Der Bergpfarrer 130 – Sie fanden sich in St. Johann

Der Bergpfarrer –130–

Sie fanden sich in St. Johann

Roman von Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-309-0

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Das Wetter war seit Tagen grau und regnerisch und paßte zu der Stimmung, in der Johanna Berger sich befand. Dabei hatte es vor kurzem in ihrem Leben noch ganz anders ausgesehen. »Jo«, wie ihre Freundinnen sie nannten, glaubte, das Glück gepachtet zu haben, als Frank Reimann ihr auf dem jährlichen Betriebsausflug seine Liebe gestand. Dabei hätte sie gewarnt sein müssen – Inge Wohlers, eine Arbeitskollegin, hatte ihr gesagt, daß der Juniorchef zu der Sorte Männer gehörte, die nichts anbrennen ließ, die Zahl der Herzen, die er gebrochen habe, sei Legion. Doch Jo hatte nichts davon wissen wollen.

Sie war gerade mal dreiundzwanzig Jahre alt und hatte erst vor einem Vierteljahr als Sekretärin in der Firma Reimann & Sohn, die Computerprogramme für technische Betriebe entwickelte und verkaufte, zu arbeiten angefangen.

Sie sah auch gar keinen Grund, an Franks Liebesschwüren zu zweifeln. Zwar versuchten sie, ihre Beziehung in der Firma geheim zu halten, doch so ganz unbemerkt blieb sie nicht. Indes zeigte sich Frank als vollendeter Kavalier, der sie mit Blumen und Geschenken überhäufte, sie in teure Lokale und ins Theater ausführte und alles tat, um sie vergessen zu lassen, daß sie eine Angestellte und er der Chef war.

Bis dann eines Tages der schöne Schein seinen Glanz verlor, als Jo entdeckte, daß sie nicht die einzige war, der die Aufmerksamkeit Frank Reimanns zuteil kam.

Zuerst waren es nur versteckte Andeutungen von den Kolleginnen, auf die sie nichts geben wollte. Doch dann wurde Jos Neugierde und Eifersucht geweckt. Zwar war es nicht die Art der hübschen jungen Frau, jemandem hinterher zu spionieren, doch die Zweifel an Franks Treue nagten an ihr, und so tat sie es doch.

Johanna könnte heute noch heulen, wenn sie sich an den Abend erinnerte, an dem sie Frank mit der anderen Frau, händchenhaltend, in »ihrem« Stammlokal, an »ihrem« Tisch sitzen gesehen hatte.

Still und leise hatte sie sich zurückgezogen und keinen Skandal gemacht, auch wenn ihr danach gewesen wäre, den Untreuen vor aller Augen bloßzustellen. Als Frank dann am nächsten Tag in die kleine Wohnung kam, die Jo mit einer Freundin teilte, hatte sie ihn nur stumm und anklagend angesehen. Er hatte auch ohne Worte begriffen und war wieder gegangen.

Nicht einmal den Ansatz einer Entschuldigung hatte sie aus seinem Mund gehört!

Birgit Leisner, ihre Wohngenossin, kam aus der Küche. Sie hatte Tee gekocht und ein paar Plätzchen auf einen Teller gelegt.

»So«, meinte sie aufmunternd, »das wird deine Laune vielleicht ein bissel bessern. Ich hab’ extra einen indischen ›Gute-Laune-Tee‹ gekauft.«

Jo saß mit angezogenen Knien auf dem Sofa und starrte aus dem Fenster. Draußen regnete es in Strömen, und der Wetterbericht hatte erst für die kommende Woche Sonnenschein und höhere Temperaturen angekündigt. Dankbar nahm sie den heißen Tee entgegen und trank vorsichtig einen Schluck. Er schmeckte nach Lakritze und allerlei Gewürzen. Daß er ihre Laune bessern würde, mochte sie indes nicht glauben.

»Du mußt mal raus«, sagte Birgit. »Warum fährst’ net einmal für ein paar Tage fort?«

Urlaub zu nehmen wäre wohl nicht das Problem, dafür gab es ein anderes.

»Wo soll ich denn hin?« fragte Johanna. »Etwa zu meinen Eltern?«

Die wohnten in der Nähe von Passau, und sie konnte schon jetzt die Vorwürfe hören, die unweigerlich kommen würden. Vater und Mutter Berger hatte es schon nicht gepaßt, daß die Tochter aus dem kleinen Dorf fort wollte.

Auch noch in die Großstadt, nach München!

Man wußte ja, was mit jungen ahnungslosen Madeln dort geschah…

Wenn sie jetzt erfuhren, daß Jo aus Liebeskummer zurückkam, dann konnte sie sich die ganzen Ferien über die Vorhaltungen anhören, und das wollte sie nun ganz und gar nicht.

»Warum fährst’ net in die Berge?« schlug die Freundin vor. »Bernd und ich waren im letzten Jahr in St. Johann. Dort gibt es eine nette kleine Pension. Die Frau Stubler ist eine Seele von Mensch und sie serviert ein Frühstück – das bekommst’ in ganz München net so gut!«

»Klingt verlockend«, erwiderte Johanna und nickte matt.

Aber so recht überzeugend hörte es sich nicht an.

Birgit sprang auf.

»Wart’ mal«, rief sie. »Ich hole schnell die Fotos. Bernd hat in zwei Wochen ein Dutzend Filme verschossen.«

Sie lief in ihr Zimmer und kam nach kurzer Zeit mit zwei dicken Alben zurück.

»Das sind die schönsten«, sagte sie und schlug das erste Fotoalbum auf.

Jo schaute wenig interessiert hinein, aber je weiter die Freundin blätterte, um so neugieriger wurde sie.

»Das hier ist die Ria«, erklärte Birgit und deutete auf ein Foto, das eine freundlich dreinschauende Frau, Mitte der Fünfzig, zeigte. »Und hier haben wir die Kirche. Die mußt’ dir unbedingt anschauen. Den Geistlichen nennen sie dort den ›Bergpfarrer‹, aber eigentlich heißt er Sebastian Trenker. Ein toller Mann! Der kennt sich in den Bergen aus wie kein anderer. Bernd und ich sind einige Male mit ihm aufgestiegen. Die Fotos sind in dem anderen Album. Du wirst begeistert sein, und wenn du Pfarrer Trenker kennenlernst, dann nimmt er dich bestimmt auch mal mit auf Tour.«

»Du redest, als wär’s schon beschlossene Sache, daß ich fahre«, meinte Johanna.

Sie war immer noch im Zweifel. Viel lieber wäre sie zu Hause geblieben und hätte sich unter ihrer Bettdecke verkrochen. Allerdings waren die Fotos wirklich wunderschön und regten das Fernweh an.

Pfarrer Trenker machte auf Anhieb einen sympathischen Eindruck und wie ein Geistlicher sah er überhaupt nicht aus. Jedenfalls nicht so, wie man sich für gewöhnlich einen Gottesmann vorstellte. Da hätte er schon eher ein Sportler oder prominenter Schauspieler sein können.

»Natürlich fährst du«, sagte Birgit bestimmt. »Was willst’ denn hier versauern?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Das hat der Kerl doch gar net verdient, daß du ihm nachtrauerst. Laß mich nur machen. Du sorgst dafür, daß das mit deinem Urlaub klappt, und ich kümmere mich dann darum, daß du ein Zimmer in der Pension Stubler bekommst.«

Gegen soviel Engagement konnte Jo Berger nicht an. Und so fuhr sie eine Woche später mit dem Auto nach St. Johann.

*

Sophie Tappert stand in der Küche des Pfarrhauses und war mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt, als Sebastian Trenker eintrat.

»Jetzt müssen s’ ja wohl bald kommen«, sagte die Haushälterin.

»Ja, mein Cousin hat eben angerufen. Sie sind sicher in München gelandet und jetzt schon auf dem Weg hierher. In einer knappen Stunde werden s’ da sein«, antwortete der Geistliche. »Ich wollt’ es Ihnen mitteilen, damit Sie sich’s mit dem Essen einrichten können.«

»Ist gut«, nickte Sophie Tappert und wandte sich wieder ihren Kochtöpfen zu.

Der Bergpfarrer ging in sein Arbeitszimmer zurück. Er war gerade dabei gewesen, die Post durchzusehen, als das Telefon klingelte. Es war Andreas, sein Cousin, der anrief. Gestern abend hatte er sich schon einmal aus Hamburg gemeldet und Bescheid gesagt, daß er und Marion Hellmann am nächsten Morgen aus der Hansestadt abfliegen würden. Die Möbel seiner Verlobten wären schon mit der Spedition unterwegs und würden in der Stadt zwischengelagert, bis sie ihr neu erworbenes Haus beziehen könnten.

»Jetzt verrat’ mir endlich, wo dieses Haus steht«, hatte Sebastian seinen Cousin aufgefordert.

Doch Andreas Trenker lachte nur.

»Nein, mein Lieber, das ist und bleibt eine Überraschung für euch alle. Bis morgen.«

Dann hatte er aufgelegt.

Sebastian erinnerte sich an ein anderes Telefonat, das er mit ihm geführt hatte. Schon damals war Andreas sich in dunklen Andeutungen ergangen.

Nachdem er aus Kanada zurückgekommen war, hatte er Marion Hellmann in Hamburg besucht, die er seinerzeit in seiner Wahlheimat kennen- und liebengelernt hatte. Die alten Gefühle flammten wieder auf, und die attraktive Hamburgerin, die für einen Verlag als Lektorin arbeitete, folgte dem Liebsten nach St. Johann.

Jetzt hielten sie sich in ihrer Heimatstadt auf, um den Umzug zu organisieren und den Wechsel ihres Arbeitsplatzes. Via Internet war es Marion möglich, weiter in ihrem Beruf zu arbeiten. Indes verzögerte sich die Rückkehr nach Bayern; im Verlag gab es einige kleinere Probleme, die erst aus dem Weg geräumt werden mußten. Dies war jetzt nach den Worten von Andreas Trenker geschehen.

Allerdings rätselte Sebastian immer noch, wo die beiden wohnen würden. Aus den Andeutungen seines Cousins war jedenfalls nicht zu entnehmen, welches Haus Marion und er gekauft hatten.

Der gute Hirte von St. Johann sortierte die Postsendungen aus, die augenscheinlich Reklamebriefe waren. Er ärgerte sich immer über die unsinnige Verschwendung von bedrucktem Papier, mit dem viele Leute glaubten, ihre Produkte unter die Menschen bringen zu müssen. Plötzlich jedoch stutzte er. Einen Brief hatte er schon auf den Stapel gelegt, der ungeöffnet in das Altpapier wandern würde. Doch dann nahm Sebastian den Umschlag wieder in die Hand und sah ihn sich genauer an.

Er entdeckte auf den ersten Blick, was ihn hatte stutzen lassen – es war der Firmenstempel, der neben der Briefmarke prangte.

»Pension Edelweiß« stand da in blauer Schrift.

Und der Brief war an den Geistlichen persönlich adressiert…

Sebastian öffnete ihn und zog eine Karte heraus. Es war eine Einladung zur Eröffnung der neuen Pension, die, wie die Inhaber hofften, zur Bereicherung des Tourismus in St. Johann beitragen werde.

Und dann gab es noch einen handschriftlichen Nachtrag: »Bitte bringen Sie Frau Sophie Tappert zur Eröffnungsfeier mit«.

Die feierliche Eröffnung sollte in drei Tagen stattfinden. Zwar freute sich Sebastian über diese nette Geste, aber er war auch ein wenig enttäuscht; die Besitzer hatten sich nicht namentlich bekannt gemacht. Als Unterschrift stand lediglich »Ihr Pension Edelweiß Team« auf der Karte.

Aber nun gut. Geduld war eine der Tugenden, die Pfarrer Trenker sich in frühester Jugend angeeignet hatte. Er würde also bis zum Donnerstag warten.

Die Haustür ging, und Max kam herein.

Der Bruder des Bergpfarrers, der in St. Johann als Polizist für Ruhe und Ordnung sorgte, war zwar seit geraumer Zeit verheiratet. Jedoch arbeitete seine Frau, Claudia, bei der Zeitung in Garmisch-Partenkirchen, und so war es dabei geblieben, daß Max zum Mittagessen immer noch ins Pfarrhaus kam.

Sebastian zeigte seinem Bruder die Einladung.

»Die haben wir auch bekommen. Allerdings wissen wir immer noch net, wer die Besitzer des Hauses sind«, meinte der Beamte.

Neben der Heimlichtuerei seines Cousins, war die Geschichte um die Pension Edelweiß eine weitere Angelegenheit, die den Geistlichen beschäftigte.

Das Haus und das Grundstück gehörten einer alten Dame, die es nach ihrem Tode einem Neffen vermachte, der in Frankfurt lebte. Ingo Gärtner hatte keine Verwendung dafür und übergab alles an einen Makler in München, der das schmucke Anwesen für ihn verkaufen sollte.

Wieder einmal hatte Markus Bruckner die Initiative ergriffen. Der Bürgermeister von St. Johann war immer auf der Suche nach irgendwelchen großspurigen Projekten, die das Bergdorf für den Tourismus noch anziehender machen sollten. Pfarrer Trenker hatte seine liebe Mühe, dafür zu sorgen, daß der Bruckner-Markus nicht über das Ziel hinausschoß. Als das besagte Grundstück nun zum Verkauf stand, schaltete der Bürgermeister einen Münchener Großgastronomen ein, der dort liebend gern ein Riesenhotel gebaut hätte. In letzter Minute kam jedoch ein anderer Käufer und erwarb alles – eben jene ominöse »Edelweiß GmbH«, von der niemand wußte, wer die Gesellschafter waren.

Sebastian zeigte auf den handschriftlichen Nachsatz, der sich auf seine Haushälterin bezog.

»Ich hab’ schon überlegt«, sagte er. »Irgendwie kommt mir die Schrift bekannt vor, aber ich weiß beim besten Willen net, wem ich sie zuordnen soll.«

Max sah sich die Karte an und zuckte die Schultern.

»Keine Ahnung«, meinte er und hob schnuppernd die Nase. »Wo bleiben denn uns’re Reisenden? Das Essen duftet, als müsse es schon fertig sein.«

»Es kann net mehr lang’ dauern«, erwiderte der Geistliche. »Bestimmt kommen s’ jeden Moment um die Ecke.«

Er sollte recht behalten; kaum fünf Minuten später ging die Tür des Pfarrhauses auf, und Marion Hellmann und Andreas Trenker traten ein.

*