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Thüringer Verwaltungsschriften

herausgegeben vom

Gemeinde- und Städtebund Thüringen

und

Thüringischen Landkreistag

Thüringer Bauordnung

Kommentar

Jens Meißner
Referatsleiter „Baurecht“ im Thüringer Ministerium
für Infrastruktur und Landwirtschaft

Deutscher Gemeindeverlag

5. Auflage 2019

 

Alle Rechte vorbehalten

© Deutscher Gemeindeverlag GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN: 978-3-555-01947-5

 

E-Book-Format:

pdf:  ISBN 978-3-555-01948-2

epub:  ISBN 978-3-555-01949-9

mobi:  ISBN 978-3-555-01950-5

 

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Vorwort

Am 29. März 2014 ist die aktuelle Fassung der Thüringer Bauordnung in Kraft getreten. Seitdem sind zwei umfangreichere Änderungen erfolgt, die jeweils in Europarechtlichen Vorgaben begründet waren. Zum einen handelte es sich um die Umsetzung der sogen. SEVESO-III-Richtlinie im Jahr 2016 und zum anderen um Änderungen bei der Verwendung von Bauprodukten, die aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Oktober 2014 erforderlich wurden,

Das vorliegende Buch soll allen am Baugeschehen Beteiligten helfen, sich mit der Thüringer Bauordnung vertraut zu machen. Es soll ein Arbeitsinstrument sein, das eine schnelle Orientierung auch bei Regelungen erlaubt, deren Inhalt nicht auf den ersten Blick verständlich ist.

Um die „Arbeit“ mit der Bauordnung zu erleichtern wird der Gesetzestext ergänzt durch die Bekanntmachung des Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft zum Vollzug der Thüringer Bauordnung (VollzBekThürBO), die eine amtliche Hilfestellung für Planer und Bauaufsichtsbehörden darstellen soll. Zusätzlich werden die Gesetzesbegründungen vollständig aufgenommen, aus denen sich der Hintergrund der bauordnungsrechtlichen Regelungen erschließt. Soweit es sich bei den Gesetzesänderungen ausschließlich um redaktionelle Änderungen (Änderungen von Verweisungen oder Aufnahme von Fundstellen) handelt, wird die entsprechende Gesetzesbegründung nicht berücksichtigt. Schließlich werden die meisten Paragrafen durch ergänzende Erläuterungen kommentiert.

Verlag und Autor hoffen, dass das Konzept des Buchs eine nützliche Hilfe bei der täglichen Arbeit von Planern, Behörden und den anderen am Bau Beteiligten darstellt.

 

Erfurt, im April 2019
Jens Meißner

Inhaltsübersicht

Vorwort

Überblick über die Änderungen durch das erste und das zweite Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung

Thüringer Bauordnung (ThürBO) vom 13. März 2014, GVBl. S. 49, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2018, GVBl. S. 731

Übersicht ThürBO

Erläuterungen

Stichwortverzeichnis

Überblick über die Änderungen durch das erste und das zweite Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung

Nach der umfassenden Novellierung der Thüringer Bauordnung im Jahr 2014 wurde das Gesetz bisher zweimal in wesentlichen Punkten geändert. In beiden Fällen lagen europarechtliche Verpflichtungen zugrunde, die zu einer Änderung der von der Bauministerkonferenz beschlossenen Musterbauordnung und in Folge zu einer Änderung aller Landesbauordnungen führen mussten.

Das erste Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung vom 22. März 2016 (GVBl. S. 153) diente der Umsetzung der sogenannten Seveso-III-Richtlinie [Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (ABl. L 197 vom 24.7.2012, S. 1)].

Durch das zweite Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung vom 29. Juni 2018 (GVBl. S. 297) wurden neben weiteren Änderungen vorrangig die notwendigen Folgerungen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 16. Oktober 2014 (Az. C-100/13) gezogen, nach dem das in allen Bundesländern praktisch wortgleiche Bauproduktenrecht teilweise gegen die sogenannte Bauproduktenrichtlinie [Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (ABl. L 40 vom 11.2.1989, S. 12)] verstoßen hat.

Durch Artikel 41 des Thüringer Verwaltungsreformgesetzes 2018 vom 18. Dezember 2018 (GVBl. S. 760) wurde eine Vielzahl von Verweisungen auf andere Gesetze ohne inhaltliche Änderung aktualisiert. Sie werden im Folgenden nicht gesondert dargestellt.

1.Erstes Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung

Die Änderung dient der Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie.

Die Richtlinie will erreichen, dass zwischen Betrieben, in denen gefährliche Stoffe vorhanden sind (Betriebe im Sinne der Zwölften Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes – Störfall-Verordnung) und bestimmten schutzwürdigen Nutzungen angemessene Sicherheitsabstände bestehen.

Die Verpflichtung ergibt sich aus Artikel 13 Abs. 2 der Richtlinie 2012/18/EU, wonach die Mitgliedstaaten u. a. dafür zu sorgen haben, dass bei der Flächenausweisung oder Flächennutzung langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter die Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten, Erholungsgebieten und – soweit möglich – Hauptverkehrswegen andererseits ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibt.

Weiter müssen die Mitgliedstaaten nach Artikel 15 dafür sorgen, dass die betroffene Öffentlichkeit frühzeitig Gelegenheit erhält, sich zu Projekten zu äußern, die entweder die Ansiedlung oder wesentliche Änderung von Störfallbetrieben betreffen oder neue Entwicklungen in der Nachbarschaft von Betrieben, wenn die Standortwahl oder die Entwicklungen das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können.

Soweit diese Verpflichtungen nicht bereits im Rahmen einer Bauleitplanung gewährleistet wurden, sind die erforderlichen Prüfungen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 15. September 2011, C 53/10) bei der Vorhabenzulassung durchzuführen.

Soweit es um die Ansiedlung neuer oder die Änderung bestehender Betriebe geht, sind die erforderlichen Anpassungen von Rechtsvorschriften im Bundes-Immissionsschutzrecht erfolgt.

Die Frage, ob eine schutzbedürftige Bebauung in der Nähe eines Störfallbetriebs zugelassen werden kann, ist im Bauplanungsrecht zu entscheiden. Durch das BauGB-Änderungsgesetz vom 4. Mai 2017 (BGBl. I S. 1057) haben die Gemeinden verschiedene Möglichkeiten an die Hand bekommen, in der Bauleitplanung die Ansiedlung schutzbedürftiger Bauvorhaben zu steuern.

Zur Vorhabenzulassung wurden im Baugesetzbuch keine neuen Regelungen getroffen. Hier ist nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Dezember 2012 (Az. 4 C 11/11) insbesondere das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot zu beachten (vgl. hierzu die Arbeitshilfe der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz „Berücksichtigung des neuen nationalen Störfallrechts zur Umsetzung des Art. 13 Seveso-III-Richtlinie im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von Störfallbetrieben“, www.bauministerkonferenz.de).

Im Landesrecht ist zu entscheiden, welche Bauvorhaben Schutzobjekt im Sinne der Seveso-III-Richtlinie sind, da das Bundes-Immissionsschutzgesetz hierzu keine Regelungen enthält. Weiter ist im Landesrecht das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung zu regeln, das bei der Zulassung von Schutzobjekten zu beachten ist, da das Bundes-Immissionsschutzrecht nur das Verfahren zur Zulassung und Änderung von Störfallbetrieben regelt.

Nach Auffassung der Bauministerkonferenz und ihr folgend des Thüringer Landtags ergibt sich aus der Aufzählung der Schutzobjekte in Artikel 13 Abs. 2 Unterabs. a) der Richtlinie 2012/18/EU (Wohngebiete, öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete, Erholungsgebiete, Hauptverkehrswege), dass nicht jedes einzelne Wohn- und Geschäftsgebäude ein Schutzobjekt sein muss. Erforderlich ist vielmehr, dass sich infolge einer Baumaßnahme die Zahl der gleichzeitig innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands anwesenden Personen nicht unwesentlich erhöht.

Die Thüringer Bauordnung geht wie die Musterbauordnung und die meisten Landesbauordnungen davon aus, dass das Wesentlichkeitskriterium bei einer Zunahme von 100 Personen erreicht wird. Ohne Untergrenze werden außerdem in § 69 Abs. 5 ThürBO bestimmte Nutzungen generell als Schutzobjekte angesehen, bei denen allerdings in den meisten Fällen die Schwelle von 100 Personen auch erreicht werden dürfte.

Um der zweiten Verpflichtung aus der Seveso-III-Richtlinie zur Gewährleistung einer Öffentlichkeitsbeteiligung vor der Errichtung von Schutzobjekten nachzukommen, muss gewährleistet sein, dass die Schutzobjekte einem Verfahren unterworfen werden, in dem eine Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgen kann.

Da Wohngebäude ebenso wie viele öffentlich genutzte Gebäude keine Sonderbauten sind, kann für sie das Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 61 ThürBO anwendbar sein. Sie werden daher aus dem Anwendungsbereich des § 61 herausgenommen, soweit sie innerhalb des angemessenen Schutzabstands verwirklicht werden sollen. Für sie ist dann das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren nach § 62 ThürBO durchzuführen, was dazu führt, dass – an sich unsystematisch – der Anwendungsbereich des § 61 ThürBO und des § 62 ThürBO nicht identisch sind. Eine Herausnahme der in § 69 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 ThürBO aufgeführten Vorhaben aus dem Anwendungsbereich des § 61 ThürBO war dagegen nicht erforderlich, da es sich um Sonderbauten handelt, die ohnehin nicht der Genehmigungsfreistellung unterliegen.

Die Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung für Schutzobjekte in § 69 ThürBO entsprechen weitgehend den Bestimmungen der Störfall-Verordnung.

2.Zweites Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung

a)Änderung bauproduktenrechtlicher Regelungen

Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 16. Oktober 2014 (Az C-100/13) festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Abs. 2 und Artikel 6 Abs. 1 der Richtlinie 89/106/EWG (sog. Bauproduktenrichtlinie) verstoßen habe, dass sie durch die Bauregellisten zusätzliche Anforderungen an die Verwendung von Bauprodukten gestellt hat, die von harmonisierten Normen erfasst wurden und mit der CE-Kennzeichnung versehen waren. Die Erfüllung dieser zusätzlichen Anforderungen war zusätzlich zu dem CE-Zeichen mit einem Ü-Zeichen zu belegen.

Zur vor Urteilserlass in Kraft getretenen sog. Bauproduktenverordnung [Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates (ABl. L 88 vom 4.4.2011, S. 5)] stellt der Europäische Gerichtshof fest, diese sei aus zeitlichen Gründen nicht anwendbar. Daher ist nicht abschließend geklärt, ob die Überlegungen des Gerichts auch für die geänderte Rechtslage gelten würden.

Die Entscheidung führte zur Änderung der bauproduktenrechtlichen Regelungen in der Musterbauordnung, die in allen Ländern praktisch wortgleich umgesetzt waren und nunmehr ebenfalls geändert werden mussten.

Durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Thüringer Bauordnung wurde die Thüringer Bauordnung unter Berücksichtigung der Regelungen der Bauproduktenverordnung an die im Urteil des Europäischen Gerichtshofs enthaltenen Grundaussagen angepasst.

Eine bereits optisch erkennbare Änderung ist, dass zwischen der Verwendbarkeit von CE-gekennzeichneten Bauprodukten und Bauprodukten unterschieden wird, für die das nationale Recht gilt. Das führte zu einer „Umsortierung“ der Bestimmungen, bei der die Regelungen für die Verwendbarkeit von nicht CE-gekennzeichneten Bauprodukten inhaltlich weitgehend unverändert geblieben sind.

Entsprechend der Regelungen der Bauproduktenverordnung darf nach § 16c ThürBO ein Bauprodukt, das die CE-Kennzeichnung trägt, verwendet werden, wenn die erklärten Leistungen den in bauordnungsrechtlichen Vorschriften festgelegten Anforderungen für diese Verwendung entsprechen. Anforderungen der ThürBO oder in Vorschriften aufgrund der ThürBO, die unmittelbar produktbezogen sind, gelten damit nicht für CE-gekennzeichnete Bauprodukte. Bei dem bisher für alle Bauprodukte geltenden System der Verwendbarkeits- und Übereinstimmungsnachweise wurde durch „Umsortierung“ klargestellt, dass diese Nachweise für CE-gekennzeichnete Bauprodukte nicht erforderlich sind.

Um zu gewährleisten, dass das bisher geforderte Niveau der Bauwerkssicherheit erhalten bleibt, müssen die Bauwerksanforderungen konkretisiert werden. Da ein Bauprodukt nicht ohne weiteres für jeden Zweck eingesetzt werden kann, müssen die am Bau Beteiligten auf andere Weise aus den bauordnungsrechtlichen Regelungen rechtssicher ableiten können, ob ein Produkt die Leistung erbringen kann, die bei der konkreten Verwendung zur Erfüllung der Bauwerksanforderungen erforderlich ist. Diese Konkretisierung wäre für die nicht harmonisierten Bauprodukte zwar an sich nicht erforderlich, ist aber auch dort hilfreich.

Weiter wird klarer unterschieden zwischen produktbezogenen Anforderungen und verwendungsbezogenen Anforderungen. Verwendungsbezogene Anforderungen fallen weiter ausschließlich in die Kompetenz der Mitgliedstaaten und sind auch bei harmonisierten Bauprodukten erforderlich.

Die verwendungsbezogenen Anforderungen werden auf Grundlage des § 87a ThürBO in einer Verwaltungsvorschrift zur Einführung Technischer Baubestimmungen (ThürVVTB) geregelt. Diese Verwaltungsvorschrift ersetzt die bisherigen Bauregelisten und die Liste der Technischen Baubestimmungen und ist wie folgt gegliedert:

A Technische Baubestimmungen, die bei der Erfüllung der Grundanforderungen an Bauwerke zu beachten sind

 A 1 – Mechanische Festigkeit und Standsicherheit,

 A 2 – Brandschutz,

 A 3 – Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz,

 A 4 – Sicherheit und Barrierefreiheit bei der Nutzung,

 A 5 – Schallschutz,

 A 6 – Wärmeschutz

B Technische Baubestimmungen für Bauteile und Sonderkonstruktionen, die zusätzlich zu den in Teil A aufgeführten Technischen Baubestimmungen zu beachten sind

C Technische Baubestimmungen für Bauprodukte, die nicht die CE-Kennzeichnung tragen, und für Bauarten

D Bauprodukte, die keines Verwendbarkeitsnachweises bedürfen.

Die ThürVVTB beruht auf der vom Deutschen Institut für Bautechnik nach Anhörung der beteiligten Kreise im Einvernehmen mit den Ländern erarbeiteten Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen und wird wie die bisherigen Listen regelmäßig aktualisiert. Aufgrund des Umfangs der ThürVVTB von über 300 Seiten soll im Thüringer Staatsanzeiger nur die Einführung bekannt gemacht, die Technischen Baubestimmungen selbst aber nur auf der Internetseite des für das Bauordnungsrecht zuständigen Ministeriums veröffentlicht werden.

Neben der Zusammenführung der Bauregellisten und der Liste der Technischen Baubestimmungen bedeutet das geänderte System auch, dass die ThürVVTB als sogenannte normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift für alle am Bau Beteiligten und auch die Gerichte grundsätzlich verbindlich ist.

Die grundsätzliche Verbindlichkeit schließt nicht aus, dass bei einem konkreten Bauvorhaben abweichende Lösungen möglich sind. Nach § 87a Abs. 1 ThürBO kann von den in den Technischen Baubestimmungen enthaltenen Planungs-, Bemessungs- und Ausführungsregelungen abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die Anforderungen erfüllt werden. Dies entspricht der Regelung im bisherigen § 3 Abs. 3 Satz 3 ThürBO. Neu ist aber, dass in der Technischen Baubestimmung eine Abweichung ausgeschlossen werden kann. Soll gleichwohl abgewichen werden, erfordert das die Zulassung einer Abweichung nach § 66 ThürBO.

b)Anwendungsbereich der Thüringer Bauordnung

Durch einen neuen § 1 Abs. 2 Nr. 7 werden Regale und Regalanlagen in Gebäuden aus dem Anwendungsbereich der ThürBO herausgenommen, soweit sie nicht Teil der Gebäudekonstruktion sind und keine Erschließungsfunktion haben.

Diese eher klarstellende Regelung trägt einer Diskussion zwischen den Bauministerien, den Herstellerverbänden und dem Deutschen Institut für Bautechnik Rechnung, wie mit in Gebäuden errichteten großen Lagerregalen umzugehen ist.

Die Bauordnung differenziert nunmehr zwischen drei Arten von Regalen:

Regale, die Teil der Gebäudekonstruktion sind und – vereinfacht ausgedrückt – nur noch durch Außenwände und ein Dach ergänzt werden, sind Teil des Gebäudes und unterliegen damit nicht wegen ihrer Regalfunktion, sondern im Hinblick auf ihre Funktion als Bauteil eines Gebäudes dem Anwendungsbereich der Bauordnung. Zu diesen Regalen gehören auch Regale, auf denen sich Arbeitsplätze befinden oder über die Rettungswege geführt werden.

Regale, die innerhalb von Gebäuden lediglich der Lagerung von Gegenständen dienen, sind Einrichtungsgegenstände und unterliegen als solche nicht dem Anwendungsbereich der Bauordnung. Sie haben nur insoweit bauordnungsrechtliche Bedeutung, als sie bei der Bemessung der Standsicherheit von Fundamenten und tragenden Bauteilen sowie bei der Beurteilung des Brandschutzes (Rettungswege, Brandlasten, Löschmöglichkeiten) zu berücksichtigen sind.

Regale im Freien, wie sie z. B. bei Baustoffhändlern häufig genutzt werden, sind für sich bauliche Anlagen, die dem Anwendungsbereich der Bauordnung unterliegen.

Davon zu trennen sind Regallager mit einer Oberkante Lagerguthöhe von mehr als 7,50 m, die nach § 2 Abs. 4 Nr. 18 ThürBO Sonderbauten sind. Dabei ist nicht das Regal Gegenstand der Betrachtung (soweit sich nicht aus der vorstehenden Differenzierung etwas anderes ergibt), sondern die Art der Lagerung, die Auswirkungen auf Löschmöglichkeiten haben kann.

c)Versammlungsstätten als Sonderbauten

Durch eine Umformulierung in § 2 Abs. 4 Nr. 7 Buchst. b ThürBO wird klargestellt, dass Versammlungsstätten im Freien nur dann Sonderbauten sind, wenn sie zum einen Szenenflächen haben oder Freisportanlagen sind und zum anderen zusätzlich Tribünen aufweisen, die keine Fliegenden Bauten sind und insgesamt mehr als 1.000 Besucher fassen.

d)Elektronisches Baugenehmigungsverfahren

Durch eine Änderung des § 67 Abs. 1 und des § 71 Abs. 2 ThürBO werden klarstellend Hindernisse für die Durchführung eines elektronischen Baugenehmigungsverfahrens aufgehoben.

Die bisherige Forderung nach der Einreichung von Unterlagen in Schriftform bedeutete für sich nicht, dass die Unterlagen tatsächlich als Papier einzureichen waren. Vielmehr konnte nach § 3a ThürVwVfG die Schriftform unter Beachtung der dort genannten Voraussetzungen auch durch eine elektronische Form ersetzt werden. Dies ist zukünftig grundsätzlich auch bei der Baugenehmigung der Fall.

Auch bedeutet der scheinbare Verzicht auf jede Formanforderung für Bauanträge in § 67 Abs. 1 ThürBO nicht, dass zukünftig Bauanträge auch mündlich eingereicht werden könnten, da die Thüringer Bauvorlagenverordnung unverändert bestimmte Formanforderungen enthält.

Da für ein vollelektronisches Baugenehmigungsverfahren weitere technische und rechtliche Voraussetzungen zu schaffen sind, bedeutet die Änderung der ThürBO zunächst nur, dass jedenfalls die ThürBO einem elektronischen Baugenehmigungsverfahren nicht entgegenstehen würde.

e)Fliegende Bauten

Nach dem bisherigen § 75 Abs. 3 ThürBO wird die Ausführungsgenehmigung für Fliegende Bauten von der oberen Bauaufsichtsbehörde erteilt, in deren Bereich der Antragsteller seine Hauptwohnung oder seine gewerbliche Niederlassung hat. Hat der Antragsteller keine Hauptwohnung oder keine gewerbliche Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland, ist die obere Bauaufsichtsbehörde zuständig, in deren Bereich der Fliegende Bau zum ersten Mal aufgestellt oder in Gebrauch genommen werden soll.

Diese zwischen den Bundesländern abgestimmte Regelung findet sich in praktisch allen Landesbauordnungen. Sie ist aber insoweit verfassungsrechtlich problematisch, als dadurch geregelt wird, ob und welche Behörden in anderen Bundesländern zuständig sind. Dies steht den Landesgesetzgebern aber nur für ihr eigenes Land zu.

Daher ist nunmehr geregelt, dass für Antragsteller ohne Hauptwohnung oder gewerbliche Niederlassung in der Bundesrepublik Deutschland die obere Bauaufsichtsbehörde (das Thüringer Landesverwaltungsamt nach § 57 Abs. 1 ThürBO) zuständig ist, wenn der Fliegende Bau in Thüringen erstmals aufgestellt und in Gebrauch genommen werden soll.

Thüringer Bauordnung (ThürBO)

vom 13. März 2014 (GVBl. S. 49), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Dezember 2018 (GVBl. S. 731)

Inhaltsübersicht

Erster Teil:Allgemeine Bestimmungen

§ 1Anwendungsbereich15

§ 2Begriffe18

§ 3Allgemeine Anforderungen38

Zweiter Teil:Das Grundstück und seine Bebauung

§ 4Bebauung der Grundstücke mit Gebäuden40

§ 5Zugänge und Zufahrten auf den Grundstücken42

§ 6Abstandsflächen, Abstände44

§ 7Teilung von Grundstücken61

§ 8Nicht überbaute Flächen der bebauten Grundstücke, Kinderspielplätze63

Dritter Teil:Bauliche Anlagen

Erster Abschnitt:Gestaltung

§ 9Gestaltung66

§ 10Anlagen der Außenwerbung und Warenautomaten67

Zweiter Abschnitt:Allgemeine Anforderungen an die Bauausführung

§ 11Baustelle71

§ 12Standsicherheit73

§ 13Schutz gegen schädliche Einflüsse74

§ 14Brandschutz75

§ 15Wärme-, Schall- und Erschütterungsschutz76

§ 16Verkehrssicherheit77

§ 16aBauarten77

Dritter Abschnitt:Bauprodukte und Bauarten

§ 16bAllgemeine Anforderungen für die Verwendung von Bauprodukten77

§ 16cAnforderungen für die Verwendung von CE-gekennzeichneten Bauprodukten77

§ 17Verwendbarkeitsnachweise79

§ 18Allgemeine bauaufsichtliche Zulassung83

§ 19Allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis84

§ 20Nachweis der Verwendbarkeit von Bauprodukten im Einzelfall85

§ 21Übereinstimmungsbestätigung86

§ 22Übereinstimmungserklärung des Herstellers87

§ 23Zertifizierung89

§ 24Prüf-, Zertifizierungs- und Überwachungsstellen90

§ 25Besondere Sachkunde- und Sorgfaltsanforderungen91

Vierter Abschnitt:Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen; Wände, Decken, Dächer

§ 26Allgemeine Anforderungen an das Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen91

§ 27Tragende Wände, Stützen95

§ 28Außenwände96

§ 29Trennwände98

§ 30Brandwände100

§ 31Decken105

§ 32Dächer107

Fünfter Abschnitt:Rettungswege, Öffnungen, Umwehrungen

§ 33Erster und zweiter Rettungsweg110

§ 34Treppen113

§ 35Notwendige Treppenräume, Ausgänge116

§ 36Notwendige Flure, offene Gänge122

§ 37Fenster, Türen, sonstige Öffnungen125

§ 38Umwehrungen126

Sechster Abschnitt:Technische Gebäudeausrüstung

§ 39Aufzüge129

§ 40Leitungsanlagen, Installationsschächte und -kanäle131

§ 41Lüftungsanlagen133

§ 42Feuerungsanlagen, sonstige Anlagen zur Wärmeerzeugung, Brennstoffversorgung134

§ 43Sanitäre Anlagen, Wasserzähler135

§ 44Kleinkläranlagen, Gruben136

§ 45Aufbewahrung fester Abfallstoffe137

§ 46Blitzschutzanlagen138

Siebenter Abschnitt:Nutzungsbedingte Anforderungen

§ 47Aufenthaltsräume138

§ 48Wohnungen140

§ 49Stellplätze und Garagen, Abstellplätze für Fahrräder143

§ 50Barrierefreies Bauen152

§ 51Sonderbauten158

Vierter Teil:Die am Bau Beteiligten

§ 52Grundsatz162

§ 53Bauherr163

§ 54Entwurfsverfasser164

§ 55Unternehmer166

§ 56Bauleiter168

Fünfter Teil:Bauaufsichtsbehörden, Verfahren

Erster Abschnitt:Bauaufsichtsbehörden

§ 57Aufbau und Zuständigkeit der Bauaufsichtsbehörden170

§ 58Aufgaben und Befugnisse der Bauaufsichtsbehörden173

Zweiter Abschnitt:Genehmigungspflicht, Genehmigungsfreiheit

§ 59Grundsatz176

§ 60Verfahrensfreie Bauvorhaben, Beseitigung von Anlagen179

§ 61Genehmigungsfreistellung198

Dritter Abschnitt:Genehmigungsverfahren

§ 62Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren203

§ 63Baugenehmigungsverfahren207

§ 64Bauvorlageberechtigung209

§ 65Bautechnische Nachweise216

§ 66Abweichungen222

§ 67Bauantrag und Bauvorlagen226

§ 68Behandlung des Bauantrags228

§ 69Beteiligung der Nachbarn und der Öffentlichkeit232

§ 70Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens237

§ 71Baugenehmigung und Baubeginn240

§ 72Geltungsdauer der Genehmigung246

§ 73Teilbaugenehmigung247

§ 74Vorbescheid248

§ 75Genehmigung Fliegender Bauten250

§ 76Bauaufsichtliche Zustimmung254

Vierter Abschnitt:Bauaufsichtliche Maßnahmen

§ 77Verbot unrechtmäßig gekennzeichneter Bauprodukte258

§ 78Baueinstellung258

§ 79Beseitigung von Anlagen, Nutzungsuntersagung260

Fünfter Abschnitt:Bauüberwachung

§ 80Bauüberwachung262

§ 81Bauzustandsanzeigen, Aufnahme der Nutzung265

Sechster Abschnitt:Baulasten

§ 82Baulasten und Baulastenverzeichnis268

Sechster Teil:Marktüberwachung nach der Verordnung (EU) Nr. 305/2011

§ 83Aufbau der Marktüberwachungsbehörden271

§ 84Aufgaben und Befugnisse der Marktüberwachungsbehörden271

§ 85Zuständigkeit der Marktüberwachungsbehörden272

Siebenter Teil:Ordnungswidrigkeiten, Verordnungsermächtigungen, Übergangs- und Schlussbestimmungen

§ 86Ordnungswidrigkeiten276

§ 87Rechtsverordnungen279

§ 87aTechnische Baubestimmungen77

§ 88Örtliche Bauvorschriften282

§ 89Bestehende bauliche Anlagen286

§ 90Gleichstellungsbestimmung288

§ 91Erfahrungsbericht288

§ 92Übergangsbestimmungen289

§ 93Inkrafttreten, Außerkrafttreten291