Die Geschichte der Familie Bauer aus Mainhardtsall und die Sozialgeschichte Hohenlohe Frankens 1879 - 2016
Band I: 1879 - 1948
© 2018 Friedrich Eckhard Bauer
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN | |
Paperback: | 978-3-7345-9706-0 |
Hardcover: | 978-3-7345-9707-7 |
e-Book: | 978-3-7345-9708-4 |
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung
ACH | Arrest Categories Handbook (Handbuch zur Regelung der Festnahme deutscher Staatsbürger) |
AMC | Allied Military Currency (Militärmark) |
ATW | Arbeitslosentagwerk |
BASF | Badische Anilin und Soda-Fabrik (Chemieunternehmen) |
BdL | Bund deutscher Landwirte |
BdM | Bund Deutscher Mädel |
DC | Deutsche Christen |
DAF | Deutsche Arbeitsfront (Einheitsverband von Arbeitgebern und -nehmern) |
DEULA | Deutsche Lehranstalten für Agrartechnik |
DNVP | Deutschnationale Volkspartei |
En-BW | Energie Baden Württemberg |
EVS | Energieversorgung Schwaben (heute En-BW) |
EW | Einwohner |
Gestapo | Geheime Staatspolizei |
HB | Hohenloher Bote (Tageszeitung) |
HT | Hohenloher Tagblatt |
HJ | Hitlerjugend |
IG-Farben | (Zusammenschluss von Chemie-Unternehmen, u. a. auch BASF) |
JM | Jungmädel |
JV | Jungvolk |
KdF | Kraft durch Freude (Freizeitorganisation) |
KfW | Kreditanstalt für Wiederaufbau |
KSWR | Kampfbund Schwarz-Weiß-Rot: Zusammenschluss von Deutscher Volkspartei, Deutsch- nationaler Volkspartei und Stahlhelm |
KV | kriegsverwendungsfähig |
KZ | Konzentrationslager |
LKG | Landwirtschaftliche Kreisgenossenschaft |
MV | Monopolverwaltung |
NSDAP | Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei |
NSV | Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (staatlich organisierter Wohlfahrtsverband) |
OKW | Oberkommando der Wehrmacht |
Pg | Parteigenosse |
RAD | Reichsarbeitsdienst |
RM | Reichsmark |
RNST | Reichsnährstand (Standesorganisation der Landwirtschaft, heute Bauernverband) |
RSHA | Reichssicherheitshauptamt |
SA | Sturm-Abteilung (Ordnungsverband) |
SA-R | Reiterstaffel der SA |
SGA | Sturmgeschützabteilung |
SHAFT | Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (Oberkommando der US-Armee in Europa) |
SS | Schutz-Staffel (Leibgarde Hitlers) |
U 46 | Unkrautmittel 1946 (Pflanzenschutzmittel) |
WAST | Wehrmachtauskunftsstelle |
WHW | Winterhilfswerk (Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung Hilfsbedürftiger) |
WS/SS | Winter-/Sommer-Semester |
ZWS | Zuchtwertschätzung |
Eines der wertvollsten Geschenke eines Menschen ist seine Geschichte, denn sie zeigt ihm auf, wer er ist und wo er herkommt. Dadurch stellt er fest, dass er Teil von etwas Größerem ist. Diese Erkenntnis gibt Orientierung, Halt, Einordnung und ermöglicht Wertung und Verständnis. Ebenso macht es sein Leben reich durch Information. Die eigene Geschichte ist deshalb eine wesentliche Grundlage für Sinnstiftung und Lebensqualität.
Den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie viel Information beim Wechsel von der einen auf die andere Generation unwiederbringlich verloren geht. Die erste Nachkriegsgeneration nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in die Zeit des größten Umbruchs des 20. Jahrhunderts hinein geboren. Gleich zwei Zeitfenster waren/sind dabei, sich für immer zu schließen: das der Großväter-Generation, die das Kaiserreich, den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik erlebten und das der Väter-Generation, die das Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg durchlebten.
Ich, Friedrich Eckhard Bauer (FEB), der Autor dieser Familiengeschichte, entstamme dieser ersten Nachkriegsgeneration. Neben meinem persönlichen Geschichtsinteresse kommt mir noch zugute, dass ich meine Kindheit und Jugend in einem traditionellen Familienverband auf einem Bauernhof verbracht habe. Diese Zeit unterschied sich in der Sozialstruktur und den Erziehungstugenden kaum von denen meines Vaters und Großvaters. Alle drei sind wir aufgewachsen in einem Dreigenerationen-Haus, in dem eine Berichts-, Vorlese- und Erzählkultur gepflegt wurde. So kam es, dass die Großeltern und die Eltern viel von früher erzählt haben, was ich in aller Regel als spannend empfunden habe.
Nach all dem Gesagten ist es verständlich, dass mein Entschluss feststand, nach meiner Berentung eine Familiengeschichte zu Papier zu bringen, zumal meine vier Kinder mir vor Jahren zu Weihnachten ein Buch mit dem Titel schenkten: „Papa, erzähl doch mal.“ Dieses Interesse der eigenen Kinder an früher motivierte mich natürlich zusätzlich, dieses Buch zu schreiben. Es ging dabei aber nicht nur um die Frage für wen, sondern auch wie schreibe ich dieses Buch. Bei meinen Buch- Recherchen sprach ich mit einer ganzen Reihe von Personen und Zeitzeugen, die neben zahlreichen Anregungen bei mir den Gedanken reifen ließen, das Buch bei einem Verlag zu publizieren und damit der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen.
In diesem Buch tauchen sehr viele Namen auf. Die Epochen wurden auf der familiären Ebene letztlich nur von vier Namen getragen, die in ihrer aktiven Zeit als Betriebsführer (hier dargestellt) die Familiengeschicke prägten:
• meinem Urgroßvater Georg Christian Friedrich Bauer von 1879 bis 1912
• meinem Großvater, Christian Friedrich Bauer von 1913 bis 1945
• meinem Vater, Friedrich August, gen. Fritz Bauer von 1946 bis 1983
• ab 1984 von mir selbst, Friedrich Eckhard Bauer.
Die Vornamen dieser Protagonisten überschneiden sich teilweise und tragen deshalb eher zur Verwirrung bei. Zur besseren Übersichtlichkeit wird im Text immer nur der Rufname (hier fett) verwendet. Die Familiengeschichte habe ich dabei eingebettet in das dörfliche Leben im Salltal, einer idyllischen Landschaft des Hohenloher Landes, das den württembergischen Teil Frankens umfasst. Hierbei werden auch Epochenereignisse auf ihre regionalen Ausformungen heruntergebrochen. Das Buch erzählt also auch die Sozialgeschichte der Region mit Bezügen zur großen Politik der entsprechenden Zeit. Sind dabei übergeordnete Epochenereignisse auch für das Verständnis des Handelns der Menschen in Hohenlohe bedeutsam, so finden sich diese jeweils in einem Anhang.
Um die jeweilige „Epochenautentizität“ zu erhalten, verwendete ich die Sprache der jeweiligen Zeit. Zu beachten gilt dabei, dass ein Teil dieser Begriffe einen Bedeutungswandel erfahren hat und heutzutage öfters „negativ besetzt“ ist. Ich entschied mich also dazu im Interesse der historischen Korrektheit, weiterhin den Begriff „Mohrenkopf“ zu verwenden und auf „Dickmanns“ zu verzichten. Um für den Leser eine lebendige Momentaufnahme einer Epoche besser erlebbar zu machen, ließ ich auch die Erfahrung einzelner Zeitzeugen in das Geschehen einfließen, wodurch spürbar wird, wie Menschen die Geschehnisse der Zeit registrierten und wie sie reagierten. Die Zeitzeugen wurden vor dem Interview darüber unterrichtet, dass es um eine 4-Generationen Familiengeschichte geht, die publiziert werden soll. In den entsprechenden Kapiteln findet sich das wieder, was die einzelnen Personen berichteten.
Beim Umgang mit dieser Thematik kommen in den einzelnen Generationen auch Ereignisse zur Sprache, die sehr persönliche Information enthalten, insbesondere auch Ereignisse aus dem Dritten Reich, Kriegs- und Nachkriegsgeschehnisse. Für die eigene Familie stellte dies kein Problem dar, da ich mich entschlossen habe, die Familiengeschichte so darzustellen, wie sie gewesen ist. Bei der Beschreibung von familienfremden Personen wurde darauf geachtet, dass es zu keiner Verletzung von Persönlichkeitsrechten kam. Dies wurde dadurch erreicht, dass ggf. als „sensibel“ anzusehende Information nur von Personen verwendet wurde, die bereits seit mindestens 10 Jahren verstorben waren. Nach dieser 10-Jahres Frist sind juristisch personengebundene Informationen frei zugänglich und für jedermann verfügbar.
Damit der Leser beurteilen kann, auf welchen Fakten die Aussagen in diesem Buch beruhen, wurde an den entsprechenden Stellen in einer Fußnote immer erwähnt, worauf sich das Dargelegte stützt (z. B. Zeitzeugen, Archiv-Unterlagen, Literaturzitate). Ich verweise in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass sich auch wesentliche Fakten nicht im bundesrepublikanischen „Mainstream“ befinden, teilweise deshalb, weil sie unpopulär oder Opfer der „political correctness“ geworden sind. Die Zitate befinden sich immer auf der gleichen Seite, auf der der entsprechende Sachverhalt beschrieben wird. Um den Nachteil der Wiederholung identischer Zitate auf ein Minimum zu reduzieren, habe ich das Zitat teilweise an der jeweiligen Kapitelüberschrift kenntlich gemacht. Kommen Zitate im daruntersehenden Text vor, so beziehen sich diese auf die in der Kapitelüberschrift angegebene Fußnote. Durch diese Maßnahme wird vermieden, dass der Lesefluss durch „überbordendes Zitieren“ unübersichtlich und behindert wird. Als Quellen für diese Familiengeschichte habe ich herangezogen: Zeitzeugen (eigene Familie, Verwandte, Freunde, Bekannte, Nachbarn), Berichte und Dokumente aus dem: Familienarchiv, Stadtarchiv Neuenstein, Gemeindearchiv Kirchensall, Hohenloher Freilandmuseum Wackershofen, Haupt-Staatsarchiv Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg, Archiv der Studentischen Verbindung „Agronomia zu Hohenheim“, Archiv der Universität Hohenheim, Archiv der Studentischen Verbindung „Veritas zu Nürtingen“, Stadtarchiv und Archiv der evangelischen Brüdergemeinde Korntal, dem Archiv der Heilbronner Stimme, der Goggenbacher Haus-, Hof- und Familiengeschichten des Herrn Andreas Volk, Kupferzell, dem Unternehmensarchiv der BASF, der WAST (Wehrmacht-Auskunfts-Stelle), Berlin und 55 Feldpostbriefe meines Onkels Fritz Schneider, die er von der Ostfront nach Hause schrieb.
Aus Gründen der Verständlichkeit war es teilweise notwendig, manche allgemeine Entwicklungen kurz zu skizzieren. Hierbei wurden sie, wenn es geboten erschien, schon auf die Region zugeschnitten. Gelegentlich wurden aus stilistischen Gründen die Begriffe „Salltal“ und „Hohenlohe“ nicht sauber getrennt. Salltal bedeutet aber immer eine gewisse Einengung der Geographie im Vergleich zu Hohenlohe.
In den einzelnen Kapiteln wurde auch immer unterschieden zwischen der eigentlichen Familiengeschichte und meiner persönlichen Interpretation des Geschehens durch mich als Autor, die kursiv dargestellt ist. Es ist mir klar, dass meine Ansichten nicht bei jedem Zustimmung finden werden. Sie sollen als kritische Betrachtungen des Zeitgeschehens verstanden werden.
Tauchen im Sachverhalt Begriffe auf, die heute nicht mehr verständlich sind, wird die Erklärung hierfür in runde Klammern (…) gesetzt. Werden einzelne Dokumente im Originaltext wiedergegeben, so tauchen dort gelegentlich nicht zu verstehende Abkürzungen auf (z. B. in Kriegsstammrollen); diese Abkürzungen wurde dann durch eckige Klammern von mir ergänzt, Beispiel: Batl. Stab u. M[aschinen] G[ewehr] K[ompanie]. Die eckige Klammer wird ebenfalls verwandt, wenn bei der Originaltext-Dokumentation wegen gröberer grammatikalischer Verstöße die Verständlichkeit leiden würde oder wenn der Originaltext abgekürzt wird. Eckige Klammer bedeutet also immer, dass ich aus Gründen der Verständlichkeit vom Original abgewichen bin und „nachgeholfen“ habe. Einfache Rechtschreibfehler oder Grammatikfehler in Originaltexten wurden von mir nicht korrigiert, wenn die Verständlichkeit der Botschaft nicht litt.
Zuallererst schreibe ich das Buch für meine Kinder:
Sandra-Maria, Anne-Kathrin, Johanna-Constanze und Friederike-Charlotte.
Ich richte mich aber auch ganz besonders an meine Verwandtschaft und alle Einwohner des Salltals und Umgebung, die in diesem Buch vorkommen. Das sind die Menschen aus der Region Schwäbisch Hall im Osten bis Öhringen im Westen, sowie von Forchtenberg im Norden bis Waldenburg im Süden. Darüber hinaus ist dieses Buch auch interessant für all diejenigen, die an der regionalen Geschichte des Hohenloher Landes interessiert sind.
In Band I wird das bäuerliche Leben von Georg und Christian Bauer vom Kaiserreich bis einschließlich der NS-Zeit beschrieben, ebenso die unmittelbare Nachkriegszeit bis zur Währungsreform im Juni 1948.
Ich hoffe, dass sich spätere Generationen auch für die Salltal-Saga interessieren und dabei die Weisheit des Philosophen Friedrich Nietzsche nicht ganz in Vergessenheit gerät: „Wir leben nicht für die Zukunft, sondern dafür, dass wir eine Vergangenheit haben“. In der Salltal-Saga habe ich versucht, diese zu bewahren.
Mainhardtsall und Waldbröl im Herbst 2017
Friedrich Eckhard Bauer
Ein Stammbaum ist der Pfad einer Familie in die Vergangenheit. Er beschreibt die Nachkommen des ältesten bekannten Vorfahr, der Stammvater oder Ahnherr gnannt wird. Bei der Familie Bauer, Mainhardtsall, ist dies Bartel Bauer aus Vogelsberg bei Künzelsau, der um 1645 dort geboren wurde. Nach ihm sind in absteigender Reihenfolge seine Nachkommen dokumentiert. Dabei wird von der Vergangenheit ausgehend die väterliche Linie bis in die Gegenwart verfolgt. Wird nur die Erbfolge in der Vaterlinie dargestellt, so spricht man von Stammlinie oder Stammliste. Hier fehlen jeweils die Vorfahren der Mutter sowie die Geschwister der Erbsöhne/-Töchter und deren Nachkommen. Im vorliegenden Fall des Bartel Bauer fehlen die Vorfahren der Mutter, die Geschwister der Erbsöhne/-Töchter sind aber teilweise dargestellt. Bei dem Stammbaum des Bartel Bauer handelt es sich also streng genommen um eine Mischung aus Stammbaum und Stammlinie.
Die Nachfahren des Stammvaters der Familie der Magdalene Bauer, geb. Denner, Mainhardtsall, sind in Form einer reinen Stammlinie dargestellt, denn ausgehend vom Stammvater Jacob Denner, Mangoldsall, (Heirat 1692) handelt es sich um eine alleinige Darstellung der männlichen Nachfahren in der Väterlinie.
Das Einzelkind Magdalene Denner heiratete 1879 den Goggenbacher Georg Bauer, wodurch die Dennersche Linie in Mainhardtsall ausstarb. Meine väterliche Linie geht also bis zu Bartel Bauer, Vogelsberg, um das Jahr 1645 zurück, meine urgroßmütterliche bis zu Jacob Denner, Mangoldsall, um 1692.
Der Stammvater der Familie Bauer, Bartel Bauer, ist mit seiner Geburt um 1645 in Vogelsberg bei Künzelsau zu verorten (Abb. 1a-e). Sein Sohn, Hans Kasper Bauer, kam durch Heirat mit Anna Abel 1684 in den Nachbarort nach Lassbach, in dem seine Nachfahrren die nächsten drei Generationen lebten. Sein Ur-Ur-Enkel, Johann Christian Bauer I heiratete 1812 Marie Barbara Schmidt aus Goggenbach und lebte seit seiner Eheschließung als Bauer und Gemeinderat in Goggenbach, Haus Nr. 2. Dessen Sohn Johann Christian Bauer II heiratete 1850 Katherine Kotzel, die Tochter des Goggenbacher Löwenwirts, Haus Nr. 19 und begründete um diese Zeit im Haus Nr. 2 das Gasthaus zum Lamm. Er war Bauer und Lammwirt. Dessen Sohn war Georg Christian Friedrich Bauer. Er ist 1854 in Goggenbach geboren und heiratete am 27. Mai 1879 Rosine Magdalene Denner, die einzige Tochter des Bauern Andreas Denner aus Mainhardtsall. Er ist der Stammvater der Bauers in Mainhardtsall. Sein elterliches Anwesen in Goggenbach übernahmen seine 1856 geborene Schwester Katherine Barbara Hachtel, geb. Bauer und ihr Mann Georg Michael Hachtel. Der Bruder Karl Christian Bauer, 1870 geboren, heiratete 1896 die Witwe des Kronenwirts, Magdalene Mebus, geborene Hübner, aus Eschental, die die Gaststätte ursprünglich von der Hübner-Seite in die Ehe einbrachte. Er ist der Stammvater der Bauers in Eschental. Dann gab es noch die Schwester Barbara Magdalene Bauer, geboren 1852, die 1873 den Bauern Georg Friedrich Graf aus Fessbach heiratete und die Schwester Barbara Rosine Bauer, 1859 geboren, die 1886 den Bauern Johann Heinrich Stock aus Rudelsdorf bei Wolpertshausen ehelichte.
Auf dem Haus Nr. 2 in Goggenbach ging der Familienname Bauer 1882 bis 1895 auf den Namen Hachtel über. Dieser verkaufte seinen Hof 1895 einem Herrn Feucht. 1900 fand der Namenswechsel zu Frenz statt. Er war der letzte Lammwirt. Der Name blieb bis mindestens 1949 erhalten. Später wechselten die Namen zu Baumann und Scholz. Aus der Zeit des Johann Christian Bauer I existiert noch eine Inschrift der Jahreszahl „1820“ über dem Scheuneneingang des Hofes Nr. 2. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Wohnhaus zerstört und 1949 neu aufgebaut. Davon berichtet noch die Inschriftentafel über dem Hauseingang des Hauses Nr. 2:2
Durch Kriegsereignisse zerstört am
11. April 1945. Wieder aufgebaut
von Hermann Frenz und Frieda,
geborene Feucht, 1949.
Der Stammvater der Denners aus Mainhardtsall ist Jacob Denner aus Mangoldsall; von ihm ist nur bekannt, dass er am 7. Juni 1692 geheiratet hat (Abb. 2). Von der Ehefrau kennen wir nur der Vornamen Margarethe und dass sie die Tochter eines Bauern aus Orendelsall war. Ihr Sohn Albrecht Leonhard Denner, am 28. Februar 1696 in Mangoldsall geboren, heiratete am 3. Oktober 1724 Regina Barbara Eberlein aus Großhirschbach. Das Paar übernahm dann den Hof in Mainhardtsall. Albrecht Leonhard Denner war also der Stammvater der Denners in Mainhardtsall. Da beide nicht aus Mainhardtsall stammten, bleibt nur die Schlussfolgerung, dass sie den Hof in Mainhardtsall entweder gekauft oder geerbt haben. Beide lebten in Mainhardtsall und verstarben auch dort, Albrecht Leonhard am 13. Dezember 1749, seine Frau starb am 21. April 1785 an „Schlagfluss“ [Schlaganfall]. Der erste in Mainhardtsall geborene Denner war ihr Sohn Johann Andreas Denner I, geboren am 20. August 1725 in Mainhardtsall. Er verstarb am 10. Januar 1798 an „Schlagfluss“ [Schlaganfall] an seinem Geburtsort Mainhardtsall. Sein Sohn Georg Leonhardt Denner (geb. 1755), sein Enkel Johann Andreas Denner II (geb. 1788) und sein Ur-Enkel, Johann Andreas Denner III (geb. 1827) führten den Familienbetrieb in direkter Linie weiter. Johann Andreas Denner III heiratete am 17. Oktober 1848 in Kirchensall Rosine Katherine Löchner (geb. 1825) aus Langensall. Das Paar hatte insgesamt sechs Kinder, jeweils drei Söhne und drei Töchter, die mit Ausnahme des vierten Kindes, der Tochter Rosine Magdalene Denner (geb. 1856) alle kurz nach ihrer Geburt gestorben sind. Rosine Magdalene Denner heiratete dann 1879 Georg Christian Friedrich Bauer aus Goggenbach, der zusammen mit seiner Frau den Hof seines Schwiegervaters in Mainhardtsall übernahm. Er wurde damit zum Stammvater der Bauers in Mainhardtsall und so führte das Paar den Hof in die nächste Generation.
Mit der Heirat des Goggenbacher Georg Christian Friedrich Bauer mit Rosine Magdalene Denner aus Mainhardtsall am 27. Mai 1879 ging der Hofname von Denner auf Bauer über, da Georg und seine Frau den Hof übernahmen. Somit war ein neuer Bauer ins Dorf gekommen, was zu dem Hausnamen „Neubauer“ führte. Hiermit wurde die Hofstelle des Andreas Denner jetzt belegt. Solche Namen sind sehr langlebig: Noch 140 Jahre später, in den Zeiten seines Ur-Enkels Eckhard ist der Name „Neubauer“ immer noch in Gebrauch.
Ein Generationswechsel in der Führung eines Hofes zog auch damals bereits eine gewisse Bürokratie nach sich, die erhalten blieb und hier dargestellt werden soll. Im 19. Jahrhundert war die Dokumentation von Rechten und Besitz noch ganz anders geregelt als in unseren Tagen. Es gab eine Reihe von Büchern, in denen die verschiedensten Rechtsverhältnisse separat erfasst waren. Der Grund dieser Dokumentationen war im wesentlichen der gleiche wie heute. Es ging um Rechtssicherheit, Vermeidung von Erbstreitigkeiten und um die Grundlagen zur Erhebung von Steuern. Eine kurze Einführung sei deshalb vorangestellt.
Zwei Zäsuren im Lebenszyklus der Menschen sind die Heirat und der Tod. Bei der Heirat kommen die Vermögen der Eheleute zusammen. Die detaillierte Vermögenserfassung der Eheleute zum Zeitpunkt der Heirat war die Inventur. Nach dem Tod geht es um die (Auf-)Teilung des Vermögens des Verstorbenen unter seinen Nachfahren. Die Erfassung dieses Sachverhaltes war die Aufgabe der Teilungen. Die gesetzliche Grundlage hierfür schaffte Herzog Christoph von Württemberg bereits 1555 mit dem damals erschienenen Ersten Landrecht. Inventuren und Teilungen sind ein Teil des württembergischen ehelichen Güter-, Erb- und Vormundschaftsgerichts. Inventuren und Teilungen umfassten die Alltagskultur und die Lebenswelt der Menschen vor Ort.
Von Form und Inhalt her gab es drei Arten von Inventuren und Teilungen:
Die Beibringensinventur: Hier wurde das von den Brautleuten eingebrachte Vermögen erfasst („beigebracht“). Sie beginnen mit Ort und Datum, dem Namen der Eheleute und dem Zeitpunkt der Verheiratung. Dann folgt die Vermögensbeschreibung des Ehemannes und dann die der Ehefrau. Beide haben am Schluss das Inventar zu unterschreiben. Diese Erfassungsform lag bei den Eheleuten Georg und Magdalene Bauer vor.
Die Eventualteilung: Hier wurden die Erbteile nicht wirklich geteilt (abgetrennt), sondern nur der Anteil der (weichenden) Erben ermittelt und festgeschrieben. In der Landwirtschaft bedeutete dies, dass der älteste Sohn den Hof bekam, ohne dass dadurch Teile für die Geschwister davon abgetrennt wurden (Anerbenrecht). Seine Geschwister hatten das Anrecht auf den in der Teilung festgeschriebenen Anteil. Ursprünglich waren dies meist Naturalien. Später wurde das Problem so gelöst, dass die Schwestern eine Aussteuer und die weichenden Brüder einen Geldbetrag oder eine „wertvolle“ (z. B. akademische) Ausbildung erhielten. Die Eventualteilung war die Regelung, die für Hohenlohe galt.
Die Realteilung: Hier wurde das Vermögen wirklich geteilt. Hatte ein Hof 21 Hektar und waren es drei Kinder, so erhielt jeder 7 Hektar. Diese Regelung galt nicht in Hohenlohe, sondern in anderen Teilen des Landes.
Zur Dokumentation von Besitztümern einer Person dienten die Güterbücher. Sie waren auch die Grundlage für die Erhebung von Steuern. Für die Landwirtschaft bedeutete dies die Erfassung der Hofstelle mit allen Gebäuden und Gelassen und allen Parzellen mit Namen, Parzellennummern und -Größe. Die Servitutenbücher beinhalteten alle Dienstbarkeiten, die auf einem Grundstück lagen. Für die Landwirtschaft war die Grunddienstbarkeit die wichtigste. Dies ist eine Belastung, die der Eigentümer dulden muss. Zu dieser gehört beispielsweise das Wegerecht (Duldung der Überfahrt) oder Leitungsrechte, wie das Verlegen der Kanalisation (gegen einmalige Entschädigung). Mit der Grunddienstbarkeit nicht zu verwechseln ist der Nießbrauch. Hier handelt es sich um das Recht zur Nutzung fremden Eigentums. Gängig war der Nießbrauch der „Ausdingerwohnung“, nachdem das alte Bauernpaar Haus und Hof an die Familie des Sohnes weitergegeben hat. Hier wohnten die Eltern des jungen Bauern unentgeltlich in seinem Eigentum. Diese Regelung wurde auch bei der Familie Bauer umgesetzt. Dann gab es noch die Kaufbücher. Hierin wurden die Kaufverträge über ein Grundstück eingetragen. Sie dienten gleichzeitig als Grundlage für die Eintragung ins Güterbuch. Die gesamte Pflege all dieser Rechtsgeschäfte lag in den Händen der Notariate.
Im Jahr 1900 wurden all diese separaten Bücher im Grundbuch zusammengefasst und vereinfacht.
Im Anhang zum Kapitel „Kaiserreich“ gebe ich die wörtliche Übersetzung der Beibringensinventur, des Güterbuchs und des Kaufbuchs der Eheleute Georg Christian Friedrich Bauer und seiner Ehefrau Rosine Magdalene, geborene Denner wieder. Hier im laufenden Text erfolgt lediglich eine kurze Zusammenfassung mit einer Ableitung zur damaligen Lebenswelt.
Nachdem die jungen Eheleute am 27. Mai 1879 geheiratet hatten, erfolgte die Verhandlung der Beibringensinventur 5 vor Notar, Schultheiß und einem Gemeinderatsvertreter am 19. September 1879 auf dem Notariat in Forchtenberg. Zunächst erfolgte das Beibringen des Ehemanns.
In der Rubrik Liegenschaft wird auf den Kaufvertrag sämtlichen Liegenschaftsbesitztums von den Eltern seiner Ehefrau vom 19. Dezember 1878 Bezug genommen. Hier wird erwähnt, dass der Kaufvertrag erst nach der Eheschließung rechtskräftig wird. Die Eheleute treten gemeinsam als Käufer auf. Kaufpreis 24.000 Mark. Fahrnis [beweglicher Besitz] hat der Ehemann nicht. Bargeld bringt er 10.285,71 Mark mit. Dann folgt eine Auflistung von Büchern, Kleidung und Bettwäsche. Am Schluss die Erwähnung „schuldenfrei.“
Anschließend folgt das Beibringen der Ehefrau:
Die Liegenschaft ist analog zum Ehemann. Fahrnis hat sie auch nicht. Bargeld hat sie im Wert von 13.714,28 Mark. Anschließend folgt die Auflistung von Gold und Silber, Bücher, Kleidung und Bettwäsche. Wiederum endet das Beibringen mit dem Hinweis „schuldenfrei.“
Dann gibt es den Beschluss, den Vorgang im Güterbuch vorzumerken; dies wurde am 22. Dezember 1880 vollzogen. Im Anschluss folgt die Kostenrechnung.
Ganz zum Schluss folgte das Bürgerersuchen von Georg Christian Friedrich Bauer. Er stammt aus Goggenbach, somit aus einer fremden Gemeinde. Nachdem er seine Frau geheiratet hatte und sich entschied, in Zukunft in Mainhardtsall zu leben, war es notwendig, ihn in der Gemeinde Kirchensall als Neubürger aufzunehmen. Der Gemeinderat und der Bürgerausschuss beschlossen seine Aufnahme gegen die Entrichtung der gesetzlichen Aufnahmegebühren und von „Sporteln“ [Entgelt für Amtshandlungen duch Beamte]. Dies geschah am 30. Dezember 1879 (Anhang I).
Diese Beibringensinventur wurde dann in das Güterbuch 6 aufgenommen und die vollendete Umschreibung des Güterbuches in das seit 1900 obligate Grundbuch mit Datum vom 24. April 1903 bestätigt. Hier werden alle Parzellen mit Güternummern versehen aufgeführt und der einzelne Steuerbetrag in Gulden und Kreuzer ermittelt (Anhang II).
Die Aufnahme des Kaufvertrages in das Kaufbuch7 ist am 19. Dezember 1878 geschehen und wurde am 25. Juni 1879 dort eingetragen. Hier verkauften Andreas und Katharina Denner ihr sämtliches Liegenschaftsbesitztum an ihre Tochter Magdalene Denner und deren Verlobten Georg Christian Friedrich Bauer. Die Kosten hierfür beliefen sich auf 57,80 Mark. Im Güterbuch sind verzeichnet: Die Hofstelle mit allen Gebäuden, Hofraum, Gemüsegärten und Baumgärten mit einer Gesamtfläche von 2 Hektar, 12 Ar und 39 Quadratmeter. Anschließend wird der Kaufpreis von 24.000 Mark und der abzuziehende Kaufschilling von 15.714,28 Mark als Heiratsgut (Mitgift) erwähnt. Die Jungen müssen also nur die Differenz von 8.285,72 Mark bezahlen. Weiter wird aufgeführt, wie viel Anteil an Vieh- und Fahrnis der Käufer erhält. Der Rest bleibt für den Verkäufer (Altengeneration). In diesem Status ist die Altengeneration noch Miteigentümer an Vieh- und Fahrnis. Möchte sich die Altengeneration von diesem Status trennen (z. B. wegen Gebrechlichkeit), wird ihr Teil auch gleich in ein Leibgeding umgerechnet. Das sind im wesentlichen bestimmte Mengen an Naturalien, die aber auch mit einem Geldbetrag bewertet werden. Außerdem behielten sich Andreas und seine Frau eine Ausdingerwohnung im Bauernhaus in Form eines Nießbrauchs zurück. Zusätzlich sind die Jungen verpflichtet, die Wäsche der Alten zu waschen und bestimmte Nebenkosten der Alten zu tragen (Anhang III). Auf diese Art und Weise wurde die alte Generation im fortschreitenden Alter umsichtig abgesichert.
Beibringens-Inventur, Güterbuch und Kaufbuch belegen, dass es sich bei den Familien Denner/Bauer in Mainhardtsall um einfache, aber für die Zeit durchaus wohlhabende Bauersleute handelte. Ihr Hof gehörte zu den größeren Höfen der Region und sie haben ihre einzige Tochter mit einer guten Aussteuer ausgestattet. Milieu- und zeitbedingt legten die Eltern keinen großen Wert auf Bildung, auch festzumachen an der Tatsache, dass die Tochter als einziges Buch nur ein Gesangbuch hatte. Diese Tatsache scheint darauf hinzudeuten, dass eine feste Verankerung in der Kirche bestand; dies war zeitbedingt der Normalfall. Der Ehemann der Tochter entstammte dem gleichen Milieu und kam aus dem 10 km entfernten Goggenbach. Für den Bildungsstand (auch er besaß als einziges Buch ein Gesangbuch) galt das gleiche wie für seine Frau. Auch die Familie des Ehemanns war nicht arm, brachte er doch ca. 10.000 Mark an Mitgift mit. Als ältester Sohn hätte er das Anrecht als Goggenbacher Hoferbe gehabt. Die Hofgröße in Goggenbach ist jedoch kleiner als in Mainhardtsall und die Rahmenbedingungen waren auch nicht so gut. Beides waren die entscheidenden Gründe, weshalb er sich für den Standort Mainhardtsall entschied und seinen elterlichen Hof seiner Schwester Katherine Barbara Hachtel, geb. Bauer und ihrem Mann überließ.
Dass der Umzug von Goggenbach nach Mainhardtsall ein kostenpflichtiges Bürgerersuchen nach sich zog erscheint in der heutigen Zeit doch eher befremdlich. Dies machte eine Abstimmung des Gemeinderats und des Bürgerausschusses über Georg Bauers Antrag notwendig, der theoretisch auch abgelehnt hätte werden können. Im Verständnis der Zeit war der ganze Vorgang aber ein wichtiges Element des Gemeindelebens.
Der 3. August 1889 war ein herrlicher Sommertag in der arbeitsreichsten Zeit eines Bauernhofes, denn er fällt in die Mitte der Getreideernte. Trotzdem war es dieses Mal anders als in den Jahren davor, denn die junge Bauersfamilie erwartete zum dritten Mal Nachwuchs. Nach zehn Jahren Ehe und der Geburt von zwei Töchtern warteten Georg Christian Friedrich und seine Frau Magdalene sehnlichst auf einen Stammhalter, der natürlich später einmal den Familiennamen weiter tragen und den Hof übernehmen sollte. Obwohl es niemand aussprach, war es den werdenden Eltern und den Großeltern klar, dass dies die letzte Gelegenheit hierzu war, denn Magdalene war mit inzwischen 33 Jahren eigentlich schon zu alt, um nochmals Mutter zu werden. Als sich die Schwangerschaft ankündigte, haben alle dafür gesorgt, dass sich Magdalene einigermaßen schonen konnte, was aber nicht bedeutete, dass sie nicht jeden Tag gearbeitet hätte. Als dieses Jahr die Ernte anstand, hat ihr Mann Georg dafür gesorgt, dass sie von jeglicher Außenarbeit freigestellt wurde. Dies war ein Privileg, das ihr nur einmal in ihrem arbeitsreichen Leben zu Teil werden sollte. Das Schicksal meinte es gut mit den beiden: Bei einer problemlosen Haus-Geburt unter der Leitung der erfahrenen Gemeindehebamme kam dann am 3. August 1889 endlich der ersehnte Stammhalter zur Welt. Auf alle Eventualitäten vorbereitet, hatten die Eltern Namen beiderlei Geschlechts parat. So kam es, dass der Sohn auf den Namen Christian Friedrich getauft wurde. Beide Vornamen hatten Tradition in der Familie und die Weitergabe von mindestens einem dieser Vornamen bei jeder neuen Generation war obligat. Im Fall des Neubürgers Christian kamen gleich beide zum tragen. Im ersten Überschwang der Gefühle ging weitgehend unter, dass es ein kleines, schwächliches Kind war. Gleich fing man an, sich Sorgen um die Gesundheit des Stammhalters zu machen. Am Ende überwog aber die Zuversicht, dass durch intensive Zuwendung und Pflege und guter Nahrung die beklagten Nachteile zumindest weitgehend wettgemacht werden könnten. Der 3. August 1889 war einer der ganz großen Glückstage im Leben der Familie Bauer.
Georg Bauer hatte Glück, dass er sich in die einzige Tochter des Andreas Denner verliebt hatte. Dies gab ihm die Chance eine überdurchschnittlich auskömmliche bäuerliche Existenz für sich und seine junge Familie zu begründen. Mit einer Betriebsgröße von 25,75 Hektar war der Dennersche Hof der größte im Ort und Georg Bauer konnte sich fortan zu den „großen Bauern“ zählen. Im Vergleich zu seiner Schwester, Katherine Barbara Hachtel, geb. Bauer, die mit ihrem Mann den elterlichen Hof in Goggenbach übernommen hatte, hatte sich Georg verbessert. Aber auch Andreas Denner und seine Tochter Magdalene konnten zufrieden sein, denn Andreas bekam einen umgänglichen Schwiegersohn, mit dem er ein gutes Auskommen hatte, der mit Tatkraft und Geschick den Hof mehr und mehr übernahm. Andreas war deshalb froh, dass er kurz nach der Hochzeit die Leitung des Hofes auf Georg übergeben konnte, zumal er mit Anfang fünfzig von der vielen harten Arbeit schon deutlich gezeichnet war und ihm bei der harten Arbeit die Glieder zunehmend Schmerzen bereiteten. Auch seine Frau Rosine empfand das so, so dass auch sie sich mit dem Start der jungen Familie etwas zurücknehmen konnte und dabei ihre Tochter Magdalene zunehmend die Rolle ihrer Mutter übernahm. Magdalene hatte all diese strategischen Gedanken nicht im Blick, sie war einfach nur glücklich, dass sie mit ihrem Georg einen „rechtschaffenen“ und liebenswürdigen Ehemann aus gutem Hause bekam und mit ihm zusammen gerne die Aufgabe übernahm, den Hof in die nächste Generation zu führen.
Auf einem Jungbauern-Paar dieser Zeit ruhte der „imaginäre Druck“, die Erbfolge für die nächste Generation möglichst frühzeitig zu sichern. Oft war es auch so, dass die Hofüberschreibung auf die junge Generation erst erfolgte, wenn diese bereits Kinder hatten, eine Praxis, die sich auch in den Folgegenerationen bewähren sollte. Für Magdalene und Georg gab es dieses Problem glücklicherweise nicht, denn bereits ein Jahr später im Jahr 1880 wurde ihr erstes Kind, Tochter Lina geboren. 1883 folgte die kleine Schwester Rosine. Damit war zwar die nächste Generation gesichert, aber eine Hofüberschreibung an eine Tochter war für die damalige Zeit lediglich eine Notlösung, die man, wenn es irgend ging, vermeiden wollte. Jetzt mit der Geburt von Christian ging auch dieser Kelch an Magdalene und Georg vorüber und das Familienglück war perfekt. Magdalene kümmerte sich rührend um ihren kleinen Sohn, so dass er gut gedieh und die ursprünglichen Sorgen bald verflogen waren. Da drei Generationen unter einem Dach lebten, war auch die Großmutter in die Kinderbetreuung eingebunden. Dies bereitete ihr große Freude und sie liebte ihre neue Rolle als Oma. Auch eine Magd war noch im Haus, die wenn es „Not an Frau“ war, auch auf den Kleinen aufpassen konnte. Und dann waren da ja noch die beiden älteren Schwestern, die sich ebenfalls gerne um den kleinen Christian kümmerten. Insbesondere Lina war es, die als älteste Schwester sich um den kleinen Bruder mehr und mehr kümmerte. So erhielt Christian bis zu seiner Schulzeit, wie es für die Zeit in einem Bauernhaushalt üblich war, eine reine Frauenerziehung.
Eine Bauersfamilie in jener Zeit war in erster Linie eine Arbeitsgemeinschaft, denn alles drehte sich um den Hof. Natürlich liebte man seine Kinder, aber Kinder liefen in jener Zeit nebenher und erzogen sich zu einem Großteil gegenseitig. Von den Erwachsenen, insbesonders der Männerwelt, erhielten sie bei weitem nicht die Aufmerksamkeit und Zuwendung wie es 100 Jahre später üblich geworden war. Die Kindheit von Christian auf dem elterlichen Hof war für ihn ein großes Abenteuer. Jeden Tag gab es für ihn etwas Neues zu entdecken. Während der Vorschulzeit hatte es sich eingebürgert, dass die älteren Schwestern mit seiner Betreuung beauftragt waren, dies immer wieder auch zu ihrem eigenen Leidwesen, denn sie hatten natürlich auch eigene Pläne, wie sie ihren Tag gestalten wollten. Aber da sie zu zweit waren, konnten sie sich in Bezug auf diese Pflicht auch abwechseln. Hinzu kam allerdings noch, dass sie auch im Haus mithelfen mussten. Es war damals üblich, dass Schulkinder in irgendeiner Form in die Arbeit auf dem Hof eingebunden waren. Im ausgehenden 19. Jahrhundert galt es als wichtiger Teil der Erziehung und Sozialisation, Kinder frühzeitig an die Arbeitswelt heranzuführen, einzubinden und ihnen Verantwortung zu übertragen, denn nur so konnten sie auf den Ernst des Lebens richtig vorbereitet werden. Kinderarbeit war also im Gegensatz zu heute positiv besetzt und wurde als wichtig und vorteilhaft angesehen. Noch im Jahr 1916 belief sich die durchschnittliche Kinderarbeit auf sechs Stunden pro Tag!9
Auf diese Weise kam es, dass Christian den Hof für sich mehr und mehr entdeckte. Er stöberte durch die Ställe, die Tennen, kroch auf den Heuboden und durchkämmte Feldscheuer, Schuppen und Hühnerstall, denn hier ließ es sich mit den Schwestern und Nachbarskindern vortrefflich „Verstecken“ spielen. Der ihm vertraute Bereich wurde von Tag zu Tag größer. Es wurden Höhlen im Heu oder im Stroh gebaut. Bald stöberte die Truppe an der Sall entlang und erkundete die nähere Umgebung. Die Vorschulzeit war für Christian die Zeit, in der er seine frühe Kindheit so ausleben konnte wie er wollte, ohne dass er irgendwelche Pflichten gehabt hätte und der Hof und die nähere Umgebung waren für ihn ein großer Abenteuerspielplatz. Es war für ihn eine sehr glückliche Zeit.