Cover

Ottilie Arndt & Lydia Ostermeier

Eibengift

© Ottilie Arndt, Lydia Ostermeier

E-Book-Ausgabe: © 2013 bei hey! publishing, München

Originalausgabe: © 2011 bei Hermann-Josef Emons Verlag, Köln

Ottilie Arndt und Lydia Ostermeier werden vertreten durch die Verlagsagentur Lianne Kolf, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-942822-60-2

Von Ottilie Arndt und Lydia Ostermeier ebenfalls bei hey! erschienen:

Des Teufels Mühle

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Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

Abwärts senkt sich der Weg,

Von trauernden Eiben umdüstert,

Führt er durch Schweigen stumm

Zu den unterirdischen Sitzen.

Ovid, Metamorphosen IV, 432

EINS

»Die weiße Perle am Ammersee!«

Kriminaldirektorin Renate Wörlein ließ ihre Augen über den imposanten Bau wandern. Breit und behäbig ragte er am Ufer des Sees auf. An dem vorspringenden Mittelbau der weißen Villa war nicht an Blendsäulen und Halbpilastern gespart worden. Links und rechts vom dreistöckigen Mittelbau zogen sich Arkadenbögen über die Quertrakte. In den Bogenfenstern spiegelte sich das letzte Licht dieses Freitagabends im Mai. Alle vier Eckpunkte des Gebäudes wurden von Erkeranbauten flankiert, die in spitzen Giebeltürmchen endeten.

Versonnen betrachtete sie die vier kupfernen Harfespieler auf den Spitzgiebeln, die in ihrer grünen Patina ins Land grüßten, und wiederholte: »Die weiße Perle am Ammersee. So heißt doch die Villa, nicht wahr, Otto? Sehr hübsch. Frisch restauriert. Hundert Jahre dürfte sie schon auf dem Buckel haben. Mitten im Naturschutzgebiet mit Blick auf Andechs, den heiligen Berg, das Wettersteingebirge und den See. Dein Conrad Desch hat entweder gut geerbt oder beim Kauf die Gunst der Stunde genutzt und mit Schmiergeld nicht gespart.«

Kriminaloberrat Otto Fechter schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen. Sein Urgroßvater hatte sich in diesen Winkel verliebt. Reich, wie er war, ließ er sich gern als großer Mäzen in der Kunstszene rund um den Ammersee feiern. Hier in Holzhausen waren sie alle einquartiert. Bei deren legendären Festen war er mit Begeisterung dabei. Ja, so mancher Künstler hätte buchstäblich von Luft leben müssen, wäre da nicht der alte Desch gewesen. Aber er hatte auch einen untrüglichen Blick für Qualität. Mit Schmieranten und Möchtegernkünstlern machte er kurzen Prozess. Die warf er kurzerhand aus dem Haus, mitsamt ihrer Leinwand. Und das ist nicht bildlich gemeint.«

Renate hörte interessiert zu, während sie sich der Villa weiter näherten. »Und siehe da, das künstlerische Qualitätsgen ist direkt auf den Urenkel übergesprungen. Desch ist doch berühmt für seine Spürnase. Hat er jemals einen Fehlgriff getan?«

»Nein.« Mehr konnte Otto nicht sagen, das ließ seine Kurzatmigkeit nicht zu.

Renate bemerkte das mit Sorge. Kein Wunder bei dem Übergewicht, das Otto mit sich schleppte. Gutes Essen hatte bei ihm einen nahezu erotischen Stellenwert. Es war sein Maß aller Dinge. Otto, dieser maßlose Genießer, war wie sie selbst Anfang fünfzig. Doch er war auf dem besten Weg, sich mit Messer und Gabel umzubringen. Sie kannten sich eine halbe Ewigkeit, genauer gesagt schon von der Ausbildung her, und hatten einige Verbrechen gemeinsam aufgeklärt. Das schweißte zusammen und war auch der Grund, warum sie sich um ihren langjährigen Freund Sorgen machte.

Endlich hatten sie das Portal erreicht und wurden sofort auf die Vernissage eingestimmt. Links neben dem Eingang, auf langen, biegsamen Stäben in unterschiedlichen Höhen angeordnet, wiegten sich fußballgroße rote Eibenbeeren. »Eibenelegie« hieß die Fiberglas-Installation, wie sie dem erklärenden Schild entnehmen konnten.

Ein junger Mann in rot-schwarzer Livree trat ihnen in den Weg. Er nahm ihre Einladungskarte auf einem Silbertablett entgegen und studierte sie eingehend. Wehte da nicht ein Hauch von Verachtung herüber, als er sie beide von Kopf bis Fuß musterte? Was sollte das überhebliche Hochziehen der linken Augenbraue? Renate beobachtete ihn verblüfft.

»Die letzte Zeile auf der Einladungskarte haben Sie wohl nicht gelesen«, merkte der Livreeträger mit näselnder Arroganz an.

Nun geschah Erstaunliches. Otto machte einen blitzschnellen Ausfallschritt, kam neben dem Livrierten zum Stehen und flüsterte ihm wenige Worte ins Ohr. Der stand daraufhin augenblicklich stramm und öffnete ihnen mit einer tiefen Verbeugung die Tür.

»Otto, du bist mir eine Erklärung schuldig. Was geht hier vor?« Renate bugsierte ihn in eine Nische des Eingangsbereichs.

Über Otto Fechters Gesicht glitt ein stillvergnügtes Grinsen. »Dem livrierten Lackaffen habe ich Folgendes erklärt: ›Wenn du dir nicht sofort deine dümmliche Arroganz aus dem Gesicht wischst, erzähle ich deinem Chef, dass du zwei Jahre wegen Drogenbesitzes in Stadelheim abgesessen hast.‹ Mein visuelles Gedächtnis funktioniert nämlich noch einwandfrei.«

»Mag sein, aber was steht denn auf der Einladungskarte?« Sie riss Otto die Karte aus der Hand und las laut davon ab: »Große Abendgarderobe erwünscht.«

Renate wurde blass.

»Und das sagst du mir nicht, du Hornochse!« Die blanke Wut sprühte aus ihren Augen. »Wie steh ich denn jetzt da im kurzen Rock? Von dir ganz zu schweigen! Dein ausgebeulter Trachtenanzug fleht kniefällig nach einer Reinigung. Wenn eine Kleiderordnung erwünscht ist, dann will ich mich auch daran halten. Was machen wir jetzt? Reingehen geht ohne Abendgarderobe nicht, also heimgehen.«

Otto ließ Renates Wutausbruch ungerührt über sich ergehen. Amüsiert verfolgte er, wie sich ihre blauen Augen vor Zorn verdunkelten und sie sich aufgeregt durchs Haar fuhr. Dass sie damit ihre Frisur ruinierte, war ihr offenbar gar nicht bewusst. Ungeschickt zupfte er ein paar der blonden Strähnen in Form und tätschelte ihre Hand.

»Selbstverständlich gehen wir hinein. An unserer Garderobe gibt es nichts auszusetzen. Du wirst schon sehen.«

Renate war davon keineswegs überzeugt und folgte Otto nur widerstrebend in den Ausstellungsraum.

Dezente klassische Musik lag wie duftiger Chiffon über dem großen Saal. Helles Lachen und die unterschiedlichsten Stimmlagen fügten sich nahtlos in den Klangteppich ein. Junge Mädchen in rotweiß gestreiften kurzen Kleidchen boten auf Tabletts Champagner und andere Getränke an. Renate und Otto griffen zum Champagner und blickten sich neugierig um. Die Wände, in zartem Rauchblau gehalten, wurden immer wieder durch weiße, flächige Jugendstilornamente aufgehellt. Eine gläserne Kuppel, die von außen gar nicht zu sehen war, ließ die Decke bis ins Unendliche wachsen. Üppiger Jugendstil. Der Marmorboden schimmerte in makellosem Weiß.

Kunstbeflissen schoben sich die Gäste von Bild zu Bild. Natürlich trugen fast alle Damen lange Abendkleider, wie Renate bitter bemerkte. Das wäre die ideale Gelegenheit gewesen, ihr fränkisches Abenddirndl erstmals vor einem oberbayerischen Publikum zu präsentieren. Dieser Otto! Ein ausgewachsener Ignorant in Bekleidungsfragen. Sie bedachte ihn mit einem bösen Seitenblick.

Otto merkte davon gar nichts. Mit erwartungsvoller Andacht näherte er sich den Bildern. »Anderswelt I« hieß das, vor dem er verweilte. Er musterte es mit höchster Konzentration. Hochgewachsene, überschlanke Frauengestalten bevölkerten eine unwirtliche Mondlandschaft. Die Umrisslinien bruchstückhaft, aber wohlakzentuiert gesetzt. Hier ein eleganter Hüftschwung, dort eine eckige Schulter und ein kantig nach vorwärts gerichtetes Knie. Sie strebten alle zu einem Ziel hin. Hin zu einer uralten Eibe. Grau- und Weißtöne beherrschten das Bild. Ottos Augen waren ständig damit beschäftigt, fehlende Begrenzungslinien zu ergänzen, diffusen weißen, schwarzen und grauen Farbinseln Volumen zu geben. Eine Thing-Versammlung? Nur mit Frauen? So mochte er es. Bilder, die seine Phantasie beflügelten.

Der Titel des Gemäldes daneben war »Anderswelt II«. Graue und schwarze Schattenrisse tanzten um eine mächtige Eibe. Übersteigerte Bewegungen, absurd verdrehte Gliedmaßen, Schatten, die einander überlagerten und durchdrangen, irrlichterten über die weiße Leinwand. Ein wilder Totentanz? Entfernt erinnerte Otto das Bild an das Höhlengleichnis von Platon. Eine Scheinwelt?

Diese Bettina Tauber, wie Otto der Signatur entnehmen konnte, zog mit ihren Bildern den Betrachter in eine fremdartige Welt hinein und ließ ihn mit einem ganzen Bündel Fragen zurück. Eine Könnerin, eine Meisterin.

Wer rempelte denn da so? Das Vernissagepublikum wurde zunehmend ungehobelter. Unwillig fuhr er herum.

Renate war der Störenfried. Nun zerrte sie heftig an seinem Ärmel und zog ihn mit sich. »Otto, das musst du dir ansehen.« Vor einem Bild mit dem Titel »In der Liebe verloren« machte sie halt. »Otto, das Bild muss ich haben. Sag das dem Desch. Aber der Preis muss stimmen, sag ihm das auch.«

Otto legte den Arm um Renates Schulter und begutachtete mit ihr das Bild. Mit zusammengekniffenen Augen prüfte er den dunstig blauen Himmel, um dann wieder zu dem roten Schuh zurückzukehren. Das Gemälde wurde beherrscht von einer mächtigen Eibe, deren plastische, blau verschattete Rindenstruktur von vielen Jahrhunderten erzählte. Ein Bach, geheimnisvoll umwabert vom Bodennebel, floss über weiße Sinterterrassen und ergoss sich über die dicken, schlangenähnlichen Wurzeln der Eibe. Im oberen Drittel des Stamms tat sich ein dunkles Loch auf. Eine Locheibe. Und da war er, der rote Schuh. In dem nahezu schwarzen Loch stand ein roter High Heel mit Plateausohle. Absatzhöhe gut und gerne fünfzehn Zentimeter.

»Dass du einen Schuhtick hast, weiß inzwischen das ganze LKA. Wenn dann hinter deinem Schreibtisch auch noch das Bild mit diesem roten Huren-High-Heel hängt, bringst du die Gerüchteküche ordentlich zum Brodeln. Wunderbar. Eine entzückende Vorstellung. Ich rede umgehend mit Desch.«

»Wie schön, die Herrschaften vom LKA sind ja doch gekommen.« Mit diesen Worten trat eine Dame in einem schwarzen Hosenanzug auf Renate und Otto zu. Übergroß. Überschlank. Überraschend fest der Händedruck, mit dem sie die beiden begrüßte. »Ich bin Barbara Engel, der gute Geist des Hauses. In meinen Händen liegt die gesamte Organisation. Herzlich willkommen Frau Direktor Wörlein. Auch Sie, Herr Kriminaloberrat Fechter, heiße ich herzlich willkommen zur Vernissage unserer drei Eibenkünstlerinnen. Sie werden sehen, wie unterschiedlich Bettina Tauber, Laura Berger und Verena Bach das Eibenthema interpretieren.« Barbara Engel warf einen kurzen Blick auf die hereinströmenden Gäste und stellte erfreut fest: »Sehen Sie, der Innenminister ist soeben eingetroffen. Soll ich Sie zu ihm bringen?«

Otto wehrte freundlich ab. »Lassen Sie nur. Wir werden ihm im Laufe des Abends schon über den Weg laufen.«

»Und wann kommst du?«, setzte Barbara Engel so unvermittelt in den Raum, dass Otto sich unwillkürlich umdrehte, um nachzusehen, wer gemeint war.

Barbara Engel strich eine ihrer schwarzen Locken aus der Stirn und lachte auf. »Das ist der Titel von meinem Lieblingsbild. Es hängt direkt hinter Ihnen, neben der Bauminstallation. Übrigens, das Büfett wird eröffnet, wenn Herr Desch seinen großen Auftritt hatte. Ich rechne in fünfzehn Minuten mit ihm.« Mit einem routinierten Lächeln entfernte sie sich.

Renate und Otto wandten sich um und betrachteten die Bauminstallation mit dem Titel »Totholzruhe«.

Ein skelettartig ausgebleichter Eibenstamm streckte seine verdrehten und verwundenen Aststümpfe nach allen Richtungen. Wie bei einem Leichenfundort wurde das Eibenskelett von einem rotweißen Polizei-Absperrband abgegrenzt. Gleich einer Tätowierung war »Totholzruhe« auf Stamm und Aste eingebrannt.

»Das wäre eine passende Installation für das Münchner LKA in der Maillingerstraße. Für so eine Realisierung von Kunst am Bau könnte ich mich richtig erwärmen«, meinte Otto mit Kennermiene.

»Dort drüben steht der Innenminister. Dem kannst du deine Vorstellung, wie Steuergelder verwendet werden sollten, gleich persönlich mitteilen«, schlug Renate vor und drängte ihn weiter zum Lieblingsbild von Barbara Engel mit dem geheimnisvollen Titel »Wann kommst du?«.

Die Bildmitte wurde wieder von einem mächtigen Eibenstamm beherrscht. Grün verschleiert warfen die Äste ihre blauschwarzen Schattenflecken darauf. Im unteren Drittel des Stamms tat sich ein dunkler Spalt auf. Eine Schlupfeibe. Ein Spalt, für einen zierlichen Menschen groß genug zum Durchschlüpfen. Eine blonde Haarsträhne, der letzte Schwung eines roten Kleides, ein Fuß, der sich zum Durchstieg hebt.

Otto konnte sich Barbara Engels Begeisterung nicht anschließen. Viel zu plakativ. Laura Berger ließ in ihrem Bild keinen Raum für Geheimnisse oder überraschende Wendungen. Solche Bilder bekamen erst durch wortreiche mystische Erklärungen ihr Fundament. Das kannte er zur Genüge. Vor diesen Erklärungsergüssen flüchtete er regelmäßig bei Ausstellungen. Ihm reichte das, was er selbst sehen und lesen konnte.

Ein kurzer, prüfender Rundblick, und er konnte die ausgestellten Werke den Künstlerinnen treffsicher zuordnen. Bettina Tauber, die Farbminimalistin, setzte ihre Bildvorhaben mit wohlberechneten, akzentuierten Pinselstrichen um, Laura Berger dagegen malte nahezu altmeisterlich und Verena Bach hatte sich auf Installationen spezialisiert.

»Herr Desch kommt. Wenn Sie möchten, können Sie ihn an der Auffahrt begrüßen.« Mit diesen Worten informierten die jungen Mädchen in ihren rot-weißen Kleidchen die Gäste. Sofort begann ein allgemeines Gedränge und Geschiebe in Richtung Ausgang.

Eingekeilt in die Menschenmenge, blieb ihnen keine Wahl. Auch Renate und Otto wurden ins Freie hinausgeschoben.

Über dem Ammersee hatte sich mittlerweile eine samtige Dunkelheit ausgebreitet. Unten am See näherte sich gemächlich ein Schiff, nur von Fackeln erleuchtet. Vier Personen stiegen aus. Gemessen schritten sie über den Landungssteg und den Kiesweg nach oben. Die Gruppe bildete ein Dreieck. Vorneweg, in einem langen azurblauen Kleid, eine rot gelockte Schönheit. Wie eine griechische Tempelwächterin hielt sie in den erhobenen Händen eine Fackel. Hinter ihr schritt Desch, flankiert von zwei blonden Frauen. Beide waren in wallende rote Kleider gehüllt, das Haar fiel ihnen weit über die Schultern. Auch sie trugen Fackeln. Desch, deutlich kleiner als seine beiden Begleiterinnen, hatte sich untergehakt. Seine schwarze Hose, verbrämt mit roten Biesen, steckte in weißen Cowboystiefeln mit hohen Absätzen. Über dem schwarzen Hemd spannte sich eine weiß-goldene Brokatweste. Aus der Westentasche leuchtete das weiß-blaue Rautenmuster eines Einstecktüchleins.

»Das ist also Conrad Desch, der bekannte Galerist?«, fragte Renate.

Otto nickte und beobachtete, wie sich ihre Augen förmlich an Desch festsaugten. An seiner ungewöhnlichen Erscheinung, seinem exzentrischen Auftreten. Der runde Kopf saß halslos zwischen den schwarzen Kragenecken. Die breiten Lippen waren zu einem spitzbübischen Grinsen verzogen, und die kleinen hellen Augen wanderten über die erlesene Gästeschar.

Gemächlich schob Conrad Desch seine linke Hand zwischen die Westenknöpfe. Der Napoleon vom Ammersee. Keine seiner Bewegungen war von den Gästen unbemerkt geblieben. Begeisterter Beifall brandete auf, Blitzlichter zuckten, und Mikrofone verschiedener Fernsehsender richteten sich wie kriegerische Lanzen auf Conrad Desch.

Den nun folgenden staatstragenden Reden, in denen viel von Kultur, Bildungspolitik, Förderung der Künste und Mäzenatentum gesprochen wurde, schenkte Otto keine Aufmerksamkeit. Lieber vertiefte er sich in die Gesichter der Gäste.

Alle waren sie Deschs Einladung gefolgt: die Mächtigen, die Müßigen und die Möchtegerns, die um jeden Preis dazugehören wollten. Neues Geld, alter Adel, Bildungsbürgertum, junge, attraktive Errungenschaften der Münchner Celebrity-Szene, Hungerleider und notorische Büfettfresser – alle waren sie da, wie jedes Jahr. Und wie in jedem Jahr entdeckte er auch einige fragwürdige Gesichter. Gesichter von Leuten, die er mit Geldwäsche, Drogenhandel und anderen Delikten in Verbindung brachte.

In der erlauchten Runde wurde eine gewisse Unruhe spürbar. Als erfahrener Szenekenner wusste Otto dies richtig zu deuten.

»Renate, jetzt wird es ernst. Reiß dich los, wir müssen zum Büfett. Gleich geht der Ansturm los.«

Wenige Minuten später war das Büfett im Saal eröffnet. Dank Ottos Zeitkalkül hatten sie die Konkurrenz weit hinter sich gelassen. Ungestört griffen sie nach den erlesenen Häppchen und ließen sich mit den Tellern in einer gepolsterten Sitzgruppe nieder.

Beim Essen fand Otto endlich die Zeit zu erklären, warum das mit der Kleiderordnung nicht so wichtig war.

»Renate, inzwischen hast du sicher bemerkt, dass ein kleiner Kreis der Gäste der Kleiderordnung nicht gefolgt ist. Das ist der innere Zirkel. Die wissen Bescheid. Und die kennen sich auch untereinander. Der Rest sind die Möchtegernpromis, die sich auf jedem besseren Fest herumtreiben. Das ist der dekorative Hintergrund. Auch deiner.«

»Wieso gehörst ausgerechnet du zum inneren Zirkel?«, erkundigte sich Renate misstrauisch. »Hast du dich etwa schmieren lassen?«

»Nein, keine Sorge. Ich war Vorjahren maßgeblich an der Aufklärung eines Kunstfälschungsskandals beteiligt. Damit habe ich Desch den Arsch gerettet. Seitdem überschlägt er sich vor Dankbarkeit. Schau nur, da kommt er schon.«

Conrad Desch verbeugte sich gerade so tief vor Renate, dass es nicht devot wirkte, und platzierte exakt zwei Millimeter über ihrem Handrücken einen Kuss. Dann boxte er Otto in die Seite: »Na, du alter Trachtler, was sagst du zu meinen Eibengrazien? Sind dir die vielen roten Punkte auf gefallen? Zwei Drittel der Werke sind bereits verkauft.«

»Aber hoffentlich nicht das Bild mit dem roten Schuh. Das hätte ich gerne erworben«, sagte Renate zu Desch.

Otto entging Renates Manöver nicht, mit dem sie ihre Worte begleitete. Wie zufällig landete ihre Hand auf der Linken von Desch. In ihre Augen schlich sich ein verträumter Glanz.

Doch Desch schien davon nichts zu merken. Bedauernd hob er die Schultern. »Es tut mir leid, aber das war eines der ersten Gemälde, die verkauft wurden. Laura kann für Sie noch einmal ein ähnliches Bild malen. Kommen Sie gelegentlich in meiner Galerie in München vorbei. Dann besprechen wir die Einzelheiten.«

Für Desch war damit das Problem gelöst. Er verabschiedete sich von Renate mit einem kernigen Händedruck, dagegen von Otto mit einem Augenzwinkern und einem leichten Schlag auf die Schulter. »Ich wünsche noch eine gute Unterhaltung. Otto, es wäre empfehlenswert, diesmal bis zum Ende des Feuerwerks zu bleiben. Es ist das exquisiteste, das jemals über dem Ammersee abgebrannt wurde.«

Nachdenklich sah Renate ihm hinterher, wie er in seinen absurden Cowboystiefeln davonstapfte. Wahrhaftig der Napoleon vom Ammersee. Er sah aus wie ein Mann, der bekam, was er wollte. Sein Lächeln war charmant und spitzbübisch, doch es lag auch Macht darin und die Arroganz, die Macht auf dem Fuß folgt. Jede seiner Bewegungen war bewusst kalkuliert, vom Handkuss bis zum augenzwinkernden Schulterschlag. Dazu seine ungewöhnliche Kleidung. Auch dahinter steckte Kalkül. Dazu fiel Renate eine Episode ein, die sie über Napoleon gelesen hatte. Der hatte bei seiner Krönung alle seine Generäle in Paradeuniform antreten lassen. Er dagegen erschien in der schlichten Kleidung eines einfachen Soldaten.

Desch kam ihr ähnlich vor. Erst sorgte er durch den Hinweis auf Abendgarderobe dafür, dass sich alle fein machten, und dann kam er in einer Kleidung daher, die meilenweit davon entfernt war. Für sie war auch das ein Beispiel von Machtdemonstration, ein kleines, aber vielsagendes. Er ließ die Gäste nach seiner Pfeife tanzten. Und wie sie tanzten, die Schönen und Reichen und die, die unbedingt dazugezählt werden wollten.

Ah- und Oh-Rufe schallten vom Portal herein. Das Feuerwerk versprühte einen ersten vielfarbigen Funkenregen.

Renate und Otto sahen eine Weile zu, dann drückten sie sich hinter dem Rücken der staunenden Menge vorbei und strebten dem Auto zu.

Jetzt zahlte es sich aus, dass Otto es weit oben an der Straße geparkt hatte. Ungehindert konnten sie das Grundstück verlassen und hatten auch noch den großen Vorteil, den Alkoholkontrollen zu entgehen, die die Polizei in Kürze rund um den Ammersee durchführen würde. Deschs Feste versprachen immer fette Beute. Manche, so erzählte man sich zumindest, ließen die Strafzettel sogar einrahmen, sozusagen als Nachweis, in die Villa Desch geladen worden zu sein.

ZWEI

Der Samstagmorgen dämmerte herauf. Sebastian Klenk schritt mit wachem Blick seinem Ziel zu, einer kleinen Erhöhung im Eibenwald. Dort würde er mit dem Fotografieren beginnen und auf den ersten Sonnenstrahl warten, der sich im filigranen Geäst der Eibe verfing, die er im Visier hatte. Mit diesen Fotos wollte er den Bildband über die Eibenmalerinnen einleiten.

Seine Gedanken wanderten zur gestrigen Vernissage in der Desch-Villa zurück. Zu der perfekten Inszenierung, der Opulenz von Farben und Formen. Hoffentlich machte ihm Barbara Engel, dieser Drache, nicht noch einen Strich durch die Rechnung. Während der Vernissage war sie ihm nicht von der Seite gewichen und hatte jede Bildeinstellung kritisch überwacht, als ob die drei Künstlerinnen ihre persönliche Erfindung wären, an der sie alle Rechte besaß.

Sorgfältig prüfte er die Morgendämmerung. Sein wichtiger Moment nahte. Er musste sich beeilen, um rechtzeitig an seinem Standort zu sein. Der Weg näherte sich dem Bach, der durch den Eibenwald floss. Nur noch ein paar Meter. Jetzt. Er hob die Fotoausrüstung von der Schulter, baute das Stativ auf und kontrollierte erneut das Licht. Die blaue Stunde. Hervorragend. Wie ein Scherenschnitt hoben sich die schwarzen Eibennadeln von dem geradezu unwirklichen Blau des Himmels ab. Er fotografierte wie besessen. Nach und nach verlor das Blau an Intensität, jetzt musste er nur noch auf den einen ersten Sonnenstrahl warten.

Er richtete die Kamera auf die Locheibe. Sie war sein Motiv. Auf sie würde der erste Sonnenstrahl fallen. Die Linse erfasste einen roten hochhackigen Schuh im Loch der Eibe. Weiteres Rot geriet ins Bild. Ein rotes Kleid. Eine Frau. Ihr Gesicht lag im Wasser des Baches, der die Eibe umfloss. Er drückte ab. Wieder und wieder. Faszinierende und verstörende Bilder.

Endlich kam er zur Besinnung, ließ die Kamera los und rannte zu der Frau. Er zog sie aus dem Wasser und drehte sie um. Mund und Augen standen weit offen, kein Lebenszeichen war zu erkennen. Laura Berger.

Sebastian Klenk atmete tief durch. Er griff nach seinem Handy und setzte einen Notruf ab.

Dann ließ er sich ins Gras fallen und dachte nach. Laura, seine Laura war tot. Die lebenslustige Laura, seine Muse, lag hier im Wasser. Was war da passiert? Ein Selbstmord? Niemals. Freiwillig ertränkt sich doch niemand in einem zwanzig Zentimeter tiefen Bach. Diese Fotos von der toten Laura Berger würde er nicht verwenden, so schön sie auch in ihrer Morbidität waren. Aus der Ferne hörte er das Jaulen von Sirenen.

Die Sirenen erstarben, aber die Richtung, aus der er sie gehört hatte, war klar. Sie kamen vom Parkplatz her. Er wartete und wartete. Warum kamen sie nicht? Er hatte seinen Standort doch eindeutig erklärt.

Ratlos erhob er sich aus dem Gras, packte seine Ausrüstung zusammen und machte sich auf den Weg zum Parkplatz.

Aus der Ferne sah er schon das rot-weiße Absperrband und begann zu laufen. Die dämlichen Polizisten sicherten tatsächlich die falsche Stelle ab. Atemlos kam er an der Absperrung an und keuchte: »Die Tote liegt doch dort hinten!«

Einer der Beamten kam mit Respekt einflößender Miene zu ihm heran und fragte: »Wer sind Sie?«

»Sebastian Klenk. Fotograf aus Weilheim. Ich habe die Frau gefunden und die Polizei alarmiert.«

»Wurde Ihnen nicht gesagt, dass Sie vor Ort zu warten haben?«

»Habe ich doch. Der Fundort ist dort hinten. Ich habe die Sirenen gehört, als aber niemand von der Polizei kam, bin ich nachschauen gegangen. Warum sperren Sie denn hier ab?«

»Wir haben hier auch eine Tote.«

Sebastian Klenk starrte den Polizisten fassungslos an. »Nicht möglich. Noch eine Tote?«

Sein Blick irrte hinüber zu der Eibe, vor der sich ein anderer Polizist zu schaffen machte. Als der sich von dem mächtigen Stamm ein paar Schritte entfernte, erkannte Sebastian den Baum. Die Schlupfeibe. Der Zipfel eines roten Kleides lugte aus dem gespaltenen Stamm hervor. Und ein Fuß mit einem roten Schuh. »Wann kommst du?«, sagte er dem Polizisten. »Genau das ist es.«

»Wie bitte? Ich kann mich nicht erinnern, dass wir zusammen ein Weißbier getrunken haben. Unterlassen Sie gefälligst das Duzen.«

Doch Sebastian Klenk hörte ihm gar nicht zu, ihm schwirrte der Kopf. Was ging hier vor?

Mittlerweile war auch der andere Polizist herangekommen.

Aufgeregt erzählte Sebastian Klenk den beiden Beamten von den Eibenmalerinnen und der Vernissage in der Villa Desch. Seiner Ansicht nach müsste es sich bei dieser Toten hier um Bettina Tauber handeln.

»Wenn ich sie ansehen darf, kann ich es Ihnen genau sagen.«

Die beiden Beamten drehten sich von ihm weg und berieten kurz miteinander. Dann hob einer das Absperrband an.

Sebastian Klenk schlüpfte durch. Fasziniert starrte er ein paar Schritte später auf die Szene, die sich ihm bot. Sie entsprach ganz genau dem Motiv des Bildes »Wann kommst du?«. Perfekt inszeniert. Er musste an sich halten, um nicht unverzüglich seinen Fotoapparat in Anschlag zu bringen. Aus dem rückwärtigen Teil des Stammes ragte der restliche Körper der Frau hervor. Sie lag da mit dem Gesicht nach unten, die Arme weit nach vorne ausgestreckt, wie auf ein bestimmtes Ziel gerichtet.

Der Beamte, der Sebastian begleitet hatte, streifte Einweghandschuhe über und drehte das Gesicht der Frau so weit zur Seite, dass Sebastian Klenk es betrachten konnte.

Kein Zweifel: Es war Bettina Tauber. Klenk bekam auf einmal weiche Knie. Er musste sich setzen. Die beiden Eibenmalerinnen waren tot.

Jemand rüttelte ihn am Arm. Es war der Polizist. Er fragte besorgt: »Geht es wieder? Der Kriminaldauerdienst und die Spurensicherung sind eben eingetroffen. Sie müssen uns noch den anderen Fundort zeigen.«

***

Es war schon spät am Nachmittag, als Renate Wörlein und Otto Fechter im Paterzeller Eibenwald eintrafen. Am Parkplatz wurden sie von Hauptkommissar Jan Altinger ungeduldig und missgelaunt erwartet.

»Mir ist immer noch nicht klar, was das LKA bei diesem Fall zu suchen hat. Wir haben mittlerweile eine Soko von zwanzig Leuten gebildet. Traut ihr es der Weilheimer Kripo etwa nicht zu, zwei Morde gleichzeitig aufklären zu können?«

Otto Fechter kannte Altinger bereits von einigen Fortbildungsveranstaltungen her, die er in Ainring abgehalten hatte. An seiner Fähigkeit als Polizist gab es keinen Zweifel, das war ihm gleich aufgefallen. Nach der letzten Veranstaltung hatten sie bis weit nach Mitternacht miteinander gefachsimpelt und ein Bier nach dem anderen niedergemacht. Seitdem duzten sie sich. Im Grunde konnte er es Jan Altinger gut nachfühlen, dass der sich zurückgesetzt fühlte.

Er machte Renate mit Jan Altinger bekannt. Dabei registrierte er erfreut, dass sie für Jan keine Unbekannte war. Im Bereich der Organisierten Kriminalität hatte sich ihre Kompetenz mittlerweile weit herumgesprochen. Dann erklärte er Jan Altinger, wieso das LKA in diesen Fall eingeschaltet worden war. Er berichtete von der gestrigen Vernissage in der Villa Desch am Ammersee, von der Anwesenheit des Innenministers und von dem ganzen illustren und internationalen Publikum.

»Als wir durch den Kriminaltechnischen Meldedienst von den zwei toten Malerinnen erfuhren und uns die Tatortaufnahmen anschauten, schrillten bei uns und im Innenministerium alle Alarmglocken. Die Künstlerinnen waren in Sammlerkreisen weltweit bekannt, und die Gästeliste der Ausstellung liest sich wie das ›Who is who‹ des Geldadels. Es sind uns aber auch ein paar Namen aufgefallen, die uns gar nicht gefallen. Darüber sprechen wir noch, wenn wir mehr wissen. Jedenfalls ist der Fall ganz hoch oben aufgehängt. Theoretisch könnte man dabei mit allem rechnen. Wir arbeiten zusammen. Ihr macht die üblichen Ermittlungen vor Ort, wir kümmern uns um den Rest. Dann sehen wir weiter.«

Otto sah Jan Altinger an, dass er sich mit dieser Form der Zusammenarbeit wenig anfreunden konnte, und boxte ihn kumpelhaft in die Seite. »Wir nehmen dir die Ermittlungsleitung nicht aus der Hand, wir unterstützen dich. Und jetzt bringst du uns zu den beiden Tatorten.«

Renate, die wesentlich leichtfüßiger voranschritt als der schwergewichtige Otto, hatte den abschüssigen Einstieg in den Eibenwald bald überwunden und schaute sich wie verzaubert um. Immer wieder entdeckte sie eine Eibe von Ausmaßen, wie sie sie noch nie zuvor gesehen hatte bei derart langsam wachsenden Bäumen. Wie alt diese Giganten wohl sein mochten, fünfhundert oder gar tausend Jahre alt? Dann stand sie vor der Eibe mit dem gespaltenen Stamm, der Schlupfeibe. Schlupfeibe. Was für ein ungewöhnlicher Name für einen Baum. Otto hatte ihn benutzt, als sie die Tatortfotos sichteten. Das Areal war nach wie vor mit rot-weißem Band abgesperrt und wurde von zwei Spurensicherern sorgfältig durchkämmt.

Sie holte das Tatortfoto aus der Tasche und betrachtete es. Immer wieder schweifte ihr Blick zwischen Foto und Baum hin und her. Die Ähnlichkeit zu dem Bild »Wann kommst du?« war tatsächlich frappierend. War das eine Botschaft des Täters? Wenn ja, an wen richtete sich die Botschaft? Steckte dahinter vielleicht eine Drohung? Wenn ja, wem wurde gedroht? Fragen über Fragen, auf die sie keine Antwort wusste.

Schnaufend wie ein Walross trat Otto neben sie und musterte den Baum. Sein Atem wurde ruhiger, und er machte zwei Schritte zur Seite. Renate sah seine nachdenkliche Miene und fragte: »Was überlegst du dir?«

»Laura muss von hier aus gemalt haben. Die sanft gewellte Rindenstruktur, der Ast, der das Eibengrün fächerförmig über den Stamm breitet. Komm her und schau es dir selbst an.«

Renate stellte sich neben ihn und nickte. »Tatsächlich, so könnte es gewesen sein. Aber hilft uns das weiter?«

»Zumindest können wir annehmen, dass sie hier in freier Natur gemalt hat. Das ist ein öffentlicher Raum, der gern aufgesucht wird. Vielleicht kann sich jemand an die Malerin erinnern und hat dabei Beobachtungen gemacht, die uns weiterhelfen.«

Jan Altinger, der ihnen schweigend gefolgt war, sagte: »An dieser Schiene arbeiten wir bereits. Es wurden Befragungstrupps zusammengestellt und Handzettel angefertigt. Außerdem wollen wir so schnell wie möglich an die Presse gehen. Wenn es recht ist, schauen wir noch den zweiten Tatort an. Ich habe den Fotografen, der die andere Leiche gefunden hat, bereits hinbringen lassen.«

Renate ließ sich die Richtung zeigen und machte sich schon mal allein auf den Weg. Sie wollte in Ruhe die Umgebung auf sich einwirken lassen. Ottos kurzatmiges Schnaufen würde sie dabei nur stören. Ihr Auge schulte sich von Schritt zu Schritt mehr, und sie konnte nun leicht die Eiben von den Fichten und Tannen unterscheiden.

Eine Eibe, die sich bis zum Äußersten verdreht in die Höhe schraubte, zog sie magisch an. Welche Hindernisse hatte der Baum wohl zu überwinden gehabt, um sich derart drehen zu müssen, dass es direkt schmerzhaft aussah? Sie ging ganz dicht an den Baum heran und fuhr mit der Hand über die rötliche Rinde. Warm und sanft gewellt, fühlte sie sich an wie eine menschliche Haut. Man tat sich an ihr nicht weh, verletzte sich nicht.

Als Ottos und Jan Altingers Stimmen in der Ferne erklangen, setzte sie ihren Weg fort. Sie hörte dem leisen Plätschern des Baches zu, der sie nun begleitete. Es dauerte nicht lange, dann sah sie die Absperrbänder. Dahinter bewegten sich die Spurensicherer in ihren weißen Schutzanzügen geschäftig hin und her. Immer wieder wateten sie durch das Wasser hin zur Eibe, die mitten im Bach stand. Die Locheibe. Sie holte das entsprechende Tatortfoto aus der Tasche. Die tote Frau im roten Kleid, in der gleichen Sichtachse ihr rechter roter Stöckelschuh im Loch der Eibe. Nachdenklich schloss Renate die Augen und erinnerte sich plastisch an das Bild, das sie gestern während der Ausstellung gern gekauft hätte. Wenn ihr dies gelungen wäre, würde sie nun das Bild einer Toten besitzen. Jetzt fiel ihr auch wieder der Titel des Gemäldes ein: »In der Liebe verloren« hieß es. Warum wurde der Tod der Künstlerin so inszeniert, warum ihr eigenes Bildmotiv nachgestellt? Hatte sich etwa ein verschmähter Liebhaber an ihr gerächt? Damit hätten sie es mit einer Beziehungstat zu tun. Dafür war das LKA nicht nötig. Das konnte die Weilheimer Kripo allemal selbst erledigen.

Der Mann, der neben einem Polizisten auf einem Baumstamm saß, kam ihr bekannt vor. Sie schätzte ihn auf Ende dreißig, Anfang vierzig. Sein wild gelocktes dunkelbraunes Haar fiel ihm in die Stirn. Als er es mit einer heftigen Bewegung zurückwarf, kamen seine wasserhellen Augen zum Vorschein. Ein ungewöhnlicher Kontrast zu den dunklen Haaren. Ein Mann, der die Aufmerksamkeit auf sich zog, auch ihre. Das war doch der Fotograf, der sich während der Vernissage ständig in der Nähe der Eibenmalerinnen aufgehalten und ein Foto nach dem anderen geschossen hatte.

Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. »Wörlein. Polizei. Ich habe Sie gestern in der Villa Desch gesehen.«

»Gestern, ja klar. Ich hatte von Conrad Desch die Erlaubnis, während der Vernissage Fotos von den Eibenmalerinnen zu machen. Klenk ist mein Name, Sebastian Klenk.«

»Dann sind Sie der Fotograf, der die Leiche von Laura Berger gefunden hat. Wie kam es dazu? Was haben Sie zu so früher Stunde hier gemacht?«

»Fotos. Mir fehlten noch ein paar atmosphärische Fotos für den Bildband über die Eibenmalerinnen.«

»Erzählen Sie. In welcher Position fanden Sie die Frau?«

»Wenn Sie möchten, zeige ich es Ihnen ganz genau. Kommen Sie.«

Renate folgte ihm zum Ufer des Baches.

Sebastian Klenk blieb neben der Markierungstafel der Spurensicherung stehen und ging in die Knie. »Sehen Sie, hier lag sie mit dem Gesicht im Wasser. Körper, Kopf und Schuh auf einer geraden Linie. Als Fotograf habe ich dafür ein Auge. Das lange blonde Haar wogte sanft im Wasser. Ein schrecklicher und zugleich schöner Anblick. Faszinierend und morbide. Ein Bild, wie es sich jeder Fotograf wünscht.«

Kaum war ihm der Satz herausgerutscht, erkannte Klenk die peinliche Situation.

»Haben Sie davon Fotos gemacht?«, fragte hinter ihm gefährlich leise der inzwischen herangetretene Jan Altinger.

»Natürlich. Ich hatte schon mehrfach auf den Auslöser gedrückt, bis ich merkte, dass hier etwas nicht stimmte.« Klenk reichte Altinger die Kamera. »Im Display können Sie sehen, dass die Fotos hier entstanden sind. Vielleicht sind sie sogar für Sie nützlich? Ich bin ein sehr guter Fotograf, bestimmt besser als Ihre Polizeifotografen.«

DREI

Jan Altinger von der Kripo Weilheim verließ am Montagvormittag die Münchner Rechtsmedizin und blickte eine Spur besser gelaunt auf den vorläufigen Befund in seiner Hand. Zumindest die rechtsmedizinischen Ergebnisse brachten ihn in dem komplizierten Mordfall Eibenwald ein Stückchen weiter.

Das war auch bitter nötig, denn die mühevolle Kleinarbeit, die den kompletten Samstag und Sonntag in Anspruch genommen hatte, war keineswegs erfolgreich gewesen. Die Befragung der Anwohner von Paterzell hätte man sich glatt ersparen können. Niemandem war zur fraglichen Zeit etwas Verdächtiges aufgefallen. Seltsam. Man hätte doch meinen können, in dem kleinen Ort würde kein Motorengeräusch unbemerkt bleiben. Gerade von den betagten Bewohnern hatte er sich dazu Aufschluss erhofft. Normalerweise hatten die eher einen leichten Schlaf. Denn eines stand für ihn fest: Die Malerinnen wurden in einem Auto zum Eibenwald gebracht, wie denn sonst?

Auch die akribische Suche der Spurensicherer hatte bis jetzt wenig Erhellendes gebracht. Natürlich gab es viele Spuren, doch die konnten aus allen möglichen Quellen stammen. Der Paterzeller Eibenwald war ein häufig besuchter Ort. Anfänglich war Jan Altinger an Reifenspuren besonders interessiert gewesen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Täter sich die Opfer einfach auf die Schulter geladen hatte, um sie zu den Bäumen zu bringen. Irgendein Gefährt, eine Schubkarre vielleicht, müsste er doch benutzt haben. Als er gestern aber beobachtet hatte, wie Rollstuhlfahrer, Kinder mit Tretrollern und Mountainbiker an der Polizeiabsperrung vorbei in den Eibenwald eindringen wollten, war er um eine Illusion ärmer geworden. Allen Spuren nachzugehen, würde Wochen in Anspruch nehmen.

Das Haus, das die Malerinnen nahe dem Eibenwald bewohnten, hatten sie ebenfalls nach sachdienlichen Hinweisen überprüft. Leider vergeblich.

Zudem zog sich die Befragung der Gäste, die an der Vernissage teilgenommen hatten, in die Länge. An einige davon war äußerst schwer heranzukommen. Dabei erwiesen sich die Möchtegernpromis als besonders unangenehm. Die meinten doch tatsächlich, ihn wie einen Schulbuben behandeln zu können. Voll Arroganz von oben herab. Denen hatte er erst einmal in aller Klarheit zeigen müssen, wo der Barthel den Most holt.

Altinger verstaute den vorläufigen Befund der Münchner Rechtsmedizin in seiner Aktentasche und machte sich auf den Weg in die Maillingerstraße zum LKA.

Dort wurde er von Otto Fechter höchstpersönlich an der Pforte abgeholt und in dessen Büro gebracht. Mit dem Hinweis, Kaffee zu besorgen, verschwand Fechter gleich darauf wieder.

Altinger stellte sich ans Fenster und begutachtete zunächst die Aussicht auf die gegenüberliegende Häuserzeile. Er konnte in seinem Weilheimer Büro mit einem schöneren Blick aufwarten, das freute ihn. Gnädig gestimmt schaute er sich im Büro um. Die wenigen Stücke Wand, die nicht von Aktenschränken verdeckt waren, zierten hübsche Bilder. Jan Altinger war kein Kunstexperte, deshalb wagte er es nicht, dazu ein Urteil abzugeben. Hinter dem kantigen, sachlichen Schreibtisch mit eingeschaltetem Computer stand ein dick gepolsterter, mit tannengrünem Leder überzogener Schreibtischstuhl in Überbreite. Immerhin musste er Otto Fechters gewaltigem Hinterteil standhalten.

Otto Fechter, der Fächler. Von irgendjemandem hatte Jan Altinger gehört, dass Fechter einen riesigen Fächer besaß. Mit dem fächelte er sich Luft zu, wenn es in einer Sitzung heiß zuging. Er selbst hatte es zwar noch nicht gesehen, aber er traute ihm so etwas durchaus zu. Fechter kümmerte sich wenig um die Meinung anderer.

An der Tür polterte es, und eine Stimme rief: »Mach mal auf, ich hab keine Hand frei!«

Altinger öffnete und ließ Otto Fechter herein.

Der hielt ein Tablett mit Kaffee, Weißwürsten und Brezen in den Händen und stellte es auf dem runden Besprechungstisch ab.

»Arbeitsfrühstück. Deshalb der Kaffee. Mir würde ein Weißbier auch besser schmecken. Setz dich hin und fang an, sonst erleben die Weißwürscht noch das Zwölf-Uhr-Läuten, und das wäre ein Sakrileg. Frau Wörlein kommt auch gleich, aber die nimmt es mit den Weißwürschten nicht so genau. Die kommt aus Franken.«

Das sagte alles, und Jan machte sich unverzüglich über die Würste her. Er war schon bei der zweiten Wurst, als Renate Wörlein hereinkam.

»Schön, Sie zu sehen, Herr Altinger. Bleiben Sie bitte sitzen und lassen Sie sich beim Essen nicht stören.«

Sie stellte ihre Tasche neben dem Stuhl ab, setzte sich zu ihnen an den Tisch und schaute auf ihre Armbanduhr. »Drei Minuten vor zwölf. Da muss ich aber Tempo machen mit den Weißwürsten.«

Otto Fechter schob seinen leer gegessenen Teller zur Seite und stapelte den von Jan Altinger darauf. Danach verschränkte er die Arme über seiner Wampe und sah ihn erwartungsvoll an. »Was hat die Obduktion der zwei Malerinnen ergeben?«

Altinger holte den Schnellhefter mit dem rechtsmedizinischen Befund aus seiner Aktentasche und schlug ihn auf.

»Die chemisch-toxikologische Analyse von Blut, Urin, Mageninhalt und Lebergewebe ergab, dass beide Frauen mit hochkonzentriertem Taxin, dem Gift der Eibe, vergiftet wurden. Zudem wurden ihnen K.-o.-Tropfen verabreicht, genauer gesagt GHB.«

Otto Fechters Faust krachte so heftig auf den Tisch, dass die zweite Weißwurst von Renate Wörleins Teller flutschte. »Wieder dieses Dreckszeug«, schimpfte er. »Wenn ich GHB schon höre, könnte ich vor Wut platzen. Gamma-Hydroxybuttersäure. Von keinem Gift habe ich mir bis jetzt die offizielle chemische Bezeichnung gemerkt, aber von dem schon. Dieses Giftzeug hat München in den achtziger Jahren durch den Donisl-Fall ganz schön in Verruf gebracht. Das Donisl verkam damals zu einer echten Räuberhöhle. In dem ach so traditionsreichen Lokal wurde Gästen immer wieder mal GHB heimlich ins Bier geträufelt. Meist Besuchern aus dem Ausland. Sie wurden ausgeraubt und in der Nähe des Wirtshauses auf eine Bank gelegt. Das Schlimme dabei war, dass sie sich an nichts erinnern konnten. Sie glaubten, sie wären am Verlust ihres Geldes selbst schuld gewesen, so besoffen wie sie waren. Deshalb hat die Fahndung nach den Tätern auch so lang gedauert, sicher fast ein Jahr.«

Otto Fechter sah zu, wie Renate Wörlein ihre Weißwurst vom Boden aufhob und sorgfältig nach Schmutzspuren absuchte. Das veranlasste ihn aber keineswegs zu einer Entschuldigung, vielmehr wütete er weiter: »Wer in München Bier mit GHB versaut, begeht ein Kapitalverbrechen. Das ist ein direkter Anschlag gegen ein Münchner Kulturgut. Solche Täter sollten umgehend des Landes verwiesen werden!«

»Wir Franken mögen auch kein Liquid Ecstasy im Bier«, merkte Renate Wörlein an und legte betrübt die Wurst zur Seite. »Mit GHB versetztes Bier schmeckt uns ebenso wenig wie Weißwurst mit Staubflusen. Bei uns ist es nämlich noch weit mehr als ein Kulturgut, es ist unser Lebenselixier. Ich bin aber nicht für Ausweisung, sondern für tätige Reue und hätte da gleich einen Vorschlag: während des Oktoberfestes Abend für Abend die vollgekotzten Maßkrüge spülen und die verpinkelten Bierzelte putzen.«

»Aber ohne Gummihandschuhe«, warf Jan Altinger schnell ein. »Wir Weilheimer reagieren auf manipuliertes Bier ebenfalls rundum allergisch. Ich versteh bloß nicht, warum nach dem Donisl-Fall mehr als zwanzig Jahre verstreichen mussten, bis man endlich den Besitz von GHB und den Handel damit unter Strafe stellte.«

Danach nahm er den Faden seiner Berichterstattung genau dort wieder auf, wo er von Otto Fechter unterbrochen worden war. »Es wurden noch Alkohol, Orangensaft und ungewöhnlich viel Zucker nachgewiesen. Laut rechtsmedizinischem Gutachten geht man davon aus, dass speziell der Zucker zur Geschmacksverbesserung diente, denn Taxin schmeckt extrem bitter. Bei beiden Frauen kam es zu keinen sexuellen Übergriffen. Die Todeszeit dürfte ziemlich gleich sein. Zwischen ein und drei Uhr morgens. Man konnte mir nicht sagen, welche der Frauen zuerst starb.«

Er schlug eine andere Seite in seinen Unterlagen auf und warf einen kurzen Blick darauf. »Und nun zum Mageninhalt. Bei beiden wenig. Alles halb verdaut. Die eine irgendetwas mit Fisch, die andere ein bisschen Fleisch.«

Otto Fechter bekam einen versonnenen Gesichtsausdruck. »Hoffentlich hat es sich bei dem Fisch um die Seezungenröllchen gehandelt. Die waren hervorragend. Genau auf den Punkt gegart. Schade, dass sie ein wenig aus der Mode gekommen sind. Man findet sie viel zu selten auf Büfetts. Nur diesen pappigen Sushi-Kram. Und zum Fleisch? Na, ich weiß nicht recht. Jedenfalls hätten die Rinderfilet-Kanapees für meinen Geschmack eine Spur zarter sein sollen.«

Jan Altinger zog scharf die Luft ein. Befand er sich jetzt hier in einem Feinkostladen oder was? Ach, wie auch immer. Über Otto Fechter kursierten mittlerweile so viele seltsame Geschichten, da kam es darauf auch nicht mehr an. Kommentarlos blätterte er eine Seite weiter und fuhr fort: »So, das waren die Gemeinsamkeiten. Jetzt komme ich zu den Unterschieden. Bettina Tauber, die in dieser sogenannten Schlupfeibe steckte, war auf alle Fälle tot, bevor sie durch den Stamm bugsiert wurde. Sie wies nämlich erhebliche Schürfwunden auf, die kaum bluteten. Wenn sie noch gelebt hätte, wäre viel mehr Blut geflossen. Anders sieht es bei Laura Berger aus. Die hat noch gelebt, als sie zu der Locheibe gebracht wurde. In ihren Lungen befand sich nämlich Wasser aus dem Bach, in dem sie mit dem Gesicht lag. Sie hat zwar keine Abwehrverletzungen, aber im Nackenbereich gibt es leichte Schürfmale. Offenbar hat der Mörder ihren Kopf unter Wasser gedrückt.«

Renate Wörlein, die in ihrem Notizbuch herumsuchte, blickte überrascht auf. »Trotz GHB und Taxin war es nötig, sie zu ertränken? Da war sich der Täter oder die Täterin über die Wirkung des Eibengiftes wohl nicht absolut sicher?«

»Mir wurde von der Rechtsmedizinerin erklärt, dass es nicht einfach ist, eine genaue Dosis herzustellen. Zudem dauert es seine Zeit, bis das Gift wirkt. Es ist ein Mitose-Gift, das die Zellteilung hemmt.« Jan Altinger goss sich Kaffee nach. »Es wurde schon im Mittelalter für Abtreibungen verwendet. Nicht selten endete diese Prozedur tödlich. Die Rechtsmedizinerin konnte wirklich viel Interessantes über das Gift der Eibe berichten. Wenn ich nicht hier den Termin gehabt hätte, würde ich höchstwahrscheinlich jetzt noch bei ihr sitzen. Ich hatte zum Beispiel keine Ahnung, dass es heutzutage in synthetischer Form auch in der Krebstherapie eingesetzt wird.«

Fechters ungeduldiges Stirnrunzeln brachte Jan Altinger wieder zum eigentlichen Thema. »Aber zurück zu den Eibenwaldmorden: Wie gesagt, braucht es Zeit, bis das Taxin wirkt. Um diese Zeitspanne zu überbrücken, wurde nach Ansicht der Rechtsmedizinerin möglicherweise das GHB eingesetzt. Damit wurden die Opfer schneller willenlos. GHB entfaltet seine Wirkung zwischen zehn und dreißig Minuten. Das hängt ab vom körperlichen Allgemeinzustand und der Höhe der Dosis.«

»Aber auch von der Alkoholmenge«, gab Otto Fechter zu bedenken. »Gerade durch den Donisl-Fall sind wir darauf aufmerksam geworden. In Verbindung mit Alkohol kann GHB sogar lebensgefährlich sein. Im Extremfall kommt es zum Atemstillstand. Gibt es Erkenntnisse zur Darreichungsform, ich meine flüssig oder als Pulver?«

»Dazu hat die Rechtsmedizinerin nichts gesagt. Ich persönlich tippe auf die flüssige Form. Die ist einfach und unauffällig zu handhaben.«

Renate Wörlein, die sich verschiedene Notizen gemacht hatte, legte den Stift nun weg und stützte nachdenklich das Kinn in die Hand. »Frage: Mit wem wurden die Frauen zuletzt gesehen? Diese seltsame Tötungsart lässt für mich den Schluss zu, dass der Täter mit seinen Opfern relativ lang zusammen war.«

Jan Altinger war der gleichen Meinung. »Das denke ich auch. Leider haben wir bis jetzt niemanden aufgetrieben, der uns dazu genauere Angaben machen konnte. Man hat die Malerinnen vor dem Feuerwerk gesehen, aber danach nicht mehr. Conrad Desch war darüber fuchsteufelswild. Er hätte sie noch für ein Foto mit einem wichtigen Kunden gebraucht.«

»Kurz vor dem Feuerwerk haben Renate und ich die Malerinnen auch noch gesehen«, brummte Otto Fechter. »Ich erinnere mich, dass dieser Fotograf aus Weilheim ständig um sie herumscharwenzelte. Dem müsste doch am ehesten aufgefallen sein, mit wem die Frauen Kontakt hatten. Wie sieht es überhaupt mit seinem Alibi aus, ist das überzeugend?«

Altinger machte eine wegwerfende Handbewegung. »Keine Spur. Er versicherte uns, dass die Aufnahmen, die er vor dem Feuerwerk gemacht hat, seine letzten von der Vernissage waren. Er hat sie uns gezeigt, aber das heißt noch nicht, dass wir ihm das glauben. Seiner Aussage nach ist er noch vor Ende des Feuerwerks nach Hause gefahren. Das mache er immer so, sagte er uns, damit er nicht in den Stau gerät, wenn alle losfahren. Gegen halb eins kam er nach Hause. Dort hat er sich umgezogen und seine Fotoausbeute überprüft. Zwischen drei und halb vier ist er nach Paterzell in den Eibenwald gefahren, um noch ein paar bestimmte Aufnahmen zu machen. Dabei hat er dann die Leiche von Laura Berger entdeckt. Die Fotos haben wir uns ausgedruckt. Von Bettina Tauber sind keine dabei, an dem Tatort ist er erst gewesen, als die Polizei eintraf. Angeblich. Den Rest kennt ihr von ihm selbst. Seine Frau hat übrigens nicht gehört, wann er nach Hause gekommen ist. Sie schlief bereits.«

Renate Wörlein runzelte die Stirn. »Mich beschäftigt nach wie vor das Taxin in Kombination mit GHB. Wir wissen, dass GHB ein flüchtiger Stoff ist, der nur eine begrenzte Zeit im Blut und Urin nachweisbar ist, maximal sechs Stunden im Blut und bis zu zwölf Stunden im Urin.«