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10.


Das Schneetreiben hielt unvermindert an, als wir weiter nach Norden in die Berge vorstießen. Jicarilla, der paradoxerweise erst nüchtern wurde, wenn er etwas getrunken hatte, ritt voraus, weit vorgebeugt im Sattel, die Nasenlöcher aufgebläht, als suche er die Fährte mit dem Geruchssinn wie ein Spürhund.

Plötzlich hielt er an und hob die rechte Hand.

„Hier teilt sich die Spur!“

Ich galoppierte an seine Seite und sah, wie sich eine Wagenspur nach Westen wandte und zwischen zwei Felsblöcken in dem Vorhang wirbelnder Flocken verschwand.

„Vier Wagen geradeaus, einer scherte aus. Dazwischen ein paar Blutspuren und zwei Patronenhülsen“, erklärte Jicarilla Sergeant Tucker sachlich und nüchtern die Lage.

„Teufel!“, knurrte Sergeant Tucker. „Die Comanchen haben sie also schon erwischt und massakriert!“

„Nein“, widersprach ich ruhig und betrachtete die Spuren. „Ich vermute, dieser Bushfield ging hier seine eigenen Wege. Er hat ein paar von den Ersatzmulis requiriert. Als die Quäker sich weigerten, ihm die Tiere zu überlassen, setzte er die Schusswaffe ein. So sehe ich es.“

Jicarilla nickte nur.

„Noch ein Toter also“, sagte Sergeant Tucker wütend.

„Vielleicht nur ein Schwerverletzter“, erwiderte ich. „Diese Quäker haben bewiesen, dass sie durchaus in der Lage sind, auch mit der Waffe für ihren Glauben einzustehen.“ Ich blickte Jicarilla an, der schon wieder die Nasenlöcher blähte, als wittere er Unheil.

„Du bist anderer Meinung?“

„Nein.“ Er deutete nach Norden, wo sich die Hauptspur des Quäkertrecks zwischen den Felsen verlor. „Sie fuhren ohne Führer weiter, Ronco. Ich kenne das Plateau da vor uns, das von den Indianern die Wolfsfalle genannt wird.“

„Unpassierbar?“

„Ja. Daher der Name. Tiefe Schluchten, senkrechte Felswände. Der Trail dorthin führt ins Nichts oder in die ewigen Jagdgründe.“

„Wir müssen uns rasch entscheiden“, sagte ich, „wer welcher Spur folgt. Ich glaube, dass doch noch einer von der Bande bei den Quäkern geblieben ist und dafür sorgen soll, dass sie sich irgendwo verirren, wo sie später von den Comanchen überfallen und liquidiert werden können.“

„Ronco, Sie haben einen guten Verstand, aber ich kann Ihnen nicht ganz folgen“, sagte Sergeant Tucker kopfschüttelnd.

„Sie haben die Story vorhin in Flint Hill gehört. Keine Zeugen, keine Spuren: Nichts darf von dem Quäkertreck zurückbleiben. Ich denke, dass der Halunke im Luchsfellmantel jetzt die Quäker anführt. Er wird so getan haben, als stünde er ganz auf der Seite der Quäker. In ihrer Verzweiflung werden sie sich ihm anvertraut haben. Und dieser Halunke wird sie dorthin führen, wo die Comanchen später die Zugtiere und Pferde der Quäker in aller Ruhe einsammeln können. Und die Skalps der Quäker dazu, falls ihnen daran liegen sollte.“

„Warum dann die Spur, die ausschert?“

„Die Comanchen möchten erst den Whisky, für den sie mit Nuggets bezahlt haben. Ich denke mir, dass es nach dem gleichen Schema abläuft wie bei Vanderbilt. Und die Comanchen wollen sich mit Feuerwasser Mut antrinken. Der Treck ist gut bewaffnet. Es sind verzweifelte, todesmutige Männer, die ihre Familien beschützen müssen.“

„Das hat Hand und Verstand“, erwiderte Sergeant Tucker eifrig. „Ich kenne diese roten Kerle inzwischen fünfzehn Jahre. Sie trinken, bis sie umfallen. Aber wenn sie betrunken sind, ist nichts vor ihnen sicher.“

„Gut. Ich reite dem Whiskywagen nach. Übernehmen Sie mit Jicarilla den Treck. Jeder versucht zu retten, was noch zu retten ist!“, rief ich und trieb meinen Braunen in die wirbelnden Flocken zwischen die Felsblöcke.


*


Zum Glück dämpfte der Schnee jedes laute Geräusch, sonst wäre ich Sam Bushfield mitten ins Kreuz geritten.

Er hielt im Schnee auf einem freien Platz, als herrsche das schönste Wetter, sich einen Rastplatz im Freien zu suchen. Seine Maultiere drängten sich an einer Felswand zusammen, die ihnen Schutz vor dem Schneegestöber gewährte. Sam Bushfield saß auf dem Bock seines Prärieschoners, die Deichsel hochgestellt, schnitt sich dicke Scheiben von einem Stück Dörrfleisch herunter und blickte hinüber zu dem Hang, der vor ihm zu einer Felsklippe aufstieg.

Ich hob sachte den Spencer aus dem Sattelschuh, spannte ihn und lehnte mich so weit aus dem Sattel, dass ich Sam Bushfields Nacken mit dem Lauf des Karabiners fast berühren konnte.

„Das Messer weg und die Arme hoch!“, rief ich scharf.

Er erschrak so heftig, dass er sich mit dem Messer in den Finger schnitt. Er ließ es fallen und stieß einen leisen Wehlaut aus.

Doch dann gehorchte er auch meiner zweiten Aufforderung und hob die Hände über den Kopf.

Er weiß nicht, dass ich ihn wegen eines Mordes festnehme, dachte ich grimmig. Er würde es mir sonst nicht so leicht machen.

„Wie haben Sie das geschafft?“, fragte er verwundert und drehte den Kopf dabei zur Seite.

„Mister Rother hat die Seiten gewechselt“, erwiderte ich. „Er ließ mich laufen, statt mich zu beseitigen. Und jetzt drehe ich den Spieß um. Sie werden hier spurlos in irgendeiner Schlucht verschwinden, und kein Hahn wird mehr nach Ihnen krähen.“

Er bewegte heftig die Schultern. Er wusste, dass er mir ausgeliefert war und er an meiner Stelle diese Drohung ausführen würde. Selbst wenn ich nichts anderes verbrochen hätte als ein besseres Gespann oder Pferd zu besitzen als er.

„Rother hat Sie laufen lassen?“, stammelte er.

„Sonst wäre ich nicht hinter Ihnen und zielte mit einem Gewehr auf Sie!“

„Was hat er gesagt?“

„Dass Sie Charly umbrachten, Bushfield!“

Er zappelte jetzt, als verwandele sich sein Kutschbock in glühendes Eisen.

„Das stimmt nicht! Das war Buster, der Mann in dem braunen Pelzmantel. Ich bin nur ein kleiner Befehls­empfänger wie Charly. Ich wurde in Corpus Christi von einem Kneipenwirt angeheuert, weil ich mich bei ihm verkriechen wollte. Ich werde wegen Herstellung von Whisky in Louisiana gesucht und sollte mit dem Treck mitfahren, damit die Comanchen ihren bestellten Alkohol erhalten. Und damit es ein bisschen Unruhe in den Bergen gibt ...“

Ich ließ ihn reden. Wenn ich seine Hintermänner fassen wollte, die Whisky und Waffen für Riesenprofite an die Indianer verkauften, konnte ich nicht genügend Informationen sammeln.

„Ich werde alles sagen, was ich weiß!“, rief er mit erhobenen Händen durch den Flockenwirbel. „Alles, wenn ich dafür keine Strafe kriege. Denn Charlys Tod hat mir die Augen geöffnet, Mister! Buster hat ihn einfach von hinten erstochen, weil er glaubte, Charly würde nicht dichthalten! Ich will nicht an einem Messer im Rücken sterben! Ich ...“

Das war kein Geständnis mehr, sondern nur noch eine hemmungslose Bettelei um Gnade und Erbarmen, was er beides bestimmt nicht verdiente. Und ich hatte den Verdacht, Sam Bushfield wusste sehr genau, dass er mit einer langen Kerkerstrafe oder sogar dem Strick rechnen musste.

Zum Teufel, dachte ich, es muss dir doch sofort aufgefallen sein, dass er nicht hier sitzt wie auf einem ­Frachthof in Corpus Christi oder San Francisco, weil er im Schnee frühstücken will!

„Halt den Mund!“, fuhr ich ihn wütend an. „Herunter von der Kutsche! Rasch!“

Er tat so, als verstünde er mich nicht, und jetzt war ich mir sicher. Er wollte mich hinhalten. Wahrscheinlich nur noch ein paar Minuten.

Ich stieß ihm den Lauf der Spencer in den Nacken, dass er von seinem Kutschbock in den Schnee hinuntertaumelte. Dann trieb ich ihn um den Wagen herum. „Die Planen aufschneiden, rasch!“

Er zitterte jetzt nicht mehr, sondern ging langsam, die Schultern straff und angespannt wie eine Stahlfeder. Aber er gehorchte, weil er immer noch Zeit gewann und nicht wusste, was ich vorhatte.

„Hinauf auf den Wagen, Bushfield! Und jetzt öffne eine deiner hübschen Truhen, die ich dir noch gelassen habe!“

„Es lohnt sich nicht, den Whisky zu probieren“, sagte er mit gespielter Unterwürfigkeit. „Es ist wirklich nur etwas für Indianer.“

„Nimm zwei Flaschen heraus! Schlag ihnen die Hälse ab!“

Er tat das so aufreizend langsam, dass ich eingriff und eine der beiden Flaschen mit dem Gewehrlauf köpfte.

„Und jetzt gieß das Zeug über deine Planen!“

Ich griff mit der Linken in meine Jackentasche, holte eine Schwefelholzschachtel heraus, riss ein ganzes Bündel Hölzer auf einmal an und hielt es an die nasse Plane.

„Bist du wahnsinnig?“, heulte Bushfield.

„Eins muss man deinem Sprit lassen“, sagte ich. „Er ist hochprozentig!“

Eine Stichflamme schoss am Heck des Wagens hoch. Schwarzer Qualm wehte über den verschneiten Hang. Und von den Felsriffen herunter hörte ich jetzt ein schrilles, wütendes Heulen.

Die Comanchen erschienen, um ihren Sprit abzuholen. Ich brauchte mich jetzt nicht mehr zurückzuhalten. Ich riss den Colt aus dem Holster und schoss die Trommel in die offene Kiste leer, dass die Scherben und der Sprit über die ganze Ladung spritzten.

Bushfield griff mich mit einem knurrenden Laut an, als die Trommel meines Colts leer war. Ich schlug ihn mit dem Lauf meines Spencer nieder und legte dann auf die heranstürmenden Comanchen an.

Es waren fünf Krieger und ein Weißer in einem kostbaren Minkpelzmantel.

Serge Buster, der Charly mit meinem Bowiemesser erstochen hatte.

Ich hatte ihn schon im Visier, als sich eine grelle Stichflamme zwischen mich und die Comanchen schob.

Der Whiskyschoner explodierte, als wäre er mit Granaten beladen.


*


Das hatte ich ihm doch nicht gegönnt. Ihm nicht und den Comanchen auch nicht, die als lebende Fackeln durch das Schneegestöber ritten.

Sam Bushfields Schreie waren so schrecklich, dass ich den Spencer auf ihn anlegte, nachdem ich rasch mit meinen Handschuhen die kleinen Brandstellen auf dem Fell meines Braunen und der Satteldecke gelöscht hatte.

Sam Bushfield war eine blaue Flamme im Schnee zwischen den scheuenden, wiehernden Ponys, die auf dem Hang vor mir in wilder Panik hin und her liefen.

Er hat plötzlich den Verstand verloren, dachte ich benommen. Statt sich auf den Boden zu werfen und durch den Schnee zu rollen, lief er schreiend und mit erhobenen Armen gegen den Wind, der wie ein Blasebalg das Feuer auf seinem in Whisky gebadeten Körper nur noch mehr anschürte.

Dann stolperte er plötzlich, und sein Schreien riss ab. Ich sah, wie Serge Buster, der Mann in dem Minkmantel, sein Gewehr nachlud.

Ich holte tief Luft. Buster hatte es auf sich genommen, seinem Komplizen den Gnadenschuss zu geben. Oder hatte er ihn nur „gerichtet“ wie Charly, den schmächtigen Goldgräber mit dem schäbigen Fuchspelzkragen?

Ich war außer mir vor Wut und Verzweiflung. Ich stellte mich in den Steigbügeln hoch und nahm den Karabiner an die Schulter.

Dort ritt der Mann zwischen den Fackeln der Ponys und Comanchen im glänzenden, kostbaren Minkpelzmantel und hatte weder einen Kratzer noch ein Brandloch abgekriegt. Dort ritt der Mann, der mein Unternehmen als Scout eines Trecks, auf das ich so stolz gewesen war, so gründlich sabotiert hatte, dass ich wahrscheinlich mit Schimpf und Schande davongejagt wurde, wenn ich lebend nach Fort Calhoun zurückkehren sollte. Dort ritt dieser gewissenlose Schurke, der glaubte, er könne ungestraft seine Helfershelfer richten und die Comanchen mit gepanschtem Whisky vergiften.

Ich wollte nicht von diesem Mann meine erste Niederlage in meinem Leben hinnehmen. Und vielleicht glaubte ich auch, es wäre besser, jetzt an einer Kugel zu sterben als mit der Schande eines Versagers weiterzuleben.

Ich war noch so jung und hatte noch nicht begriffen, dass auch die Niederlagen so notwendig zum Leben eines Mannes gehören wie der Erfolg oder der Sieg. Und dass sich der wahre Wert eines Menschen erst dann zeigt, wenn er nach einer Niederlage aufsteht und von vorn beginnt.

Ich wusste nicht, was für schreckliche Niederlagen mir noch bevorstanden, die mich lehren sollten, dass nur die Bewährung den Mann zum Sieger im Lebenskampf machen kann. Und dass ich bisher nur ein paar kleine Gefechte gewonnen und ein paarmal Glück gehabt hatte.

Ich stellte mich in den Steigbügeln auf und ritt auf den Mann zu. Er lachte mir ins Gesicht mit seinen geflochtenen Schnurrbartspitzen und seinen schrägen Augen, als wäre ich nur ein tollwütiger Hund, dessen Fell nicht einen Cent wert war und der von den Mächtigen, denen er diente, mit Knüppeln erschlagen würde, falls er sie nur anzubellen wagte.

Ich schoss überhastet, und er zuckte in meinem Visier zusammen, als habe er das nicht erwartet. Er griff sich an die linke Schulter, wo sein kostbarer Pelzmantel ein Loch erhalten hatte. Dann hob er die rechte Hand, in der er jetzt einen Colt hielt. Er hatte seinen einschüssigen Karabiner gegen einen Revolver ausgetauscht.

Ich konnte meinen Braunen nicht mehr zügeln. Ich würde die Kugel mitten in die Stirn kriegen. Ich sah, wie der Lauf seines Navy-Colts mir entgegenwuchs, bis er mir so groß erschien wie ein Kanonenrohr. Er hätte mich mit der Waffe erschlagen können. Er lachte mir wieder ins Gesicht, während er langsam den Finger krümmte.

Brennende Ponys schrien fast wie Kinder, und er lachte mich aus. Comanchen wälzten sich im Schnee und krochen mit glimmenden Haaren und verbrannten Gesichtern durch beißenden Qualm und wirbelnde Flocken. Es war alles sein Werk, und er lachte.

Ich empfing einen fürchterlichen Schlag, als er endlich abdrückte. Aber er traf mich in den Rücken, nicht in das Gesicht. Die Mündungsflamme aus seinem Navy-Colt sengte mir die Haare über dem rechten Ohr ab, aber den Schlag, den ich erwartete, erhielt ich in den Rücken.

Er warf mich mitten zwischen die sich windenden, zuckenden Pferdeleiber und die Comanchen, die auf dem Hang durch den Schnee krochen. Ich spürte eine schreckliche Hitze im Nacken und sprang in einen tiefen schwarzen Brunnen, um die Flammen auf meinem Rücken zu löschen.


*


Als ich wieder zu mir kam, schlingerte der Boden unter mir.

Kathy Foner ‒ oder war es Mary? ‒ beugte sich über mich und lächelte mich freundlich an.

„Bis Weihnachten werden Sie wieder auf den Beinen sein, Mister Ronco“, sagte sie.

„Wo bin ich?“, fragte ich benommen.

„Im Wagen meines Vaters. Wir werden es bald geschafft haben, sagte vorhin Ihr Kollege, der jetzt unseren Treck anführt.“

„Wohin geschafft? Wo sind wir? Ich ...“

„Ganz still liegen bleiben, Mister Ronco. Es dauert, bis einem Menschen eine neue Haut wächst. Wir sind eben keine Schlangen, sondern sehr empfindliche Lebewesen, was unsere Haut betrifft.“

„Was ist passiert? Wo sind wir?“

„Vielleicht noch dreißig Meilen von Bandera, unserem Reiseziel, entfernt, sagt das Halbblut, das uns jetzt anführt. Und mein Vater wird sich freuen, wenn er sich endlich bei Ihnen für alles bedanken darf, was Sie für uns getan haben, Mister Ronco.“

„Ich habe versagt!“

„Nein, wir haben versagt, Ronco. Wir hätten auf unsere Stimme hören müssen, als dieser lügnerische Marshal in Flint Hill behauptete, Sie wären ein Mörder und wollten uns nur den Comanchen in die Hände spielen. Er behauptet, Sie wären von den Comanchen dafür bezahlt worden, unseren Treck in einen Hinterhalt der Indianer zu führen.“

„Du meine Güte“, hauchte ich, „und das haben Sie geglaubt?“

„Ich nicht“, erwiderte das blonde Mädchen ernst, „aber die anderen haben es geglaubt.“ Sie seufzte. „Gott hat in jener Nacht geschwiegen, und wir hatten uns nicht an die Bibelstelle erinnert, wo unser Heiland in der Nacht vor seinem Tode mit seinem Vater um ein Wort der Zuversicht rang und seine Jünger bat, mit ihm zu wachen. Wir hatten vergessen, dass Gott von uns verlangt, dass wir das Richtige tun müssen, wenn er einmal schweigen sollte.“

Sie strich mir nachdenklich durch das Haar, ohne zu merken, was sie da tat.

„Wir haben versagt und Sie in der Nacht der Entscheidung allein gelassen. Doch Gott schickte uns noch einmal einen Retter, statt uns für unsere Sünde zu bestrafen.“

„Sergeant Tucker?“

„Die Comanchen hatten unseren Treck schon umzingelt. Aber als die Kanonenschüsse hinter dem Hügel aufdröhnten und die Stichflammen über den Schnee zuckten, brachen die Comanchen ihren Angriff ab und flohen in das Labyrinth der Wolfsfalle.“

„Es waren keine Kanonen, sondern nur Whisky­flaschen, die in die Luft flogen!“

Kathy ‒ oder war es Mary? ‒ lächelte mich an.

„Sie hatten diesen grandiosen Einfall, hat uns Sergeant Tucker nachher berichtet, ein ganzes Regiment von Soldaten vorzutäuschen, die mit Kanonen aus Fort Calhoun angerückt waren, um uns vor den Übergriffen der Indianer zu schützen. Nur sind Sie unglücklicherweise selbst von einer dieser Kanonen getroffen worden.“

„Ich erinnere mich“, sagte ich nachdenklich. „Es muss ein Spätzünder gewesen sein. Eine Kiste Whisky, die ganz zuletzt explodierte.“

„Sergeant Tucker und meine Brüder haben Sie im Schnee gefunden, Ronco. Sie sagten, wenn Sie nicht gewesen wären, würde keiner von uns das Gelobte Land erreicht haben. Es wäre uns allen so gegangen wie Moses, der sein Volk nach Israel führen sollte, aber das Gelobte Land nur aus der Ferne schauen durfte. Doch nun haben wir das Schlimmste bereits hinter uns und sind alle voller Zuversicht.“

„Gab es bei Ihnen noch Verletzte oder Tote?“

„Nur ein paar Leichtverletzte, Ronco. Mike Fuller trägt einen Arm in der Schlinge, aber sein Sohn ist wieder wohlauf. Er will unbedingt Scout werden wie Sie. Sie haben ihn endgültig davon überzeugt, dass das seine wahre Berufung sei.“

„Es ist doch nur ein Job, lausig bezahlt. Zu schwer, glaube ich, für einen Mann in meinem Alter.“

„Aber Sie haben Ihren Job großartig erledigt, Ronco. Tim verehrt Sie wie einen Helden, und wir anderen wissen nicht, wie wir Ihnen danken sollen.“

„Ich wüsste schon wie“, sagte ich, und der Rücken tat mir plötzlich gar nicht mehr so höllisch weh. „Geben Sie mir einfach einen Kuss.“

Sie errötete. „Den habe ich Ihnen schon ein paarmal gegeben, aber da haben Sie es leider noch nicht gemerkt“, flüsterte sie.

Und sie schlang vorsichtig die Arme um meinen Hals und küsste mich. Und ich hatte dabei das Gefühl, dass er das Maß der Dankbarkeit bei weitem überstieg.

„Aber sag Mary nichts davon. Ich glaube, sie wäre schrecklich eifersüchtig, wenn sie etwas davon erfährt!“

Ich erzielte rapide Fortschritte mit meiner Genesung bis Bandera, weil ich abwechselnd heimlich von Mary und Kathy geküsst und verwöhnt wurde und es nie dem anderen Zwilling sagen durfte.

Nur Abigail und George Foner, ihre Eltern, wussten es, und sie gönnten es mir offenbar von Herzen, ohne jemals ein Wort darüber zu verlieren.

Ich hatte doch noch nicht meine erste Niederlage erlebt.

Aber sie war nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.


RONCO



In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker


Dietmar Kuegler


Der letzte Wagen






Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-171-7

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Der letzte Wagen


von Dietmar Kuegler


26. Oktober 1881.

Als ich anfing, dieses Tagebuch zu schreiben, war ich ein Mann, der vom Gesetz nichts zu erwarten hatte. Ich wollte Gerechtigkeit, und Gesetz und Gerechtigkeit sind zwei Paar Stiefel, die sich sehr voneinander unterscheiden. Das Gesetz ist nur Papier, und Papier ist geduldig. Es kann gekauft und zurechtgebogen werden, heute so und morgen so, wie es denen gerade passt, die die Macht dazu haben. Die Gerechtigkeit aber ist unteilbar.

Ich habe mir niemals vorstellen können, dass ich einmal jenes Gesetz vertreten würde, das für mich damals gleichbedeutend war mit Ungerechtigkeit, Falschheit und Korruption.

Und doch ist es so. Meine Meinung darüber hat sich in den Wochen, die ich den Ranger-Stern trage, nicht geändert. Aber ich habe gelernt, dass Gerechtigkeit eine Sache der Menschen ist, die das Gesetz vertreten. Bei den Rangern habe ich bis heute schon viele Männer kennengelernt, die denken wie ich.

Aber es gibt noch immer Männer, die reich und mächtig sind und daher meinen, sich nicht an Regeln halten zu müssen. Sie schaffen ihre Gesetze selbst.

Ich habe mein Tagebuch damals begonnen, um ein Dokument meiner Unschuld zu hinterlassen, denn ich war ein gejagter Mann. Inzwischen habe ich längst begriffen, dass es falsch wäre, jetzt damit aufzuhören, jetzt, da ich selbst den Stern trage und rehabilitiert bin.

Ein Mann wie ich wird niemals völlig rehabilitiert sein. Die Hoffnung, einmal Ruhe zu haben, habe ich aufgegeben. Es wird immer wieder Leute geben, die mir etwas am Zeug flicken wollen, weil ich ihnen auf die Füße trete. Ich kann einfach nicht anders. Wer jahrelang unschuldig verfolgt wurde und gegen eine ganze Welt kämpfen musste, um sein Recht zu erhalten, der verlernt es wohl, gegenüber wirklich großen Schuften den Mund zu halten, sich vor ihnen zu ducken.

Die meisten tun das. Auch die, die den Stern tragen. Ich gehöre nicht dazu. Für mich ist der Stern eine Verpflichtung, die ich ernstnehme. Denn genauso, wie ich schließlich meine Unschuld beweisen konnte, konnte ich die Schuld und die Verstrickungen all jener beweisen, die mich in die Gesetzlosigkeit gestoßen hatten. Alles hat seine Stunde, jeder stößt einmal an seine Grenzen.

Mein Tagebuch verhindert, dass ich die Vergangenheit vergesse, und hilft mir, die Gegenwart schärfer zu sehen. Und ich habe begriffen: Die Geschichte gleicht sich, auch die Menschen, die einem begegnen, gleichen sich. Es sind immer dieselben, die meinen, das Gesetz und alle menschlichen Regeln umgehen zu können. Während ich hier schreibe, denke ich daran, denn die Erinnerung beweist mir, dass man nie aufhören darf, gegen sie zu kämpfen. Sie sind alle zu besiegen. Aber man muss auf der Hut sein. Wer gegen sie ist, wird von ihnen verfolgt, manchmal über den Tod hinaus. Deshalb höre ich nicht auf, meine Geschichte weiterzuschreiben, und ich höre nicht auf, weiterzukämpfen.



1.


Elton spielte mit Shita auf dem Hof. Sie tobten herum. Shita hechelte, kläffte und sprang den Stöcken nach, die Elton warf.

Texas im Oktober 1865. Es war heiß. Die Sonne stand hoch. Ein Himmel ohne Wolken. Die weiten Ebenen dehnten sich zu den Horizonten. Der Westwind war schwach und atmete Erschöpfung und Dürre.

Der Sommer war fast vorbei. Die Tage würden nicht mehr lange so heiß sein. Sie waren bereits kürzer und die Nächte länger. Einmal hatte es schon Frost gegeben.

Elton war fünfzehn. Groß für sein Alter und mager. Ein Pickelgesicht mit langen blonden Haaren, etwas zu breitem Mund und blitzenden Augen.

Ich sah Shita und Elton am Brunnen vorbeirennen. Sie schienen um die Wette zu laufen. Elton stolperte und fiel der Länge nach hin. Shita stürzte sich auf ihn und beleckte mit wahrer Begeisterung sein Gesicht. Ich hörte Elton schreien und grinste.

Mistress Vandam brachte mir einen Teller mit Spiegelei und frischem Brot. In der linken Hand hielt sie eine große Kanne. Es duftete nach frisch geröstetem Speck und Kaffee.

Mistress Vandam war Eltons Mutter. Elsa Vandam: Mittel­groß war sie, kräftig, breite Hüften, starke Schultern, volle, fleischige Arme und kleine, schwielige Hände, die zupacken konnten.

Ihr Gesicht war rund und von rosiger Frische. Die Augen waren lebhaft und sahen alles, es entging ihnen nichts.

„Danke, Ma‘am“, sagte ich.

„Essen Sie nur, Ronco“, sagte sie.

Ihre Wangen glänzten so rot wie Paradiesäpfel. „Es tut Ihnen gut. Immer das eintönige Essen im Fort ist nichts für einen jungen Mann. Mögen Sie danach noch einen Apfel?“

„Gern, Ma‘am. Sie wissen gar nicht, wie recht Sie haben.“ Ich griff nach einer Gabel und schaufelte das Ei in mich hinein, während sie mir Kaffee in eine dicke Porzellantasse einschenkte. Zwischendurch hob ich den Kopf, mampfte und sagte mit vollem Mund: „Ich habe noch nie so gut und viel gegessen, bevor Sie sich hier niedergelassen haben.“

Das Kompliment schien ihr zu gefallen. Sie lächelte und bewegte sich durch den Aufenthaltsraum zu einer grob gezimmerten Truhe. Sie holte einen Apfel heraus. Er war grün und hatte ein paar rosige Flecken. Sie wischte ihn sorgfältig an ihrer geblümten Schürze ab, bis er glänzte wie eine Billardkugel.

Die Vandams waren seit sechs Wochen in dieser Gegend. Sie hatten eine kleine Station für die neue Postlinie aufgebaut, die seit zwei Wochen in Betrieb war und von Eagle Pass an der Mexiko-Grenze über Fort Calhoun, immer die Overlandstraße entlang, bis nach ­Corpus Christi am Golf von Mexiko und wieder zurück nach Eagle Pass führte. Von da aus ging es noch weiter nach Westen.

Seitdem war ich oft hier. Fort Calhoun war nicht der Nabel der Welt, hatte aber den militärischen Schutz für die neue Postlinie. Ich war froh, dass ich als Scout viel unterwegs sein und die Vandams immer wieder besuchen konnte. Sie waren eine Familie, die mir gefiel und bei der ich mich wohlfühlte.

Auch Shita fühlte sich hier wohl. Elton war geradezu verrückt nach ihm, und Elsa Vandam hatte jedes Mal für mich etwas zu essen. Sie war mütterlich um mich besorgt. Das war neu für mich, aber sehr angenehm.

„Elton bringt sich mit Shita noch um“, sagte sie. Sie stand am Fenster, nachdem sie mir den Apfel zum Tisch gebracht hatte. „Er will auch einen Hund, genauso einen wie Shita.“

„Ein Hund ist was Feines für einen Jungen“, sagte ich kauend. „Es ist sehr einsam hier. Elton braucht Gesellschaft.“

„Es wird sicher bald mehr Farmen hier geben“, sagte Mistress Vandam. „Die Postlinie zieht Siedler hierher, glauben Sie mir. Dann wird es irgendwann eine Stadt geben. Vielleicht sogar dort, wo jetzt Fort Calhoun liegt, und auch eine Schule wird es geben. Eine Schule ist wichtig. Mein Mann kann lesen, ich kann lesen und schreiben. Aber Elton soll einmal mehr können als nur das.“

„Bis dahin wird noch Zeit vergehen“, sagte ich. Ich trank einen Schluck Kaffee. „Bis dahin ist Elton ein Mann. Dann hat er selbst Kinder, und die können vielleicht in die Schule gehen.“

„Sie wissen sehr viel über das Land, obwohl Sie noch so jung sind, Ronco“, sagte sie.

„In diesem Land lernt man schnell, Ma‘am“, sagte ich. „Wer das nicht tut, wird hier nicht alt. Ich war schon mit zwölf Jahren ein Mann, und Elton wird es auch bald sein. Aber Elton hat Sie, und er hat seinen Vater. Ich hatte keine Eltern. Elton hat einen besseren Start.“

„Es tut mir sehr leid, Ronco.“

„Danke, Ma‘am, aber das ist nicht nötig. Damals, als ich es gebraucht hätte, war niemand da, der Mitleid hatte, und heute habe ich mich daran gewöhnt, allein zu sein. Ich hatte niemals Zeit, mich selbst zu bemitleiden oder darüber nachzudenken, was alles aus mir hätte werden können, wenn ich Vater und Mutter gehabt hätte. Ich musste sehen, wo es lang ging, und ich habe versucht, mich durchzuschlagen. Man soll sich nicht gegen etwas wehren, was nicht zu ändern ist, sondern versuchen, aus jeder Lebenslage das Beste herauszuholen.“

„Sie sind zwanzig, nicht wahr?“

„Neunzehn, Ma‘am“, sagte ich. Ich aß mein Spiegelei und kostete von dem Brot. Elsa Vandam backte das beste Brot, das ich je gegessen hatte.

„Sie sind nur vier Jahre älter als Elton“, sagte sie. „Wenn ich Sie ansehe, kann ich es kaum glauben.“

Ich antwortete nicht. Sie hatte recht. Ich hatte schon immer älter ausgesehen, als ich war. Jetzt war ich neunzehn und sechs Fuß groß. Früher war ich sehr hager gewesen, wie ein junger Wolf. Jetzt hatte ich etwas angesetzt. Ich war breiter geworden, aber ich schleppte kein Gramm Fett zu viel mit mir herum. Ich hatte schmale Hüften, mein Brustkorb war breit, meine Schultern muskulös, meine Arme kräftig und sehnig. Ich trug ein paar Narben an meinem Körper, und in mein Gesicht hatten sich ein paar scharfe Falten gekerbt. Die Sonne hatte meine Haut dunkel gebrannt, und das blonde Haar trug ich noch immer schulterlang wie damals, als ich noch zum Stamm der Chiricahua-Apachen gehört hatte. An der Hüfte hing rechts in einem Holster mein alter, zernarbter Navy-Colt, links trug ich ein Messer. Stets bedeckte ein dünner Bartflaum meine Wangen, denn ich hatte selten Gelegenheit, mich regelmäßig zu rasieren.

Es stimmte: Ich sah älter aus, ich fühlte mich auch älter. Mein bisheriges Leben und die vielen Erfahrungen hatten mich geprägt, innerlich und äußerlich.

Ich schob den leeren Teller zurück und kaute auf der Brotrinde herum, die knusprig und dunkel war und besonders würzig schmeckte, wie mir schien. Dann griff ich zur Tasse und trank.

Mistress Vandam kochte auch den besten Kaffee, den ich je getrunken hatte.

„Elton mag Sie sehr“, sagte sie. „Er möchte werden wie Sie, hat er gesagt.“

„Lieber nicht“, sagte ich.

„Er hält sehr viel von Ihnen“, erklärte sie. „Er sagt, er würde gern Ihr Freund sein.“

„Shitas Freunde sind auch meine Freunde“, sagte ich. „Wenn ich einmal Zeit habe, werde ich mit Elton auf die Jagd gehen.“

„Ich glaube, dass er dann für den Rest seines Lebens davon träumen wird“, meinte Mistress Vandam. „Er hat sich nur noch nicht getraut, Sie darum zu bitten, aber er redet schon lange davon.“

„Das Ei war ausgezeichnet, Ma‘am“, sagte ich. „Ihr Brot muss im Himmel gebacken worden sein, und für Ihren Kaffee würde ich tausend Meilen weit reiten.“

Sie strahlte über das ganze Gesicht, trat zum Tisch und räumte das Geschirr ab. Als sie damit in die Küche ging, bellte Shita draußen wieder.

Ich erhob mich. Alles hier im Raum duftete neu. Die Balken waren frisch geschält und hell, sie rochen nach Harz. Die Bodendielen waren blankgescheuert, genauso die Tische. Elsa Vandam war eine Frau, die auf Sauberkeit hielt.

Mister Henry Vandam war um diese Frau zu beneiden. Er war ein schweigsamer, vierschrötiger, fleißiger Mann, der in den wenigen Wochen, die die Familie hier war, nicht nur zusammen mit seiner Frau und einem Helfer, den die Postlinie hergeschickt hatte, das Stationshaus aufgebaut, sondern auch hinter dem Haus ein großes Feld abgesteckt hatte, auf dem er im nächsten Jahr Mais säen wollte.

Er arbeitete jetzt im Stall. Der Helfer, den die Postlinie geschickt hatte, war längst wieder weg. Es gab aber noch viel zu tun, und ich hatte noch keinen Tag erlebt, an dem Henry Vandam die Hände in den Schoß gelegt hätte.

Außer natürlich am Sonntag, denn die Vandams waren gottesfürchtige Leute. Sonntags zogen sie ihre besten Kleider an und fuhren nach Fort Calhoun hinüber, mit einem klapprigen Einspänner, der von einem altersschwachen grauen Hengst gezogen wurde. In Fort Calhoun wurde sonntags eine Messe gelesen, und ich hatte es seit sechs Wochen nie erlebt, dass die Vandams eine Messe versäumt hatten.

Sie hatten schnell Freunde gewonnen, obwohl die Nachbarn sich hier nur selten sahen. Westlich von Fort Calhoun gab es nur wenige Farmen. Die meisten Siedler hatten sich östlich des Forts im Gebiet am Rio Doro niedergelassen. Aber jeder kannte die Vandams.

Fort Calhoun war von Vandams Station gut zehn Meilen entfernt, vom Farmgebiet am Rio Doro fast dreißig. Aber ab und zu trafen einzelne Farmer die Vandams im Fort. Dann wurde über Gott und die Welt geredet.

Sonntags, nach der Messe, tauschten die Frauen Kochrezepte aus, und manchmal brachte Mistress Vandam selbstgebackenen Kuchen oder Plätzchen mit ins Fort. Für Colonel Hampton Lester, den Kommandanten, für irgendeine Siedlerfamilie, in der jemand krank war, und natürlich für mich. Ich teilte das Gebäck immer mit Jicarilla, dem zweiten Scout, und der spülte es mit Brandy hinunter. Allein der Gedanke daran ließ mich schauern.

Colonel Lester hatte einmal gesagt: „Hundert Leute wie die Vandams, und diese Wildnis wäre ein zivilisiertes Paradies.“

Er konnte damit durchaus recht haben, zumal die Vandams sich in einem Punkt von vielen Siedlern unterschieden: Sie waren keine Indianerhasser. Wenn sich ein paar Apachen bis auf Vandams Station trauten, erhielten sie von Mistress Vandam ein Stück Kuchen und von Henry Vandam eine Handvoll Tabak und zogen friedlich wieder ab.

Die Vandams hatten auch keine Angst vor Indianern. Das mochte daran liegen, dass sie ihr halbes Leben in Gegenden zugebracht hatten, in denen es keine Indianer mehr gab. Keine richtigen Indianer jedenfalls, nur solche, die lethargisch an den Straßenecken der Städte hockten und um ein paar Cents bettelten, die sie dann sofort in Schnaps umsetzten.

Ich hatte die Vandams gewarnt und ihnen gesagt, dass es nicht nur friedliche Indianer in unserer Gegend gäbe. Aber in den Indianerlagern am Rio Doro waren sie mittlerweile genauso bekannt und beliebt wie in Fort Calhoun.