alois Niederstätter

069

Woher hatten die »Henkeichen« an der Bregenzer Klause ihren Namen?

Alois Niederstätter

070

Was verstand man unter »Schneebrechen«?

Alois Niederstätter/Manfred Tschaikner

071

Wie entstand die Grenze zu Liechtenstein bei Feldkirch?

Manfred Tschaikner

072

Wo studierten die Vorarlberger in früheren Zeiten?

Alois Niederstätter

073

Woher hat der Bodensee seinen Namen?

Alois Niederstätter

074

Welche Getränke galten als »des Bauersmanns Lieblinge«?

Alois Niederstätter

075

Was trieben die Feldkircher »Mühle Maitlen«?

Alois Niederstätter

076

Wie erlebte ein Florentiner Vorarlberg vor mehr als 500 Jahren?

Manfred Tschaikner

077

Was war die »Rod«?

Alois Niederstätter

078

Wozu gehören »Blätz«, »Brämkappe« und Schapel?

Alois Niederstätter

079

Was widerfuhr Papst Johannes am Arlberg?

Alois Niederstätter

080

Welchem Vorarlberger verdanken Waisenkinder auf der ganzen Welt ein Zuhause?

Susanne Gappmaier

081

Wie funkte man in Vorarlberg vor der Erfindung der drahtlosen Telegrafie?

Manfred Tschaikner

082

Was sollte im Rheindelta gebaut werden?

Alois Niederstätter

083

Welchen Anteil hatte Vorarlberg an den Türkenkriegen?

Alois Niederstätter

084

Wer war Kaiserin Sisis »Fitnesstrainer«?

Alois Niederstätter

085

Wodurch zeichnet sich die Vorarlberger »Landesrasse« aus?

Meinrad Pichler/Alois Niederstätter

086

Wofür ist Graf Hugo XII. von Montfort-Bregenz noch heute bekannt?

Alois Niederstätter

087

Was geschah im Montafon zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs?

Manfred Tschaikner

088

Welchen Nutzen zog Vorarlberg aus dem »Marshallplan«?

Meinrad Pichler

089

Worum ging es beim »Steinach-Rummel«?

Alois Niederstätter

090

Welcher spektakuläre Polit-Mord brachte eine ganze Vorarlberger Talschaft in Verruf?

Alois Niederstätter

091

Wo wurden die ersten Seilbahnen Vorarlbergs betrieben?

Alois Niederstätter

092

Welcher Vorarlberger Gelehrte forderte 1493 den König von Portugal auf, Asien im Westen zu suchen?

Alois Niederstätter

093

Wie gefährlich ist der Bodensee?

Alois Niederstätter

094

Welches Delikt brachte 1494 die Bregenzerwälder Jakob Moosbrugger und Ulrich Bischof ins Gefängnis?

Alois Niederstätter

095

Wie kam Vorarlberg zu seinen Lokalbahnen?

Alois Niederstätter

096

Welches Vorarlberger Steinprodukt war lange Zeit ein Exportschlager?

Alois Niederstätter

097

Wie gingen die Vorarlberger früher mit ihren Wäldern um?

Alois Niederstätter

098

Woher stammt der Vorarlberger liebstes Kartenspiel, das Jassen?

Alois Niederstätter

099

Wohin pilgerten die Vorarlberger?

Alois Niederstätter

100

Warum ist Braz ein geteiltes Dorf?

Manfred Tschaikner

101

Worum ging es beim Bregenzer »Autobahn-Krieg«?

Meinrad Pichler/Alois Niederstätter

Anhang

Weiterführende Literatur

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Bildnachweis

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Panorama mit Blick in den Vorderen Bregenzerwald. Bregenzerwälderhof im Engloch Nr. 249 in Alberschwende.

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Häuser wie helle Schmetterlinge auf lichter Höhe.

Baumgruppen mit Vogelgesang geschmückt.

Die Sonne mischt Himmelsblau mit Wiesengrün.

Sulzberg im Vorderwald von Maxi Herta Altrogge

001 Seit wann gibt es ein Vorarlberger Landesbewusstsein?

Identitäten fallen nicht einfach vom Himmel. Sie werden vielmehr von Akteuren mit bestimmten Interessen »erfunden«, propagiert und in den Köpfen der Menschen mit mehr oder weniger großem Erfolg verankert. Dazu bedarf es zunächst eines Rahmens: Landesbewusstsein wäre somit jenes Wir-Gefühl, das die innerhalb von Landesgrenzen lebenden Menschen aufgrund ihrer gemeinsamen Erfahrungen und Orientierungen, der sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, aber auch durch ein gewisses Einverständnis mit den Einrichtungen dieses Gemeinwesens verbindet. Die tatsächlichen oder auch nur vorgeblichen »landestypischen« Mentalitäten müssen von denen anderer Länder unterscheidbar und durch Symbole begreifbar sein.

Weil Vorarlberg erst im 18. Jahrhundert allmählich zu einem Land wurde, scheint es noch in Johann Heinrich Zedlers »Universal-Lexicon« (1736–1754), dem wichtigsten Nachschlagewerk seiner Zeit, gar nicht auf: Bregenz wird in Schwaben, Feldkirch im »Rheinthal«, und zwar im »Nebelgau an dem Wasser Yll, zwischen der Schweiz,Tyrol und Schwaben, ohnfern den Italienischen Grenzen« und Bludenz in Tirol lokalisiert.

Hand in Hand mit dem späten Prozess der »Landwerdung« lassen sich erste Ansätze für ein Wir-Gefühl erkennen. Es war jedoch elitär, an den Interessen der politisch sowie wirtschaftlich Führenden orientiert und weder ideologisch noch ethnisch begründet. Breitere Kreise der Bevölkerung, denen das engere Umfeld »Heimat« war, übernahmen es zunächst nicht. Erst die gemeinsamen militärischen Anstrengungen der Landesverteidiger während der Koalitionskriege gegen Frankreich und im Aufstand gegen die Bayern 1809 dürften ihm eine etwas größere Verbreitung verschafft haben.

Eine ethnische Komponente kam im Verlauf des 19. Jahrhunderts mit der Entdeckung des »Alemannischen« und eines ihm zugeschriebenen »Volkscharakters« hinzu. Sie bezweckte, weil ja auch die Nachbarn im Westen und Norden als »Alemannen« zu gelten hatten, ausdrücklich die Abgrenzung gegenüber Tirol, mit dem Vorarlberg verwaltungsmäßig verbunden war. Weiterhin ging die Institutionalisierung des Landesbewusstseins von den Eliten aus, unter anderem durch die Gründung des Landesmuseumsvereins als »nationales Institut« zur »Beleuchtung der Geschichte des Landes, seiner Ortschaften und ausgezeichneten Personen« im Jahr 1857.

1861 billigte Kaiser Franz Joseph den Vorarlbergern einen eigenen Landtag zu. Seine Tätigkeit, zu der vor allem die Schaffung von Landesanstalten und der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur gehörten, trug wesentlich dazu bei, Vorarlberg als Gemeinwesen »erlebbar« zu machen. 1864 erhielt es vom Kaiser ein Landeswappen als Symbol für den neuen Status.

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Die von Joseph Brentano 1793 in Bregenz gedruckte »Vorarlbergische Chronik« zählt zu den frühesten landeskundlichen Werken.

Der Wunsch nach der auch administrativen Trennung von Tirol ging erst mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie in Erfüllung. Am 3. November 1918 trat in Bregenz die provisorische Landesversammlung zusammen und erklärte unter Berufung auf ein Selbstbestimmungsrecht der Völker (!)Vorarlberg zum »eigenen selbständigen Land« im Rahmen des deutsch-österreichischen Staates. Die auf dem »Alemannentum« der Vorarlberger aufbauende Landesidentität ließ freilich auch Anschlussbewegungen an die Schweiz sowie an Deutschland zu. An die Stelle der Bindung an das österreichische Kaiserhaus trat erstaunlich rasch die Vorstellung seit Jahrhunderten gepflegter, dem »Alemannentum« innewohnender demokratischer Traditionen und eines unbändigen Freiheitswillens.

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Zum 1909 gefeierten 100-Jahr-Jubiläum des Aufstands der Vorarlberger gegen die bayerische Herrschaft demonstrierte das Land in einem Festzug seine »eigene« Geschichte.

Ähnliches erschien nach dem Zweiten Weltkrieg notwendig, denn, so Landeshauptmann Ulrich Ilg: »Wir haben Jahre hinter uns, wo jede Pflege Vorarlberger Gedankengutes systematisch unterdrückt wurde.« Neuerlich wurde daher auf das »Alemannentum« als die Gemeinsamkeit begründendes Element zurückgegriffen: »In erster Linie ist es die rassische Zusammensetzung, die das geistige Erbgut unseres Landes bestimmt.« Bedroht sei »das reine Volkstum alemannischer Art« freilich durch die Zuwanderung »aus andersstammlichen Gebieten« (Artur Schwarz im Jahr 1949). In abgemilderter Form blieb dieses »alemannozentrische« Heimatbild bis ins ausgehende 20. Jahrhundert präsent – insbesondere als Instrument der Abgrenzung vom »bajuwarischen Osten« bzw. vom »zentralistischen« Wien. Allerdings: Es war ein Konstrukt der Landespolitik, mit dem sich die Bevölkerung selbst nur in verhältnismäßig geringem Maß identifizierte.

Um tatsächlich breitenwirksam zu sein, musste das »Anderssein« mit griffigeren Eigenschaften ausgestattet werden: »Wohl die ausgeprägteste Eigenart des Alemannen ist sein demokratisches Empfinden«, stellte Landeshauptmann Herbert Keßler 1953 fest. Wer damit zu wenig anfangen konnte, sollte sich wenigstens mit den nach dem Zweiten Weltkrieg ausdrücklich als typisch »alemannisch« behaupteten Eigenschaften Besonnenheit, Fleiß und Sparsamkeit identifizieren (034Was wollte die Initiative »Pro Vorarlberg« bewirken?). Tatsächlich verinnerlichten nicht nur die Vorarlberger diesen Tugendkanon, auch in der Außensicht bestimmte er schließlich das Bild des Landes.

In den letzten Jahrzehnten veränderte sich die Wahrnehmung von »Heimat« nachhaltig. Drei zentrale Bereiche heben sich nunmehr deutlich von allen anderen ab: »Landschaft/Umwelt«, »Gemeinschaft / Beziehungen« sowie »Lebensweise / Lebensstil«, also in erster Linie Aspekte der Selbstkonzeption von Individuen. Dagegen spielen Werte, Dialekt und Mentalität als Bestandteile des »Wir-Konzepts« nur mehr eine nachgeordnete Rolle. Demgemäß wird »Heimat« immer weniger an politischen Grenzen festgemacht. Das kann angesichts einer zunehmend mobilen Gesellschaft – mehr als ein Viertel der in Vorarlberg Wohnhaften ist nicht hier geboren – nicht verwundern.

Alois Niederstätter

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Abgrenzung von der Wiener Zentrale war im 20. Jahrhundert ein wesentliches Element des Vorarlberger Selbstverständnisses. Werbeplakat der Christlichsozialen Partei für die Landtagswahlen 1928.

002 Weshalb entstanden schon in früheren Zeiten folgenschwere Umweltschäden?

Das Betrachten von Landschaftsbildern der Vergangenheit könnte leicht nostalgische Gefühle wecken. Dasselbe gilt für die Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts. Die entzückten Besucher von damals übersahen leicht, wie viel Ärmlichkeit sich hinter den freundlichen Ansichten verbarg. Trotz aller natürlichen Fruchtbarkeit reichten die Bodenerträge längst nicht mehr aus, die zunehmende Zahl von kinderreichen Bauernfamilien zu ernähren. Durch den im 17. Jahrhundert begonnenen Anbau von Mais und die nach 1750 hinzugekommenen Kartoffeläcker war es wenigstens gelungen, die sich noch immer wiederholenden Hungersnöte zu mildern.

Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts richtete sich das Interesse der Reisenden je länger je mehr auf die Bergwelt (038Wann kamen Alpinismus und Schilauf nach Vorarlberg ?). Sie gewannen Eindrücke, als hätten sie beim Durchwandern der Bergtäler geradezu eine heile Welt entdeckt. Doch während sich der Zustrom von Sommerfrischlern und Alpinisten verstärkte, verließen Jahr für Jahr tausende Einheimische als Saisonarbeiter oder Schwabenkinder ihre Heimat, um ihrem Hungerleiderdasein eine Zeitlang zu entkommen. Andere hielten sich an den Spruch: »Lob dr Berg und züch is Tal!« Oder sie entschieden sich als Auswanderer für einen Abschied für immer.

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Vom 18. Jahrhundert an wurden vor allem die Rheintalgemeinden regelmäßig von Überschwemmungen betroffen – wie hier Feldkirch 1910.

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Im Schesatobel bei Bürs entstand im Verlauf des 19. Jahrhunderts einer der größten Murbruchkessel Europas.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das Land zwar nur etwa 100.000 Einwohner, doch im Verhältnis zu seinen natürlichen Ernährungsgrundlagen war es damals eindeutig überbevölkert. Das hatte Folgen, deren Tragweite lange unterschätzt worden waren. Bei jeder Vermehrung der Bergbevölkerung wusste man gewöhnlich keinen anderen Ausweg, als den Viehbestand zu vergrößern. Da dies beim Rinderbestand nur beschränkt möglich war – er lag im 19. Jahrhundert zumeist zwischen 50.000 und 60.000 Stück Vieh –, setzte man vor allem auf eine vermehrte Kleinviehhaltung. 1837 wurden insgesamt 22.914 Schafe und 18.670 Ziegen gezählt. Der dadurch noch mehr wachsende Futterbedarf setzte eine bis zu entlegenen Grenzertragsböden ausgedehnte Weidewirtschaft und Heugewinnung, zugleich auch fortgesetzte Verkleinerungen der Waldflächen voraus. Als Folge der vermehrten Waldweide und vernachlässigten Bestandsverjüngung verlor ein beträchtlicher Teil der Bergwälder seine frühere Schutzwirkung.

Wenn behauptet wird, die Bergbauern seien die besten Landschaftspfleger, sei auch ihre frühere Rolle als Mitverursacher der ersten großen alpinen Umweltkatastrophen nicht verschwiegen. Dazu haben in Vorarlberg wie in Graubünden die nach der Einwanderung der Walser zunehmenden Entwaldungen der Hochlagen sowie nach 1600 zudem noch spürbare Klimaverschlechterungen beigetragen. Wie in der Folge aus kleinen Bergbächen Rüfen und Murbruchkessel entstehen konnten, nahm im Schesatobel bei Bürs schon ab 1804 erschreckende Ausmaße an.

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Zu den in den Alpentälern besonders gefürchteten Elementarereignissen gehören Lawinenabgänge – hier in Mittelberg (Kleinwalsertal) 1907. Sie waren nicht selten eine Folge der Verkleinerung der Waldflächen zugunsten der Weidewirtschaft.

Die in den Wildwassertobeln verstärkte Erosion hatte in den Talebenen durch den vermehrten Geschiebetransport der Vorfluter Aufschotterungen und Erhöhungen der Flussbetten zur Folge. Die Auswirkungen bekamen in Vorarlberg besonders die Rheingemeinden zu spüren, indem sie ab dem 18. Jahrhundert alle paar Jahre und in immer kürzer werdenden Abständen von Überschwemmungen betroffen waren. Allmählich wurde erkennbar, dass den weiteren Anhebungen des Rheinbetts mit Erhöhungen der Schutzdämme nicht mehr beizukommen war. Schließlich gaben die großflächigen Überschwemmungen von 1888 und 1890 den entscheidenden Anstoß, ab 1892 im Rahmen eines mit der Schweiz abgeschlossenen Staatsvertrags eine umfassende Regulierung des Rheins mit gleichzeitiger Verbauung der Wildbäche in Angriff zu nehmen.

Dadurch konnte seither in den Siedlungsgebieten ein hohes Maß an Hochwasserschutz erreicht werden. Dass dieser trotz beachtlicher Verbauungsfortschritte nicht mit hundertprozentigem Schutz gleichgesetzt werden kann, wurde inzwischen durch das Zunehmen von Extremwetterlagen bewusst. Ähnliches gilt für den Schutz vor Lawinen und anderen Elementarereignissen.

Helmut Tiefenthaler

003 Welche der Vorarlberger Klöster sind die ältesten?

Ob sich in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts am Viktorsberg oberhalb von Rankweil um den irischen Wandermönch Eusebius (020Verlor der Eremit Eusebius wirklich seinen Kopf ?) ein kleiner Mönchskonvent gebildet hatte, ist nicht sicher nachweisbar. Den Rang als ältestes der Vorarlberger Klöster kann daher die Mehrerau für sich beanspruchen – allerdings nicht am heutigen Standort und auch nicht als Zisterzienserabtei.

Bald nach 1080 schuf Graf Ulrich IX. von Bregenz nämlich in Andelsbuch im Bregenzerwald die materielle Grundlage für eine Ordensniederlassung. Besiedelt wurde sie von Benediktinern aus Petershausen bei Konstanz. Einige Jahre später – wohl um 1096/97 – zogen die Mönche an das Bodenseeufer bei Bregenz. Man vermutet, dass Versorgungsprobleme dafür den Ausschlag gaben. Die zunächst einfach »Kloster Bregenz« oder »Kloster in der Au bei Bregenz«, erst vom 16. Jahrhundert an »Mehrerau« genannte Einrichtung wurde durch zahlreiche Schenkungen und eine rege Erwerbstätigkeit zu einem der größten Grundbesitzer im Land.

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Das Benediktinerkloster Mehrerau im späten 18. Jahrhundert.

In ihrer Frühzeit war die Mehrerau ein Doppelkloster, in dem Frauen und Männer als Nonnen und Mönche, als Laienschwestern und Laienbrüder lebten. Diese damals verbreitete Organisationsform wurde aber, nicht zuletzt aufgrund moralischer Bedenken, nach einiger Zeit wieder aufgegeben.

Das Kloster hatte viele Krisen zu bestehen, materielle wie im Appenzellerkrieg zu Beginn des 15. Jahrhunderts oder bei der Einnahme von Bregenz durch die Schweden 1647, aber auch ideelle, so als im Zeitalter der Reformation die Disziplin der Mönche der Ordensregel bei weitem nicht mehr entsprach. Zum Traditionsbruch kam es aber nach dem Übergang Vorarlbergs an Bayern. 1806 wurde staatlicherseits die Aufhebung der Mehrerau verordnet.

Der Neubeginn ließ annähernd ein halbes Jahrhundert auf sich warten. 1854 erwarb der Konvent der vom Schweizer Kanton Aargau aufgehobenen Zisterzienserabtei Wettingen die Baulichkeiten und ließ sich hier nieder. Daher trägt die »neue« Mehrerau den Namen »Wettingen-Mehrerau« und ihr Vorsteher den Titel »Abt von Wettingen und Prior von Mehrerau«.

Neben der Mehrerau entstanden auf Vorarlberger Boden bis zum Ende des Mittelalters noch weitere Klöster: 1218 stiftete Graf Hugo I. von Montfort in Feldkirch ein Ordenshaus des geistlichen Ritterordens der Johanniter. Um 1220/27 scheint im Großen Walsertal eine klösterliche Niederlassung namens »Friesen« (Frisun) erstmals urkundlich auf, die später als Propstei St. Gerold zum Benediktinerkloster Einsiedeln (Kanton Schwyz) gehörte.

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Das Priorat St. Gerold im Großen Walsertal. Federzeichnung von Pater Gabriel Bucelin (1599–1681).

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Unmittelbar außerhalb der Stadtmauer von Feldkirch wurde 1605 das erste der Vorarlberger Kapuzinerklöster gegründet. Ansicht der Stadt Feldkirch von Matthäus Merian, 1643.

Auch die neu aufgekommenen Bettelorden fanden hierzulande Eingang. Von ihnen erwartete man sich die Erfüllung des Wunsches nach einer »armen«, an den religiösen Bedürfnissen der einfachen Menschen orientierten Kirche. In Vorarlberg machte das von Graf Hugo I. von Werdenberg bald nach 1278 ins Leben gerufene Dominikanerinnenkloster St. Peter bei Bludenz den Anfang. 1383 stiftete Graf Rudolf V. von Montfort-Feldkirch am Viktorsberg eine Niederlassung der Franziskaner-Minoriten und bereitete wenig später die Gründung des Klarissenklosters Valduna vor. 1422 entstand am Hirschberg im Gemeindegebiet von Langen bei Bregenz ein weiteres Dominikanerinnenkloster, das später unter dem Namen »Hirschtal« nach Kennelbach verlegt wurde. 1440 kamen in Bregenz die Franziskaner-Tertiarinnen des Klosters Thalbach hinzu. In Feldkirch-Altenstadt ist seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Frauenkloster mit Schwestern des Dritten Ordens nachgewiesen. Aus diesem Rahmen fällt das 1351 in der kleinen Bergsiedlung Ebnit (Stadt Dornbirn) als Stiftung der Ritter von Ems erstmals erwähnte, wenig später aber wieder abgegangene Klösterchen der Augustiner-Eremiten vom heiligen Paul (»Pauliner« bzw. »Paulaner«).

Auf gegenreformatorische Bestrebungen gehen die Klostergründungen des 17. Jahrhunderts zurück: 1605 wurde in Feldkirch das erste Kapuzinerkloster auf Vorarlberger Boden errichtet, Niederlassungen in Bregenz, Bludenz und Bezau folgten 1636, 1644 und 1656. Die wichtigsten Betätigungsfelder der Kapuziner waren Predigt, Volksmission und Armenfürsorge, allerdings taten sie sich auch »als maßgebliche Förderer der Hexenverfolgungen« (Manfred Tschaikner) hervor. Die Regel des Kapuzinerordens übernahmen auch die Schwestern des 1605 in Bregenz gegründeten Klosters St. Anna. 1649 ließen sich die Jesuiten in Feldkirch nieder und gründeten zunächst eine Missionsstation, dann ein Gymnasium.

Alois Niederstätter

004 Warum hat Vorarlberg eine eigene Verfassung?

Es dauerte nur wenige Monate, bis der Vorarlberger Landtag, der am 3. November 1918 Vorarlberg zum selbständigen Land im Rahmen des deutsch-österreichischen Staates erklärt hatte, am 14. März 1919 eine eigene Landesverfassung beschloss.

Schließlich gehört zu einem Staat auch eine Verfassung als Grundordnung. Ihre Spielräume sind allerdings durch die Bundesverfassung beschränkt.

Die eigenwillige Landesverfassung von 1919 zeichnete sich durch einen für die damalige Zeit außergewöhnlich hohen Standard der direkten Demokratie aus und sollte wohl der Schweiz signalisieren, dass sich Vorarlberg als damals möglicher Kanton gut in die Eidgenossenschaft einfügen würde. Sie musste aber schon 1923 durch eine neue Verfassung abgelöst werden, mit der eine Anpassung an die österreichische Bundesverfassung von 1920 erfolgte. Besonders originell war diese Verfassung nicht mehr, sie unterschied sich von denen der anderen Länder aber immerhin dadurch, dass sie kein Proporzsystem in der Landesregierung vorsah. Dies bedeutete, dass die Landtagsmehrheit allein die Zusammensetzung der Landesregierung bestimmte. Heute haben die meisten der österreichischen Länder das »Vorarlberger« Modell übernommen.

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Im 13. Stück des Landesgesetzblatts von 1923 publiziert: die Vorarlberger Landesverfassung von 1923.

Die Landesverfassung von 1923 wurde seither mehrfach geändert. Wichtig war vor allem die Verfassungsnovelle von 1984, die einen innovativen Weg beschritt. Ziele und Grundsätze staatlichen Handelns wurden formuliert und die direkte Demokratie ausgebaut. Der Landtag beschloss die Reform einstimmig und setzte sie gegen den Willen der Experten im Bundeskanzleramt durch, die an vielen Inhalten Kritik geübt hatten. Einige der Innovationen von damals sind mittlerweile auch in andere Landesverfassungen übernommen worden.

Die seither erfolgten Modifikationen setzten das Werk von 1984 ohne besondere Akzente fort, wenn man von dem 1999 eingerichteten Landes-Rechnungshof absieht. Das ist freilich auch auf die engen Grenzen zurückzuführen, die die Bundesverfassung zieht.

Peter Bußjäger

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Im Bregenzer Landhaus haben der Vorarlberger Landtag, die Landesregierung und zahlreiche Dienststellen der Landesverwaltung ihren Sitz.

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Der erste Artikel der Landesverfassung in der heute gültigen Fassung.

005 Welche militärische Bewandtnis hatte es mit der Regel »bei Tag aus, bei Tag zurück«?

Seit jeher waren die Untertanen – Bauern wie Stadtbürger – zur Landesverteidigung verpflichtet. Das galt unter den Grafen von Montfort, von Werdenberg und in weiterer Folge auch unter den Erzherzögen von Österreich. Diese übertrugen schließlich zu Beginn des 16. Jahrhunderts die Koordination und Organisation der Verteidigungsmaßnahmen den Landständen, also den Repräsentanten der regionalen Verwaltungssprengel.

Den von dieser Zeit an erlassenen Landwehrordnungen gemäß belief sich das militärische Aufgebot Vorarlbergs – wohl ziemlich theoretisch – auf 5.784 Mann. Als wehrpflichtig galten alle Tauglichen zwischen dem 18. und dem 60. Lebensjahr. Ihre Waffen gehörten zum unveräußerlichen Hausrat. Bei einem Ausmarsch hatte sich die Truppe während der ersten vier Tage selbst zu verpflegen. Je nach dem Ausmaß der Bedrohung gab es verschiedene Stufen der Mobilisierung vom zwanzigsten, fünfzehnten, zehnten und fünften Mann bis zum Aufgebot aller Wehrpflichtigen. Bei unmittelbarer Feindesgefahr alarmierte man mittels »Glockensturm«, dem Läuten der Kirchenglocken, durch von den Burgen abgegebene Kanonenschüsse sowie durch Feuer- und Rauchsignale, die sogenannten »Kreifeuer« (081Wie funkte man in Vorarlberg vor der Erfindung der drahtlosen Telegrafie?).

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Landtagsbeschluss von 1643 über die Stellung und Verpflegung von 1.000 Mann zur Verteidigung des Lands gegen den andringenden Feind.

Die aufgebotenen Truppen waren allerdings nur zur unmittelbaren Landesverteidigung verpflichtet: Sie brauchten nur so weit auszurücken, dass eine Heimkehr noch am selben Tag möglich war (»bei Tag aus, bei Tag zurück«). Sollten die militärischen Aktionen über die althergebrachten Grenzen ausgreifen, musste sich die Obrigkeit um Freiwillige bemühen. Solche fanden sich, vor allem wenn Beute winkte, meist in ausreichender Zahl.

1621 verkleinerte man das Kontingent auf 4.000 Mann, eingeteilt in acht »Fähnlein«. 80 Prozent der Kämpfer sollten mit Musketen ausgerüstet sein. Jedes Fähnlein erhielt 50 »Schanzer« zum Stellungsbau zugewiesen, außerdem wurden »Trüllenmeister« (Drillmeister) zur Ausbildung der Truppe eingesetzt. Um das Jahr 1700 beschloss der Landtag die Aufstellung einer gut ausgebildeten und bewaffneten »Landmiliz« von 3.000 Mann in vier Kompanien als Kerntruppe, ergänzt durch ein zweites Aufgebot von weiteren 3.000 und ein drittes aller übrigen waffenfähigen Landesbewohner. Man schätzte, dass insgesamt etwa 18.000 Mann zur Verfügung stehen würden. 1796 kamen nach Tiroler Vorbild vier freiwillige Schützenkompanien im Rahmen der ersten beiden Aufgebote hinzu. Ihre Bewährungsprobe folgte schon bald in den Koalitionskriegen gegen die Franzosen. Sie unterstützten in diesen Kämpfen das reguläre österreichische Militär durchaus wirkungsvoll.

Die in den einzelnen Sprengeln des Landes Aufgebotenen hatten das Recht, ihre Vorgesetzten selbst zu wählen. Mit dem Oberkommando war ein für alle vorarlbergischen Herrschaften zuständiger »Obristhauptmann« betraut, bis in die 1630er-Jahre meist der österreichische Vogt von Bregenz. Später zog die Herrschaft dafür überwiegend auswärtige Offiziere heran.

Norm und Realität deckten sich nur selten. In der Regel wuchs die Einsatzbereitschaft erst mit der Bedrohung der unmittelbaren Umgebung. Als etwa 1622 angesichts von Bündner Einfällen an der Südgrenze Vorarlbergs (087Was geschah im Montafon zu Beginn des Dreißigjährigen Kriegs?) die Wehrfähigen der Herrschaft Bregenz zum Ausmarsch ins Oberland aufgeboten wurden, blieben viele überhaupt zu Hause, andere weigerten sich, dorthin zu ziehen. 1646/47 lehnten es die Oberländer ab, Vorarlberg an der Bregenzer Klause zu verteidigen, was die Einnahme der Stadt und ihres Umlandes durch die Schweden wesentlich erleichterte.

In den kaiserlichen Heeren – oder denen anderer Kriegsherren – als Söldner zu dienen, war dagegen häufig geübte Privatsache. Erst 1771 konnte die Obrigkeit die Stellung von Rekruten für das Tiroler Jägerkorps, eine stehende Truppe, durchsetzen. Zumeist wurden jedoch »Freiwillige« bzw. Männer von zweifelhaftem Ruf aufgeboten, derer man sich auf diese Weise zumindest temporär entledigen wollte.

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Landesverteidiger und reguläres Militär kämpfen 1796 an der Leiblach erfolgreich gegen französische Truppen.

Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht erfolgte erstmals, als Vorarlberg an der Jahreswende 1805/06 an das Königreich Bayern kam. Nun sollten alle jungen Männer zwischen 19 und 23 Jahren auf ihre Wehrfähigkeit untersucht und im Fall der Tauglichkeit in »Musterrollen« verzeichnet werden. Die Aushebung der jeweils benötigten Anzahl von Rekruten – 1806 traf es auf ganz Vorarlberg etwa 100 Mann – erfolgte durch Losentscheid; man konnte freilich auf eigene Kosten einen Ersatzmann stellen. Vom Militärdienst befreit waren unter anderem Lehrer und Schulgehilfen sowie diejenigen, die ein Bauerngut besaßen und bewirtschafteten, das zur Ernährung einer Familie ausreichte. Der Aufstand gegen die bayerische Herrschaft im Jahr 1809 stützte sich noch auf das alte Milizsystem, das, nach der Rückkehr an Österreich mit wenig Enthusiasmus in die Moderne herübergerettet, noch drei Mal – 1848, 1859 und 1866 – reaktiviert wurde. 1868 führte auch der österreichische Kaiserstaat endgültig die allgemeine Wehrpflicht ein.

Alois Niederstätter

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Vorarlberger Milizionäre im Aufstand gegen Bayern im Jahr 1809. Darstellung einer Festzugsgruppe bei der Jahrhundertfeier 1909.

006 Wie viele Menschen lebten früher in Vorarlberg?

Gegenwärtig haben in Vorarlberg mehr als 393.000 Menschen ihren Hauptwohnsitz; das ergibt eine Bevölkerungsdichte von 151 pro Quadratkilometer. Österreichs westlichstes Bundesland liegt damit über dem bundesweiten Durchschnitt von 106. Allerdings sind nur etwa 22 Prozent der Vorarlberger Landesfläche »Dauersiedlungsraum«, also baulich, agrarwirtschaftlich und verkehrsmäßig nutzbar. Allein auf ihn bezogen beträgt die Bevölkerungsdichte bereits knapp 690 Personen pro Quadratkilometer! Ein kontinuierliches Weiterwachsen wird prognostiziert.

Dagegen nehmen sich die historischen Werte bescheiden aus: Um 1350 dürften auf Vorarlberger Boden insgesamt etwa 20.000 Menschen gelebt haben – gerade einmal fünf Prozent des modernen Bestands. Die Bevölkerungsdichte betrug damit bescheidene acht Bewohner pro Quadratkilometer. Bis 1511 stieg die Einwohnerzahl zwar auf annähernd 30.000 an, das nachmalige Land unterschied sich aber auch damit nicht von anderen ähnlich dünn besiedelten alpinen Gebieten. Größte spätmittelalterliche Agglomeration war die Stadt Feldkirch, in deren Mauern etwa 1.500 Menschen lebten, Bregenz und Bludenz folgten mit etwa 700 bzw. 400 Einwohnern. Im Dornbirner Pfarrsprengel, der mehrere Ortschaften umfasste, waren etwa 1.000 Menschen ansässig. Von den Dörfern dürften damals wohl nur Höchst, Lauterach, Götzis, Rankweil, Nenzing, Satteins, Bludesch und Ludesch die Marke von 300 Bewohnern überschritten haben. Auch die Verteilung der Bevölkerung unterschied sich ganz wesentlich von der der Gegenwart. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts lebte fast ein Viertel der Vorarlberger im Bregenzerwald, weitere zehn Prozent im Montafon, heute sind das nur mehr acht bzw. vier Prozent.

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Auch für die Bevölkerungsstatistik sind die in den Pfarren geführten Matriken wichtige Quellen, hier die erste Seite des 1612 begonnenen Taufbuchs von Klösterle.

Trotz der ungünstigen Entwicklung des Klimas und häufiger Seuchenzüge wuchs die Bevölkerung in den meisten Landesteilen in der Folge weiter an und erreichte zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine Gesamtzahl von 40.000 –45.000. Dann sorgten die Ereignisse des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) sowie die Pestepidemien (055Welche Seuchen wüteten einst in Vorarlberg?) von 1628/30 und 1635 zumindest für eine Stagnation, örtlich für einen deutlichen Rückgang.

1754 erfasste die erste staatliche Zählung in Österreich auf Vorarlberger Boden 58.500 Menschen. In den folgenden 100 Jahren wuchs die Bevölkerung um etwa 80 Prozent auf 105.600 Einwohner an. Besonders stark war der Anstieg von 1818 bis 1848 als Folge der einsetzenden Industrialisierung. Allerdings entwickelten sich nicht alle Landesteile gleichmäßig. Hohe Geburtenüberschüsse wiesen die Industrieorte im Rheintal und zunächst auch der Bregenzerwald auf, während das Montafon und der Tannberg stagnierten. Von den 1850er-Jahren an ließ das Zusammentreffen einer Industrie- mit einer Agrarkrise die Zahl der Eheschließungen und Geburten sinken, viele Menschen wanderten aus, vor allem in die Vereinigten Staaten von Amerika.

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Das 1788 angelegte Familienbuch der Stadt Bludenz bietet einen genauen Überblick über die Ortsansässigen.

In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts führten Binnenwanderungen, aber auch der Zuzug fremder Arbeitskräfte zu deutlichen Verschiebungen: Die Städte und Industrieorte wie Hard, Kennelbach oder Bürs wuchsen weiter stark an, dagegen verloren die hochgelegenen Dörfer nahezu ein Drittel ihrer Einwohnerschaft. 1910 zählte Vorarlberg 145.500 Einwohner, von denen 62 Prozent im Rheintal lebten.

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Die Luftaufnahme auf das untere Rheintal (im Vordergrund Mäder) zeigt, wie groß die Freiräume zwischen den Siedlungen noch um die Mitte des 20. Jahrhunderts waren.

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Sozialer Wohnbau: Bregenz-Schendlingen im Jahr 1968.

Während der Erste Weltkrieg einen Rückgang von knapp vier Prozent verursacht hatte, wirkten sich die politischen und wirtschaftlichen Krisen der Zwanziger- und Dreißigerjahre demographisch nicht negativ aus; 1939 zählte das Land 158.300 Einwohner. Die vom Zweiten Weltkrieg verursachten Bevölkerungsverluste – etwa 8.000 Menschen aus Vorarlberg fielen ihm zum Opfer – wurden binnen weniger Jahre vor allem durch Zuwanderung mehr als ausgeglichen (1951: 193.700 Einwohner). Auch in der Folge hielt das phasenweise weit über dem österreichischen Durchschnitt liegende Wachstum an. Zwischen 1951 und 1991 betrug es 71 Prozent, bundesweit aber nur 12,5 Prozent. Die Zahl der Beschäftigten stieg im selben Zeitraum um 68 Prozent (Gesamtösterreich: 7,5 Prozent).

Seither kamen weitere 60.000 Menschen hinzu. Damit stößt das Land in mehrerlei Hinsicht an seine Grenzen. Die für die Landwirtschaft, für Wohn- und Betriebsanlagen nutzbare Fläche nimmt in einem besorgniserregenden Ausmaß ab, umgekehrt wächst der Druck auf die Naturräume durch Freizeitnutzung und Tourismus überproportional. In dieser Problematik liegt eine der größten Herausforderungen für die Landespolitik.

Alois Niederstätter

007 Wer war jene Guta, die Bregenz gerettet haben soll?

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Einst hielt man das am unteren Tor der Bregenzer Oberstadt angebrachte Bildnis der gallo-römischen Pferdeund Fruchtbarkeitsgöttin Epona für ein Denkmal der »Ehreguta«.

In der Bregenzer Oberstadt gibt es einen Ehreguta-Platz, 1920 entstand in der Landeshauptstadt der »Verband katholischer Frauen und Mädchen Guta«, die Vorarlberger Literaturgeschichte kennt drei Bühnenstücke, zwei Balladen, eine Mundarterzählung und weitere Texte, die den Titel »Ehreguta« bzw. »Ehrguta« tragen.

Die Geschichte dazu brachte der Sagensammler Franz Josef Vonbun erstmals 1858 einem breiteren Publikum näher: Anfang des 15. Jahrhunderts, zur Zeit des Appenzellerkriegs, berieten eidgenössische Hauptleute in einer Rankweiler Taferne, wie sie sich der ihnen feindlichen Stadt Bregenz bemächtigen könnten. Eine hinter dem Ofen versteckte alte Frau hörte alles mit. Schließlich entdeckt, musste sie schwören, den erlauschten Kriegsplan keinem Menschen zu verraten. Dennoch eilte sie bei Eis und Schnee nach Bregenz, ließ sich vor den in der Ratsstube versammelten Stadtrat führen. Dort erzählte sie, um ihren Eid nicht zu brechen, dem Ofen, was sie in Rankweil erfahren hatte. Als die Räte sie nach ihrem Namen fragten, lautete die Antwort, man nenne sie die alte Guta. Graf Wilhelm von Montfort, der Stadtherr, rief nun unverzüglich den schwäbischen Adel zu Hilfe, dessen Heer Bregenz vor dem Feind rettete. Als Lohn verlangte Guta Kost, Logis und Kleidung, außerdem sollte der Nachtwächter zwischen Martini und Lichtmess die neunte Abendstunde jeweils mit dem Ruf »Ehret die Guta« ankündigen. Daraus wurde im Lauf der Zeit »Ehreguta«. Eine Variante der Sage lässt Hergotha, die junge Ehefrau des Grafen, die Stadt durch Belauschen der Feinde retten.

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Eckplastik »Ehreguta« am ehemaligen Landhaus (heute Hypo Vorarlberg Bank AG, Zentrale Vorarlberg) von Johann Piffrader (1923) mit dem Schriftzug »Der Heimat treu«.

Mit den historischen Fakten stimmt überein, dass Truppen des von den Appenzellern initiierten »Bunds ob dem See« am 22. September 1407 mit der Belagerung der von Graf Wilhelm und den Bregenzer Bürgern verteidigten Stadt begonnen hatten und ein Aufgebot der schwäbischen Rittergesellschaft mit St. Georgenschild die Angreifer am 13. Januar 1408 vernichtend schlug.

Von der Mitwirkung einer Frau wissen die zeitgenössischen Quellen allerdings nichts. Offenbar führte erst der Schweizer Chronist Michael Stettler 1626 in seinen »Annales Helveticae«, angeregt von ähnlichen, in der Eidgenossenschaft gängigen Sagenmotiven, eine aus seiner eidgenössischen Perspektive verräterische Frau bzw. Spionin in das Geschehen ein, ganz offensichtlich um die Niederlage der sieggewohnten Appenzeller zu erklären. Wohl von dort fand die Geschichte ihren Weg in die Vorarlberger Überlieferung und in die Geschichtsschreibung, die ihr, je nach Interessenlage, einen historischen Kern zubilligte oder absprach. Die ungewöhnlich häufige literarische Verwertung der Geschichte erfolgte gemäß dem jeweils aktuellen ideologischen Hintergrund und dem geltenden Frauenbild.

Alois Niederstätter

008 Seit wann werden in Vorarlberg freie, gleiche und geheime Wahlen abgehalten?

Die Antwort lautet: Am 16. Februar 1919 durften erstmals alle Vorarlbergerinnen und Vorarlberger, sofern sie das 24. Lebensjahr vollendet hatten, in freier, gleicher und geheimer Wahl ihre Abgeordneten in die Konstituierende Nationalversammlung für Deutsch-Österreich entsenden. Am 27. April und am 18. Mai folgten die auf derselben Grundlage abgehaltene Landtags- bzw. Gemeindevertretungswahlen.

Lange Zeit war die Bestellung der regionalen Amtsträger Sache der im jeweiligen Sprengel hausbesitzenden Männer gewesen. Nachdem die großen politischen Umwälzungen der zweiten Hälfte des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts diesem aus dem Spätmittelalter herrührenden System ein Ende gesetzt hatten, wurde bis zur Revolution von 1848 überhaupt nicht mehr gewählt. Erst die Abgeordneten des in ihrem Gefolge zusammentretenden Landtags konnten sich zumindest teilweise auf eine Wahl durch die männlichen Gemeindeangehörigen berufen. Gewählt wurden damals auch Abgeordnete zur deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und zum ersten österreichischen Reichstag. Mit der Niederschlagung der Revolution kehrte der österreichische Kaiserstaat allerdings wieder zum Absolutismus zurück.

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Kundmachung der Landtagswahlen am 27. Mai 1919.

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Das alte Landhaus in der Bregenzer Bahnhofstraße, Sitz des Landtags von 1919 bis 1981.

(033 ähnelte dem auf Landesebene.