1.jpg

Grüne Gentechnik

Mutanten im Kochtopf oder Lösung des Welternährungsproblems?

F.A.Z.-eBook 50

Frankfurter Allgemeine Archiv

Herausgeber: Joachim Müller-Jung

Redaktion und Gestaltung: Birgitta Fella

Zuständiger Bildredakteur: Henner Flohr

Projektleitung: Olivera Kipcic

eBook-Produktion: rombach digitale manufaktur, Freiburg

Alle Rechte vorbehalten. Rechteerwerb und Vermarktung: Content@faz.de
© 2017 Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main

Titel-Grafik: © endopack / iStockphoto

ISBN: 978-3-89843-457-7

Vorwort

Grüne Gentechnik – Fluch oder Segen?

Von Birgitta Fella

In der Grünen Gentechnik werden gentechnische Verfahren zur Veränderungen von Pflanzen für die Nahrungsmittelerzeugung angewandt. »Grün« meint die Anwendung bei Pflanzen, suggeriert aber auch »bio« oder »öko«. Gentechnik macht klar, dass hier von außen in das Erbgut der Pflanze eingegriffen wird.

Wo große Mengen Lebensmittel gebraucht oder für den Export erzeugt werden, nimmt der Anbau neuer, auch gentechnisch veränderten Nutzpflanzen zu. Großen Erfolg verspricht man sich vom »Goldenen Reis«, der Vitamin A enthält und dem oft tödlichen Vitamin-A-Mangel in asiatischen Ländern vorbeugen kann.

Trotz der vielversprechenden Forschungsergebnisse und der Erfolge in der landwirtschaftlichen Praxis wird die Grüne Gentechnik in Europa überwiegend abgelehnt. Gefürchtet werden unkontrollierbare Risiken für Umwelt und Gesundheit. Der Kampf gegen die Pflanzengentechnik ist verbunden mit dem gegen die Globalisierung und Intensivierung der Landwirtschaft.

Knapp zwanzig Jahre nachdem die ersten im Labor manipulierten Maispflanzen auf Feldern keimten, wachsen keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr auf deutschen Feldern, auch nicht im Gewächshaus zu Forschungszwecken. Der deutsche Chemieriese Bayer musste sich den amerikanischen Agrarkonzern Monsanto einverleiben, um unter diesen Voraussetzungen künftig auch im Wachstumssektor Agrogentechnik mitzumischen.

Denn trotz der Anbauverbote in Deutschland und Großteilen der EU setzt die Gentechnik sich auch hier durch die Hintertür durch. Sie steckt in Sojabohnen oder Mais, die als Tierfutter aus Nord- und Südamerika importiert werden, und auch in Pullis und T-Shirts aus genveränderter Baumwolle.

Befürworter der Grünen Gentechnik verteidigen die Eingriffe in die Entwicklung der Pflanzen damit, dass schon seit Beginn des Ackerbaus in der Zucht das Erbgut der ertragreichsten und widerstandsfähigsten Pflanzen ausgewählt wurde und so neue Sorten hervorgebracht wurden. Zudem vereinfachen neue biochemische Methoden den gezielten Eingriff in das Erbgut durch Einfügen, Entfernen oder Ausschalten bestimmter Gene.

In den nächsten 30 Jahren steht die Menschheit vor der Herausforderung, rund zehn Milliarden Menschen zu ernähren, und gleichzeitig natürliche Ressourcen und Lebensräume zu erhalten. Vor diesem Hintergrund ist die Grüne Gentechnik für die einen die Chance für eine Welt ohne Hunger, für andere ist sie nur ein Wirtschaftszweig, der in der Globalisierung die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wachsen lässt.

Von der Evolution über die Zucht zum Genome Editing

Gut, besser, natürlich?

Grüne Gentechnik: Wie will man neue Methoden der Züchtung kontrollieren, wenn sich Unterschiede gar nicht mehr identifizieren lassen?

Von Sonja Kastilan

Zum Frühstück verzehrt man gern etwas Grapefruit. Zur Not ein Glas Saft, denn die fruchtige Bitterkeit macht auf so schöne Weise wach. Besonders die sanften Sorten in Rosa: Star Ruby und Rio Red stammen beide aus den Vereinigten Staaten, und es gibt sie auch als Bio-Ware, da darf man also guten Gewissens zugreifen. Von Gentechnik scheinbar keine Spur, doch interessiert man sich für ihre Ursprünge, würde manch einer wohl eine Überraschung erleben. Schließlich sind diese beliebten Früchte nichts anderes als Mutanten.

Die eine zeichnet sich durch eine im Vergleich zur Elternpflanze kräftigere Rotfärbung von Saft und Fruchtfleisch aus, die andere durch erheblich weniger Kerne: statt ehemals vierzig bis sechzig, sind es nun keine zehn. Das erhöht zweifellos den Genuss der Grapefruits, solange man nicht weiß, dass ihre Besonderheiten einst durch Neutronenstrahlen erzeugt wurden. Zig Knospen mussten damit traktiert werden, bis die neuen Sorten im Jahr 1970 beziehungsweise 1984 registriert werden konnten. Das muss aber nirgends vermerkt werden, weder auf der Obstkiste noch im Supermarkt.

Auf Bestrahlungen beruhen Tausende von Kulturpflanzen, die wir heute weltweit nutzen: Dahlien ebenso wie Birnen, Gurken, Minze, Reis und Weizen und eine ganze Reihe mehr. In jüngster Zeit kamen neuartige Kirschen, Kartoffeln und Chrysanthemen hinzu, und in diesen Fällen sorgten Gamma-Strahlen für irgendwelche Abweichungen im Pflanzengenom, die sich zuvor nicht steuern ließen. Weil aber diese Form der Nuklear-Gärtnerei ebenso wie die Anwendung von mutagenen Chemikalien oder die mühsame Kreuzung zur konventionellen Züchtung gezählt wird, sind keine aufwendigen Kontrollen und Sicherheitsstudien erforderlich, während Verfahren der Gentechnik, die gezielter ins Erbgut eingreifen, strikten Regeln unterliegen. In Europa gilt dann die Richtlinie 2001/18/EG, und das deutsche Gentechnikgesetz setzt diese praktisch um, mit Blick auf ein Vorsorgeprinzip.

Ob auch die modernen Verfahren des sogenannten Genome Editing unter diese Regelung fallen, zum Beispiel Talen, CRISPR-Cas9 oder die Oligonucleotide Directed Mutagenesis, darüber wird derzeit heftig diskutiert. Möglicherweise müssen Juristen gänzlich neue Formulierungen finden, denn auf Klauseln, die Fortschritte berücksichtigen, sogenannte dynamische Verweisungen, hatte man in dieser Richtlinie verzichtet. So muss sich der Europäische Gerichtshof jetzt neben juristischen mit wissenschaftlichen Details auseinandersetzen, weil die mittels Genome Editing erzeugten Punktmutationen gleichfalls auf natürliche Weise entstehen könnten oder eben durch herkömmliche Züchtungsmethoden.

In den Vereinigten Staaten widmen sich mit FDA, EPA und APHIS gleich drei zuständige Behörden den neuartigen Methoden, deren Anwendung so vielseitig ist wie die Regulierung unklar. Im Moment gelten dort beispielsweise Champignons, wie sie an der Penn State University im Labor von Yinong Yang mittels CRISPR-Cas9 entstanden sind, nicht als »gentechnisch veränderte Organismen«: Sie sind nicht transgen, ihnen wurde keine fremde DNA eingesetzt. Stattdessen wurden die eigenen Erbinformationen editiert; durch kleine Deletionen ging ein Enzym und damit die Eigenschaft verloren, dass sich die Pilze braun verfärben. Somit sind sie weniger empfindlich und länger haltbar. Solche – schier ewig weiße – Champignons drängen noch nicht auf den deutschen Markt, doch ihr Beispiel veranschaulicht, was die Zukunft bringt. Ein anderes ist eine editierte Rapssorte, für die das amerikanische Unternehmen Cibus sich bereits in mehreren europäischen Ländern bestätigen ließ, dass es sich nicht um einen gentechnisch veränderten Organismus handelt. Auch in Deutschland kam das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelrecht zu dieser Feststellung, Cibus hätte den Raps demnach anbauen dürfen. Dagegen wurde prompt geklagt, der Bescheid ruht somit. Vorerst.

Raps hat etwa 101 000 Gene, der Mensch bringt es nur auf knapp 30 000. Weil beim Raps viele Gene mehrfach vorhanden sind, können durch Mutationen schnell neue, vorteilhafte Eigenschaften entstehen. So wurde aus dem Raps eine vielseitige Kulturpflanze, die als Ölquelle, Tierfutter und Gemüse angebaut wird. Die Kenntnis der Gensequenzen soll neue Züchtungen ermöglichen. Das Bundesamt für Verbraucherschutz ließ eine amerikanische Rapssorte, die mit einer dem CRISPR/Cas ähnlichen Methode verändert wurde und gegen ein Herbizid resistent ist, als »nicht genverändert« zum Anbau in Deutschland zu. Ob diese Rapssorte auch hier auf den Feldern des Ronneburger Hügellandes in Hessen blüht, ist nicht bekannt. F.A.Z.-Foto Wolfgang Eilmes.

»Brauchen wir eine neue Gentechnik-Definition?«, dieser Frage gingen deshalb auch die Teilnehmer einer Veranstaltung nach, zu der am vergangenen Dienstag die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutsche Ethikrat und die Deutsche Forschungsgemeinschaft in Berlin eingeladen hatten. Ethische Aspekte kamen hier ebenso zur Sprache wie dringliche Probleme der Landwirtschaft, die sich in der Tat nicht allein durch bessere Pflanzenzucht beheben lassen. Und während der Sozialpsychologe Wolfgang Stroebe unter anderem betonte, dass angesichts der neuen Methoden dann eine Kennzeichnung als »genetisch verändert« notwendig sei, weil Verbraucher sehr wohl auf die Prozesse der Erzeugung achten, erläuterten Juristen unterschiedliche Auslegungen des bestehenden Gentechnikgesetzes. Umso mehr überraschte dann Harald Ebner (Grüne) vom Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung mit seiner Aussage, er »glaube nicht, dass wir eine neue Definition brauchen«.

»Im Moment nicht«, sagt auch Detlef Bartsch, der am Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Abteilung Gentechnik leitet. Als Vertreter der Exekutive lege man das Gentechnikgesetz praxisorientiert aus, die sichere Anwendung stehe dabei im Mittelpunkt. Er selbst habe keine Angst vor behördlich zugelassenen Gentechnikprodukten: »Ich weiß, wir prüfen sorgfältig. Wer aber die Methoden nicht versteht oder nur aus Filmen wie ›Jurassic Park‹ kennt, fürchtet sie vermutlich mehr.«

Bartsch war am Dienstag zur Diskussionsrunde geladen und im näheren Gespräch erklärt er: »Biologisch betrachtet, ist eine Pflanze – egal ob mit Hilfe von Strahlung oder den neuen Techniken wie CRISPR-Cas9 gezüchtet, genetisch verändert. Ob auch ›gentechnisch‹, ist dann eigentlich zweitrangig, wenn das Produkt das gleiche ist.« Laut geltendem Recht führe eine Mutation, die genauso natürlich entstehen könnte, nicht zu einem gentechnisch veränderten Organismus (GVO), sagt Bartsch über eine mögliche Auslegung des Gesetzes und hofft, dass sich dieser sowohl Wissenschaftler und Pflanzenzüchter als auch die Konsumenten anschließen. Im gezielten Genome Editing erkennt er vor allem eine Abkürzung der konventionellen Pflanzenzüchtung, die langwieriger, aber zulassungsfrei wäre – im Gegensatz zu allem, was als »Gentechnik« deklariert wird. Würde der Europäische Gerichtshof nun CRISPR und verwandte Methoden grundsätzlich dazu zählen, wären die punktmutierten Pflanzen aus technischen Gründen gar nicht zulassungsfähig. Und selbst wenn man das Problem der dann notwendigen Identifizierungsmethoden lösen könnte, würde das nicht nur mehr Aufwand bedeuten, sondern zugleich hohe Kosten: »Die geforderten Daten und Verfahren sind so umfangreich, dass für eine GVO-Zulassung rund zehn Millionen Euro nötig sind. Für alle Gebühren und Prüfungen«, sagt Bartsch. Dann würde ein weiterer Vorteil der neuen Labortechniken, die günstiger sind und somit Fortschritt einfacher zugänglich machen, wegfallen. Dabei gebe es keine Nachweismethoden, mit denen sich diese Punktmutationen von natürlichen oder bestrahlten Mutanten unterscheiden ließen. Das erschwere eine Kennzeichnung des Herstellungsprozesses, die sich Verbraucher vielleicht wünschen: »Wie soll man etwas kennzeichnen, was sich nicht mehr identifizieren lässt?« Das gelänge nur, wenn das gesamte Produktionssystem, ähnlich der Ökolandwirtschaft, kontrolliert würde. Nach Meinung von Detlef Bartsch sollte man jedoch mit einer Neuformulierung mittelfristig die Chance nutzen, das alte Gentechnikgesetz zu entrümpeln, ohne etwa die hohen Sicherheitsstandards aufzuweichen. Aber statt allein Gentechnik zu einem Gegensatz zur Natur zu erheben, sollte man lieber andere Begriffe verwenden und von Landwirtschaftskultur oder Kulturpflanzen sprechen, denn es gehe hier um Zuchtsorten: »Der Mensch ist ein Bestandteil der Natur und gestaltet, beeinflusst sie von Anfang an.« Für die Tier- und Pflanzenzucht bieten die Methoden des Genome Editing zahlreiche Möglichkeiten. Wie und was zugelassen werde, sagt Bartsch, sei immer eine Einzelfallentscheidung. Widernatürlich ist das nicht unbedingt, zumal heute Landschaften wie die Lüneburger Heide oder die Schwäbische Alb unter Schutz stehen, die so erst durch Raubbau oder Tierhaltung entstanden sind; die hiesige Urlandschaft sah völlig anders aus. In der Frage von Naturschutz und Biodiversität sei wichtig zu berücksichtigen, um welche Erbinformation es sich jeweils handelt: »Zwischen Wildpflanzen und Zuchtsorten besteht ein Genfluss. Wird eine Resistenz eingeführt oder die Fitness auf andere Weise gesteigert, muss geprüft werden, was das für die Wildart bedeutet.«

»Auch kleine Eingriffe können zu weitreichenden Eigenschaftsveränderungen eines Organismus führen und somit relevante Auswirkungen auf Mensch und Natur haben«, warnte am Dienstag jedoch Margret Engelhard, die am Bundesamt für Naturschutz das Fachgebiet Bewertung gentechnisch-veränderter Organismen leitet. Sie plädierte dafür, Veränderungen am Erbgut, die mit Hilfe von Methoden wie CRISPR-Cas9 erzeugt werden, als Gentechnik einzuordnen, stellte aber auch das zum Vergleich oft herangezogene historische Wissen in Frage: Etwas, das schon immer gemacht wurde, sei deshalb nicht sicher. Dass sie damit jegliche Art der Pflanzenzüchtung meinen und eine Kontrolle fordern könnte, beunruhigt Detlef Weigel, Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie: »Das würde alles zum Erliegen bringen. Vielleicht erleichtert es die Diskussion, wenn man die Grenze zieht, sobald fremde DNA-Stücke ins Erbgut eingebracht werden sollen.« Veränderungen im Genom, wie sie spontan eintreten könnten, müssten anders betrachtet werden.

Das Argument, man wisse ja nicht, was durch die neuen gentechnischen Methoden passiere, lässt Weigel nicht pauschal gelten: »Mit radioaktiver Strahlung und mit Chemikalien wird viel stärker ins Erbgut eingegriffen, als wenn man die Funktion einzelner Erbinformationen modifiziert, wie es jetzt mittels Genome Editing möglich ist.« Und wolle man den Prozess der Entstehung kennzeichnen, sollte das für alle gelten. »Außerdem kann man mit modernen Methoden heute das gesamte Genom durchforsten, um unerwünschte Veränderungen zu finden. Wir wissen also, was passiert«, sagt Weigel.

Mit seinen Mitarbeitern geht er vor allem der Frage nach, wie sich Pflanzen in einer natürlichen Umgebung verändern, zum Beispiel die Acker-Schmalwand Arabidopsis thaliana, die von Europa und Asien in die Neue Welt eingeschleppt wurde und sich dort erfolgreich ausbreitete. »Wir interessieren uns für lokale Anpassungen, zum Beispiel wie mediterrane Mitglieder dieser Art besonders resistent gegen Trockenheit wurden«, erklärt Weigel, »eine Frage, die angesichts des Klimawandels relevant ist.« CRISPR-Cas9 sei für sie ein Hilfsmittel in der Grundlagenforschung, eines von vielen Werkzeugen, um den Einfluss einzelner Gene im Anpassungsprozess zu testen.

Natürlich, die Pflanzenzucht käme auch ohne CRISPR & Co aus und ohne Gentechnik, aber der Fortschritt wäre erheblich langsamer. Sollte am Ende nicht eher das Produkt entscheiden, wie eine Pflanzensorte einzuordnen ist? Oder doch in erster Linie der Entstehungsprozess? Über ihren Anbau, den Bedarf an Wasser, Dünger oder Pestiziden sagt letzterer allerdings nichts aus. Vielleicht lässt es sich ja mit Milch vergleichen, die per Hand oder schneller per Melkmaschine gewonnen wird: Für ihre Güte sind eigentlich andere Faktoren viel wichtiger.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 19.02.2017

Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main. Vervielfältigungs- und Nutzungsrechte für F.A.Z.-Inhalte erwerben Sie auf www.faz-rechte.de

Die Liebesäpfel sollen härter werden

Tomatenzüchter im Freilandfieber: Dank der Genforschung wird das Wärme liebende Gemüse endlich wetterfest. Raus aus dem Treibhaus.

Von Diemut Klärner

Ob als Suppe, Salat oder Ketchup, Tomaten stehen in Afrika, Asien und Amerika ebenso auf dem Speiseplan wie in Europa. Kein Wunder, dass die genetische Ausstattung einer so wichtigen Nutzpflanze bereits analysiert wurde. Den Evolutionsbiologen um James B. Pease und Leonie C. Moyle von der Indiana University in Bloomington diente das Genom domestizierter Tomaten inzwischen als Grundlage, um deren wildwachsende Verwandtschaft unter die Lupe zu nehmen. Bedenkt man, dass sich die Tomaten erst vor etwa 2,5 Millionen Jahren von den übrigen Nachtschattengewächsen der Gattung Solanum getrennt haben, ist ihre Artenvielfalt erstaunlich groß: Elf unterschiedliche Arten wachsen in diversen Biotopen im Westen von Südamerika, zwei sind auf den Galapagos-Inseln zu Hause.

Um sich das gesamte Sortiment zu beschaffen, mussten die Forscher weder nach Peru reisen noch zu den Galapagos-Inseln. Samen von allen dreizehn Arten, meist sogar aus mehr als einer Population, lieferte das »C. M. Rick Tomato Genetics Resource Center« an der University of California in Davis. Aus den herangewachsenen Pflanzen isolierten die Wissenschaftler dann das gesamte Genom in Form von DNA. Sie konzentrierten sich dabei auf die Transkripte der Gene. Diese sogenannten Messenger-RNAs sind die Baupläne für all die Proteine, die in den Wurzeln, Blättern, Blüten und Knospen einer Tomatenpflanze stecken. Im Durchschnitt lieferten die untersuchten Pflanzen die Transskripte von fast 22 000 Genen, was einem Großteil ihres gesamten Inventars entspricht.

Wie ein detaillierter Vergleich zwischen Tomatenpflanzen unterschiedlicher Herkunft zeigt, haben sich die Arten nicht immer strikt voneinander abgegrenzt. Bei einer Population entdeckten die Evolutionsbiologen sogar eine solche Vermischung verschiedenartiger Genome, dass sich die fraglichen Gewächse kaum einer bestimmten Art zuordnen ließen. Bei den meisten untersuchten Tomaten fanden sich jedoch nur einige wenige Hinweise auf gelegentliche Mesalliancen mit einer nahe verwandten Art, die den Genpool bereichert hat.

Auf ein reichhaltiges Erbe konnten die Tomaten schon zu Beginn ihrer Evolution zurückgreifen. Um die geerbten Varianten in unterschiedlichen Kombinationen auszuprobieren, bot ihre geographisch abwechslungsreiche Heimat gewissermaßen eine Spielwiese: Nahe der Pazifikküste sind Tomatenpflanzen ebenso heimisch geworden wie hoch oben in den Anden, in Wüstengebieten ebenso wie in Flusstälern. Mussten sie ähnliche ökologische Herausforderungen meistern, setzten sich von bestimmten Genen erwartungsgemäß dieselben Varianten durch, auch wenn die Populationen nicht sonderlich nah verwandt waren. Besonders zahlreich fanden sich solche genetischen Übereinstimmungen bei Tomaten, die auf Böden mit hohen Schwermetallkonzentrationen wachsen.

Im Verlauf der Evolution haben sich manche Tomatengene freilich auch grundlegend verändert. Nach und nach, so berichteten die Wissenschaftler in der Online-Zeitschrift »PLoS Biology« (doi:10.1371/journal.pbio.1002379), teilte sich der Tomatenstammbaum in vier verschiedene Zweige. Jeder davon zeichnet sich durch bestimmte Mutationen aus, die zu einer Veränderung des zugehörigen Proteins führten. In dem Zweig, dessen drei Sprösslinge in den Höhenlagen der Anden wachsen, sind in einem Gen sogar zehn solche Mutationen aufgetreten. Das zugehörige Eiweiß kommt ins Spiel, wenn durch UV-Licht verursachte Schäden repariert werden müssen. Vermutlich erlaubt die neue Version den Tomaten, der besonders intensiven ultravioletten Strahlung im Hochgebirge zu trotzen.

Für einen anderen Zweig des Stammbaums ist dagegen ein Umbau diverser Enzyme typisch, die bei der Biosynthese von Carotinoiden mitwirken. Dank der entsprechenden Mutationen färben sich die Früchte, wenn sie reif werden, orange oder leuchtend rot. Bei allen anderen Tomatenarten bleiben sie grün oder blassgrün, manchmal verziert mit violetten Streifen.

Zu den vier rotfrüchtigen Arten zählt Solanum lycopersicum, jene Tomate, von der all die vielgestaltigen, mitunter auch abweichend gefärbten Sorten abstammen, die rund um den Globus angebaut werden. Wie Kräuterbüchern aus dem 16. Jahrhundert zu entnehmen ist, trugen die ersten Tomatenpflanzen, die in europäischen Gärten wuchsen, bereits prächtig große Früchte, wegen ihrer knallroten Farbe als Liebesäpfel gepriesen. Offenbar waren in der Neuen Welt schon lange versierte Züchter am Werk gewesen.

In der Alten Welt haben sich Tomatenzüchter dann ebenfalls ins Zeug gelegt. Neben den runden, roten Sorten unterschiedlicher Größe bietet das derzeitige Sortiment auch längliche und in die Breite gegangene. Die Farbpalette umfasst blass rosa getönte bis dunkel rotbraune, gelbe und gelb gestreifte Tomaten und solche, die in reifem Zustand grün bleiben. Auch geschmacklich unterscheiden sich die diversen Sorten. Doch eins haben alle Tomaten gemeinsam: Ursprünglich in den Tropen und Subtropen zu Hause, gedeihen sie am besten bei Temperaturen zwischen 18 und 28 Grad Celsius. In Mitteleuropa ist ihre Saison entsprechend kurz.

Kein Wunder also, dass von den Tomaten, die in Deutschland auf den Markt kommen, nicht einmal zehn Prozent aus heimischer Produktion stammen. Diese Tomaten sind stets in Gewächshäusern oder unter Plastikfolie gewachsen. Sie im Freiland anzubauen, wäre zwar weniger aufwendig. Doch wenn das Wetter nicht mitspielt, droht dort die gefürchtete Kraut- und Braunfäule, hervorgerufen durch Phytophthora infestans, einen Krankheitserreger aus der Gruppe der Oomyceten. Er lässt die Tomatenpflanzen oft vorzeitig absterben und einen Großteil der Früchte verderben, ehe sie reif werden können. Obwohl die Ernte dann enttäuschend mager ausfällt, scheint die Begeisterung für Tomaten aus dem eigenen Garten ungebrochen. Wer kein Gewächshaus oder sonst einen Regenschutz aufstellen will, wünscht sich aber wohl neue Sorten, die besser fürs Freiland taugen. Der Sache angenommen hat sich Bernd Horneburg, Leiter der Fachgruppe »Genetische Ressourcen und Ökologische Pflanzenzüchtung« an der Universität Göttingen. Ein erstes Ergebnis dieser traditionellen Züchterarbeit sind Cocktailtomaten, die auch unter freiem Himmel gut gedeihen. Bei Tomaten der gängigen Größe, sogenannten Salattomaten, ist dieses Ziel noch nicht ganz erreicht. Kürzlich haben jedoch wieder neue Zuchtlinien den Härtetest mit Bravour bestanden. Darunter sind auch Salattomaten, die gegen Phytophthora infestans widerstandsfähiger sind als alle derzeit verfügbaren und mit den geschmacklich besten locker mithalten können.

Begonnen hat das ökologische Freiland-Tomatenprojekt im Jahr 2003. Für den Anbau im Freiland einfach auf altbewährte oder moderne Sorten zurückzugreifen hatte sich als nicht praktikabel erwiesen. Denn der Erreger der Kraut- und Braunfäule – der auch Kartoffeln heimsucht – hat seit den achtziger Jahren zunehmend aggressivere Formen entwickelt. Tomaten, die einst auch im Freien prächtig gediehen, haben dort deshalb kaum noch eine Chance. Aus einem Sortiment von 3500 unterschiedlichen Sorten, teils regelmäßig angebaut, teils aus Genbanken, zeigten sich nur wenige mehr oder minder wetterfest.

Solche erfreulich robusten Tomaten wurden in diversen Kombinationen miteinander gekreuzt. Der Effekt von Kreuzungen unterschiedlicher Sorten ist seit langem bekannt: So entstandene Nachkommen, Hybride genannt, vereinen die guten Eigenschaften beider Elternteile und gedeihen noch besser als diese. Hybridsaatgut hat allerdings den Nachteil, dass es sich nicht einfach weitervermehren lässt. Denn in der nächsten Generation vermischen sich die Erbteile der gekreuzten Sorten derart, dass kein Sprössling den Hybriden gleicht. Jeder besitzt eine individuelle Kombination aus den Erbanlagen beider Sorten.

Wer neue Sorten züchten will, muss sich aus diesen vielen unterschiedlichen Pflanzen dann jene aussuchen, die den gewünschten Eigenschaften am besten entsprechen. Beim Tomatenprojekt geht es darum, wie gut die Früchte schmecken, wie früh die ersten reif werden und wie üppig die Ernte ausfällt. Vor allem aber sollen die Kandidaten zeigen, wie resistent sie gegen Phytophthora infestans sind. Beim Härtetest werden die Rahmenbedingungen deshalb so gestaltet, dass sich der Krankheitserreger leicht ausbreiten kann: Windschutz sorgt für hohe Luftfeuchtigkeit, und in der Nähe angebaute Kartoffeln liefern reichlich infektiöse Sporen.

www.faz-rechte.de