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Inhalt

Ein spezieller Gast

Ein Unglück kommt selten allein!

Die gestohlene Teetasse

Ins Wasser gefallen

Pitschnass!

Spione im Rathaus

Nur ein Hexenschnupfen?

Ausgehext!

Das Glück der Schafe

Tumult mit Tieren

Ein blaues Wunder!

Schafe auf Abwegen

Was für ein Mist!

Der Wink des Schicksals

Schieflage!

Aura mit Aurora

Schlechte Luft

Tiefpunkt im Hexlabor

Glücksgeist mit Luxuskarosse

Feuer und Flamme

Alles nur Einbildung

Ende gut, Pullover weg!

Leseprobe "Bibi total verknall"

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Ein spezieller Gast

Die Sonne schien, die Spatzen zwitscherten, und auf dem Frühstückstisch der Blocksbergs dufteten frische Brötchen und heißer Kakao. Es war ein schöner Morgen.

Ein herrlicher Morgen!

Nun – wenigstens hätte es so ein Morgen sein können.

Doch leider war die Stimmung bei den Blocksbergs gerade etwas angespannt.

„Bis Sonntag! Diese Hexe will bis Sonntag bei uns bleiben?!“, fragte Bernhard entsetzt seine Frau und bemerkte vor lauter Aufregung gar nicht, dass eine Ecke seiner Neustädter Nachrichten in der Tasse hing.

„Bernhard, bitte reg dich nicht so auf!“, versuchte Barbara ihren Mann zu beruhigen. „Aurora ist eine alte Freundin von mir. Ich freue mich wirklich über ihren Besuch.“

Aber Bernhard wollte sich nicht beruhigen. Schnaubend zog er seine Zeitung aus dem Kaffee und schimpfte verärgert: „Verflixt noch mal!“

Bibi, die zwischen ihren Eltern am Tisch saß und neugierig lauschte, wunderte sich sehr. Was hatte Bernhard denn gegen diese Aurora? Sie wusste zwar, dass sich ihr Vater selten über Hexen­besuch freute. Aber normalerweise zog er sich dann einfach schweigend zurück und regte sich nicht derart auf.

„Was ist denn so schlimm an Mamis Freundin?“, fragte Bibi deshalb neugierig.

Doch Bernhard rollte nur mit den Augen. „Frag deine Mutter!“, sagte er kurz angebunden und verkroch sich wieder hinter der Zeitung.

Bibi seufzte und wandte sich an Barbara: „Mami, was ist denn mit Aurora?“

Barbara bestrich sich gerade ein Brötchen mit Butter und Marmelade. „Aurora ist eine gute Freundin! Ohne ihre Hilfe hätte ich damals kein Dach über dem Kopf gehabt und mein Diplom für Kräuter- und Wurzelwesen vergessen können“, erklärte sie ihrer Tochter.

Bibi stöhnte. Das wusste sie doch schon. Das hatte ihr Barbara mindestens schon dreimal erzählt. Wie sie „damals“ in Auroras kleines Haus am Waldrand gezogen war, um für ihre Abschlussarbeit zu lernen. Und wie dort direkt vor der Tür Kräuter und Wurzeln wucherten, die das beste Lernmaterial darstellten. Aber das erklärte natürlich überhaupt nicht, warum Bernhard so gegen diesen Besuch war.

„Warum will Papi dann nicht, dass Aurora kommt?“, fragte Bibi weiter.

Barbara zuckte mit den Schultern.

„Na ja, sie ist eben ein bisschen ... speziell“, gab sie schließlich zu.

„Speziell?!“, wiederholte Bibi. „Was heißt denn speziell?“

Aber Barbara sagte nur: „Na, ein bisschen anders eben.“

Anders?! Barbara drückte sich doch sonst nicht so unklar aus. Was sollte das bedeuten?

„Was heißt denn ‚anders‘?“, fragte Bibi ungeduldig.

Doch da beendete Barbara auch schon die Fragestunde. Sie blickte auf die Uhr und erinnerte Bibi daran, dass sie zur Schule musste.

Bibi stöhnte. Wieso eigentlich musste man immer dann zur Schule, wenn es interessant wurde?

Kurz darauf saß die kleine Hexe auf ihrem Besen Kartoffelbrei und flog nach Neustadt. Natürlich konnte Bibi jetzt an nichts anderes mehr denken als an Aurora und daran, was wohl so „speziell“ an ihr war. Besaß sie vielleicht einen Drachen als Haustier? Kicherte sie nach jedem Wort? Oder hatte sie womöglich zwei Köpfe? Bibi konnte es kaum erwarten, diese spezielle Hexe kennenzulernen.

 

Am Nachmittag war es endlich so weit. Punkt drei Uhr klingelte es bei den Blocksbergs, und als Barbara öffnete, stand Aurora mit Reisetasche und ihrem Besen Ranunkel vor der Tür. Bibi blieb der Mund offen stehen.

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Ein Unglück kommt selten allein!

So viele Farben an einem einzigen Menschen hatte Bibi noch nie gesehen. Aurora war bunt wie ein Kasten voller Wassermalfarben – aber nicht wie der einfache Kasten, sondern mindestens wie der doppelte mit den vierundzwanzig Töpfchen. Schon das Blumenmuster von Auroras Häkelkleid leuchtete in allen Farben des Regenbogens: Melonengelb, Taubenblau, Grasgrün, Purpur und Zinnoberrot. Selbst jeder Zehennagel von Aurora war mit einer anderen Farbe lackiert. Das allerdings konnte Bibi nur sehen, weil die Hexe gar keine Schuhe trug, sondern nur Fußkettchen mit kleinen bimmelnden Glocken dran. Aber das Tollste und Farben­prächtigste an Aurora waren die Haare. Dabei waren es eigentlich gar keine Haare, sondern wilde aufgezwirbelte Zöpfe, die aussahen wie lange Filzschläuche in Knalltönen: Olivgrün, Schwefelgelb, Tintenblau und Korallenrot.

„Aurora, wie schön, dich zu sehen!“, jauchzte Barbara zur Begrüßung.

Auch Aurora freute sich. Sie ließ sofort ihre Reisetasche und den Besen, dessen Stiel ebenfalls mit einer Häkelschleife geschmückt war, zu Boden krachen. Dann fiel sie Barbara um den Hals und lachte vergnügt, während die Glöckchen an ihrer Fußkette lustig dazu bimmelten.

„Du musst Bibi sein!“ Aurora schüttelte Bibi lachend die Hand und überreichte ihr als Willkommensgeschenk eine Packung mit bunten Schokoladenlinsen, die sie aus einer Häkel­tasche zog.

„Danke!“, sagte Bibi und mochte Aurora sofort. Natürlich nicht nur wegen der Schokolade. Sondern wegen allem. Bibi gefiel es, dass Aurora so bunt war und so barfuß. Aber am meisten gefiel ihr, dass sie so völlig anders als andere Erwachsene aussah. Vielleicht war das ja so speziell an ihr?, überlegte Bibi.

Barbara bat ihre Freundin ins Wohnzimmer, wo der Kaffeetisch bereits gedeckt war.

„Oh, Erdbeerkuchen!“, freute sich Aurora und stolperte auch schon über die Türschwelle. Hoppsala!

„Hast du dir wehgetan?“, fragte Barbara besorgt.

Nein, zum Glück waren alle Zehen von Aurora noch heil. Aber sie jammerte trotzdem: „Auweia, das ist mir schon lang nicht mehr passiert. Ich muss gleich noch mal über die Schwelle gehen!“, rief sie händeringend.

„Glaubst du noch immer an diesen Unsinn?“, fragte Barbara stirnrunzelnd.

„Du hast wirklich keine Ahnung, Barbara! Das ist doch kein Unsinn!“, erwiderte Aurora, und gleich darauf ging sie zurück und noch einmal über die Türschwelle. Diesmal ohne zu stolpern.

Bibi wunderte sich natürlich sehr. „Warum machst du das?“, fragte sie erstaunt.

Aurora sah Bibi mit einem vielsagenden Blick an. „Hat dir deine Mami etwa noch nie erzählt, dass es Unglück bringt, wenn man beim Hereinkommen in fremde Häuser gleich über die erste Schwelle stolpert? Und dass man deshalb gleich noch mal drübergehen muss, um das Unglück zu bannen?“, fragte sie Bibi.

Nein, das hatte Barbara ihrer Tochter tatsächlich noch nie erzählt. „Warum eigentlich nicht?“, fragte Bibi ihre Mutter.

Barbara seufzte. „Darüber reden wir später!“, sagte sie nur zu Bibi und ging in die Küche, um den Kaffee zu holen.

Später? Bibi hätte natürlich lieber gleich da­rüber geredet, aber jetzt gab es erst einmal frischen Erdbeerkuchen mit Sahne. Bibi aß gleich zwei Stücke davon und hörte Aurora und Barbara interessiert zu. Die beiden Hexen unterhielten sich nämlich angeregt über alte Zeiten und all die lustigen Sachen, die sie damals erlebt hatten.

„Kannst du dich noch an die Pusteblumenparty erinnern, bei der uns so schwindlig wurde, dass wir gar nicht mehr aufrecht stehen konnten?“, jauchzte Aurora.

Und ob sich Barbara daran erinnern konnte! „Aber diese Party war trotzdem nicht so gut wie unser Zittergrasmarsch!“, lachte Barbara.

Aurora grölte: „Stimmt, der Zittergrasmarsch war einzigartig! Aber nur wegen deiner Kicher­erbsen, Barbara! Ha, ha, ha!“

Bibi hatte noch niemals etwas von Puste­blumenpartys oder Zittergrasmärschen gehört. „Was ist denn ein Zittergrasmarsch? Und was macht man auf Pusteblumenpartys?“, fragte sie daher neugierig, als sie endlich einmal zu Wort kam.

Doch bevor die lachende Barbara ihr darauf eine Antwort geben konnte, tauchte Lanzelot auf. Lanzelot war ein schwarzer Kater aus der Nachbarschaft, und Bibi stellte ihm jeden Nachmittag ein Schälchen mit Katzen­futter auf die Terrasse. Heute hatte sie vor lauter Aurora-Besuch gar nicht daran gedacht. Vielleicht kam Lanzelot deshalb ungeniert durch die Tür hereingetrottet und beschwerte sich mit einem lauten „Miauuu!“.

Fast im selben Moment quiekte Aurora ein noch viel lauteres „Uiuiuiui!“. Dann sprang sie wie der Blitz vom Sofa hoch und stürzte die Treppe hinauf.

Bibi, Barbara und Lanzelot sahen der Hexe verdutzt hinterher. „Komm wieder runter, Aurora! Das ist doch nur die Katze von unserem Nachbarn. Die bringt kein Unglück!“, rief Barbara.

Aber Aurora dachte gar nicht daran. „Nein, nein, Barbara! Es reicht schon, dass ich über die Türschwelle gestolpert bin! Ich brauche nicht auch noch einen schwarzen Kater!“

Dass schwarze Katzen Unglück bringen sollten, hatte Bibi natürlich schon einmal gehört. Aber bisher war sie noch nie auf die Idee gekommen, den unschuldigen Lanzelot unter so einem Gesichtspunkt zu betrachten.

„Das ist doch Unsinn, oder?“, fragte Bibi ihre Mutter.

Barbara nickte. „Natürlich! Aurora ist eben ein bisschen speziell!“, meinte sie dann zu ihrer Tochter.

Da endlich wusste Bibi, was mit „speziell“ gemeint war. Nichts anderes, als dass Aurora abergläubisch war. Und zwar total aber­gläubisch!

„Aurora hat manchmal etwas andere Ansichten als wir! So ist das eben!“, sagte Barbara achselzuckend. Dann bat sie Bibi, den Kater in den Garten zurückzubringen. Schließlich konnte Aurora nicht den ganzen Nachmittag im ersten Stock bleiben.

„Also gut!“, meinte Bibi und versuchte, Lanzelot einzufangen.

Allerdings war das gar nicht so leicht. Nicht umsonst trug Lanzelot den Namen des tapferen Ritters. Geschickt entzog er sich jedem Zugriff, wich nach rechts und nach links aus und wehrte sich sogar mit Pfoten und Krallen.

„Aua!“ Bibi hatte bereits einen Kratzer abbekommen und wich erschrocken zurück.

Dummerweise stieß sie dabei mit „Rawumms!“ an den Spiegel in der Garderobe. „Klirr!“ machte es, und schon war der Spiegel zu Boden gefallen und in tausend Scherben zerbrochen. Mit einem erschrockenen „Miau!“ sprang Lanzelot durch die Terrassentür davon.

Bibi blieb zerknirscht vor dem Scherben­haufen stehen. „Tut mir leid!“, sagte sie zu ihrer Mutter.

„Nicht so schlimm“, tröstete Barbara sie und hob ihre Hände, um den Spiegel wieder ganz zu hexen.

„Neiiin!“, schrie da jedoch eine völlig entsetzte Aurora. Sie hatte den Knall und das Klirren gehört und stürzte jetzt die Treppe hinunter. Im nächsten Moment hielt sie Barbara an den Armen fest, so verzweifelt, als müsste sie die Welt retten. „Aber Barbara, weißt du denn nicht, dass man Spiegel­scherben sieben Tage liegen lassen muss, um dem Unglück wenigstens etwas Einhalt zu gebieten!“, rief Aurora.

Barbara schüttelte den Kopf. „Bitte, Aurora, du weißt doch genau, dass ich nicht an so etwas glaube. Außerdem habe ich keine Lust, sieben Tage lang mit Glassplittern auf dem Boden zu leben!“

Entschieden befreite sie sich aus Auroras Griff und hexte mit „Eene meene Rattenschwanz, der Spiegel ist nun wieder ganz. Hex-hex!“ den Spiegel wieder ganz und an die Wand zurück.

Aurora war fassungslos und konnte nur noch den Kopf schütteln. „Wie kannst du nur?!“, meinte sie zu Barbara.