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Marie Louise Fischer

Traumtänzer

Roman

hockebooks

Am Abend aßen sie gemütlich im »Europa-Stüberl«. Danach gingen sie zum Tanz. An einem Mittwochabend außerhalb der Ferienzeit vergnügten sich zu den Klängen einer Combo vorwiegend einheimische Jugendliche und Studenten. Monika und Oliver fühlten sich mit ihnen jung. Aber es zog sie schon bald in ihr Hotelzimmer zurück. Sie hatten sich fast eine Woche nicht mehr geliebt, und jetzt, von jedem Druck befreit, entflammte ihre Leidenschaft wie nie zuvor.

Den nächsten Tag blieben sie in Innsbruck, weil ihnen die Stadt so gut gefiel. Sie schlenderten durch die Altstadt, bewunderten das »Goldene Dachl«, wie es sich für Touristen gehörte. In einem »Beisel« mit niedriger Holzbalkendecke aßen sie Tiroler Speck und tranken Rotwein dazu. Am Nachmittag fuhren sie zur »Hungerburg« hinauf und ließen sich die Sonne auf die Nase scheinen.

Am nächsten Morgen starteten sie früh mit dem Ziel Bozen. Ihre Tage verliefen fast immer nach dem gleichen Schema: tagsüber spazieren gehen, wandern oder bergsteigen, ein kleines Mittagessen, viel Obst, manchmal ins Kino, abends groß ausgehen und tanzen, danach miteinander ins Bett. Es war eine wunderschöne und unbeschwerte Zeit. Doch je näher der Tag der Heimreise rückte, desto mehr sank Olivers gute Laune.

Als sie am Sonntagmittag wieder in Innsbruck eintrafen, flehte er Monika geradezu an: »Bitte, mein Herz, lass uns noch etwas bleiben! Wir haben so vieles noch nicht getan! Wir könnten schwimmen gehen, eislaufen …«

»Du weißt, dass es nicht möglich ist.«

»Nein, das weiß ich nicht. Ich sehe es nicht ein.«

»Du hast einen Beruf, Oliver, eine feste Stellung! Wir brauchen dein Gehalt, Marias Pension fällt jetzt fort …«

»Das macht doch nichts!«

»Bitte, Oliver, bitte! Sei vernünftig!«

»Ich will nicht.«

»Überleg mal, was deine Mutter dazu gesagt hätte!«

Sein Gesicht verdüsterte sich. »Sie hat mir nichts mehr zu sagen.«

»Dafür aber ich. Ich bin deine Frau, Oliver, und ich weiß, was für uns beide gut ist. Wir müssen nach München zurück, und du musst morgen wieder bei ›Arnold und Corf‹ erscheinen.«

Er gab nach, aber nicht aus Einsicht, sondern weil er sich gezwungen sah. Auf der Rückfahrt nahmen sie die Autobahn.

Monika hatte die Idee, die große Wohnung aufzugeben, denn die Miete erschien ihr sehr hoch. Aber als sie die Mietangebote in den Tageszeitungen studierte, stellte sie fest, dass in München wesentlich kleinere Wohnungen auch nicht entscheidend billiger waren. Das Haus, in dem sie lebten, gehörte einem alten Herrn, der sich wenig darum kümmerte, aber auch die Mieten seit Jahren nicht mehr erhöht hatte. Da Monika wusste, wie sehr Oliver an seinem Flügel hing, den er anderswo kaum hätte unterbringen können, ließ sie den Plan wieder fallen.

Sie wünschte sich ein Kind. Aber sie musste einsehen, dass dies finanziell nicht möglich war. Sobald ihre Arbeitslosenunterstützung fortfiel, und das würde in absehbarer Zeit geschehen, würden sie sehr knausern müssen, um zu zweien über die Runden zu kommen. Deshalb sprach sie erst gar nicht darüber. Es war unbedingt nötig, dass sie eine neue Stellung fand. Aber das erwies sich als sehr schwierig. Auf Dutzende von Bewerbungen mit ihrem ausgezeichneten Zeugnis und ihrem Lebenslauf bekam sie nur Absagen. Sie verstand es nicht.

Ein einziges Mal wurde sie zu einem Vorstellungsgespräch gebeten. Eine Dame aus der Personalabteilung unterhielt sich sehr freundlich mit ihr. Monika war aufgeregt, ließ es sich aber so wenig wie möglich anmerken. Sie spürte, dass sie einen guten Eindruck machte, wusste auch, dass sie in dem grauen Jackenkleid, das sie sich für den Friedhof gekauft hatte, sehr gut aussah. Aber sie merkte auch, dass die mütterliche Dame auf der anderen Seite des Schreibtischs zögerte, eine Entscheidung zu treffen.

»Frau Baron«, sagte sie endlich, »natürlich sind Sie für den ausgeschriebenen Posten durchaus qualifiziert …«

»Aber?«

»Ich hätte Sie gar nicht kommen lassen sollen. Es tut mir leid, wenn ich eine falsche Hoffnung erweckt habe.«

»Sie nehmen mich nicht?«

»Ich werde es Sie in den nächsten Tagen wissen lassen.«

Monika begriff, dass sie damit entlassen war, wollte aber nicht so schnell aufgeben. »Bitte«, sagte sie, »bitte, erklären Sie mir doch ganz offen, was mit mir nicht stimmt! Ich bekomme am laufenden Meter Absagen. Was mache ich falsch?«

»Gar nichts. Es ist nicht Ihr Fehler.«

»Liegt es daran, dass ich ein paar Monate ausgesetzt habe? Aber die Krankheit meiner Schwiegermutter war ein Notfall!«

»Ganz sicher. Daraus wird Ihnen niemand einen Vorwurf machen, im Gegenteil, es spricht für Sie. Ich will jetzt mal ganz ehrlich sein: Es bestehen gewisse Bedenken, weil Sie so jung verheiratet sind.«

»Wieso?«, fragte Monika und kam sich dumm vor.

»Da entsteht die Vermutung, dass Sie … nun ja, ob gewollt oder ungewollt, in andere Umstände kommen könnten.«

»Daran ist gar nicht zu denken! Wir könnten uns ein Kind überhaupt nicht leisten!«

»Das sollten Sie in Zukunft vielleicht ganz deutlich in Ihrem Lebenslauf hervorheben. Aber da ist noch etwas anderes. Ihr Mann ist Programmierer, da muss er doch ganz gut verdienen, jedenfalls ausreichend für Sie beide.«

»Nur sehr knapp.«

»Aber immerhin, Sie kommen über die Runden. Ich habe Anweisung von oben, Bewerberinnen zu bevorzugen, die die Arbeit wirklich nötig haben. Ich halte das auch für sozial gerechter.«

»Aber ich brauche die Stellung!«

»Nicht so sehr wie andere.«

Monika erhob sich. »Jedenfalls danke ich Ihnen, dass Sie so offen mit mir gesprochen haben.« Sie rang sich ein Lächeln ab. »Dass Sie mich überhaupt empfangen haben. Das ist wesentlich mehr als einer dieser trockenen Absagebriefe nach Schema F.«

Sie war wirklich dankbar. Jetzt wusste sie wenigstens, wo die Schwierigkeiten lagen. Sie würde in Zukunft ihre Bewerbungen anders abfassen, wenn sie sich auch nicht entschließen konnte, die Tatsache, dass sie verheiratet war, einfach unter den Tisch fallen zu lassen.

Oliver fand es nicht wichtig, ob sie eine Stellung fand oder nicht. Vorläufig hatten sie ja noch genug Geld. Später würde sich schon alles finden.

Vorläufig hatte Monika auch noch genug im Haus zu tun. Jetzt, da Marias Schlafzimmer leer stand, wollte sie es für sich und Oliver nutzen. Es war groß und bequem und lag unmittelbar neben dem Bad. Aber sie mochte ihm auch nicht zumuten, in einen Raum zu ziehen, der ganz von seiner Mutter geprägt war. Wenn Maria auch rücksichtsvoll genug gewesen war, in einem Hotelzimmer zu sterben, erinnerte doch alles sehr stark an sie und an ihr Ende.

»Wärst du damit einverstanden, wenn ich die Möbel weggäbe?«, hatte sie ihn eines Morgens beim Frühstück gefragt, tatsächlich völlig unsicher, wie er sich zu ihrem Vorschlag verhalten würde; sie hielt es auch für möglich, dass er an diesen Dingen hing.

»Wer will das alte Gerümpel schon haben?«

»Sag das nicht! Das Bett, der Schrank und die Kommode sind tadellos, der Sessel müsste bloß neu gepolstert werden. Nur der Frisiertisch ist einigermaßen überholt. Aber vielleicht findet sich auch für den eine Liebhaberin.«

»Willst du etwa eine Auktion veranstalten?«

»Viel einfacher. Du weißt doch, dass ein Mann von der Diakonie ihre Kleider, ihre Wäsche und all das abgeholt hat. Der hat mich gefragt, ob ich die Möbel auch loshaben möchte. Die Diakonie würde sie mit Kusshand nehmen. Sie haben ein Lager dafür.«

»Und wie viel zahlen sie?«

»Nichts. Sie besorgen den Abtransport.«

»Ist das nicht ein bisschen wenig?«

»Eben hast du noch gesagt, es wäre ein altes Geraffel!«

»Mach es, wie du willst. Ich merke schon, du bist fest entschlossen.«

»Wenn du nicht einverstanden bist …«, sagte sie rasch.

»Aber ja doch. Meinen Segen hast du.«

Also hatte sie die Diakonie angerufen, und wenige Tage später war das Schlafzimmer leer gewesen. Jetzt erst wurde deutlich, in welch schlechtem Zustand sich die Tapeten befanden. Der Boden bestand, wie in den meisten Räumen, aus schönem alten Parkett. Er musste nur abgezogen werden, aber die Wände brauchten einen Anstrich oder neue Tapeten.

»Das hast du nun davon«, war Olivers Kommentar gewesen, als er den Schaden sah.

»Nun sei doch nicht so! Wir können es ja selber machen!«, hatte Monika gesagt.

Zuerst war er begeistert gewesen, hatte die Wände ausgemessen und mit ihr zusammen Tapeten ausgesucht. Aber schon dabei war ihm die Lust vergangen. Die Vielfalt der Muster verwirrte ihn, und keines entsprach seinen Vorstellungen.

»Dann streichen wir eben«, hatte Monika gesagt. »Das kannst du selber machen.«

Monika hatte schon kommen sehen, dass die ganze Arbeit an ihr allein hängen bleiben würde. Aber da war Sven eingesprungen. Er, der tagsüber nichts zu tun hatte, als für seine Abendschule zu lernen, hatte mit Vergnügen geholfen. Unentwegt werkelten sie zusammen. Sie strichen nicht nur die Wände in einem gedeckten Weiß, sondern auch die Decke, was besonders schwierig war wegen der Stuckaturen. Sven besserte sie sogar mit Gips sehr sorgfältig aus. Sie schmirgelten die Fensterrahmen ab und strichen sie mit Ölfarbe. Den Parkettboden zogen sie ab und bohnerten ihn.

»Du machst das alles fabelhaft!«, sagte sie einmal, dankbar und bewundernd. »Warum bist du eigentlich nicht Handwerker geworden?«

Er zog eine Grimasse. »Mein Vater glaubt, ich sei zu Höherem geboren. Wenn man zu den feinen Leuten gehört, lebt man nicht von der Hände Arbeit.«

»Armer Sven! Ich bin sicher, es würde dir mehr Spaß machen als die Schule.«

»Worauf du wetten kannst.«

Da Monika nicht ihre letzten Geldreserven für neue Möbel ausgeben wollte, war ihr die Idee gekommen, sich nun ihrerseits im Lager der Diakonie umzusehen. Zusammen mit Sven durchstöberte sie die Räume, fand auch wirklich ein sehr schönes französisches Bett mit guter Matratze, in dem man zu zweit bequem schlafen konnte.

»Warum hat jemand das nur fortgegeben?«, fragte sie erstaunt.

»Vielleicht war’s ein Pärchen, das sich zerstritten hat«, meinte Sven grinsend.

Nachttische gab es in großer Auswahl, und sie suchten zwei heraus, die am besten zu dem Superbett passten. Sie erstanden noch einen kleinen Sessel und einen Stuhl, auf den Oliver und sie abends ihre Kleider ablegen konnten, und einen Schrank, den sie – nun schon geübt – abbeizen wollten. Die ganze Einrichtung kostete nicht mehr als zweihundert Mark, und der Transport war umsonst. Die modernen Lampen, Glas mit Messing gefasst, waren teurer als die übrige Einrichtung. Zusätzlich musste sie noch zwei überbreite Laken erstehen, aber das war dann auch schon alles. Um den Raum gemütlicher zu machen, legte Monika einen Teppich aus dem Wohnzimmer hinein.

Oliver war begeistert. Er wollte Poster besorgen, aber ihr gefielen die weiß gestrichenen Wände so, wie sie waren. Auch er gewöhnte sich daran.

Monika hatte sich angestrengt, das Schlafzimmer so rasch wie möglich umzugestalten. Aber als es fertig war, fehlten ihr die Arbeit und auch das Beisammensein mit Sven. Jetzt blieben ihr nur noch der Haushalt und die Bewerbungsschreiben, die sie mit nie erlahmender Hoffnung verschickte. Sie war froh, als ihre Schwester zu Besuch kam.

Gabriele hatte inzwischen ihr Abitur bestanden, mit einer guten Note, die aber nicht gut genug war, ihr ein Studium in den Numerus-clausus-Fächern zu ermöglichen. Deshalb hatte sie sich entschlossen, Rechtswissenschaft zu studieren, ungeachtet dessen, dass sie als fertige Juristin kaum Chancen auf eine Anstellung haben würde. Jetzt war sie auf Zimmersuche.

Monika quartierte sie in dem ehemaligen Schlafzimmer ein. Sie und Oliver hatten sich entschlossen, sein Bett dort stehen zu lassen, damit er dort übernachten konnte, wenn er einmal spät nach Hause kommen sollte und sie nicht stören wollte.

Gabrieles Suche nach einem Zimmer erwies sich als ebenso schwierig wie Monikas Bemühen um eine Stellung. Sie trösteten und ermutigten sich gegenseitig und hatten sich viel zu erzählen. Auch Oliver empfand die Anwesenheit der Schwägerin anregend. Manchmal spielten sie zusammen Skat. Freitagabend gingen sie zusammen aus. Dann waren Sven, Tilo oder Helmut mit von der Partie. Gabriele verstand sich gut mit Olivers Freunden.

Eines Tages sagte sie: »Du, ich bin wirklich gerne hier bei euch!«

Die Schwestern standen zusammen in der Küche, um eine warme Mahlzeit für den Abend vorzubereiten.

»Wir vertragen uns jetzt besser als früher, nicht wahr?«, entgegnete Monika.

»Stimmt auffallend! Wenn ich gar kein Zimmer finde, könnte ich dann nicht einfach bei euch wohnen bleiben?«

Spontan wollte Monika zusagen, besann sich dann doch anders. Die Schwester für ein paar Wochen zu Besuch zu haben, das war gut und schön. Aber wenn Gabriele sich hier einnistete, würde sie, Monika, nie mehr einen Abend mit ihrem Mann allein sein. »Ich weiß nicht recht«, sagte sie, »wenn ich erst eine Stellung habe …«

»Umso besser! Dann ist es für dich doch eine Erleichterung, wenn ich einen Teil der Hausarbeit übernehme. Ich könnte zum Beispiel abends für euch kochen.«

Monika lächelte sie an. »Klingt sehr verlockend. Ich werde drüber nachdenken.«

»Ich würde natürlich Miete zahlen und meinen Anteil am Haushalt. Das Geld könnt ihr doch sicher brauchen.«

»Ja, schon. Aber du müsstest doch auch lernen. Du brauchtest einen Schreibtisch und …«

»Ich würde mir das Wohnzimmer einrichten!«, erklärte Gabriele. »Sieh mal, die Wohnung ist für euch zwei sowieso viel zu groß. Wir halten uns doch meist in Olivers Zimmer auf. Das Wohnzimmer braucht ihr überhaupt nicht.«

»Das hast du dir also alles schon fix und fertig in deinem kleinen Kopf zurechtgelegt!«, sagte Monika und verbarg nicht, dass sie irritiert war.

»Hast du was dagegen?«

»Nur insofern es immer noch Olivers und meine Wohnung ist.«

»Er ist bestimmt damit einverstanden!«

»Hast du schon mit ihm gesprochen?«

»Nein«, behauptete Gabriele. Monika war nicht sicher, dass sie sich an die Wahrheit hielt. »Ich werd’s mir überlegen«, sagte sie. »Versprechen kann ich dir nichts.«

Je länger sie über Gabrieles Vorschlag nachdachte, desto mehr freundete sie sich mit ihm an. Die Schwester war ein Teil ihrer verlorenen Heimat, und wenn sie bei ihr in München wohnen blieb, wäre das eine gute Lösung für einen Teil ihrer Probleme. Sie zögerte eigentlich nur noch, weil Gabriele sie zu sehr bedrängte.

Endlich aber versprach sie: »Heute Abend werde ich mit Oliver darüber reden!«

Aber dazu sollte es nicht kommen.

Oliver war sehr vergnügt, ja, geradezu aufgekratzt. »Hm, das duftet ja!«, rief er, als er die Wohnung betrat. »Hoffentlich ist noch eine Flasche Sekt im Eisschrank!«

Monika war ihm entgegengelaufen und küsste ihn. »Haben wir! Nach dem Essen …«

Er ließ sie nicht aussprechen. »Nein, jetzt!«

Gabriele kam mit der Flasche und einem Küchentuch. »Gibt es was zu feiern?«, fragte sie.

»Wie man es nimmt!« Er nahm der Schwägerin Tuch und Flasche aus der Hand. »Rasch ein Glas!«

Monika hatte den Verdacht, dass er schon von Gabrieles Plan wüsste und dass sie überfahren werden sollte. Das passte ihr gar nicht. Dennoch lief sie ins Wohnzimmer und holte drei Gläser aus dem Schrank. Die anderen kamen ihr nach.

»Was gibt’s denn?«, fragte Gabriele. »Erzähl schon, Oliver! Mach’s nicht so spannend!«

»Erst der Sekt!« Geschickt öffnete er die Flasche, fing den Korken auf, der mit einem dumpfen Plopp aus dem Hals fuhr, und schenkte die perlende Flüssigkeit ein. »Stoßen wir an, Kinder!«

Sie taten es und tranken. »Ab heute«, verkündete er vergnügt, »bin ich ein freier Mann!«

Monika erschrak bis ins Herz hinein. »Du hast doch nicht etwa gekündigt?«

»Wo denkst du hin, mein Herz! Ich bin doch nicht deppert. Nein, ich habe mich feuern lassen.«

»Oh, mein Gott!« Monika ließ sich auf den nächsten Stuhl sinken.

»Was hast du angestellt, Oliver?«, fragte Gabriele.

»Gar nichts. Ich habe ein paar Fehler gemacht, zugegeben, aber es waren lächerliche Fehler. So was kann jedem passieren.«

»Aber das kann doch kein Kündigungsgrund sein!«

Oliver grinste. »Vielleicht war ich nicht reumütig genug. Aber ich hatte es ehrlich satt, mich dauernd anmotzen zu lassen.« Er wandte sich seiner Frau zu. »Monika, mein Herz, was machst du für ein Gesicht? Warum freust du dich nicht mit mir!«

»Jetzt sind wir beide arbeitslos«, sagte sie dumpf.

»Also passt’s doch! Wir können was zusammen unternehmen. Eine Reise irgendwohin. Du weißt, wie viel Spaß wir immer haben, wenn wir zusammen unterwegs sind.«

»Und ich passe so lange auf die Wohnung auf!«, rief Gabriele.

»Mir scheint, ihr seid beide verrückt geworden«, erklärte Monika mit tonloser Stimme.

»Ich weiß gar nicht, was du hast!«, behauptete Oliver. »Kannst du dir nicht vorstellen, wie froh ich bin, endlich diesen elenden Job loszuhaben?«

»Nein.«

»Du weißt nicht, was es heißt, Stunde um Stunde auf so einen blöden Bildschirm zu starren!«

»Du willst also deinen Beruf überhaupt aufgeben?«

»Keine Ahnung. Das muss ich ja auch jetzt noch nicht entscheiden. Erst mach’ ich mal eine Weile Urlaub und erhole mich. Vielleicht drängt es mich danach ja geradezu wieder in die Arbeit.«

»Das glaube ich nicht.«

Er lachte. »Du kennst mich also doch einigermaßen.«

»Oliver, bitte!« Monika stellte das Glas, an dem sie kaum genippt hatte, auf den Tisch.

Gabriele sah einen Streit herankommen und rief: »Ich muss mich um das Essen kümmern!« und lief aus dem Zimmer.

»Trag’s mit Fassung!«, sagte Oliver. »Es ist ja nicht zu ändern. Es wird mir wirklich guttun, ein paar Wochen zu Hause zu bleiben. Wenn du darauf bestehst, werde ich mich sofort um eine neue Stellung kümmern.«

»Das wäre mir sehr lieb.«

»Komm, sei nicht so! Lach ein bisschen! Du tust gerade so, als wär’s eine Tragödie, dass ich meinen Arbeitsplatz verloren habe.«

»So kommt es mir auch vor.«

»Ach was! Deswegen müssen wir doch nicht verhungern.«

»Aber wir können die Wohnung nicht halten.«

»Unsinn. Ich kriege ganz schnell Arbeit, du wirst sehen. Aber erst mal verreisen wir, ja?«

»Nein.«

»Sei kein Spielverderber!«

»Das ist kein Spiel mehr, Oliver, es ist bitterer Ernst. Selbst wenn ich es wollte, ich könnte nicht. Ich habe nicht die Nerven, mich in einer solchen Situation zu amüsieren.«

»Und ich habe dich immer für eine starke Person gehalten, für einen Fels in der Brandung sozusagen.«

»Dann hast du dich in mir getäuscht.«

»Scheint mir auch so«, sagte er schmollend.

»Sei jetzt nicht beleidigt«, bat sie, »ich verstehe ja deinen Standpunkt, aber du siehst die Dinge nicht, wie sie sind.«

»Im Gegensatz zu dir!«

»Ja, Oliver. Ich habe über hundert Bewerbungen abgeschickt, und nur Absagen bekommen. Du machst dir keinen Begriff, wie das ist.«

»Und du hast keine Ahnung, wie es ist, wenn man sich acht Stunden und mehr am Tag mit diesen seelenlosen elektronischen Mistdingern abplagen muss. Ich kann mich genauso wenig verstellen wie du. Ich bin froh, dass ich die Computer vom Hals habe.« Als er ihr Gesicht sah, fügte er einschränkend hinzu: »Wenigstens für eine Weile.«

»Aber das ist dein Beruf! Warum hast du dir den denn gewählt?«

»Weil Mutter es so wollte.« Er zog eine Grimasse. »Sie fand, dass es das Richtige für meine geschickten Finger wäre.«

Sie stand auf und nahm ihn in die Arme. »Armer Oliver!«, sagte sie. Er tat ihr leid, und sie liebte ihn.

»Lass uns verreisen! Wenigstens für eine Woche.«

»Nein«, sagte sie seufzend, »ich muss mich jetzt noch energischer um eine Stellung bemühen.«

Beim Essen waren Gabriele und Oliver dann vergnügt, ja, aufgekratzt; beide hatten ein volles Glas Sekt fast in einem Zug heruntergegossen und tranken weiter. Monika war sehr still.

Gabriele stieß sie unter dem Tisch an. »Hör mal, Oliver«, rief sie, »Monika hat dir auch etwas Interessantes zu erzählen!«

Jäh wurde Monika aus ihren Gedanken gerissen. »Nein!«, sagte sie scharf.

»Wieso nicht? Du hattest mir doch versprochen …«

»Jetzt ist alles anders.«

»Das versteh’ ich nicht. Ihr braucht das Geld doch jetzt noch nötiger.«

»Ich höre immer Geld!«, sagte Oliver. »Wollt ihr mir nicht, bitte, erklären …«

»Nein«, sagte Monika wieder, »es hat sich erledigt.«

»Du kannst wirklich ganz schön dickköpfig sein«, sagte Gabriele enttäuscht.

»Ja, das kann sie«, stimmte Oliver ihr zu.

Monika funkelte die Schwester an. »Und du hast kein Gespür für das, was sich gehört!«

»Ich ahne nicht einmal, auf was du hinauswillst.«

»Dann bist du einfach dumm. Trotz deines viel gepriesenen Abiturs.«

Oliver spielte den Vermittler. »Nun zankt euch nicht«, sagte er gutmütig, »lasst uns doch fröhlich sein! Nachher musizieren wir zusammen, ja? Meint ihr, dass ihr zweistimmig singen könnt?«

Es wurde doch noch ein sehr vergnüglicher Abend. Oliver riss Monika mit seinem Charme aus ihren düsteren Gedanken, und Gabriele kam nicht wieder auf ihr Anliegen zurück.

Aber als das junge Ehepaar dann allein in seinem Schlafzimmer war, fragte Oliver: »Worüber habt ihr euch eigentlich gestritten? Ich bin da nicht ganz mitgekommen.« Er lag schon im Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sah zu, wie sie sich auszog.

»Ach, das ist nicht von Belang«, erklärte sie ausweichend.

»Eurem Ton nach aber doch! Willst du es mir nicht erzählen?«

»Warum soll ich ein Geheimnis daraus machen?« Monika schlüpfte zu ihm unter die Decke. »Gaby möchte bei uns wohnen.«

»Aber das tut sie doch schon.«

»Für immer«, erklärte Monika, »während ihres ganzen Studiums. Sie möchte sich das Wohnzimmer einrichten.«

»Gar keine dumme Idee.«

»Das habe ich anfangs auch gedacht. Da wusste ich noch nicht, dass du deine Stellung verlieren würdest.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Glaubst du, ich könnte arbeiten … ich könnte mich auch nur um Arbeit bemühen, wenn ich wüsste, dass ihr beide hier zusammen seid?«

Er beugte sich über sie und sah ihr lächelnd in die Augen. »Eifersüchtig?«

»Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren.«

»Das wird nie geschehen. Niemals.«

»Ich kenne Gaby zu gut. Sie würde nicht davor zurückschrecken, sich an dich heranzumachen.«

»Aber ich mach mir doch gar nichts aus ihr.«

»Oh, ihr beide flirtet ganz schön.«

»Nur zum Spaß.«

»Mag sein. Aber ich möchte euch nicht miteinander allein lassen. Ich finde das einfach nicht richtig.«

»Meine kleine Spießerin«, sagte er zärtlich.

»Du hast gewusst, wie ich bin.«

»Und genau so gefällst du mir. Aber es ist dumm von dir, auf Gabriele eifersüchtig zu sein … ausgerechnet auf Gaby! Die kann dir doch nicht das Wasser reichen!«

»Bitte, lass es nicht zu, Oliver! Bitte!«

»Natürlich nicht.« Er legte die Arme um sie und zog sie an sich. »Nie werde ich etwas zulassen, was dir Schmerzen bereitet, auch wenn sie nur aus deiner Einbildung kommen. Gleich morgen werde ich sie fragen, wann sie denn endlich Leine ziehen will.«

»Das wird ihr gar nicht gefallen.«

»Ist mir ganz egal. Hauptsache, du bist wieder glücklich.«

Sie küssten und sie liebten sich, und sie vergaß ihre Sorgen, wenigstens für eine Weile.

Ein paar Tage später erschien Sven und erklärte Monika, die ihm die Tür öffnete: »Es ist alles geregelt. Ich werde bei euch einziehen, wenn’s recht ist.«

»Wie kommst du darauf?«

»Wie schon. Oliver hat mir von Gabys Plan mit dem Wohnzimmer erzählt …«

»Er hat sich über mich lustig gemacht!«

»Deine Eifersucht hat ihm geschmeichelt. Was hattest du denn erwartet? Nun, ich habe mir die Sache durch den Kopf gehen lassen und mit meinem Vater gesprochen. Ich hätte längst von zu Hause wegziehen sollen, und das ist nun die Gelegenheit. Was sagst du dazu?«

»Wenn du mir versprichst, dass ihr euch kein allzu gutes Leben macht …«

»Wie meinst du das?«

»Das weißt du ganz gut. Ich möchte, dass er sich wieder Arbeit sucht.«

»Aber das ist doch selbstverständlich.«

»Hoffentlich.«

Gegen Svens Einzug konnte Monika nicht gut etwas einwenden. Dennoch hatte sie Bedenken, ob der Freund, der selber den lieben langen Tag herumhing, die richtige Gesellschaft für Oliver war. Andererseits war es auch gut für sie zu wissen, dass ihr Mann nicht allein sein würde, wenn sie endlich Arbeit gefunden hatte.

Natürlich freute Gabriele sich über diese unerwartete Entwicklung nicht. Sie spielte ein paar Tage die Beleidigte, während Sven sich mithilfe von Monika und Beratung von Oliver einrichtete. Sie selber zog aber erst aus, als das Semester schon begonnen und sie eine Kommilitonin kennengelernt hatte, die bereit war, sie bei sich aufzunehmen. Bis dahin lebten die vier jungen Leute ziemlich einträchtig zusammen und machten sich so viel Spaß wie möglich. Dass Monika nicht so vergnügt war wie die anderen, störte niemanden. Man hatte sie als schwerfällig und pessimistisch eingestuft, und so kam sie sich auch selber vor.

Unentwegt studierte sie Stellenangebote und verfasste Bewerbungen. Jedes Mal, wenn sie schreiben musste: »Mein Mann ist arbeitslos«, tat es ihr weh. Andererseits hoffte sie, dass dieser magische Satz ihr doch irgendwann eine Tür öffnen würde. Tatsächlich kam es jetzt auch öfters zu Vorstellungsgesprächen, aber es klappte dann doch nie.

Sie war schon nahe daran, sich als »Junge, freundliche Dame zur Unterhaltung der Gäste« in einer Bar zu bewerben, denn die wurden ständig gesucht, schreckte aber doch noch davor zurück. Ihre Herkunft und ihre Erziehung sprachen dagegen, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass sie Talent zu einem solchen Job haben würde. Aber sie war bereit, von ihren eigenen Berufsvorstellungen abzugehen und etwas ganz anderes zu versuchen. Sie stellte sich in einem Geschäft für Kleidermoden in der Theatinerstraße vor. Die Chefin, eine Frau Stadler, nahm sich Zeit für eine Unterhaltung.

»Ich habe zwar keine Lehre als Verkäuferin«, erklärte Monika, »aber ich bin sicher, ich könnte es lernen! Ich brauche eine Arbeit!«

»Das glaube ich Ihnen. Aber vor allem brauchen Sie wohl Geld, und als Hilfsverkäuferin ohne Ausbildung könnte ich Ihnen nur sehr wenig zahlen.«

»Das ist natürlich schlecht. Aber es wäre doch wenigstens ein Anfang.«

»Anfang von was? Das würde zu nichts führen.«

»Können Sie mir denn gar nicht helfen?«

»Würden Sie auch eine Arbeit nehmen, die mit vielen Überstunden verbunden ist?«

»Aber ja! Warum denn nicht?«

»Sie sind jung verheiratet …«

»Hätte ich gewusst, dass es mir so sehr schaden würde, hätte ich es nicht getan!«, sagte Monika impulsiv und erschrak über sich selber. »Nein, das stimmt nicht«, verbesserte sie sich, »ich liebe meinen Mann, und ich bin nicht dazu erzogen, mit jemandem ohne Trauschein zusammenzuleben. Nur habe ich nicht geahnt, dass ich dadurch solche Schwierigkeiten haben würde.«

»Es würde Ihnen nichts ausmachen, ihn oft allein lassen zu müssen?«

»Doch«, gab Monika zu, »schon. Aber auf meine Gefühle kommt es ja nicht an.«

»Da irren Sie sich. Es ist ein Unterschied, ob jemand ungern bei der Arbeit ist und dauernd auf die Uhr schielt, oder mit Lust und Liebe dabei ist.«

»Ich habe immer gern gearbeitet, und jetzt, wo ich so lange aussetzen musste, sehne ich mich geradezu danach.«

»Sie machen mir doch nichts vor?«

»Nein«, sagte Monika und hielt Frau Stadlers prüfendem Blick stand, »bestimmt nicht.«

»Ich kenne vielleicht jemanden, der Sie brauchen könnte. Aber wenn ich Sie jetzt empfehle … es fällt auf mich zurück, falls Sie versagen.«

»Ich werde Sie nicht enttäuschen.«

»Kennen Sie die ›Ziller-Moden‹?«

Monika erinnerte sich, große Anzeigen von »Ziller-Moden« für Kostüme, Jackenkleider, Mäntel und auch Kleider gesehen zu haben. »Nur dem Namen nach.«

»Hartmut Ziller, der Chef, sagte mir gestern, dass er dringend eine tüchtige und attraktive Kraft für sein Büro sucht. Sie könnten die Richtige sein.« Frau Stadler griff zum Telefon und ließ sich mit dem Chef der »Ziller-Moden« verbinden.

Monika saß da, ohne sich zu rühren, und lauschte mit angehaltenem Atem.

Nach dem üblichen Begrüßungszeremoniell hörte sie Frau Stadler sagen: »Nein, Hart, tut mir leid, es geht um keine Nachbestellung! Ich werde froh sein, wenn ich eure teuren Stücke los bin! Ich rufe aus einem anderen Grund an: Suchst du immer noch eine Sekretärin? Ja? Vor mir sitzt eine sehr attraktive junge Dame, die … wie alt?«

»Neunzehn Jahre«, sagte Monika.

»Neunzehn«, wiederholte Frau Stadler, »du wolltest doch was Junges! Sehr gute Zeugnisse.« Sie lauschte eine Weile. »Ja, gut, ich schick’ sie los. Nichts zu danken. Hoffentlich wird was draus. Ich melde mich wieder.« Sie legte den Hörer auf. »Er will Sie sehen. Jetzt gleich. Berg am Laim, Neumarkter Straße, nicht zu verfehlen. Am besten nehmen Sie ein Taxi. Haben Sie das Fahrgeld?«

»Ja, natürlich.« Monika schoss es durch den Kopf, dass sie sich nach diesem Vorstellungsgespräch mit Oliver im »Café Arzmiller« verabredet hatte. »Ich danke Ihnen so sehr!«

»Für mich wäre es schön, wenn ich Ihnen und Hartmut Ziller geholfen hätte! Der nächste Taxistand ist gleich gegenüber.«

Monika hatte daran gedacht, zum Taxistand am Odeonsplatz zu laufen. Dann hätte sie ins »Arzmiller« hineinspringen und Oliver Bescheid sagen können. Aber sie folgte dann doch dem Hinweis von Frau Stadler. Um nichts in der Welt wollte sie ihre Chance, und wenn sie auch noch so klein war, aufs Spiel setzen.

Das Gebäude der »Ziller-Moden« war ein riesiger, ganz schmuckloser grauer Kasten, tatsächlich unübersehbar, denn er war namentlich zweimal gekennzeichnet: einmal mit einem Messingschild neben dem Eingang und ein zweites Mal mit Neonbuchstaben auf dem Dach. Im Erdgeschoss links war eine Pförtnerloge, ringsum verglast. Eine Schranke versperrte die Einfahrt in den Hof.

Der Pförtner war auffallend jung. Wahrscheinlich, dachte Monika, ein Invalide. Obwohl er sehr freundlich war, machte er Schwierigkeiten, sie in das Haus zu lassen oder sie auch nur anzumelden. Niemand hatte ihn informiert, dass sie erwartet wurde. Endlich brachte sie ihn dazu, sich mit dem Chefsekretariat in Verbindung zu setzen.

»Ihr Name?«

»Monika Baron. Sagen Sie, bitte, Frau Stadler hat mich empfohlen. Sie hat vor etwa zwanzig Minuten selber mit Herrn Ziller gesprochen!«

Der Pförtner wiederholte am Haustelefon, was Monika ihm erklärt hatte. Dann endlich betätigte er den Türöffner. »Siebter Stock. Sekretariat. Erste Tür links.«

Es gab keine Empfangshalle, sondern der Eingangsraum war nur gerade so groß, dass er gegenüber der Haustür für zwei Glastüren Platz hatte, die offensichtlich zu Gängen parallel der Straße führten. Dazwischen lagen zwei Aufzüge, von denen nur einer bis zur Chefetage hochfuhr. Monika drückte auf den Knopf. Die Tür des Aufzugs öffnete sich. Monika stieg ein. Ihr Herz klopfte heftig, als er nach oben fuhr.

Sie bereute, während der Taxifahrt nicht in den Spiegel geschaut zu haben. Sie hatte sich das lange Haar im Nacken hochgesteckt und tastete danach, weil sie sich jetzt zerzaust fühlte. Aber alles schien in Ordnung. Es war ein kühler, herbstlicher Tag, und sie trug einen Regenmantel über einem marineblauen Kleid mit weißen Applikationen, dazu blaue, hochhackige Pumps.

Als sie an die Tür zum Sekretariat klopfte, bekam sie sofort Antwort und trat ein. Beim Anblick des Büros gewann sie sofort Sicherheit. Der Raum war größer und heller als ihr Büro bei »Stuffer Fenster und Türen«, aber sonst war alles fast so, wie sie es gewohnt war. Es gab einen Computer mit Drucker, ein Kopiergerät, und es war anzunehmen, dass auch die Schreibmaschine elektronisch funktionierte.

»Grüß Gott«, sagte sie, »ich bin Monika Baron.«

»Hatte ich mir fast gedacht.« Die junge Frau, die am Schreibtisch gesessen und Ausdrucke des Computers geprüft hatte, stand auf, und es wurde offensichtlich, dass sie schwanger war. »Ich bin Helene Briegel.« Sie musterte Monika mit kühlem, abschätzendem Blick. »Reichlich jung«, sagte sie.

»Älter wird man ganz von selber.«

»Auch wieder wahr. Bitte, denken Sie nicht, dass ich etwas gegen Sie habe. Ich werde froh sein, wenn der Chef endlich Ersatz für mich hat.« Sie nahm einen Kleiderbügel aus einem schmalen Garderobenschrank. »Na, dann legen Sie mal ab!«

Monika hängte ihren Regenmantel auf. »Wie sehe ich aus?«

»Hundejung. Ich sagte es schon.« Helene Briegel war über dreißig, und die Schwangerschaft schien ihr nicht zu bekommen; ihr braunes Haar war strähnig und ihr Gesicht gedunsen.

Sie drückte auf den Knopf der Sprechanlage. »Das Mädchen, das Frau Stadler empfohlen hat!« Dann wandte sie sich an Monika. »Sie sollen reinkommen«, sagte sie mit einer Bewegung des Kinns zu einer gepolsterten Tür und setzte sich wieder.

Das Chefbüro war ein Eckraum mit zwei großen Fenstern, die den Blick über die Stadt freigaben. Es war sehr sachlich, aber eindrucksvoll mit Stahlrohrmöbeln aus den Dreißigerjahren eingerichtet. Auch der Schreibtisch war aus Stahl.

Hartmut Ziller legte ein Mikrofon aus der Hand, als Monika eintrat, und blickte ihr mit leicht zusammengekniffenen Augen entgegen. Aber die Skepsis verschwand sofort aus seinem Blick, und Monika spürte, dass sie ihm gefiel.

»Setzen Sie sich noch nicht«, sagte er nach der Begrüßung, »lassen Sie sich erst mal ansehen. Was für eine Kleidergröße tragen Sie?«

»Achtunddreißig.«

»Habe ich mir gedacht. Über einssiebzig groß?«

»Einssechsundsiebzig.«

»Wären Sie bereit, auch als Hausmannequin zu arbeiten?«

Obwohl Monika sich nur schwer vorstellen konnte, was er damit meinte, sagte sie: »Ja.«

»Das ist sehr gut!« Hartmut Ziller lehnte sich in seinem Sessel zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen.

Monika wagte den Sprung ins kalte Wasser. »Eines muss ich Ihnen gleich sagen: Ich bin verheiratet. Aber ich habe nicht vor, in den nächsten Jahren ein Kind zu bekommen, und meine Ehe wird mich auch nicht daran hindern, Überstunden zu machen, wenn es erforderlich ist. Mein Mann ist arbeitslos, und er ist durchaus imstande, sich selber zu versorgen.«

»Warum haben Sie ihn dann geheiratet?«

»Aus Liebe«, erklärte Monika schlicht.

»Das sollte aber doch heutzutage kein Grund sein …«

»Für uns war es einer.«

»Na ja«, sagte er, mit einem Lächeln, das schwer zu deuten war, amüsiert und zynisch zugleich. Hartmut Ziller war ein sehr eleganter Mann, das musste er in seinem Beruf auch wohl sein, breitschultrig, mit einem kantigen Kopf, glattem braunem Haar, einer kräftigen Nase und einem Grübchen im Kinn. Auf eine sehr männliche Weise sah er gut aus.

Monika erzählte ihren Werdegang, zog ihre Papiere aus der Handtasche und reichte sie ihm über den Tisch. Endlich forderte er sie auf, sich zu setzen, und während er ihre Zeugnisse überflog, erzählte sie ihm, warum sie so lange ausgesetzt hatte.

»Eine kranke Schwiegermutter«, sagte er, »sehr ergreifend, und jetzt müssen Sie also arbeiten, um Ihren Mann zu ernähren.«

»Das habe ich von Anfang an gewollt«, erklärte Monika und schluckte ihren Ärger.

»Wann«, fragte er, »könnten Sie denn anfangen?«

»Natürlich sofort.«

»Noch heute?«

Monika dachte an Oliver, der wahrscheinlich noch immer im »Café Arzmiller« auf sie wartete, aber sie sagte: »Ja.«

»Dann soll Frau Briegel Sie mal unter die Lupe nehmen. Es ist ein Versuch. Angestellt sind Sie damit noch nicht.«

Monika arbeitete den ganzen Nachmittag mit voller Konzentration. Es stellte sich heraus, dass sie den Anforderungen einer Chefsekretärin bei »Ziller-Moden« durchaus gewachsen war. Mit dem Computer kam sie sogar besser zurecht als Frau Briegel, die sich mit der neuen Technik nie hatte wirklich anfreunden können. Die Firma hatte eine Herstellung im Haus, eine andere in Bielefeld, deren Bestände auch über den Computer abgerufen werden konnten. Monika begeisterte sich daran.

Die Arbeiter und Angestellten wurden von einem Computer in der Personalabteilung erfasst. Anders als bei »Stuffer Fenster und Türen« hatte Monika damit nichts zu tun.

Sie nahm ein Diktat in Steno auf und übertrug es auf die Schreibmaschine, wozu Frau Briegel ihr sagte, dass das in der Praxis selten vorkam, da der Chef lieber auf Band diktierte. Auch davon lieferte sie eine Probe, und es gelang ihr sehr gut, nachdem sie sich an die Aussprache Zillers gewöhnt hatte.

Es bedrückte sie, dass Oliver nicht ahnen konnte, wo sie geblieben war. Aber sie ließ es sich nicht anmerken. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte sie bis zum Abend weitergemacht.

Doch als Frau Briegel gegen fünf Uhr sagte: »Ich glaube, das genügt«, atmete sie auf.

»Soll ich nicht noch …?«

»Nein, ich mache jetzt auch Feierabend. Zu zweit sind wir ja ganz schön vorangekommen.«

Zusammen gingen sie ins Chefbüro, um sich zu verabschieden.

»Na, wie steht’s?«, fragte Hartmut Ziller. »Bleiben Sie doch noch einen Augenblick draußen, Frau Baron!«

»Nicht nötig«, sagte Helene Briegel, »sie darf das ruhig hören. Wir haben da einen guten Griff getan, Herr Ziller!«

»Das ist doch mal eine gute Nachricht.« Er wandte sich an Monika. »Und wie gefällt Ihnen die Arbeit?«

»Wunderbar! Eigentlich ist alles so wie bei meiner vorigen Stellung. Nur dass Mode natürlich was Faszinierendes hat.«

»Sie interessieren sich dafür?«

»Ja, sehr!« Ehrlich fügte sie hinzu: »Allerdings erst, seit ich in München lebe. Auf dem Land bin ich mit Dirndl und Jeans ausgekommen.«

»Na, dann seien Sie morgen pünktlich um acht Uhr da. Gehen Sie als Erstes in die Personalabteilung zu Herrn Pulcher und melden sich an.«

Monika strahlte. »Ich habe also die Stellung?«

»Erst mal auf Probe, würde ich sagen. Drei Monate … einverstanden?«

»Ich weiß, dass Sie mit mir zufrieden sein werden!«

Oliver riss die Wohnungstür auf, kaum dass Monika den Schlüssel ins Schloss gesteckt hatte.

»Na endlich!«, rief er. »Wo hast du denn gesteckt? Ich habe mir grässliche Sorgen um dich gemacht!«

Sie warf sich in seine Arme. »Tut mir so leid, Liebling! Ich habe dauernd an dich gedacht. Aber ich konnte dich nicht verständigen.«

»Du hättest wenigstens anrufen können.«

»Konnte ich nicht. Das hätte bestimmt einen schlechten Eindruck gemacht. Außerdem wusste ich ja gar nicht, wo du warst.«

Sven kam aus dem Musikzimmer und klopfte Oliver auf die Schulter. »Habe ich nicht wieder mal recht gehabt? Nichts ist passiert. Die ganze Aufregung war umsonst.« Zu Monika sagte er: »Dein Mann war total durcheinander. Ich habe ihn gerade noch abhalten können, die Polizei zu benachrichtigen.«

Monika blickte Oliver in die Augen.

»Verzeih mir, bitte!«

»Die Hauptsache ist, dass du gesund und munter vor mir stehst! Ich hatte Angst, verstehst du.«

»Er dachte, du wärst unter ein Auto gekommen.«

Monika zog ihren Mantel aus. »In der Fußgängerzone?«

»Woher sollte ich wissen, dass du da geblieben bist?«

»Du hast recht. Bin ich auch nicht. Kommt, gehen wir rein! Dann werde ich euch alles erzählen.«

Oliver und Sven waren eigentlich nicht beeindruckt davon, dass Monika eine Stellung gefunden hatte. Beide begriffen sofort, dass das Leben für sie nicht mehr so bequem sein würde wie bisher. Aber sie freuten sich an Monikas Begeisterung.

»O je!«, sagte sie plötzlich. »Jetzt habe ich ganz vergessen, mich bei Frau Stadler zu bedanken! Und morgen komme ich wohl auch nicht dazu.«

»Ruf einfach an!«, riet ihr Sven mit einem Blick auf seine Armbanduhr.

»Ach was, schick ihr einen hübschen Strauß durch Fleurop!«, meinte Oliver. »Schreib ihr ein paar Zeilen, dann werde ich das morgen erledigen.«

Monika fand das ein bisschen verschwenderisch, aber doch auch sehr nett.

Die letzten Tage des Monats, bis Ende Oktober also, arbeitete Monika mit Frau Briegel zusammen. Sie nutzte diese Zeit, um sich bis ins Detail über alles zu informieren. Es war ein wunderbares Gefühl, keine Arbeitslosenunterstützung mehr empfangen zu müssen, sondern selber Geld zu verdienen. Zwar war ihr Gehalt nicht so hoch wie das, was Oliver bei »Arnold und Corf« bekommen hatte, aber immerhin würden sie mit der Miete, die Sven zahlte, zur Not davon leben können, auch wenn Oliver keine Stellung finden sollte. Das war ungemein beruhigend. In dieser ersten Zeit kam sie immer pünktlich nach Hause, weil sie mit Helene Briegel zusammen die Aufgaben flott bewältigte.

Danach fingen die Überstunden an, und sie konnte das Werk oft erst nach acht Uhr abends verlassen, manchmal wurde es sogar zehn. Sie hatte den Eindruck, dass Ziller sie mit voller Absicht so stark belastete, stärker, als es nötig gewesen wäre, um ihren guten Willen zu testen. Manchmal aber ließ es sich wirklich nicht anders einrichten. Da tagsüber voll durchgearbeitet wurde, fanden erst abends die Konferenzen der leitenden Mitarbeiter statt. Monika musste dann nicht nur Getränke servieren, sondern auch anwesend sein, da der Chef Wert darauf legte, dass sie auf dem Laufenden war.

Es kam auch vor, dass sie in der Schneiderei als Hausmannequin gebraucht wurde, und dann musste sie die liegen gebliebene Sekretariatsarbeit anschließend erledigen. Die Modelle wurden nach festliegenden Maßen und nach Puppen geschneidert, aber der Chef der Werkstätten, Robert Armbruster, im Werk nur der »Couturier« genannt, war glücklich, dass er jetzt ein lebendes Mannequin zur Verfügung hatte. Im Moment wurde die Sommermode des nächsten Jahres produziert, und er ließ Monika vor allem Jackenkleider probieren, bevor sie in die Endanfertigung gingen. Sie brauchte nichts vorzuführen, aber das lange Stehen war ermüdend. Die Arbeit im Sekretariat war ihr sehr viel lieber. Aber sie wagte nicht zu mucken, und es war doch auch sehr nett, wenn der Couturier sich an ihr und seinen Kreationen begeisterte. Wie sie vorausgesagt hatte, war sie allen Anforderungen gewachsen und stellte ihren Chef voll zufrieden. Nach Ablauf von drei Monaten bekam sie einen Angestelltenvertrag mit einem wesentlich höheren Gehalt, aber einer Klausel, nach der die Bezahlung der Überstunden fortfiel. Sie stand sich also kaum besser als bisher, doch ihr Arbeitsplatz war sicherer geworden.

Ihr Zusammenleben mit Oliver änderte sich stark. Es gab keine gemütlichen Frühstücke mehr, und an den Abenden war sie zu geschafft, um noch etwas unternehmen zu können. Aber es war ein gutes Gefühl, dass er da war und sie erwartete, wenn sie nach Hause kam. Nur an den Wochenenden konnte sie sich wirklich entspannen und für ihn da sein. Dann kochte sie auch, was er sich nur wünschte. Unter der Woche brutzelten Oliver und Sven sich selber etwas oder gingen aus. Monika aß in der Kantine. Sie war froh, dass Oliver wenigstens nicht allein war, aber es war ihr rätselhaft, wie er die langen Tage verbrachte.

Den »Ziller-Werken« gehörte eine Verkaufsetage in der Leopoldstraße, und dort fanden im März Modenschauen statt. Den Kunden, Geschäftsinhabern aus dem süddeutschen Raum und der Schweiz, wurden die neuen Modelle vorgeführt. Hartmut Ziller leitete die Verkaufsgespräche persönlich, weil er niemandem mehr zutraute als sich selber. Da Monika nichts damit zu tun hatte, erhoffte sie sich eine etwas ruhigere Zeit.

Aber am vierten Tag der Modenschauen erhielt sie einen Anruf von ihrem Chef. »Nehmen Sie sich sofort ein Taxi und kommen Sie her!«

Monika gehorchte, ohne Fragen zu stellen. Ein Mannequin war nicht erschienen, Ersatz war angeblich so schnell nicht zu bekommen, und so sollte sie einspringen.

Jetzt scheute Monika doch, zum ersten Mal, seit sie bei ihrer neuen Firma war. »Aber ich kann das nicht! Ich habe noch nie …«

»Machen Sie kein Theater!«, sagte Ziller hart. »Niemand verlangt von Ihnen eine schauspielerische Leistung. Die Sachen sind auf Sie zugeschnitten. Also ziehen Sie sie an, kommen heraus, machen ein paar Schritte, drehen Sie sich um sich selber, und fertig ist die Laube.«

Frau Beermann, die Geschäftsführerin der Verkaufsetage, zeigte ihr, wie sie sich schminken sollte, etwas stärker als gewöhnlich, aber nicht so sehr wie die anderen Mannequins. »Sie haben eine so frische, junge Haut, Sie haben das nicht nötig!«

Als Monika vor den Vorhang trat, war sie sehr gehemmt. Aber zu ihrer Überraschung empfing sie sehr freundlicher Beifall, der, als sie errötete, noch wärmer wurde. Sie trug ein flammend rotes Wollkostüm, das schon der Couturier an ihr bewundert hatte. Was hatte sie also zu befürchten? Wenn sie der Kundschaft nicht gefiel, würde man sie nicht mehr vorführen lassen. Aber da sie darauf ja auch keinen Wert legte, hatte sie nichts zu verlieren. Lächelnd machte sie ihre Schritte, ganz so, als wollte sie ihrem Mann oder Sven oder Gabriele ein neues Kleidungsstück zeigen.

Herr Heinze, der junge Assistent von Frau Beermann – es war bei Ziller ein offenes Geheimnis, dass er ihren Platz anstrebte –, stellte das Modell vor: »Herbstsonne, Kleid mit Jacke, ein sehr jugendliches und doch elegantes Kostüm aus reiner Wolle, leicht genoppt …«

Etwas ungeschickt versuchte Monika die Jacke auszuziehen, wie Frau Beermann sie angewiesen hatte. Gewandt und galant half ihr Herr Heinze. Wieder klang Beifall auf, sei es nun, dass er der kleinen Vorstellung galt oder dem Kleid; es war ärmellos und brachte Monikas schöne Schultern voll zur Geltung.

Die Kugelschreiber der Kunden flogen über das Papier.

Monika schlüpfte hinter den Vorhang zurück. Frau Beermann half ihr, sich in Windeseile umzuziehen, während die anderen Mannequins nacheinander vortraten. So ging es weiter mit kurzen Verschnaufpausen, in wechselnden Kleidern, vor immer neuen Kunden. Bis zum frühen Abend hatte Monika es auch gelernt, sich ohne Hilfe geschickt die Jacken abzustreifen. Sie wusste jetzt auch, dass die Arbeit eines Mannequins schwer und ermüdend war. Die Beine taten ihr weh, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Lächeln eingefroren war.

Überraschend fragte Herr Ziller sie, ob er sie nach Hause fahren könnte. Erleichtert stimmte sie zu.

»Na, hat es Ihnen Spaß gemacht?«, fragte er, als sie über die Leopoldstraße in Richtung Englischer Garten fuhren.

»Das kann ich nicht behaupten«, erwiderte sie ehrlich.

»Aber Sie haben ganz den Eindruck gemacht.«

»Das gehört ja wohl dazu. Die Kunden sollten doch das Gefühl haben, dass ich mich in diesen Sachen wohlfühle, und das stimmt ja auch. Privat würde ich sie gern tragen.«

»Das dürfen Sie. Wenn die Modewochen vorbei sind, können Sie sich ein paar Lieblingsstücke aussuchen.«

»Oh!«, sagte Monika.

»Das macht’s Ihnen schmackhafter, wie?«

»Ich verstehe nicht …«

»Weiter vorzuführen. Ich möchte auf Sie in der Verkaufsetage nicht verzichten, und Frau Beermann ist ganz meiner Meinung.«

»Aber es ist nicht mein Beruf.«

»Vielleicht gerade deshalb. Sie haben nicht diese Routine, durch die nur zu oft Langeweile schimmert. Zudem sind Ihnen die Sachen ja auf den Leib geschneidert. Es braucht nichts gesteckt oder gerafft zu werden.«

»Ich möchte es trotzdem nicht weitermachen. Das ist nichts für mich. Bitte, Herr Ziller, haben Sie Verständnis!«

»Ich dachte, Sie fühlten sich unserer Firma verbunden.«

»Das tue ich ja auch.«

»Dann dürfen Sie jetzt nicht kneifen. Um die Wahrheit zu sagen: Die Modelle, die Sie vorgeführt haben, sind besonders stark geordert worden. Etwa fünfzehn Prozent mehr als die anderen. An Ihrem guten Willen, meine liebe Frau Baron, hängt nicht nur der Profit, sondern auch die Sicherheit von Arbeitsplätzen.«

Dazu wusste Monika nichts zu sagen; sie saß in der Falle.

»Übrigens ist sogar das Brautkleid sehr viel stärker geordert worden, als zu erwarten war. Sie müssen eine bezaubernde Braut gewesen sein.«

»Ich habe im Dirndl geheiratet.«

»Sehr schade.«

»Es war eine ganz kleine Hochzeit.«

»Das nächste Mal feiern Sie richtig! Noch jede Frau, die das versäumt hat, hat es bereut.«

»Es wird kein nächstes Mal geben.«

»Wer weiß.«

Monika konnte ihrem Chef nicht recht geben, wollte ihm aber auch nicht widersprechen, und so wechselte sie das Thema. »Was ist mit der Büroarbeit?«, fragte sie.

»Die muss, jedenfalls in gewissem Maße, weitergehen. Die Bestellungen müssen aufgeschlüsselt und im Computer gespeichert werden. Das lässt sich aber nebenher machen. Zur Not hängen wir einen Samstag dran.« Er sah sie von der Seite an. »Oder wird das Ihrem Mann nicht recht sein?«

»Er hat sehr viel Geduld.«

»Das muss er ja auch, solange er keine Arbeit gefunden hat. Oder hat er wieder?«

»Nein.«

»Dann sind doch wohl eher Sie es, die Geduld zeigt.«

»Es ist nicht seine Schuld.«

»Für einen jungen Kerl wie ihn sollte es doch eine Möglichkeit geben, irgendwo zuzupacken.«

»Er ist zwar jung, aber kein Kerl.«

»Ich habe das nicht abträglich gesagt.«

»Sie machen sich eine falsche Vorstellung von ihm. Aber das ist ja auch ganz egal.«

Sie durchfuhren jetzt den großen Park, in dem es noch kaum Anzeichen des beginnenden Frühlings gab. Einzig ein Strauch Zaubernuss hatte, wie zum Trotz, seine gelben Blüten aufgesetzt. Aber die Bäume waren noch kahl, und auf den Wiesen lag Schnee. Monika schauderte.

»Was ist Ihnen?«, fragte Hartmut Ziller.

»Das hier«, sagte sie mit einer Handbewegung, »passt so gar nicht zu unseren Kleidern. Ich hatte die Illusion, es wäre schon Sommer, dabei ist noch nicht einmal Frühling.«

»Das ist nun mal in unserer Branche so«, erklärte er ungerührt. »Im Sommer Modelle des kommenden Winters vorzuführen ist wesentlich schlimmer.«

»Heitere Aussichten!«

Flüchtig legte er die Hand auf ihr Knie. »Sie sollen es ja nicht umsonst tun, Monika! Selbstverständlich kriegen Sie einen Bonus, je nachdem, wie die Aufträge eingegangen sind. Ich habe nicht vor, Sie auszunutzen.«