Der Bergpfarrer 134 – Ihr blieb nur die Erinnerung

Der Bergpfarrer –134–

Ihr blieb nur die Erinnerung

Eine junge Frau muss doch noch Träume haben

Roman von Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-485-1

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Maria Lechner stand auf dem Friedhof und betete am Grab ihrer Eltern. Wie jede Woche hatte sie frische Blumen gebracht und die Grünpflanzen ausgiebig gewässert, was bei den hochsommerlichen Temperaturen, die seit Tagen in St. Johann anhielten, ganz besonders nötig war.

Sebastian Trenker wartete, bis das junge Madel sein Gebet verrichtet hatte, dann trat er aus dem Schatten eines Baumes hervor und sprach es an.

»Grüß dich, Maria. Schön, dich mal wieder zu treffen. Wie geht’s auf dem Hof?«

»Danke, Hochwürden«, erwiderte sie und strich sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. »Es ist alles in Ordnung.«

Maria war zweiundzwanzig. Ein hübsches Madel mit schlanker, anmutiger Figur. Die Augen waren blau und konnten leuchten wie zwei Sterne. Dem Bergpfarrer war allerdings in letzter Zeit öfter aufgefallen, daß Maria eher traurig blickte. Vielleicht, hatte er überlegt, lag es immer noch daran, daß sie den Tod der Mutter nicht überwinden konnte.

Therese Lechner war vor einem halben Jahr den Weg alles irdischen gegangen, knapp zwei Jahre, nachdem ihr Mann verstorben war.

»Wirklich?« hakte Sebastian nach. »Du weißt doch, daß du immer zu mir kommen kannst, wenn du ein Problem hast?«

Sie lächelte und nickte. Dann zuckte sie plötzlich mit den Schultern.

»Na ja, früher war’s halt alles anders«, meinte sie. »Schöner eben…, friedlicher.«

Sebastian ahnte, was los war.

»Ärger mit deiner Schwägerin?« fragte er.

Maria nickte stumm. Dann plötzlich brach es aus ihr heraus.

»Ich weiß auch net, was sie immer hat. Nix kann ich ihr recht machen, an allem hat sie was auszusetzen!«

Johanna Lechner, geborene Oberhofer, war die Frau von Tobias, Marias Bruder. Er hatte nach dem Tod des Vaters den Hof übernommen, seine unverheiratete Schwester war als Magd geblieben. Vor einem dreiviertel Jahr hatte Tobias geheiratet. Als die Mutter noch lebte, hatte sich die Schwiegertochter zurückgehalten, doch seitdem sie die Rolle der Bäuerin übernommen hatte, zeigte Johanna ihr wahres Gesicht.

»Was sagt denn dein Bruder dazu?« erkundigte sich der Geistliche.

»Ach, der«, winkte Maria ab, »der steht doch bei der Johanna unterm Pantoffel und tut alles, was sie verlangt. Hilfe kann ich von Tobias net erwarten.«

»Vielleicht sollte ich mal bei euch vorbeischauen und mit den beiden reden«, schlug Sebastian vor.

»Besser net«, sie schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich fürcht’, dann wird alles nur noch ärger.«

»So ist’s aber auch kein Zustand«, beharrte der gute Hirte von St. Johann. »Solang’ du auf dem Hof deines Bruders lebst, wird sich nix daran ändern.«

Maria Lechner zuckte wieder die Schultern. Diesmal war es eine resignierende Geste.

»Dann werd’ ich’s wohl hinnehmen müssen«, sagte sie.

Sebastian wollte gerade etwas darauf erwidern, als sie erschrocken auf die Uhr schaute.

»Du liebe Güte«, rief Maria, »ich muß ja zurück. Wenn ich net rechtzeitig zum Melken da bin, hat Johanna wieder einen Grund zum Schimpfen. Entschuldigen S’, Hochwürden.«

Sie wartete keine Antwort ab, sondern ging eiligen Schrittes den Weg zum Türchen, das den Friedhof von dem Kiesweg trennte, der zur Kirche hinüber führte.

Pfarrer Trenker sah der jungen Frau hinterher.

Das ist doch kein Zustand, dachte er. Da muß was geschehen, und zwar schon bald!

Während der Geistliche zum Pfarrhaus ging, lief Maria den Weg hinunter zur Straße, wo ihr Auto stand. Die Eltern hatten ihr den Kleinwagen zum achtzehnten Geburtstag geschenkt; genau an diesem Tag hatte sie die Führerscheinprüfung bestanden. Hastig schloß sie auf und stieg ein. Als Maria am Hotel vorbeifuhr, dachte sie wieder an die Nacht vor zwei Jahren.

Dort hatte sie damals die glücklichsten Stunden ihres jungen Lebens verbracht.

»Ach, Florian«, seufzte sie leise und sah ganz deutlich das Bild des jungen Burschen vor sich.

Die braunen Augen, die dunklen, wuscheligen Haare, das markante Gesicht mit dem lausbubhaften Lächeln darin.

Ein ganzes Jahr lang war Maria sicher gewesen, daß er zurückkommen werde, der junge Bauzeichner aus München. Doch erst waren die Anrufe immer spärlicher geworden, dann blieben die Briefe aus, und irgendwann lebte Maria nur noch von den Erinnerungen.

Keinen anderen Burschen hatte sie seither an sich herangelassen. Auf den Tanzabenden, die sie immer noch besuchte, gab sie sich fröhlich und ausgelassen, doch wenn ein Mann mehr von ihr wollte, als nur einen Walzer oder Foxtrott, dann war sie verschlossen und ließ ihn rasch abblitzen.

Während sie an ihre verflossene Liebe dachte, bemerkte sie nicht den Wagen, der hinter ihr fuhr. Ein junger Mann saß darin. Er war Maria schon von der Kirche aus gefolgt. Ein sehnsuchtsvoller Ausdruck lag in seinen Augen. Erst als die junge Frau abbog, gab er die Verfolgung auf.

Mit klopfendem Herzen bog die junge Frau auf den Hof ein und atmete erleichtert auf, als Johannas Auto nicht an seinem gewohnten Platz stand.

»Glück gehabt!« murmelte sie, froh einer Standpauke noch einmal entronnen zu sein.

*

»Urlaubszeit ist die schönste Zeit…«, trällerte ein Schlagerduo im Radio.

»Wie wahr, wie wahr!« nickte der junge Bursche am Zeichentisch und reckte die Arme. »Und für mich hat sie grad begonnen.«

»Na, du hast ja gute Laune«, meinte einer der Kollegen, der mit ihm im Büro saß.

»Wie könnt’ es anders sein?« entgegnete Florian Gruber. »Seit genau dreißig Sekunden bin ich aller Fronarbeit ledig. Ich werde jetzt meine Sachen packen, und die Firma Lautermann wird mich vor Ablauf von drei Wochen nicht wieder zu Gesicht bekommen!«

Grinsend steckte er seinen Laptop in die Tasche und hängte sie sich um.

»Verehrte Kollegen«, wandte er sich an die beiden anderen, »ich wünsche euch eine schöne Zeit. Arbeitet recht viel, und vielleicht schreib’ ich euch auch eine Ansichtskarte, auf der ich euch von Sonne, Bergen und hübschen Madeln vorschwärme. Und ich bitt’ mir schon jetzt aus: Nur kein Neid!«

»Mach bloß, daß du rauskommst«, rief Andreas Winter und warf mit einem zusammengeknüllten Blatt Papier nach ihm.

»Worauf ihr euch verlassen könnt«, lachte Florian und ging zur Tür.

»Ich wünsch dir, daß es drei Wochen lang nur junge Hunde regnet«, rief Stefan Koch noch, ehe er hinaus war.

Florian warf lachend die Tür ins Schloß. Er wußte, daß es nicht ernst gemeint war. Die drei Männer waren ein Team, das prima zusammenarbeitete und sich auch ab und zu privat traf.

Während er durch die einzelnen Abteilungen der Firma Lautermann ging und sich verabschiedete, war er in Gedanken schon in St. Johann. Florian freute sich narrisch darauf, den Ort wiederzusehen. Eigentlich hatte er im letzten Jahr schon wieder hinfahren wollen, doch dann hatte es mit dem Urlaub nicht geklappt.

Das Büro, für das er arbeitete, hatte einen Großauftrag bekommen, und so war für ihn nicht mehr als hin und wieder ein verlängertes Wochenende drin gewesen – an dem er meistens auch noch zu Hause gesessen und gearbeitet hatte.

Florian wohnte in einem Mehrfamilienhaus am Rande der bayerischen Landeshauptstadt. Drei Zimmer, Küche und Bad besaß die Wohnung, und einen großen Balkon.

Die Koffer waren schon gepackt.

In diesem Jahr hatte er rechtzeitig das Zimmer reservieren können. Vor zwei Jahren war er durch einen glücklichen Umstand in der Pension Stubler gelandet, nachdem er einfach auf gut Glück losgefahren war, ohne sich vorher um eine Unterkunft zu kümmern. Indes hatte er auch nicht mit dem Ansturm von Urlaubsgästen gerechnet. St. Johann war nicht gerade das, was man eine Touristenhochburg nennen konnte, und doch strahlte der kleine Ort einen ganz besonderen Charme aus. Es gab kaum Neubauten, keinerlei Anzeichen von irgendwelchem Schnickschnack, mit dem andere Urlaubs­orte versuchten, die Massen anzulocken. Wenn er es genau nahm, dann gab es in St. Johann eigentlich nur wenige ›Attraktionen‹, die auf ihn warteten. Dazu gehörten zum einen der famose Geistliche des Dorfes. Mit Pfarrer Trenker hatte er zweimal herrliche Wanderungen unternommen.

Das andere Ereignis war der samstägliche Tanzabend im Lö­wen, zu dem Junge wie Alte aus dem ganzen Wachnertal zusammenkamen.

Bei dem Gedanken an die schönen Stunden, die er auf dem Saal des Hotels verbracht hatte, fiel ihm auch wieder ein, was er lange Zeit verdrängt hatte…

Damals war Florian sicher gewesen, daß es für ihn keine andere Frau auf der ganzen Welt mehr geben könne als Maria. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, und die Trennung fiel beiden schwer. Nur zu gut erinnerte er sich an die Tränen, die sie geweint hatte, als er gefahren war.

»Ich komme wieder«, versprach er.

Doch was war aus diesem Versprechen geworden?

Zuerst hatten sie oft und lange telefoniert, und mindestens einmal in der Woche war ein Brief von München nach St. Johann gegangen und umgekehrt. Doch mit der Zeit und dem Abstand schlief es irgendwie ein. Manchmal, wenn er daran dachte, meldete sich sein Gewissen, doch Florian versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, daß Maria ihn längst vergessen habe. Bestimmt gab es inzwischen einen anderen Mann in ihrem Leben.

Ein Blick auf die Uhr – kurz nach zehn. Zeit, schlafen zu gehen. Morgen wollte er in aller Herr­gotts­frühe los. Nicht eine Stunde von seiner kostbaren Urlaubszeit wollte er verschenken und jeden Tag genießen.

*

»Grüß dich, Toni«, sagte Sebastian zu dem jungen Arzt.

Es war Dienstagabend, Stammtischzeit, und wann immer der Bergpfarrer es einrichten konnte, ging er ins Wirtshaus hinüber. Hier erfuhr er, was es Neues auf den Höfen gab, wer mit wem Probleme hatte, oder es wurde über Politik gesprochen – immer ein wichtiges Thema in St. Johann. Als jetzt der Doktor hereinkam, saßen neben dem Geistlichen auch Ignaz Herrnbacher, der Kaufmann des Ortes, Bäckermeister Terzing und Max Trenker an dem runden Tisch.

»Grüß Gott, zusammen«, erwiderte Toni Wiesinger und ließ sich auf den freien Stuhl neben Sebastian fallen.

»Wie schaust du denn aus?« fragte Max verwundert. »Völlig abgearbeitet. Grassiert etwa ein Virus im Tal?«

Der Arzt winkte ab.

»Wenn’s nur das wär’«, meinte er. »Viel schlimmer könnt’s in der Praxis net aussehen.«

Sepp Reisinger kam an den Tisch und brachte das Bier, das er unaufgefordert eingeschenkt hatte, als der Arzt hereingekommen war. Neugierig geworden, blieb er stehen und hörte zu.

»Ich weiß wirklich net, was los ist«, erklärte Toni achselzuckend. Seit einer Woche rennen mir die Patienten die Praxis ein. Allerdings net die aus uns’rem Ort, sondern aus Waldeck und Engelsbach.«

»Wie bitte?«

Sebastian schüttelte den Kopf.

»Das versteh’ ich net«, setzte er hinzu. »Der Thomas hat doch die Praxis längst eröffnet.«

»Eben, und die ersten Monate lief auch alles ganz wunderbar«, nickte der Doktor. »Aber jetzt ist alles so wie früher. Ich hab’ schon versucht, den Kollegen zu erreichen, aber es läuft nur der Anrufbeantworter, und die Ansage lautet, daß die Praxis vorübergehend geschlossen ist.«

Sebastian war entsetzt. Thomas Hochleitner war ein junger begnadeter Internist, der in einer ­Münchner Privatklinik gearbeitet hatte. Als ihm eines Tages ein Patient unter den Händen wegstarb, gab Thomas seinen Beruf auf und mietete eine alte Sennerhütte, die längst nicht mehr in Betrieb war. Der Bergpfarrer machte die Bekanntschaft des Arztes und konnte ihn nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen überreden, doch wieder zu praktizieren. Indes waren es nicht nur Sebastians Überredungskünste, die bewirkten, daß Thomas wieder als Arzt arbeiten wollte, sondern auch die Tatsache, daß er ein junges Madel kennengelernt hatte, das er heiraten wollte. Auch wenn er als Senn ein paar erste Erfolge vorweisen konnte, so war es doch nicht das Leben, das er seiner Auserwählten bieten wollte.

Daß Thomas jetzt so sang- und klanglos seine Praxis wieder geschlossen hatte, konnte der Geistliche überhaupt nicht verstehen.

»Ich bin morgen ohnehin in Waldeck«, sagte er. »Auf jeden Fall werd’ ich ihm einen Besuch abstatten.«