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Digitale Erstausgabe (ePub) November 2014

 

Für die Originalausgabe:

© 2013 by B.G. Thomas

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Boy Who Came In From the Cold«

 

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2014 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

 

 

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

 

ISBN ePub: 978-3-95823-538-0

 

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de


Liebe Leserin, lieber Leser,

 

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem den Autor des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber seiner Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane des Autors und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

 

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

 

 

 

 

Klappentext:

 

Liebe kommt häufig, wenn man sie am wenigsten erwartet…

 Noch nicht über das katastrophale Ende seiner letzten Beziehung hinweg, hat Gabe den Glauben an die wahre Liebe trotzdem nicht verloren. Dass der Eine jedoch durchgefroren, hungrig und ziemlich unfreiwillig bei ihm Zuflucht sucht, hatte er nicht erwartet. Doch hinter Todds bissiger Fassade steckt mehr als ein homophober Junge vom Land. Und damit bringt er Gabes Entschluss, sich nicht wieder auf Streuner einzulassen, mächtig ins Wanken…

Das Leben meint es gerade nicht gut mit Todd. Raus aus dem Mief der Kleinstadt und rein ins Abenteuer Kochausbildung in Kansas City – das war der Plan. Doch die Realität holt ihn schneller ein, als ihm lieb ist: Ohne Job und vom Vermieter auf die Straße gesetzt, sucht er Schutz vor der Winterkälte. Er hätte nur nicht damit gerechnet, dabei auf den offensichtlich schwulen Gabe zu treffen, der seine kleine, heterosexuelle Welt schnell auf den Kopf stellt...


 

 

B.G. Thomas

 

 

 

Alles mit ihm

 

 

 

Aus dem Englischen
von Anne Sommerfeld



 

 

 

Dies ist für Jonah Markowitz, und Brad Rowe und Trevor Wright natürlich.

Danke, dass Ihr uns Shelter geschenkt habt.

Dies soll ein kleiner Ausdruck meiner Dankbarkeit sein.

 

Besonderer Dank gilt meinen fantastischen Lektoren – Rowan Speedwell, Kat Weller, Sal Davis, P.D. Singer (die mir die Augen einige Male geöffnet hat) und C.L. Miles —

Danke, meine Damen, Ihr lasst mich gut aussehen!

Und natürlich Andi Byassee! Danke, danke, danke. Es ist so wundervoll, einen Lektor zu finden, der einen richtig »packt«.



 

 

We blink over 22,000 times a day,

and I bet you thought you only woke up once.

 

~ Michael Lee

 

 

Becoming hurts.

~ Kat Howard

 


Kapitel 1

Es war kalt draußen. Es war wirklich kalt. Eiskalt.

Todd Burton, dem selbst eiskalt war, beobachtete, wie ein Mann mit einem großen Besen einen offensichtlich bereits freigeschaufelten Gehweg kehrte. Der Schnee fiel stärker als jemals zuvor und häufte sich überall an.

Meine Güte, da draußen schneit's wie verrückt. Nervös warf Todd einen Blick über seine Schulter in die Eingangshalle des Wohnkomplexes. Niemand schien ihn zu beobachten.

Was zur Hölle soll ich denn jetzt machen?

Wäre ihm das eine Woche früher passiert, wäre es nicht so schlimm gewesen. Nicht gut. Aber nicht einmal ansatzweise so schlimm.

Zum Glück hatte ihn einer der Anwohner des Gebäudes erst einmal hineingelassen und damit aus der Kälte geholt. Ein großer Typ – gut aussehend, hochgewachsen und mit breiten Schultern –, der einen langen, wollenen (und offensichtlich warmen) Mantel trug.

Todd hätte beinahe alles für diesen Mantel getan. Seine hellbraune, leichte Übergangsjacke konnte kaum die Kühle des Spätherbstes abhalten. Gegen den Schneesturm, der außerhalb der warmen Eingangshalle tobte, hatte sie keine Chance.

»Du wirst sie tragen und du wirst sie mögen«, hatte seine Mutter geschrien. »Wir sin' doch keine Goldesel!« Hätte er sich nicht entschieden, gestern Abend zur Silvesterparty einen dicken Pullover zu tragen, wüsste er nicht, was er tun sollte. Es war das einzige Kleidungsstück, das ihn davor bewahrte, bis auf die Knochen durchzufrieren. Seine Handschuhe waren ein Witz – Typ Einheitsgröße, die er zusammen mit einer Mütze bei Family Dollar gekauft hatte – und alles außer nützlich.

Er hatte also Schwein gehabt, als der große Mann Todd gefragt hatte, warum er unter dem Vordach des Oscar-Wilde-Wohnkomplexes stand.

»Werd abgeholt«, hatte Todd geantwortet, obwohl es eine Lüge war. Er wartete genauso wenig darauf, dass ihn jemand abholte, wie auf die Ergebnisse eines Schwangerschaftstests. Aber es hatte ihn aus der beschissenen Kälte gerettet. Todd wackelte in der Enge seiner kaum mehr als solche zu bezeichnenden Sneakers mit den Zehen. Noch immer waren seine Füße gefroren und schmerzten nun seit mindestens einer Stunde. Gott, ja, seine Zehen taten weh.

Das nervt doch, dachte er. Das nervt wie ein spontaner Ständer.

»Was soll ich denn nur tun?«, murmelte er, während dichter Schnee wie Federn aus einer College-Mädchen-Kissenschlacht in dicken Flocken auf den Boden fiel. Eiszapfen, die aussahen wie Fangzähne einer urzeitlichen Kreatur, hingen an der Außenseite der großen Glasscheibe. Ich will nicht der arme Tropf sein, der so ein Ding abbekommt.

»Wartest du immer noch?«, fragte eine Stimme hinter ihm. Todd zuckte überrascht zusammen und stieß einen Schrei aus. Er wirbelte herum und sah zu dem Gesicht des Mannes auf, der ihn ins Haus gelassen hatte. Er hatte seine Winterkleidung abgelegt (wo war der Mantel?) und sich eine Jogginghose und ein T-Shirt angezogen, das sich über seine breite Brust spannte und verkündete, er wäre 2CUTE2BSTR8.

Todd brauchte einen Moment, um die Botschaft zu verstehen, doch als sie ihm klar wurde, klappte ihm die Kinnlade herunter. Too cute to be straight – zu süß für hetero. Der Kerl war schwul. Das war ein bisschen mehr, als Todd mit seiner Kleinstadtnaivität erfassen konnte. Dieser Typ? Eine Schwuchtel? Es schien einfach nicht möglich. Dieser Kerl war ein Kraftpaket. Ohne Zweifel ein Erste-Klasse-Hengst. Das war kein tuntiges, verweichlichtes, pink tragendes, schwules Bürschchen.

Der Mann musterte ihn argwöhnisch und Todd wurde klar, dass er etwas sagen musste. »Äh-äh, ja, ich weiß nicht warum… ähm, George… so lange braucht.« Kacke. Hab ich wirklich ähm, George gesagt?

Der Mann nickte, ging zum Briefkasten, um seine Post zu holen, und hielt auf dem Rückweg noch einmal inne, um Todd von oben bis unten zu mustern. Dieses Mal blieb sein Blick jedoch einen Augenblick auf ihm liegen. Todd spürte, wie sein Magen einen eigenartigen Rückwärtssalto vollführte.

»Hör zu«, sagte der Mann. »Sei vorsichtig, okay? Der Hausverwalter ist dafür bekannt, dass er einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn Stricher aus… welchen Gründen auch immer ins Haus kommen. Lass dich einfach nicht erwischen.«

Todd erstarrte. Stricher? Dachte dieser Typ etwa, dass er nach einer Gelegenheit suchte, sich zu verkaufen? Ehe er über eine Antwort nachdenken konnte, hatte der Mann die Eingangshalle durchquert und war im Fahrstuhl verschwunden.

Er glaubt, ich wäre zu kaufen! Todd schüttelte den Kopf. Leise fluchte er. Sehe ich aus wie ein Stricher?, fragte er sich und dachte an die Jungs, die sich im Park anboten. Vielleicht, stellte er entsetzt fest. Er berührte die ungepflegten Bartstoppeln in seinem Gesicht – er hatte sich heute nicht rasiert und sein Gesichtshaar breitete sich aus wie ein Waldbrand – und sah dann hinab auf seine dreckigen Jeans und die ausgetretenen Sneakers. Würde jemand so etwas… Dreckiges kaufen wollen? Vergebens versuchte er, sein Spiegelbild in den großen Fenstern der Eingangshalle zu entdecken. Nicht genug Licht hier drin, dachte er.

Er ließ seinen Blick durch die Eingangshalle schweifen und erkannte, dass das, was irgendwann einmal Eleganz gewesen sein musste, jetzt kurz vor dem Herunterkommen stand. Fahrstuhltüren aus Messing, einst glänzend und wunderschön, waren nun durch die Jahre matt geworden; die Hartholz- und Marmorfußböden waren abgelaufen; Neonröhren hingen von der Decke; etwas, das wie die verblassten Überreste eines riesigen Wandgemäldes aussah und wahrscheinlich wie die gesamte Einrichtung einmal umwerfend ausgesehen hatte, als das Gebäude gebaut worden war. Nun waren es nur noch Echos einer vergangenen Zeit.

Todd dachte an den Mann, der ihn ins Gebäude gelassen hatte. Es überraschte ihn, dass er bei seiner Businesskleidung nicht an einem nobleren Ort wohnte. Diesen Mantel hatte er nicht von Walmart. Konnte sich der Typ keine Wohnung in einem besseren Gebäude leisten?

Das Pling des Fahrstuhls ertönte, die Türen öffneten sich und da er gerade vom Teufel gesprochen hatte, trat besagter Mann heraus. Er trug etwas, das nach einem Teller und einer großen Tasse aussah und kam direkt auf Todd zu. Als er näher kam, stieg Todd das wunderbare Aroma von Kaffee in die Nase und er sah, dass der Mann auch noch ein Sandwich mitgebracht hatte. Zu Todds Überraschung reichte er ihm beides. Ihm fiel die Kinnlade herunter. Dieser Tag war der beschissenste in einem Jahr voller Scheiße gewesen. Und hier zeigte ein vollkommen Fremder aus heiterem Himmel Kleinstadtfreundlichkeit?

Todd zögerte nur eine Sekunde, bevor er dem Mann das Sandwich und den Kaffee beinahe aus der Hand riss, sich auf eine der Fensterbänke setzte und das Essen förmlich mit einem Bissen hinunterschlang. Die Erleichterung, die er verspürte, war nicht in Worte zu fassen. Todd wäre fast in Ohnmacht gefallen. Er hatte heute nicht mehr als einen Happen gegessen und mit nicht einmal zwanzig Kröten in der Tasche – und keinem blassen Schimmer, wie er mehr auftreiben sollte – hatte er sich nicht getraut, mehr als einen Dollar für einen fettigen Burger bei McDonald's auszugeben. Er schlang das Essen so schnell hinunter, dass er es kaum schmeckte. Oh! Und der Kaffee erfüllte ihn von innen heraus mit einer Wärme, die ihn endlich die Kälte abschütteln ließ, die ihn schon den ganzen Tag plagte. Er schauderte sogar, als die Wärme in ihm aufstieg.

»Ich bin Gabe«, sagte der Mann.

Todd hatte nur noch wenige Bissen übrig und nickte, gab seinen eigenen Namen jedoch nicht preis.

»Was machst du überhaupt bei diesem Wetter da draußen?«, fragte Gabe.

Todd hörte auf zu kauen. Mann, das war eine Frage, die er nicht gebrauchen konnte. Er schluckte schwer. Wie sollte er es erklären? Es war furchtbar. Er schämte sich. Wie sollte er einem vollkommen Fremden sagen, dass er sich für einen Vollversager hielt?

Todd warf dem Mann einen kurzen Blick zu, dann sah er ihn länger an. Er war groß. Mindestens einen guten Kopf größer als Todds eins fünfundsiebzig und regelrecht wuchtig: richtig muskelbepackt. Offensichtlich trainierte er. Viel. Wie die Männer in den Muskelmagazinen, die Todd gesammelt hatte.

(»Verdammt, Todd, wie viele von den Scheißdingern hast du denn?«)

Nicht wie die Männer, die knotig und verästelt waren wie Mutanten oder so was, aber nett gebaut, auf die Hollywood-Serienstar-Art.

(»Es ergibt keinen Sinn, dass ein Junge in deinem Alter so viele davon hat. Bist du eine Schwuchtel oder so?«

»Ich nehm sie nur für Trainingstipps.«)

Gabes Brustmuskeln wirkten so groß wie Essteller und Todd konnte seine Bauchmuskeln selbst durch das T-Shirt hindurch sehen. Seine Taille wirkte beinahe so schmal, seine Hüfte so schlank wie Todds, obwohl das eigentlich unmöglich war.

Und gut aussehend. Wirklich gut aussehend. Er hatte kurzes, hellbraunes (oder dunkelblondes? Das war schwer zu sagen.) Haar und hellblaue Augen (die Farbe des Sommerhimmels über dem Land) und die Gesichtszüge eines Filmstars. Dieser Typ könnte alle Frauen haben, die er wollte. Warum hatte er sich entschieden, schwul zu sein?

»Okay, also wenn du nicht willst, dass ich es weiß…«

Wissen? Was wissen? Hab ich was verpasst?

»… darf ich zumindest erfahren, wie du heißt?«

»Äh, Todd.«

»Todd was?«

Was zur Hölle? »Warum willst du das wissen?«

Gabe schüttelte den Kopf. »Okay, Herr Äh Todd Warumwillstdudaswissen, ich lass dich allein.«

Er drehte sich um, um zu gehen, und plötzlich wollte Todd nicht, dass Gabe das tat. »Ich wurde aus meiner Wohnung geschmissen«, rief er hektisch.

Gabe blieb stehen und drehte sich um.

»Hat mich auch verdammt überrascht. Bin von einer Silvesterparty nach Hause gekommen und das Schloss war ausgetauscht.«

Gabes Augen weiteten sich ein wenig. »Scheiße.«

»Welches Arschloch setzt jemanden bei dem Wetter auf die Straße?«, fragte Todd und begann, die Hände zu ringen. »Ich dachte, dass es Gesetze gibt, die einen vor so was schützen.«

»Ich glaube, die gibt es auch, aber das wird dir im Moment nichts nützen«, sagte Gabe.

»Erzähl keinen Scheiß.« Todd seufzte. Erneut sah er zu dem Mann. Gott, was würde er dafür geben so auszusehen. Während seiner gesamten Highschoolzeit hatte er trainiert und sich sogar Gewichte für zu Hause gekauft, aber nein, er schaffte es einfach nicht. Es gab eben Babyspeck, den er beim besten Willen nicht loswurde.

(»Ha! Sieh dich nur an. Trainieren! Du versuchst, so einen Körper wie die Typen in deinen Zeitschriften zu bekommen? Gib es auf. Klappt eh nicht. Ihr Burtons behaltet die Körper, die ihr habt. Spindeldürr.«)

Zumindest sah er nicht aus wie sein Stiefvater mit seinem großen Bierbauch und dem Flacharsch. Todd war in annehmbarer Form, aber er hatte eingesehen, dass er niemals einen Körper wie Gabe haben würde. »Bist du wirklich ein warmer Bruder?«, fragte er ohne nachzudenken. Dass ihm zwischen seinen Gedanken und seinem Mund ein Filter fehlte, hatte ihn während seines gesamten Lebens gegen die Wände der Autoritäten rennen lassen.

»Du denkst nicht nach, bevor du redest«, hatte sein Lehrer, Mr. Grombeck, immer wieder gesagt.

»Das richtige Wort ist schwul«, sagte Gabe, »und ja, bin ich.«

(»Ich erinnere mich an eine Zeit, als Schwule noch kein Problem waren.«)

»Sind wir immer noch nicht«, antwortete Gabe.

Scheiße, hab ich das laut gesagt? Er hat mich gehört. Er muss Ohren wie eine Fledermaus haben.

»Wir sind keine Terroristen. Schwul zu sein, ist was ganz Normales.«

Schwul und stolz drauf, dachte Todd erstaunt. »'tschuldige«, sagte er und meinte es auch so. Schließlich hatte Gabe ihm geholfen, als niemand anderes es getan hatte. Was machte es also, wenn er sich dazu entschied, anstelle eines Mädchens einen Kerl zu vögeln? Es war seine Entscheidung.

»Hast du eine Idee, was du in der Zwischenzeit machen willst?« Gabe verschränkte die Arme vor seiner massigen Brust. »Kannst du irgendwo bleiben? Bei einem Freund?«

Todd spürte, wie ihn seine letzten Kraftreserven verließen und seine Schultern sackten geschlagen nach vorn. »Nein.« Die Leute, die er seit seinem Umzug nach Kansas City kennengelernt hatte, hatten sich als Arschlöcher herausgestellt. Oder Drogenabhängige. Diebe. Menschen, die ihn nur benutzten. Frauen wie auch Männer, die nur versucht hatten, ihn ins Bett zu bekommen. Alles, was er gewollt hatte, war, aus seiner Kleinstadt heraus- und in die große Stadt hineinzukommen. Es hatte ihm überhaupt nichts gebracht.

»Was ist mit den Freunden, mit denen du gestern Nacht gefeiert hast?«

Todd zuckte zusammen. Ein paar Leute, die er im Gilham Park – einem ganz anderen Park als der, in dem sich die männlichen Prostituierten aufhielten – kennengelernt hatte, hatten ihn gefragt, ob er Lust hätte zu feiern. Und da er verzweifelt versucht hatte, aus seiner winzigen Einraumwohnung zu fliehen, hatte er zugestimmt. Er war gerade zur Party gekommen, als ein paar Jungs, die definitiv jünger waren als er, versucht hatten, ihm Crack zu verkaufen. Auf keinen Fall würde er dorthin zurückgehen. Er mochte zwar aus einer Kleinstadt kommen, aber er wusste, dass dieses Zeug kein Witz war.

Ein paar Bier später hatte er angeheitert in einer Ecke gesessen und die abgefahrensten Dinge beobachtet. Zwei, dann drei Typen, die auf der Couch rummachten. Ein anderer Typ, dessen Kopf unter dem Rock eines Mädchen steckte, das nie im Leben volljährig war. Viele Drogen, aber hauptsächlich Marihuana. Er hatte sogar ein paar Züge von etwas genommen, das den Pot, den er hin und wieder mit seinem Freund Austin geraucht hatte, wie Grasstückchen aussehen ließ.

Dann, kurz nach Mitternacht, hatten zwei Mädchen, die ihn beobachtet hatten (während sie sich geküsst hatten), ihn in ein dunkles Schlafzimmer gezogen, sich die Tops vom Körper gerissen und versucht, ihn dazu zu bewegen, mit ihnen Sex zu haben. Eines der Mädchen, ohne BH und mit großen Brüsten, hatte seine Hand genommen und sie gegen eine ihrer Titten gepresst und seine Finger geschlossen. Er konnte seine Hand gar nicht schnell genug zurückziehen und er wusste nicht warum. »Nein«, hatte er gesagt und war dann so schnell er konnte abgehauen.

»Nein«, sagte er nun erneut zu Gabe. »Auf keinen Fall.« Die Leute auf der Party waren nicht seine Freunde gewesen.

Eine Pause entstand und erneut musterte Gabe ihn von Kopf bis Fuß. Nicht unanständig, dennoch fühlte sich Todd seltsam. Er konnte das Gefühl nicht genau beschreiben. Der Typ sabberte nicht oder tat sonst etwas scheiß Unangenehmes, aber trotzdem…

(»Perverse. Sie mögen kleine Jungs. Sie entführen sie und schneiden ihre…«)

Gabe war ein Mann. Und trotz der Paraden, der Homo-Ehe, dem Ende der Don't-Ask-Don't-Tell-Gesetzgebung und den Schwulen- und Lesbenverbindungen in der Highschool war ein Mann mit einem Mann…

(»… nicht normal! Sie sin' nich' normal!«)

… nichts, woran er gewöhnt war. Gabe schien nett zu sein. Hatte ihm etwas zu essen gegeben. Gabe war freundlicher zu ihm gewesen, als irgendjemand sonst in dieser verfickten Stadt, also…

»Hör zu«, sagte der große Mann, »Ich habe nie dafür bezahlt, aber du bist enorm süß und du würdest einen Platz haben, an dem du über Nacht bleiben kannst und…«

»Was?«, fing Todd an.

»Ich meine, es wird nicht wie in Pretty Woman, wo ich extra dafür bezahlen muss, dass du über Nacht bleibst, richtig? Ich meine, ich hol dich aus dem Schnee und…«

»Ich bin keine Hure«, knurrte Todd. »Und ich bin keine verfickte Schwuchtel

Gabes Gesichtszüge erstarrten und die Wärme verschwand, als wäre sie nie da gewesen. Er griff nach Todds leerer Kaffeetasse. »Viel Glück«, sagte er mit eiskalter Stimme. »Und wie gesagt, lass dich nicht vom Hausverwalter erwischen, sonst bist du ganz schnell wieder auf der Straße. Blizzard hin oder her.« Gabe drehte sich um und ging zum Fahrstuhl, ohne noch einmal zurückzusehen.

Prima. Scheiße. Warum hab ich das gemacht? »Ich muss aufhör'n auszurasten«, sagte er laut. Ich hätte ihm einfach sagen können, dass ich weder schwul noch ein Stricher bin. Der Typ – Gabe – war nett. Er hätte ein Nein als Antwort akzeptiert. Todd drehte sich um und sah aus den Fenstern der Eingangshalle. Er keuchte. Der Schnee, der in dicken Flocken gefallen war, war nun eine wirbelnde weiße Wand.

»Sieh sich das einer an«, sagte jemand zu seiner Rechten. Todd drehte sich um und sah ein paar Leute, die von irgendwoher in die Eingangshalle gekommen waren. Von oben? Aus einem Büro?

»Meine Mom hat gerade angerufen und gesagt, dass der Gouverneur den Ausnahmezustand ausgerufen hat«, sagte einer der Zuschauer. »Ich würde sicher nicht glücklich sein, da draußen zu sein.«

Nein wirklich?, dachte Todd. Er sah zurück zum Fahrstuhl. Aber natürlich war Gabe schon weg. Warum hab ich mich wie ein Arschloch benommen? Vielleicht wollte er mir nur den Schwanz lutschen. Ist ja nicht so, als hätte das noch nie jemand getan. Nur weil Joan mir nicht gern einen geblasen hat… Und dann war da noch…

»Seht mal da!«

Todd zuckte zusammen und sah erneut nach draußen. Was zuerst nur schlimm ausgesehen hatte, war nun geradezu angsteinflößend. Es war wie ein Spezialeffekt aus einem Horrorfilm.

Wäre es ein Blowjob nicht wert gewesen, dem zu entkommen?

»Es ist leicht verdientes Geld«, hatte ein Stricher aus dem Park gegenüber seines Wohnblocks – seines Ex-Wohnblocks – vor einigen Wochen erzählt. Es war ein angenehmer Tag gewesen. Einige orangefarbene und rote Blätter hatten noch immer tapfer an den Bäumen gehangen. Ein Tag, an dem seine lausige Jacke ihn noch warmgehalten hatte. »Einfaches Geld. Mit einem Blowjob verdien ich fünfzig. Wenn ich einen bekomme! Ich kann am Tag locker zwei, drei Mal kommen. Beim dritten Mal nicht so heftig, aber wenn er ein hässlicher alter Sack ist, nimmt er, was er kriegen kann.«

Der Typ, ein rothaariger Junge namens Doug, und ein Freund hatten einen Joint geraucht und Todd mit Erzählungen über die gewinnbringenden Arbeitsmöglichkeiten der männlichen Prostitution verwöhnt. »Ich lehn mich einfach zurück«, war er fortgefahren, »und tu so, als ob Katy Perry mir ein' blasen würd. Wer mag es denn nicht, wenn ihm der Schwanz gelutscht wird? Und dann auch noch dafür bezahlt wird.«

Irgendwie hatte Todd an Dougs Aufrichtigkeit gezweifelt. Wenn es so toll war, warum konnten es dann nicht alle kaum erwarten, Stricher zu werden?

»Lass dich nich' verarschen, Schwester«, hatte Chaz, der zweite, etwa zwanzig Jahre alte junge Mann mit gemischter Herkunft gesagt. »Doug hier denkt voll nich' an Katy. Channing Tatum will er. Und ich sag's dir… wir lutschen alle ab und zu 'nen Schwanz.« Er schob die Hüften vor, legte seine Hand darauf und schnippte dann mit den Fingern. »Vor all'm in diesen harten wirtschaftlichen Zeiten.«

Todd hatte zweifelnd den Kopf geschüttelt. »Ich glaube nicht, dass ich…«

»…'nen Schwanz lutschen kannst? Nach dem ersten oder zweiten Mal ist es gar nicht so schlimm«, sagte Doug und gab damit zu, dass er tatsächlich zumindest hin und wieder einen Blowjob vergab. »Und wenn du schlucken kannst, kriegst du mehr Geld.«

»Warum erzählt ihr mir das?«, hatte Todd gefragt, als ob er es nicht bereits gewusst hätte.

Chaz nahm einen Zug von seinem Joint, offensichtlich nicht besorgt darüber, wer sie möglicherweise beobachtete, und reichte ihn dann an Doug weiter. »Weil du kein' Job has' und wie Sau versuchst, ein' zu finden. Hab ich recht?«

Todd war überrascht, antwortete aber nicht.

»Musst es nicht abstreiten«, antwortete Doug lässig und zog an dem Joint. »Du gehst immer unterschiedlich aus dem Haus und trägst dabei eine Krawatte.« Er schnippte gegen die Paisley-Krawatte des Secondhandladens, die Todd zwar gelockert, aber nicht abgelegt hatte. Er hielt ihm den Joint hin.

Todd schüttelte den Kopf.

»Und weil du das Gras nicht willst. Du lernst für einen Test.«

»Einen Test?«

»Einen Pissetest«, erklärte Chaz.

Wie kann der Typ so viel wissen?

»Wir wissen alles mögliche Zeug über dich«, sagte Doug und hob eine seiner orangen Augenbrauen.

»Bist nämlich aus 'ner Kleinstadt, nich'?«, fragte Chaz.

Scheiße. Fassungslos starrte Todd ihn mit offenem Mund an. »Woher wisst ihr das alles?«

Der Junge-Schrägstrich-Mann lachte.

»Weil wir alle aus 'ner Kleinstadt sind«, rief Doug aus.

»Wir erkenn', wenn's einer von uns is'«, fuhr Chaz fort und schnippte erneut mit den Fingern. »Komm' alle in die Stadt, um von 'nem großen, bösen Daddy wegzukomm', der seine Hände nich' bei sich behalten kann…«

»Oder um das große Geld zu machen und berühmt zu werden«, fügte Doug hinzu.

»Oder aus was sonst für 'nem beschissenen Grund. Stattdessen endet's damit, dass wir uns verkauf'n. Selbe beschissene Story seit Jahrhunderten, Baby.«

Todd nahm sich ihr Angebot nicht zu Herzen. Dachte nicht einmal daran. Ich werde niemals so tief sinken, hatte er sich selbst gesagt.

Doch jetzt? Er beobachtete den wirbelnden Strudel.

Gabe wäre besser als irgendein alter, zahnloser Sack, der ihn auf der Straße aufsammelte. Gabe war zumindest heiß. Vielleicht hätte er sich zurücklehnen und sich einen blasen lassen können. Schlimmer als die Blowjobs, die ihm seine sogenannte Freundin zu Hause gegeben hatte, konnte es nicht sein.

Er erschauderte bei dem Gedanken.

Oder noch katastrophaler als…

Und Gabe hätte ihm einen Platz zum Übernachten gegeben.

Was, wenn Gabe den Blowjob gewollt hätte? Hättest du es gekonnt?

Er zuckte mit den Schultern.

Erinnerungen an einen Keller…

Zur Hölle. Vielleicht. Dachte nicht jeder Typ ein- oder zweimal darüber nach, wie es wohl wäre? Er erinnerte sich an ein Erlebnis in der Umkleide, als er noch zur Schule gegangen war. Er hatte sich hingesetzt, um seine Schuhe aufzubinden, als er gemerkt hatte, dass der Penis eines Mitschülers nur wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt gewesen war. Er konnte ihn förmlich riechen, weil er so nah war, und die Hitze der Dusche hatte den natürlichen, männlichen Moschusduft hervorgehoben.

Todd hatte gerade einen Knoten geöffnet und während er sich langsam dem anderen widmete, hatte er durch seine Stirnfransen den Schwanz seines Kumpels abchecken können, ohne dass dieser es bemerkte. Todd fand, dass er gar nicht so angewidert davon war wie Joan von seinem eigenen. Warum auch, er war ziemlich ansehnlich. Länger als sein eigener, hing er über zwei ziemlich großen Hoden, von denen einer ein wenig tiefer, in den fleischigen, glatt aussehenden Hodensäcken lag. Sein Skrotum war haarlos und Todd fragte sich, ob sich sein Kumpel wohl die Eier rasierte (und wo dieser Gedanke herkam?).

»Hey, Burton! Was starrst'n da so an?«

Zum Glück hatte ihn seine große Klappe an diesem Tag nicht im Stich gelassen. »Ich hab keine Ahnung, was zur Hölle es ist«, hatte er recht laut geantwortet. »Aber was auch immer es ist, es ist wahrscheinlich das verdammt Hässlichste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«

Das brüllende Gelächter war wahrscheinlich das Einzige, was ihn davor bewahrte, für den Rest des Schuljahres als Schwuchtel bezeichnet zu werden.

Aber ein paar Tage später, während Joan erneut einen schlampigen und nicht gerade aufregenden Versuch unternahm, ihm einen zu blasen und dabei würgte, als wäre er dreißig Zentimeter groß, hatte Todd sich gefragt, wie es wäre, einen Schwanz zu lutschen. Was, wenn er mit dem anderen Jungen allein in der Umkleide gewesen wäre und sich einfach nach vorn gelehnt und ihn in den Mund genommen hätte? Oder sein Freund Austin. Das Gesicht des süßen Jungen füllte seine Gedanken aus. Die Erinnerung an ihn, als sie im Sommer nacktbaden gegangen waren. Abende im Haus seines Freundes. Wie würde sich Austins Schwanz in seinem Mund anfühlen? Wie schmecken? Seltsamerweise gelang es ihm mit diesen Gedanken endlich zu kommen, während sich seine Freundin mit einer Stimme, die klang, als würde man zwei Luftballons aneinanderreiben, lauthals beschwerte: »Toddy! Du hast gesagt, dass du mich vorwarnst!«

Wenn Gabe ihn also mit in sein Apartment nehmen und aus der Kälte retten würde, konnte er es vielleicht versuchen? So adrett, wie der Mann aussah, war sich Todd sicher, dass er sich auch untenrum pflegte.

Es war auch seltsam, dass Todd spürte, wie sein eigener Schwanz daraufhin zuckte. Gerade rechtzeitig für ein Gebrüll, das einem Löwen Konkurrenz gemacht hätte und ihn so erschreckte, dass er aufschrie.

»Hey, du! Wer zur Hölle bist du?«

Todd drehte sich um und sah einen großen Mann, der wie das fleischgewordene Verderben über ihn kam. »Gottverdammte Bummler und Stricher kommen immer in mein Haus. Verzieh dich!«

Was sollte er jetzt machen?