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Inge Patsch

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Ein Wegweiser mit Impulsen
von Viktor E. Frankl
und Ignatius von Loyola

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Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“

2019

Inhalt

Vorwort

Am Anfang ist ein Mangel

Von der Sehnsucht nach Geborgenheit und dem Dilemma des Vergleichens

Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl – ein Dialog im Jenseits

Die Welt, in der wir leben

Wie das Streben nach Harmonie Menschen in die Enge treibt

Leben heißt zeigen, was du liebst

Das Leben in allen Dingen finden

Für mein inneres Wachstum bin ich verantwortlich

Nicht das viele Wissen sättigt die Seele

Die Kraft, die aus der Tiefe kommt

Vom Segen, der das Leben nährt

Den Bildern nicht mehr entsprechen

Ernsthaftigkeit belebt und bereichert

Das Selbstverständliche ist nicht selbstverständlich

Selbstbestimmt leben und die Realität respektieren

Was mich – wieder – leben lässt: mein Maß

Der Versuch, ohne Feindbilder zu leben

Von der Kunst der Unterscheidungen

Von der „Unterscheidung der Geister“

Gott und Leben in allem finden

Worauf schaue ich zurück und was gilt es zu beleben?

Am Ende bleibt Beziehung

Vorwort

Wegweiser dienen unserer Orientierung.

Wegweiser stehen uns zur Verfügung,

ohne sich aufzudrängen.

Wegweiser laufen uns nicht nach.

Wegweiser sind nicht ungehalten,

wenn wir sie nicht beachten.

Dieses Buch möchte als Wegweiser dienen und teilt Erfahrungen mit, die aufgrund der wegweisenden Gedanken von Viktor E. Frankl und Ignatius von Loyola entstanden sind. Sowohl für die Logotherapie als auch für die ignatianische Spiritualität gilt, dass mein Zugang kein wissenschaftlicher ist, sondern ein alltäglicher und praxisnaher. Bei dieser Begegnung geht es nicht um ein theoretisches Geschichtswissen, sondern um ein persönliches Berührtwerden.

Wir leben in einer Zeit, in der es für fast alle Lebenslagen Anweisungen gibt, und die „Apps“ vermehren sich rasend schnell. Die ständigen Kontrollfunktionen versprechen Erleichterung, doch gleichen sie eher einer Fremdbestimmung und stören unsere besonderen menschlichen Fähigkeiten wie Wahrnehmungsfähigkeit und Mitgefühl.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich aus den Lebensgeschichten von Menschen mehr gelernt habe als durch das exakte Befolgen diverser Lebensregeln. In diesem Buch werden Sie einige persönliche Geschichten von mir entdecken und vielleicht können Sie Ähnliches erfahren. Ich möchte Sie ermutigen, zu Ihrer Einmaligkeit durchzudringen und zu sich selbst und zu Ihrem Leben immer mehr Ja sagen zu können. Egal, wie unterschiedlich Herkunft, Veranlagungen sowie Charakter und Möglichkeiten von Bildung sein mögen: Das Einzige, was Ihnen niemand nehmen kann, ist, wie Sie Ihr Leben gestalten. Ganz im Erkennen dessen, dass wir selbst Baumeister unseres Lebens sind und aus den vorgefundenen Bausteinen ein gelungenes Werk schaffen.

Am Anfang ist ein Mangel

Am Anfang ist ein Mangel

ein Missverständnis

eine Meinungsverschiedenheit

und der Mangel hat einen Grund

einen guten Grund

die Sehnsucht nach Gemeinschaft

den Wunsch nach Gemeinsamkeit

das Verlangen Interessen zu teilen

Dann kommen Ratgeber und Gleichmacher

und Oberflächenfrager und Ruhestifter

was bleibt ist die Unruhe im Inneren

weil die Oberflächenfrager keine Fragen stellen

sie verteilen Besserwisserei und Rezepte

und die Ruhestifter wollen den Mangel vertreiben

doch der bleibt

Wir brauchen Schrittmacher

die uns ernst nehmen

wir brauchen Schrittmacher

die nicht verlangen

dass wir in ihre Fußstapfen treten

wir brauchen Schrittmacher

die uns mit Sinnvollem inspirieren

wir brauchen Schrittmacher

die uns ermutigen eigene Schritte zu gehen

auch wenn wir eine andere Richtung einschlagen

Am Anfang weist der Mangel auf etwas hin

wir können das Fehlende nicht benennen

uns fehlen Worte für das was fehlt

trotzdem öffnet dieser Mangel die Tür

zur Tiefe des Lebendigen

dort können Glücksmomente empfunden und erlebt werden

nur festhalten kann ich sie nicht

Von der Sehnsucht nach Geborgenheit und dem Dilemma des Vergleichens

Es hat sehr viel mit dem Empfinden von Geborgenheit zu tun, um mich in meinem Leben zu finden. Geborgenheit ist unmittelbar mit Lebensgewissheit verbunden. Diese wirkt unabhängig von Leistung, gilt auch losgelöst von Besitz und Macht. Lebensgewissheit und Geborgenheit können in dem Maße wachsen und gedeihen, in dem sich ein Mensch auf das Leben einlässt und sich berühren lässt. Sich auf das Leben einzulassen hat viel mit der persönlichen Sichtweise und den eigenen Vorstellungen zu tun, wie Leben zu sein hat.

Es gibt viele unterschiedliche Haltungen dem Leben gegenüber. Ich greife zwei heraus: Auf der einen Seite gibt es das Streben nach Sicherheit, aber es gilt sich auch mit der Tatsache anzufreunden, dass es keine Sicherheit gibt. Das Risiko mangelnder Sicherheit sollten wir bedenken und auch bejahen. Wir sind wie Akrobaten, die ohne Netz arbeiten. Viele Male fängt uns das Leben auf und irgendwann der Tod. Wer eine leise Ahnung hat von diesem Phänomen der Geborgenheit, erlebt immer wieder diese Gewissheit, innen heil zu bleiben, auch wenn es äußere Verletzungen gibt und die Bedingungen nicht ideal sind. Die Geborgenheit wohnt im Land der inneren Gewissheit. Leider gibt es keine Reisebeschreibung, wie man dorthin gelangt, aber es gibt Gedanken von Menschen, die zum Nachdenken anregen.

Etty Hillesum schrieb in ihren Tagebuchaufzeichnungen: „Ich gehe niemals und nirgendwo zugrunde. Ich werde immer eine Stunde für mich finden. Ich bleibe mir selbst ganz treu und werde weder resignieren noch mich zermürben lassen. Ich würde die Arbeit nicht durchhalten können, wenn ich nicht jeden Tag aus der großen Ruhe und Gelassenheit in mir Kraft schöpfen könnte.“1

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt hat mit seiner Art, in die Welt der Musik einzutauchen, Menschen begeistert. Er ist der Musik ein Leben lang treu geblieben und dadurch sich selbst. Auf die Frage, ob er etwas hat, das er dem Negativen entgegensetzen könnte, sagte er: „Eine unbegründete Hoffnung. Ich verstehe es selbst nicht. Ich sehe, wie das Schiff, in dem wir alle sitzen, in den Abgrund fährt, und ich habe die unbegründete Hoffnung, dass nichts passiert.“2

Es hängt von der jeweiligen Lebenssituation ab, ob sich ein Mensch berühren und inspirieren lässt, und von seiner Bereitschaft, Interesse und Lernfreude zu entfalten. Wir werden inspiriert, doch was dann folgen muss, ist Offenheit, persönliches Interesse und ein bewusstes Wahrnehmen. Wie wir äußere Eindrücke wahrnehmen und eigene Gedanken dazu entfalten, dafür sind wir selbst zuständig. Dem Verlauf der persönlichen Gedankenwelt auf die Spur zu kommen, macht uns empfindsam, stärkt unsere Eigenständigkeit und unsere Tatkraft. Denken allein überzeugt niemanden, nicht einmal uns selbst, und deshalb müssen wir vor allem Taten setzen, in denen man Sinn verwirklicht.

Trotzdem können Gedanken unsere Taten beflügeln oder lahm legen. Deshalb ist es sinnvoll, sich bewusst zu machen, welche Gedanken das Empfinden von Geborgenheit erschweren oder sogar verhindern:

Das Leben als Wettbewerb sehen und siegen wollen

Das Vergleichen mit anderen

Der Anspruch, immer noch besser sein zu wollen

Akribisch genaue Planung, ohne auf die Realität zu achten

Schuldgefühle pflegen, die nichts mit tatsächlicher Schuld zu tun haben

Ständige Bewertungen, Kommentare und Empörungen

Es gibt aber auch Gedanken, welche dieses Empfinden stärken:

Sich begeistern und bestimmten Werten treu bleiben

Mut zum Wagnis

Dankbar sein für Gelegenheiten, die das Leben bietet

Auf das Gelungene im eigenen Leben schauen

Mein Anliegen ist es, Menschen mit Gedanken zu inspirieren, die nicht alltäglich sind, doch sehr wohl unseren Alltag betreffen. Aus diesem Grund erzähle ich einige Geschichten, die ich persönlich erlebt habe. Dieses Erleben hat wenig zu tun mit dem, wie „es“ sein soll. Die „So-sollte-es-sein-Gedanken“ entsprechen unseren Vorstellungen, unseren Plänen und dem, was momentan in der Gesellschaft Gültigkeit hat. Das Leben aber fragt uns oft etwas völlig anderes.

Geschichte zur Inspiration

Als vom Tyrolia-Verlag die Anregung zu einem weiteren Buch kam, war ich erfreut und augenblicklich fiel mir ein, worüber ich schreiben wollte. Länger als die Logotherapie begleitet mich die Spiritualität des Ignatius von Loyola. Als ich die Ähnlichkeiten im Denken von Viktor E. Frankl und Ignatius von Loyola entdeckte, wollte ich diese Erfahrung mit anderen Menschen teilen. In der Zeit des Schreibens schenkte mir jemand das Buch „Die Kunst, sich selbst zu verstehen“ von Michael Bordt SJ. Je mehr ich in dieses Buch eintauchte, umso überzeugter wurde ich, dass es nicht sinnvoll sei, noch ein Buch zu diesem Thema zu schreiben. Ich war im Vergleichen gelandet, fand die Formulierungen von Michael Bordt genial und meine mehr als bescheiden. Ich informierte meine Lektorin und dachte, dass sich das geplante Buch nun erübrigen würde. Wir hatten ein gutes Gespräch und sie las mir aus dem Buch von Michael Bordt vor. „Dieses Buch ist streckenweise ein einziges Plagiat, und ich freue mich über jeden, der sich auf die Spurensuche bzw. Entdeckungsreise zu den Quellen begeben möchte.“3 Bis zu dieser Textstelle war ich noch nicht vorgedrungen gewesen. Erst jetzt verstand ich, wie bereichernd dieses Buch für mich war: Ich kann zu meiner Schreibweise und meinem Bemühen mutig Ja sagen.

Innere Spurensuche

Was löst das soeben Gelesene in mir aus?

Kenne ich Situationen, in denen ich mich mit anderen vergleiche?

Beflügelt oder behindert mich dieses Vergleichen?

Viktor E. Frankl und Ignatius von Loyola als Wegweiser

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Wer sich mit einem Anderen vergleicht, tut entweder diesem Anderen oder sich selbst Unrecht.4

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Ich setze voraus, dass es dreierlei Gedanken in mir gibt, nämlich einmal die mir eigenen, die allein aus meiner Freiheit und Willenskraft entspringen, und dann die beiden anderen, die von außen kommen: der eine, der vom guten Geist kommt, und der andere vom bösen.5

Bilder bzw. Symbole leisten einen wertvollen Beitrag für unsere Wahrnehmung und schärfen unsere Sichtweise. Deshalb verwende ich für die Gedanken von Viktor E. Frankl das Symbol der Brille. Sie hilft uns, klarer zu sehen, und dient als Kennzeichen für Frankl, der nicht nur die Logotherapie und Existenzanalyse begründet, sondern auch Brillen entworfen hat.

IHS – die ersten drei Buchstaben des griechischen Namens für Jesus –, werden bei den Jesuiten als Kurzform für Iesum Habemus Socium („Wir haben Jesus als Gefährten“) gedeutet. Ich verwende dieses Symbol für die Texte von Ignatius.

Das Vergleichen verführt mich entweder zur Überheblichkeit oder bringt mich in die Verzweiflung. Wenn ich mich bemühe, mein Bestes zu geben, kann ich aufs Vergleichen verzichten. Finde ich mich und das, was mir möglich ist, bin ich weder von der Zustimmung anderer abhängig noch von ihrer Ablehnung. Die große Herausforderung besteht darin, mich und mein Leben nicht ständig mit anderen zu vergleichen.

1Etty Hillesum, Das denkende Herz. Die Tagebücher von Etty Hillesum 1941–1943, übersetzt von Maria Csollány, herausgegeben von J. G. Gaarlandt, Reinbek bei Hamburg 1995, 157.

2Nikolaus Harnoncourt, „… es ging immer um Musik“. Eine Rückschau in Gesprächen, St. Pölten 2014, 122.

3Michael Bordt, Die Kunst, sich selbst zu verstehen. Den Weg ins eigene Leben finden. Ein philosophisches Plädoyer, München 2016, 191.

4Viktor E. Frankl, Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der Logotherapie und Existenzanalyse, München 1987, 189.

5Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen. Übertragung und Erklärung von Adolf Haas, Freiburg i. Br. 1966, 29.

Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl – ein Dialog im Jenseits

Zwischen Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl liegen vierhundert Jahre und mich inspiriert das Zeitlose. Die Aktualität ihres jeweiligen Gedankengutes ist verblüffend und mich fasziniert die nüchterne Leidenschaft zum Leben, die bei beiden spürbar wird. Die ignatianische Spiritualität entdeckte ich, als ich auf der Suche nach der tieferen Bedeutung meines Lebens gewesen bin. Bald darauf zog mich die Logotherapie und Existenzanalyse von Viktor E. Frankl in ihren Bann. Während ich in die logotherapeutische Gedankenwelt eintauchte, fielen mir immer wieder Sätze ein, die ich bereits bei Ignatius gelesen hatte. Z. B. lese ich bei Viktor E. Frankl: „Das Gefühl kann viel feinfühliger sein als der Verstand scharfsinnig.“ Spontan fällt mir dazu die Aussage von Ignatius ein: „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele und gibt ihr Befriedigung, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge.“

Mein wesentliches Anliegen ist, nicht über ein anderes Gedankengut zu schreiben, sondern von seiner Resonanz und Wirkkraft in mir zu erzählen. In mir begegnen sich Ignatius von Loyola und Viktor E. Frankl schon lange und immer wieder. So kam mir die Idee von einer Annäherung der beiden im Jenseits und ich ließ sie miteinander ins Gespräch kommen.

Ignatius: Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass fünfhundert Jahre nach meinem Tod noch jemand an mich und meine Schriften denkt. Es gab in dieser langen Zeit eine große Fülle von Philosophen und Theologen und einige haben außerordentlich viel zur seelischen Heilung der Menschen beigetragen.

Frankl: Verzeihen Sie, dass ich Sie unterbreche, doch mir geht es ähnlich. Obwohl ich vor etwas mehr als zwanzig Jahren verstorben bin, interessieren sich die Menschen noch immer für meine Sinnlehre. Allerdings wundert es mich nicht, dass man Sie nicht vergessen hat. Ihre Schriften sind zeitlos – so wie auch seit ewigen Zeiten die Menschen auf der Suche nach Gott sind. Sie haben die Gesellschaft Jesu gegründet und diese wird wohl die nächsten fünfhundert Jahre überdauern. Bereits zu meiner Zeit faszinierte mich Ihr Gedanke, dass nicht das viele Wissen die Seele befriedigt und sättigt, sondern das innere Schauen und Verkosten der Dinge.

Ignatius: Da gibt es wohl so etwas wie einen Gleichklang unserer Seelen. Mir fiel diese Ähnlichkeit auf, als ich in der Bibliothek des Universums Ihr Buch „Der unbewusste Gott“ gefunden habe. Von Ihnen stammt ja diese wunderbare Formulierung, dass das Gewissen ein Sinnorgan ist und dass es nicht nur darum geht, Wissen zu vermitteln, sondern das Gewissen zu verfeinern. Das ist eine schwierige Aufgabe und war schon im Mittelalter alles andere als einfach. Vor allem jene Menschen, die an der Macht waren, haben ihr Gewissen nicht verfeinert, sondern viel Unheil angerichtet.

Frankl: Gab es eigentlich eine Zeit, in der Machthaber kein Unheil angerichtet haben? Wie Sie wissen, habe ich die Schreckenszeit des Holocaust im 20. Jahrhundert erlebt und erlitten. Es grenzt ohnehin an ein Wunder, dass ich überlebt habe und nach meiner Befreiung aus dem Konzentrationslager ein halbes Jahrhundert in einem friedlichen Österreich leben und die ganze Welt bereisen konnte.

Ignatius: Ist es nicht so, dass Menschen Suchende sind? Ziemlich sicher verirren sich manche auf dieser Suche. Bei mir war das ähnlich. Nach einem Leben, das ausschließlich auf weltlichen Erfolg ausgerichtet war, bin ich mit Schriften in Berührung gekommen, die mein Denken verändert haben. Mein Lebensweg war entscheidend für das Entdecken und Entwickeln der Geistlichen Übungen. Wie haben Sie eigentlich Ihre Sinnlehre entdeckt?

Frankl: Erklären kann ich das gar nicht so genau, aber ich habe mich bereits in meiner Schulzeit mit dem Thema Sinn beschäftigt. Als mein Physikprofessor sagte, das Leben sei nichts als ein Oxydationsprozess, habe ich ihn gefragt, welchen Sinn dann das Leben habe. Würde ich es etwas übertrieben formulieren, war dieser Moment die Geburtsstunde der Logotherapie.

Was mich interessieren würde: In Ihren Schriften kommt immer wieder die Formulierung von der „Unterscheidung der Geister“ vor. Was meinen Sie damit und was führt Sie dazu?

Ignatius: Als ich aufgrund einer Beinverletzung längere Zeit liegen musste, staunte ich ziemlich über deutliche Unterschiede in meinem seelischen Empfinden. Beim Lesen von Rittergeschichten – heute würde man sie wohl als Krimis bezeichnen – spürte ich Langweile und Unzufriedenheit, außerdem wurde mir klar, dass mich diese Lektüre nicht bereichert, sondern nur ablenkt. Als ich dann begann, Geschichten von Heiligen zu lesen, belebten mich diese Gedanken und ich erlebte trotz meiner körperlichen Einschränkung tröstliche Stunden. Mit diesen seelischen Stimmungen habe ich mich lange beschäftigt und bin zur Einsicht gelangt, dass unsere Gedanken von drei Quellen genährt werden: von der eigenen Freiheit, von guten Gedanken, die ermutigen, und von bösen oder schlechten Gedanken, die Groll verursachen. Mittlerweile habe ich von einigen Hirnforschern gehört, dass sich das menschliche Gehirn so entwickelt, wie ein Mensch es benutzt. Heute werden ja nicht mehr sehr viele Menschen Heiligengeschichten lesen, aber es gibt eine Fülle von lesenswerten Biografien, welche das Gute im Menschen anregen und stärken können.

Frankl: Die Erkenntnisse der Hirnforschung hätte ich noch gerne erlebt, denn ich habe immer die Meinung vertreten, dass der Mensch ganz Mensch wird durch die Sache, die er zur seinen macht; wo er also aufhört, sich ständig selbst zu bespiegeln und zu fragen, ob er nicht zu kurz kommt. Der Mensch braucht etwas, das er mehr liebt als sich selbst; dabei kann es sich um einen anderen Menschen oder um eine gute Sache handeln. Wo ein Mensch sich hingibt, sich selbst vergisst, da wird er ganz er selbst.

Ignatius: Wie ist es dann bei Menschen, die sich einer bösen Sache widmen? Mit böse meine ich Menschen, die Freiheit rauben und Macht ausüben? Geht dann so ein Mensch in der bösen Sache auf?

Frankl: