Herman Frobenius

Alfried Krupp: Ein Lebensbild

Veröffentlicht im Good Press Verlag, 2022
goodpress@okpublishing.info
EAN 4064066114541

Inhaltsverzeichnis


I. Das väterliche Erbe.
II. Lehrjahre.
III. Der erste Erfolg und seine Verwerthung.
IV. Ein königlicher Bundesgenosse.
V. Die erste Feuerprobe.
VI. Kampf und Sieg.
VII. Neue Kämpfe.
VIII. Unheimliche Gegner.
IX. Schwere Jahre.
X. Neue Aufgaben und neue Erfolge.
XI. Die letzten Triumphe und die letzte Enttäuschung.
XII. Das Ende des Siegers.

I.
Das väterliche Erbe.

Inhaltsverzeichnis

Im selben Frühjahr, in welchem Napoleon Bonaparte sich anschickte, seine sieggewohnte Armee dem Verderben in Rußlands unermeßlichen Gefilden entgegenzuführen und damit seine tyrannische, fast ganz Europa umfassende Herrschaft dem ersten, bis in die Grundfesten sie erschütternden Stoße aussetzte, im selben Frühjahr erblickte der Mann in dem Städtchen Essen das Tageslicht, dessen geniale Schaffenskraft das starke Werkzeug schmieden sollte, welches 58 Jahre später der deutschen Armee zur Vernichtung des herrschsüchtigen Neffen, des letzten Napoleoniden, diente. Dasselbe Jahr, welches als Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Nation sie eintreten ließ in eine Periode der kräftigsten Entwickelung, des ungeahnten Aufschwunges, es gab ihr auch mit der Geburt des Meisters die Waffen, um den übermüthigen Erbfeind zu Boden zu schlagen und dem Vaterland die langersehnte Einheit zu erkämpfen.

Am 12.April 1812 ward Alfried Krupp geboren.

Mitten in Deutschlands wichtigstem Steinkohlengebiet, in dem reizlosen, aber fruchtbaren, hügelbekränzten Thale der Ruhr, dort wo er mit seines Lebens schwerer Arbeit auch seine ans Wunderbare grenzenden Erfolge errang, in dem kleinen Städtchen Essen stand seine Wiege. Ja! klein, auffallend klein war noch der Ort mit seinen 4000 Einwohnern trotz des vollen Jahrtausends, auf das es seine Geschichte rückwärts verfolgen konnte. In jener Zeit der Geburt des ersten Deutschen Reiches, als das weite Erbe des großen Karl der Schauplatz der blutigen, ländergierigen Bruderkriege war, welche mit der endgültigen scharfen Trennung der gallischen und germanischen Volksstämme einen Abschluß fanden, damals ward Essen gegründet. Und ebenfalls ein Alfried war es, der Bischof Alfried von Hildesheim, welcher mit der Erbauung des alten Münsters den Mittelpunkt für die neue Ansiedelung formte; überaus langsam entwickelte sie sich, bis nach Verlauf eines Jahrtausends der zweite, größere Alfried, der, obgleich Protestant, den Namen des Schutzpatrons erhielt, die schlummernden Kräfte zu neuem, schaffensreichem Leben zu erwecken wußte und nicht nur seine Vaterstadt einem plötzlichen, überraschenden Wachsthum zuführte (die Einwohnerzahl betrug in seinem Todesjahre an 68000), sondern ihr die erste Stelle unter den Fabrikorten derjenigen großen Industrie errang, welche unter seiner Führung die Uebermacht des Auslandes siegreich überwand und die erste Bresche legte in die britische Weltherrschaft. Wie ein welterschütternder Heroldsruf wirkte dieser Sieg des Essener Fabrikherren auf den deutschen Handel und auf die deutsche Industrie und, wie er dem Heere die starke Waffe schmiedete zur Wiedergewinnung der seit 1000 Jahren der deutschen Nation zustehenden, heimtückisch vor 3 Jahrhunderten ihr geraubten linksrheinischen Lande, so führte er durch die selbstgeschaffene Bresche im friedlichen Wettkampf Deutschlands Handel und Industrie Schritt für Schritt vorwärts in Gebiete, welche Britannien bisher als seine alleinige Domäne zu betrachten sich angemaßt hatte. So erweiterte sich die von Alfried Krupp voll gelöste Lebensaufgabe aus der des patriotischen Waffenschmiedes, welche sich auf Stärkung der Wehrkraft des Vaterlandes und auf den Schutz seiner Grenzen richtete, zu der eines Bahnbrechers für die Idee eines „größeren Deutschland”, und er verstand in weiser Umsicht die beiden Wege zu betreten, welche diese zum Ziele führen müssen: Zusammenschluß der vaterländischen Kräfte durch friedliche Lösung der sozialen Aufgaben und Ueberflügelung der ausländischen Industrie durch intensivste Entwickelung und Ausbeutung der Technik und Wissenschaft, sowie durch sorgsamste und gewissenhafteste Pflege der Reellität in allen Industriezweigen.

Klein, außerordentlich klein und unscheinbar, wie seine Vaterstadt im Jahre 1812, sind die Anfänge seiner so gewaltig sich erweiternden Wirksamkeit. Aber die Keime zu der großartigen Entwickelung waren bereits vorhanden, ebenso, wie in der Vaterstadt die Anfänge der Industrie, welche sie groß machen sollte, weit zurückdatiren. Schon im 16.Jahrhundert wurde hier Kohlenbergbau betrieben und die Gewinnung von Eisenerzen erlangte zeitweise eine gewisse Bedeutung in dem bis 1803 ein Freies Reichsstift bildenden Essener Territorium. Sie gab im vorigen Jahrhundert Veranlassung zur Entstehung der Eisenwerke Neu-Essen, St. Antony und Gute Hoffnung, deren letzte für die Familie Krupp und für deren Wirken im Gebiete der Eisentechnik eine große Bedeutung gewann. Auch die Waffenfabrikation war in Essen nichts Ungewohntes; denn seit 2 Jahrhunderten bis in den Anfang des unseren bildete die Gewehrfabrikation einen wesentlichen Zweig der bürgerlichen Erwerbsthätigkeit.

Eng verknüpft mit der Geschichte der Stadt ist von jeher die der Familie Krupp. Schon im Jahre 1560 wird ein Kaufmann des Namens genannt, welcher durch Aufnahme des niederländischen Flüchtlings Alexander van Huissen eine Familie in Essen einbürgerte, welche in ihren Nachkommen von großer Bedeutung für die Begründung der niederrheinischen Eisenindustrie werden sollte. Im Jahre 1664 spielte ein Matthias Krupp als Sekretair der Stadt eine große Rolle im öffentlichen Leben und von 1703 bis 1734 stand ein anderer Ahnherr, Arnold mit Namen, als Bürgermeister an der Spitze der städtischen Verwaltung. Vom Jahre 1760 an sind die Vorfahren Alfried Krupps in fortlaufender Linie bekannt, Friedrich Jodocus, Sekretär der Stadt, ward in diesem Jahre mit einer von ihm gemutheten und „Sekretarius” benannten Kohlenzeche belohnt. Er wie sein einziger Sohn, Peter Friedrich Wilhelm, starben noch vor Beginn des neuen Jahrhunderts, sodaß im Jahre 1800 nur die beiden Wittwen, die „ältere” Amalie, geborene Ascherfeld und die „jüngere Wittwe” Petronella, geborene Forsthoff, sowie deren Sohn Friedrich Krupp, welcher am 17.Juli 1787 geboren worden war, die Familie repräsentirten.

Diese erfreute sich zweifelsohne damals eines recht guten Wohlstandes, denn die jüngere Wittwe bewohnte ein von ihrem Manne 1791 erbautes stattliches, mit den Namenszügen F.W.P.Krupp und P.Forsthoff, sowie dem Kruppschen Wappen (eine um einen Baum sich windende, „krupende” Schlange) geschmücktes Haus (Flachsmarkt Nr. 9); Frau Amalie Krupp aber besaß die Mittel, um am 12.April 1800 von ihrem Schuldner Pfandhöfer, dem Besitzer der St. Antony- und Gute Hoffnungs-Hütte die letztere beim Zwangsverkauf für 12000 Thaler zu erwerben. Mithin erschloß sich am selben Tage, an welchem 12 Jahre später der geniale Erbe der väterlichen geistigen Hinterlassenschaft geboren wurde, für dessen Vater Friedrich das Feld der Thätigkeit, auf dem er die erste Anregung erhielt zu seinen schöpferischen Ideen und weit hinausschauenden Plänen.

Frau Amalie, eine thatkräftige und geistig bedeutende Frau, übernahm selbst die Leitung des Eisenwerkes und suchte seine Ergiebigkeit durch Verbesserungen zu steigern; ihrem Enkel aber gab sie die Gelegenheit, sich dort als Hüttenmann auszubilden. Der Jüngling ergriff den Beruf mit voller Begeisterung. In seinem Geist reifte unter der Anregung der täglichen Beschäftigung der Gedanke, welcher ihm zum Leitstern wurde für sein ganzes, nur gar zu bald im Dienste der Idee geopfertes Leben. Die Eisentechnik Deutschlands war zurückgeblieben, durch England weit überflügelt, und immer mehr wurde der Bedarf an werthvolleren, besseren Erzeugnissen, wie Maschinentheilen und Geräthen, auch im Vaterlande allein aus den englischen Fabriken gedeckt, immer mehr aber drückte das auf die heimische Industrie, je mehr die Maschinen sich vervollkommneten und je allgemeiner ihre Anwendung in allen Berufskreisen voraussichtlich wurde. Für eine ganze Reihe von Werkzeugen und Geräthen verlangte die fortschreitende Industrie ein ganz besonders feinkörniges, hartes und widerstandsfähiges Eisenmaterial, und dies verstanden nur die englischen Fabriken in ihrem Gußstahl herzustellen. Daher ist es leicht erklärlich, daß sich in Deutschland allerorten die denkenden und strebsamen Hüttenleute mit Studien und Versuchen abmühten, um das Geheimniß der Gußstahl-Fabrikation zu ergründen. Und dieses Verlangen ist es auch, welches in Friedrich Krupp, durch seine Beschäftigung auf der Gute Hoffnung-Hütte in Sterkrade mächtig angeregt, zur heißen Flamme wurde, die sein Vermögen und seine Gesundheit verzehrte, während sie für die deutsche Industrie zum Heerdfeuer wurde, an dem sich ihre Thätigkeit in mächtigem Aufschwung entwickelte, und zum Freudenfeuer des endlichen Sieges über die britische Industrie.

Das fleißige, unermüdliche Streben des Jünglings lohnte die Großmutter am 27.Juni 1807 — kurz vor Vollendung des zwanzigsten Lebensjahres — durch Schenkung des Werkes, und als sich im August des folgenden Jahres Friedrich Krupp mit Therese Wilhelmi aus Essen verheirathete, geschah es noch auf der Gute Hoffnung-Hütte; den häuslichen Heerd wollte er sich neben dem flammenden Ofen errichten, der ihm den Gußstahl liefern sollte. Wie weit er damals mit seinen Versuchen bereits gediehen war, ist nicht bekannt. Jedenfalls erschien es ihm selbst wohl noch nicht möglich, in kurzer Zeit damit ein vollwerthiges Resultat zu erreichen, denn dann würde er nicht darein gewilligt haben, daß bei einer sich bietenden günstigen Gelegenheit am 14.September 1808 die Gute Hoffnung-Hütte verkauft wurde (nachdem die Schenkung, unbekannt aus welchem Grunde, schon am 15.Mai 1808 rückgängig gemacht worden war). Begründet wird der Verkauf durch die mehr und mehr hervortretende Unmöglichkeit, mit der nahe gelegenen Antony-Hütte zu konkurriren, obgleich die preußische Regierung durch Zuwendung von Aufträgen die Gute Hoffnung-Hütte zu unterstützen suchte. Es ist interessant, daß unter dem Kaufakt sich die Namen der Begründer der niederrheinischen Eisenindustrie vereinigt finden, denn die Käufer waren Heinrich Huyssen, Gerhard und Franz Haniel und Gottlob Jacobi. Mit letzterem, einem sehr tüchtigen Hütteningenieur, begegnete sich Friedrich Krupp in dem Bemühen, das Geheimniß der Gußstahl-Fabrikation zu ergründen.

In Essen, wohin der junge Ehemann nach Verkauf der Hütte seinen Wohnsitz verlegte, trat er in einen durchaus neuen Wirkungskreis, indem er das von seiner Mutter geführte größere Spezereigeschäft im Oktober 1810 auf seinen Namen übernahm. Aus dieser Zeit datirt also die Firma Friedrich Krupp, die sich freilich zunächst mit einem Artikel beschäftigte, der den späteren Fabrikaten derselben Firma so fremd wie möglich ist, sie handelte vornehmlich mit Kaffee.

Nicht lange duldete es den jungen Eisentechniker in diesem Geschäft; alles Streben seines Herzens war auf die Gußstahl-Fabrikation gerichtet und unwürdig erschien ihm eine Thätigkeit, welche hierfür keinen Raum bot, es drängte ihn, seine ganze geistige, wie körperliche Kraft, seine Zeit und seine Mittel ganz ausschließlich diesem einen Zweck zu widmen. Um seine Versuche fortsetzen zu können, bedurfte er eines, wenn auch noch so kleinen Eisenwerkes; und so sehen wir, daß er bereits am 7.Dezember 1811 ein in der Gemeinde Altenessen gelegenes kleines Gütchen, „die Walkmühle”, ein Anwesen von etwa 5 Morgen Ausdehnung, ankauft, um hier einen Reckhammer, sowie ein Schmelz- und Cementirgebäude zu errichten; ein kleiner das Gelände durchfließender Bach gab die erforderliche Wasserkraft. Hier sollte das Material, der Gußstahl, erzeugt werden, und in dem Städtchen Moers, auf dem linken Rhein-Ufer, damals also noch im französischen Gebiet, sollte eine neu errichtete Feilenfabrik die für das Ausland bestimmten Waaren herstellen, um den Zoll für diese zu ersparen. Es war wohl zuviel auf einmal angefangen, so richtig das Unternehmen auch erscheinen muß, denn diese Feilenfabrik hat nicht lange bestanden.

Mit Fertigstellung der Gebäude im Herbst 1812 löste Friedrich Krupp sein Spezereigeschäft auf, um alle Mittel disponibel zu machen für das eine Ziel, das er sich gesteckt hatte. Im Geburtsjahr seines Sohnes Alfried konnte er also die geschäftliche Mittheilung machen, daß die Firma Friedrich Krupp von jetzt ab „alle Sorten feinen Stahl, auch Guß-, Rund- und Triebstahl” zu liefern im Stande sei.

Der Zeitpunkt, mit welchem mithin die Krupp’sche Gußstahl-Fabrik ins Leben trat, war für das Unternehmen außerordentlich günstig, denn durch die Napoleonische Kontinentalsperre war seit 1806 jede Einfuhr englischer Stahlwaaren abgeschnitten und die Bestände in den letzten Jahren verbraucht worden; die in voller Entwickelung begriffene Eisen- und Stahl-Kleinindustrie im westlichen Deutschland gerieth mehr und mehr in Verlegenheit, denn es mangelte einerseits an dem zu verarbeitenden, bisher aus England bezogenen Material, anderseits an den von dort gelieferten Stahlwerkzeugen. Allerorten wurden deshalb von Technikern und Chemikern Versuche über Versuche gemacht, einen Ersatz des englischen Fabrikates zu erzeugen, und wer mit Erfolg diesen Weg beschritt, konnte, wie es schien, eines reichen Lohnes sicher sein, da er das dringendste Bedürfniß der Industrie befriedigte. Wenn sich aber die vielfachen Versuche, Gußstahl herzustellen, trotz der thatsächlich erreichten Kenntniß des Geheimnisses fast alle spurlos im Sande verliefen, wenn außer Krupp keiner der patentirten Erfinder ein nennenswerthes Resultat erzielte, so liegt dieses in der eigenartigen Natur des Gußstahls wie jeder für bestimmte Zwecke auf einen hohen Grad der Leistungsfähigkeit entwickelten Eisenlegirung. Es ist nicht die Kenntniß der chemischen Zusammensetzung und das einmalige glückliche Gelingen der Herstellung hinreichend, um die Garantie für eine stetige Produktion eines gleich leistungsfähigen Materials zu bieten; denn die Rohmaterialien sind so verschieden und die geringsten Unterschiede in ihrer Zusammensetzung und in ihrer Zusammenmischung von einem so bedeutenden Einfluß auf die Eigenschaften der aus ihnen gewonnenen Eisenlegirung, daß erst ein langjähriges Studium und Probiren, verbunden mit der minutiösesten Prüfung und Untersuchung der Rohmaterialien und mit der peinlichsten Genauigkeit bei ihrer Verhüttung zu einem einigermaßen richtigen Urtheil über das jedesmal zu erwartende Resultat und schließlich zu jener Sicherheit im Betriebe führen konnte, welche der Legirung die für bestimmte Zwecke zu erreichenden Eigenschaften bei der Auswahl der Materialien zuzuführen imstande ist.

Es ist hieraus erklärlich, warum nicht mit der einmaligen gelungenen Erzeugung eines guten Gußstahlblockes für Friedrich Krupp alle Schwierigkeiten überwunden waren; wie er Jahr für Jahr seines Lebens der emsigen Arbeit opfern mußte, um das theoretisch Gefundene und praktisch als richtig Bewiesene für die Fabrikation auch nutzbar zu machen und die geeignete Beschickungsart für die einzelnen Zwecke des Fabrikates zu finden. Ein Leitmotiv für alle seine Versuche hat ihm den richtigen Weg gewiesen und hat in gleicher Weise seinen Sohn von Erfolg zu Erfolg geführt: „Ohne gutes Eisen kein guter Stahl”; für das beste Erzeugniß, das er erstrebte, konnte er auch nur das beste Rohmaterial brauchen. Und der Mangel an letzterem war es häufig, der seine Fortschritte hemmte. Ein zweites aber, was die Fabrikation größerer Gußstahlstücke unbedingt erfordert, sind die Werkzeuge, mit denen diese durchgeschmiedet oder gewalzt werden müssen, um die Gleichmäßigkeit und Dichtigkeit des Gefüges zu erhalten, welche das Material zu den höchsten Leistungen befähigen. Es fehlten ihm die Mittel, um sich große Hämmer und Walzwerke zu beschaffen und erst nach langen Jahrzehnten der langsamen Entwickelung aus den kleinen Anfängen heraus gelang es dem Sohne, durch Konstruktion und Ausführung der mächtigen Hämmer, welche die Welt in Staunen setzten, seinen Stahlblöcken die von keinem Anderen je erreichte Güte und Leistungsfähigkeit zu geben. Friedrich Krupp hatte noch in keinem seiner Fabrikgebäude eine Dampfmaschine, mit dem Hammer, den er 1818 in Alten-Essen anlegte, konnte er Gußstahl nur bis zur Stärke von 3 Zoll durchschmieden und, um Platten zu walzen, mußte er das Walzwerk von Franz Dinnendahl in Spillenburg in Anspruch nehmen.

Die ungeheuren Schwierigkeiten, welche Friedrich Krupp aus der Natur der Gußstahlfabrikation selbst erwuchsen, sind hieraus ersichtlich. Hierzu kamen aber noch andere unglückliche Umstände, welche einer raschen Entwickelung seines Werkes hindernd in den Weg traten. Gleich im zweiten Jahre nach dem Beginn der Gußstahl-Fabrikation war es seine Verbindung mit einem Mechaniker, Namens Nicolai, welche sehr ungünstige Folgen hatte. Nicolai hatte ein preußisches Patent (vom 5.Mai 1815) auf Gußstahl erhalten, „der dem besten, bis jetzt bekannten englischen Gußstahl in Rücksicht der Güte gleichgefunden” wurde. Damit war aber nicht gesagt, daß er auch die Fähigkeit und Erfahrung für die Fabrikation besaß, wie bereits erläutert wurde. Er war ein Beispiel der für die Praxis unbrauchbaren Erfinder, und Krupp sah sich binnen Kurzem gezwungen, den Gesellschaftsvertrag mit ihm wieder zu lösen, mußte aber hierbei eine bedeutende Entschädigung zahlen und wurde wegen des Nicolaischen Patentanspruches in einen Prozeß verwickelt, der allerdings zu seinen Gunsten entschieden wurde, aber erst 1823 zum Abschluß kam und in den zwischenliegenden Jahren eine Quelle von Verlegenheiten, Verlusten und Verdrießlichkeiten wurde.

Zu den wichtigsten und besten Erzeugnissen der Fabrik zählten gußstählerne Münzstempel und -Walzen. Sie waren binnen Kurzem nicht nur in Berlin und anderen deutschen Münzprägeanstalten, sondern auch in Wien und Petersburg in Gebrauch. Gelegentlich deren Lieferung hatte Friedrich Krupp mit dem preußischen Generalmünzdirektor Goedeking freundschaftliche Beziehungen angeknüpft und trug sich mit der Hoffnung, durch dessen Vermittelung die Unterstützung der Regierung in Form eines größeren Kredits zu gewinnen. Denn seine Fabrik mußte nothwendigerweise erweitert werden, um den gesteigerten Anforderungen gerecht werden zu können, und er glaubte von der Regierung eine Entschädigung für die bedeutenden Verluste beanspruchen zu können, die ihm aus der Patentirung des leistungsunfähigen Nicolai erwachsen waren. Seine rastlose Energie ließ ihm aber nicht die Ruhe, jahrelang auf eine Entscheidung zu warten, und so begann er 1818 mit dem Bau eines neuen Fabrikgebäudes im Westen der Stadt Essen, wo es für ihn bequemer zu erreichen war, da er mit seiner Familie noch in der Stadt wohnte. Am 18.Oktober 1819 konnte zum ersten Male in dem neuen Werk geschmolzen werden, es ist der Geburtstag der jetzigen Gußstahlfabrik, deren weitläufige Anlagen sich mit der Zeit an diesen ersten verhältnißmäßig kleinen und bescheidenen Kernbau anschließen und in stetiger Erweiterung zu einem der größten Etablissements der Welt auswachsen sollten.

Im Anfang sah es freilich noch wenig hoffnungsvoll aus, denn von den projektirten 60 Schmelzöfen konnten zunächst nur 8 fertig gestellt und mit Noth in Betrieb erhalten werden. Da aus jedem Tiegel 25 Pfund Gußstahl gegossen wurden und binnen 24 Stunden zweimal geschmolzen werden konnte, war das Maximum der Tagesproduktion 400 Pfund. Welche bescheidene Zahl gegenüber den Massen, welche in späteren Jahren erzeugt wurden, und welche sich z.B. im Jahr 1881 auf die tägliche Herstellung von 130000 Pfund Gußstahl bezifferte! Die Schwere der Güsse konnte bis zum Tode Friedrich Krupps auf 40 Pfund gesteigert werden. Was ist das im Vergleich zu dem Block, welcher 1873 auf die Wiener Weltausstellung gesandt wurde und das stattliche Gewicht von 105000 Pfund erreichte! Und auch dieser Block war aus kleinen Tiegeln gegossen und in derselben Weise, wie jene ersten kleinen Gußstücke.

Mit der Aufopferung seiner letzten Mittel hatte der energische Mann diese Erweiterung seiner Fabrik ins Werk gesetzt und keiner seiner Freunde und Verwandten hatte ein Verständniß für diese Aufopferung seines guten Vermögens im Dienste einer Idee, deren hohe Bedeutung ihrem kurzsichtigen Blick vollständig entging. Sie machten ihm nur Vorwürfe, anstatt ihn zu unterstützen und suchten ihn zu bereden, die Sache aufzugeben und sein früheres Geschäft wieder zu ergreifen, wozu sie ihm bereitwilligst die hilfreiche Hand boten. So stand er allein und verlassen im Kreise seiner Mitbürger und Berufsgenossen, unverstanden von Allen, die ihn hätten unterstützen können, unverstanden auch von den maßgebenden Personen, welche die für das Vaterland so wichtige Industrie mit Staatsmitteln hätten über die mühsamen Anfänge hinwegbringen können. Und doch war er so durchdrungen von der Bedeutung seines Unternehmens, so überzeugt von der Entwickelungsfähigkeit seiner Idee, so siegesgewiß, wenn er nur die Mittel erlangen konnte, seine Erzeugnisse zur Geltung zu bringen, daß er keinen Augenblick schwankend wurde, lieber sich und seine Familie in Noth und Sorgen zu stürzen, als an seiner Lebensaufgabe zu verzweifeln. Nach allen Seiten blickte er nach Hilfe, selbst die Gründung einer staatlichen Gußstahlfabrik in Rußland brachte er in Anregung, und durch gutachtliche Prüfungen suchte er seinem Fabrikat allgemeine Anerkennung zu verschaffen. So unterzog der in großem Ansehen stehende „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in den Königl. preußischen Staaten” seinen Gußstahl einer gründlichen Untersuchung und veröffentlichte 1822 sein Urtheil, in dem er bekundet, daß „Herr Friedrich Krupp in Essen a.d. R. durch langjährige Versuche und große Aufopferungen es soweit gebracht hat, daß sein Gußstahl im Allgemeinen den Vorzug vor dem englischen hat..... Sein Fabrikat ist von der Abtheilung für Manufakturen und Handel in Berlin sorgfältig untersucht und dahin beurtheilt worden, daß es an Brauchbarkeit und innerer Güte dem besten englischen Stahl gleich zu achten, ja in mehrfacher Hinsicht ihm vorzuziehen ist.”

So wie ihm hier eine Anerkennung gewissermaßen amtlichen Charakters zu Theil wurde, so war auch aus der stetig zunehmenden Zahl der Bestellungen zu erkennen, daß die neuen Fabrikate mehr und mehr Boden gewannen. Selbst aus der Fabrik von Cockerill bei Lüttich und der englischen Münze in Hannover kamen Bestellungen. Sie konnten nicht bewältigt werden, denn die Erweiterung des Betriebes hätte neue Kapitalien erfordert, und woher diese nehmen? Nirgends mehr öffnete sich ein Kredit. Von der Hand in den Mund mußte der Fabrikant leben trotz des nicht zu verkennenden Aufschwunges seines Werkes, und ein einziger Unglücksfall konnte plötzlich das mühsam errichtete Gebäude zu Sturze bringen, gerade jetzt, wo die Hoffnung auf ein glückliches Gedeihen aufzublühen begann.

Es ist nicht zu verwundern, daß Friedrich Krupp einerseits seine eiserne Willenskraft, welche allein ihn die ungeheuren Schwierigkeiten immer wieder überwinden ließ, in unnachsichtiger Strenge gegen sich selbst, wie gegen Andere zum Ausdruck brachte, daß er anderseits, aus einer schwierigen Lage in die andere geworfen, von Sorgen gemartert und bisweilen beinahe verzweifelnd am Erfolge, oft finster und trüb gestimmt erschien. Für seine Familie — und die einzige treu ihm zur Seite ausharrende, in vollem Verständniß seinen Plänen folgende Seele war seine Frau — mag er herzlich wenig Zeit übrig gehabt haben, und auch ihr gegenüber zeigte sich die Thatkraft in dem festen Beharren bei seiner Idee; er trug kein Bedenken, ihr nicht nur seine eigene, sondern auch seiner Kinder Lebenskraft dienstbar zu machen und nöthigenfalls zum Opfer zu bringen.

Ein Bild der in eherner Arbeit unermüdlichen Thatkraft, des in seinen Leistungen nie ganz sich genügenden ehrgeizigen Pflichtgefühls, der über die Nichtigkeiten des Lebens und seiner Bedürfnisse hoch sich erhebenden Begeisterung für eine große Idee, der vor keinem Opfer zurückscheuenden, durch keine Sorgenlast zu hemmenden, durch keinen Mißerfolg entmuthigten Energie, so stand der Vater vor den Augen seiner Kinder als ein leuchtendes Beispiel, als ein strenger Lehrmeister schon in den ersten Jahren ihrer individuellen Entwickelung. So ward ihr Auge geschärft zur klaren Auffassung der Verhältnisse, ihr Gemüth gehärtet gegen verweichlichende und beunruhigende Regungen, ihr Begehren auf hohe Ziele gerichtet und ihre Bedürfnißlosigkeit durch Entbehrungen gefördert, so ward ihr Geist entflammt für die große Aufgabe, der sie die Eltern in einträchtigem Streben jeden Genuß, jede Freude, jeden Athemzug ihres Lebens opfern sahen.

Und gegen alles Erwarten schnell kam der schwere Schicksalsschlag, der die Kinder mitten hineinstellte in den Kampf des Lebens. Friedrich Krupp erkrankte im Jahre 1823, gerade als die endliche Entscheidung des Prozesses Nicolai eine günstige Wendung seiner Verhältnisse eingeleitet hatte. Eine Kur in Schwalbach brachte Linderung seiner Leiden, aber bereits Ende 1824 wiederholten sich die Anfälle, welche auf eine hochgradige Ueberanstrengung des Nervensystems zurückzuführen waren, in so heftiger Weise, daß er 10 Monate lang arbeitsunfähig war. Welche Folterqualen für den Mann, auf dessen energischer Thätigkeit ganz allein die Hoffnung einer weiteren günstigen Entwickelung beruhte, da er sich zum thatlosen Zuschauen verurtheilt sah und sich nicht verbergen konnte, daß von Tag zu Tag sein Werk zurück, daß es dem Zusammenbruch entgegen ging.

Die Lage wurde kritisch; das Haus in der Stadt mußte aufgegeben werden und die Familie bezog 1825 ein kleines, zur Fabrik gehörendes Haus, das in den letzten Jahren für einen Werkmeister errichtet worden war. Es ist ein ärmliches einstöckiges Fachwerks-Gebäude, neben der Thür in der Front beiderseits nur ein Fenster, im Giebel deren zwei mit grünen Läden, darüber beiderseits ein einfenstriges Giebelstübchen, kaum Raum genug für die Eltern und die vier Kinder bietend, eine Arbeiterwohnung im strengsten Sinne des Wortes, und was in diesem Hause für angestrengte, sorgenschwere, aber auch segensreiche Arbeit geleistet wurde, das hat die Welt nach Jahrzehnten mit Staunen wahrgenommen, dessen werden sich aber auch die Nachkommen des ersten Bewohners stets mit tiefbewegtem, dankbarem und immer aufs Neue ermuthigtem Herzen erinnern. Noch heute steht inmitten der Riesengebäude der Fabrik, in seiner ursprünglichen bescheidenen Form dieses „Stammhaus”, in dem Friedrich Krupp noch einmal Hoffnung schöpfte, sein Leiden überwinden und dem drohenden Zusammensturz seines Werkes mit Energie Einhalt gebieten zu können. Kurz und trügerisch war die Hoffnung. Mitten in neuen Arbeiten, in der Lösung neuer Aufgaben, raffte ihn der Tod dahin. Er starb am 8.Oktober 1826 an der Brustwassersucht. Was er erstrebt hatte, schien verloren, was er erreicht, schien vernichtet. In Noth und Sorge, ohne alle Mittel ließ er seine Familie zurück, in der Blüthe seiner Jahre überwältigt durch die Aufgabe, der er sein Leben und das Wohl der Seinen geopfert hatte. An seinem Grabe standen die früheren Freunde und Genossen ohne ernste Theilnahme; sie hatten es ihm ja vorausgesagt, daß er einem Hirngespinnst in thörichter Weise sich opferte; nur ein mitleidiges Lächeln hatten sie für die Wittwe und die unerwachsenen Kinder, die er im Elend zurückgelassen hatte. Sie ahnten nichts von dem reichen Erbe, das er ihnen vermachte, da er sie durch eine Schule geführt hatte, welche sie zur strengsten Pflichterfüllung und zum Einsetzen aller Kraft an hohe Ziele vorbereitet hatte, sie sahen nicht den unscheinbaren Keim blühender Entwickelung, den er in seinem Werke eingepflanzt hatte und der sich zum Riesenbaum ausgestalten sollte, in dessen Schatten Deutschlands Industrie für seine Weltbedeutung sich zu entfalten Schutz fand.


II.
Lehrjahre.

Inhaltsverzeichnis

Ein vierzehnjähriger Knabe stand Alfried am Grabe seines Vaters, und in den tiefen Schmerz hinein, welcher sein Herz mit Thränen erfüllte, in die bangen, schweren Gedanken, welche mit ungewohnter Last sein Haupt beschwerten, klangen anstatt der Töne warmen Mitgefühls die Aeußerungen des frostigen Mitleids wie ein schneidender Mißton, seinem thränenverschleierten Blick entging nicht das Achselzucken der klugen Leute, welche es nicht für der Mühe werth hielten, ihre Schadenfreude zu verbergen. Und die Thränen versiegten in heiligem Zorn, das schmerzgebeugte Haupt erhob sich in stolzem Bewußtsein der großen Aufgabe, welche der Knabe von heute ab als Nachfolger seines Vaters diesen kleinen Seelen gegenüber zu vertheidigen, in ihrer ganzen vollberechtigten Bedeutung zur Anerkennung zu bringen berufen war. So verließ Alfried Krupp das frische Grab seines Vaters, nicht in verzweifelndem Kleinmuth des Kindes, sondern im muthigen Selbstvertrauen des werdenden Mannes, so ward er, der vierzehnjährige Knabe, der Chef der Firma Friedrich Krupp, durch das im Tiefsten ihn verletzende Gebahren seiner Mitbürger am Grabe des Vaters, zu dem Manne der eisernen Energie, des rücksichtslosen Zielbewußtseins, des tiefsten Verständnisses für die Lebensnoth seiner Mitmenschen, wie er in seinem ganzen Leben sich bewiesen hat.

Er war kein Musterschüler gewesen; denn im Oktober 1825 hatte er erst die Quarta erreicht, als sein Vater es für nothwendig erachtete, ihn in seinen Freistunden zur Mitarbeit in der Fabrik heranzuziehen. Die Entlassung eines untreuen Buchhalters und eines unzuverlässigen Faktors hatten ihm den Gedanken nahe gelegt, mit Hilfe seines ältesten Sohnes alles Geschäftliche allein zu besorgen und hierdurch die Fabrik von einer immerhin ins Gewicht fallenden Ausgabe zu entlasten.

Ostern 1826 nahm er ihn ganz aus der Schule, konnte aber seine ursprüngliche Absicht, ihn bei dem Münz-Wardein Noelle auf der Düsseldorfer Münze seine Lehre durchmachen zu lassen, nicht ausführen, da ein neuer Krankheitsanfall ihm seine Hilfe im Geschäft unentbehrlich machte. Körperlich gebrochen, besaß er doch noch seine volle geistige Frische, um die jetzt wichtigste Aufgabe zu erfüllen, seinen Sohn in alle Zweige des Geschäftes einzuführen. Nach seiner Anweisung mußte Alfried die „Beschickung” und sonstige besonders wichtige Werkarbeiten übernehmen, mußte er in wenigen Monaten alles das erlernen, was ihn nicht nur zu einem geschickten Hüttenmann geeignet machte, sondern was als Ergebniß der Versuche und Studien des Vaters ihm überliefert werden mußte, damit er seiner hohen Aufgabe gewachsen wäre, dessen Erfindung weiter zu fördern und auszubeuten.

Das waren offenbar Dinge, welche den Anlagen und Neigungen des Knaben bedeutend mehr zusagten, als die Schulwissenschaften. Es ist nur aus einem vollen Verständniß der ihm zufallenden Lebensaufgabe und aus einer hohen spezifischen Begabung heraus verständlich, daß es dem Knaben gelang, des Gelehrten vollständig Herr zu werden, so vollständig, daß er auf des Vaters Errungenschaften ohne Weiteres weiter zu bauen im Stande war, als er nach sechs Monaten Lernzeit auf seine eigenen Füße gestellt wurde.

Als seine Schulkameraden nach der Tertia versetzt wurden, ward den schwachen Schultern des vierzehneinhalbjährigen Knaben die schwere Last auferlegt, als Chef der Firma eine Fabrik weiterzuführen, welche zusammenzubrechen drohte, als Haupt der Familie die Mittel zu schaffen, um seine Mutter und drei Geschwister zu ernähren. Er wollte und konnte sich dem nicht entziehen, denn es war das heilige Vermächtniß seines Vaters. Noch im Oktober des Jahres 1826 veröffentlichte die Wittwe in den Zeitungen eine „Empfehlung”:

„Den geschätzten Handlungsfreunden meines verstorbenen Gatten beehre ich mich die Anzeige zu machen, daß durch sein frühes Hinscheiden das Geheimniß der Bereitung des Gußstahls nicht verloren gegangen, sondern durch seine Vorsorge auf unseren ältesten Sohn, der unter seiner Leitung schon einige Zeit der Fabrik vorgestanden, übergegangen ist und daß ich mit demselben das Geschäft unter der früheren Firma „Friedrich Krupp” fortsetzen und in Hinsicht der Güte des Gußstahls, sowie auch der in meiner Fabrik daraus gefertigten Waaren nichts zu wünschen übrig lassen werde.

Die Gegenstände, welche in meiner Fabrik gefertigt werden, sind folgende: Gußstahl in Stangen von beliebiger Dicke, desgl. in gewalzten Platten, auch in Stücken, genau nach Abzeichnungen oder Modellen geschmiedet, z.B. Münzstempel, Stangen, Spindeln, Tuchscheerblätter, Walzen u.dergl., wie solche nur verlangt und aufgegeben werden, sowie auch fertige Lohgerberwerkzeuge.

Gußstahlfabrik bei Essen, im Oktober 1826.

Wittwe Therese Krupp, geb. Wilhelmi.”

Wie stand es nun mit der Fabrik? Friedrich Krupp war es trotz aller Schwierigkeiten immer noch gelungen, sein Geschäft in voller Ordnung zu hinterlassen und seine kaufmännische Ehre voll zu wahren. Aber Schulden waren natürlich vorhanden, und sie überstiegen beinahe den Werth des Vermögens. Die Güte des Kruppschen Gußstahls ward überall anerkannt; die Bestellungen waren aber in den letzten Jahren immer dürftiger eingelaufen, da die Krankheit des Chefs eine pünktliche Ausführung zur Unmöglichkeit gemacht hatte. Die Zahl der ständigen Arbeiter war auf vier Mann heruntergegangen. Kredit war jetzt naturgemäß noch viel schwieriger zu erlangen als zu Lebzeiten des Vaters. So galt es, unter den ungünstigsten Verhältnissen gewissermaßen von vorn wieder anzufangen, auf’s Neue eine Kundschaft zu erwerben, nachdem das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Fabrik erschüttert war. Betriebsmittel, Rohmaterial, neue Arbeitskräfte und Kredit zu schaffen, wo kein irgend nennenswerther Fonds dafür zur Verfügung stand. Wieviel schwerer war die Aufgabe für Alfried jetzt, wo Englands Gußstahlfabrikate wieder als übermächtige Konkurrenten überall in den Weg traten, als damals für den Vater, wo das Vermögen noch vorhanden und durch die eigenen Erzeugnisse einem auf dem ganzen Kontinent schwer empfundenen Bedürfniß entsprochen werden konnte. Diesen Mängeln gegenüber standen aber die gut und für einen viel größeren Betrieb ausreichenden Fabrikgebäude als eine wichtige, unentbehrliche Errungenschaft des Vaters und die frische Arbeitskraft eines über Nacht zum Jüngling gereiften Knaben, der mit Begeisterung und hoffnungsfreudig ans Werk ging und, über die ersten Versuche hinweg, gleich ein vollwerthiges Material auf den Markt bringen konnte.

Es bedurfte freilich seiner ganzen Körper- und Geisteskraft, um auch nur die nothwendigsten Bedürfnisse für die Familie zu schaffen, denn außer der Schwester Ida waren ja zwei jüngere Brüder, Hermann und Friedrich, zu ernähren, zu kleiden, zu unterrichten. So stand er, mit nur zwei Arbeitern zur Seite, von Tagesgrauen bis zur einbrechenden Nacht am Ambos und vor der Esse, und wenn er den über alle Maßen angestrengten jungen Körper hinaufgeschleppt hatte in die kleine Giebelstube, dann begann noch die geistige Arbeit, dann mußte er der zweiten, nicht weniger wichtigen Berufsaufgabe genügen als Ingenieur und Kaufmann. Denn nicht stillstehen durfte er auf dem vom Vater errungenen und ihm überkommenen Standpunkt der Fabrikation und deren Verwerthung; jene zu vervollkommnen und für diese immer neue Gebiete zu entdecken und zu erobern, darauf mußte er ja unablässig seine Gedanken richten.

Und wie schlimm stand es mit seiner Vorbildung für diese Aufgabe! Woher sollten ihm die kaufmännischen, die technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse, die Fertigkeit in fremden Sprachen kommen, ihm, dem aus der Quarta des Gymnasiums, mitten aus seinem Bildungsgang herausgerissenen Schüler. Und ohne alles das ging es doch nicht, alles das mußte er nachholen, mußte er mit todmüdem Körper in nächtlicher Arbeit sich anzueignen suchen. Welche übermenschliche Aufgabe! Und daß er sie löste, daß er seiner genialen Erfindungsgabe die unentbehrliche wissenschaftliche Basis gewann, daß er die französische und englische Sprache sich vollständig zu eigen machte, daß er zu einem hervorragenden Geschäftsmann sich entwickelte, das zeugt von einer außerordentlichen Begabung, vor allem aber von einer pflichtbewußten nie erlahmenden Energie ohne Gleichen bei einem Menschen in diesen Lebensjahren. Was ihn darin unterstützte, das war die tiefempfundene Verehrung für den Vater, die glühende Begeisterung für die Weiterführung von dessen Lebenswerk und, wie er selbst bekannte, die heilige Entrüstung über das höhnische Mitleid seiner Mitbürger, das ihm am Grabe des Vaters so tief in die Seele geschnitten hatte.

Als eine gar nicht zu überschätzende Hilfe stand ihm aber seine Mutter zur Seite, eine kluge, energische und thatkräftige Frau, welche jetzt des Sohnes schwere Arbeit und emsiges Streben mit derselben Fürsorge und demselben theilnahmsvollen Verständniß umgab, wie sie sie bisher dem Gatten gewidmet hatte. Sein Erbtheil von ihr nannte Alfried, wenn er mit höchster Verehrung und inniger Pietät der Mutter gedachte, den ihm innewohnenden rastlosen und unermüdlichen Fleiß.

Er selbst schilderte diese schwere Zeit in einem Briefe: „Ich sollte laut Testament für Rechnung meiner Mutter die Fabrik fortsetzen, ohne Kenntniß, Erfahrung, Kraft, Mittel und Kredit. Von meinem vierzehnten Jahre an hatte ich die Sorgen eines Familienvaters und die Arbeit bei Tage, des Nachts Grübeln, wie die Schwierigkeiten zu überwinden wären. Bei schwerer Arbeit, oft Nächte hindurch, lebte ich oft bloß von Kartoffeln, Kaffee, Butter und Brot, ohne Fleisch, mit dem Ernst eines bedrängten Familienvaters, und 25 Jahre lang habe ich ausgeharrt, bis ich endlich bei allmählich steigernder Besserung der Verhältnisse eine leidliche Existenz errang. Meine letzte Erinnerung aus der Vergangenheit ist die so lange drohende Gefahr des Unterganges und die Ueberwindung durch Ausdauer, Entbehrung und Arbeit, und das ist es, was ich jedem jungen Manne zur Aufmunterung sagen möchte, der nichts hat, nichts ist und was werden will.”

Langsam freilich, erschreckend langsam nur konnte es vorwärts gehen mit der Fabrik, wenn auch Alfried und seine Mutter sich mit der Befriedigung der äußersten Bedürfnisse begnügten, wenn auch der Fabrikherr persönlich jede Gesellenarbeit mit verrichtete und jeden Groschen nur zu Gunsten des Geschäftes verausgabte. Wie manchmal mußte er sich sorgen, selbst nur die kleine Summe für die wöchentliche Löhnung seiner paar Arbeiter rechtzeitig zu beschaffen; für seine eigene Arbeitsleistung blieb ihm nichts übrig. „Fünfzehn Jahre lang,” sagt er in einem Aufruf an seine Arbeiter am 24.Juli 1872, „habe ich gerade soviel erworben, um den Arbeitern ihren Lohn auszahlen zu können. Für meine eigene Arbeit und Sorgen hatte ich weiter nichts, als das Bewußtsein der Pflichterfüllung.” So brachte er es bis zum Jahre 1832 erst auf 10 Arbeiter, die im folgenden sogar auf 9 wieder herabgingen. Und dabei dachte er Tag und Nacht auf Verbesserungen seiner Fabrikate und weitere Ausnutzung seines Gußstahls; dabei suchte er in sonntäglichem Unterricht bei seinem Oheim, dem Kaufmann Karl Schulz, die kaufmännische Buchführung und sonstige kaufmännische Wissenschaften sich anzueignen; dabei ergriff er selbst den Wanderstab, um als Reisender für sein Geschäft seine Fabrikate an den Mann zu bringen. Von Hof zu Hof zog er auf der aus dem Märkischen in’s Bergische führenden Enneperstraße, wo die „Reckhämmer” ihre heiße Arbeit betrieben, um Aufträge auf „Hammersättel” einzusammeln, jede Lieferung neu gefertigter Münzstempel brachte er selbst nach Düsseldorf in die Münze, um sofort die Bezahlung empfangen zu können; denn der Geldmangel steigerte sich manchmal bis zur Sorge, das Porto für eingehende Briefe zu decken.