[25|26] [26|27] Burcu Dogramaci

Blixens weiße Kleider und der postmoderne Safari-Look

Filmkostüme für OUT OF AFRICA

Das von weißen Europäern kolonisierte Protektorat Britisch-Ostafrika, nach 1920 die britische Kolonie Kenia,1 ist der Schauplatz des Melodrams OUT OF AFRICA (JENSEITS VON AFRIKA, 1985), das die unglückliche Liebesgeschichte der dänischen Schriftstellerin und Farmerin Karen Blixen mit dem englischen Großwildjäger Denys Finch Hatton erzählt. Basierend auf Blixens gleichnamigen, autobiografisch gefärbten Erzählungen von 1937 konzentriert sich Sidney Pollacks Film auf die dort geschilderte Beziehung des Paares, das von den Schauspielern Meryl Streep und Robert Redford verkörpert wird. Pollack filmte an Originalschauplätzen in Ostafrika,2 das production design von Stephen Grimes und die Filmkostüme von Milena Canonero waren dem kolonialen Kenia in der Zeit kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg verpflichtet. Die Filmkostüme als bedeutende Träger und Mittler der filmischen Handlung und Ästhetik – »a critical element of the storytelling process«3 – trugen nicht unwesentlich zum Erfolg des Films bei. Canonero wurde für den Academy Award nominiert, insgesamt erhielt OUT OF AFRICA sieben dieser Auszeichnungen. Der Film löste eine umfassende Begeisterung für eine längst vergangene Epoche und ihre Moden aus – vermutlich auf ähnliche Weise wie der im selben Jahr uraufgeführte britische Kinofilm A ROOM WITH A VIEW (ZIMMER MIT AUSSICHT, 1985) von James Ivory, der die Mode und den Habitus reisender Engländer im Italien um 1900 in den Blick rückte. In beiden Filmen führten Filmkostüme, Frisuren und Accessoires zur Wiederentdeckung vergangener Mode- und Kleidungsstile. Doch wie konstituiert sich ein Kostümbild im Verhältnis zu historischen Moden, zumal wenn der Filmstoff wie bei OUT OF AFRICA und A ROOM WITH A VIEW in der Literatur präfiguriert ist?

Auf den Spuren von Milena Canoneros Filmkostümen für Pollacks Kinofilm widmen sich die folgenden Überlegungen den vielfältigen Überlagerungen von historischem Wissen und zeitgenössischen Neuschöpfungen im Kostümbild. Filmkostüme sind in ein dichtes Beziehungsnetz zwischen historischer Kleidung, aktueller Mode und Fiktion verstrickt. Das Kostüm für einen period film ist keine direkte Übersetzung [27|28]historischer Kostüme, die sich durch Fotografie, Malerei oder Literatur überliefern. Vielmehr collagiert die Kostümbildnerin für gewöhnlich in einem aufwendigen Entwurfsprozess verschiedene Quellen und Ideen, um sie letztlich in Bezug zum Film und zu seiner Dramaturgie zu setzen. Filmkostüme werden dafür geschaffen, gefilmt zu werden, das heißt der Werkprozess wird von einer mehrfachen Übersetzung vom Zwei- ins Dreidimensionale und zurück in die Zweidimensionalität begleitet. Aus einer Ideensammlung, die sich aus Zeitschriftenausschnitten, Lexikoneinträgen, Kostümhandbüchern oder privaten Fotografien generieren kann,4 wird ein gezeichneter Entwurf, der anschließend in ein genähtes Kleidungsstück übersetzt wird. Dieses wird dann am Körper der Schauspieler verlebendigt und von einer Kamera gefilmt. Diese Konzeption des Kostüms auf seine filmische Wirkung ist von großer Bedeutung. Später kann das Filmkostüm Einfluss auf die zeitgenössische Mode entwickeln, ebenso wie die Idee zu einem Kostümbild von Moden inspiriert sein kann. Diese vielfältigen Verflechtungen zwischen Mode, Kulturgeschichte und Film wie auch zwischen den Medien der Kunst (Zeichnung, Collage, Kostüm, Film) sollten bei einer Auseinandersetzung mit Filmkostümen bedacht werden. Die Entwürfe von Milena Canonero für OUT OF AFRICA konstruieren ein imaginäres, vestimentäres, koloniales Afrika, das auf einer Synthese von historischen Kostümen und zeitgenössischen Inventionen beruht.

Für das Folgende wird die These formuliert, dass Filmkostüme in historischen Filmen keine Kopien originaler Vorbilder sind. Das Gefundene und Recherchierte wird vielmehr in einem komplexen Prozess der vielschichtigen Übersetzung und Umformung zu etwas Neuem. Dennoch beruhte der Erfolg von OUT OF AFRICA und die weite Rezeption bis in die zeitgenössische Mode nicht zuletzt auf dem als wahrhaftig und atmosphärisch richtig wahrgenommenen Setting – ebenso wie Pollacks Film als vermeintlich authentische Blixen-Biografie rezipiert wurde.5

I. Ein Film stoff und sein Kostüm bild: Karen Blixens Out of Africa

OUT OF AFRICA geht zwar wesentlich auf einen in dänischer und englischer Fassung geschriebenen Erzählband von Karen Blixen zurück, die unter diesem und anderen Namen – Tania Blixen oder Isak Dinesen – publizierte. Sie schrieb die Erzählungen nach der Rückkehr von ihrem 17-jährigen Aufenthalt in Ostafrika in ihrer dänischen Heimat, wobei sie [28|29]teilweise professionelle Übersetzungen des Manuskripts in Auftrag gab.6 Die dänische Fassung Den Afrikanske Farm erschien 1937, die englische Fassung Out of Africa ein Jahr später.7 Für die Verfilmung war jedoch vor allem die Blixen-Biografie Isak Dinesen. The Life of a Storyteller von Judith Thurman aus dem Jahr 1982 grundlegend.8 Dieser Orientierung an einer Biografie mögen die komplexe Erzählstruktur wie auch die vielschichtigen Narrative und Schwerpunkte von Out of Africa geschuldet sein – lange Zeit galt Blixens Werk als nicht verfilmbar.9 Blixen ist in ihrem Buch Erzählerin und Protagonistin in einer Person. Der erste Satz im Roman betont die Rückschau und den Ort der Handlung: »I had a farm in Africa, at the foot of the Ngong Hills.«10 Dieser schlichte Satz markiert die Rückschau, den Verlust des Besitztums, ebenso wie er das Bild Afrikas aufruft und damit auf kollektive Imaginationen eines kolonisierten Kontinents und exotischen Fremden verweist.11 Der Film begleitet die Schriftstellerin 1914 bei ihrer Ankunft in Britisch-Ostafrika, wo sie den Zwillingsbruder ihres Geliebten heiratet, um mit ihm eine Kaffeefarm zu bewirtschaften. Das schwere Gepäck enthält Haushaltsartikel aus der Heimat, darunter auch dänisches Porzellan und Möbel: Blixen entwirft sich ihr zukünftiges Zuhause als Kolonie in der Kolonie; sie selbst ist die Andere der Anderen, weder gehört sie zu den britischen Kolonisatoren – Zutritt zum Club ist ihr als Frau verwehrt –, noch ist sie Teil der nativen ostafrikanischen Bevölkerung. Ohne Unterstützung ihres unzuverlässigen und untreuen Ehemannes versucht Blixen, in unwirtlichen Höhen eine Kaffeeplantage zu etablieren. Sie kämpft gegen Vorurteile und übersteht Anfeindungen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, denn Dänemark scheint den Engländern ein möglicher Verbündeter der Deutschen zu sein. Sie nähert sich emotional den für sie tätigen Arbeitern an, ihre Affäre mit dem musischen Großwildjäger Denys Finch Hatton endet in einer Katastrophe, da er bei einem Flug abstürzt. Auch die Farm kann nach vielen Jahren nicht mehr bewirtschaftet werden. Karen Blixen verlässt Afrika. Die Verfilmung dramatisiert, verkürzt zeitlich Entferntes und konzentriert sich vor allem im zweiten Teil auf die Liebesgeschichte, die in Blixens Erzählungen ein Leitthema neben anderen ist.

Im Film übernimmt die Kleidung zunächst eine Funktion der gesellschaftlichen, kulturellen und ethnischen Distinktion: Das Weiß der Blusen, die Karen Blixen trägt, die streng gebundene Krawatte um ihren Hals und die hellen Kleider stehen im Kontrast zu der traditionellen Kleidung der nativen Bewohner, die auf den Feldern der Farm arbeiten oder die Blixen in ihren Dörfern aufsucht.12 Fremd, aber ungleich stolzer und kämpferisch werden im Film die Massai präsentiert, deren Körperhaltung und Körperschmuck an historischen Aufnahmen wie W. D. Youngs Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert orientiert zu sein scheinen.13 Der Film arbeitet mit visuellen Antagonismen und der trennscharfen Abgrenzung zwischen nativer Kleidung und europäischer Kolonialmode. Es ist indes schwer vorstellbar, dass in den 1910er Jahren, nach Jahrhunderten des Kontakts und wirtschaftlichen Austauschs zwischen Europäern und Afrikanern, die Kleidung der Nativen noch derart rein und von Einflüssen unberührt war, wie sie zumindest in der ersten Filmhälfte inszeniert wird. Denn eigentlich bestimmten auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Praktiken des Samplings und Collagierens die Kleidung der afrikanischen Bevölkerung: Importierte neue und gebrauchte europäische Textilien wurden mit traditionellen Kleidungsstücken kombiniert.14 Doch die im Film durch Kleidung markierte Differenz ist ein wichtiges dramaturgisches Mittel, das »fremd« und »eigen«, »Afrika« und »Europa« als Kategorien definiert – und überdies ein Dazwischen anbietet. Die Kleidung der Bediensteten, die Zugang zum Haus gefunden haben, wirkt hybrid: So serviert der Diener in weißen Handschuhen, weil es seine Herrin so möchte – doch behindern ihn diese bei der Arbeit. Prozesse der Akkulturation sind jedoch in beide Richtungen zu verfolgen: Während Blixen ihre Angestellten durch Eingriffe in ihr Erscheinungsbild europäisiert und zivilisiert, wandern zaghaft textile Versatzstücke mit afrikanischer Referenz in die Kleidung Blixens. So trägt sie im weiteren Verlauf der Filmhandlung – sie ist inzwischen eine von ihrem untreuen Mann getrennte, auf sich selbst gestellte Besitzerin der Kaffeeplantage – ein gewebtes Tuch mit Streifen, das sie traditionell schräg über eine Schulter bindet, wie es auch auf historischen Fotografien aus Ostafrika zu finden ist.15 Die vestimentären Vermengungen oder Hybridisierungen sind einerseits Indizien für die Macht der weißen Herren oder Herrinnen über die dunkelhäutigen Diener, andererseits auch Zeichen der Annäherung und Akkulturalisierung.

[29|30] img

Karen Blixen (Meryl Streep) am Tag ihrer Hochzeit in OUT OF AFRICA

img

Kikuyu auf Karen Blixens Farm in OUT OF AFRICA

[30|31]Zwar gehörte Karen Blixen als Dänin nicht zu den britischen Kolonialherren Kenias, doch ist ihre natürliche Anwesenheit im Land und ihr Besitztum kolonial markiert. Als Weiße verfügt sie über Land, Wirtschaftskraft, sie hat dunkelhäutige Bedienstete, deren Kleidung sie verändert und die sie schulisch bilden möchte. Ihre Existenz in Kenia ist der kolonialen Hemisphäre zuzuordnen, wenngleich sie als Frau keinen Zutritt zu den geschlossenen Kreisen des Muthaiga-Club hat. Die Zugehörigkeit zur weißen Gesellschaftsgruppe wird letztlich durch ihre Kleider und die ihrer Familienangehörigen markiert, die in der Tradition kolonialer Kleidung stehen. Historische Fotografien zeigen Karen Blixen beim Reiten, auf der Jagd und mit erlegtem Löwen.16 Die fotografischen und literarischen Bilder einer selbstbewussten Frau in einem fremden, unbekannten Afrika bilden gemeinsam mit ihrem Roman das Fundament für die filmische wie textile Inszenierung von Pollacks OUT OF AFRICA.

Dabei steht OUT OF AFRICA als Auseinandersetzung mit einem kolonial geprägten Land in einer Genealogie mit anderen Hollywoodfilmen, die ein Setting entwerfen, das den Zuschauern den lokalen wie zeitlichen Kontext vermitteln sollte. In diesen Filmen kam es oft weniger darauf an, ein historisch korrektes Ambiente zu kreieren, als vielmehr die kollektiven Vorstellungen von der Fremde zu bedienen. THE GARDEN OF ALLAH (DER GARTEN ALLAHS, 1936) in der Regie von Richard Boleslawski ist eine unglückliche Liebesgeschichte in der Wüste, die eine schöne junge Frau in Zeiten tiefer Lebenskrise aufsucht. Marlene Dietrichs Kostüme sind eine Melange aus kolonialer Kleidung, exotisierenden Zutaten sowie Reminiszenzen an die zeitgenössischen Moden. Dass die modische Gegenwart für die Einbindung der Zuschauerschaft von Bedeutung war, vermittelt sich bereits durch den Kostümbildner Ernst Dryden, der in den 1920er Jahren als Modegrafiker für die Zeitschrift Die Dame erfolgreich war. Seine Kostümentwürfe für das als einheimisch konnotierte Personal sind von den exotischen Tanzkostümen der Ballets Russes inspiriert und kreierten ein orientalisch anmutendes Szenario, das sich an den Vorstellungswelten der Geschichtensammlung Tausendundeine Nacht orientierte. Im Mittelpunkt des Kostümbilds von THE GARDEN OF ALLAH standen jedoch die für Marlene Dietrich entworfenen Kleider.17 Die größtenteils hellen, aus leichten Stoffen wie Chiffon oder Seide gearbeiteten Kostüme ließen die Schauspielerin in diesem frühen Drei-Farben-Technicolor-Film vor dem gelben Wüstensand wie eine Epiphanie hervortreten, und der von einer Windmaschine künstlich erzeugte Wüstenwind betonte die Zartheit ihres Erscheinungsbildes. Die der zeitgenössischen Damenmode verpflichteten Kostüme für Marlene Dietrich verdeutlichen, dass die Handlung der 1904 erschienenen literarischen Vorlage von Robert Smythe Hichens’ The Garden of Allah für diese dritte Verfilmung in die 1930er Jahre verlegt wurde. Der Reitanzug mit Hose, Turban und breitem Taillengürtel, den Dietrich in der Swimmingpool-Sequenz trägt, ist sowohl dem zeitgenössischen Modeideal verschrieben als auch der mutigen, emanzipierten Modeattitüde der Dietrich, die sich bereits in den 1920er Jahren in Hosen kleidete.18 Ein Vergleich mit dem ebenfalls in den 1930er Jahren in Afrika situierten Film THE ENGLISH PATIENT (DER ENGLISCHE PATIENT, 1996) von Anthony Minghella zeigt deutlich, wie sehr die ästhetische Haltung der Zeit, in der ein Film entsteht, wie auch das Erscheinungsbild der Schauspieler selbst die Filmkostüme bestimmten. Während sich Dietrichs Vorliebe für elegante, dramatische wie polarisierende Moden in ihrem Reitanzug offenbarte, den Dryden ihr auf den Leib entwarf, artikulieren sich die Filmkostüme von Kristin Scott Thomas in THE ENGLISH PATIENT weitaus zurückhaltender. Der Film erzählt die Liebesgeschichte der ehebrechenden Britin Katharine Clifton mit einem ungarischen Aristokraten, dem sie bei einer archäologischen Expedition in der ägyptischen Wüste begegnet. Clifton trägt praktische und zugleich elegante Outfits; ihre Hosen und edlen Schultertücher korrespondieren dem britischen Understatement und der aristokratischen Noblesse der Filmfigur.19 Bei einem Flugzeugabsturz in der Wüste stirbt Katherine Clifton, ihr bis zur Unkenntlichkeit verbrannter Geliebter kann sie nur durch Erinnerungen verlebendigen – während die weibliche Protagonistin Karen Blixen in OUT OF AFRICA ihren Liebhaber ebenfalls bei einem Flugzeugabsturz endgültig verliert.

[31|32] img

Karen Blixens Diener mit weißen Handschuhen in OUT OF AFRICA

[32|33] img

Karen Blixen (Meryl Streep) mit »afrikanischem« Schultertuch in OUT OF AFRICA

Diese verschiedenen, im frühen 20. Jahrhundert in Afrika spielenden Kinofilme zeigen aufschlussreich, wie sehr das Kostümbild auf Filmhandlung und Schauspieler/innen reagiert. Filmstoff und Kostümbild [33|34]sind untrennbar miteinander verflochten, oder, wie Deborah Nadoolman Landis schreibt: »Costume is one of the director’s most effective tools for telling a story …«20

II. Vestimentäre Konstruktionen des kolonialen Kenia

Canoneros Filmkostüme sind keine Nachbildungen historischer Kleidungsstücke, wie es in der Literatur zum Film gelegentlich behauptet wird: »Sorgfältig hat Pollack das Leben der Europäer im Kenia der zehner und zwanziger Jahre rekonstruiert: Blixens Kaffeeplantage nachbauen, ihre originalen Möbel aufspüren, ihre Kleider nach alten Fotos neu nähen lassen.«21 Nicht nur werden hier die Leistungen der Kostüm- und Szenenbildner unter der Person des Regisseurs subsummiert und ihre Namen verschwiegen, auch wird die kreative Arbeit Canoneros als Nachahmung existierender Kostüme missverstanden. Tatsächlich war das Kostümbild Ergebnis einer dichten Recherche, für die Canonero nicht einmal drei Monate Zeit hatte und die sie nach Dänemark führte: »I went to Denmark to visit Isak Dinesen’s family and examine her family archives. This gave me wonderful insights into her character. (…) I was very fortunate to actually locate a contemporary of Dinesen’s who had amassed a great collection of Somali references.«22 Bei der Übersetzung der historischen Fotografien, literarischen Beschreibungen und historischen Sammelstücke ins filmische Bild kam es zu Anpassungs- und Veränderungsprozessen. Denn nicht nur mussten die historischen Schnitte an den Proportionen und Erscheinungsbildern der Schauspielerinnen und Schauspieler orientiert sein, auch banden sich die Kostüme in kleinen Details an die Zuschauerzeit der 1980er Jahre.

Edward Maeder betont in seinen Ausführungen zum historischen Filmkostüm, dass historische Filmkostüme stets aus der Perspektive der Zeit geschaffen werden, in der ein Film entsteht: »(A)nachronisms are found in almost every motion picture that portrays another period. While presenting an illusion of an earlier time, these movies rarely replicate the exact look that prevailed: instead the costumes take elements from past styles and combine them with aspects of contemporary fashion.«23 Als Beispiel nennt Maeder die asymmetrisch gebundenen Hüte in GONE WITH THE WIND (VOM WINDE VERWEHT, 1939), die mehr auf die Mode der 1930er als die der 1860er Jahre verweisen, oder aber die nackten Schultern der Protagonistinnen in MARIE ANTOINETTE (1938), die am französischen Hof des 18. Jahrhunderts als ordinär gegolten hätten – jedoch dem Zeitgeschmack der 1930er Jahre entsprachen. Auch Canoneros Filmkostüme für OUT OF AFRICA sind keine Kopien historischer Kleidungsstücke, sondern Interpretationen und Inventionen aus der ästhetischen Haltung und Attitüde der 1980er Jahre. Die Haartracht und der legere Kleidungsstil des männlichen Filmprotagonisten Denys Finch Hatton sind Ausdruck seines nonkonformistischen Charakters und seiner Außenseiterposition unter den britischen Kolonialherren. Hattons locker ins Gesicht fallenden blonden Haare, die knittrigen Leinenstoffe seiner Kleidung, das lose um den Hals gebundene Tuch wie das geöffnete weite Hemd finden einen Widerhall in der Männermode der 1980er Jahre. Giorgio Armanis Kollektion Frühling/Sommer 1982 entstand zwar unter Einfluss australischer oder indischer Safari- und Tropenkleidung, doch ähnelt der Look mit Halstuch und (hier Leder-)Jacke durchaus dem Erscheinungsbild Robert Redfords in OUT OF AFRICA.24 Historische Aufnahmen hingegen zeigen, dass Finch Hatton25 in den klassischen, gepflegten hellen Tropen- und Safarianzügen der britischen Kolonisatoren gekleidet war. Seine Filmkleidung sollte ihn sicherlich deutlicher als unangepasst konnotieren und sich zudem an den modischen Konventionen des Publikums der 1980er Jahre orientieren. Dieses Identifikationspotenzial zwischen Filmpublikum und Filmhelden überschreitet auch die Epochengrenzen: »Audiences want to identify with the screen performers, even if the film is taking place in an earlier period that is unfamiliar to them. Viewers expect their heroes to look strong and handsome and their heroines beautiful and glamorous – in modern ways, not in historical ones.«26 Überdies entsprach diese Aktualisierung von Kleidung und Frisur der Besetzung: Als englischer Großwildjäger Denys Finch Hatton behielt Robert Redford seinen amerikanischen Akzent bei und sollte als amerikanischer Leinwandstar auch in dieser Rolle erkennbar bleiben.27

[34|35] img

Denys Finch Hatton (Robert Redford) mit Weste, Halstuch und Hut in OUT OF AFRICA

[35|36] img

Giorgio Armani, Kollektion Frühling/Sommer 1982

Überhaupt ist die massive Verwendung von Leinenstoffen nur zum Teil den historischen Materialien der 1910er und 1920er Jahre geschuldet. Zwar wurden diese Gewebe aus Flachsfasern aufgrund ihrer kühlenden Eigenarten tatsächlich für Tropenkleidung und auch für Alltagskleidung verwendet.28 Doch waren auch in der Mode der frühen 1980er Jahre Leinenstoffe für Sommerkleider und -hosen äußerst beliebt.29 Obgleich sich Canonero, wie sich an historischen Aufnahmen belegen lässt, am gehobenen modischen Kleidungsstil Karen Blixens orientierte, veränderte sie die Schnitte – sicher nicht nur, um sie Streeps Körperproportionen anzupassen,30 sondern auch um ihnen ein Maß an Zeitgenossenschaft zu geben. Insgesamt sind die Kleidungsstücke schmaler geschnitten als noch in den 1910er Jahren üblich. Dies lässt sich nicht nur an den Blusen und Röcken nachvollziehen, sondern vor allem an dem Reitanzug, den Karen Blixen auch auf historischen Fotografien trägt.31 Hose und Jackett legen sich bei ihr in üppige Falten und verdecken die Körperlinien. Bei Meryl Streep jedoch ist der Anzug auf Figur geschnitten. Er betont ihren schmalen Oberkörper, lässt sie fragil und zugleich wehrhaft wirken. Im Übrigen wird die historische Karen Blixen ein standesgemäßes Korsett unter ihrer Kleidung getragen haben. Streeps ungestüme Bewegungen bei der Arbeit auf der Farm oder beim entspannten Picknick in der afrikanischen Landschaft evozieren eine körperliche Befreiung, die mit den gesellschaftlichen Codes der 1910er Jahre für eine Adelige kaum übereinstimmt. Deshalb ist nicht nur interessant, wie Filmfiguren gekleidet sind, sondern auch, wie sie die Moden tragen. Aus der Körperhaltung und dem Umgang mit Kleidung sprechen bei OUT OF AFRICA nicht die historischen Konventionen, sondern die liberalen Codes der 1980er Jahre.

[36|37] img

Karen Blixen im Reitanzug, Fotografie 1918

img

Karen Blixen (Meryl Streep) im Reitanzug in OUT OF AFRICA

[37|38] img

Ralph Lauren, von »Afrika« inspirierte Kollektion Frühling/Sommer 1984, Fotografie: Bruce Weber

[38|39]Dabei ist der Einfluss der zeitgenössischen Mode kaum zu übersehen. Bereits 1984, also ein Jahr vor der Filmpremiere, die in den USA im Dezember 1985 stattfand, trat der US-amerikanische Designer Ralph Lauren mit einer vom Kolonialleben in Afrika inspirierten Kollektion an die Öffentlichkeit.32 Wie Lauren erklärte, beeinflusste ihn kein Afrikaaufenthalt, sondern seine Imagination eines entfernten Kontinents.33 Vor allem aber nannte er eine kleine Porträtfotografie von Karen Blixen als Inspirationsquelle für seine Entwürfe, die weiße Blusen, khakifarbene Röcke und helle Hosen für die Frau und Safari-Outfits für den Mann vorstellten. Der Fotograf Bruce Weber inszenierte die Moden auf Hawaii und gab ihnen durch Lichtführung, Einbeziehung von Löwenjungen und Zebras die Atmosphäre eines fantastischen Afrikas. Die Fotomodelle posieren unter aufgespannten Planen auf Liegestühlen, sie sitzen in Geländewagen, ein Flugzeug zitiert die Leidenschaft des Großwildjägers Finch Hatton. Laurens Moden und Webers Visionen könnten, und so soll hier vermutet werden, Einfluss auf Canoneros Kostümentwürfe für OUT OF AFRICA gehabt haben. Für beide Imaginationen Afrikas waren Blixens Familienfotografien ein Ausgangspunkt; von hier ausgehend verselbstständigten sich die Entwürfe und wurden zu ganz eigenen Formulierungen einer Liebesgeschichte auf dem afrikanischen Kontinent zur Kolonialzeit.

III. Von OUT OF AFRICA zum Safari-Look

Über die Wechselbeziehungen von Film und Mode schreiben Regine und Peter W. Engelmeier: »Sicher ist, daß die stimulierende Wirkung der Mode ohne das Medium Film weitaus geringer ausfiele und daß Modeschöpfer und Kostümbildner weniger publikumswirksam hätten arbeiten können, wären da nicht jene wunderschönen, lässigen, harten und zarten oder coolen Menschen, die sie einzukleiden hatten – und die wiederum den Nachahmungszwang der Zeitgenossen aktivierten.«34 Oft wirken Filmkostüme aus einem period film als Katalysatoren, indem sie ältere Moden längst vergangener Epochen – Schnitte, Materialien und Körpersilhouetten – in die aktuellen und zukünftigen Modeentwürfe einschleusen; auf diese Weise konnte die Sanduhrsilhouette von Mae West, die dem Fin de Siècle ihrer Filme verpflichtet war, die Modeschöpfer der 1930er Jahre inspirieren.35

Auf OUT OF AFRICA reagierten zeitgenössische Modemacher mit modernen Kolonial-Looks: Damenmode aus Leinenstoffen mit langen Röcken und weißen Blusen entstand unter Einfluss der Kostüme, die Meryl [39|40]Streep im Film getragen hatte. In den überlieferten Modestrecken um 1986 zeigt sich auch der Einfluss des Settings: Terrassen mit Kolonialmöbeln, Jeeps und wilde Tiere gaben dem Auftritt der Safari-Moden einen Rahmen. Dabei konnte die Mode sich nicht nur auf den Film berufen, sondern stand in einer Reihe mit vorangegangenen Safari-Moden, die ihren eruptiven Ausbruch bei Yves Saint Laurent in den 1960er Jahren erlebt hatten. Im Jahr 1968 entwarf der französische Designer eine Safari-Jacke für die Damenkollektion, ein Jahr später erfolgte die Version für den Mann. In einer Fotografie von Franco Rubartelli posiert Veruschka von Lehndorff als erotische Großwildjägerin.36OUT OF AFRICAihrer3738[40|41]39