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Der Bergpfarrer
– Staffel 15 –

E-Book 141-150

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-127-6

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Leseprobe:
Ein Lord für alle Fälle

Leseprobe

Lord Cameron liebte die frühen ruhigen Morgenstunden. Schon als Kind war er ein Frühaufsteher gewesen. Damals war er auf seinem Pony durch das Gelände geritten. Sein Großvater Shane MacGregor hatte ihn immer begleitet. Da er wieder in Irland weilte, nahm Lord Cameron diese Gewohnheit wieder auf. Er hoffte, dass in einigen Jahren sein Enkel oder seine Enkelin ihn begleiten würden. Wenn der Lord daran dachte, atmete er immer tief durch. Der Gedanke gab ihm Hoffnung und Stärke, obwohl es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten stand. Er hatte sich dazu durchgerungen, sich einer Stammzellentherapie zu unterziehen. Seine Tochter Florence und ihr Halbbruder David hatten sich testen lassen, ob sie geeignete Spender wären. Vielleicht würde sich dabei herausstellen, dass David sein Sohn war und damit Florences Bruder. Aber die Verwandtschaftsverhältnisse waren nebensächlich. Für Cameron zählte nur, dass er eine Chance hätte, wieder gesund zu werden, und noch viele glückliche Jahre mit seiner unehelichen Tochter verbringen könnte. Seit sie bei ihm auf MacGregor Manor lebte, stellten sie jeden Tag mehr fest, wie ähnlich sie sich waren. Der frische feuchte Morgenwind wehte ihm ins Gesicht, als er den Weg am Waldrand entlangritt. Von weitem sah er einen Reiter. Er erkannte ihn sofort. Es war Quinn Walsh, sein alter Verwalter, der am Tag zuvor mit seiner Frau Kathy aus dem Ruhestand nach Culraid zurückgekommen war. Sie ritten aufeinander zu, hielten die Pferde an und stiegen ab. »Noch kühl«

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Lass meine Träume wahr werden

Du bist der Schlüssel zum Glück!

Roman von Waidacher, Toni

»… dem Herrn Staatsanwalt ist es also nicht gelungen, Herrn Brunner eine Mitschuld an dem Unfall eindeutig nachzuweisen. Im Gegenteil, das Gutachten des Sachverständigen und die Zeugenaussagen sprechen dagegen. Ich beantrage daher für meinen Mandanten Freispruch in allen Punkten. Vielen Dank.«

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen nahm Alexandra Sommer Platz und ignorierte das säuerliche Gesicht des Staatsanwalts auf der anderen Seite.

Hubert Brunner, ihr Mandant, war angeklagt, einen Verkehrsunfall verursacht zu haben, bei dem gottlob zwar niemand verletzt worden, aber ein Sachschaden von etlichen tausend Euro entstanden war.

Nach dem Plädoyer zog sich das Gericht zur Beratung zurück und verkündete zehn Minuten später das Urteil – Freispruch.

Während der Richter die Begründung vorlas, schaute Alexan­dra zur spärlich besetzten Zuschauerbank hinüber. Elke winkte ihr lächelnd zu, und die junge Rechtsanwältin grüßte mit einem kaum merklichen Kopfnicken zurück.

Nach der Urteilsverkündung bedankte sich Hubert Brunner bei ihr.

»Wegen der Kosten brauchen S’ sich keine Gedanken zu machen«, sagte die Anwältin. »Die trägt die Staatskasse.«

Ihr Mandant verabschiedete sich erleichtert, und Alexandra legte ihre Robe ab.

»Du warst brillant!«

Elke war herübergekommen und umarmte sie.

»Gehen wir was essen?«

Die Anwältin sah auf die Uhr.

»Gerne«, sagte sie und nickte ihrer Freundin lächelnd zu. »Der nächste Termin ist erst heut nachmittag.«

Die beiden Frauen verließen das Gerichtsgebäude und traten hinaus auf die Straße. Herrlicher Sonnenschein lag über der bayerischen Landeshauptstadt; seit Tagen hatte er nicht mehr geregnet.

Sie gingen in ein italienisches Restaurant, das Alexandra öfter aufsuchte, wenn sie bei Gericht zu tun hatte. Zwar herrschte um die Mittagszeit großer Andrang, aber Franco, der gutaussehende Besitzer, hielt für die Rechtsanwältin immer einen Tisch frei. Seit Alexandra ihn einmal erfolgreich verteidigt hatte, war er nicht nur äußerst hilfsbereit, nein, Franco lag ihr zu Füßen…

»Ich nehme den Salat von der Mittagskarte«, sagte sie zu dem Kellner.

Elke entschloß sich ebenfalls dazu. Der Salat war auf großen Tellern angerichtet, er bestand aus Radicchio, Fenchel und gebratener Entenleber, und war mit einem leckeren Balsamico-Essig und Olivenöl angemacht. Ein Glas Weiß­wein und etwas Brot rundeten das Mahl ab.

»Und, bist du schon aufgeregt?« erkundigte sich die Freundin, während sie den Salat genossen.

Alexandra lächelte.

»Nicht mehr und nicht weniger als vor einem Prozeß«, antwortete sie.

Elke hätte beinahe das Besteck fallengelassen. »Also hör mal!« empörte sie sich. »Hier geht’s ja wohl um ein bissel mehr, als um einen Prozeß vor Gericht. Immerhin bist du im Begriff, vor den Traualtar zu treten. Das kann man doch net miteinander vergleichen!«

»Natürlich, du hast recht«, räumte die junge Anwältin ein. »Ich hab’ auch nur einen Scherz gemacht. Natürlich bin ich aufgeregt. Schließlich ist es ja ein Schritt, der viele Veränderungen mit sich bringt.«

»Gott sei Dank«, stieß Elke Holtmann aus. »Ich dachte für einen Moment wirklich, du würdest das alles auf die leichte Schulter nehmen.«

Alexandra Sommer nahm ihr Weinglas und drehte es in den Händen.

Sie war sechsundzwanzig Jahre alt und von schlanker Gestalt. Das anmutige Gesicht wurde von dunklen, schulterlangen Haaren umrahmt, die braunen Augen konnten träumerisch oder streng blicken – je nach Stimmungslage. Seit zwei Jahren arbeitete sie als Sozius in einer alteingesessenen Münchner Anwaltskanzlei und seit einem Dreivierteljahr war sie mit Dr. ­Adrian Heller verlobt – zumindest inoffiziell, denn eine öffentliche Feier mit Verlobungsanzeige und Ring hatte es nie gegeben.

»Das sind doch nur Äußerlichkeiten«, hatte Adrian gesagt, als sie ihn darauf ansprach.

Der Chefarzt einer Privatklinik war von dem Vorschlag, ihre Verlobung öffentlich bekannt zu machen, nicht begeistert gewesen, und so hatte Alexandra nicht weiter darauf gedrungen.

»Nein, auf die leichte Schulter nehme ich es gewiß net«, erwiderte sie. »Ich habe es wirklich gut überlegt und hoffe, daß es kein Fehler ist…«

Elke blickte sie wie erstarrt an.

»Du hast Zweifel?« fragte sie.

Alexandra trank einen Schluck Wein, ehe sie achselzuckend antwortete.

»Ob es richtig oder falsch ist, weiß man immer erst hinterher«, sagte sie.

Die Freundin legte die Hand auf ihre Schulter.

»Das kenn’ ich«, meinte sie betont heiter. »Das ist die Panik, die beinahe jeden Menschen vor diesem Schritt befällt. Als Franz und ich geheiratet haben, da wollte ich noch am Morgen vor der Trauung weglaufen. Meine Mutter mußte eine Stunde auf mich einreden, bis sie mich endlich überzeugt hatte.«

Die junge Anwältin schaute auf die Uhr.

»Ich muß los«, sagte sie und winkte nach dem Kellner.

Vor dem Restaurant verabschiedeten sie sich. Während Elke zum Parkhaus ging, in dem sie ihr Auto abgestellt hatte, legte Alexandra die Strecke zur Kanzlei zu Fuß zurück. Sie befand sich in der Nähe des Gerichtsgebäudes.

Der Nachmittag verging mit zwei Terminen und einem Gespräch mit dem Seniorpartner, und dann stand einem gemütlichen Wochenende nichts mehr im Wege.

Hoffentlich hat Adrian keinen Dienst, dachte die Anwältin, während sie aus dem Auto stieg und auf das Einfamilienhaus zuging, das sie von den Eltern geerbt hatte.

Aber viel Hoffnung hatte sie nicht. Als Chefarzt mußte Adrian oft genau dann in der Klinik sein, wenn sie frei hatte…

*

Es kam genauso, wie sie es geahnt hatte.

»Tut mir leid, Schatz«, sagte der attraktive Arzt beim Abendessen. »Schöller ist heut mittag zu einem Kongreß nach Hamburg gefahren und wird erst am Dienstag wieder da sein. Ich muß für ihn einspringen.«

Er legte tröstend seinen Arm um Alexandra.

»Dafür machen wir es uns am nächsten Wochenende schön«, versprach er.

Die Anwältin hatte nur genickt und sich vorgenommen, halt das Beste aus den beiden Tagen zu machen. Samstagfrüh fuhr sie in die Kanzlei und holte ein paar Akten, um sie zu Hause durchzuarbeiten. Der Prozeß war zwar erst in zwei Wochen angesetzt, aber es konnte auch nicht schaden, wenn sie sich schon jetzt mit den Fakten vertraut machte.

Nachmittags saß sie im Garten des Hauses und studierte den Fall. Auf dem Tisch stand ein Glas Apfelsaft, an dem sie hin und wieder nippte. Alexandra merkte, daß sie sich irgendwie nicht auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. Sie lehnte sich zurück und dachte an die bevorstehende Hochzeit. Am nächsten Ersten sollte sie stattfinden. Adrian besaß eine Penthousewohnung, direkt in der City. Da er nach der Hochzeit zu ihr ziehen wollte, überlegten sie, die Wohnung zu verkaufen. Ein Makler war bereits beauftragt worden, leider hatte sich bisher kein Interessent gefunden. Andererseits wäre es wohl leichter gewesen, das Haus zu verkaufen und zu ihm in die Stadt zu ziehen, aber Alexandra mochte sich einfach nicht davon trennen. Ihre Eltern hatten das Haus vor dreißig Jahren gebaut. Hier war sie aufgewachsen und hatte eine glückliche Kindheit verlebt. Sie hing einfach an ihrem Heim, das auch mit vielen Erinnerungen an Klaus und Thea Sommer verbunden war, die so früh verstarben.

Alexandra brachte das Glas und die Akten ins Haus. Bis zur Hochzeit gab es noch viel zu tun. Mit der großen Liste in der Tasche fuhr sie zum Englischen Garten und spazierte durch die blühende Anlage. Auf den Wiesen lagen zahlreiche Sonnenanbeter, einzeln oder in Gruppen, Spaziergänger führten ihre Hunde aus, und irgendwo saß ein Straßenmusiker und spielte auf seiner Gitarre.

Die junge Anwältin hatte sich auf eine Bank gesetzt und schaute auf die Liste. Gäste waren darauf notiert, Termine für die Anprobe des Hochzeitskleides, den Friseur und andere wichtige Kleinigkeiten, die nicht vergessen werden durften. Alexandra hatte noch vor zwei Tagen die Einladungen hinausgeschickt. Adrian und sie hatten einen großen Bekanntenkreis, und es würden wohl an die hundertzwanzig Gäste sein, die an dem Ereignis teilnahmen.

Ihr Herz pochte schneller, als Alexandra daran dachte, und plötzlich waren wieder diese Zweifel da, ob es wirklich der richtige Schritt war, den zu gehen sie beabsichtigte.

Es war nämlich keineswegs so, daß immer eitel Sonnenschein in der Beziehung zu Adrian geherrscht hätte. Der attraktive Arzt hatte zahlreiche Verehrerinnen und gab deren Werben nur zu gerne nach. Mehr als einmal hatte Alexandra vor der Entscheidung gestanden, sich für immer von ihm zu trennen. Doch dann hatte Adrian gebeten und gebettelt, ihr ewige Treue geschworen, und sie konnte nicht anders, als ihm zu verzeihen.

In der letzten Zeit hatte sie indes keinen Grund gehabt, an seinen Worten zu zweifeln, und so versuchte sie jetzt, sich zu beruhigen. Bestimmt hatte Elke recht, und es war nur die übliche Aufregung vor der Hochzeit.

Sie sah auf die Uhr. Wenn nichts Besonderes anlag, dann sollte Adrian jetzt eigentlich Zeit für sie haben. Alexandra nahm ihr Handy heraus und wählte die Nummer der Privatklinik. Der Arzt hatte auch ein Mobiltelefon, das aber während seiner Dienststunden ausgeschaltet war.

»Sommer hier«, sagte sie. »Würden Sie mich bitte mit Dr. Heller verbinden?«

»Einen Moment, Frau Sommer«, antwortete die Frau in der Telefonzentrale.

Es herrschte einen Moment Stille, dann tutete es zweimal, bis sich die Stimme wieder meldete.

»Tut mir leid«, sagte die Frau. »Dr. Heller ist gar nicht in der Klinik. Er hat bis Montag frei.«

Alexander spürte, wie ein heißer Blutstrom durch ihre Adern schoß, sie spürte plötzlich ihr Herz, das bis zum Hals klopfte.

»Danke…«, murmelte sie verwirrt und beendete die Verbindung.

Adrian war nicht in der Klinik, er hatte gar keinen Dienst, wie er behauptete! Wieder einmal war sie belogen worden!

Sie drückte die Taste ihres Handys, unter der seine Privatnummer gespeichert war. Es lief nur der Anrufbeantworter, dann versuchte sie es auf seinem Mobiltelefon. Der Arzt hatte es nicht eingeschaltet, und Alexandra vernahm nur die elektronische Stimme, die ihr sagte, sie könne eine Nachricht hinterlassen.

Sie verzichtete darauf. Mit einem dicken Kloß im Hals starrte sie die Liste an, die auf ihren Knien lag, und Tränen stiegen ihr in die Augen. So überzeugend hatte er geklungen, als er erklärte, er müsse für den Kollegen einspringen, und sie hatte ihm geglaubt!

Darauf vertraut, daß seine Eskapaden endlich vorüber waren, und es für eine gemeinsame Zukunft keine Hindernisse mehr gäbe.

Welch ein Irrtum!

Noch bis zur Dämmerung saß sie auf der Bank und dachte nach. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf, und sie grübelte darüber nach, was sie jetzt unternehmen, wie sie Adrian begegnen sollte.

Sie wußte es nicht. Nur eines stand fest, sie wollte und konnte sein Verhalten nicht länger tolerieren. Einmal mußte es genug sein, und sie würde die Konsequenzen aus seiner neuerlichen Verlogenheit und Untreue ziehen.

Heiraten? Ihn? Nie im Leben!

*

»Papa, wann sind wir endlich da?«

Peter Reinicke lächelte und schaute in den Rückspiegel.

»Es dauert net mehr lang’«, versprach er und deutete nach vorne durch die Windschutzscheibe. »Schau, da kannst’ schon die Berge seh’n.«

Martin reckte den Kopf.

»Donnerwetter, sind die riesig!« rief er aus.

Der Bub drehte sich nach hinten. Im Kofferraum des Kombis lag auf einer Decke ein dunkelbraunes Etwas, zusammengerollt zu einem Fellbündel.

»Biene, schau nur!«

Die Berner-Senner-Hündin öffnete ein Auge, schaute ihn kurz an und wedelte mit dem Schwanz.

»Biene hat auch genug von der Fahrt«, sagte Martin zu seinem Vater.

»Wir haben es ja geschafft. Wir sind in St. Johann angekommen.«

Peter Reinicke fuhr durch den Ort und suchte die Straße, in der die Pension lag. Martin blickte unterdessen aus dem Fenster.

»Na, gefällt’s dir?« fragte sein Vater.

»Hmm, sehr gut.«

»So, jetzt aber nix wir raus aus dem Auto.«

Sie hatten vor der Pension gehalten. Martin öffnete die hintere Tür und stieg aus. Biene stand schon an der Klappe des Kofferraums und wartete darauf, herausgelassen zu werden. Der Bub nahm die Leine und legte sie an. Die Hündin wartete geduldig und sprang erst auf ein Zeichen Martins auf die Straße – wofür sie natürlich kräftig gelobt wurde. Unterdessen hatte Peter die beiden Koffer genommen und trug sie zur Haustür hinauf, die im selben Moment geöffnet wurde.

»Grüß Gott und herzlich willkommen«, rief Ria Stubler. »Der Herr Reinicke aus München, net wahr?«

»Ja, grüß Gott, Frau Stubler.«

Er deutete auf den Bub.

»Das ist mein Sohn, Martin, und das da ist die Biene. Schön, daß wir sie mitbringen durften.«

»Hunde sind kein Problem«, lächelte die Wirtin. »Und Sie haben ja gesagt, daß Ihre Biene ganz artig ist.«

»Das ist sie wirklich«, sagte Martin eifrig. »Außerdem beschützt sie uns, wenn Einbrecher kommen, Frau Stubler.«

»Das ist ganz prima, aber ich kann dich beruhigen; in St. Johann gibt’s keine Einbrecher, und im übrigen kannst’ ruhig Ria zu mir sagen.«

Der Bub strahlte sie an. Peter kannte diese Reaktion bei seinem Sohn schon. Immer wenn eine ältere Frau nett zu ihm war, dann freute sich der Bub, als stünde der Weihnachtsmann vor ihm. Was vor allem wohl daran lag, daß Martin seine Mutter nie kennengelernt hatte. Nach der Geburt verstarb Petra Reinicke an einer schweren Infektion im Kindsbett.

»Am besten gehst du gleich mit ihr Gassi«, sagte Peter. »Ich bring’ derweil die Koffer auf das Zimmer.«

Ria hatte schon den Schlüssel in der Hand.

»Ein netter Bub«, meinte sie, während sie den Kaufmann durch den Flur führte.

»Ja«, lächelte der Vater, »er ist auch mein ganzer Stolz.«

Das Zimmer lag im Erdgeschoß. Eine Tür führte auf die Terrasse hinaus.

»Dann wünsch’ ich Ihnen und dem Martin einen schönen Aufenthalt«, sagte Ria, nachdem sie erklärt hatte, wann es Frühstück gab.

Peter packte rasch aus und verstaute die Sachen im Kleiderschrank. Das Zimmer war groß und geräumig, die beiden Betten standen zusammen, dazu Tisch und Sessel. Es gab ein Fernsehgerät und Telefon, und ein Bad gehört ebenso dazu. Er öffnete die Terrassentür und ließ die frische, nach Blumen und wilden Kräutern riechende Luft hereinströmen.

Endlich Urlaub, dachte der Mann, den haben wir uns aber auch redlich verdient!

Peter Reinicke betrieb in München ein kleines Computerfachgeschäft. Der studierte Informatiker hatte sich vor sieben Jahren selb­ständig gemacht. Eigentlich in der Hoffnung, mehr Zeit für seinen Sohn zu haben, doch das hatte sich als Trugschluß herausgestellt. Zwölf und noch mehr Stunden war er manchmal in der Firma beschäftigt und konnte von Glück sagen, daß Oma Bruckner, die freundliche Nachbarin aus dem Nebenhaus, es als ihre größte Erfüllung ansah, für Martin da zu sein.

»Ich wüßt’ wirklich net, was ich ohne Sie anfangen würd’«, sagte er so manches Mal zu ihr, wenn er sich bei der Sechzigjährigen mit einem Abendessen oder einen Ausflug in den Tierpark Hellabrunn bedankte.

»Das mach’ ich doch gern’«, antwortete Therese Bruckner stets. »Ich selbst hab’ ja keine Kinder und Enkel schon gar net.«

Und manchmal kam es dann vor, – wenn Martin gerade nicht in der Nähe war – daß die Nachbarin den Zeigefinger erhob.

»Aber trotzdem kann ich kein Ersatz für eine richtige Mutter sein«, sagte sie dann. »Sie müssen sich nach einer Frau umschauen, Herr Reinicke.«

Natürlich hatte sie recht. Nur das war leichter gesagt, als getan. Für Peter gab es nichts Schöneres, als die wenige freie Zeit mit seinem Sohn zu verbringen. Die beiden waren wie eingeschworene Freunde und freuten sich auf jede gemeinsame Unternehmung.

Wie hätte er da eine Frau kennenlernen sollen?

Freilich – es war nicht so, daß Peter Reinicke überhaupt nie Kontakt zu ihnen hatte. Daß Martin eine Mutter brauchte, war ihm schon lange klar. Nach einer angemessenen Zeit der Trauer hatte er durchaus versucht, eine Gefährtin zu finden, die ihn und den Sohn lieben würde. Und häßlich konnte man ihn nun wirklich nicht nennen. Peter Reinicke war über eins­achtzig groß und schlank. Er hatte ein sympathisches Gesicht, mit blonden, leicht gewellten Haaren, außerdem konnte man sich blendend mit ihm unterhalten. Alles in allem ein Typ, der in weiblicher Gesellschaft Aufsehen erregte.

Leider stellte sich sehr bald heraus, daß die Frauen wohl an dem Mann interessiert waren, aber einen Rückzieher machten, wenn sie hörten, daß es Peter nur im Doppelpack gab. Irgendwann hatte er es schließlich ganz aufgegeben.

Martin und Biene kamen von ihrem Spaziergang zurück. Für die Hündin hatten sie den großen Korb mitgebracht, in dem sie zu Hause immer schlief. Dazu Trink- und Freßnapf und ein paar Dosen Hundefutter.

»Was machen wir denn jetzt?« fragte Peter, nachdem Martin sich die Hände gewaschen hatte.

Der Bub kratzte sich am Ohr.

»Irgendwie hab’ ich da was von Eisessen in Erinnerung«, erwiderte er trocken. »Oder, Biene?«

Biene schlug mit dem Schwanz auf den Boden.

»Siehst du, sie meint es auch.«

Peter strich seinem Sohn über den Kopf. Zwar hatte es an der Autobahnraststätte schon ein Eis gegeben. Aber erstens war Urlaub, und zweitens konnte er dem Bub sowieso keinen Wunsch abschlagen.

»Na, dann los«, lachte er und zog das Jackett über.

*

Es war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus. Still und ohne viel Aufsehen zu machen, hatte Alexandra einen Brief an Adrian geschrieben und ihm mitgeteilt, daß sie für ein paar Tage verreisen würde. Danach wollte sie ihn nie mehr wiedersehen.

Der einzige Hinweis auf seinen neuerlichen Betrug lautete: »Du weißt schon, es ist wegen Deines angeblichen Wochenenddienstes…«

Als sie am Samstagabend nach Hause gekommen war, hatte sie sich gleich hingesetzt und überlegt, welcher der Weg war, den sie jetzt gehen mußte. Noch einmal würde sie auf Adrian nicht hereinfallen. Aber ihr war klar, daß sie ihm auf keinen Fall wieder begegnen wollte. Wenn er erst einmal vor ihr stand und sie bittend anschaute, tausend Ausflüchte und Entschuldigungen hervorbrachte, bestand die Gefahr, daß er sie wieder herumkriegen würde, wie so oft.

Am Sonntag meldete er sich nicht, aber das war ihr ganz recht. Alexandra hatte lange überlegt. Es war nicht ganz leicht, sich einfach ein paar Tage frei zu nehmen. Aber nach einem Gespräch mit dem Seniorpartner, der Verständnis für ihre Situation zeigte, stand ihrem Urlaub nichts mehr im Wege. Dr. Behringer hatte sich bereit erklärt, die anstehenden Prozesse für sie zu übernehmen.

Natürlich war ihr bewußt, daß es eine Tortur für sie sein mußte, wenn sie ausgerechnet dorthin fuhr, wo sie und Adrian so schöne Tage verlebt hatten. Auf der anderen Seite würde diese Radikalkur eine heilende Wirkung auf sie haben und ihr helfen, sich nicht nur räumlich, sondern auch innerlich von ihm zu trennen. Allerdings wollte sie nicht im Hotel wohnen, sondern sich ein Zimmer in einer Pension nehmen.

Aus Erfahrung wußte sie, daß St. Johann ein begehrtes Urlaubsziel war, und fürchtete schon, keine Unterkunft mehr zu finden. Doch zumindest in diesem Punkt schien das Schicksal es gut mit ihr zu meinen, gleich bei ihrem ersten Anruf hatte sie Glück und konnte ein Zimmer für vierzehn Tage buchen. So fuhr sie am Montagmorgen mit einem lachenden und einem weinenden Auge los – nachdem sie den Brief an Adrian eingeworfen hatte.

St. Johann hatte ihr schon bei ihrem ersten Besuch gefallen. Es war ein beschaulicher Ort, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein schien. Alexandra erinnerte sich an die Tage, die sie mit Adrian hier verbracht hatte, und plötzlich überkam sie Wehmut.

War es vielleicht doch ein Fehler gewesen, hierher zu fahren?

Allerdings war es jetzt zu spät, diese Frage zu stellen. Sie hatte die Straße erreicht, in der die Pension Stubler stand, und stieg aus. Als die Anwältin an der Haustür klingelte, öffnete eine ältere Frau, die sie lächelnd ansah.

»Frau Sommer?«

Alexandra nickte.

»Schön, daß Sie da sind. Hatten S’ eine gute Fahrt?«

»Vielen Dank, ja.«

Das Zimmer lag im ersten Stock, mit Blick auf die Berge. Ein umlaufender Balkon bot die Möglichkeit, sich nach draußen zu setzen und das Panorama zu genießen.

Alexandra packte die Reisetasche aus. Als sie das Handy auf den Tisch legte, überlegte sie einen Moment, es einzuschalten. Doch dann unterließ sie es. Außer Dr. Behringer wußte niemand, nicht einmal die engsten Freunde, wohin sie gefahren war. Sollte es tatsächlich etwas Dringendes geben, würde sich der Seniorpartner mit ihr über die Telefonnummer der Pension in Verbindung setzen.

Die junge Anwältin stand auf dem Balkon und schaute zu den Bergen hinüber. Sie kannte sie alle. Himmelsspitz und Wintermaid, den Kogler. Auf allen dreien waren sie und Adrian gewesen, hatten die Kandereralm mit ihrem knorrigen Senner, dem Thurecker-Franz, besucht und die Streusachhütte unterm Wendelstein.

Aber das war einmal, hatte sich in einem anderen Leben abgespielt, und nun war sie ihr, um sich und ihr jetziges Leben neu zu ordnen.

Alexandra stieß einen tiefen Seufzer aus, dann wandte sie sich ab, ging ins Zimmer zurück und nahm ihre Handtasche vom Tisch. Sie schloß die Tür hinter sich und lief die Treppe hinunter. Als sie auf die Straße trat, hatte sie sich fest vorgenommen, keinen Gedanken mehr an Adrian zu verschwenden. Auch wenn es ihr noch so schwerfallen würde.

Daß es nicht leicht war, merkte sie, als sie den Kaffeegarten des Hotels betrat.

Wie oft hatten sie hier zusammen gesessen!

Sie vermied es, den Tisch anzusteuern, den Adrian immer für sie beide hatte reservieren lassen. Statt dessen ging sie in den hinteren Teil des Gartens, wo hohe Bäume Schatten spendeten und vor der Sonne schützten. Allerdings merkte sie schnell, daß es seinen Vorteil hatte, wenn der Tisch reserviert war. Es war nämlich voll hier, und freie Plätze gab es kaum noch.

Ob sie jemanden bitten sollte, sich an seinen Tisch setzen zu dürfen?

Eigentlich war es nicht ihre Art, so etwas zu tun. Andererseits hätte sie wirklich gerne einen Kaffee getrunken, und sie wußte, daß die Leute in der Regel nichts dagegen einzuwenden hatten.

Alexandra schaute sich um und sah einen Tisch, an dem ein Mann und ein Junge saßen. Dem Bub zu Füßen hatte es sich ein großer, brauner Hund gemütlich gemacht. Die Anwältin trat näher und deutete auf einen freien Stuhl.

»Entschuldigen S’ die Frage«, sagte sie, mit einem verlegenen Schulterzucken, »aber dürfte ich mich dazu setzen? Die anderen Tische sind schon alle besetzt.«

Erstaunt nahm sie wahr, daß der Mann aufstand und eine Verbeugung andeutete.

»Aber selbstverständlich«, erwiderte er mit einem freundlichen Lächeln. »Bitte schön, nehmen S’ ruhig Platz.«

»Vielen Dank«, nickte Alexan­dra und setzte sich.

Donnerwetter, dachte sie dabei, der hat tatsächlich noch gute Manieren!

Sie hatte nicht sehr oft beobachten können, daß ein Mann sich erhob, wenn eine Frau sich dazusetzte, und freute sich über diese Kavaliersgeste.

»Reinicke, mein Name«, stellte der Mann sich vor. »Peter Reinicke, und das ist Martin, mein Sohn.«

»Alexandra Sommer, angenehm«, erwiderte sie und sah den Bub an. »Das ist aber ein lieber Hund.«

»Biene ist eine Hundedame«, belehrte er sie und schaute sie neugierig an. »Machst du auch Urlaub hier?«

»Sei net so neugierig«, tadelte der Vater ihn.

»Seien S’ net so streng«, lächelte Alexandra und wandte sich wieder dem Kleinen zu. »Ja, ich mache auch Urlaub in St. Johann. Ich bin gerad’ erst angekommen.«

»Wir sind auch erst seit heute hier«, erzählte Martin fröhlich. »Und wir haben ein ganz tolles Zimmer in einer Pension.«

Peter Reinicke räusperte sich.

»Ich glaub’ net, daß es die Frau Sommer interessiert, wo wir wohnen«, sagte er.

Es war ihm sichtlich peinlich, daß sein Sohn die Frau so mit Beschlag belegte.

»Ach, lassen Sie ihn doch«, schmunzelte die Anwältin. »Ich wohne auch in einer Pension.«

»Uns’re heißt Stubler«, rief Martin sofort.

»Stell dir vor, meine auch«, lachte Alexandra, und ihr Lachen war so ansteckend, daß Peter mit einfiel.

Martin strahlte sie an.

»Du gefällst mir«, sagte er. »Möchtest du mal mit mir und Biene Gassi gehen?«

Die junge Frau zuckte die Schultern.

»Warum net – wenn deine Eltern nix dagegen haben…«

»Ich hab’ nur Papa«, sagte der Bub und schaute plötzlich ein wenig traurig drein.

»Oh«, kam es Alexandra über die Lippen, »das wußte ich net.«

»Können S’ ja auch net«, erwiderte Peter und schüttelte den Kopf.

»Meine Frau ist schon bald nach Martins Geburt gestorben…«

Betretenes Schweigen machte sich breit. Alexandra hatte sich schon gefragt, wo die dazugehörige Frau wohl sein mochte. Doch dann hatte sie nur zwei Kuchenteller auf dem Tisch gesehen.

Die Bedienung trat heran und fragte nach Alexandras Wünschen. Sie bestellte einen Kaffee. Im selben Moment erkannte das Madl sie.

»Frau Sommer, net wahr?« sagte sie mit einem strahlenden Gesicht. »Ich hab’ gar net gewußt, daß sie in diesem Jahr wieder hier sind. Ist der Herr Dr. Heller net mitgekommen?«

»Ich bin alleine hier«, antwortete die Anwältin. »Und ich wohne auch net hier im Hotel.«

Die Bedienung nickte nur kurz und verschwand. Alexandra sah Peter entschuldigend an.

»Tja, es tut mir wirklich leid…«

»Schon gut«, erwiderte er.

Sie blickte auf Martin.

»Dann nehme ich deine Einlandung zum Gassi gehen also an.«

»Prima«, freute sich der Bub.

»Aber nur, wenn Sie wirklich Lust dazu haben«, schränkte Peter ein, dem es immer noch peinlich war, wie sehr sein Sohn die Frau vereinnahmte.

Eine überaus attraktive Frau, wie er festgestellt hatte. Leider wohl nicht alleinstehend, die Frage nach dem Herrn Dr. Heller, die die Bedienung gestellt hatte, war ja eindeutig gewesen.

*

»Sind Sie zum ersten Mal in St. Johann?« erkundigte sich Alexan­dra, nachdem ihr der Kaffee gebracht worden war.

Peter nickte.

»Dann müssen S’ sich unbedingt die Kirche anschauen«, setzte die Anwältin hinzu. »Die ist wirklich sehenswert.«

»Was kann man denn noch hier machen?« wollte Martin wissen.

»Ach, da gibt es viele Möglichkeiten«, erzählte sie. »Reiten zum Beispiel. Ganz in der Nähe gibt es einen Ponyhof. Oder man kann zum Schwimmen an einen schönen See fahren. Du wirst schon seh’n, die Zeit hier wird dir net lang’ werden.«

Sie lächelte den Bub an. Martin hatte ein niedliches Gesicht, das dem seines Vaters ähnelte. Schon als sie sich gesetzt hatte, gefiel ihr seine unkomplizierte Art, mit der er sie angesprochen hatte.

»Ich hab’ dir doch auch schon gesagt, was wir alles unternehmen werden«, meinte sein Vater. »Erinner dich an die vielen Prospekte, die wir angeschaut haben.«

»Bist’ schon mal auf einem Pferd gesessen?« fragte Alexandra.

Martin schüttelte den Kopf.

»Ich würd’ aber gern mal«, antwortete er. »Es ist bloß so, daß Papa net reiten mag. Er sagt, daß er nie Zeit dafür hat.«

Peter Reinicke spürte, wie er vor Verlegenheit rot anlief.

»Die Arbeit…« Er zuckte entschuldigend die Schultern. »Aber ich gelobe Besserung. Hier im Urlaub bin ich nur für dich da.«

»Dann darf ich Reiten lernen?« rief Martin mit leuchtenden Augen.

»Ja, du darfst, und wir werden zum Schwimmen fahren und eine Bergwanderung machen und überhaupt alles, was du möchtest.«

Martin rutschte von seinem Stuhl, rannte um den Tisch herum und gab seinem Vater einen dicken Kuß auf die Wange.

»Ich geh’ mal mit Biene«, sagte er.

»Aber bleib’ in der Nähe«, ermahnte Peter ihn.

Der Bub stand stramm und salutierte.

»Jawohl!«

Dann nahm er die Leine auf und spazierte davon.

Alexandra lächelte.

Es war bestimmt nicht einfach, den Bub alleine großzuziehen, wenn man auch noch für das tägliche Brot sorgen mußte.

»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«

»Ich hab’ eine kleine Computerfirma«, antwortete er. »Mit zwei Angestellten sogar. Aber wenn sie einerseits auch ein Erfolg ist, so zwingt sie mich andererseits meine Zeit, die ich lieber mit meinem Sohn verbringen würd’, ihr zu widmen. Aber so ist es nun mal – das eine, was man will, das and’re, was man muß.«

»Ja, das kenn’ ich«, nickte sie. »Der Beruf kann einen wirklich aufreiben.«

»Sind Sie auch selbstständig.«

»Ja, ich bin seit ein paar Jahren Mitinhaberin einer Anwaltskanzlei«, nickte sie.

Sie unterhielten sich eine ganze Weile über das Für und Wider einer selbstständigen Tätigkeit. Aber für beide stand fest, daß sie in ihren Berufen glücklich waren und darin Erfüllung fanden.

»Jedenfalls weiß ich jetzt, an wen ich mich wenden kann, wenn ich einmal anwaltlichen Beistand brauche«, lächelte Peter Reinicke.

»Und ich, wenn mal wieder der Computer im Büro streikt«, lachte sie zurück.

Er schaute sie an und fragte sich, warum sein Herz die ganze Zeit schneller klopfte…

Himmlisch schaute sie aus!

Und Martin schien sie in ihr Herz geschlossen zu haben.

Aber, was red’ ich mir da denn ein, fragte sich Peter in Gedanken. Bloß weil sie zufällig an uns’ren Tisch geraten ist, gut ausschaut und sehr sympathisch ist, mußt’ net gleich sonstwas denken!

Dennoch konnte er nicht anders, als sie immer wieder verstohlen zu betrachten. Wenn man lange Jahre einen Menschen entbehrt hatte, an den man sich anlehnen konnte, ihm seine Wünsche, Ängste und Träume mitteilen, dann war das wohl eine ganz normale Reaktion. Aber Hoffnungen brauchst’ dir da net zu machen, es gibt ja einen Mann an ihrer Seite, auch wenn er grad net da ist.

Martin kam zurück.

»Dann gehen wir mal in die Pension zurück«, sagte Peter und stand auf.

»Kommst du mit?« fragte Martin Alexandra sofort.

Sein Vater schüttelte den Kopf.

»Jetzt fall der Frau Sommer net auf den Wecker!« sagte er. »Sie wird schon alleine bestimmen, wann sie geht und wann net.«

Martin machte ein betretenes Gesicht, und Peter tat es im selben Moment leid, so heftig reagiert zu haben.«

»Jetzt schimpfen S’ doch net«, sagte Alexandra und sah Martin an. »Ich bleib’ noch ein bissel sitzen. Aber heut’ abend geh’n wir mit der Biene Gassi. Versprochen!«

Der Bub strahlte sie an.

»Ich hole dich dann von deinem Zimmer ab.«

Die Anwältin nickte lächelnd und sah ihnen hinterher.

Der Kleine war ja wirklich ein Goldstück, und sein Vater ein sehr sympathischer Mann…

Aber Vorsicht! ermahnte sie sich, du bist net hergekommen, um dich mit einem and’ren zu trösten, sondern den zu vergessen, der dich so bitter enttäuscht hat. Also gib dich gar net erst irgendwelchen törichten Gedanken hin.

*

Sebastian Trenker schaute auf die Ansichtskarte, die am Morgen mit der Post gekommen war. Marion und Andreas hatten sie geschrieben, aus den Flitterwochen in Kanada, wo die Frischvermählten sich seinerzeit kennengelernt hatten. Der Bergpfarrer mußte schon ein wenig schmunzeln, die Karte hatte beinahe vierzehn Tage gebraucht, um von Übersee nach St. Johann zu gelangen. In der nächsten Woche schon würden sein Cousin und dessen Frau schon wieder zu Hause sein.

»Hochwürden, der Herr Kam­meier hat vorhin angerufen und gebeten, Sie möchten noch mal in die Kirche kommen«, sagte die Haushälterin.

Sebastian nickte.

»Danke schön, Frau Tappert. Ich wollt’ ohnehin gleich hinübergehen.«

Er reichte ihr die Ansichtskarte.

»Die beiden scheinen sehr glücklich zu sein«, meinte er dabei. »Ich freu’ mich für sie.«

Der gute Hirte von St. Johann zog sein Jackett über und verließ das Pfarrhaus.

Herrliches Wetter, dachte er, eigentlich müßt’ ich jetzt bald wieder in die Berge, in der nächsten Woche komm’ ich wohl kaum dazu.

Es standen ein paar wichtige Termine an, und an den beiden nächsten Sonntagen fanden gleich mehrere Taufen statt. Es war wohl wirklich die vorerst letzte Gelegenheit, eine Bergtour zu unternehmen.

Alois Kammeier, der Mesner von St. Johann, erwartete den Geistlichen in der Sakristei. Vor ihm stand ein Berg Pakete auf dem Boden.

»Ach, du liebe Zeit, was ist das denn? Doch net etwa die Kerzenlieferung, die wir schon so lange erwarten?«

Sebastian schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

Der Mesner machte ein Gesicht, dem man nicht entnehmen konnte, ob ihm zum Lachen oder Weinen zumute war.

»Doch«, antwortete er. »Nur haben s’ uns statt zweihundert gleich zweitausend geschickt.«

»Du meine Güte, wo sollen wir denn damit hin? Die können wir doch unmöglich alle hier in der Sakristei lagern.«

»Am besten schicken wir sie wieder zurück«, schlug Alois Kammeier vor.

»Ja, eine and’re Möglichkeit seh’ ich auch net«, nickte der Bergpfarrer. »Packen S’ uns’re zweihundert aus, und ich ruf’ den Lieferanten an, daß er die and’ren wieder abholt.«

Kopfschüttelnd verließ er die Sakristei. Da warteten sie nun schon sieben Wochen darauf, daß die Kerzen endlich geliefert würden, und dann bekamen gleich die zehnfache Menge der Bestellung…

Der Lieferant wollte mit der Zeit gehen und hatte darum gebeten, die Bestellungen nur noch über das Internet zu machen. Das Ergebnis sah man jetzt. Erst hatte es über Gebühr gedauert, bis eine Bestätigung kam, dann trafen die Kerzen nicht ein, und, nach mehrmaliger Reklamation und Nachfrage, nun das.

In Zukunft werd’ ich wieder wie gewohnt den Bestellschein ausfüllen und mit der Post abschicken, dachte Sebastian, während er die Kirche verließ.

Er wollte wieder zum Pfarrhaus hinübergehen, als ihm eine junge Frau auffiel, die den Kiesweg heraufkam.

»Alexandra!« rief Sebastian. »Hab’ ich mich doch net getäuscht. Schön, Sie zu sehen. Wo ist denn Adrian?«

Seit sie das erste Mal in St. Johann Urlaub gemacht hatten, waren die Anwältin und der Arzt auch an Wochenenden hergekommen – wenn es für beide gepaßt hatte und sie gemeinsam frei gehabt hatten. Nachdem sie die Bekanntschaft des Geistlichen gemacht hatten, ergab es sich, daß sie Pfarrer Trenker auf eine Bergtour begleiteten. Damals ahnte noch niemand, daß die Hochzeitsglocken für sie beide niemals läuten würden.

Alexandra Sommer lächelte, aber es war kein glückliches Lächeln.

»Ich bin allein da«, antwortete sie nach der Begrüßung.

Der Bergpfarrer ahnte sofort, was los war.

»Kommen S’«, sagte er, »wir gehen ins Pfarrhaus. Frau Tappert hat heut’ morgen einen Apfelkuchen gebacken, von dem sie uns bestimmt ein Stückchen abschneidet. Und dann erzählen S’ mir alles.«

Die Haushälterin ließ sich natürlich nicht lange bitten, und schon bald standen Kuchen, Kaffee und Schlagrahm auf dem Terrassentisch.

Alexandra rührte nachdenklich in ihrer Tasse.

»Ich hab’ lange Zeit gedacht, er würd’ sich ändern«, sagte sie leise. »Und immer wieder hab’ ich ihm verziehen. Aber diesmal konnt’ ich es net mehr.«

Sie hatte lange und ausführlich erzählt. Sebastian hörte zu, ohne sie zu unterbrechen. Die Anwältin merkte, wie gut es ihr tat, sich endlich einmal alles von der Seele zu reden. Außer mit Dr. Behringer hatte sie mit sonst niemanden über die Angelegenheit gesprochen.

»Es ist wirklich schad’«, sagte Pfarrer Trenker. »Ich hatte von ­Adrian einen ebenso guten Eindruck, wie von Ihnen, Alexandra. Ich denk’, Ihre Entscheidung, gerade hierher zu kommen, war richtig. Wenn Sie sich hier noch einmal all das vor Augen halten, was er Ihnen angetan hat, wird es Ihnen bestimmt leichter fallen, darüber hinwegzukommen.«

Er lächelte.

»Und ich werd’ das Meinige tun, Sie von trüben Gedanken abzulenken«, setzte er hinzu. »Wie wär’s, hätten S’ Lust auf eine Bergtour?«

Ein Lächeln glitt über das Gesicht der Anwältin, während sie nickte.

Nachdem Peter Reinicke und sein Sohn gegangen waren, hatte sie noch eine Weile im Kaffeegarten des Hotels gesessen. Ein Besuch im Pfarrhaus stand fest, und sie hatte sich entschlossen, ihn gleich zu machen.

»Ich hab’ auch meine Wandersachen mitgebracht«, sagte sie.

»Na, prima. Dann können wir ja gleich am Donnerstag aufsteigen«, schlug der Seelsorger vor. »Ich hole Sie vom Hotel ab.«

»Ich wohne diesmal in der Pension Stubler«, stellte sie richtig.

»Bei der Ria, da wohnen S’ mindestens genauso gut wie im Lö­wen.«

Sie unterhielten sich über die geplante Tour. Alexandra wollte am liebsten zur Kandereralm hinauf und dem Senner dort oben einen Besuch abstatten.

»Das machen wir«, versprach Sebastian. »Der Franz wird sich freuen, Sie wiederzusehen.«

Es dämmerte schon, als die Anwältin zur Pension zurückging. So schnell hatte der Bergpfarrer sie nämlich nicht wieder fortgelassen. Die Einladung zum Abendessen lehnte sie allerdings ab.

»Haben S’ sich schon was für morgen vorgenommen?« erkundigte er sich.

»Mal sehen«, lächelte Alexan­dra. »Ich hab’ da nämlich einen kleinen Verehrer, der zusammen mit seinem Papa in der Pension wohnt. Der Martin würd’ gern’ Reiten lernen, aber ich hab’ den Eindruck, daß sein Vater net so ganz begeistert davon ist. Vielleicht fahre ich mit dem Bub zum Ponyhof hinaus.«

»Gibt’s denn keine Mutter?« fragte der Geistliche.

Alexandra schüttelte den Kopf und erzählte, daß Peter Reinickes Frau bald nach der Geburt des Jungen gestorben war. Sebastian nickte verstehend und winkte ihr zum Abschied.

Dann wurde sein Blick nachdenklich. Ein alleinerziehender Vater, dessen Sohn ein Auge auf die attraktive Anwältin geworfen hatte…, das bot viel Spielraum für ungeahnte Möglichkeiten.

Vielleicht war ja net nur der Sohn interessiert…

*

»Aufstehen, Schlafmütze!«

»Um Himmels willen! Jetzt schon? Es ist doch noch dunkel draußen!«

Peter Reinicke öffnete ein Auge und blinzelte seinen Sohn an. Martin stand vor dem Bett, fertig angezogen, und zog an der Decke.

»Von wegen«, widersprach er. »Die Sonne scheint schon längst. Ich war mit Biene draußen und außerdem hab’ ich jetzt Hunger!«

»Na ja, dann…«

Seufzend schälte sich Peter aus der Bettdecke. Er wußte genau, daß der kleine Quälgeist ihm keine Ruhe lassen würde. Das kannte er von zu Hause, da war Martin auch immer der Erste, der aufstand – leider auch am Wochenende, wenn man mal hätte ausschlafen können.

Aber natürlich hatte der Bub recht. Es war herrlicher Sonnenschein draußen, und es wäre eine Sünde gewesen, jetzt noch liegenzubleiben.

Eine Viertelstunde später marschierten sie auf die Terrasse, wo die Wirtin gedeckt hatte. Biene ging dabei brav an Martins Seite.

»Guten Morgen«, begrüßte Ria sie. »Haben S’ gut geschlafen?

»Ja, ganz wunderbar, Frau Stub­ler.«

»Und du?« beugte sie sich zu dem Bub hinunter.

»Prima«, versicherte Martin. »Und jetzt hab’ ich ganz großen Hunger.«

»Na, dann setz’ dich mal«, lachte Ria. »Ich bring’ gleich das Frühstück. Was möchtest’ denn trinken? Einen Kakao vielleicht?«

Der Bub nickte.

Peter Reinicke hatte sich unterdessen umgesehen und die anderen Gäste begrüßt, die schon beim Essen saßen. Sein Herz schlug schneller, als er Alexandra Sommer an einem der Tische sitzen sah. Sie nickte lächelnd herüber.

»Ich hoff’, es macht Ihnen nix aus, daß ich Sie mit der Frau Sommer zusammensetze«, sagte Ria Stubler.

Peter schüttelte den Kopf.

Ganz im Gegenteil, dachte er…

Die Anwältin war erst vor ein paar Minuten heruntergekommen. Sie begrüßte Vater und Sohn.

»Ein herrliches Wetter, was?«

»Ganz wunderbar«, bestätigte Peter und nahm ihr gegenüber Platz. »Genauso haben wir uns das vorgestellt.«