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Paul Heyse

Der letzte Zentaur

Novelle

Paul Heyse

Der letzte Zentaur

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-34-1

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Der letzte Zentaur

(1904)

Vom Turm der Frau­en­kir­che schlug es Mit­ter­nacht.

Ich kam aus ei­ner Ge­sell­schaft, in der man sich ver­ge­bens be­müht hat­te, eine sehr lah­me und tro­ckene Un­ter­hal­tung mit gu­tem Wein in Fluss zu brin­gen. Der Kopf war mir im­mer hei­ßer ge­wor­den und das Herz im­mer küh­ler. End­lich hat­te ich mich weg­ge­stoh­len in den som­mer­war­men Mond­schein hin­aus und schlen­der­te ziel­los durch die to­ten­stil­le, taghel­le Stadt, um den Un­mut über die ver­lo­re­nen Stun­den ver­damp­fen zu las­sen. Als ich an der ehr­wür­di­gen Ma­ri­en­kir­che vor­bei durch das Frau­en­gäss­chen in die Kau­fin­ger­gas­se trat, blieb ich plötz­lich ste­hen.

Mir ge­gen­über lag, sei­ne drei Stock­wer­ke mit den dunklen Fens­tern ge­gen Mit­ter­nacht er­he­bend, ein wohl­be­kann­tes Haus mit vor­sprin­gen­der Ecke und ei­nem blau­en La­tern­chen über dem Ein­gang, in dem ich vor mehr als ei­nem Jahr­zehnt man­che un­ver­ge­ss­li­che Nacht bei schlech­te­rem Ge­tränk als heu­te, aber un­ter feu­ri­ge­ren Ge­sprä­chen zu­ge­bracht hat­te. Ich las die In­schrift über der zier­lich ge­schnitz­ten, von zwei Ka­rya­ti­den ge­stütz­ten Hol­zum­rah­mung des Tor­wegs: »Wein­hand­lung von Au­gust Schi­mon«.

Ja­wohl, sag­te ich vor mich hin, die Zei­ten wan­deln sich und wir mit ih­nen! Das ist noch der­sel­be Name, der da­mals in je­der Wo­che uns­re Lo­sung war. Aber der ihn trug, der be­hä­bi­ge Mann mit dem schwar­zen Kraus­haar und den ver­schmitz­ten klei­nen Au­gen, – wo ist er hin­ge­kom­men? Sein Glücks­stern hat­te nur über die­sem Hau­se leuch­ten wol­len. Als er es ver­ließ, um in ei­nem pracht­vol­len Ho­tel den Wirt zu ma­chen, war es mit ihm rück­wärts ge­gan­gen, bis zu ei­nem trau­ri­gen Ende. Sei­ne Gut­mü­tig­keit soll ihn in un­glück­li­che Spe­ku­la­tio­nen an­de­rer ver­wi­ckelt ha­ben, viel­leicht auch ein fan­tas­ti­scher Zug zum Gro­ßen und Ge­wag­ten, den er mit ei­ni­gen sei­ner Gäs­te ge­mein hat­te. Er war eben ein Idea­list un­ter den Gast­wir­ten, und sein An­den­ken ist mir teu­er ge­blie­ben, trotz sei­ner Wei­ne, auf die Freund Ema­nu­el da­mals nach der Me­lo­die des Dies irae1 die schö­ne Stro­phe dich­te­te:


Sed post Schi­mo­nen­se vi­num
Ma­lum ve­nit ma­tu­ti­num,
Luc­tum quod vo­cant fe­li­num!

Heut­zu­ta­ge, da die Er­ben das Ge­schäft fort­set­zen, sol­len die Wei­ne sich be­deu­tend ge­bes­sert ha­ben und der al­ten Fir­ma Ehre ma­chen. Aber kön­nen die bes­ten neu­en Wei­ne für die gute alte Ge­sell­schaft ent­schä­di­gen, die nun nicht mehr von ih­nen trinkt und den trü­ben Le­the­trank oder selbst den Nek­tar der Uns­terb­lich­keit gern hin­gä­be um ein paar Fla­schen je­nes dun­kel­ro­ten Un­gar­wei­nes, den wir mit To­des­ver­ach­tung und »fest­lich ho­her See­le« so manch­mal hier »dem Mor­gen zu­ge­bracht«? Wie gern ließ’ ich al­les mor­gend­li­che Nach­weh über mich er­ge­hen, könnt’ ich noch ein­mal dich, teu­rer Ge­nel­li, hin­ter dem Ti­sche in dem nied­ri­gen leicht an­ge­rauch­ten Wein­stüb­chen sit­zen se­hen, die vol­le Un­ter­lip­pe halb freu­dig, halb trot­zig auf­ge­wor­fen, wäh­rend eine gött­li­che Kin­der­fröh­lich­keit dir aus den Au­gen blitz­te! Da­mals warst du noch nicht Groß­her­zog­lich Wei­ma­ri­scher Pro­fes­sor und Fal­ken­rit­ter; du hat­test noch nicht in dem Frei­herrn von Schack den Mä­zen ge­fun­den, der dich in den Stand setz­te, die Ent­wür­fe dei­ner Ju­gend end­lich nach jahr­zehn­te­lan­gem Hof­fen und Har­ren in Far­ben aus­zu­füh­ren. Oben in dei­nem be­schei­de­nen Quar­tier am Stadt­gar­ten sa­ßest du, und die Ge­sell­schaft dei­ner Göt­ter und Hero­en ließ dich die Welt ver­ges­sen, die dich ver­gaß. Aber wenn du auch oft zu warm warst, um die Blei­stif­te zu be­zah­len, mit de­nen du, in zar­ten Li­ni­en leicht um­ris­sen, dei­ne Träu­me von den Göt­tern Grie­chen­lands auf rein­li­che Blät­ter schriebst: nie sah ich den Schat­ten von Er­den­not und Sor­ge auf dei­ner olym­pi­schen Stirn, die wie ein Berg­gip­fel über al­lem Ge­wölk sich im ewi­gen Äther sonn­te. Und wie auch die Sor­ge an dei­nem Her­de die Rol­le des Heim­chens spie­len moch­te – ein­mal in je­der Wo­che lenk­test du den Schritt zu die­sem Hau­se, um den An­flug von Staub und Mo­der, der sich etwa an dei­ne See­le zu set­zen ver­sucht, im Wei­ne weg­zu­spü­len. Ob der wa­cke­re Schi­mon die Ehre zu schät­zen wuss­te, die du ihm an­ta­test? Ich ent­sin­ne mich kaum, dass ich dich dei­nen Wein hät­te be­zah­len se­hen, wie an­de­re Er­densöh­ne. Frei­lich warst du auch stets der Letz­te, der ging, noch ganz auf­rech­ten Haup­tes und fes­ten Gan­ges, ge­feit ge­gen das viel be­ru­fe­ne ma­lum ma­tu­ti­num, und auch dar­um viel­leicht un­serm Wirt so teu­er, weil du den Glau­ben an die Un­ver­fälscht­heit sei­nes ro­ten Un­gar mit der Macht dei­ner Rede und dei­nes Bei­spiels ver­tei­dig­test.

Schö­ne, am­bro­si­sche Mit­ter­näch­te, wenn der zwei­fel­haf­te Nek­tar sei­ne Kraft be­wies und den Meis­ter über alle Not der Ge­gen­wart hin­weg in sei­ne rö­mi­sche Ju­gend zu­rück­führ­te! Dann wur­den, wäh­rend Dich­tung und Wahr­heit sich trau­lich in eins ver­schlan­gen, die Schat­ten der wa­cke­ren Vor­fah­ren her­auf­be­schwo­ren, die in Rom zu­erst, nach Win­ckel­manns und Cars­tens Heim­gan­ge, der deut­schen Kunst eine Frei­stät­te be­rei­tet hat­ten. Der selt­sa­me Poet und selt­sa­me­re Ma­ler, der als Ma­ler Mül­ler dem heu­ti­gen Ge­schlecht trotz neu­er Aus­ga­ben sei­ner Schrif­ten nur noch dem Na­men nach be­kannt ist, und von dem Ge­nel­li gern eine Stro­phe an­führ­te, die er sehr be­wun­der­te, eine In­schrift auf ei­nem Trink­ge­fäß, fol­gen­der Fas­sung:


Trin­ke, Freund, aus die­ser Scha­le,
Die der Gott der Lust
Einst ge­formt bei ei­nem Göt­ter­mah­le
Auf Cy­the­rens Brust.

Als zwei­ter dann, der nicht min­der wun­der­li­che Ti­ro­ler Koch, von des­sen treff­li­chen Land­schaf­ten je­doch we­ni­ger ge­spro­chen wur­de, als von sei­ner »Rum­ford­schen Sup­pe«, je­ner mit der­bem Witz und bit­te­rem Hohn reich­lich über­pfef­fer­ten Her­zenser­gie­ßung über den Ver­fall der Kunst, de­ren Kraft­stel­len un­ser Freund mit schmun­zeln­dem Be­ha­gen zu zi­tie­ren lieb­te. End­lich der alte Rein­hard, ein wa­cke­rer Meis­ter in sei­ner Art, und doch min­der groß und glück­lich als Künst­ler, denn als Jä­ger. Noch hör’ ich Ge­nel­li die be­rühm­te Ge­schich­te er­zäh­len, wie der alte Nim­rod ei­nes Ta­ges im Zwie­licht mit lee­rer Jagd­ta­sche und dem Schuss noch in der Flin­te in sein dämm­ri­ges Zim­mer trat, un­wirsch über den ver­lo­re­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­