Der Bergpfarrer 131 – Wir halten zusammen!

Der Bergpfarrer –131–

Wir halten zusammen!

Auch gegen den Rest der Welt

Roman von Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-411-0

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Das Hotel ›Zum Löwen‹ in St. Johann war aus einem einfachen Gasthof entstanden. Der Vater des jetzigen Inhabers, Sepp Reisinger, hatte vor über vierzig Jahren das Nachbargrundstück gekauft und angebaut. Durch Fleiß und Durchhaltevermögen war es der Familie gelungen, den Ruf des Hauses weit über die Grenzen des Dorfes hinausgelangen zu lassen. Das war in späteren Jahren vor allem auch Sepps Frau zu verdanken. Irma Reisinger war eine begnadete Köchin, die zwar in keinem Gourmetführer erwähnt wurde, sich dafür aber des Dankes ihrer zahlreichen Gäste sicher sein konnte.

Während in dem etwas vornehmer gehaltenen Restaurant die Hotelgäste und Auswärtige speisten, zogen die Dörfler es vor, in der urig eingerichtete Wirtsstube zu sitzen, wo sie ihren Feierabendschoppen genossen – oder den frühen, nach dem Kirchgang – und sich an den einfachen, aber köstlichen Regionalspezialitäten labten.

Auch an diesem Abend saßen die Bauern und Knechte beim Bier und unterhielten sich über Futterpreise und Tierkrankheiten, EU-Normen und Milchquoten, bevor es zum Abendessen wieder heim auf die Höfe ging.

Am Tisch gleich neben dem Tresen hatten zwei Männer Platz genommen. Der eine war um die sechzig und hatte einen fast kahlen Schädel. Seinem Leibesumfang sah man an, daß er gutes Essen zu schätzen wußte. Der andere war eher hager. Hubert Rütli hatte erst vor kurzem seinen achtundfünfzigsten Geburtstag gefeiert. Er hatte volles graues Haar und einen dicken Schnauzer, auf dem jedesmal wenn er getrunken hatte, Bierschaum zurückblieb. Gerade hatte er den Krug wieder abgesetzt und wischte sich über die Lippen.

»Also ist es abgemacht«, sagte er zu seinem Tischnachbarn, »dein Jüngster kriegt meine Tochter, und du leihst mir dafür die Fünfundzwanzigtausend. Später wird das dann alles mit dem Erbe des Madels verrechnet.«

Franz Großstetter zog bedächtig an seiner Zigarre und stieß den Rauch wie ein feuerspeiender Drache wieder aus. Sein Nachbar sah ihn irritiert an, als er nicht gleich antwortete.

»Was ist?« fragte der Rütlibauer. »Sicherer kannst’ dein Geld net anlegen. Dein Wolfgang hat doch schon lang’ ein Auge auf meine Tochter geworfen, und wenn die beiden erst verheiratet sind, dann wird er eines Tages Herr auf meinem Hof sein.«

Der andere Bauer kratzte sich am Ohr.

»Und was ist, wenn der ganze Laden vorher den Bach runtergeht?« fragte er. »Dann ist net nur dein Hof futsch, sondern mein Geld auch, und der Bub und ich gucken in die Röhre.«

Hubert Rütli schüttelte vehement den Kopf und beugte sich ein wenig vor. Die Gäste an den anderen Tischen sollten nicht unbedingt hören, was sie zu besprechen hatten.

»Das wird net gescheh’n«, versicherte er. »Ich hab’ dir doch gesagt, daß ich das Geld nur für einen momentanen Engpaß brauch’. Du weißt doch selbst, wieviel Pech ich im letzten Jahr hatte. Erst ist mir die Scheune abgebrannt, dann war die Ernte schlechter als erwartet, und mit der Schweinezucht war’s auch ein Reinfall. Ich kann doch nix dafür, daß die Preise für Ferkel plötzlich in den Keller runtergegangen sind!«

Mit der Ernte hattest’ wirklich Pech, dachte Franz Großstetter. Aber das hatten wir anderen Bauern auch. Bei der Scheune bist’ selbst schuld gewesen, hättest’ sie ja höher gegen Blitzschlag versichern können. Und vor der Schweinezucht hab’ ich dich gewarnt, aber da wolltest’ ja net auf mich hören; bei den Billigexporten aus Dänemark lohnt es sich einfach net, die Viecher selbst zu züchten. Dafür hast’ dir aber ein neues Auto gekauft. Ein großer Schlitten hat’s sein müssen, wo’s ein kleiner Wagen auch getan hätt’. Aber na gut, das geht mich ja nix an. Und jetzt willst’ mein Geld. Einen Teufel würd’ ich tun, dir was zu leihen – wenn da net mein Bub wär’, der, wie du schon richtig sagst, ein Auge auf die Angela geworfen hat. Nur deshalb bin ich einverstanden.

Indes hütete sich der Bauer, seine Gedanken verlauten zu lassen. Scheinbar gleichgültig sah er vor sich hin und paffte weiter an seiner Zigarre.

Sein Nachbar sah ihn ungeduldig an.

»Was ist jetzt, schlägst’ ein?«

Hubert Rütli hielt dem anderen die Hand hin. Endlich nickte Franz Großstetter.

»Unter einer Bedingung«, sagte er aber, bevor er einschlug. »Die Wiese, unterhalb vom Geißenstieg, die überläßt mir die nächsten fünf Jahre zur Ernte.«

Sein Gegenüber zuckte gleichgültig die Schultern.

»Von mir aus«, erwiderte er. »Ich kann ohnehin nix damit anfangen. Die paar Küh’ die ich noch hab’, steh’n auf der Weide genausogut, und fürs Heu reicht der Grund allemal.«

Er atmete erleichtert auf, als Franz ihm die Hand drückte.

»Du machst eine gute Investition in die Zukunft«, sagte er. »Dein Wolfgang wird dir für alle Zeiten dankbar sein.«

Rasch trank er seinen Krug leer und stand auf.

»So, ich muß heim«, verabschiedete er sich. »Die Burgl wird schon auf mich warten. Wegen dem Geld hör’ ich dann von dir. Aber laß mich net zu lang’ warten. Pfüat di, Franz.«

»Pfüat di, Hubert, und die Zeche geht auf mich«, erwiderte der Bauer.

Während sein Nachbar die Wirtsstube verließ, nahm Franz Großstetter einen Bierfilz und zog einen Stift aus der Jackentasche. Dann begann er mit kleinen Buchstaben und Zahlen aufzulisten und auszurechnen, was ihm das Geschäft mit dem bankrotten Rütlibauern eingebracht hatte. Immerhin sparte er an Wolfgangs Erbteil…

*

»Angela, wo bleibst’ denn? Der Vater kommt gleich, und das Essen steht noch net auf dem Tisch!«

Die Stimme der Bäuerin hallte weit über den Hof. Hinter der Scheune löste sich das Madel aus den Armen des Burschen, der es leidenschaftlich umschlungen hielt.

»Ich muß gehen«, sagte die Bauerntochter.

Sie gab dem jungen Mann einen hastigen Kuß auf den Mund.

»Aber heut’, auf’ d’ Nacht, seh’n wir uns, ja?« fragte Veit Brunner.

Angela Rütli blieb an der Ecke der Scheune stehen und schaute zurück.

»Aber erst, wenn die Eltern schlafen«, erwiderte sie und machte, daß sie ins Haus kam.

Der Knecht lehnte an der Scheunenwand und schaute über die Weide hinüber, bis zu den Bergen. Allerdings sah er die imposanten, schneebedeckten Gipfel des ›Himmelsspitz‹ und der ›Wintermaid‹ nicht wirklich. Vielmehr träumte er von dem Madel und den heißen Küssen, die sie bis eben noch getauscht hatten.

Im Haus angekommen mußte sich Angela den vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter gefallen lassen.

»Wo hast’ denn bloß wieder gesteckt?« fragte Burgl Rütli. »So lang’ kann das Melken bei den paar Viechern doch net dauern! Ich hab’ schon zweimal nach dir gerufen.«

»Veit und ich haben gleich noch hinter der Scheune aufgeräumt«, schwindelte die Tochter. »Ich hab’ dich net gleich gehört.«

»Los, beeil’ dich«, kommandierte die Mutter. »Du weißt’ doch, daß der Vater gleich sein Essen haben will.«

Schulterzuckend machte sich Angela an die Arbeit. Während sie Brot abschnitt, Wurst und Käse auf einen Teller legte und den Tisch deckte, dachte sie darüber nach, daß sie eben schon wieder gelogen hatte.

Eine Notlüge, gewiß, aber es ging ihr doch gegen den Strich, daß sie ihre Liebe zu Veit Brunner verheimlichen mußte!

Angela stellte noch rasch ein paar Tomaten und eingelegte Gurken dazu, als ihr Vater auch schon auf den Hof fuhr.

Hoffentlich hat er mal bessere Laune, dachte sie, in der letzten Zeit ist’s mit ihm ja net auszuhalten!

Der Bauer kam in die Küche. Hinter ihm trat der Knecht ein. Veit zwinkerte ihr zu, und Angela lächelte verstohlen zurück.

»Na, was gibt’s heut’ Abend denn Gutes?« fragte Hubert Rütli und rieb sich die Hände. »Hab’ ich einen Hunger!«

Seine Frau sah ihn verwundert an, die Tochter war genauso irritiert. Er strahlte über das ganze Gesicht, als hätte er einen Sechser im Lotto.

Sie setzten sich, und Angela reichte ihrem Vater den Brotkorb. Der nahm sich eine Scheibe und sah sie lächelnd an.

»Heut’ bleibst’ mal zu Haus’«, sagte er. »Ich hab’ was mit dir zu besprechen.«

Die hübsche Bauerntochter schrak unmerklich zusammen. Sie war gerade zweiundzwanzig Jahre alt, hatte ein niedliches Gesicht, das von langen dunklen Haaren umrahmt wurde. Ihre Gestalt war schlank und doch an den richtigen Stellen wohlproportioniert. Wenn Angela zusammen mit den Eltern auf den Tanzabend im Löwen ging, konnte sie sich vor Verehrern kaum retten.

Was wollte ihr Vater wohl besprechen? War er etwa dahintergekommen, daß Veit und sie…

Das konnte eigentlich nicht sein, dann hätte er gewiß net so eine gute Laune mit nach Hause gebracht!

Sie warf einen unsicheren Blick zu dem Knecht hinüber. Der aß sein Brot und schaute mit ausdrucksloser Miene vor sich hin.

»Worum geht’s denn?« wollte Burgl Rütli wissen.

»Später«, winkte ihr Mann ab und genehmigte sich einen großen Schluck Bier. »Aber ihr werdet euch freuen. Jetzt hat die Durststrecke endlich ein Ende!«

Er wandte sich an den Knecht, um mit Veit die Arbeiten für den nächsten Tag zu besprechen. Angela hörte nur mit halbem Ohr hin. In Gedanken beschäftigte sie sich immer noch mit der Frage, was der Vater wohl mit ihr zu bereden habe. Sie konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen.

Schade, dachte sie, dann kann ich Veit net gleich sehen.

Meistens trafen sie sich nach dem Abendessen ein gutes Stück hinter dem Hof. Dort begann der Bergwald, und in seinem dichten Gehölz waren sie vor den Blicken anderer geschützt. Aber es blieb ja noch die Zeit, wenn die Eltern schlafen gegangen waren…

*

Veit Brunner ging nach dem Abendessen gleich wieder hinaus. Von ›Willi‹, dem Hofhund, begleitet, schlenderte er zur Scheune und schaute nach dem Traktor. Auf einem Bauernhof gab es immer etwas zu tun, man mußte die Arbeit bloß suchen. Während er den Ölstand kontrollierte und mit dem Kompressor die Reifen aufpumpte, dachte er an den Tag zurück, an dem er und Angela sich das erste Mal geküßt hatten.

Vor etwas über einem Jahr war er auf den Rütlihof gekommen, nachdem der alte Knecht in Rente gegangen und zu seiner Schwester ins Dorf gezogen war. Anfangs hatte Veit in der Bauerntochter nur ein hübsches Madel gesehen. Vielleicht war er sogar ein bissel verliebt in sie gewesen, doch hätte er nicht im Traum daran gedacht, daß daraus einmal mehr werden würde.

Doch Angela war es, die den Anfang machte. Immer wieder suchte sie seine Nähe, auch wenn es gar nichts gab, woran sie zusammen arbeiteten. Vor zwei Monaten war es dann geschehen. Während die Tochter immer zusammen mit den Eltern nach St. Johann fuhr, wo die Familie den Tanzabend besuchte, nahm Veit seinen eigenen Wagen. Meistens blieb er nicht lange. Er stammte aus der Oberpfalz, nahe der tschechischen Grenze, und fühlte sich noch immer fremd im Wachnertal. Er hatte kaum Freunde, und wenn er sah, wie die anderen Knechte und Mägde sich vergnügten, dann fühlte er sich unter ihnen sehr einsam und zog es vor, bald wieder nach Hause zu fahren. Dabei hätte er es sicher nicht schwer gehabt, Anschluß zu finden. Er war ein großer, schlanker Mann, Mitte zwanzig, mit strohblondem Haar und blauen Augen. Wenn er lachte, dann bildeten sich auf seinen Wangen zwei Grübchen. Seine offene, unkomplizierte Art wirkte sofort sympathisch.

An dem bewußten Abend hatte Angela ihn zum Tanzen aufgefordert. Der Dirigent der Blaskapelle hatte Damenwahl ankündigt, als er sich gerade verabschieden wollte. Sie kam und ging zwar gemeinsam mit den Eltern, doch auf dem Saal ging sie ihre eigenen Wege und war lieber in Gesellschaft ihrer Freundinnen. Veit war sicher, ein recht dummes Gesicht zu haben, als Angela ihn einfach von seinem Stuhl hochzog und auf die Tanzfläche schleppte.

»Na, das hätt’ ich mal vorher wissen sollen, was für ein guter Tänzer du bist«, sagte sie, als sie sich in seinen Armen zum Takt eines Walzers drehte.

Dabei sah sie ihn mit seltsamem Blick an.

Veit wurde ganz anders zumute. Es war ein merkwürdiges Gefühl, die Tochter seines Bauern im Arm zu halten, ihre Nähe zu spüren, seine Hand auf ihre Schulter zu legen. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt dabei. Gewiß, daß sie eine Schönheit war, war ihm nicht entgangen, aber er hätte sich niemals eine Chance bei ihr ausgerechnet; er, der arme Knecht, der nichts hatte, außer seiner Arbeitskraft.

»Wo hast’ denn das gelernt?« wollte Angela wissen.

»Na ja«, zuckte er die Schultern, »wo man so was eben lernt.«

»Sehr gesprächig bist’ aber net«, stellte sie fest.

Auf dem Hof, während der Arbeit, war er ganz anders!