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Nutz/Schubert (Hrsg.)
Integrierte Sozialplanung in Landkreisen und Kommunen

Handbuch

von

Anna Nutz, M. A.
Technische Hochschule Köln – Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften

Prof. Dr. phil. Dr. rer. hort. habil Herbert Schubert
Technische Hochschule Köln – Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften

 

Deutscher Gemeindeverlag

1. Auflage 2020

 

Alle Rechte vorbehalten

© Deutscher Gemeindeverlag GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-555-02097-6

 

E-Book-Formate:

pdf: ISBN 978-3-555-02098-3

epub: ISBN 978-3-555-02099-0

mobi: ISBN 978-3-555-02100-3

 

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Vorwort zur 1. Auflage

Die Bedeutung der kommunalen Sozialplanung hat im Laufe der vergangenen Jahre zugenommen. Einerseits stehen die Landkreise und die kreisangehörigen Kommunen vor komplexen Herausforderungen – beispielsweise in der demografischen Entwicklung oder in der Armutsbekämpfung – und andererseits bleiben die finanziellen Spielräume für Handlungsansätze begrenzt. Vor diesem Hintergrund richtet sich die Erwartung an die Sozialplanung, effiziente strategische Planungswege zu erschließen und im integrierten Zusammenwirken mit den verschiedenen Fachbereichen, die von einer Planungsaufgabe tangiert werden, wirkungsvolle Lösungen zu finden. Das schafft die kommunale Sozialplanung durch den Einsatz von Instrumenten, mit denen sich die sozialen Belange im Landkreis und in den kreisangehörigen Kommunen strategisch transparent und zielorientiert steuern lassen. Dazu gehören die Analyse der sozialen Lagen und der Entwicklungen in den kommunalen Teilräumen, aber auch die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Einbezug der Träger und Fachdienste bei der Ausarbeitung und Umsetzung notwendiger Maßnahmen und Angebote.

Die vorliegende Publikation folgt der Tradition, Handbücher vorzulegen, in denen die Standards umrissen werden, wie die Planungsaufgaben vor Ort umgesetzt werden können. Es folgt quasi dem „Handbuch der örtlichen Sozialplanung“ aus dem Jahr 1986 und dem nordrhein-westfälischen „Handbuch moderne Sozialplanung“ aus dem Jahr 2011, indem es auf der einen Seite das Prinzip der beteiligungsorientierten Planung profiliert, weil die Bewältigung komplexer sozialer Entwicklungen das Zusammenwirken der gesellschaftlichen Kräfte voraussetzt, die eine soziale Situation nachhaltig beeinflussen und verändern können. Auf der anderen Seite überwindet das vorliegende Handbuch die Engführung der Sozialplanung auf den Kontext der städtischen Kommune. Wie das interdependente Planungsgeflecht der übergeordneten Kreisebene mit den Fachkräften in den Verwaltungen der kreisangehörigen Gemeinden und weitergehend mit den Stakeholdern in den Wohnquartieren koordiniert werden kann, wurde in den bisher vorgelegten Handbüchern ausgeblendet. Deshalb wird hiermit erstmals ein Kompendium publiziert, wie die Sozialplanung im Zusammenspiel von Kreis, kreisangehörigen Städten und Gemeinden sowie lokalen Dienstleistern und Anspruchsgruppen gestaltet werden kann. Das umfassende Repertoire an Maßnahmen und Instrumenten, das dabei eingesetzt werden kann, wird im Herzstück dieses Buches praxisnah dargestellt, sodass die Beteiligten passende Instrumente auswählen können, die angesichts der jeweiligen lokalen Anforderungen und Enwicklungsbedarfe sinnvoll erscheinen.

Die Grundlagen dieser Publikation wurden im Forschungsprojekt „Evaluation des Modells der integrierten, strategischen Sozialplanung – Wissenschaftliche Begleitung des Beratungs- und Implementierungsprozesses der sozialraumorientierten Armutsbekämpfung in Nordrhein-Westfalen“ gewonnen. In den Jahren von 2016 bis 2019 wurde das Vorhaben vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) des ehemaligen Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert und im Forschungsschwerpunkt Sozial • Raum • Management der Technischen Hochschule Köln durchgeführt. Im Rahmen der Forschung wurden wertvolle Erkenntnisse gewonnen, wie die integrierte Sozialplanung ebenenübegreifend sowohl im Landkreis, in den kreisangehörigen Kommunen als auch in den lokalen Sozialräumen im Zusammenspiel gelingen kann. Geprägt von den Erfahrungen aus zwei nordrhein-westfälischen Untersuchungsgebieten wurde praxisrelevant aufbereitet, wie die Akteurinnen und Akteure im Landkreis, in den kreisangehörigen Kommunen und in den zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen im Rahmen einer integrierten Sozialplanung kooperieren können und somit einen Mehrwert für das gesamte Kreisgebiet erzeugen.


Anna Nutz und Herbert Schubert

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 1. Auflage

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

Einleitende Hinweise in das Handbuch

Literaturverzeichnis

Kapitel 1: Integrierte Sozialplanung in Kreisen und kreis­angehörigen Kommunen
Herbert Schubert

1.1 Grundverständnis der Sozialplanung

1.2 Entwicklungslinien der Sozialplanung in Deutschland

1.2.1Anfänge der kommunalen Sozialplanung

1.2.2Sozialplanung als Element in der neuen Steuerung

1.2.3Die integrierte Sozialplanung als aktueller Entwicklungsstand

1.3 Besondere Merkmale einer integrierten Sozialplanung

1.3.1Vermittelte Zugänge zur Bevölkerung

1.3.2Integrierte Arbeitsweise

1.4 Gegenstromverfahren in der Sozialplanung

1.4.1Gegenstromplanung zwischen den kreisangehörigen Kommunen und dem Landkreis

1.4.2Gegenstromplanung unter Einschluss der Stakeholder auf der Ebene der kreisangehörigen Gebietskörperschaft

Kapitel 2: Prozesszyklus der integrierten Sozialplanung
Anna Nutz

2.1 Aufbauphase

2.1.1Impuls zur Sozialplanung und Sondierung

2.1.2Konzeptionierung

2.1.3Implementierung: Analyse, Planung, Umsetzung

2.2 Zyklus der Sozialplanung in Kreisen

Kapitel 3: Instrumente der Prozessgestaltung
Anna Nutz, Herbert Schubert, Holger Spieckermann, ­Nicola Winterhoff & Julia Zinn

3.1 Instrumente der Sondierung

3.1.1Vorbereitende Ereignisformate

3.1.2Bildung einer Steuerungsgruppe

3.1.3Verabschiedung einer Geschäftsordnung

3.1.4Ressourcenanalyse

3.1.5Stakeholder- und Netzwerkanalyse

3.1.6Implementierung einer Sozialplanungsstelle

3.1.7Beauftragung einer Planungsgruppe

3.1.8Externe Prozessberatung

3.1.9Willenserklärung und Vereinbarung

3.2 Instrumente der Konzeptionierung

3.2.1SWOT-Analyse

3.2.2Erstellung eines Strategiekonzepts

3.2.3Entwicklung eines Steuerungs- und Planungs­verständnisses

3.3 Instrumente der Analyse

3.3.1Einteilung des Kreisgebietes in kleinräumige Planungseinheiten

3.3.2Sozialmonitoring und Controlling

3.3.3Sozialberichterstattung

3.4 Instrumente der Planung

3.4.1Erstellung von Sozialraumprofilen

3.4.2 (Fach-)Planungskonferenzen

3.4.3Bedarfsbestimmung

3.4.4Erstellung eines integrierten Handlungskonzepts

3.4.5Informations- und Beschlussdrucksachen

3.5 Instrumente der partizipativen Kommunikation

3.5.1Vertiefende fachliche Arbeitskreise

3.5.2Runder Tisch

3.5.3Sozialraumkonferenzen

3.5.4Szenariotechnik

3.5.5Quartiersspaziergang

3.5.6Virtuelle Beteiligung und digitale Nachbarschaften

3.5.7Zukunftskonferenz

3.5.8Zukunftswerkstatt

3.5.9Planungszelle und Bürgergutachten

3.5.10Bürgerbefragung

3.5.11Zielgruppenspezifische Beteiligung am Beispiel von Jugendparlamenten und Jugend­konferenzen

3.5.12Beteiligung der Bewohnerschaft in Fokusgruppen

3.6 Instrumente der Selbstevaluation

3.6.1Evaluation von Sozialplanungsprozessen

3.6.2Maßnahmenevaluation

Kapitel 4: Erfolgsfaktoren und Herausforderungen einer ­Sozialplanung in Kreisen und kreisangehörigen ­Kommunen
Anna Nutz, Herbert Schubert & Nicola Winterhoff

4.1 Ebenen- und ressortübergreifendes Verständnis und ­Vorgehen

4.2 Kreisweite Sozialberichterstattung

4.3 Finanzielle und personelle Ressourcen

4.4 Möglichkeiten und Grenzen der Bürgerbeteiligung

4.5 Evaluation

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Autorinnen und Autoren der Tippboxen

Stichwortverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1:Exemplarische Formate für die Organisation des Planungsprozesses zwischen Landkreis und kreisangehörigen Kommunen

Abbildung 2:Gegenstromverfahren in der örtlichen Sozialplanung

Abbildung 3:Gegenstromverfahren über die kommunale Steuerungskaskade

Abbildung 4:Vielfalt der regionalen und örtlichen Sozialplanungsprozesse im Gegenstromverfahren

Abbildung 5:Idealtypischer Sozialplanungsprozess in Landkreisen

Abbildung 6:Aufbauphase der integrierten Sozialplanung in Landkreisen

Abbildung 7:Der Sozialplanungsprozess als Zyklus

Abbildung 8:Stakeholder-Matrix

Abbildung 9:Vier-Felder-Matrix der SWOT-Analyse

Abbildung 10:Beispiel eines mit der Methode Design Thinking entworfenen Prototyps einer integrierten Sozialplanung

Abbildung 11:Orchester als Beispiel einer Sozialplanungsmetapher

Abbildung 12:Indikatorenset der KGSt

Abbildung 13:Kommunikationsstruktur der Sozialplanung „Motiv Mensch“ im Rheinisch-Bergischen Kreis

Abbildung 14:Die neun Stufen der Partizipation

Abbildung 15:Fragebogen der Kupferstadt Stolberg im Rahmen der Bürgerbefragung 2016

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1:Entwicklungsstufen der Sozialplanung

Tabelle 2:Zum Stellenwert der Sozialplanung in der nachsorgenden und vorbeugenden Sozialpolitik

Tabelle 3:Analyseschema für vorhandene Ressourcen in der Kreisverwaltung

Tabelle 4:Stakeholder-Tabelle

Einleitende Hinweise in das Handbuch

Alleinstellungsmerkmal dieses Handbuchs

Nach dem deutschen Sozialstaatsprinzip sorgen staatliche Instanzen für die notwendige Versorgung, wenn soziale Bevölkerungsgruppen aufgrund von besonderen Belastungssituationen vor einer Überforderung geschützt werden müssen. Das Instrumentarium, die Situation angemessen zu bewerten und ein geeignetes Versorgungsarrangement für betroffene Bevölkerungsgruppen auszugestalten, hält auf der Ebene der Kreise und Gemeinden die Sozialplanung bereit. Im historischen Zeitablauf ist allerdings zu erkennen, dass es zwar einen roten Kompetenzfaden der Sozialplanung gibt, dass aber auch Erweiterungen der Planungsansätze über Entwicklungsstufen der kommunalen Steuerung stattgefunden haben: In der jungen Bundesrepublik war die Sozialplanung in eine kommunale Steuerung eingebettet, die von Prinzipien der hierarchischen öffentlichen Verwaltung (Public Administration) bestimmt wurde. Im Rahmen der Modernisierung der kommunalen Steuerung nach ökonomischen Prinzipien in den 1990er Jahren (Public Management/Neues Steuerungsmodell) übernahm die Sozialplanung – quasi als Sozial-Controlling – steuerungsunterstützende Funktionen. Und seit dem ersten Jahrzehnt nach der Jahrhundertwende wird die Sozialplanung vom Prinzip der beteiligungsorientierten Steuerung (Public Governance) beeinflusst.1 Allerdings darf dieser Prozess nicht als konsekutive Abfolge missverstanden werden: Das jeweilige frühere Steuerungsprinzip verliert nicht seinen Einfluss, sondern bleibt vielmehr im Kontext des erweiterten Steuerungsverständnisses in hybrider Form erhalten. So ergänzte das Instrumentarium des Public Managements den traditionellen Ansatz der administrativen Hierarchie und die Prinzipien der Beteiligungsorientierung der Public Governance setzten weder die hierarchischen noch die ökonomischen Steuerungselemente außer Kraft. Im übertragenen Sinn koordiniert die Sozialplanung einen Wohlfahrts-Mix, der aus den rechtlichen Instrumenten der öffentlichen Hand, dem Markt der Anbieterinnen und Anbieter sowie dem partizipativen Einbezug des zivilgesellschaftlichen Engagements besteht.

 

Damit die verantwortlichen Entscheidungs- und Fachkräfte in den Landkreisen, Städten und Gemeinden das komplexe Instrumentarium der Sozialplanung kompetent anwenden können, wurden in dieser Stufenabfolge Handbücher bereitgestellt, die einerseits eine Orientierung geben, welche Aufgaben die Sozialplanung kennzeichnen, und die andererseits Wege sowie Verfahren transparent machen, wie diese Aufgaben abgearbeitet werden können:

•  Die erste Entwicklungsstufe kann – in metaphorischer Anlehnung an Bezeichnungen von Entwicklungsversionen einer IT-Software – als „Sozialplanung 1.0“ bezeichnet werden (vgl. Tabelle 1). Dies umschreibt den Kerntyp einer Sozialplanung, die im Zeitraum von etwa 1960 bis 1990 in die Hierarchie der Kommunalverwaltung (ohne Bezüge zu Stakeholdern) eingebettet war und über den Haushaltsplan inputorientiert (d. h. noch ohne Leistungs- und Zielorientierung) stattfand. Für die zunehmende Profilierung als professionelles Planungshandeln gilt das „Handbuch der örtlichen Sozialplanung“, das der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge im Jahr 1986 publiziert hatte, als Referenz. Es bietet einen Überblick über die theoretischen Grundlagen, die Grundsätze sozialer Planung, verschiedene Planungstechniken und die Standards für Fachsozialpläne.2 Ausführlich skizziert werden darin auch die Grundlagen der Datenanalyse, die sich später zur Sozialberichterstattung weiterentwickelten. Der Fokus lag darauf, die flächendeckende Versorgung mit Einrichtungen der sozialen Infrastruktur fachlich nach einheitlichen Richt- und Orientierungswerten sicherzustellen.

•  Im Rahmen der Einführung der Neuen Steuerung in der Kommunalverwaltung folgte in den 1990er Jahren die „Sozialplanung 2.0“ (vgl. Tabelle 1). Neben die fachliche Funktion der Sozialplanung trat eine steuerungsunterstützende Funktion, um die kommunale Sozialpolitik unter den Anforderungen des Public Managements gestalten zu können. Die Planung, Steuerung und Überprüfung erfolgen nun outputorientiert, d. h. an Leistungszielen ausgerichtet. Als Referenz gilt das „Handbuch Moderne Sozialplanung“, das vom Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2011 veröffentlicht wurde. Als Ausgangspunkt des Handbuches wird erläutert, dass die Sozialplanung in den Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden eine steigende Bedeutung gewinne, da zunehmend geringere finanzielle Mittel für die Lösung komplexer werdender sozialer Probleme, wie etwa die demografische Entwicklung oder eine soziale Spaltung, zur Verfügung stehen. Daher wird das Augenmerk auf die kleinräumige Analyse der sozialen Lage der Bevölkerung in den Sozialräumen gerichtet. Unter der Steuerungsperspektive liefert die Sozialplanung im Rahmen der Sozialberichterstattung kennzahlengestützt die notwendigen Informationen über die soziale Entwicklung, damit die kommunale Sozialverwaltung mit geeigneten Maßnahmen gegensteuern kann. In dieser sozialen Controllingfunktion bereitet die Sozialplanung die Entscheidungen der kommunalen Sozialpolitik mit vor und wird als Voraussetzung einer wirksamen Steuerung verstanden.3 Im Fokus steht die Sicherstellung, dass die Träger der Sozialwirtschaft die notwendigen sozialen Dienstleistungen sowohl zielgemäß als auch wirtschaftlich erbringen.

•  Das Prinzip einer beteiligungsorientierten Steuerung, das der Public Governance zugrunde liegt, folgt der Einsicht, dass komplexe soziale Entwicklungen nicht allein vom Kreis und von den Gemeinden bewältigt werden können. Vielmehr wird das Zusammenwirken mit den gesellschaftlichen Kräften benötigt, die einen nachhaltigen Einfluss auf eine Veränderung der Situation nehmen können. Im Blickpunkt stehen nicht mehr nur die Organisationen der Sozialwirtschaft, sondern ein größerer Kreis von lokalen sowie regionalen Interessen- und Anspruchsgruppen. Seit den 2000er Jahren verbreitet sich deshalb die „Sozialplanung 3.0“ unter der Bezeichnung „integrierte Sozialplanung“ (vgl. Tabelle 1). Ihr besonderes Kennzeichen ist, dass alle Stakeholder, die entlang der sozialen Wertschöpfungskette eine Rolle spielen, an der Sozialplanung beteiligt werden. Das vorliegende Handbuch erhebt den Anspruch, dafür einen Referenzrahmen zu setzen, indem es Hinweise gibt, wie eine wirkungsorientierte Sozialplanung im ressortübergreifenden und interinstitutionellen Netzwerk von Kreis, Gemeinden und zivilgesellschaftlichen Kräften angelegt werden kann. Unter dieser Perspektive finden Beteiligungsformate besondere Beachtung, damit die Vielzahl unterschiedlicher Stakeholder angemessen in den Planungsprozess eingebunden werden kann. Eine Rolle spielt auch die Erweiterung der häufig allein quantitativ ausgerichteten Sozialberichterstattung um qualitative Verfahren, damit die Tiefenschärfe der Sozialraumprofile für die Bedarfsbewertung erhöht wird. Der Fokus der integrierten Sozialplanung liegt auf der Beteiligung derjenigen lokalen und regionalen Stakeholder, die einen Beitrag zur Komplexitätsreduktion sozialer Bedarfsentwicklungen leisten und damit weitergehend Mitverantwortung für umfassende Versorgungslösungen übernehmen können. Dieses Sozialplanungsverständnis überwindet eine enge Fixierung auf das Soziale, indem es sowohl auf die Mobilisierung verschiedener fachlicher Bereiche – von der Gesundheit über das Wohnen bis zur Quartiersentwicklung – als auch auf die Aktivierung der zivilgesellschaftlichen Ressourcen – von Ehrenamtlichen in den Vereinen und religiösen Gemeinden bis zur Nachbarschaft – setzt.

Tabelle 1: Entwicklungsstufen der Sozialplanung4

Öffentliche Verwaltung (Public Administration)

Neue Steuerung (Public Management)

Beteiligungsorientierte Steuerung (Public Governance)

Seit ca. 1960: Sozialplanung 1.0

Seit ca. 1990: Sozialplanung 2.0

Seit ca. 2005: Sozialplanung 3.0

✓  Einbettung der Sozialplanung in die hierarchische Verwaltung

✓  Inputorientierte Planung durch Fachkräfte

✓  Standards für Fachsozialpläne

✓  Grundlegung der Sozial­berichterstattung

✓  Fokus: Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit sozialer Infrastruktur

✓  Unterstützung der Neuen Steuerung kommunaler Sozial­politik

✓  Outputorientierte Planung unter Einbezug der Sozialwirtschaft

✓  Entwicklung von Zielen und Kennzahlen für rationale Entscheidungen ­(soziales Controlling)

✓  Sozialraumdifferenzierende Erweiterung der Sozial­bericht­erstattung

✓  Fokus: Wirtschaftlichkeit sozialer Dienstleistungen und Einrichtungen

✓  Beteiligung der Stakeholder an der Sozialplanung entlang der Wertschöpfungskette

✓  Wirkungsorientierte Planung im ressortübergreifenden und interinstitutionellen Netzwerk

✓  Differenzierung der Beteiligungsformate für die unterschiedlichen Stakeholder

✓  Erweiterung der Sozial­bericht­erstattung um qualitative Verfahren

✓  Fokus: Mobilisierung von Mitverantwortung und Aktivierung interdisziplinärer und zivilgesellschaftlicher Potenziale

Referenz: „Handbuch der örtlichen Sozialplanung“, Deutscher Verein, 1986

Referenz: „Handbuch Moderne Sozialplanung“, Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales NRW, 2011

Referenz: Das vorliegende „Handbuch integrierte Sozialplanung in Landkreisen und Kommunen“, 2019

Im Rückblick auf diese Stufenabfolge ist noch ein weiterer Aspekt hervorzuheben: Die bisherigen Handbücher der Sozialplanung sind überwiegend auf Städte und Gemeinden ausgerichtet; das vielfältige Zusammenspiel einer Sozialplanung auf der übergeordneten Kreisebene mit Fachkräften in den Verwaltungen der kreisangehörigen Gemeinden und weitergehend mit den Stakeholdern in den Wohnquartieren wurde in der Literatur bisher vernachlässigt. Das vorliegende Handbuch schließt diese Lücke: Es werden praxisrelevante Informationen zusammengetragen, wie die Akteurinnen und Akteure im Landkreis, in den kreisangehörigen Kommunen und in den zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen im Rahmen der Sozialplanung zusammenarbeiten können. Das vorliegende Handbuch für eine integrierte Sozialplanung in Kreisen und Kommunen erhebt den Anspruch, einen Überblick über die Grundsätze der integrierten Sozialplanung und über das Portfolio von Planungstechniken zu geben, mit denen die Anforderungen einer beteiligungsorientierten Kreis- und Kommunalentwicklung erfüllt werden können.

Aufbau des Handbuchs

Das Handbuch vermittelt einerseits die theoretischen Hintergründe des neuen Verständnisses einer integrierten Sozialplanung und stellt andererseits einen anwendungsorientierten Methodenkoffer für die Praxis bereit. Daher ist das Buch in vier Teile gegliedert:

Im ersten Kapitel geht es um ein Grundverständnis der Sozialplanung. Es werden Entwicklungslinien und besondere Merkmale der Sozialplanung aufgezeigt. Da Sozialplanung ein netzwerkintensiver Prozess ist, werden am Ende des ersten Kapitels im Rahmen des Gegenstromprinzips die verschiedenen Abstimmungsprozesse zwischen dem Kreis, den kreisangehörigen Kommunen und weiteren verwaltungsexternen Stakeholdern thematisiert.

Im zweiten Kapitel wird der konkrete Prozesszyklus der integrierten Sozialplanung vorgestellt. Soll eine integrierte Sozialplanung kreisweit eingeführt werden, müssen zunächst die Aufbauphasen durchlaufen werden. Anschließend mündet das Sozialplanungsmodell in einen Prozesszyklus, der eine wiederkehrende Abfolge von Analyse, Planungs-, Umsetzungs-, Evaluations- und Anpassungsschritten beinhaltet.

Herzstück des Buches ist im dritten Kapitel das umfangreiche Repertoire an Instrumenten der Prozessgestaltung. Für jede Phase der Sozialplanung werden nach einem einheitlichen Schema die Definition, die Ziele, der Nutzen im Planungsprozess, die beteiligten Ebenen, die konkreten Aufgaben in der Vorbereitung und Durchführung und die benötigten Ressourcen vorgestellt. Daneben werden praktische Hinweise gegeben und weitere Informationen zur Verfügung gestellt, wobei relevante Querverweise zu interessanten Fallstudien und Internetseiten zur Vertiefung aufgeführt sind.

Den Abschluss des Buchs bilden im vierten Kapitel die Erfolgsfaktoren und Herausforderungen einer Sozialplanung in Kreisen und (kreisangehörigen) Kommunen, die im Rahmen der zugrunde liegenden Studie identifiziert wurden und wertvolle Hinweise für ein gelingendes Sozialplanungsvorhaben beinhalten.

Darstellung der involvierten Ebenen

Integrierte Planungen in Kreisen erfordern vielfach verknüpfte Netzwerkprozesse, wobei zahlreiche Beteiligte mehrerer Ebenen miteinander in Verbindung treten. Es besteht eine enge Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Fachressorts und Organisationseinheiten der Kreisverwaltung, daneben aber auch zwischen dem Kreis, den kreisangehörigen Kommunen und den dortigen Verwaltungseinheiten. Eine zentrale Rolle spielen darüber hinaus zivilgesellschaftliche Organisationen (etwa der Freien Wohlfahrtspflege) und die Vereinigungen der vor Ort lebenden Bürgerschaft. Daher wird in den Beschreibungen des Instrumentenrepertoires immer auch auf diese drei Ebenen eingegangen und jeweils dargestellt, wie die Ebenen bei der Durchführung eines Instruments eingebunden sind.

Symbole für benötigte Ressourcen

Um die benötigten Ressourcen zur Anwendung des jeweiligen Instruments schnell zu erfassen, werden diese in Form von ein bis drei Piktogrammen für jedes Instrument abgebildet. Der Ressourcenbedarf kann in dieser allgemeinen Instrumentendarstellung nicht minutiös vorausgesagt werden; dennoch sollen die Abstufungen zu einer groben Einschätzung bezüglich der voraussichtlich benötigten Ressourcen verhelfen. Bei den räumlichen, personellen und monetären Ressourcen werden jeweils drei Abstufungen vorgenommen.

Räumliche Ressourcen:

Mithilfe des Symbols Raum1 wird dargestellt, ob ein einfacher Raum in der Kreisverwaltung genügt Raum1 oder ob spezielle Anforderungen an die Räumlichkeiten gestellt werden (Raum2 beziehungsweise Raum3).

Insbesondere wenn die Bürgerschaft zu bestimmten Veranstaltungen eingeladen ist, sollten die Räumlichkeiten barrierearm und zentral gelegen sein, sodass alle Bewohnerinnen und Bewohner die Möglichkeit haben, die Veranstaltung zu besuchen.

Personelle Ressourcen:

Das Symbol Person1 gibt eine grobe Einschätzung, mit wie viel Personaleinsatz zur Vorbereitung und Anwendung des Instruments zu rechnen ist. Person1 bedeutet, dass die Maßnahme nur einen geringen Zeitaufwand braucht, während ein Instrument mit Person3 Zeitkapazitäten über mehrere Wochen oder Monate beansprucht. Entsprechend der örtlichen Rahmenbedingungen können die personellen Ressourcen jedoch auch davon abweichen.

Monetäre Ressourcen:

Das Symbol Monetaer1 zeigt die voraussichtliche Höhe der Sachkosten pro Maßnahme an. Bei Monetaer1 sind keine oder nur sehr geringe Kosten zu erwarten, während mit der Anzahl der Symbole auch die Höhe der Kosten zur Vorbereitung und Durchführung der Maßnahmen steigt (Monetaer3).

Tippboxen

Damit in der Praxis mit dem Handbuch gut gearbeitet werden kann, war es ein Anliegen, bereits gesammelte Erfahrungen bezüglich der aufgeführten Instrumente und Inhalte weiterzugeben. Dies erfolgt in Form von Tippboxen, die bei vielen Instrumenten aufgeführt sind. Dabei geben Expertinnen und Experten aus der Praxis wertvolle Hinweise zum jeweiligen Instrument, die auf eigenen gesammelten Erfahrungen beruhen. Unter dem Verzeichnis der Autorinnen und Autoren am Ende des Buchs werden die Tippboxautorinnen und -autoren mit ihrer jeweiligen E-Mail-Adresse aufgeführt. Damit bietet sich die Möglichkeit, die Expertinnen und Experten bei Fragen zum Instrument zu kontaktieren.

Danksagung

Am Gelingen des Forschungsvorhabens waren zahlreiche Fachleute beteiligt. Ein grundsätzlicher Dank gebührt dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen5 und dem Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW), die das Forschungsvorhaben „Evaluation des Modells der integrierten, strategischen Sozialplanung – Wissenschaftliche Begleitung des Beratungs- und Implementierungsprozesses der sozialraumorientierten Armutsbekämpfung in Nordrhein-Westfalen“ durch ihre Förderung und Unterstützung erst ermöglicht haben.

 

Das Projekt war als Begleitforschung der Praxis angelegt. Wir danken den beiden Untersuchungsregionen, die uns über die gesamte Projektlaufzeit immer wieder wertvolle Einblicke in die Implementierungsphase der Sozialplanung auf Landkreisebene gaben und uns mit ihrem Expertenwissen aus der Praxis unterstützten: Zum einen ist hier die StädteRegion Aachen zu nennen, allen voran die ehemalige Dezernentin für Soziales und Integration, Prof. Dr. Edeltraud Vomberg, die Amtsleitung des Amts für Inklusion und Sozialplanung, Antje Rüter, und die Mitarbeiterin Astrid Taube. Zum anderen gewährte uns der Rheinisch-Bergische Kreis wegweisende Einblicke in seine umfangreichen Sozialplanungsprozesse. Insbesondere dem Dezernenten für Soziales, Gesundheit, Schule, Sport, Schulpsychologischer Dienst, Familie und Jugend, Markus Fischer, und der Sozialplanerin, Dr. Katharina Hörstermann, gilt unser Dank. Darüber hinaus waren zahlreiche Kreisämter, Organisationen und Kommunen am Vorhaben beteiligt, die in Interviews und Gruppendiskussionen ihre Perspektive auf die kreisweiten Prozesse darlegten und die Ergebnisse bereicherten: In der StädteRegion Aachen möchten wir uns daher bei den Beteiligten der Stadt Eschweiler, der Kupferstadt Stolberg und der Stadt Aachen herzlich bedanken. Im Rheinisch-Bergischen Kreis gebührt unser Dank den Beteiligten der Stadt Bergisch Gladbach, der Stadt Wermelskirchen, der Stadt Overath, der Gemeinde Odenthal, den Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt und des Jobcenters Rhein-Berg sowie den verschiedenen Ämtern der Kreisverwaltung, die sich an dem Prozess aktiv beteiligten.

 

Eine wichtige Kooperationspartnerin war die Fachstelle für sozialraumorientierte Armutsbekämpfung (FSA) in Gelsenkirchen, die den Kommunen in Nordrhein-Westfalen bis Ende 2018 Beratungsleistungen bei der kleinräumigen Sozialberichterstattung und beim Aufbau einer strategischen Sozialplanung angeboten hatte. Der Dank für den konstruktiven Austausch gilt dem Leiter Norbert Wörmann und seinem Team, das die Beratungen im Bereich der strategischen Sozialplanung seit 2019 teilweise in der G. I. B. Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung mbH in Bottrop fortsetzt.

 

Das Forschungsvorhaben wurde von November 2016 bis März 2019 an der Technischen Hochschule Köln durchgeführt. Hier ist in besonderer Weise den engagierten Kolleginnen und Kollegen Karin Papenfuß, Dr. Holger Spieckermann, Julia Zinn, Mareike Hammes, Katharina Neuhann, Nicola Winterhoff und Katharina Hofmann zu danken.

 

Zu guter Letzt gilt ein besonderer Dank allen Autorinnen und Autoren von Tippboxen in diesem Buch, die mit ihrem Praxiswissen die Buchbeiträge bereichern.

 

Anna Nutz und Herbert Schubert

Literaturverzeichnis

Osborne, Steven P., The New Public Governance? Public Management Review 8/2006, S. 377–387

Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), Handbuch der örtlichen Sozialplanung, Frankfurt a. M. 1986: Eigenverlag des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge

MAIS – Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Moderne Sozialplanung – Ein Handbuch für Kommunen, Düsseldorf 2011: Eigenverlag.