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Paul Heyse

Der Weinhüter

Novelle

Paul Heyse

Der Weinhüter

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-37-2

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Der Weinhüter

(1862-63)

Im Sep­tem­ber ei­nes Jah­res, des­sen Stadt- und Dorf­ge­schich­ten aus Men­schen­ge­den­ken schon ent­schwun­den sind, saß um die schwü­le Mit­tags­zeit ein jun­ger Bursch mit­ten in dem wu­chern­den Re­ben­wald, der, dicht an die Stadt Meran her­an­tre­tend, die Süd­ab­hän­ge des Kü­chel­ber­ges be­deckt. Die über­manns­ho­hen Lau­ben­gän­ge, in de­nen hier der Wein ge­zo­gen wird, wa­ren mit dem Se­gen die­ses Jah­res so be­la­den, dass ein dun­kel­grü­nes Zwie­licht durch die lan­gen laut­lo­sen Gas­sen schweb­te, zu­gleich eine trä­ge sto­cken­de Glut, in der kein Luft­zug Wel­len schlug. Kaum wo die klei­nen Fel­strep­pen zwi­schen den ein­zel­nen Wein­gü­tern schroff bergan lau­fen, spür­te man, dass man ins Freie auf­tauch­te. Denn das Meer von Sie­deglut, das in dem wei­ten Tal­kes­sel wog­te, schlug hier dop­pelt schwer über dem un­be­schütz­ten Haup­te zu­sam­men. Auch sah man sel­ten einen Men­schen des We­ges wan­dern. Nur zahl­lo­se Ei­dech­sen lie­fen feu­er­fest trepp­auf trepp­ab und ra­schel­ten durch das zähe Efeu­ge­strüpp, das die Grund­mau­ern der Re­be­nä­cker reich­lich um­rankt. Die dun­kelblau­en Trau­ben mit den großen dick­scha­li­gen Bee­ren hin­gen dicht ge­drängt oben an der Wöl­bung der Lau­ben­git­ter, und ein selt­sam per­len­der Ton ward in der tie­fen Mit­tags­stil­le dann und wann hör­bar, als krei­se ver­nehm­lich der Saft und ko­che am Son­nen­feu­er in dem ed­len Ge­wächs.

Der Bursch aber, der in hal­ber Höhe des Ber­ges ein­sam un­ter den Re­ben saß, schi­en für die­se ge­heim­nis­vol­le Na­tur­stim­mung taub und ganz sei­nen eig­nen düs­tern Ge­dan­ken hin­ge­ge­ben. Er trug die ur­al­te aben­teu­er­li­che Tracht der Wein­hü­ter oder »Salt­ner«, die le­der­ne Jop­pe, är­mel­los, mit brei­ten Ach­sel­klap­pen, an de­nen über den Hemds­är­meln die le­der­nen Man­schet­ten durch schma­le Rie­men oder sil­ber­ne Kett­chen fest­ge­hal­ten wer­den, Knie­ho­sen und Ho­sen­trä­ger eben­falls von Le­der und mit dem brei­ten, dau­men­di­cken Gurt um­gür­tet, auf dem in wei­ßer Sti­cke­rei der Na­mens­zug des Eig­ners steht, die wei­ßen Stut­zen­st­rümp­fe mit durch­bro­che­nem Mus­ter, um den Hals al­ler­lei Zier­rat von Kett­chen, Eber- und Mur­mel­tier­zäh­nen. Aber die Haupt­stücke sei­ner Amt­stracht la­gen ne­ben ihm im Gra­se: der hohe drei­e­cki­ge Trutz­hut, über und über mit Hah­nen- und Pfau­en­fe­dern, Fuchs- und Eich­horn­schwän­zen ver­brämt, kei­ne klei­ne Last zur Zeit der Trau­ben­rei­fe, und die lan­ge wuch­ti­ge Hel­le­bar­de, mit der die Salt­ner ih­rer dro­hen­den Er­schei­nung Nach­druck zu ver­lei­hen wis­sen, wenn ein un­be­fug­ter Ein­dring­ling in ihr Ge­biet nicht gut­wil­lig das Pfand­geld er­le­gen will.

Tag und Nacht, ohne Ab­lö­sung, ohne Sonn­tags­ru­he und Kirch­gang, um einen mä­ßi­gen Lohn durch­strei­fen die­se »le­ben­di­gen Vo­gel­scheu­chen« je­der das ihm zu­ge­wie­se­ne Re­vier, von der Mit­te des Juli, wo die ers­ten Bee­ren süß wer­den, bis die letz­te Trau­be in die Kel­ter ge­wan­dert ist. Ihr sau­rer Dienst in Hit­ze und Näs­se, ob­dach­los bis auf den küm­mer­li­chen Schutz ih­res Maiss­troh­schup­pens, ist den­noch ein Ehren­amt, zu dem nur die recht­schaf­fens­ten Bur­schen aus­er­se­hen wer­den. Auch ha­ben die ge­lin­den stern­kla­ren Näch­te in der frei­en Höhe, wäh­rend in den Häu­sern die Ta­ges­schwü­le kaum je ver­dampft, ih­ren Reiz, und die Be­sit­zer der Wein­gü­ter las­sen sich’s an­ge­le­gen sein, die Wäch­ter mit Wein und Spei­sen reich­lich zu ver­sor­gen, um sie bei Kräf­ten und gu­ter Lau­ne zu er­hal­ten.

Es schi­en je­doch die­ses Mit­tel bei dem fins­tern Bur­schen, dem wir uns ge­nä­hert ha­ben, nicht an­zu­schla­gen. Er hat­te den Krug mit ro­tem Wein, das Brot und die großen Schnit­te ge­räu­cher­ten Flei­sches, die ihm eben erst zur Mit­tags­kost ein klei­ner Kna­be her­auf­ge­schleppt hat­te, un­be­rührt ne­ben sich ste­hen auf dem plat­ten Stein, der sei­nen Tisch vor­stell­te. Eine sehr klei­ne ge­schnitz­te Pfei­fe mit sil­ber­nem Kett­chen war ihm schon lan­ge aus­ge­gan­gen, und trüb­sin­nig ver­biss er die Zäh­ne in das wei­che Holz. Er moch­te etwa drei­und­zwan­zig Jah­re alt sein, der Bart kraus­te sich leicht um Kinn und Wan­gen, die schar­fen Züge des Ge­sichts deu­te­ten auf frü­he Lei­den­schaf­ten; die Stirn aber war, nach der Lan­des­sit­te, von den Haa­ren ver­hängt, die, früh schon dicht über den Au­gen­brau­en ab­ge­schnit­ten, sich in ein­zel­ne Lo­cken ge­wöhnt hat­ten und um Schlä­fe und Na­cken eben­falls ge­lockt her­ab­hin­gen. Das gab dem Kopf alle Ju­gend­fri­sche zu­rück, die ihm die Schat­ten un­ter den dunklen Au­gen zu neh­men droh­ten.

Ein lang­sa­mer Schritt, der sich un­ten auf dem Fuß­stei­ge nä­her­te, mach­te, dass er plötz­lich auf­starr­te, den Hut auf­setz­te und die Hel­le­bar­de er­griff. Man konn­te jetzt se­hen, dass sein Wuchs hin­ter dem lan­düb­li­chen et­was zu­rück­ge­blie­ben war, im­mer noch statt­lich ge­nug und durch das schöns­te Eben­maß der ge­wölb­ten Brust und der straf­fen Schen­kel auf­fal­lend auf den ers­ten Blick. Nur der Kopf schi­en fast zu klein ge­ra­ten und Hän­de und Füße gar mit ei­nem Wei­be aus­ge­tauscht. Geräusch­los glitt die schmieg­sa­me Ge­stalt un­ter den Ge­wöl­be­git­tern ent­lang, ohne auch nur eine Trau­be zu strei­fen, und späh­te vom nächs­ten Fel­sen­vor­sprung hin­un­ter auf den Weg.

Eine schma­le, schwarz­rö­cki­ge Fi­gur mit ho­hem, sehr ab­ge­tra­ge­nem Filz­hut kam die brei­te Gas­se zwi­schen Wein­berg und Wie­se da­her­ge­wan­delt, im Schat­ten der Wei­den­bäu­me, ein of­fe­nes Buch in den ge­fal­te­ten Hän­den, über das hin­aus der Blick zu­frie­den und un­be­gehr­lich nach den schö­nen Trau­ben schweif­te. Auch ohne den lan­gen Rock, der fast zu den Knö­cheln der schwar­zen St­rümp­fe her­ab­reich­te, hät­te je­der in dem be­däch­ti­gen Spa­zier­gän­ger als­bald die geist­li­che Per­son er­kannt, und zwar an ei­ni­gen der lie­bens­wür­digs­ten Züge, die der großen und man­nig­fal­ti­gen Gat­tung un­ter ge­wis­sen Him­melss­tri­chen ei­gen sind. Da­mals war der hef­ti­ge Par­tei­en­ha­der zu Guns­ten der Glau­bens­ein­heit in dem ge­lob­ten Lan­de Ti­rol, wo die Milch des Glau­bens und der Ho­nig des Aber­glau­bens so lau­ter flie­ßen, noch eine un­er­hör­te Sa­che, und selbst die Haupt­stadt des al­ten Burg­gra­fen­amts Meran, in der vor­zei­ten man­cher­lei Re­gun­gen ei­nes neu­en Geis­tes un­lieb­sam die Ruhe ge­stört hat­ten, war wie­der in tie­fen Frie­den zu­rück­ge­sun­ken. Also hat­ten die Die­ner der Kir­che kei­ne Ur­sa­che, ih­ren Hir­ten­stab als Waf­fe zu schwin­gen, und konn­ten mit al­ler Ge­müts­ru­he die idyl­li­schen Tu­gen­den ih­res Stan­des pfle­gen. Da­mals be­geg­ne­te man nicht sel­ten je­nen be­schei­de­nen geist­li­chen Ge­sich­tern, auf de­nen eine ge­wis­se Ver­le­gen­heit über ihre ei­ge­ne Wür­de deut­lich zu le­sen war, eine ste­te Sor­ge, der Ma­je­stät des lie­ben Got­tes, des­sen Kleid sie tru­gen, nichts zu ver­ge­ben, und doch ih­ren un­ge­weih­ten Mit­ge­schöp­fen nicht all­zu un­nah­bar fei­er­lich ge­gen­über­zu­ste­hen.

Der freund­li­che klei­ne Herr im schä­bi­gen Hut war nun auch frei­lich kei­nes der ho­hen Kir­chen­lich­ter, son­dern nur ein Hilfspries­ter an der Pfarr­kir­che von Meran, der täg­lich um zehn Uhr eine Mes­se zu le­sen hat­te und da­für, au­ßer ei­nem Stüb­chen in der Lau­ben­gas­se und ei­ni­gen an­dern Emo­lu­men­ten, einen Gul­den täg­li­cher Ein­künf­te be­saß. Das Volk, das ihn sei­nes mil­den Ge­mü­tes we­gen sehr in Ehren hielt und nächst den Ka­pu­zi­nern ihm das größ­te Ver­trau­en zu­wen­de­te, nann­te ihn nicht an­ders als den »Zehn­uhr­mes­ser« und be­wies ihm auf man­nig­fa­che Art sei­ne Gunst. Es war kein Haus weit und breit, wo, wenn er an­sprach, nicht der Wein­krug und ir­gend ein Im­biss auf den Tisch ge­stellt wur­de, so­dass es dem wa­cke­ren Mann ge­lun­gen war, im Lau­fe der Zeit zwar nicht die na­tür­li­che Ha­ger­keit sei­nes Wuch­ses zu ver­bes­sern, aber we­nigs­tens der Wür­de sei­ner Er­schei­nung durch ein schüch­ter­nes Bäuch­lein auf­zu­hel­fen. Das­sel­be nahm sich, da es sich mit dem üb­ri­gen Zuschnitt der Fi­gur nur um Got­tes­wil­len ver­trug, für ein pro­fa­ne­res Auge spaß­haft aus, wie es schief und ängst­lich un­ter dem dün­nen Ro­cke fest­ge­knöpft saß. Aber zu dem be­schei­de­nen Aus­druck des Ge­sichts stimm­te die ver­le­gent­li­che Bür­de ganz wohl, und es fiel kei­nem sei­ner Beicht­kin­der ein, die­sen Spät­ling der Na­tur zu be­lä­cheln. Auch wuss­te nie­mand dem Herrn Zehn­uhr­mes­ser eine Un­mä­ßig­keit nach­zu­sa­gen, es sei denn etwa im Al­mo­sen­spen­den. Denn dass man al­ler­or­ten sich be­eil­te, ihn mit dem Bes­ten aus dem ei­ge­nen Wein­berg zu be­wir­ten, lag zum Teil an dem Rufe, des­sen er ge­noss, als sei vie­le Stun­den weit kei­ne welt­li­che oder geist­li­che Zun­ge bes­ser im­stan­de, die Güte des Weins zu schät­zen, sei­ne Dau­er­haf­tig­keit zu be­stim­men, und in Fäl­len, wo ihm durch ein klei­nes Mit­tel­chen auf­zu­hel­fen war, das rich­ti­ge an­zu­ge­ben. »Eine Wein­zun­ge ha­ben wie der Zehn­uhr­mes­ser«, war noch ge­rau­me Zeit das Ehren­volls­te, was man von ei­nem Ken­ner zu rüh­men wuss­te.

Un­ter den man­cher­lei Ga­ben und Tu­gen­den un­se­res Ehren­man­nes war aber der Mut nicht eben die stärks­te. Sei­ne Ner­ven, ob­wohl er aus ei­ner Bau­ern­fa­mi­lie im Pass­ei­er stamm­te, die zu Ho­fers Krie­gen man­chen tap­fe­ren Schüt­zen ge­lie­fert hat­te, lie­ßen sei­ne leicht er­schüt­ter­te See­le bei je­der un­ver­se­he­nen Pro­be im Stich, au­ßer wo es eine frem­de See­le zu ret­ten oder sonst eine hohe Ge­wis­sens­pflicht zu er­fül­len galt. Auch dann zog er es vor, sei­ner mo­ra­li­schen Kraft erst mit ei­ner phy­si­schen Stär­kung nach­zu­hel­fen, und sorg­te da­für, dass ein mä­ßi­ges Fäss­chen voll weißem Ter­la­ner, dem er am meis­ten be­geis­tern­de Wir­kun­gen zu­schrieb, im Kel­ler sei­nes Hau­ses nie­mals ganz ver­sieg­te. Heu­te nun, da er von ei­nem Kran­ken­be­such im Dorf Al­gund ohne La­bung zu­rück­keh­ren muss­te, war er kei­ner star­ken Prü­fung ge­wach­sen und er­schrak aufs hef­tigs­te, als plötz­lich dicht ne­ben ihm eine dunkle Ge­stalt hoch von der Wein­bergs­mau­er her­ab­sprang und auf ihn zu­stür­zend sei­ne Hand er­griff.

Ge­lobt sei Je­sus Chris­tus! sag­te er, am gan­zen Lei­be zit­ternd.

In Ewig­keit! ant­wor­te­te der Bursch.

Du bist’s, An­dree, mein Sohn? Hab’ ich doch ge­meint, der böse Feind kom­me mir mit Macht über den Hals, der ja im Wein­ber­ge des Herrn her­um­schleicht, zu se­hen, wen er ver­schlin­ge. Nun, nun, wenn man so in Ge­dan­ken und Me­di­ta­tio­nen schwebt, kann’s ei­nem schon be­geg­nen, dass euer Hut ei­nem wie das Hör­ner­haupt des Leib­haf­ti­gen vor­kommt. Bist also hier, An­dree? Das ist ja wohl dein ei­ge­ner Grund und Bo­den, den du hü­test, ich mei­ne, dei­ner Mut­ter?

Des Bur­schen Au­gen wur­den fins­te­rer, und das Blut stieg ihm ins Ge­sicht. Da sei Gott vor, sag­te er, dass ich den Fuß setz­te in die Gü­ter mei­ner Mut­ter. Seit sie mir zu Licht­mess den Schlag ins Ge­sicht ge­ge­ben hat, weil sie meint’, ich hät­te Feu­er im Sta­del an­ge­legt, bin ich nim­mer ihr Sohn und be­tre­te ihre Schwel­le we­der bei Tag noch bei Nacht.

Der geist­li­che Herr be­sann sich jetzt erst, dass er einen wun­den Fleck be­rührt hat­te. Er schüt­tel­te ernst­haft und mit­lei­dig den Kopf und sag­te: Ei, An­dree, du sprichst, wie es kei­nem gu­ten Chris­ten ge­ziemt. Hat nicht un­ser Herr am Kreuz sei­nen blu­ti­gen Fein­den ver­zie­hen, und ein Sohn soll­t’ es sei­ner Mut­ter nach­tra­gen, wenn sie ihn auch un­ge­recht ge­züch­tigt hat? Ich weiß wohl, dass es dir hart an­kom­men mag, und dass je­nes Mal, wo die Mut­ter sich ver­ges­sen hat, nicht das ers­te Mal war. Aber sie­ben mal sieb­zig­mal sol­len wir ver­zei­hen, An­dree. Hast du das schon ver­ges­sen seit der Kin­der­leh­re?

Nein, Hoch­wür­den, er­wi­der­te der Jüng­ling fest. Ich hab’ mir’s auch an­ge­lobt, an je­nen Tag nim­mer zu den­ken und kann’s über mich brin­gen, so­lang ich vom Hau­se fern­blei­be. Aber wenn ich zu­rück­käme, wür­de mich die Mut­ter selbst dar­an mah­nen, weil sie mich hasst und nur dar­auf sinnt, wie sie mich pla­gen und trat­zen mag. Sie wird mir auch mein Erbe ent­zie­hen im Te­sta­ment, sel­bi­ges weiß ich ge­wiss, und fra­ge nicht viel da­nach. Ich werd’ auch ohne das nicht ver­kom­men, und gönn’ es wohl mei­ner Schwes­ter. Aber ge­schie­den sind wir, und da kann kei­ner was dazu tun. Ich hab’ mich beim Stei­rer ver­dun­gen, drü­ben in Gratsch, als Groß­knecht, und heu­er mach’ ich den Salt­ner und hab’ mein Aus­kom­men, ohne einen Kreu­zer von Haus. Aber die Mut­ter könn­te mir sie­ben Bo­ten schi­cken und mich mit vier Ros­sen zu­rück­ho­len wol­len, ich gin­ge nicht. Es hat al­les ein­mal ein End’.

Der klei­ne Pries­ter sah nach­denk­lich vor sich hin und schi­en der Mei­nung, dass es ge­ra­te­ner sei, die Din­ge ge­hen zu las­sen, an­statt noch wei­ter mit geist­li­cher Mah­nung ein­zu­grei­fen. Er be­trach­te­te jetzt mit kun­di­gen Au­gen die Re­ben oben über der Mau­er und sag­te:

Der Stei­rer hat wohl­ge­tan, statt der Bra­tre­ben, die sonst hier stan­den, die Hert­lin­ger an­zu­pflan­zen. Sie sind noch jung, aber im nächs­ten Jahr wer­den sie das Dop­pel­te tra­gen.

Die ste­hen nur hier am Ran­de, er­wi­der­te der Bursch. Dro­ben ist meist ro­ter Far­natsch und ei­ni­ges von Geis­au­gen da­zwi­schen. Was er drü­ben hat, un­ter­halb Dorf Ti­rol, sind rote Fer­sei­len, aber er wird sie heu­er aus­neh­men und Setz­lin­ge pflan­zen, denn sie ha­ben sich schier zu Tod ge­tra­gen.

Auf wie viel Uhren rech­net ihr bei­läu­fig?

Ein­hun­dert­und­vier­zig bis -sieb­zig im­mer­hin.

Wie steht dir das Salt­nern an, An­dree? Es mag hart wer­den auf die, Län­ge.

Ha, es pas­siert, Hoch­wür­den. Noch spür’ ich’s nicht in den Glie­dern.

Hast auch bei Nacht fein die Au­gen of­fen?

Die mei­ni­gen wohl. Aber sind nur zwei, und ich müsst’ ein Dut­zend ha­ben, um al­ler­or­ten zu­gleich nach­zu­schau­en. Die Weiß­rö­cke fan­gen wie­der an, bei Nacht her­um­zu­fu­ra­gie­ren; die Wein­bee­ren sind ih­nen grad saf­tig ge­nug, um ihr Kom­miss­brot an­zu­feuch­ten. Und es kom­men ih­rer im­mer vie­le auf ein­mal, aber ein­zeln, und wenn wir einen fas­sen, ha­ben in­des die an­dern das Feld frei, und es hilft uns nichts, vorm Haupt­mann ist doch kein Recht zu er­lan­gen.

Die Stadt soll­te sich be­kla­gen.

Ja die Stadt! Da müss­ten wir Zeu­gen und Be­wei­se schaf­fen. Aber wer will’s be­schwö­ren, wenn wir am Mor­gen gan­ze Stre­cken lang die bes­ten Trau­ben ge­stoh­len und links und rechts die Re­ben wie ein Un­kraut mit dem Sä­bel zer­hau­en fin­den aus Wüst­heit und Scha­den­freu­de, dass das nur die Sol­da­ten ge­tan ha­ben kön­nen? Fas­sen wir einen am Kra­gen, so weiß er so we­nig von Wein­bee­ren wie’s Kind im Mut­ter­leib. Da bleibt nichts, als ihn auf ei­ge­ne Faust Spieß­ru­ten lau­fen zu las­sen, dass er’s Wie­der­kom­men ver­gisst. Den nächs­ten aber, den hän­gen wir, mein Eid! an den Bei­nen auf, da mag er bis an den lich­ten Mor­gen in der Luft ex­er­zie­ren.

Es sind arme Teu­fel, An­dree, und die Ver­su­chung ist groß. Ihr soll­tet’s mensch­lich mit ih­nen ma­chen.

Ma­chen sie’s denn nicht wie die Bes­ti­en? Da seht, Hoch­wür­den – und er wies auf eine Rebe, die glatt mit­ten durch­ge­schnit­ten war, dass das Laub schon welk und gelb an den Ran­ken hing – das Herz blu­tet ei­nem, so ein ge­sun­des, fried­li­ches Ge­wächs, das nur auf der Welt ist, um sei­nem Herrn das Fass zu fül­len, von den Hunds­föt­tern ver­heert zu se­hen, aus pu­rer Nie­der­tracht, uns zum Pos­sen. Fin­d’ ich einen ein­mal beim Werk, so gna­d’ ihm Gott!

Er schüt­tel­te, in der Rich­tung nach der Stadt, dro­hend die Hel­le­bar­de und bohr­te sie dar­in hef­tig in den Sand.

Der geist­li­che Herr schrak leicht zu­sam­men, ver­gaß aber sei­ner Wür­de nicht und sag­te: Ich will mit dem Haupt­mann spre­chen, heu­te noch, dass er stren­ger drauf sieht, nach dem Zap­fen­streich kei­nen Mann aus der Ka­ser­ne zu las­sen. Du aber be­zäh­me dei­ne Hit­ze, mein Sohn, und be­den­ke, dass du hier im Diens­te der Ob­rig­keit ste­hest und das Ge­richt ihr über­las­sen sollst. Be­hüt dich Gott, An­dree. Ich gehe heu­te wohl auf Goy­en hin­auf, zum Hir­zer. Hast mir was auf­zu­tra­gen an den Franz oder die Ro­si­na? Ei­nen Gruß etwa?

Nein, Hoch­wür­den. ’s ist im­mer noch beim al­ten zwi­schen dem Bau­ern und mir. Er will nichts von uns wis­sen, so frag’ ich ihm nichts nach. Die an­dern sind ganz recht­schaf­fen, möcht’ ih­nen beim Va­ter kei­nen Ver­druss ma­chen, in­dem ich sie grü­ßen ließ’. Aber wenn Ihr etwa mei­ner Schwes­ter be­geg­net – nein, auch der sagt nichts, es war nur ein Ein­fall.

Rasch, wie um sei­ne Ver­wir­rung zu ver­ber­gen, bück­te er sich nach der Hand des Pries­ters, küss­te sie ehr­er­bie­tig und schwang sich an dem lan­gen Hel­le­bar­den­schaft auf die Mau­er zu­rück, wo er so­gleich hin­ter dich­tem Re­ben­laub ver­schwand.

Kopf­schüt­telnd setz­te der Zehn­uhr­mes­ser sei­nen Weg fort, und das Ge­spräch mit dem Jüng­ling be­schäf­tig­te sein men­schen­freund­li­ches Ge­müt noch eine ge­rau­me Zeit. Aber die lan­ge, täg­li­che Übung ei­ner aus­ge­brei­te­ten Seel­sor­ge und die geist­li­che Pf­licht, das Öl der Ge­duld in ei­ge­ne und frem­de Stür­me zu träu­feln, hat­ten den schärfs­ten Sta­chel des Mit­ge­fühls be­reits ab­ge­stumpft. Es ahn­te ihm nicht von fern, wie es jetzt im In­nern des Bur­schen aus­sah, der oben bei sei­ner Mais­hüt­te lag, das Ge­sicht ge­gen den Fels­bo­den ge­drückt, als woll­te er sich bei le­ben­di­gem Lei­be in den Schoß der Mut­ter Erde ver­gra­ben, um vor ei­nem über­großen Kum­mer Zuf­lucht zu fin­den.

Eine vol­le Stun­de moch­te er so ge­le­gen ha­ben, zu­letzt durch einen mit­lei­di­gen Halb­schlaf von sei­nen hilflo­sen Ge­dan­ken er­löst, als ein hel­les La­chen, das un­ten am Weg er­scholl, ihn jäh­lings er­weck­te. Ei­nen Au­gen­blick lag er still, sich zu be­sin­nen, ob er’s nicht etwa ge­träumt habe. Aber eine hel­le Stim­me drang zu ihm her­auf und das­sel­be un­schul­dig tril­lern­de und gir­ren­de Mäd­chen­la­chen, das sich von fern fast wie der Ge­sang ei­nes Vo­gels aus­nahm. Im Nu war der Jüng­ling auf­ge­sprun­gen und an ein Lug­loch ge­stürzt, das den Blick hin­un­ter freiließ. Auf dem näm­li­chen Weg un­ter den Wei­den, den der geist­li­che Herr vor­hin ge­wan­delt war, kam, dies­mal aber von der Stadt­sei­te, ein Mäd­chen, das nicht über sieb­zehn Jahr sein konn­te, blond, eher klein als groß, in der dunklen, schwer­fäl­li­gen Lan­des­tracht. Aber die Be­we­gun­gen der zier­li­chen Ge­stalt, so lang­sam und be­hag­lich sie ein­her­schritt, wa­ren so leicht und an­mu­tig, dass je­des Auge ihr un­will­kür­lich fol­gen muss­te. Sie hat­te die Hän­de ru­hig in­ein­an­der­ge­legt, wie es die Art der Mäd­chen hier zu Lan­de ist, wenn sie nichts zu tra­gen ha­ben. Der run­de Kopf aber blieb kei­nen Au­gen­blick still auf dem schlan­ken Na­cken, son­dern wen­de­te sich wie bei ei­nem Vo­gel rast­los nach al­len Sei­ten, am häu­figs­ten frei­lich zu ih­rem Beglei­ter, über des­sen scherz­haf­te Re­den sie be­stän­dig in ein neu­es La­chen aus­brach. Das war ein ge­wand­ter, rüh­ri­ger Ge­sell, dem die lei­ne­ne Sol­da­ten­ja­cke, die eng an­schlie­ßen­den blau­en Ho­sen und die schie­fe blaue Kap­pe ohne Schirm nicht übel stan­den. Sein dunkles Ge­sicht und die schwar­zen Au­gen ver­rie­ten das wel­sche Blut. Auch hat­te er große Mühe, sich dem Mäd­chen in sei­nem ge­bro­che­nen Deutsch ver­ständ­lich zu ma­chen. Aber schon der Klang sei­ner ver­stüm­mel­ten und ver­welsch­ten Wor­te schi­en sie höch­lich zu be­lus­ti­gen. Mehr­mals warf er for­schen­de Bli­cke in der Ge­gend um­her. Ei­nen Bau­ern, der ein Kalb mit Hil­fe sei­nes Hun­des nach dem nächs­ten Dor­fe trieb, ließ er mit ab­sicht­li­chem Zö­gern vor­an­kom­men, und jetzt, da der­sel­be um die Ecke des We­ges ver­schwun­den war, rüs­te­te er sich of­fen­bar, mit dem Mäd­chen et­was hand­greif­li­cher an­zu­bin­den, als sein spä­hen­des Auge plötz­lich die dro­hen­de Ge­stalt des Wein­hü­ters ent­deck­te, der aus der Öff­nung des Wein­gan­ges her­aus­ge­tre­ten war und mit er­ho­be­ner Waf­fe, noch sprach­los, hin­un­ter­wink­te.

Der Wel­sche stand un­schlüs­sig still. Auch das Mäd­chen hemm­te den gleich­mü­ti­gen Schritt und sah hin­auf. Gu­ten Nach­mit­tag, An­dree! rief sie ohne jede Ver­le­gen­heit. Es ist mein Bru­der, setz­te sie, zu dem Sol­da­ten ge­wen­det, hin­zu. Macht, dass Ihr fort­kommt; er ver­steht kei­nen Spaß.

Der Sol­dat schi­en den wohl­ge­mein­ten Rat voll­kom­men zu wür­di­gen, aber durch die Ent­fer­nung sei­nes Fein­des sich einst­wei­len noch si­cher zu füh­len. Nix Furcht, Fral­la, sag­te er; ihm ge­ben Krei­zer a com­prar ta­bac­co; dann still sein, gut Freund. –

Er griff in die Ta­sche und hol­te eben sei­ne ge­rin­ge Bar­schaft her­aus, als er die don­nern­de Stim­me des Bur­schen dro­ben ver­nahm: Zu­rück, Sol­dat, oder der Spieß fliegt dir an den Kopf, dass du bei Nacht und Tag das Wie­der­kom­men ver­gisst.

Der Wel­sche stand wie an­ge­wur­­­­­­