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Endnoten

1

Jean-Paul Sartre, L’Existentialisme est un humanisme, Paris 1965, S. 17.

2

Vgl. Albert Camus, »Actuelles III. Chroniques Algériennes, 19391958«, in: Essais, Paris 1965, S. 8911015.

3

Vgl. Manfred Pelz, »Die Novellen von Albert Camus – Interpretationen«, in: Französische Literatur- und Sprachstudien, Reihe A: Literaturwissenschaft, Bd. 1, Freiburg 1973, S. 140174, hier S. 155.

4

Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur, 5. Aufl., Stuttgart 1969, S. 526.

5

Ebenda.

6

Pelz (Anm. 3), S. 140151.

7

Albert Camus, »Le Mythe de Sisyphe«, in: Essais, Paris 1965, S. 99199, hier S. 113.

8

Ebenda, S. 141.

9

Ebenda.

10

Albert Camus: »L’Homme Révolté«, in: Essais, Paris 1965, S. 413705, hier S. 432, 435.

11

Vgl. besonders Camus, »Chroniques Algeriénnes« (Anm. 2), S. 905909.

12

Ebenda, S. 909.

13

Ebenda, S. 964.

14

Ebenda.

15

Ebenda, S. 964 f.

16

Ebenda, S. 965 f.

17

Albert Camus, »Appel pour une Trêve Civile en Algérie«, in: Essais, Paris 1962, S. 991999, hier S. 993.

18

Ebenda S. 994.

19

Ebenda.

20

Albert Camus, »Discours de Suède«, in: Essais, Paris 1957, S. 10691075, hier S. 1072.

21

Pelz (Anm. 3), S. 154.

22

Camus, »Le Mythe de Sisyphe« (Anm. 7), S. 113.

23

Oliver Todd : »L’Algérie au coeur«, in: Le Nouvel Observateur, 1421996, S. 37.

24

Camus, Chroniques Algériennes (Anm. 2), S. 899.

25

Vgl. Wolf-Dietrich Albes: Albert Camus und der Algerienkrieg: die Auseinandersetzung der algerienfranzösischen Schriftsteller mit dem »Directeur de conscience« im Algerienkrieg (19541962), Tübingen 1990, S. 59).

26

Ebenda, S. 58, 69.

27

Ebenda, S. 73.

28

Ebenda, S. 80.

29

www.lemonde.fr/livres/article/2009/12/03/l-hote-de-jacques-ferrandez_1275345_3260.html (8.9.2017)

1. Schnelleinstieg

Camus’ Werke und Themen sind heute, obwohl der Autor bereits 1960 starb, nach wie vor aktuell. Sie sind zeitlos. Bei Camus’ Figuren handelt es sich fast immer um Menschen in Krisenzeiten, Menschen, die vor einer lebenswichtigen Entscheidung stehen. Themen wie Gerechtigkeit, persönliche Lebensentwürfe in Zeiten von Fremdherrschaft und sozialpolitischer Wirren, Umgang mit Macht und kulturelle Zerrissenheit prägen seine Werke. Interessant ist auch die Möglichkeit der Identifikation mit seinen Protagonisten, das Nachvollziehen ihrer Handlungsweisen und auch der damit verbundene Perspektivwechsel. Dies trifft in besonderem Maße für L’Hôte zu, eine knappe und komprimierte Novelle, die – im Vergleich zu Camus’ Essays und philosophischen Schriften oder seinen großen Romanen (z. B. La Peste) – auch vom Umfang her leichter zu bewältigen ist.

Bereits der Der Titel »L’Hôte«Titel L’Hôte bietet Interpretationsmöglichkeiten. Das Wort kann sowohl »Gast« als auch »Gastgeber« bedeuten. Wer ist Gast? Der Gefangene, der dem Protagonisten aufgezwungen wird? Wer ist »Gastgeber«? Der Lehrer, der eigentlich keine Wahl hat, den »Gast« abzulehnen? Sicherlich beabsichtigt Camus hier auch, die Bedeutung, über die die Gastfreundschaft in der islamischen Kultur verfügt, zu thematisieren. Obwohl der Araber eine potenzielle Bedrohung darstellen könnte – immerhin ist er ein Verbrecher –, nimmt Daru ihn auf und folgt den Höflichkeitsregeln der Gastfreundschaft, indem er ihn mit Tee und Nahrung versorgt. Diese Gastfreundschaft vollzieht sich jenseits der Kluft, die die beiden Welten, die des Gastgebers und die des Gastes, trennt. Sie ist somit auch Ausdruck von Camus’ aufgeklärtem Humanismus.

Camus war nicht nur Der engagierte SchriftstellerSchriftsteller, er war auch ein bedeutender Philosoph sowie ein kritischer und engagierter Journalist. Er lebte für seine Ideen, und jedes seiner Werke ist Ausdruck seines kritischen, von tiefer Menschlichkeit zeugenden existentialistischen Denkens. Unter ›existentialistischem Denken‹ versteht man ein Denken, das nicht von dem Glauben an einen Gott geleitet wird, sondern gewissermaßen vorher anfängt, bei der Existenz und den Grunderfahrungen, die für alle Menschen gleich sind. Der Mensch ist seine Existenz und diese Existenz geht allem voraus. Jean-Paul Sartre, einer der wichtigsten Vertreter des französischen Existenzialismus, hat es so formuliert: »L’existence précède l’essence«.1 In Frankreich war die philosophische Richtung des Existentialismus nach dem Zweiten Weltkrieg eine der entscheidenden philosophischen Strömungen. Ihre Hauptvertreter waren Sartre und Camus.

L’Hôte ist eine Novelle, die auf eindringliche und leicht verständliche Weise den französisch-algerischen Konflikt behandelt. Darüber hinaus eröffnet sie zum einen den Zugang zu Camus’ Philosophie des Das Absurde Absurden und zum anderen zu seinem sozialkritischen Engagement. So spielt die Erzählung vor dem Hintergrund der Konflikte zwischen arabischen und französischen Algeriern in der französischen Kolonie kurz vor Beginn des algerischen Unabhängigkeitskrieges (195462). Camus stellt heraus, dass der Mensch eine Wahl treffen muss, dass es eine neutrale Haltung nicht geben kann. Er muss die Ausweglosigkeit akzeptieren, um diese Wahl sodann als eine Freiheit, die als eine Revolte gegen ebendiese Ausweglosigkeit interpretiert werden kann, zu empfinden.

Der Lehrer Camus und DaruDaru trägt autobiographische Züge Camus’: Camus war gespalten zwischen seiner Sympathie für die Befreiungsbestrebungen der algerischen Bevölkerung einerseits und seiner Position des Außenseiters als pied-noir andererseits. Er votierte für eine gemeinsame Zukunft französischer und arabischer Algerier in einem weitgehend autonomen Algerien.2 Ebenso wie Daru wurde auch Camus für seine unentschiedene, differenzierende Position von beiden Seiten scharf kritisiert.

2. Inhaltsangabe

Von dem Protagonisten erfährt der Leser nur den Familiennamen. Er lautet »Daru«. Daru ist ein Grundschullehrer französischer Abstammung, der in Camus’ Heimat Algerien, genauer gesagt: in der Leben in der KabyleiKabylei, fernab von allen größeren Siedlungen, die Kinder der dort ansässigen Kabylen unterrichtet. Er lebt allein in der Schule, in der es nur ein einziges Klassenzimmer gibt, und arbeitet unter extrem einfachen Bedingungen. Zu seiner Arbeit gehört auch, dass er die Kinder der Familien, die in großer Armut leben und unter einer vorangegangenen Dürreperiode gelitten haben, im Namen der Kolonialverwaltung mit Lebensmitteln versorgt. Besonders im Winter ist das Land unwirtlich und sehr kalt. Daru hält diese Bedingungen aus, weil er hier geboren wurde und sich auch nirgendwo anders zu Hause fühlen würde.

An einem Oktobertag, an dem die Schüler wegen Schneefalls nicht in die Schule gekommen sind, passiert Der Auftrag etwas Außergewöhnliches: Balducci, ein alter Gendarm, den Daru seit langem kennt, kommt mit einem arabischen Gefangenen zu ihm. Daru soll den Gefangenen übernehmen und ihn zur nächsten commune mixte, nach Tinguit führen und der dortigen Polizei für einen Prozess übergeben. Der Araber soll verurteilt werden, weil er getötet hat. Balducci selbst will wegen eines drohenden Aufstands nach El Ameur zurückkehren. (Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem 136 000 algerische Soldaten auf Seiten der Franzosen gekämpft hatten, kam es immer wieder zu Unruhen der algerischen Landbevölkerung, die ihre Position definieren und behaupten wollte, nachdem einige Unabhängigkeitsbestrebungen von der Kolonialmacht mit brutaler Härte niedergeschlagen wurden. Am 1. November 1954 kam es zum Aufstand der algerischen Befreiungsorganisation FLN [Front de Libération Nationale]. Es folgten 479 gewalttätige Übergriffe gegen kollaborierende Algerier und gegen die französischen Behörden.) Daru ist nicht damit einverstanden, den Araber der Polizei übergeben zu müssen, und will sich dem Auftrag widersetzen. Balducci ist persönlich gekränkt und lässt Daru mit Hinweis darauf, dass dies ein Befehl sei, allein mit dem arabischen Gefangenen zurück. Daru gewährt diesem – sofern dies unter den gegebenen Umständen möglich ist – Gastfreundschaft und verbringt noch eine Nacht unter einem Dach mit dem mutmaßlichen Verbrecher.

In dieser Nacht überdenkt der Lehrer die Lage des Arabers und seine eigene: Er verabscheut einerseits das Verbrechen seines Gastes, will ihn aber andererseits nicht ausliefern, da das seinem Ehrbegriff nicht entsprechen würde. In diesem Zwiespalt befindet er sich, als er am nächsten Morgen mit ihm aufbricht. Um sich aus dieser Situation zu befreien, entscheidet er sich, den Gefangenen auf eine Anhöhe zu bringen und ihm zwei Wege zu zeigen: den einen in die Freiheit, nach Süden zu den Nomaden, die ihn aufnehmen würden, und den zweiten nach Norden, nach Tinguit zur Polizeistation, d. h., ins Gefängnis. Er überlässt ihm also die Wahl. Der Araber fällt diese existentielle Die EntscheidungEntscheidung, indem er nicht den für ihn persönlich vorteilhafteren Weg in die Freiheit wählt, sondern indem er sich der Justiz ausliefert und damit die universell geltenden menschlichen Maßstäbe, die Strafe für ein Kapitalverbrechen fordern, anerkennt.

Dies ist jedoch nicht das Ende der Geschichte. Nach Hause zurückgekehrt, findet Daru die Die Reaktion Drohung an der Wandtafel: »Du hast unseren Bruder ausgeliefert. Du wirst dafür bezahlen.« Die Menschen, deren Kinder Daru unterrichtet hat, deren Vertrauter und Helfer er damit war, können nicht verstehen, dass er dem Befehl der französischen Behörden gefolgt ist. Sie fühlen sich verraten. Die Novelle schließt mit der Bemerkung, dass ihm das Land, das er geliebt hat, nun keinen Schutz mehr bieten kann, dass er nun definitiv allein ist.

3. Figuren

Camus vermeidet eine ganzheitliche Stilisierung der CharaktereCharakterisierung seiner Figuren. Das äußere Erscheinungsbild wird zum Hinweis auf die Entscheidungsmöglichkeiten, die diesen Menschen gegeben sind, was den Figuren einen stilisierten Charakter verleiht.3

Daru

Daru ist ein in Algerien geborener Franzose, ein sogenannter pied-noir, der sich nicht vorstellen kann, woanders zu leben, der in Algerien verwurzelt ist. »Partout ailleurs, il se sentait exilé« (S. 8,8 f.). Er lebt allein, seine Lebensumstände sind sehr bescheidenin gewisser Hinsichtprivilegierte72389