Der Bergpfarrer – Staffel 9 – E-Book 81-90

Der Bergpfarrer
– Staffel 9–

E-Book 81-90

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-396-0

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Rivalen um Franziskas Liebe

Sebastian Trenker hatte den Segen gesprochen und drehte sich zu der kleinen Trauergemeinde um. Der junge Bursche, der direkt hinter ihm stand, wischte sich eine Träne aus dem Auge und sah den Geistlichen fragend an. Pfarrer Trenker nickte ihm zu, und Martin Neureuther trat einen Schritt vor. Der Bauernsohn warf den Blumenstrauß in das Grab und sprach ein kurzes Gebet.

Der Bergpfarrer reichte ihm die Hand.

»Schad’, Martin, daß du unter diesen Umständen in die Heimat zurückgekommen bist«, sagte er. »Ich denk’, auch deinen Vater hätt’s gefreut, wenn du schon früher...«

Martin zuckte die Schultern.

»Ich weiß net, Hochwürden«, unterbrach er Sebastian. »Sie haben Vater ja gekannt und wissen, wie stur er sein konnte. Ich hab’ einige Male versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Leider vergebens. Meine Briefe kamen stets ungeöffnet zurück. ›Annahme verweigert!‹ stand darauf. Vater hat mir wohl nie verzeihen können, daß ich damals fortgegangen bin.«

»Um so besser ist’s, daß du jetzt wieder da bist«, erklärte der Geistliche mit Nachdruck. »Es muß ja weitergehn auf dem Neureutherhof.«

Der Bauernsohn verzog den Mund.

»Ich fürcht’, da wird nix weitergehn, Hochwürden«, antwortete er. »Ich hab’ zwar noch keinen rechten Überblick, aber was ich bisher aus den Büchern herausgelesen hab’, verheißt nix Gutes. Der Hof ist bis unters Dach verschuldet, und ich weiß net, ob ich’s jemals schaffen kann, diesen Schuldenberg abzutragen.«

»Darüber reden wir noch in aller Ruhe«, meinte Sebastian Trenker. »Heut’ hast’ deinen Vater zu Grabe getragen. Da steht dir der Sinn net nach Geschäften. Ich werd’ in den nächsten Tagen auf dem Hof vorbeischau’n, und dann können wir alles bereden und über eine Lösung nachdenken.«

Inzwischen waren die anderen Trauergäste an das Grab getreten und hatten von dem verstorbenen Neureutherbauern Abschied genommen. Sie schüttelten Martin die Hand und bekundeten ihre Anteilnahme. Einige boten gar ihre Hilfe an, wenn Not am Mann sein sollte.

Der Bauernsohn bedankte sich und lud die Leute, Nachbarn und deren Gesinde zumeist, zu einem Umtrunk ins Wirtshaus ein. Er bat den alten Knecht, der schon lange Jahre bei seinem Vater in Diensten gewesen war, vorauszugehen, und wandte sich noch einmal zum Grab um.

»Ja, Vater«, sagte er leise, »da hat Hochwürden wirklich recht. Es ist wirklich schad’, daß ich erst nach Haus’ kommen durfte, als es schon zu spät war für eine Aussöhnung. Dabei hab’ ich mich wirklich bemüht, dir ein guter Sohn zu sein, und auch später, als ich gegangen war, da hab’ ich jeden Tag an dich denken müssen.«

Martin spürte die Tränen in sich aufsteigen und bemühte sich, sie zu unterdrücken. Zu viele hatte er schon geweint in den letzten Tagen. Er blickte auf das Grab seiner Mutter, das gleich neben dem des Vaters lag. Vielleicht, so überlegte er, wäre alles anders gekommen, wenn der Herrgott die Mutter net schon so früh abberufen hätte. Aber wer konnte schon sagen, wann der Zeitpunkt gekommen war? Niemand, und er schon gar nicht, hätte mit dem frühen Tod des Vaters gerechnet. Zeit seines Lebens war er ein kerngesunder Mann gewesen, an dem der Doktor keinen Heller verdiente, wie der Altbauer immer lachend behauptete. Und dann, wie aus heiterem Himmel, war er eines Morgens im Hof zusammengebrochen und nicht wieder aufgestanden. Der alte Josef hatte ihn gefunden und den Arzt gerufen, aber da war es schon zu spät gewesen. Martin erinnerte sich noch gut an die eisige Klaue, die nach seinem Herzen zu greifen schien, als ihn der Anruf des Knechtes erreichte.

»Du mußt sofort nach Haus’ kommen«, hatte Josef Rendel gesagt. »Dein Vater ist tot.«

Diese vier Worte hatten sich in seine Seele eingebrannt.

Martin Neureuther schaute auf die Uhr. Es war wohl Zeit, ins Wirtshaus hinüberzugehen, wo die Trauergäste auf ihn warteten. Langsam wandte er sich um und stand unversehens einer Gestalt gegenüber, die ihm auf den ersten Blick bekannt vorkam, und an deren Namen er sich sofort erinnern konnte. Einen Moment sahen sie sich in die Augen, dann lächelte das Madl ihn an.

»Franzi!« sagte Martin. »Bist du’s wirklich?«

Franziska Bruchthaler stand einen Augenblick stumm vor ihm, dann nickte sie.

»Ja, Martin, ich bin’s«, erwiderte sie. »Wie geht’s dir?«

Gleichzeitig schüttelte sie den Kopf.

»Dumme Frage«, fuhr sie fort. »Wie soll’s einem schon gehn, an solch einem Tag!«

Sie nahm seine Hand und drückte sie, und ein liebevolles Gefühl durchströmte ihn.

Der Bauernsohn schien seine Sprache immer noch nicht wiedergefunden zu haben. Stumm stand er da und sah sie an, und in seinem Kopf liefen Bilder ab, die Vergangenes wieder heraufbeschworen.

*

»Nein, nein«, antwortete er endlich, »die Frage ist gar net so dumm. Ich hab’s mich ja selbst schon gefragt.«

Franzi hatte einen Blumenstrauß in der Hand.

»Ich wollt’ zur Beerdigung kommen«, entschuldigte sie sich. »Leider konnt’ ich’s net rechtzeitig schaffen.«

»Schön, daß du trotzdem noch gekommen bist«, beteuerte Martin.

Gemeinsam nahmen sie noch einmal Abschied, dann gingen sie langsam zur Pforte.

»Um deine Frage zu beantworten«, sagte Martin Neureuther, »natürlich würd’s mir bessergehn, wenn ich unter and’ren Umständen heimgekommen wär’. Jetzt muß ich erst einmal den heutigen Tag überstehn, und dann heißt’s die Ärmel hochkrempeln und anpacken. Du weißt wohl, wie’s um den Hof steht, net wahr?«

»Na ja, es ist kein Geheimnis, daß es dem Neureutherhof in der letzten Zeit net so gut ging«, antwortete die Bauerstochter. »Mißernten, Sturmschäden im Bergwald, schlechte Preise für das Vieh – es geht vielen Bauern im Wachnertal net anders. Aber die meisten haben Rücklagen gebildet, für schlechte Zeiten.«

»Ja, nur der Vater net«, nickte Martin. »Von der Hand in den Mund hat er gelebt, und jetzt ­siehst’, was dabei herauskommt.«

Sie hatten den Kirchhof verlassen und standen unten an der Straße. Franzi reichte ihm die Hand.

»Alles Gute, Martin«, wünschte sie.

Der drückte ihre Hand.

»Kommst’ mich mal besuchen?« fragte er. »Ich denk’, wir haben einiges zu bereden.«

Das Madl zuckte die Schultern.

»Ja, das haben wir wohl«, antwortete es. »Aber das hätten wir wohl schon früher tun müssen. Jetzt ist’s zu spät.«

Einen Moment sah er Franzi stumm an.

»Natürlich«, nickte er schließlich. »Wie hätt’ ich auch annehmen können, daß...«

»Wir können uns trotzdem sehn«, sagte sie hastig, als habe sie Angst, Martin könne ihre Worte von eben so deuten, daß sie gar nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle. »Ich ruf’ dich an oder komm’ vorbei.«

»Ich freu’ mich«, sagte Martin und sah ihr nach.

Während Franziska Bruchthaler in ihr Auto stieg, das sie an der Straße geparkt hatte, stand Martin unschlüssig da. Natürlich mußte er zum Wirtshaus, aber viel lieber wäre er jetzt alleine gewesen und hätte in Ruhe über alles nachgedacht.

Das unerwartete Wiedersehen mit Franzi hatte vieles wieder nach oben gebracht, was in all der Zeit verschüttet gewesen war. Sie war seine einstige große Liebe. Ewige Treue hatten sie sich geschworen, und doch hatte es nicht einmal für ein paar Jahre gereicht.

Er winkte ihr noch einmal zu, als der Wagen an ihm vorüberfuhr, dann ging er mit hängenden Schultern zum Wirtshaus hinüber.

Sepp Reisinger hatte die Jagdstube für das Kaffeetrinken hergerichtet. Belegte Semmeln standen auf den Tischen, und Haustöchter servierten die Getränke. Martin nickte den Anwesenden zu und setzte sich zu Josef Rendel.

»Wie wird’s jetzt weitergehn?« wollte der alte Knecht wissen.

Martin sah ihn an und verzog den Mund.

»Wenn ich’s nur wüßt’, Sepp«, antwortete er.

»Also, ich würd’s schon gern wissen, ob ich auf dem Neureutherhof bleiben kann. In meinem Alter ist’s net mehr so leicht, irgendwo unterzukommen.«

»Erst einmal bleibt alles beim Alten«, erklärte der Bauernsohn, der jetzt zum Herrn auf dem väterlichen Hof geworden war. »Auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, vielleicht gibt’s ja noch eine Lösung für das Problem.«

Er winkte eine der Saaltöchter heran und bestellte eine Runde Obstler. Als er sein Glas in der Hand hielt, stand er auf und bat um Ruhe.

»So, Leute, ich wollt’ Dank’ schön sagen«, hielt er seine kleine Rede. »Dafür, daß ihr dem Vater die letzte Ehre erwiesen habt, und für eure Hilfsangebote. Gewiß werd’ ich auf das eine oder and’re zurückgreifen. Wenn ich’s recht bedenk’, dann wär’s doch schad’, wenn der Neureutherhof unter den Hammer käme. Ich weiß zwar noch net, wie ich’s schaffen soll, auf jeden Fall werd’ ich’s aber versuchen.«

»Recht so«, nickte der Brandnerbauer und hob sein Glas. »Auf die Zukunft, Martin, und auf ebenso gute Nachbarschaft, wie wir sie mit dem Vater gepflegt haben.«

Auch die anderen prosteten dem jungen Bauern zu und versicherten ihm noch einmal ihre Hilfe. Dann wandte sich das Gespräch – so wie es immer auf Trauerfeiern ist – anderen Themen zu. Zum Schluß saßen Martin und sein Knecht ganz alleine am Tisch.

»Wird Zeit, daß wir heimfahrn«, mahnte Sepp. »Die Küh’ müssen gemolken werden.«

Martin nickte und bat um die Rechnung. Der Gastwirt selber kam herein.

»Das hat doch Zeit, Martin«, sagte Sepp Reisinger. »Komm’ in der nächsten Woche vorbei, bis dahin hab’ ich’s fertig ausgerechnet. Wenn du zum nächsten Ersten zahlst, ist das schon in Ordnung.«

»Dank’ dir, Sepp«, nickte der Bauer und schüttelte die Hand des Wirtes.

Der begleitete Martin und den Knecht nach draußen.

»Ich wünsch’ dir viel Glück«, sagte er zum Abschied, und so, wie er es sagte, war deutlich herauszuhören, daß dieser Wunsch von Herzen kam.

*

Sebastian Trenker hätte an einem anderen Tag natürlich an der kleinen Gedenkfeier zur Ehren des Verstorbenen, teilgenommen, doch die Mittwochnachmittage waren immer für den Besuch des Seniorenheimes in Waldeck, reserviert. Die alten Leute freuten sich schon die ganze Woche darauf, zusammen mit dem Geistlichen Kaffee zu trinken, gemeinsam zu singen oder spannenden Geschichten zu lauschen, wenn der Bergpfarrer erzählte, was er so manches Mal auf seinen Wanderungen erlebte.

Dennoch ließ ihn der Gedanke an den jungen Bauernsohn nicht los, und während der Fahrt nach Waldeck überlegte Sebastian, wie man Martin Neureuther helfen konnte.

Die Ursache dafür, daß es dem Hof so schlecht ging, lag wohl in dem frühen Tod der Bäuerin. Pfarrer Trenker erinnerte sich gut daran, daß damals auch die Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn begonnen hatten. Franz Neureuther war von diesem Schicksalsschlag so schwer getroffen, daß er sich kaum noch zur Arbeit aufraffen konnte. Alle Last lag nun auf dem Sohn, während der Bauer eher im Wirtshaus anzutreffen war als auf dem Traktor.

Alle Versuche seitens Sebastians Franz Neureuther zur Umkehr zu bewegen, fruchteten nichts. Der Bauer hatte jeglichen Lebensmut verloren, und der Alkohl schien der einzige Trost zu sein, den er finden konnte.

Da konnte es natürlich nicht ausbleiben, daß Vater und Sohn immer häufiger aneinander gerieten, bis es schließlich zum endgültigen Bruch kam. Martin, der es nicht mehr mit ansehen konnte, wie sein Vater den Hof herunterwirtschaftete, packte seine Sachen und verließ die Heimat. Zwei Jahre ließ er nichts von sich hören, dann wagte er es, den ersten Brief zu schreiben, in dem er den Vater um Aussöhnung bat.

Franz Neureuther indes ließ den Brief und jeden, der noch folgte, ungelesen zurückgehen. Martin setzte sich daraufhin mit Sepp Rendler in Verbindung, der ihm berichtete, wie es auf dem Hof zuging. Da der Vater kein Zeichen signalisierte, sich mit dem Sohn aussprechen zu wollen, blieb Martin nichts anderes übrig, als in der Fremde zu bleiben und seinen Lebensunterhalt als Lastwagenfahrer zu verdienen.

Daß es ihm gutgehe, er sich aber immer wieder nach der Heimat sehne, war das Einzige, was Sebastian Trenker durch den Knecht über Martin Neureuther erfuhr. Zu einem Wiedersehen mit seinem einstigen Pfarrkind kam es erst, als der Altbauer verstarb und der Sohn zurückkehrte, um den Vater zu beerdigen und sein Erbe anzutreten.

Aber was für ein Erbe war das!

Schulden lasteten auf dem Hof, die landwirtschaftlichen Maschinen waren veraltet, und jahrlange Mißwirtschaft hatte dazu geführt, daß der Ruf des Neureutherhofes in der ganzen Branche der denkbar schlechteste geworden war.

Durch den Besuch im Seniorenheim war Sebastian ein wenig von dem Problem abgelenkt gewesen, doch als er sich auf der Rückfahrt nach St. Johann befand, ging es ihm wieder durch den Kopf.

Kurz vor dem Dorf kam er an den Feldern vorbei, die zum Berghof des Neureutherbauern gehörten. Während auf den Äckern der anderen Bauern das Korn schon stand, sah es hier eher kläglich aus. Sebastian hielt an und stieg aus. Über den Bergen ging gerade langsam die Sonne unter, ihr glutroter Schein färbte die schneebedeckten Gipfel.

Der Geistliche blickte weit über das Feld und überlegte, wie er Martin zur Seite stehen konnte.

Geld mußte her, das war klar. Aber woher sollte es kommen? Keine Bank der Welt würde in so ein marodes landwirtschaftliches Unternehmen auch nur einen Cent stecken!

Allerdings mußte es auf der anderen Seite weitergehn, wenn die Gläubiger wenigstens etwas von ihrem Geld wiedersehen wollten. Sie mußten Martin Neureuther die Möglichkeit zum Arbeiten geben, damit er die Schulden abbauen konnte.

Sebastian Trenker seufzte, als er an das bevorstehende Gespräch mit dem Filialleiter der Bank dachte. Es würde alles andere als leicht werden. Aber wenigstens dieses eine Argument hatten sie, um einen Zahlungsaufschub zu erbitten.

Der gute Hirte von St. Johann wollte sich gerade wieder in seinen Wagen setzen, als ein anderes Auto neben ihm hielt. Franziska Bruch-thaler hatte die Fensterscheibe heruntergekurbelt und winkte ihm zu.

»Grüß Gott, Hochwürden«, rief das Madl.

»Hallo, Franzi, grüß dich«, nickte Sebastian der Bauerstochter zu.

Die hübsche, junge Frau war ausgestiegen und kam zu ihm.

»Schlimm, net wahr?« meinte sie und deutete auf das Feld.

»Ja, sehr schlimm«, stimmte der Geistliche ihr zu. »Man kann nur hoffen, daß der Martin es schafft, den Hof wieder auf Vordermann zu bringen.«

Er sah sie fragend an.

»Hast’ ihn schon gesehn?«

»Ich war vorhin noch auf dem Friedhof«, erwiderte Franzi. »Zur Beerdigung hab’ ich’s leider net geschafft. Aber Martin war noch da, und wir haben zusammen gesprochen.«

Natürlich wußte Sebastian Trenker, daß die Tochter des Bruchthalerbauern und Martin Neureuther sich einmal gutgewesen waren. Eigentlich hatte er damals schon geglaubt, die beiden eines Tages vor seinem Altar stehen zu haben und zu trauen. Doch dann war alles anders gekommen. Martin, der sich heillos mit dem Vater zerstritten hatte, lief bei Nacht und Nebel davon, und darüber zerbrach auch die Liebe zu Franziska Bruchthaler.

»Ich freu’ mich, daß ihr trotz

allem noch miteinander reden könnt’«, sagte der Seelsorger.

»Ich muß gestehn, es war schon ein merkwürdiger Augenblick, als wir uns nach all den Jahren wieder gegenüberstanden. In diesem Moment kam all das wieder hoch, was ich hoffte, längst vergessen zu haben.«

Sebastian sah sie forschend an.

»Du liebst ihn immer noch?«

Auch wenn es wie eine Frage klang, so war es doch fast schon eine Feststellung. Franzi zuckte die Schultern.

»Ich weiß net, Hochwürden«, antwortete sie. »Seit der Martin wieder da ist, denk’ ich darüber nach. Ganz gewiß ist mir net gleichgültig, was aus ihm und dem Hof wird. Auf der and’ren Seite – Sie wissen, daß der Tobias und ich verlobt sind.«

Der Bergpfarrer nickte.

Beinahe sieben Jahre war es her, daß Martin Neureuther die Heimat verließ. Nachdem er sich nicht mehr gemeldet hatte, war es doch nur natürlich, daß Franzi sich einem anderen zuwandte. Sie war jung und hübsch, die Burschen waren hinter ihr her, und man konnte wohl von keiner Frau verlangen, daß sie auf einen Mann wartete, von dem sie nicht wußte, ob er überhaupt jemals wieder zurückkehrte.

Jetzt zuckte Franzi noch einmal die Schultern.

»Was immer ich tun kann, um Martin zu helfen, werd’ ich tun«, sagte sie. »Aber mehr kann er net erwarten.«

»Du, ich denk’, das ist schon eine ganze Menge. Bestimmt wird er für dein Angebot dankbar sein.«

Sebastian schaute auf die Uhr.

»Oh, es wird Zeit, sonst komm’ ich zu spät zur Abendandacht. Also, Franzi, grüß’ mir die Eltern, und was den Martin angeht – wenn alle so denken wie du, dann soll es uns schon gelingen, den Neureutherhof wieder zu dem zu machen, was er früher einmal war.«

*

Josef Rendel kam aus dem Haus und setzte sich zu dem jungen Bauern nach draußen auf die Bank. Die beiden Männner hatten zu Abend gegessen, und der Knecht zog jetzt seine Pfeife und den Tabakbeutel hervor. Aus der Scheune kam Rex, der Hofhund, herangetrottet und legte sich zu ihren Füßen.

»Es war eine schöne Beerdigung«, meinte Sepp, während er bedächtig die Pfeife stopfte.

Er schob sie zwischen die Lippen und zündete sie an. Blaue Rauchwolken stiegen in die Luft, als er den Tabak paffend in Brand setzte.

Martin hatte die Lippen geschürzt.

Eine schöne Beerdigung? Na ja, wenn man die Beisetzung eines Verstorbenen überhaupt schön nennen konnte, dann war es die seines Vaters wohl gewesen.

Sein Blick ging über den Hof, hinüber zum Gatter, hinter dem tagsüber die Schweine suhlten. Der Zaun war alt und morsch. Martin erinnerte sich, als Bub die Bretter mit einem Messer eingekerbt zu haben, was ihm den Zorn des Vaters einbrachte.

Das Dach der Scheune mußte dringend ausgebessert werden. Josef hatte ihm gleich am Abend seiner Ankunft, davon erzählt. Den nächsten Herbststurm würden die alten Schindeln kaum noch überstehen.

Dann das Bauernhaus selbst. Das Holz am Giebel brauchte einen neuen Anstrich, die Fenster und Türen mußten ausgebessert werden.

Aber woher das Geld nehmen?

Martin hatte gleich am nächsten Tag Kassensturz gemacht und die Unterlagen durchgesehen, die er im Schreibtisch seines Vaters fand. Als erstes waren ihm die Mahnbriefe der Bank in die Hände gefallen; als er dann die Kontoauszüge las, wurde ihm schwindlig vor Schreck.

Am besten den Hof verkaufen, war seine erste Reaktion gewesen. Beinahe sieben Jahre hatte er als Lastwagenfahrer seinen Lebensunterhalt verdient. Auch wenn es keine leichte Arbeit war, so hatte er doch immer sein Auskommen gehabt, und schon morgen würde er in seiner alten Firma wieder anfangen können.

Warum also sollte er sich mit einem maroden Bauernhof herumärgern?

Diese Frage stellte er sich, als er am Schreibtisch seines Vaters saß, der nun sein eigener geworden war. Und dann sah er das fragende Gesicht des alten Knechtes, das ihn mit banger Erwartung anschaute, und er erinnerte sich der Stunden voller bitterer Sehnsucht nach der Heimat und nach dem Geruch des frischen Heues, nach dem Muhen der Kühe, und im selben Moment wußte Martin Neureuther, warum er dies alles auf sich nehmen wollte.

Weil er hier zu Hause war und einfach hierhergehörte.

Aber woher das Geld nehmen, das dringend nötig war, um zumindest das erste Jahr zu überstehen? Danach würde man schon weitersehen. Der junge Bauer war sicher, bis zum nächsten Sommer aus dem Gröbsten heraus zu sein. Doch noch fehlte es an den finanziellen Mitteln, und mit Schaudern dachte er an den Termin, den er mit dem Leiter der Bankfiliale haben würde.

»Da kommt Besuch«, meinte Sepp Rendel und unterbrach Martins Gedanken.

Der blickte erstaunt auf das Auto, das von der Straße abbog und auf den Hof gefahren kam. Auch Rex hatte den Kopf gehoben und wedelte mit dem Schwanz. Der Wagen kam Martin bekannt vor. Er hatte ihn heute schon einmal gesehen – Franzi war eingestiegen und damit losgefahren.

Jetzt stieg das Madl aus und winkte den beiden Männern zu.

»Servus, ihr zwei«, rief Franziska Bruchthaler. »Ich wollt’ doch mal schau’n, wie’s hier so zugeht, in einer Männerwirtschaft.«

Martin war aufgestanden. Er reichte ihr die Hand.

»Schön, daß du uns besuchen kommst«, sagte er. »Magst’ was trinken?«

»Wenn’s keine Umstände macht, dann hätt’ ich gern ein Mineralwasser«, bat sie.

»Kommt sofort«, nickte Martin.

Er zog fröstelnd die Schultern hoch.

»Vielleicht sollten wir besser hineingehn«, meinte er. »Es wird langsam frisch.«

»Geht nur«, murmelte Sepp. »Ich rauch’ noch meine Pfeife zu Ende.«

Franzi folgte dem Bauern ins Haus. Martin bat sie, in der Diele Platz zu nehmen. Während er in die Speisekammer ging und das Mineralwasser holte, mußte er sich eingestehen, daß er sich über den überraschenden Besuch freute. Wenn er ehrlich war, dann klopfte sein Herz sogar recht heftig vor Aufregung, und er fragte sich, was das zu bedeuten habe...

»Tja, wie du siehst, schaut’s noch net so sauber aus, wie du’s wahrscheinlich gewohnt bist«, sagte er, als er in die Diele zurückkam und die Wasserflasche auf den Tisch stellte.

Er ging zu einer Anrichte und nahm zwei Gläser heraus.

»Danke«, nickte Franzi, nachdem er eingeschenkt hatte.

Nach der Begegnung mit Pfarrer Trenker hatte sie eigentlich nach Hause fahren wollen, doch dann war sie kurz vor dem elterlichen Hof umgekehrt und hierhergefahren. Jetzt saß sie da und schaute nervös auf den Burschen, der einmal ihre große Liebe gewesen war. Martin setzte sich ihr gegenüber, und ihre Blicke begegneten sich.

»So sehn wir uns also wieder«, begann er das Gespräch und spielte dabei mit seinem Glas. »Ich hab’ dir ja schon auf dem Friedhof gesagt, daß mir and’re Umstände lieber gewesen wären, aber leider geht’s net immer danach, was man selbst will.«

Franzi hatte einen Schluck getrunken. Seit sie hier saß, war ihre Kehle merkwürdig trocken geworden.

»Ich hab’ mich all die Jahre gefragt, was aus dir geworden ist«, sagte sie leise, ohne aufzusehen. »Glaubst’ net, daß du mir eine Erklärung schuldig bist?«

Von den Tränen, die sie in schlaflosen Nächten vergossen hatte, sagte sie nichts. Aber Martin konnte sich dennoch denken, was in ihr vorgegangen sein muß, nachdem er ohne ein Wort verschwunden war.

Der junge Bauer atmete tief durch.

»Doch, Franzi, natürlich«, erwiderte er. »Die Erklärung bin ich dir schuldig. Ich weiß, daß ich einen großen Fehler gemacht hab’, als ich nix mehr hab’ von mir hören lassen. Aber vielleicht wirst’ mich verstehn, wenn du hörst, wie’s damals war, hier auf dem Hof. Ein bissel davon hast’ ja selbst miterlebt. Du weißt, wie Vater gewesen ist, nach Mutters Tod.«

Franzi sah ihn an, in ihren Augen schimmerten Tränen.

»Schon, Martin«, sagte sie. »Aber warum mußte das mit uns daran denn zugrundegehen? Warum mußte uns’re Liebe scheitern? Ein Wort von dir, und ich wär’ mitgegangen.«

Martin Neureuther lachte bitter auf.

»Ja, Franzi, das wärst du«, entgegnete er. »Aber was wäre das für ein Leben gewesen? Ich bin in München angekommen, mitten in der Nacht, und kannte keine Menschenseele. Drei Tage und Nächte bin ich bei der Bahnhofsmission untergekommen. Vergeblich hab’ ich nach Arbeit gesucht, aber für einen Bauern gab’s keine. Noch weniger hättest du Arbeit gefunden. Wir beide wären unglücklich geworden, und ehe du dich mit der neuen Situation hättest angefreundet, wär’ die Sehnsucht nach der Heimat übermächtig geworden und du hättest alles liegen und stehen gelassen und wärst zurückgegangen.«

Gedankenverloren sah er in sein Glas, während die Erinnerung an die ersten schlimmen Tage und Wochen wieder in ihm aufstiegen.

»Zum Glück hatte ich den Führerschein gemacht, mit dem ich Lastwagen fahren darf«, fuhr er fort. »Nach vierzehn Tagen, mein Geld war so gut wie alle, fand ich dann eine Stelle bei einer Spedition. Ich hab’ mir dann ein möbliertes Zimmer genommen und geschuftet bis zum Umfallen. Du darfst mir glauben, Madl, das war kein Zuckerschlecken. Und mehr als einmal hab’ ich mir vorgenommen, alles hinzuwerfen und nach Hause zu fahren. Aber als Vater dann den ersten Brief zurückgehn ließ und auch den zweiten und dritten, da hatte ich alle Hoffnung verloren, daß wir uns noch einmal wieder vertragen würden.«

Franzi schluckte.

»Das versteh’ ich ja alles«, erwiderte sie. »Aber, was war mit mir? Wir beide hatten doch keinen Streit. Im Gegenteil, erinnere dich. Wir wollten heiraten. Ich hab’ noch heut’ deine Worte in den Ohren: Meine Liebe währet ewig, hast du zu mir gesagt, Martin, und ich hab’ dir geglaubt.«

»So hab’ ich’s auch gemeint«, antwortete der junge Bauer mit rauher Stimme. »Aber dann...«

Hilflos zuckte er die Schultern.

»Ich weiß auch net, irgendwie hatte ich wohl den Mut verloren und hab’ mich net getraut, mich bei dir zu melden«, gestand er. »Heut’ weiß ich, daß das ein großer Fehler war.«

Er griff über den Tisch nach ihrer Hand und drückte sie.

»Aber die Tatsache, daß du hier bist, Franzi, bedeutet ja vielleicht, daß es doch noch net zu spät ist, wie du heut’ nachmittag auf dem Friedhof gesagt hast. Auf jeden Fall scheinst’ mir net mehr bös’ zu sein...«

Die Bauerstochter erwiderte seinen Blick. Dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein, Martin«, sagte sie, »bös’ bin ich dir net mehr, dazu ist zuviel Zeit vergangen. Aber zu spät ist’s schon. Ich bin mit dem Tobias Wendler verlobt.«

*

Auch wenn er sich so etwas schon gedacht hatte, trafen ihre Worte den jungen Bauern doch. Martin hatte sich auf die Unterlippe gebissen und vor sich hingestarrt. Dann hob er den Kopf und schaute in Franzis Gesicht.

Da war noch immer dieses kleine Grübchen am Kinn. Die Haare trug sie noch genauso wie früher, und wenn sie lächelte, dann zeigte sich eine Reihe blitzweißer Zähne.

Doch im Moment lächelte sie nicht. Im Gegenteil, ein trauriger Zug lag über dem hübschen Antlitz, und in ihrem Blick war immer noch ein stiller Vorwurf darüber, daß er sich nicht ein einziges Mal bei ihr gemeldet hatte.

Dabei hatte er es sich so fest vorgenommen, als er damals im Zug saß, der ihn von der Kreisstadt nach München brachte. Tausend Erklärungen hatte er sich zurechtgelegt, tausend Entschuldigungen, und das feste Versprechen, sie nachzuholen, wenn er erst einmal eine Arbeit gefunden und sich eingerichtet hatte.

Doch die Ankunft in München war ganz anders, als er es sich ausgemalt hatte, ehe er den Hof verließ. Er kannte niemanden in der großen Stadt, wußte zunächst nicht einmal, sich auf dem Bahnhof zurechtzufinden. Eine freundliche, ältere Frau, die eine Armbinde, mit der Aufschrift: ›Bahnhofsmission‹ trug, nahm sich seiner an. Sie hatte beobachtet, wie hilflos der damals Einundzwanzigjährige auf dem Bahnsteig herumstand. Diese Frau Berghammer war es auch, die ihm später das möblierte Zimmer bei einer ihrer Bekannten vermittelte. Und während Martin in der Mission saß und eine Tasse heiße Brühe trank, da hatte er gar keine Zeit, an Franzi zu denken, die noch gar nicht wußte, daß er von zu Hause fortgelaufen war.

Die Bauerstochter erhob sich.

»Ich muß zurück«, sagte sie. »Auf dem Hof werden sie sich eh’ schon fragen, wo ich bleib’.«

Sie gab ihm die Hand.

»Pfüat di’, Martin.«

Der Bauer lächelte.

»Laß dich mal wieder sehn«, bat er und brachte sie zur Tür.

»Das mach’ ich«, versprach sie.

Sepp Rendel saß immer noch auf der Bank. Er winkte dem Madl zu.

»Komm gut heim«, wünschte Martin, als Franzi im Auto saß.

Sie hatte das Fenster heruntergekurbelt, und er steckte seinen Kopf in das Wageninnere.

»Ich freu’ mich jedenfalls, daß wir uns ausgesprochen haben«, beteuerte er. »Vielleicht können wir uns in Zukunft unbefangener begegnen.«

»Ja, Martin, das wünsch’ ich mir auch«, nickte sie.

Er spürte ein übermächtiges Verlangen, sie auf die verlockenden Lippen zu küssen, doch dann zog er ganz schnell den Kopf zurück.

Sie war verlobt, hatte Franzi gesagt, und das hatte er zu respektieren.

Während sie vom Hof fuhr, dachte er an den Burschen, dem sie jetzt versprochen war. Er kannte Tobias Wendler, den einzigen Sohn und Hoferben des Wendlerbauern. Der Berghof lag am Rande des Tales, zu Füßen der Zwillingsgipfel ›Himmelsspitz‹ und ›Wintermaid‹. Die Familie gehörte zu den reichsten im ganzen Wachnertal, und somit war Tobias die beste Partie, die Franzi machen konnte.

Schwer seufzend schaute Martin dem Wagen hinterher. Als er nicht mehr zu sehen war, wandte er sich um und ging zu der Bank.

»Hübsches Madl«, meinte der Knecht und klopfte seine Pfeife auf dem Boden auf. »Wie alt ist die Franzi jetzt?«

»Ein Jahr jünger als ich«, antwortete der Bauer.

»Erstaunlich, daß sie noch net verheirat’t ist.«

Martin zuckte die Schultern.

»Verlobt ist sie«, erklärte er.

»Aha.«

Mehr war es nicht, was Sepp darauf antwortete.

Natürlich wußte er noch, daß Franzi und Martin früher mal ein Paar gewesen waren. Das Madl war ein häufiger und gern gesehener Gast auf dem Neureutherhof.

»Ich denk’, du wirst dir über kurz oder lang eine Frau suchen müssen«, meinte der Knecht plötzlich. »Die Franzi wär’ schon die Rechte...«

Martin sah unwillig auf.

»Ich hab’ dir doch gesagt, daß sie verlobt ist«, erwiderte er mit einem ärgerlichen Kopfschütteln.

Sepp Rendel hob die Arme und ließ sie wieder sinken.

»Was heißt das schon heutzutag’?« brummelte er vor sich hin und stand auf.

Martin schaute ihn mit großen Augen an.

»Du meinst, ich soll sie ihrem Verlobten abspenstig machen?«

Der Knecht grinste.

»Das hab’ ich net gesagt. Aber eine gute Idee wär’s.«

Damit verschwand er im Haus.

Martin Neureuther blieb auf der Bank sitzen.

Hätt’ ich denn überhaupt noch eine Chance bei ihr? fragte er sich.

Der Gedanke, daß er und Franzi dort wieder würden anknüpfen könnten, wo es vor sieben Jahren aufgehört hatte, ließ ihn nervös werden.

Dummkopf! schalt er sich. Die Franzi ist in festen Händen, und daß es net die deinen sind, daran bist’ selbst schuld.

Doch damit zu spielen, sich zumindest vorzustellen, was wäre wenn... – Himmel, sich das auszumalen, das wagte er gar nicht.

Es war schon dunkel, nur über dem Eingang zum Stall brannte ein Licht, als der junge Bauer aufstand und ins Haus ging. Den Gedanken an das Madl würde er wohl aufgeben müssen. Zu dieser Erkenntnis war Martin gelangt, als er über eine Stunde draußen saß. Mit dem Erbe hatte er eine Reihe von Verpflichtungen übernommen. Da gab es genug zu tun, und er hatte keine Zeit, auch noch um sein privates Glück zu kämpfen. Erst einmal mußte er sehen, daß der Hof auf Vordermann gebracht wurde, dann erst konnte er sich nach einer Frau umschauen, wie Sepp es gefordert hatte.

Aber als er dann in seinem Bett lag und in das Dunkel starrte, da ließ ihn der Gedanke an seine einstige große Liebe nicht wieder los, und zum ersten Mal seit vielen Jahren hörte Martin Neureuther wieder die Stimme seines Herzen zu ihm sprechen.

Und was sie ihm sagte, ließ die Nacht noch schlafloser werden.

*

Nach der Andacht wurde im Pfarrhaus zu Abend gegessen. Sophie Tappert, die Haushälterin, hatte den Tisch gedeckt, es gab Brot, Butter und Aufschnitt, außerdem den aufgewärmten Rest des Mittag­essens – ein leckeres Wildragout, zu dem die Pfarrköchin Semmelknödel gemacht hatte. Die Knödel waren jetzt in etwas Butter aufgebraten worden, und besonders Max Trenker freute sich schon darauf.

Der Bruder des Bergpfarrers kam nach Dienstschluß ins Pfarrhaus herüber. Max war den Kochkünsten Sophie Tapperts verfallen, und es kam so gut wie nie vor, daß er eine Mahlzeit ausfallen ließ – es sei denn, seine Arbeit als Polizeibeamter hinderte ihn daran, pünktlich zum Essen da zu sein.

Jetzt saß er Sebastian gegenüber und schaute ihn fragend an.

»So nachdenklich?«

Der Geistliche nickte.

»Ja«, erwiderte er. »Du weißt ja, daß wir heut’ mittag den alten Neureuther beerdigt haben. Ich mach’ mir Gedanken um den Martin und wie’s auf dem Hof weitergehn wird.«

»Es schaut wohl net gut aus, was? Immer wenn ich am Neureutherhof vorüberkomm’, frag’ ich mich, warum er so heruntergewirtschaftet worden ist.«

»Da spielen wohl viele Dinge eine Rolle«, erwiderte Sebastian Trenker. »Der frühe Tod der Bäuerin hat den Franz hart werden lassen. Hart und ungerecht gegen jedermann. In die Kirche ist er kaum noch gekommen und im Dorf hat er sich nur selten sehn lassen. Menschenscheu ist er geworden und verbittert.

Mit dem Martin ist er net anders umgegangen als mit den Leuten, und eigentlich ist’s ein Wunder, daß der Rendel-Sepp es immer noch bei ihm ausgehalten hat. Die Magd, die damals, kurz nachdem die Bäuerin gestorben war, auf den Hof gekommen ist, blieb net lang’, und danach hauste der Alte alleine mit Sohn und Knecht, bis dann auch Martin es net mehr länger aushielt und fortging.«

»Und jetzt ist der Sohn zurück und hat das Erbe übernommen«, stellte Max fest.

»Ja, aber was für ein Erbe ist das? Bis unters Dach verschuldet, der Hof marode, und die Felder ein Bild des Jammers. Ich bewund’re den Martin, daß er sich entschlossen hat, net alles zu verkaufen, sondern weiterzumachen. Gewiß keine leichte Aufgabe.«

Der junge Polizeibeamte hatte die Schüssel leergekratzt, in der sich das Ragout befunden hatte. Während er genießerisch den Teller leerte, dachte er an den jungen Bauern, der ein paar Jahr jünger war als Max. Der Bruder des Geistlichen hatte Martin Neureuther dennoch gut gekannt. Auch glaubte er sich zu erinnern, daß es da ein Madl gegeben hatte, das zu Martin gehörte.

»Ja, die Franzi Bruchthaler«, nickte Sebastian, als Max danach fragte. »Ich hab’ sie heut’ getroffen, als ich aus Waldeck zurückkam.«

»Richtig, die Franzi!« rief der Polizist aus. »Was ist denn aus ihr geworden? Bestimmt ist sie längst verheiratet, was?«

Der Seelsorger schüttelte den Kopf.

»Nein, aber verlobt, mit Tobias, dem Sohn vom Wendlerbauern«, antwortete er.

Max pfiff durch die Zähne.

»Donnerwetter, da hat sie’s aber gut getroffen«, meinte er. »Ihr Bruder wird den Hof erben, sie bekommt eine deftige Mitgift und heiratet auf einen der reichsten Höfe ein. Was kann sie sich noch mehr wünschen?«

»Wahrscheinlich nix«, erwiderte Sebastian.

Daß er allerdings etwas völlig anderes glaubte, darüber sagte er nichts.

Nachdem Franzi abgefahren war, hatte auch er sich wieder in sein Auto gesetzt.

Auf der Fahrt nach Hause dachte der gute Hirte von St. Johann über die Begegnung nach.

Die Bauerstochter hatte ihm gesagt, daß sie verlobt sei. Natürlich wußte Sebastian das, doch der Nachdruck, mit dem Franzi noch einmal darauf hingewiesen hatte, machte ihn nachdenklich.

Es hörte sich gerade so an, als wolle sie diesen Umstand beschwören, als habe Franzi Angst, selbst nicht mehr daran zu glauben, seit sie Martin wiederbegegnet war.

»Was wirst’ denn jetzt unternehmen, um Martin unter die Arme zu greifen?« unterbracht Max die Gedanken seines Bruders.

Der zuckte die Schultern.

»Das weiß ich selbst noch net«, antwortete Sebastian. »Daß ich ihm helfen muß, steht allerdings fest. Zunächst werd’ ich ihn auf die Bank begleiten und schau’n, daß die Verhandlungen günstig für ihn verlaufen. Er muß einen Aufschub bekommen. Wenn er gezwungen wird, sämtliche Kredite jetzt zurückzuzahlen, dann kann er den Hof gleich der Bank schenken, und die kann dann schau’n, daß sie damit glücklich wird. Aber das kann auch net im Sinne der Bank sein. Wenn sie den Neureutherhof versteigern lassen muß, wird sie kaum das herausbekommen, was Martin ihr schuldet.«

»Himmel, da hast’ dir ja ein schönes Stück Arbeit vorgenommen«, meinte Max.

»Arbeit ist es«, nickte der Bergpfarrer. »Aber net unmöglich.«

Nach dem Abendessen dachte er noch lange über dieses Problem nach. Als erstes würde er morgen früh zum Neureutherhof hinauffahren und mit Martin besprechen, wie sie vorgehen wollten. Ein gut durchdachter Finanzplan mußte auch den Filialleiter überzeugen.

Als er dann am nächsten Morgen auf dem Berghof ankam, erlebte er eine Überraschung, mit der Sebastian trotz seiner positiven Lebenseinstellung nicht gerechnet hatte.

*

»Sag’ mal, wo bleibst’ denn?« fragte der Bruchthalerbauer kopfschüttelnd, als Franzi zur Tür hereinkam.

Die Familie und das Gesinde saß um den Tisch in der Diele beim Abendessen. Im Gegensatz zum Neureutherhof gab es beim Bruch-thaler noch zwei Knechte und eine Magd.

Florian, Franzis Bruder, sah sie fragend an.

»Wo bist’ denn gewesen? Der Tobias hat schon zweimal angerufen, wo du bleibst. Ihr wart verabredet. Hast’ das ganz vergessen?«

Ein heißer Blutstrom schoß zu ihrem Herzen, als sie Florian hörte, und hektische Flecken breiteten sich auf ihren Wangen aus.

Gütiger Himmel, ja, sie hatte die Verabredung ganz und gar vergessen!

»Ich hab’ mich mit der Iris festgeredet«, schwindelte sie sich heraus und senkte den Kopf, damit niemand ihre Verlegenheit bemerkte.

»Nun iß«, forderte die Mutter sie auf. »Die Kartoffeln sind ja schon fast kalt.«

In der Mitte des Tisches stand eine große schwarze Eisenpfanne, in der Speckkartoffeln gebraten worden waren. Dazu gab es kalten Braten vom letzten Sonntag. Franzi setzte sich auf ihren Stuhl und nahm eine Gabelvoll heraus.

Stirnrunzelnd beobachtete die Bäuerin, wie die Tochter in den Kartoffeln herumstocherte und das Fleisch völlig ignorierte.

»Was ist denn los mit dir?« fragte Hildegard Bruchthaler. »Bist’ krank oder was?«

Franzi zuckte die Schultern.

Wie sollte sie der Mutter erklären, daß sie keinen Appetit hatte, weil sie, seit sie vom Neureutherhof gefahren war, an nichts anderes mehr denken konnte als an den Mann, den sie einmal von ganzem Herzen geliebt hatte?

Geliebt hatte?

Das Madl schüttelte innerlich den Kopf. Sie liebte Martin immer noch, das stand mit glasklarer Sicherheit fest, und der schmale goldene Ring an ihrer linken Hand, kam ihr mit einem Male wie eine schwere Fessel vor. Am liebsten hätte sie ihn abgestreift und an Tobias zurückgegeben.

Was mach’ ich bloß? dachte Franzi, als sie später in ihrem Zimmer saß. Den Ring hatte sie abgenommen und drehte ihn zwischen den Fingern hin und her. Ich sollt’ mich eigentlich glücklich schätzen. Der Tobias liebt mich, als seine Frau

wird’s mir an nix fehlen, und ich..., ich sitz’ hier und denk’ an einen and’ren!

Aber ich kann doch nix dafür, wenn mein Herz nun mal für den Martin schlägt. Schon damals hab’ ich gewußt, daß es nur ihn für mich geben wird. Aber als er dann all die Jahre nix hat von sich hören lassen, da mußt’ ich ja annehmen, daß er nie mehr zurückkommen würd’.

Und der Tobias ist so ein Lieber. Jeden Wunsch liest er mir von den Augen ab. Und doch...

Siedenheiß fiel ihr ein, daß sie ihn anrufen und sich bei ihm für die geplatzte Verabredung entschuldigen mußte. Franzi nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Wendlerhofes. Tobias’ Mutter war am Apparat.

»Ach, du bist’s«, sagte sie. »Wart’, ich geb’ dir den Tobias. Er steht direkt neben mir.«

»Hallo, Spatzl«, hörte sie gleich darauf die Stimme ihres Verlobten. »Wo hast’ denn gesteckt? Ich hab’ schon bei euch angerufen.«

»Du, es tut mir leid, Tobias«, sagte Franzi entschuldigend. »Ich war bei der Iris, und wir haben über die viele Rederei einfach die Zeit vergessen.«

Seltsam, dachte sie gleichzeitig, wie leicht so eine Lüge über die Lippen geht.

Dabei fühlte sie allerdings auch das schlechte Gewissen anklopfen. Franzi log nie, und schon gar nicht verschwieg sie dem Menschen, den sie liebte, die Wahrheit.

Aber liebte sie Tobias immer noch?

Nein, das war doch völlig unmöglich. Man konnte doch nicht zwei Männer gleichzeitig lieben!

»Net weiter schlimm«, versicherte der Bauernsohn. »Ich hab’ mir nur Gedanken gemacht, weil du sonst nie eine Verabredung vergißt.«

»Na ja, du weißt ja, wie’s ist, wenn zwei Frauen zusammenhocken.«

»Ja, deshalb kommt’s auch wohl nirgendwo auf der Welt vor, daß zwei Frauen zusammen angeln«, scherzte Tobias Wendler. »Mit ihrem Gerede würden sie die ganzen Fische verscheuchen.«

Franzi stimmte in das Lachen ein.

»Also bist’ mir net mehr bös’?«

»Natürlich net«, beteuerte ihr Verlobter. »Sehn wir uns dann morgen?«

»Ja«, antwortete sie. »Ich ruf’ dich an.«

»Ist recht, Spatzl. Dann schlaf’ jetzt schön.«

»Du auch, Liebster«, sagte sie und merkte, wie groß das schlechte Gewissen wurde.

Denn in Gedanken hatte sie schon Martin eine gute Nacht gewünscht und ihn dabei Liebster genannt.

Sie legte das Handy auf den Tisch und ging in das Bad. Während Franzi sich die Zähne putzte, dachte sie daran, daß sie kurz davor war, sich in ein Dillemma zu stürzen, aus dem es kein Herauskommen geben würde.