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Vorwort des Herausgebers der Heftreihe „Polizei.Wissen“

Wenn wir sagen, dass die Spatzen etwas von den Dächern zwitschern, dann meinen wir, dass eine Information im Grunde jedermann zugänglich ist. In einem Zeitalter, in dem eine Social - Media-Plattform „Zwitscher“ heißt, ist der Kreis derer, die an einem offenen Geheimnis teilhaben enorm: Jede und jeder mit Internetzugang kann über (fast) jede und jeden mit oder ohne Internetzugang etwas in Erfahrung bringen. Es lassen sich Namen recherchieren, aber auch Wohnadressen oder Telefonnummern und so entstehen komplexere Erkenntnisse, die wiederum zur Grundlage für weitergehende Recherchen genutzt werden können. Wenn ich z.B. weiß, wo jemand wann zu Schule gegangen ist, kann ich einmal sehen, was aus den Mitschülern wurde und ob noch bis heute Verbindungen bestehen. Das alles ist im Internetzeitalter sehr leicht.

Polizei wäre schlecht beraten, wenn sie an der Welt der öffentlich zugänglichen Informationen nicht teilnähme. Doch zugleich wirft das, was man in Anlehnung an den geheimdienstlichen Sprachgebrauch „Open Source Intelligence“ (OSINT) genannt hat, Fragen und Probleme auf. Einmal stellt sich die Frage, ob und wenn ja wie die offen erhobenen Daten gesammelt werden sollten, denn jede Datensammlung eröffnet die Frage nach Kategorien, denen Daten zugeordnet werden können. Dann fragt sich, welche Hürden für die Polizei als unüberwindbar gelten sollen, solange sie nicht richterlich befugt ist. Hier ist insbesondere an Mitgliedschaften in Social Media zu denken.

Das vielleicht wichtigste Problem ist das der Deutung von Informationen. Daten lassen sich im Internet allerhand finden, aber werden sie auch in der polizeilichen Nutzung in die richtigen Zusammenhänge gebracht? „Keine Information ist weniger wert als die andere“, schreibt Umberto Eco in „Das Foucaultsche Pendel“, „das Geheimnis besteht darin, sie alle zu sammeln und dann Zusammenhänge zwischen ihnen zu suchen. Zusammenhänge gibt es immer, man muss sie nur finden wollen.“

Dass die richtigen Zusammenhänge erkannt und folgerichtig in polizeiliches Handeln umgesetzt werden ist eine besondere Verantwortungen derjenigen Polizeien, die sich der Open Source Intelligence bedienen. Dass dieses Heft in der Redaktion von Sebastian Golla und Robert Pelzer diese besondere Verantwortung in den Fokus nimmt freut mich sehr.

In eigener Sache:

Aus dem Herausgeber wird ein Herausgeberteam. Mit dem Heft 1/2022 stößt Prof. Dr. Stefan Jarolimek (Deutsche Hochschule der Polizei, Münster) als Mitherausgeber dazu, der nun mit mir gemeinsam Polizei.Wissen verantwortet.

Prof. Dr. Jonas Grutzpalk
Bielefeld im April 2022

Inhalt

Einleitung zum aktuellen Heft (S. Golla & R. Pelzer)

Internetauswertung im Landeskriminalamt Berlin (A. Gramm & H. Harnisch)

Grundrechtliche Eingriffe durch Internetauswertungen (S. Golla)

Social Media Intelligence als Baustein eines polizeilichen Informationsmanagements (F. A. Westrich)

Strafprozessuale Zulässigkeit (automatisierter) OSINT-Ermittlungen – am Beispiel des Dark Web Monitors (C. Rückert & T. Goger)

Hass regeln? Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung gegen Hassrede im Internet (M. Kühne)

Gesellschaftliche Akzeptanz von Internetauswertungen im polizeilichen Staatsschutz (R. Pelzer)

Panoptikum Facebook – Die zivilgesellschaftlichen Auswirkungen der polizeilichen Auswertung von OSINT- und SOCMINT-Daten (C. Thönnes)

Einleitung

Von Sebastian Golla & Robert Pelzer

Das Internet ist seit über einem Vierteljahrhundert ein Massenmedium. Seine Auswertung durch die Polizei ist dennoch ein junges Praxisfeld, dessen Strukturen sich gerade erst etablieren und dynamisch weiterentwickeln. Die technischen Möglichkeiten und Grenzen der Recherche und Analyse von Daten aus sozialen Medien und anderen Quellen ändern sich fortlaufend. Dies betrifft den Zugriff auf Daten, aber auch die Nutzung neuer technischer Möglichkeiten wie Bilderkennung oder KI-basierter Verfahren zur Suche nach relevanten Informationen in Massendaten.

Auch die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unterliegen einem Wandel. Rechtsgrundlagen für die komplexe Auswertung von personenbezogenen Daten mit modernen Hilfsmitteln werden im Polizeirecht gerade erst geschaffen, im Strafprozessrecht fehlen sie noch völlig. Nicht zuletzt werden die Strukturen des Praxisfelds Internetauswertung durch die innerhalb der Polizei zugeschriebene bzw. ausgehandelte Rolle von Internetauswertungen und das sich in der Praxis entwickelnde Selbstverständnis der Anwender:innen geprägt.

Dieses Themenheft will einen aktuellen Überblick über die rechtlichen und gesellschaftlichen Aspekte von Internetauswertungen sowie ihre Praxis schaffen sowie einen Blick auf die Zukunft dieses Feldes werfen. Dabei kommen Anwender:innen ebenso zu Wort wie Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen. Dadurch soll ein fachlicher Austausch zu diesem Thema über Disziplin und Wissenschafts-Praxis-Grenzen hinweg initiiert werden. Das Heft soll Internetauswertenden zudem praktisches Orientierungswissen an die Hand geben und die Weiterentwicklung der fachlichen Grundlagen und des Selbstverständnisses polizeilicher Internetauswertungen unterstützen.

Das Heft gliedert sich in drei Themenblöcke. Der erste Themenblock spannt das Feld polizeilicher Internetauswertungen aus Perspektive der Praxis sowie des Rechts auf. Alana Gramm & Hanna Harnisch (Landeskriminalamt Berlin) geben einen Überblick über die praktische Tätigkeit von Internetauswertenden ihrer Institution. Sebastian Golla (Ruhr-Universität Bochum) betrachtet, inwiefern Internetauswertungen in die Grundrechte von Bürger:innen eingreifen können.

Der zweite Themenblock widmet sich der Auswertung von Daten aus spezifischen Typen von Internetquellen und im Zusammenhang mit spezifischen Phänomenen. Florian Alexander Westrich (Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz) befasst sich mit der Auswertung Sozialer Medien als Baustein eines polizeilichen Informationsmanagements. Christian Rückert (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) und Thomas Goger (Zentralstelle Cybercrime Bayern) setzen sich mit der strafprozessualen Zulässigkeit von Ermittlungen im Dark Web auseinander. Marius Kühne (Ruhr-Universität Bochum) befasst sich mit der Verfolgung von Hassrede im Internet und neuen Regelungen hierzu.

Der dritte Themenblock behandelt gesellschaftliche Folgen und Risiken polizeilicher Internetauswertungen. Robert Pelzer (Technische Universität Berlin) untersucht die gesellschaftliche Akzeptanz von Internetauswertungen im polizeilichen Staatsschutz und stellt dabei seine empirische Forschung hierzu vor. Christian Thönnes (Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht Freiburg) befasst sich schließlich mit den zivilgesellschaftlichen Auswirkungen der polizeilichen Auswertung von Daten aus offenen Quellen und Sozialen Medien im Internet.

Wir wünschen eine anregende und erkenntnisreiche Lektüre!

Internetauswertung im Landeskriminalamt Berlin

Von Alana Gramm und Hanna Harnisch1*

Ermittlungen und die Auswertung von Inhalten aus offenen Quellen im Internet, d.h. sog. Open Source Intelligence (OSINT) sind mittlerweile ein wesentlicher Teil des Instrumentariums der Polizeien in den Bereichen der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung geworden. Dies betrifft auch die Polizei Berlin. Das Landeskriminalamt Berlin beschäftig bereits seit dem Jahr 2015 spezialisierte Internetauswertende mit kriminologischen, rechts-, politik-, sozial-, islam- und/oder sprachwissenschaftlichen Hintergründen.

Die ersten vier Internetauswertenden wurden im LKA Berlin im Polizeilichen Staatschutz in den Phänomenbereichen politisch motivierte Kriminalität (PMK) Links und PMK Rechts beschäftigt. Später folgten weitere Analysten und Analystinnen in den Bereichen PMK Links, Rechts und Islamistischer Extremismus/Terrorismus, sowie in den Abteilungen für Delikte am Menschen, Betrug, Wirtschaftskriminalität, organisierte Kriminalität als auch bei den operativen Diensten. Zusätzlich entstand im Jahr 2021 die Koordinierungsstelle der Internetauswertung.