2726_Das_Massaker_epub.jpg



9.


Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einer Höhle, die mindestens vierzig Meilen von Fort Calhoun entfernt sein musste.

Ein Mann beugte sich über mich, der kein Gesicht hatte, nur eine Maske mit Augenschlitzen und Nasenlöchern.

Ich konnte das nicht begreifen. Entweder hatte ich den Berg des Colina del Oro in der Wüste von Sierra del Burro nie verlassen. Dann musste mein Prozess ein Fieber­traum gewesen sein, der mich davor gewarnt hatte, ins Fort zurückzukehren. Oder ich träumte von dieser Höhle und lag in Wirklichkeit noch auf meiner stinkenden Pritsche in der Todeszelle von Fort Calhoun. Dann war meine Befreiung auch nur ein Wunschtraum, und ich musste rasch wieder die Augen schließen, um nicht in eine grausame Gegenwart zurückkehren zu müssen.

Ich hatte aber meine Augen bereits geöffnet, und Mascara bewegte sich über mir, als hätte ich von einem Galgen wirklich nichts mehr zu befürchten.

„Sie haben mehr Glück als Verstand“, sagte der ehemalige Texas Ranger mit seiner kehligen dunklen Stimme und den merkwürdigen, lispelnden Verschlusslauten, weil er keine Lippen mehr hatte, mit denen er sie korrekt formen konnte. „Ich glaubte nicht, dass wir uns noch einmal sehen würden.“

„Wo ist Jicarilla?“, fragte ich mühsam.

„Das Halbblut, das Sie aus dem Schlangennest herausgeholt hat?“

„Mein bester Freund, ja. Wo ist er?“

„Nur keine Aufregung, mein Freund. Er hat Sie auf ein Pferd geladen und ist in die einzige Richtung geflüchtet, die Ihnen noch offenstand als zum Tode Verurteilter. Nach Mexiko.“

„Und ich ...“

„Sie haben eine Kugel in der Hüfte eingefangen. Eine Erinnerung an Ihre Tage bei der Armee in Fort Calhoun. Möge die Narbe Sie immer daran erinnern, dass Sie weglaufen müssen, wenn Sie einen Blaurock in Ihrer Nähe auftauchen sehen.“

„Ich denke nicht daran, vor den Blauröcken wegzulaufen!“, erwiderte ich grimmig. „Einer von ihnen ist ein Verräter. Und ich werde nicht eher ruhen, bis er seine gerechte Strafe erhält.“

„Ihr bester Freund, das Halbblut, hat mich davor gewarnt, Sie auch nur einen Schritt aus meinem Bau heraus­zulassen: Er meinte, Sie würden mit offener Wunde über den Rio Grande reiten und Fort Calhoun stürmen, damit die Gerechtigkeit siegt. Er meint, Sie seien ein unverbesserlicher Optimist!“

„Solche Worte gebraucht Jicarilla nicht, Mascara!“

„Ich übersetze sie nur in Ihre Sprache. Lassen Sie mich nachdenken. Er sagte, wortwörtlich: ,Richten Sie ihm aus, wenn er aus seinem Tiefschlaf erwacht, dass die Armee auf ihn Jagd macht wie auf einen tollwütigen Coyoten. Er soll in Mexiko bleiben und sich dort verkriechen wie ein Erdferkel. Wahrscheinlich wird er das nicht tun, weil er ein Hornochse ist. Er glaubt, dass er nicht leben kann mit dem Ruf eines Verräters und eines zum Tode Verurteilten. Statt seinen Namen zu wechseln, wird er alles tun, um seinen alten Namen, der auch nicht sein richtiger ist, von jedem Makel reinzuwaschen. Er glaubt, dass die Gerechtigkeit am Ende siegen müsse. Kaum ist er wieder gesund, rennt er zurück nach Texas und kämpft gegen Windmühlen. Ich kenne ihn in- und auswendig. Er wollte mir ja auch mit Gewalt das Trinken abgewöhnen. So etwas kann nur ein unverbesserlicher Weltverbesserer versuchen.“

„Jicarilla muss sehr nüchtern gewesen sein, wenn er so viel und so klug über mich gesprochen hat“, sagte ich gerührt.

„Er war stinkbesoffen.“

„Das ist bei ihm dasselbe.“ Ich versuchte mich, auf dem Felllager aufzurichten. Aber als ich einen stechenden Schmerz in der Hüfte spürte, gab ich es wieder auf.

„Wie kam ich hierher?“, fragte ich.

„Auf einem Travois. Jicarilla hatte vier Pferde zur Verfügung, und deshalb konnte er Sie auf zwei langen Stangen hinter sich herschleifen. Zum Reiten hätte er Sie nicht bewegen können. Nicht mit einem Stück Blei in der Hüfte.“

„Er war selbst verwundet. Wie hat er das nur geschafft?“

„Oh!“ Mascara verzog seine verbrannten Lippen zu einem gespenstischen Lächeln. „Sie haben offenbar mehr Freunde in der Not, als Sie ahnten. Und da sagt man doch immer, dass gerade in Kriegszeiten Freunde so rar sind wie das Wasser in der Wüste. Vielleicht kommt es daher, dass die Apachen darüber froh sind, dass die Yankee-­Soldaten in Fort Calhoun gleich zwei Scouts auf einmal verloren haben. Und wie ich hörte, die beiden besten Scouts zwischen dem Rio Grande und dem Yellowstone River.“

„Er hatte noch mehr Apachen zum Fort mitgebracht?“, fragte ich betroffen. „Ich dachte, es waren nur zwei!“

„Er hatte noch ein paar in Reserve. Das heißt ...“

„Was heißt das?“, fragte ich misstrauisch.

„Ich habe mir erlaubt, auch ein wenig mitzuhelfen, Ronco. Ich gehe nicht gern auf das amerikanische Ufer des Rio Grande hinüber. Aber nachts, wenn alle Katzen grau aussehen, kann ich das mit meinem Gesicht schon mal riskieren.“

„Sie also auch?“

„Ich kenne Ta-pe und Little Raven sehr gut. Es wird Ihnen natürlich nicht gefallen, dass ich ihnen ein kleines Geschenk überreicht habe. Etwas, was die beiden Häuptlinge dringend brauchen. Aber leider konnte ich sie damit auch nicht bewegen, mir die Namen des Verräters in Uniform zu verraten, Ronco.“

„Jicarilla hat mir davon kein Wort gesagt.“

„Er meinte, Sie brauchen nicht alles zu wissen. Wir haben uns in Little Ravens Kriegszelt in den Bergen westlich von Eagle Pass kennengelernt.

Wir sind wohl beide gleichzeitig auf den gleichen Gedanken verfallen, dass nur ein paar Apachen Sie noch aus der Todeszelle herausholen können.“

„Teufel, Mascara, das haben Sie alles für mich getan, ohne mich eigentlich zu kennen. Ich meine, nicht richtig ...“

„Unsinn. Freund. Man tut, was man kann. Ich habe Ihnen doch gleich gesagt, was Sie in Fort Calhoun erwarten wird. Als ich sah, dass Sie von dem kleinen Rancho aus direkt zum Rio Grande ritten, dachte ich mir, der Junge rennt ins offene Messer. Und als Unschuldiger am Galgen zu sterben, das haben Sie wahrhaftig nicht verdient.“

„Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann, Mascara!“

Seine dunklen Augen funkelten. „Sie werden mein Partner und bleiben hier in Mexiko. Sie wechseln Ihren Namen, und ich färbe Ihnen die Haare schwarz. Ich verwandle Sie in einen Mexikaner, und Sie werden sich selbst nicht wiedererkennen. Ich verstehe mich auf so was.“

Ich lächelte schwach. Ich wusste, was ich zu tun hatte, wenn meine Wunde wieder verheilt war. Ich würde genau das tun, was Jicarilla mir prophezeit hatte. Aber ich wollte Mascara nicht enttäuschen. Nicht jetzt.

Also nickte ich nur gedankenverloren und sagte: „Die Kugel, steckt sie noch im Knochen?“

„Die habe ich Ihnen schon vor ein paar Tagen herausoperiert, Ronco.“

„Vor Tagen?“ Ich blickte ihn verwundert an. „Wie lange bin ich denn hier?“

„Fast eine Woche.“ Mascara grinste hinter seiner Maske. „Ich hatte Jicarilla gesagt: Wenn er nicht frei­willig mitkommt, gibst du ihm mit einem Colt eins über den Schädel.“

„Das hätte er beinahe getan.“

„Und wenn er erst mal aus dem Fort heraus ist, sagte ich zu ihm“, fuhr Mascara fort, „und sich sträubt, sich nach Mexiko in Sicherheit zu begeben, habe ich noch ein Mittel, ihn dazu zu überreden. Aber der Schuss in die Hüfte, Ronco, hat dafür gesorgt, dass ich Sie nicht erst überreden musste.“

„Hm“, sagte ich nachdenklich, „ich war bewusstlos. Aber ich kenne die Wirkung eines Travois. So ein Stangenschlitten, der von vier Pferden über Stock und Stein geschleift wird, ist ein Folterinstrument für Verwundete. Ich habe schon Häuptlinge vor Schmerzen weinen sehen, als sie verwundet mit so einem Schlitten vom Kampfplatz abtransportiert wurden. Häuptlinge, die bei einer Folterung nicht einen Ton von sich gegeben hätten!“

„Richtig, mein Junge. Ich habe Ihnen vorher eine Flasche mit Mohnsaft in den Magen geträufelt. Mit Hilfe eines kleinen Bambusrohres mit Gummimundstück. Opium ist ein hervorragendes Schmerz- und Schlaf­mittel. Es gibt kein besseres.“

„Sie haben mich also regelrecht entführt, Mascara. Mit allen Tricks eines Banditen.“

Sein Mund wurde hart. „Ich habe nur von den Banditen gelernt, die meine Frau und meine Kinder auf dem Gewissen haben. Die Mädchen, die von diesen Verbrechern entführt und an Freudenhäuser verkauft wurden, wollten auch nicht freiwillig mitkommen. Sie wurden mit Mohnsaft eingeschläfert.“

„Nun“, sagte ich, „wenn Sie und Jicarilla nicht gewesen wären, würden mich jetzt schon die Geier am Galgen fressen.“

„Wahrscheinlich“, sagte er. „Höchstwahrscheinlich. Ich hätte auch Jicarilla gern hierbehalten. Aber er wollte nichts davon hören. Er ist wieder drüben in Texas. Die Wunde am Arm war nur ein Kratzer.“

„Wo ist er?“

„Er hilft Little Raven. Nicht als Scout, sondern als Berater. Er hat ja lange genug bei der Armee gedient, um den Kriegshäuptlingen der Chiricahua Ratschläge geben zu können, wie man die Yankees zu packen hat.“

„Er ist also doch zum Verräter geworden“, murmelte ich nachdenklich.

„Nein, Ronco. Er hat sich nur auf sein rotes Erbteil besonnen. Die Niedertracht, mit der man Sie im Fort Calhoun behandelte, hat ihn tief getroffen. Das hat den Weißen in ihm getötet. Ich glaube, wenn Sie ein halber Indianer wären, hätten Sie sich auch so entschieden wie er.“

„Vielleicht.“ Ich schüttelte nach einer kurzen besinnlichen Pause den Kopf. Ich spürte das Opium in meinem Blut. Alles schien wie hinter einem rosigen Schleier versteckt zu sein, entrückt und seltsam verklärt, als wäre ich wirklich gestorben und sähe aus einer großen luftigen Höhe auf das Treiben der irdischen Welt hinunter. Ich lachte, obwohl ich voll Bedauern und Bitterkeit an Jicarillas Zukunft dachte. Er hatte sich mit den Apachen identifiziert und würde mit ihnen zugrunde gehen. Daran gab es keinen Zweifel mehr. Die Soldaten von Fort Calhoun würden ihn genauso erbarmungslos jagen wie mich.

„Ich weiß nicht, wie er ohne seinen Schnaps Little Raven auch nur einen brauchbaren Vorschlag machen könnte, Mascara.“

„Dafür habe ich gesorgt.“ Mascara deutete auf seine Waffenregale, die gegenüber seiner Schlafnische an der Höhlenwand aufgebaut waren. Ich entdeckte, dass zwei Fächer leergeräumt waren. „Die Waffen, die dort fehlen, habe ich Little Raven geschenkt. Die Whisky­flaschen, die in meiner Anrichte dort drüben lagerten, hat Ihr zweiter Scout erhalten. Sie werden solange reichen, bis die beiden in die Ewigen Jagdgründe einreiten.“ Mascara seufzte. „Sie werden sich nicht lange halten können gegen die Yankee-Armee. Das wissen Sie genauso gut wie ich.“

„Und weshalb haben Sie dann ...?“

Er unterbrach mich mit einer schroffen Handbewegung.

„Little Raven wird mit meinen Gewehren nicht auf Frauen und Kinder schießen, weil es keine Frauen und Kinder mehr im Aufstandsgebiet gibt, Ronco. Wenigstens keine weißen Frauen und Kinder mehr. Er wird damit die roten Frauen und Kinder verteidigen. Und Jicarilla wird ihm dabei helfen!“

Ich sagte nichts mehr. Die Wirkung des Opiums überwältige mich. Ich hörte seine letzten Worte nur noch aus weiter Ferne. Dann musste ich wieder eingeschlafen sein.


*


Nach einer Woche war ich soweit hergestellt, dass ich mit Mascara zusammen nachts wieder kurze Steifzüge in die Umgebung unternehmen konnte.

Ich ritt ein Indianerpony wie Mascara. „Die mexikanischen Rurales fürchten im Augenblick nichts mehr als die Apachen“, meinte mein maskierter neuer Freund grimmig. „Nichts jagen sie lieber als einen zum Tode verurteilten Gringo, den sie den Yankees ins Haus liefern möchten.“

„Weshalb?“

„Ich hörte ein Gerücht, Ronco, dass man eine hohe Belohnung auf Ihren Kopf gesetzt hat.“

„Wie viel?“

„So viel, dass sich ein mexikanischer Gendarm davon ein Haus kaufen könnte. Und eine hübsche Frau dazu.“

Ich schwieg. Ich hatte ihn eigentlich bitten wollen, unsere Streifzüge bis zum Rio Grande auszudehnen. Aber vielleicht war es doch klüger, noch damit zu warten. In Mascaras Berghöhle war ich zwar so gut wie lebendig begraben, doch das war immer noch besser, als in der Mittagssonne an einem Strick zwischen Himmel und Erde zu schweben.

Doch meine Ungeduld und Rastlosigkeit nahmen von Tag zu Tag zu. Ich hörte von Truppenbewegungen am Eagle Pass und von ein paar unentschiedenen Gefechten am Eagle Horn und in den Carrizos. Ich musste immerzu an Jicarilla denken, der sich auf die Seite der Verlierer hatte schlagen müssen, um mein Leben zu retten.

Vielleicht konnte ich ihn auch mit so einem kleinen Trick, wie ihn Mascara bei mir angewandt hatte, über den Rio Grande nach Mexiko verschleppen und in unserem Berg verstecken, bis Gras über die Sache wuchs!

Über was sollte jetzt noch Gras wachsen? dachte ich gequält. Jicarilla und ich gehörten zu den Outlaws. Daran würde sich nichts ändern, bis ich vor der Armee und der Öffentlichkeit in den Vereinigten Staaten rehabilitiert war.

Bis ich dieses Ziel erreichte, konnten Monate ins Land gehen. Ich ahnte noch nicht, dass es viele Jahre dauern würde, bis ich dieses Ziel erreichte. Mehr als zehn schreckliche, entbehrungsreiche Jahre.

Dann musste ich eben dafür sorgen, dass Jicarilla nicht zusammen mit den Chiricahua für das Massaker im ­Halcon Canyon bestraft wurde. Er hatte damit nichts zu tun. Er sollte auch nicht für das Verbrechen anderer büßen, genauso wenig wie ich. Ich musste ihn in unser Bergversteck verschleppen, bis der Aufstand der Apachen niedergeschlagen war. Und dann wollten wir weitersehen. Das verstand ich darunter, dass erst einmal „Gras über die ganze Sache wachsen“ sollte.

Und dann, eines Nachts, als wir fast bis zum Rio Grande vorstießen, traf ich unvermutet mit Jicarilla zusammen.

Mascara entdeckte ihn. Vielmehr entdeckte er noch vor mir das Mesquitegebüsch am Rande des Rio-Grande-Tals, aus dem ein merkwürdiger Geruch aufstieg. Es roch nach warmer Asche und billigem Kornwhisky und verbranntem Fleisch.

Mascara hielt mich mit einer kurzen, energischen Handbewegung zurück und ritt in die dunklen Zweige der mannshohen Büsche. Ich sah die vielen Hufspuren, die den Hügel hinauf- und wieder hinunterführten. Eine Patrouille von drüben war hier auf das mexikanische Ufer des Rio Grande vorgedrungen.

Ich hatte plötzlich einen ekelhaften Geschmack im Mund und einen ganz trockenen Hals. Ich kannte die Hufabdrücke. Eisen aus der Schmiede von Fort Calhoun.

Nach einer Weile tauchte Mascara wieder zwischen den dunklen Zweigen des Gestrüpps auf. Er führte sein Pony am Zügel. In seiner hellen Gesichtsmaske konnte ich natürlich nicht lesen, was in ihm vorging. Ich sah es nur in seinen Augen, die merkwürdig starr und leblos wirkten.

„Ich hätte Little Raven noch viel mehr von meinen Gewehren und meinen Patronenvorräten schenken sollen“, sagte er erbittert. „Und Jicarilla so viel Whisky, wie ich für mein Geld in Corrida ...“ Seine Stimme riss ab. Seine Lippen wurden zu einem Strich. „Wir werden ihn in unserem Berg begraben, Amigo.“

Da wusste ich es. „Jicarilla.“

„Sie haben ihn verfolgt bis hierher. Und dann haben sie ihn gefoltert. Sie haben ihn schlimmer behandelt, als die Apachen es tun würden! Sie wollten wahrscheinlich aus ihm herausbringen, wo du dich versteckt hältst.“

„Mein Gott“, flüsterte ich erschüttert, „was haben sie mit ihm angestellt?“

„Ich sage es dir lieber gleich, damit du darauf vorbereitet bist. Sie haben die Glut benutzt, um ihn zu foltern. Dann haben sie ihn skalpiert und auf seinen nackten Schädel ein Plakat geklebt.“

„Was für ein Plakat?“, fragte ich heiser.

„Einen noch druckfrischen Anschlag der Armee der Vereinigten Staaten, dass fünftausend Dollar auf deine Ergreifung ausgesetzt sind. Fünftausend Dollar zahlen die Blauröcke Kopfprämie für dich. Tot oder lebendig. Das bist du ihnen wert.“

„Dann hat er nichts verraten“, sagte ich erschüttert. „Die Patrouille wäre sonst nicht mehr auf das amerikanische Ufer zurückgekehrt!“ Ich deutete auf die Spuren im Sand. Sie verschwammen plötzlich vor meinen Augen.

„Du gehörst jetzt auch offiziell zu den Geächteten und Gejagten, Ronco. Jeder Sheriff, jeder Marshal, jeder Kopfgeldjäger wird dieses Plakat lesen und sich die Prämie verdienen wollen. Ich glaube, erst von jetzt an wird es zwischen uns beiden eine echte Partnerschaft geben. Ich werde dir die Haare schwarz färben und dir einen anderen Namen aussuchen. Ich werde deine Haut mit Walnussöl behandeln und deine Augen mit einer Tinktur, damit die Regenbogenhaut fast so dunkel wird wie deine Pupillen! Ich werde ...“

Ich ließ ihn reden, weil ich ihn nicht kränken und nicht enttäuschen wollte. Ich wusste, dass Mascara auf die gleiche Weise enden würde wie der tapfere, treue Amigo, der verstümmelt zwischen den Mesquite­büschen lag.

Fünftausend Dollar waren ein Vermögen. Dafür würde mich wahrscheinlich sogar eins der Mädchen auf dem Rancho an die Yankees verkaufen, das keine fünf Meilen von Mascaras Schlupfwinkel entfernt lag. Denn die Belohnung war für die Ergreifung eines Verräters ausgesetzt, und keiner außer Mascara und mir wusste, dass ich unschuldig war.

Jeder, der von nun an mit mir in Berührung geriet oder mir Asyl gewährte, war seines Lebens nicht mehr sicher. Ich wusste, was ich zu tun hatte.

Ich musste zurück in die Vereinigten Staaten und darum kämpfen, dass dieser schändliche Steckbrief wieder von Anschlagtafeln der Sheriff-Büros und Marshal-Offices verschwand. Ich musste dafür sorgen, dass mein Todesurteil wieder zurückgenommen wurde und Plakate gedruckt wurden, die meine Unschuld verkündeten.

Das war ich Jicarilla schuldig.

Das war ich allen schuldig, die mir geholfen hatten und noch helfen würden.

Und am meisten war ich es den Toten schuldig, die im Halcon Canyon einem gemeinen Verrat zum Opfer gefallen waren.

Denn wer das Unrecht duldet, verdient keine Gerechtigkeit.

Jicarillas Tod war das Vermächtnis und der Auftrag für mein neues Leben als Geächteter.

Lieber untergehen als Unrecht tun oder sich der Gewalt beugen.


RONCO



In dieser Reihe bisher erschienen

2701 Dietmar Kuegler Ich werde gejagt

2702 Dietmar Kuegler Der weiße Apache

2703 Dietmar Kuegler Tausend Gräber

2704 Dietmar Kuegler Apachenkrieg

2705 Dietmar Kuegler Das große Sterben

2706 Dietmar Kuegler Todesserenade

2707 Dietmar Kuegler Die Sonne des Todes

2708 Dietmar Kuegler Blutrache

2709 Dietmar Kuegler Zum Sterben verdammt

2710 Dietmar Kuegler Sklavenjagd

2711 Dietmar Kuegler Pony Express

2712 Dietmar Kuegler Todgeweiht

2713 Dietmar Kuegler Revolvermarshal

2714 Dietmar Kuegler Goldrausch

2715 Dietmar Kuegler Himmelfahrtskommando

2716 Dietmar Kuegler Im Fegefeuer

2717 Dietmar Kuegler Die Ratten von Savannah

2718 Dietmar Kuegler Missouri-Guerillas

2719 Dietmar Kuegler Höllenpoker

2720 Dietmar Kuegler Das Totenschiff

2721 Dietmar Kuegler Der eiserne Colonel

2722 Dietmar Kuegler Der Feuerreiter

2723 Dietmar Kuegler Die Ehre der Geächteten

2724 Dietmar Kuegler Der letzte Wagen

2725 Dietmar Kuegler Die Händler des Todes

2726 Dietmar Kuegler Das Massaker


Dietmar Kuegler


Das Massaker






Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-173-1

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Das Massaker


von Dietmar Kuegler


10. Februar 1882.

Gerade habe ich noch einmal gelesen, was ich zuletzt in mein Tagebuch geschrieben habe. Stichwortartig, mit wenigen Sätzen schreibe ich alles nieder, was mir im Verlauf meines Lebens bislang widerfahren ist. Ich hoffe, dass diejenigen, die diese Aufzeichnungen eines Tages lesen, vor allem natürlich die für die sie bestimmt sind, verstehen werden, was für Empfindungen hinter meinen knappen Beschreibungen stehen.

Ich bin froh, gerade jetzt weiterschreiben zu können, denn nachdem ich meine letzten Eintragungen überflogen habe, fühle ich mich innerlich aufgewühlt und erregt.

Alles steht wieder vor mir, wie es damals war, im Sommer 1866 im südlichen Texas: die hungernden Apachen in der Reservation am Rio Doro, die zynische Erpressungspolitik der Indianerbehörden, der schamlose Betrug und Vertragsbruch durch weiße Beamte und der Mord an dem alten Häuptling Taglio, jenem Mann, der mäßigend gewirkt und trotz aller empörenden Begebenheiten immer zum Frieden und zur Geduld gemahnt hatte.

Der weise Führer war tot, und der Mord an ihm war der letzte Anstoß für die folgenden grauenvollen Ereignisse, die für mich von ganz besonderer schicksalhafter Bedeutung waren.

Die Geschehnisse überstürzten sich. Ich hatte keinen richtigen Überblick mehr. Zuviel geschah zur selben Zeit. Hinzu kam, dass ich damals die Hintergründe nicht alle kannte, die ich im Verlauf von Jahren schließlich herausfand.

Ich habe nichts vergessen, keinen Tag, nichts, dessen Zeuge ich wurde. Am Ende war ich auch der Leidtragende, aber davon ahnte ich am Anfang nichts. Ich war voller Wut über die demütigende Behandlung, die dem Stamm Taglios zuteilgeworden war, erbittert und verzweifelt über den Mord an dem alten Häuptling. An mich dachte ich dabei zuletzt. Mich betraf das alles ja nur insoweit, als ich Informationen zusammenzutragen und Schlüsse daraus zu ziehen hatte. Ich dachte nicht daran, dass ich mit meinen Aktivitäten in den zurückliegenden Monaten einigen Leuten ziemlich auf die Nerven gegangen war. Ich hatte in ein Wespennest gestochen. durch die Ausschaltung eines einflussreichen Beamten des Innenministeriums, der mit den Indianerhändlern zusammengearbeitet hatte, hatte ich mir die Männer, die mit schmutzigen Geschäften an der Grenze ihr Geld verdienten, zu Feinden gemacht. Trotzdem hielt ich es nicht für möglich, zur Zielscheibe eines Komplotts zu werden. Ich hielt mich für zu unbedeutend, für zu klein.

Obwohl ich nach allem, was passiert war, nur wenig Hoffnung hatte, dass sich an der verfahrenen Situation noch etwas ändern ließ, ging ich mit großem Eifer daran, nach dem Mörder von Taglio zu suchen. Ich war dabei sicher, dass es keiner der Farmer aus dem Rio-Doro-Gebiet gewesen war.

Ich lief einer Illusion nach. Heute weiß ich, dass ich die Entwicklung der Dinge auch dann nicht hätte aufhalten können, wenn ich den Mann gefunden hätte und er vor ein Gericht gestellt worden wäre. Es war nichts mehr zu ändern. Alles nahm seinen Lauf.



1.


Die Feuerstelle war kalt. Der Westwind stieß hinein und wirbelte die zu Staub zerfallene graue Asche hoch und mit sich fort. Nur die großen Feldsteine, die zu einem Kreis um die flache Mulde gelegt worden waren, in der das Feuer gebrannt hatte, blieben liegen. Sie waren an den Innenseiten rußgeschwärzt.

Der Wind verwehte auch die übrigen Spuren, die die Männer hinterlassen hatten, die hier gelagert hatten. Ich schätzte, dass das Lager vor zwei oder drei Tagen abgebrochen worden war.

Ich saß müde im Sattel und blickte mich um. Busch­bewachsene Hügel buckelten sich in der Nähe, keine dreißig Yards entfernt begann ein dicht verfilzter Waldgürtel. Das Land war karg, der Boden hart. Das Gras, das hier wuchs, war braun. Bei den meisten Pflanzen handelte es sich um Stachelgewächse, mannshohe Yuccapflanzen und hier und da etwas bunten Salbei.

Zehn Meilen hinter der mexikanischen Grenze: Ich hatte das Lager der Waffenschmuggler gefunden, aber sie waren ausgeflogen. Bis vor zwei oder drei Tagen hatte hier noch jener Mann gelebt, der Taglio auf dem Gewissen hatte. Ich fragte mich, was für ein Mann das war, der es fertigbrachte, einen steinalten, nahezu hilflosen Mann aus dem Hinterhalt abzuknallen.

Ich musste mich in Acht nehmen. Nicht nur vor den Schmugglern, die sich noch in der Nähe aufhalten konnten, auch vor Patrouillen der Federales oder der Rurales. Ich war ein großes Risiko eingegangen, und wenn ich geschnappt wurde, landete ich in einem ­mexikanischen Kerker, wenn ich nicht gleich erschossen wurde.

Ich zog mein Spencer-Gewehr aus dem Scabbard und glitt etwas steifbeinig aus dem Sattel. Langsam ging ich umher und betrachtete die verbliebenen Spuren. Neben der Feuerstelle blieb ich stehen.

Unweit davon mussten zwei Zelte gestanden haben. Daneben entdeckte ich die Abdrücke von Wagenrädern im Boden.

Der Wagen war offenbar schwer beladen gewesen. Die Abdrücke der Räder waren tief. Es war die am besten erhaltene Fährte im Camp. Ich brauchte nicht viel Fantasie, um mir vorzustellen, was der Wagen geladen hatte.

Hier war nichts mehr zu holen. Ich vergeudete meine Zeit. Seit ich die Grenze überschritten hatte, nagte in mir das Gefühl, dass das, was ich tat, sinnlos war. Ich weigerte mich lediglich, es mir einzugestehen und verdrängte die düsteren Gedanken. Aber sie kehrten beharrlich wieder zurück.

Ich schwang mich in den Sattel und trieb meinen Hengst an. Das Pferd war genauso müde wie ich. Aber ich konnte weder ihm noch mir eine Pause gönnen.

Ich ritt an der kalten Feuerstelle vorbei und versuchte, der Fährte des Wagens zu folgen. Die Hufspuren der Reiter, die ihn begleitet hatten, waren kaum noch zu erkennen. Ein Stück nordöstlich des Camps wurde auch die Wagenfährte zusehends schwächer, der Boden wurde härter. Ich gab dennoch nicht auf.

Mir war klar, wohin der Weg der Reiter geführt hatte, und ich dachte an die Apachen in der Reservation. Bitterkeit stieg in mir auf. Warum begriffen sie nicht, auf was sie sich einließen?

Auf dem Wagen lagen Waffen, und diese Waffen würden bald in der Reservation sein. Vielleicht war es zu viel verlangt, dass die Krieger ruhig und überlegt handeln sollten. Nach allem, was ihnen widerfahren war, konnte ich sie verstehen. Was ich nicht verstand, war, dass sie sich von denselben Leuten Waffen liefern ließen, die sie in einen Aufstand trieben. Dass sie mit den Männern einen Pakt abschlossen, die Schuld an ihrem elenden Zustand waren und die nur ein Interesse hatten: Die in die Enge getriebenen Stämme in den Untergang zu schicken.

Die Mörder des alten Taglio lieferten dem Stamm des Häuptlings Waffen. Es war eine bittere Ironie. Resig­nation erfasste mich.

Ich folgte der Fährte des Wagens dennoch, nur, um mir selbst zu bestätigen, dass meine Vermutungen zutrafen. Mir war längst klar, dass ich nichts mehr ändern konnte.

Der Wagen war auf die Grenze zugerollt. Die Fährte führte in gerader Linie auf die Reservation der Apachen zu.

Ich ritt Stunde um Stunde. Der Boden wurde immer steiniger. Unvermittelt hörte die Spur auf. Der Rio Grande war nahe. Ich fand die Fährte nicht mehr. Trotzdem gab es für mich nur noch wenige offene Fragen.

Ich zog mein Pferd herum. Die Waffen auf dem Wagen waren längst am Ziel. Die Männer, die das alles eingefädelt und ausgeführt hatten, waren bestimmt nicht mehr in meiner Reichweite. Sie hatten es wahrscheinlich vorgezogen, ein Gebiet, in dem die Luft nach Krieg schmeckte, schleunigst zu verlassen. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan und konnten der Entwicklung ihren Lauf lassen.

Auch der Mörder Taglios war fort.

Ich gab auf. Was sollte ich tun? Ich war an meine Grenzen gestoßen und hatte feststellen müssen, wie machtlos ich im Grunde war und wie wenig Vernunft ausrichten konnte. Nicht einmal Taglios Mörder konnte ich zur Verantwortung ziehen. Mir blieb nichts weiter, als nach Fort Calhoun zurückzureiten und zu melden, was ich gesehen hatte.

Als ich den Rio Grande durchfurtete und wieder amerikanischen Boden erreichte, ging die Sonne unter.

Heiße Luft lag wie ein unsichtbarer Schleier über der Ebene. Es regte sich kein Windhauch. Nur nach und nach wurde es kühler. Ich merkte es kaum. In Gedanken versunken ritt ich weiter. Noch weigerte ich mich, an das Schlimmste zu denken. Noch glaubte ich, auf irgendeine Weise die Indianer besänftigen und den Frieden bewahren zu können. Aber mir war klar, dass hierzu der erste Schritt von der Armee und von den Indianerbehörden ausgehen musste. Ich zweifelte nur daran, ob es dazu kommen würde. Die begriffen nichts. Die waren gefangenen in ihrer bürokratischen Lebenswelt, die von der Wirklichkeit so weit entfernt war wie der Mond. Dunkelheit umfing mich, und ich achtete kaum auf meinen Weg.


*


Als ich das langgestreckte Stallgebäude von Fort ­Calhoun verließ, lag die Mittagshitze brütend über dem Exerzierplatz. Ich sah nur ein paar Posten auf den Palisaden. Vor dem Handelsposten im Fort stand ein halb beladener Farmwagen. Fango, der große Schwarze, der im Store arbeitete, hatte sich unter dem Wagen verkrochen, lag dort im Schatten zusammengerollt und schlief wie ein Maulwurf.

Ich schlenderte über den Exerzierplatz zu den Quartiergebäuden. Zur Kommandantur warf ich nur einen kurzen Seitenblick. Colonel Lester hielt Siesta, das wusste ich. Er würde sich bestimmt nicht von mir stören lassen. Seit einigen Tagen herrschte im Fort eine eigenartige Gleichgültigkeit gegenüber den Vorfällen an der Grenze, als ob die Besatzung ein Interesse daran hätte, die möglichen Folgen zu verdrängen.

Seit ich hier war, hatten die Soldaten und Offiziere in Fort Calhoun ein bequemes Leben geführt. Ich konnte mich an keinen Konfliktfall erinnern, der so groß gewesen wäre, dass die Besatzung sich hätte auf einen Krieg einstellen müssen. Selbst Colonel Lester schien nichts davon wissen zu wollen. Er war ein Gegner gewalt­samer Lösungen, aber er war als einzelner Offizier genauso machtlos wie ich, der Scout.

Ich war so müde, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als ich die Tür zu dem Quartier aufstieß, das ich mit Jicarilla, dem zweiten Scout, teilte, fielen mir fast die Augen zu.

Jicarilla saß auf der Kante seiner Pritsche und blickte mir aus leicht glasig schimmernden Augen entgegen.

„Na“, sagte ich, „schon zu Mittag gegessen?“

„Ja“, sagte er und tippte auf eine leere Flasche, die neben ihm am Boden stand.

„Willst du nicht wenigstens mal die Marke wechseln?“, fragte ich. Ich hockte mich ihm gegenüber auf mein Bett und begann, mir die Stiefel auszuziehen.

„Nein“, sagte er. „Mehr kann ich mir nicht leisten. Das ist die billigste.“

„Das riecht man.“ Ich warf meinen Hut auf den Tisch.

„Du warst lange weg“, sagte er.

„Ich habe nach Taglios Mörder gesucht“, erwiderte ich. „Hat sich im Fort etwas getan?“

„Nicht viel“, sagte Jicarilla. „Die beiden Fettsäcke aus dem Osten sind weg.“

„Wie?“ Ich beugte mich vor. „Swift und Randolph?“

„Genau“, sagte Jicarilla. „Gestern wurde eine Depesche aus Fort Leavenworth gebracht. Danach wurde ein Wagen bereitgestellt. Die beiden Fettsäcke sind eingestiegen. Sie haben wild herumgeflucht und dem Alten einiges angedroht. Er hat stumm danebengestanden und ein Gesicht geschnitten, als wenn er den beiden am liebsten die Bäuche aufgeschlitzt hätte. Dann sind sie abgefahren.“

„Washington hat es aber eilig“, sagte ich. „Wie konnte die Depesche so schnell hier sein?“

„Telegramm von Fort Leavenworth nach Austin“, sagte Jicarilla. „Von da aus mit einem Kurier hierher.“

„Schade“, sagte ich.

Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Ich hätte Swift und Randolph gern noch eine Weile hier gehabt. Sie waren zu Verhandlungen mit den Apachen aus Washington hergeschickt worden, zusammen mit Donald Vance, den ich als Kumpan der Waffenhändler entlarvt hatte. Daraufhin hatte Colonel Lester Swift und Randolph unter Arrest gestellt. Obwohl ich inzwischen sicher war, dass es zwischen ihnen und den Waffenhändlern keine direkte Verbindung gab und sie wahrscheinlich nichts mit den krummen Geschäften ihres Delegationsleiters Vance zu tun hatten, hatte ich mir von ihnen einigen Aufschluss darüber erhofft, wie in Washington gearbeitet wurde und welche Verbindungen die indianischen Behörden pflegten, um auf diese Weise mögliche Ansatzpunkte zu erhalten.

Damit war es nun auch vorbei. Es war sehr viel schiefgelaufen in den letzten Tagen und Wochen. Ich dachte daran, dass ich mir vorgenommen hatte, meinen Job als Scout nach Abschluss der Verhandlungen mit den Apachen aufzugeben. Im Grunde konnte mich nichts mehr halten. Die Verhandlungen waren abgebrochen worden, nachdem die hungernden Krieger die Reservation verlassen hatten, um auf die Jagd zu gehen. Der Verhandlungsleiter war als Gauner entlarvt worden und tot. Die beiden anderen Beamten waren auf dem Weg zurück nach Washington. Entscheidungen waren nicht gefallen, und Lebensmittel wurden noch immer nicht in die Reservation geliefert, obwohl der Vertrag mit den Apachen dies eindeutig vorschrieb. Stattdessen kauften die Indianer Waffen.

Ich wusste selbst nicht, warum ich noch blieb. Ich hätte meine wenigen Habseligkeiten zusammenpacken und abhauen sollen. Mir wäre viel erspart geblieben.

Ich hatte das Gefühl, dass ich noch bleiben musste. Wenn ich in der verfahrenen Situation, die jetzt herrschte, gegangen wäre, hätte ich mich wie ein Deserteur gefühlt. Ich musste bleiben, bis die ganze Angelegenheit durchgestanden war. Das war ich mir selbst, aber auch Taglio schuldig. Es war nur ein Gefühl, das mich zum Bleiben zwang. Mehr nicht. Eigentlich war das kein guter Grund.

„Im Fort tun sie alle, als sei nichts passiert“, sagte Jicarilla unvermittelt.

„Ich werde Colonel Lester schon erzählen, was passiert ist“, sagte ich. „Es werden Waffen in die Reservation geschickt.“

„Ich denke, die brauchen Lebensmittel?“

„Waffen sind eine ganz besondere Kost“, erwiderte ich. „Ich rede heute Abend mit dem Colonel, wenn es ihn überhaupt interessiert.“

„Er will keinen Krieg“, sagte Jicarilla. „Wer will das schon?“

„Fly will ihn“, sagte ich und dachte an, den arroganten Major, den Adjutanten Lesters. „Die Leute, die die Waffen liefern, wollen Krieg, und ich glaube, die Krieger in der Reservation wollen ihn auch. Lightman, Ta-pe, Little Raven und die anderen, die nach Taglios Tod etwas zu sagen haben.“

Ich drehte mich auf die Seite. „Damit, dass man nicht darüber redet, wird der Krieg nicht vermieden.“

„Wird er überhaupt vermieden?“ Jicarilla trank einen großen Schluck. „Du warst in den letzten Wochen öfters draußen als ich. Aber ich habe im Fort eine Menge gehört.“

„Beim Whiskyholen“, sagte ich.