Der Bergpfarrer 135 – Der falsche Stolz der Brandner-Maria

Der Bergpfarrer –135–

Der falsche Stolz der Brandner-Maria

Kopf oder Herz - was wird siegen?

Roman von Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-515-5

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»Na los, nun geh schon!« rief die junge Frau und gab der widerspenstigen Kuh einen Klaps.

Das Tier muhte und stapfte schließlich doch durch das Gatter auf die Weide hinaus.

Maria-Katharina Brandner wischte sich über die Stirn und schloß das Gatter wieder.

Einen Moment blieb sie stehen, holte tief Luft und wandte sich um.

»Störrisches Viech«, murmelte die Bäuerin, während sie über den Hof ging.

»Hat sie wieder net gehorchen wollen?« fragte Anna Sonnenthaler lächelnd.

Die Magd saß auf der Bank vor dem Haus, eine Schüssel auf dem Schoß, und putzte Gemüse für das Mittagessen.

»Wenn sie so weitermacht, laß ich sie schlachten«, drohte Maria augenzwinkernd.

»Das wirst’ ganz bestimmt net machen«, entgegnete die ältere Frau. »Schließlich ist die Lisa die beste Milchkuh weit und breit.«

Sie rutschte ein wenig beiseite, um der Bäuerin Platz zu machen, die sich mit einem Seufzer auf die Bank sinken ließ.

»Ich fahr’ nachher ins Dorf«, sagte sie. »Der Wagen muß durchgesehen werden, bevor er nächste Woche zum TÜV muß. Hoffentlich gibt’s da keine Schwierigkeiten. Ein neues Auto könnt’ ich mir jetzt net leisten.«

Die Magd nickte.

»Allerdings hat er schon einige Jahre auf dem Buckel«, meinte sie und deutete mit dem Kopf zur Scheune hinüber, unter deren Vordach ein alter Mercedes stand.

»Ich weiß noch, wie der Vater vom Thomas ihn gekauft hat. Schon damals war er gebraucht gewesen. Früher oder später wirst’ ihn ohnehin abschaffen müssen.«

Die Bäuerin fuhr sich über das Gesicht.

»Hoffen wir mal, daß es noch mal gutgeht«, meinte sie. »Aber, wenn ich schon mal fahr’, brauchst’ noch was aus St. Johann?«

Anna überlegte kurz.

»Ich glaub’ net. Aber bevor du fährst, könntest vielleicht noch erst beim Arbeitsamt anrufen. Du weißt schon, wegen dem Knecht. Es ist net mehr lang’ bis zur Ernte. Da sind die guten Leute alle schon anderweitig beschäftigt.«

»Du hast recht«, stimmte Maria zu. »Am besten mach ich das gleich.«

Sie ging ins Haus, und die Magd widmete sich wieder dem Gemüse. Dabei schaute sie eher nachdenklich vor sich hin, als daß sie die Möhre im Auge hatte, die sie gerade in der Hand hielt.

Es ist net recht, überlegte sie, daß so eine junge Frau ganz allein die Verantwortung für den Hof hat. Die Maria sollte wieder heiraten. Aber anschneiden darf ich das Thema ja net; davon will sie nix hören. Aber denkt sie denn, ich weiß net, wie’s in ihr aussieht? Glaubt sie, ich hör’s net, wenn sie nachts weint, weil sie net schlafen kann vor lauter Trauer um den Thomas?

Anna schnitt die Möhre in Stücke und holte ein Taschentuch hervor, mit dem sie die Tränen abwischte, die ihr unwillkürlich in die Augen getreten waren.

Nein, was war wirklich net gerecht, was die Maria durchlitt!

Sie hörte die Haustür klappen und zwang sich, ihre traurige Miene zu überspielen. Maria-Katharina Brandner machte indes ein eher betrübtes Gesicht.

»Der Herr Burgmann konnt’ mir leider keine großen Hoffnungen machen«, erzählte sie. »Es gibt noch zahlreiche and’re Höfe, auf denen Knechte und Mägde gebraucht werden.«

»Vielleicht kann der Georg noch mal einspringen«, sagte die Magd.

Maria schüttelte sofort den Kopf.

»Auf gar keinen Fall«, erwiderte sie. »Der kommt mir net mehr auf den Hof!«

»Ja, Himmel noch mal, was willst’ denn eigentlich?« rief Anna Sonnenthaler. »Bloß weil er dir schöne Augen gemacht hat…«

»Na, herzlichen Dank, für die schönen Augen. Auf so einen kann ich gern’ verzichten. Wenn ich einen Mann brauche, dann zum Arbeiten und für nix and’res!«

Die Worte waren so vehement hervorgestoßen worden, daß die Magd lieber schwieg, obwohl sie der jungen Bäuerin am liebsten gesagt hätte, daß es endlich an der Zeit war, den falschen Stolz abzulegen. Und die Trauer um den verstorbenen Mann. Zweieinhalb Jahre war es jetzt her, daß man Thomas Brandner zu Grabe getragen hatte. Jetzt mußte Maria einfach nach vorne schauen und einen Neuanfang wagen.

Doch wie sollte man es ihr sagen?

Immer wenn Anna das Thema anschnitt, wurde Maria ungehalten, und die Magd fragte sich, ob sie es überhaupt noch mal erleben würde, daß die Bäuerin einem anderen Mann ihr Herz schenkte.

Dabei hätte sie es ganz bestimmt nicht schwer, jemanden zu finden, so hübsch, wie sie war. Gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt, groß und schlank, mit kastanienbraunen Haaren und dunklen glutvollen Augen. Die Lippen waren voll und sinnlich und verlockten dazu, geküßt zu werden, doch seit Thomas’ Tod hatte niemand mehr sie berührt.

Maria sah auf die Uhr.

»Ich fahre noch mal zum Wald hinauf«, erklärte sie und stand auf. »Der Winkler hat angefragt, ob ich ihm Holz liefern kann. Mal sehen, was sich da machen läßt.«

»Ist gut«, nickte Anna. »Wenn du zurückkommst, ist das Essen fertig.«

Sie stand ebenfalls auf und ging ins Haus, während die junge Bäuerin zur Scheune hinüberging und auf den Traktor stieg. Der Anlasser gab ein so merkwürdiges Geräusch von sich, daß es sie durchzuckte.

»Bitte net«, bat Maria. »Halt’ noch ein Weilchen durch.«

Wenn der Traktor jetzt ausfiel, dann konnte sie zusehen, woher sie einen neuen bekam. Einen ›gebrauchten‹ Neuen natürlich, aber selbst der war schon teuer genug.

Sie betätigte noch einmal den Anlasser, und zu ihrer Erleichterung sprang der Motor an.

Während Maria-Katharina vom Hof fuhr, dachte sie mit Trauer daran, daß Thomas solche Dinge selbst erledigt hatte. Reparaturen am Auto oder an den landwirtschaftlichen Geräten waren ein Leichtes für ihn gewesen. Doch Thomas war nicht mehr, und sie mußte alleine zurechtkommen.

*

Hans Wohlinger kratzte sich nachdenklich am Kopf.

»Tja, Brandner-Bäuerin«, sagte er mit bedauerndem Blick, »ich fürcht’, das wird net ganz billig.«

Er deutete auf das Auto, das Maria in die Werkstatt gefahren hatte. Es stand auf der Hebebühne, und der Meister hatte eine erste Durchsicht vorgenommen.

»Vorne müssen die beiden Bremsschläuche ausgewechselt werden«, erklärte er. »Die Stoßdämpfer sind hinüber, der Auspuff hängt nur noch an einer Schraube, und hier unten, da muß geschweißt werden.«

Maria holte tief Luft.

»Und mit wieviel muß ich rechnen?« fragte sie ängstlich.

»Tja, wenn ich’s mal grob überschlagen soll… so an die dreihundert Euro mußt’ schon rechnen. Da ist dann aber der Arbeitslohn schon mit drin.«

Die Bäuerin stöhnte. Allerdings blieb ihr nichts anderes übrig, als zustimmend zu nicken.

»Was soll’s«, sagte sie. »Der Wagen muß noch mal durch den TÜV. Für einen neuen fehlt im Moment einfach das Geld.«

Hans Wohlinger lächelte zuversichtlich.

»Also, wenn ich ihn fertig hab’, dann kannst’ sicher sein, daß er die Abnahme schafft«, beteuerte er. »Am besten läßt ihn gleich hier. Übermorgen kommt der Prüfer, dann ist das alles gleich ein Abwasch. Solang’ bekommst’ von mir den Kombi da drüben.«

»Danke, Hans«, lächelte Maria. »Ich wüßt’ net, was ich ohne deine Hilfe machen sollte.«

»Schon gut«, wehrte der Kfz-Meister ab.

»Ich geh’ noch erst zum Friedhof und hol’ den Wagen dann später.«

»Ist recht.«

Sie verabschiedete sich und verließ die Werkstatt. Zuvor hatte sie einen Blumenstrauß aus ihrem Auto genommen, den sie nach dem Mittagessen im Garten gepflückt hatte.

Bis zur Kirche waren es nur ein paar Schritte, und als Maria am Grab ihres Mannes stand, war da wieder dieses lähmende Gefühl.

Zum ersten Mal hatte sie es verspürt, als Thomas nicht pünktlich nach Hause gekommen war. Er hatte einen Termin beim Steuerberater und war in die Stadt gefahren. Als der Nachmittag verstrich, ohne daß er sich gemeldet hätte, überfiel Maria eine Ahnung, es müsse etwas passiert sein. Kurz darauf kam Max Trenker auf den Hof gefahren, in Begleitung seines Bruders…

Maria wußte sofort, daß ihre Vorahnung sich bestätigt hatte, als sie den Geistlichen sah.

Ein Verkehrsunfall, man hatte noch den Notarzt alarmiert, doch Thomas Brandner lebte nur noch kurze Zeit und verstarb noch am Unfallort.

Pfarrer Trenker schloß die Bäuerin in seine Arme, ohne etwas zu sagen. Und Maria war für dieses Schweigen dankbar gewesen, denn in diesem Moment hätte kein noch so behutsam gesprochenes Wort sie trösten können.

Als sie vor der Grabstelle stand, in der auch ihre Schwiegereltern lagen, von denen sie allerdings nur Thomas’ Vater noch kennengelernt hatte, stiegen ihr wieder Tränen in die Augen, und es dauerte eine Weile, ehe sie versiegten.

Sie wechselte die Blumen in der Vase, hielt stumme Zwiesprache mit ihrem verstorbenen Mann, so wie sie es immer tat, wenn sie hier war, und wandte sich zum Gehen.

Vom Pfarrhaus aus, das auf der anderen Zaunseite stand, winkte der Geistliche herüber. Maria ging zu ihm.

»Grüß dich«, sagte Sebastian. »Wie geht’s auf dem Hof? Hast’ schon einen neuen Knecht eingestellt?«

»Ich hab’ heut’ morgen beim Arbeitsamt angerufen«, erzählte sie, nachdem sie versichert hatte, daß auf dem Hof alles zum besten stünde, und daß sie und Anne gesund seien. »Leider gibt’s da im Moment niemanden, der vermittelt werden könnte. Der Herr Burgmann konnt’ mir auch keine großen Hoffnungen machen.«

»Na ja, ein bissel Zeit ist ja noch«, meinte der Bergpfarrer. »Und wenn alle Stricke reißen, du weißt ja, daß ich mit anpacke.«

»Vielen Dank, Hochwürden«, lächelte Maria. »Allerdings hoffe ich, daß ich net auf Ihr Angebot zurückgreifen muß.«

Sie unterhielten sich ein paar Minuten über dieses und jenes, bevor die Bäuerin sich auf den Weg zur Werkstatt machte, um dann nach Hause zu fahren.

Sebastian ging auf die Terrasse des Pfarrhauses zurück und setzte sich nachdenklich auf seinen Stuhl.

Er bewunderte Maria Brandner, die ihr Schicksal so wunderbar meisterte. Dabei hatte er damals, als das Unglück geschah, schon geglaubt, sie würde den Hof verkaufen und fortgehen wollen. Leicht hatte sie es nie gehabt. Vor fast sechs Jahren hatte sie als Magd auf dem Brandnerhof angefangen. Thomas, der erst kurz zuvor den Hof vom Vater übernommen hatte, verliebte sich in sie und heiratete Maria Poldinger, wie sie da noch hieß, gegen den Willen seiner Verwandten. Die Brandners waren weit verzweigt, und im Wachnertal gab es allein vier Familien dieses Namens, die alle miteinander verwandt waren. Thomas’ Vater hätte es gerne gesehen, wenn sein Sohn seine Cousine geheiratet hätte; die Tochter seines älteren Bruders. Doch Thomas setzte seinen Kopf durch, mit dem Ergebnis, daß die gesamte Verwandtschaft der Hochzeit fernblieb.

Was ansonsten als ein schlechtes Omen gewertet wurde, erfüllte sich indes nicht. Das junge Paar war glücklich, und selbst der alte Bauer hatte sich damit abgefunden, daß sie von nun an von der ganzen übrigen Familie geschnitten wurden.

Sebastian erinnerte sich noch gut an den Tag, an dem das Unglück geschah. Max hatte ihn sofort verständigt, als er an den Unfallort gekommen war. Der gute Hirte von St. Johann kam gerade noch rechtzeitig, um dem Sterbenden die letzten Sakramente zu erteilen. Dann waren die Brüder gemeinsam zum Brandnerhof gefahren, um Maria die schreckliche Nachricht zu überbringen und ihr beizustehen.

Zweieinhalb Jahre war es jetzt her, und doch kam es Sebastian vor, als wäre es erst gestern geschehen. Immer wieder war er zum Hof gefahren, hatte Trost gespendet und geholfen, wo immer er konnte. Von der Verwandtschaft konnte die Witwe keine Hilfe erwarten. Den Bergpfarrer hätte es nicht gewundert, wenn die Familien sogar der Beerdigung ferngeblieben wären. Das taten sie zwar nicht, aber die fehlende Anteilnahme war deutlich zu spüren gewesen.

Als das Telefon klingelte, stand der Geistliche auf und ging selbst an den Apparat. Sophie Tappert war zu Besuch bei einer Freundin.

Vielleicht, dachte er, während er den Hörer abnahm, findet die Maria eines Tags einen Mann, mit dem sie wieder glücklich werden kann.

Wünschen würde er es ihr jedenfalls.

*

Andreas Trenker begrüßte den Mann mit einem freundlichen Lächeln.

»Herzlich willkommen in der Pension ›Edelweiß‹. Graf Hohenberg nehme ich an?«

Der Gast nickte. Er war etwa fünfzig Jahre alt, groß und von schlanker Gestalt. Dazu hatte er ein geradezu aristokratisch geschnittenes Gesicht. Das dunkle Haar wurde an den Schläfen bereits ein wenig grau, was der eleganten Erscheinung allerdings keinen Abbruch tat. Der Anzug, den der Mann trug, war gewiß nicht von der Stange gekauft, wie der Pensionsinhaber feststellte. Ebenso waren Schuhe und Sommermantel bestimmt auch maßgefertigt.