Cover

Dr. Norden Bestseller
– 296 –

Hilf mir auf dem schweren Weg

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-655-6

Weitere Titel im Angebot:

Dr. Norden hätte Renate Groot beinahe nicht erkannt, als sie Ende Januar bei ihm, von der Sonne gebräunt, in der Praxis erschien. Mit flotter, sehr jugendlicher Frisur, mit hochmodisch gesträhnten Haaren und supermodern gekleidet, tänzelte sie herein. Dorthe Harling warf ihm einen verwunderten Blick zu.

Man kannte Renate Groot als sehr damenhafte, stets dezent gekleidete attraktive Vierzigerin. Ende November war sie zuletzt in der Praxis gewesen, doch da hatte sie erschöpft gewirkt.

Dr. Norden wußte nicht gleich, was er sagen sollte, so verblüfft war er jetzt, aber dann machte er ihr das Kompliment, daß sie blendend aussähe.

»Ich habe Ihren Rat befolgt und mich gründlich erholt, und ich habe mich auch überholen lassen«, erklärte sie exaltiert, und auch das war neu an ihr. Dann fuhr sie hastig fort: »Paola war über Weihnachten bei den Großeltern und ist auch noch ein paar Wochen geblieben, und ich habe mich auf Gran Canaria gesonnt und mal Abstand gewonnen von der Vergangenheit.«

Sie sah ihn erwartungsvoll an, aber er antwortete nichts. »War Paola schon bei Ihnen?« fragte Renate.

»Nein, fehlt ihr was?« fragte er, noch immer irritiert, zurück.

»Sie ist so verändert«, erwiderte Renate Groot stockend und hatte den Blick zu Boden gesenkt. Er überlegte, ob sie nur gekommen wäre, um zu erfahren, ob ihre Tochter schon vorher bei ihm gewesen sei, aber da wechselte sie hastig das Thema und erklärte, daß sie sich gern das Muttermal am Rücken entfernen lassen wolle.

»Macht es jetzt Beschwerden?« fragte er. »Hat es sich etwa verändert? Es hat Sie doch bisher nicht gestört.« Er war nun doch besorgt, da er Renate Groot und auch das Muttermal kannte. Es bestand nämlich immer die Möglichkeit, daß ein Muttermal durch eine Verletzung oder andere Einflüsse bösartig werden konnte.

»Es stört mich einfach«, erklärte Renate, »schauen Sie es sich doch einmal an. Es kommt mir plötzlich viel größer und häßlicher vor.«

Wenn das so war, bestand tatsächlich Grund zur Besorgnis und Vorsicht, aber Angst vor einem Tumor schien Renate nicht zu haben. Es handelte sich bei ihr wohl plötzlich nur um die liebe Eitelkeit. Aber warum? War da ein Mann im Spiel?

Grund zur Besorgnis war bei Dr. Norden momentan nicht vorhanden, als er das Muttermal betrachtete, das nur erbsengroß war und eher wie ein Leberfleck wirkte, den man früher als Schönheitsflecken bezeichnete.

»Es sieht doch ganz lustig aus«, meinte er.

»Wie ein Altersfleck«, widersprach sie.

»Jetzt muß ich aber lachen. Die sehen wirklich anders aus, aber wenn Sie unbedingt davon befreit werden wollen, ich mache das nicht. Das sollte dann schon ein Chirurg machen.«

Sie zog einen Schmollmund. »Das ist doch nur eine Kleinigkeit«, meinte sie, »das können Sie bestimmt auch.«

»Aber ich würde da nicht daran herumschnipseln«, erklärte er. »Ich habe meine eigene Einstellung dazu, und die habe ich Ihnen schon erklärt.«

»Dann ist es nicht zu ändern«, sagte sie unwillig. »Ich hoffe nur, daß Sie Paola gegenüber genauso konsequent sind, wenn sie zu Ihnen kommt und sich über ihre Mutter beschwert.«

»Warum sollte sie sich beschweren? Paola ist erwachsen.«

»Sie mißbilligt, daß ich auch noch etwas vom Leben haben will, daß ich möglicherweise noch einmal heiraten könnte.«

Also das ist es, dachte Daniel Norden, aber er hatte Verständnis für solchen Wunsch, denn Renate Groot war erst zweiundvierzig Jahre alt. Was auch ihn störte, war ihre Aufmachung, die gar nicht damenhaft war, wie er es von ihr gewohnt war, und ihm ging es durch den Sinn, daß sie einen Mann kennengelernt haben könnte, der Paola mißfiel.

Dr. Daniel Norden kannte Paola Groot sehr gut und schon seit gut zehn Jahren. Sie war ein Schulkind gewesen, als er zum ersten Mal ins Haus Groot gerufen worden war, und sie hatte Diphtherie gehabt. Sie hatte in Quarantäne liegen müssen und hatte sich als eine sehr geduldige Patientin gezeigt, die nicht nach ihren Eltern weinte wie andere Kinder. Paola Groot war es nämlich gewohnt, viel ohne ihre Eltern auskommen zu müssen, mit einer Haushälterin oder bei den Großeltern im Tessin.

Dr. Victor Groot war Wissenschaftler und Schriftsteller, und er reiste viel, natürlich immer in Begleitung seiner Frau, die seine Mitarbeiterin und Sekretärin war. Gewiß keine törichte Frau, die es nur darauf abgesehen hatte, gut versorgt zu sein in einer Ehe und sich alles leisten zu können, was das Herz begehrte. Das konnte sie allerdings dank Victor Groots Berühmtheitsgrades und seiner weltweiten Beziehungen. Sie besaßen in München ein wunderschönes Haus, in dem sie allerdings die wenigste Zeit anzutreffen waren. Paola kam in ein Internat, als sie zwölf war, aber da zeigte sie zum ersten Mal, daß sie nicht mit allem einverstanden war. Sie wollte in München zur Schule gehen, und da dann Dr. Groot plötzlich des Reisens müde geworden schien, wurde sie auch wieder heimgeholt.

Dr. Groot war nicht nur des Reisens müde, er war krank. Todkrank, wie Dr. Norden feststellen mußte, und er wurde bald auch ständiger Besucher im Hause Groot. Victor Groot hatte einen ungeheuren Lebenswillen, und er kämpfte gegen den Krebs, der ihn aufzuzehren drohte.

In dieser Zeit hatte sich Renate Groot von einer sehr tapferen Seite gezeigt. Geduldig hatte sie ihren Mann umsorgt, und sie hatte auch Paola lange mit der grausamen Wahrheit verschont, die sie selbst mit aller Beherrschung trug, nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte. Das war eine andere Renate gewesen als jene, die ihm jetzt gegenübersaß, und Daniel Norden konnte Paola verstehen, wenn sie schockiert war.

»Sie werden mir also nicht helfen«, sagte Renate, als sie sich nun erhob.

»Ich helfe selbstverständlich, wenn es notwendig ist«, erwiderte er, »aber wegen dieses kleinen Muttermales sollte man wirklich nichts herausfordern.«

»Wieso denn herausfordern«, fragte sie gereizt.

»Nun, eine Narbe könnte häßlicher aussehen«, erklärte er. »Ein Chirurg wird selbstverständlich kein Risiko eingehen und eine gründliche Entfernung vornehmen. Aber es ist Ihre Entscheidung, Frau Groot.«

Plötzlich machte sie wieder einen hilflosen Eindruck. Mit niedergeschlagenem Blick fragte sie, was er darüber dächte, wenn sie mit einem jüngeren Mann eine Verbindung eingehen würde.

Seine Ahnungen wurden bestätigt. Er betrachtete sie forschend. »Es kommt auf den Mann an und auch darauf, um wieviel jünger er ist. Sie sollten dabei nicht vergessen, daß Sie eine erwachsene Tochter haben, die dazu noch bildhübsch ist.«

Renate blickte zu Boden. »Martin interessiert sich nicht für meine Tochter sondern für mich, und er interessiert sich überhaupt nicht für junge Mädchen«, stieß sie unbeherrscht hervor.

»Ich gab das nur zu bedenken, weil es da doch manchmal zu Spannungen kommen kann, besonders da Paola ja sehr eigenwillig ist.«

»Sie wurde maßlos verwöhnt von ihren Großeltern, und die hetzen sie auch gegen mich auf. Sie wollten für ihren Sohn ein Heimchen am Herd, das stets zu Hause hockt und nur für Mann und Kind da ist. Aber Victor liebte mich so, wie ich bin.«

Daniel Norden wußte, daß Victor Groot seine Frau sehr geliebt hatte.

»Ich habe Victor auch geliebt, aber soll ich für den Rest meines Lebens allein bleiben?« fragte sie.

Daniel Norden erinnerte sich, daß sie damals gesagt hatte, daß es nie einen anderen Mann für sie geben würde als Victor. Aber er wußte natürlich auch, daß es Momente in einem Menschenleben gab, in denen man gewissen Verführungen einfach nicht widerstehen konnte, und das war auch allzu menschlich. »Sie wollten einen Rat von mir, Frau Groot«, sagte er freundlich, »und ich kann Ihnen nur den geben, sich zu prüfen, ob es sich wirklich lohnt, für diesen Mann die gute Beziehung zu Ihrer Tochter zu gefährden.«

»Paola ist doch diejenige, die sie gefährdet«, sagte Renate heftig. »Sie ahnen nicht, was ich in den letzten Tagen schon alles zu hören bekam. Aber damit will ich Sie nicht belästigen – ich hoffe nur, daß Paola sich auch eines Besseren belehren läßt.«

Paola Groot war ein junges Mädchen mit klarem Verstand, keineswegs sentimental und überdurchschnittlich intelligent.

Dr. Norden wußte es, und Renate bekam es wieder zu spüren, als sie heimkam. Hatte sie ihrer Mutter noch einen halbwegs freundlichen Gruß zugerufen, wurde sie sogleich wieder aggressiv, weil Renate bemängelte, daß Paola mit dem Nachbarn gesprochen hatte, als sie kam.

»Ich weiß nicht, was du gegen die Grabows hast, Mama«, sagte Paola kühl, »er hat mir jedenfalls beim Schneeschaufeln geholfen, sonst wärest du gar nicht in die Garage hineingekommen.«

»Er hat dir beim Schneeräumen geholfen?« staunte Renate konsterniert. »Ich denke, er ist ein halber Krüppel.«

»Wie du das sagst!« erregte sich Paola. »Es war zwar der junge Herr Grabow, der mir geholfen hat, aber man sollte einen Mann, der fast blind ist, nicht als Krüppel bezeichnen. Ich habe erst heute erfahren, daß Dr. Grabow bei einem Betriebsunfall schwer verletzt wurde.«

»Jedenfalls ist sie eine gräßliche Frau, die derartig arrogant ist, daß man sich am besten fernhält.«

»Nun mal langsam, Mama. Sie wohnen erst seit drei Monaten nebenan, und vielleicht ärgerst du dich nur, daß du nicht mehr Frau Meßner zum Tratschen hast.«

»Fängst du schon wieder an!« echauffierte sich Renate nun erst recht. »Ja, es ärgert mich, daß liebe alte Nachbarn fortgehen, aber die Grabows haben es ja nicht mal für nötig befunden, sich bekannt zu machen, geschweige denn eine Einstandsparty zu geben, wie es bisher üblich war.«

»Vielleicht haben sie nicht das Geld für eine Party«, sagte Paola ruhig.

»Wenn man das Geld nicht hat, kann man solch ein Haus auch nicht kaufen«, sagte Renate. »Ich weiß schließlich, was es gekostet hat.«

»Du darfst nicht vergessen, daß die Häuser jetzt fast doppelt so teuer sind wie vor zwölf Jahren, Mama, als ihr unser Haus gekauft habt. Und bei dieser Gelegenheit können wir gleich erörtern, daß ich das Haus verkaufen werde, wenn du wieder heiraten solltest. Natürlich zahle ich dir deinen Anteil aus, aber das Haus gehört mir, seit ich volljährig bin, wenn ich dich daran erinnern darf.«

»Wie reizend, mir das so direkt zu sagen«, stieß Renate gereizt und bestürzt zugleich hervor.

»So verstehst du es wenigstens. Jedenfalls wird in diesem Haus kein anderer Mann Einzug halten, und das muß ich dir wohl klar und deutlich sagen, nachdem du deinem Martin neulich am Telefon sagtest, daß er selbstverständlich bei dir wohnen könnte, wenn er nach München kommt. Er hat übrigens vorhin angerufen, und ich soll dir ausrichten, daß er schon morgen kommt. Deshalb sage ich dir meine Meinung so direkt.«

Und Renate wußte nun ganz genau, daß Paola diesbezüglich keinerlei Zugeständnisse machen würde. Ihr wurde es nun doch ein bißchen mulmig zumute, und so lenkte sie lieber ab.

»Wie ist denn der junge Grabow?« fragte sie. »Den habe ich noch nie gesehen.«

»Er war höflich und wortkarg, aber er schaufelte den schweren Schnee vor der Garage weg.«

»Wie alt ist er denn?« fragte Renate.

»Ich habe ihn nicht gefragt, und er hat nicht über sich geredet. Er ist sportlich, wie ich beim Schneeschippen bemerken konnte«, fügte Paola spöttisch hinzu, »und gekleidet war er wintermäßig und der Arbeit angemessen. Zufrieden?«

Renate bedachte ihre Tochter mit einem wütenden Blick. »Du bist manchmal derartig patzig, einfach unausstehlich«, zischte sie, und dann verließ sie das Zimmer. Paola schickte ihr auch einen zornigen Blick nach. Ihr hatte noch mehr auf der Zunge gelegen, denn die Art, wie dieser Martin am Telefon mit ihr gesprochen hatte, mißfiel ihr gründlichst. Aber soweit ging sie doch nicht, ihrer Mutter nachzulaufen, um ihr auch das noch unter die Nase zu reiben. Soll sie doch sehen, wo sie bleibt, dachte sie grimmig, in dieses Haus, das Papa gekauft hat, kommt er jedenfalls nicht.

Aber sie erlebte es an diesem Abend, daß ihre Mutter nach einer versöhnlichen Aussprache trachtete. Sie kam herunter, als Paola sich einen Tierfilm im Fernsehen anschaute.

»Können wir auch mal wieder vernünftig miteinander sprechen, Paola?« fragte sie.

»Aber sicher, wenn du zur Vernunft kommst«, erwiderte Paola.

»Es ist ja schließlich nicht so, daß es bereits eine feste Bindung wäre, Paola. Martin ist ein weitgereister, geistreicher Mann, und wir verstehen uns eben gut.«

»Was verstehst du eigentlich unter geistreich?« fragte Paola bissig.

Renate schluckte es um des lieben Friedens willen. »Du kennst ihn doch noch gar nicht, Kind.«

»Sag nicht Kind zu mir!« rebellierte Paola wütend.

»Okay, ich sage nicht wieder Kind, aber du solltest Martin doch besser kennenlernen, bevor du so hart urteilst. Er hat es doch von vornherein abgelehnt, bei uns zu wohnen. Er will mich auch keinesfalls kompromittieren oder gar dich brüskieren, Paola. Es war unüberlegt von mir, als ich ihm den Vorschlag machte.«

»Und wenn er solch ein Gentleman ist, warum machst du dann auf ordinär?« höhnte Paola.

Renate stieg Zornesröte ins Gesicht.

»Darf ich dich erinnern, daß du mir vor einiger Zeit selbst vorgeschlagen hast, mich nicht so altbacken anzuziehen?« fragte sie gereizt.

»Gebe ich zu, aber deshalb brauchst du nicht gleich auf Teenager umzusteigen.«

»Die Mode ist jetzt so«, sagte Renate aggressiv.

Paola seufzte. »Man muß nicht jede Mode mitmachen, Mama. Du warst ein damenhafter Typ, deswegen wirkst du jetzt lächerlich, aber wenn es deinem Martin so gefällt…«

Doch da heulte Renate los. »Er ist nicht mein Martin! Und er hat mich so noch gar nicht gesehen. Allen hat es gefallen, wie ich aussehe!«

»Ist doch klar, wenn man daran verdient, Mama. Denk doch mal etwas logisch und mit Verstand. Aber anscheinend bist du so chloroformiert, daß du dazu nicht mehr fähig bist.«

»Hör jetzt endlich damit auf. Ich werde dir schon beweisen, wozu ich fähig bin, und ich hoffe, daß du wenigstens akzeptierst, daß ich mich bemühe, dir alles rechtzumachen.«

»Das brauchst du nicht«, sagte Paola ruhig. »Du sollst dich nur nicht so weit von dir selbst entfernen, von der Mutter, die ich liebhatte und die ich liebbehalten möchte.«

Am nächsten Tag erlebte es Paola, als sie von der Kunstakademie kam, daß ihre Mutter wieder in etwa so wirkte, wie es früher der Fall war. Moderner und mit mehr Pfiff, aber doch bedeutend dezenter.

»Bist du jetzt zufrieden, Paola?« fragte sie.

»Was kann man sagen. Es freut mich, Mama.«

»Aber dafür kannst du mir auch ein Zugeständnis machen.«

»Welches?«

»Mich zur Party von Irene begleiten. Allein möchte ich nicht gehen.«

»Und dein, Martin? Kommt er nicht?«

»Ich habe mit ihm telefoniert. Er will sich nicht zwischen uns drängen.«