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Vorwort

Wie entstand Österreichs flächenmäßig – von Wien abgesehen – kleinstes Bundesland? Welche ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen prägten Vorarlberg? Woher stammen seine Bewohner? Warum sind sie in mancherlei Hinsicht anders als die anderen Österreicher? Wie kam Vorarlberg zu seinen landschaftlichen Besonderheiten?

Diese und viele andere Fragen – insgesamt 101 – aus Geschichte und Gegenwart, aus Politik und Wirtschaft, aus Natur und Kultur in lockerer Reihenfolge gleichermaßen kompakt wie kompetent zu beantworten, haben sich die Autorinnen und Autoren dieses Bands zum Ziel gesetzt. Sie wenden sich an ein breites Publikum, an Altwie an Jung- und Neu-Vorarlberger und nicht zuletzt an die zahlreichen Gäste – eben an alle, die mehr über Land und Leute erfahren wollen.

Dem Herausgeber bleibt – neben der Hoffnung, dass das Buch seinen Zweck erfüllen und darüber hinaus auch zu einer vertieften Beschäftigung mit Vorarlbergs Vergangenheit und Gegenwart anregen mag – die höchst angenehme Pflicht der Danksagung: zunächst an die Mit-Autorinnen und -Autoren für ihr Engagement und ihre Disziplin, dann an Frau Mag.a Gabriela Dür, Leiterin der Abteilung Wissenschaft und Weiterbildung im Amt der Vorarlberger Landesregierung, die das Vorhaben vom ersten Konzeptstadium an sowohl ideell wie materiell tatkräftig unterstützte, außerdem an meinen Kollegen im Vorarlberger Landesarchiv Univ.-Doz. Dr. Manfred Tschaikner für Rat, Hilfe und Kritik sowie an den Universitätsverlag Wagner in Innsbruck, insbesondere auch an Frau Mag.a Sandra Gründhammer, für die höchst umsichtige Betreuung.

Alois Niederstätter

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Vorarlberg weist von allen österreichischen Bundesländern die größte geologische Vielfalt auf kleinster Fläche auf.

Inhalt

001

Weshalb sind die Landschaften Vorarlbergs so vielgestaltig?

Helmut Tiefenthaler

002

Sind die Vorarlberger »Alemannen«?

Alois Niederstätter

003

Ist Vorarlberg ein selbständiger Staat?

Peter Bußjäger

004

Warum sprechen die Vorarlberger anders als die anderen Österreicher?

Alois Niederstätter

005

Gab es Vorarlberg schon immer?

Alois Niederstätter

006

Wie kam Vorarlberg zu seinem Namen?

Alois Niederstätter

007

Gibt es auch in Vorarlberg ein Ober-, Unter-, Inner-, Hinter- und Vorderland?

Manfred Tschaikner

008

Woher kommen die Vorarlberger?

Alois Niederstätter

009

War Vorarlberg immer schon ein »Ländle«?

Manfred Tschaikner

010

Wer regiert Vorarlberg?

Peter Bußjäger

011

Wie viele Abgeordnete sitzen im Landtag und welchen Parteien gehören sie an?

Peter Bußjäger / Alois Niederstätter

012

Wer wählt den Landeshauptmann?

Peter Bußjäger

013

Wie viele Landeshauptleute amtierten seit 1945 in Vorarlberg?

Alois Niederstätter

014

Wie entsteht ein Vorarlberger Landesgesetz?

Peter Bußjäger

015

Welche Aufgaben erfüllt der Landtag neben der Gesetzgebung?

Peter Bußjäger

016

Wofür gibt das Land Vorarlberg Geld aus – und woher kommt es?

Peter Bußjäger

017

Wie viele Gemeinden gibt es in Vorarlberg – und brauchen wir sie überhaupt?

Peter Bußjäger / Alois Niederstätter

018

Kann der Bürgermeister, die Bürgermeisterin nach Belieben schalten und walten?

Peter Bußjäger

019

Neckten sich auch die Vorarlberger mit Ortsübernamen?

Manfred Tschaikner

020

Wer kontrolliert die Verwaltung – und was rechnet ein Rechnungshof?

Peter Bußjäger

021

Was stellt das Vorarlberger Landeswappen dar?

Alois Niederstätter

022

Was hat es mit dem Spruch »Schaffa, schaffa, Hüsle baua« auf sich?

Alois Niederstätter

023

Welche Folgen hat das Schrumpfen der Freiräume?

Helmut Tiefenthaler

024

Warum heißt es »Alemannia non cantat« – »Alemannien singt nicht«? Und: Sind die Vorarlberger wirklich unmusikalisch?

Alois Niederstätter/Meinrad Pichler

025

Wem gehört der Bodensee?

Peter Bußjäger

026

Gibt es »Wohlfühlklima« zum Aussuchen?

Helmut Tiefenthaler

027

Gab es Römer in Vorarlberg?

Alois Niederstätter

028

Wann wurden die Vorarlberger Christen?

Alois Niederstätter

029

Was trieben Kolumban und Gallus in Bregenz?

Alois Niederstätter

030

Wurde hierzulande schon im Mittelalter gedichtet?

Alois Niederstätter

031

Wer waren die »Montforter«?

Alois Niederstätter

032

Gab es in Vorarlberg Leibeigene?

Alois Niederstätter

033

Wie alt sind die Vorarlberger Städte?

Alois Niederstätter

034

Warum beanspruchen die »Walser« eine Sonderstellung in Vorarlbergs Geschichte?

Alois Niederstätter

035

Weshalb fürchteten sich die Vorarlberger vor den Appenzellern?

Alois Niederstätter

036

Warum gibt es in Vorarlberg ein Silbertal?

Alois Niederstätter

037

Was waren »Lädinen« und »Segmer«?

Alois Niederstätter

038

Seit wann treten in Vorarlberg Landtage zusammen?

Alois Niederstätter

039

Warum gehörte Vorarlberg jahrhundertelang zu »Oberösterreich«?

Alois Niederstätter

040

Stimmt es, dass Feldkirch mehr gelehrte Männer hervorgebracht hat als Rom?

Alois Niederstätter

041

Weshalb steht Vorarlbergs einziger »Palast« in Hohenems?

Alois Niederstätter

042

Was waren »Ammänner« – und warum hatten sie »Zulauf«?

Alois Niederstätter

043

Gab es einst eine »Wälderrepublik«?

Mathias Moosbrugger

044

Warum nennt man Feldkirch das »Studierstädtle« – und was hat das mit dem Morgenstern zu tun?

Alois Niederstätter

045

Gab es auch früher schon Klimaveränderungen?

Alois Niederstätter

046

Was hatten die Schweden 1647 in Vorarlberg zu suchen?

Alois Niederstätter

047

Seit wann gibt es in Vorarlberg »Türken«?

Alois Niederstätter

048

Gab es auch in Vorarlberg Hexenverfolgungen?

Manfred Tschaikner

049

Was sind »Vereinödungen«?

Alois Niederstätter

050

Wo wirkten die Vorarlberger Barockbaumeister?

Alois Niederstätter

051

Wer ist der Vorarlberger Landespatron?

Ulrich Nachbaur / Alois Niederstätter

052

Warum ist Vorarlbergs berühmteste Künstlerin eigentlich gar keine Vorarlbergerin?

Alois Niederstätter

053

Warum gab es in Vorarlberg »Franzosenkriege«?

Alois Niederstätter

054

Gehörte Vorarlberg einmal zu Bayern?

Alois Niederstätter

055

Worum ging es beim »Weiberaufstand von Krumbach«?

Alois Niederstätter

056

Warum gibt es in Hohenems ein jüdisches Museum?

Alois Niederstätter

057

Welche Bischöfe hatten in Vorarlberg das Sagen?

Alois Niederstätter

058

Was versteht man unter »Dreistufenwirtschaft« und welche Bedeutung hat sie für Vorarlberg?

Alois Niederstätter

059

Was sind »Reisläufer«, »Fremdler« und »Schwabenkinder«?

Alois Niederstätter

060

Wie wurde aus einem Bauernland eine Industrieregion?

Alois Niederstätter

061

Gab es Kinderarbeit auch in Vorarlberg?

Alois Niederstätter

062

Wie schmeckt(e) Vorarlberger Wein?

Alois Niederstätter

063

Was hat Vorarlberg mit dem Suezkanal zu tun?

Alois Niederstätter

064

Was veranlasste die Vorarlberger im Jahr 1848 zu revolutionären Umtrieben?

Alois Niederstätter

065

Welches Ausmaß hatte die Auswanderung nach Amerika?

Meinrad Pichler

066

Welcher Vorarlberger Dichter wollte der »Wahrheitsgeiger« sein?

Ulrike Längle

067

Worum ging es 1861 bei der »Glaubenseinheitsinitiative«?

Alois Niederstätter

068

Wer oder was sind »Kasiner«?

Alois Niederstätter

069

Wie entwickelte sich das Vorarlberger Schulwesen?

Alois Niederstätter / Meinrad Pichler

070

Warum kommen in manchen Vorarlberger Orten ungewöhnlich viele italienische Familiennamen vor?

Alois Niederstätter

071

Was ist ein »Rheindurchstich« und warum gibt es zwei davon?

Alois Niederstätter

072

Wann kam der Fremdenverkehr nach Vorarlberg?

Alois Niederstätter

073

Warum brennt es am ersten Fastensonntag in ganz Vorarlberg?

Manfred Tschaikner

074

Was nahm Kaiser Franz Joseph 1881 in Dornbirn in Betrieb?

Alois Niederstätter

075

In welchem Zusammenhang entstand der Satz: »Was Gott durch einen Berg getrennt hat, soll der Mensch nicht durch ein Loch verbinden«?

Alois Niederstätter

076

Seit wann fahren in Vorarlberg Autos?

Ulrich Nachbaur / Alois Niederstätter

077

Was bedeutete der 23. Mai 1915 für Vorarlberg?

Alois Niederstätter

078

Seit wann dürfen Vorarlbergerinnen studieren?

Meinrad Pichler

079

Wann wollten die Vorarlberger Schweizer werden?

Alois Niederstätter

080

Was ist ein »Landesstatthalter«?

Ulrich Nachbaur

081

War Bregenz schon immer Vorarlbergs Hauptstadt?

Alois Niederstätter

082

Wer war Jodok Fink?

Alois Niederstätter

083

Welcher Vorarlberger Maler stellte »die Trümmer der bürgerlichen Welt dar«?

Heidrun Sandbichler

084

Wie kam die Weltliteratur nach Vorarlberg?

Herbert Motter

085

Welchen Anteil hatte Vorarlberg am »Ständestaat«?

Meinrad Pichler

086

War Vorarlberg ein unschuldiges Opfer des Nationalsozialismus?

Meinrad Pichler

087

Wer befreite Vorarlberg von der nationalsozialistischen Herrschaft?

Alois Niederstätter

088

Was wird in Bregenz auf dem See gespielt?

Alois Niederstätter / Meinrad Pichler

089

Warum nannte man Vorarlberg nach dem Zweiten Weltkrieg den »Goldenen Westen«?

Alois Niederstätter

090

Welche Bedeutung hat die Wasserkraft für Vorarlberg?

Alois Niederstätter

091

Weshalb ist 1954 noch heute als Katastrophenjahr in Erinnerung?

Manfred Tschaikner

092

Was ist eine »Seegfrörne«?

Alois Niederstätter

093

Welcher Tanz wurde 1962 in Vorarlberg verboten?

Ulrich Nachbaur/Anna Mödlagl

094

Was geschah 1964 in Fußach?

Alois Niederstätter

095

Was verbindet Vorarlberg mit Nigeria?

Alois Niederstätter

096

Weshalb wurde »Flint« begraben – und lebte dennoch?

Werner Matt / Alois Niederstätter

097

Seit wann kann man in Vorarlberg Hochschulstudien absolvieren?

Alois Niederstätter

098

Wie kommt Franz Schubert nach Vorarlberg?

Annemarie Bösch-Niederer

099

Hat Vorarlberg eine eigenständige Baukultur?

Helmut Tiefenthaler

100

Welcher Wandel vollzog sich in der Vorarlberger Wirtschaft seit den 1980er-Jahren?

Meinrad Pichler

101

Was geschieht, wenn die Ansprüche an einen kleinen Raum ständig zunehmen?

Helmut Tiefenthaler

 

Anhang

Weiterführende Literatur

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

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Von eiszeitlichen Gletschern geformt: das untere Alpenrheintal und der Bodensee.

001 Weshalb sind die Landschaften Vorarlbergs so vielgestaltig?

»Vom Bodensee zum Gletschereis« – so oder ähnlich heißt es oft in der Tourismuswerbung, wenn das Besondere an Vorarlberg verlockend gemacht werden soll. Ein Höhenunterschied von beinahe 3.000 Metern zwischen Bodensee und Piz Buin ist bei einer Distanz von nur 80 Kilometern zweifellos respektabel. Für die Erforscher der Erdgeschichte ist er jedoch viel weniger beachtenswert als die Verschiedenartigkeit der hier anzutreffenden Gesteinswelten: »Vorarlberg ist jenes österreichische Bundesland, das auf kleinster Fläche größte geologische Mannigfaltigkeit aufweist. Es reicht vom Alpenvorland bis zu den Zentralalpen und verbindet in geologischem Sinne West- und Ostalpen« (Raimund von Klebelsberg).

Wenn wir nach der Entstehung solcher Vielfalt fragen, beginnt der Rückblick vor etwa 250 Millionen Jahren. Damals breitete sich zwischen dem europäischen und afrikanischen Urkontinent ein Meer aus, dem man den Namen »Tethys« gab. Darin lagerten sich Sedimente in je nach Tiefe und Küstennähe sehr verschiedenen Zusammensetzungen ab. In dem den Landmassen vorgelagerten Schelf (Flachmeer) ließ eine in subtropischem Klima entwickelte artenreiche Lebenswelt kalkreiche Meeresböden entstehen. In die weiter entfernten Tiefseebecken wurde hingegen vorwiegend Schlamm eingeschwemmt. Im Laufe von mehr als 200 Millionen Jahren erwuchsen als Folge wechselnder Meerestiefen ungleiche Schichtfolgen von bis zu mehreren hundert Metern Mächtigkeit.

So langsam dabei die Verfestigung zu Gesteinsschichten in der Tiefe vor sich ging, so unmerklich langsam kam es ab der ausgehenden Kreidezeit vor etwa 60 Millionen Jahren zu Hebungen des Meeresgrunds, durch die mit der Zeit eine zusammenhängende Alpeninsel entstand. In der von den Geologen als Tertiär bezeichneten Epoche der Erdgeschichte bewegte sich die afrikanische Kontinentalmasse allmählich nordwärts. Das hatte zur Folge, dass die verschiedenen Ablagerungsschichten durch gewaltige Schubkräfte verbogen, übereinandergeschoben und gefaltet wurden. Dadurch kamen ganze »Decken« von Gesteinsformationen des afrikanischen Flachmeers über jenen der Tiefsee und der europäischen Schelfgebiete zu liegen. Was davon heute als zusammengewachsenes Gebirge zu sehen ist, könnte vergessen lassen, wie weit in manchen Schichtenstapeln die Entstehungsräume ursprünglich voneinander entfernt waren.

Dafür gibt es in Vorarlberg vielerlei Beispiele, wie etwa am Westrand des Rätikons bei Feldkirch. Hier entstammt das »Ostalpin« der Drei Schwestern afrikanischer Küstennähe, der Flysch des Älpelekamms einem Tiefseetrog des Ur-Mittelmeers und der Stadtschrofen wie die anderen niedrigen Anhöhen um die Stadt dem nahe bei Europa abgelagerten »Helvetikum«. Im vereinfachten Überblick liegt Feldkirch an der geologischen Grenze von Ost- und Westalpen, die sich quer durch Vorarlberg bis ins Kleinwalsertal und weiter ostwärts zieht.

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Hoch ragt die aus Jurakalk des Helvetikums bestehende Kanisfluh bei Au im Bregenzerwald auf.

Was die Eigenart dieser Großeinheiten ausmacht, kommt in den Verschiedenheiten ihrer von Süden her übereinandergeschobenen »Decken« und ihren kleinregionalen »Schuppen« zur Geltung. Während sich der leicht verwitterbare Flysch mit grünen Höhenzügen wie etwa am Walserkamm zu erkennen gibt, präsentiert sich die nördlich angrenzende helvetische »Säntisdecke« auch mit wuchtigen Kalkbergen wie der Kanisfluh und dem Hohen Ifen. Die Besonderheiten der Nördlichen Kalkalpen sind in der das Lechquellengebirge und den Rätikon aufbauenden »Lechtaldecke« mit ihren steilwandigen, scharf gezackten Kalk- und Dolomitmauern noch auffälliger ausgeprägt. Wieder anders kommt das massige »Kristallin« – früher sagte man »Urgestein« – des Verwalls und der Silvretta ins Landschaftsbild. Ihr heutiges Profil verlieh den Bergen und Tälern erst die fortdauernde Erosion.

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Die aus Sulzfluh-Kalk aufgebauten Drei Türme sind die markantesten Berggestalten im Rätikon.

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Die Sonnenseite des Großen Walsertals gehört der Flyschzone an.

Von der nördlichen Landeshälfte war im Rohbau Vorarlbergs noch vor 20 Millionen Jahren fast nichts zu sehen. Diese lag in einem langgestreckten seichten Randmeer und den Schuttfächern der nordwärts strömenden Urflüsse verborgen. In den dort abgelagerten Flussschottern und Sandschichten hatte aber bereits die Verfestigung neuer Gesteine begonnen, die als »Molasse« bezeichnet werden. Sie wurden erst nach den Hebungsvorgängen im Spättertiär nördlich des Hochälpele, besonders am Pfänderstock und im Vorderwald, als Stapel von »Nagelfluh«-Konglomeraten, Mergel- und Sandsteinschichten sichtbar.

Noch vor zwei Millionen Jahren fehlte der Bodensee. Das Rheintal war zwar schon von einem Ur-Rhein durchflossen, doch dieser war zur Donau gerichtet. Zudem brauchte die Ausbildung von einigermaßen sanften Landschaftsformen wiederholte Ansätze von »letztem Schliff«. Diesen brachten mehrere Eiszeiten zustande, in denen sich gewaltige Massen von Gletschereis nordwärts bewegten. Sie schürften die Haupttäler zu tiefen, breiten Wannen aus und hinterließen Schuttmassen, die in den Haupttälern nach dem Abschmelzen des Eises von den Bächen und Flüssen in großflächigen Schwemmlandebenen ausgebreitet wurden. Die Zuflüsse aus den Gebirgstälern hatten allerdings ein starkes Gefälle zu überwinden, sodass bei ihren Ausmündungen in die breiten Haupttäler Schluchten entstanden sind.

Von der Späteiszeit an ging die Landschaftsgeschichte unter den Augen von Menschen vor sich. Sie hatten am neu entstandenen Bodensee schon Wohnplätze gesucht, als das eisfrei gewordene Mittelgebirge noch von Tundrenvegetation bedeckt war. Für die Jäger der Mittelsteinzeit erschwerte eine bereits ziemlich dicht gewordene Waldwildnis das Vordringen in die Gebirgstäler. Nun schätzten sie die Möglichkeit, mit Einbäumen auf dem bis weit ins Rheintal reichenden Bodenseefjord zum Kummenberg und anderen Inselbergen rudern zu können. Hier ließen sich in Vorarlberg auch erste Spuren von sesshaft gewordenen Einwanderern nachweisen.

Seither haben die Rheinzuflüsse immer größere Schuttfächer ins Rheintal vorgebaut und in einem schwindenden Rheintalsee eine Fluss- und Sumpfwildnis entstehen lassen. Die letzten zwei Jahrtausende der Landschaftsgeschichte prägte ein zusehends rascherer Wandel der Naturlandschaften in Kulturland mit wachsenden und immer sicherer werdenden Siedlungsgebieten. In der Anpassung an grundverschiedene naturräumliche Voraussetzungen gewannen auch die Kulturlandschaften ausgeprägte Eigenarten.

Am Beispiel des Rheintals mag es so aussehen, als sei hier mit technischer Perfektion eine weitgehende Beherrschung der Natur gelungen. Nicht zuletzt angesichts klimatischer Veränderungen mehren sich allerdings Anzeichen, wie zivilisatorische Fortschritte neue Naturgefahren provozieren können.

Helmut Tiefenthaler

002 Sind die Vorarlberger »Alemannen«?

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Alemannische Bodenfunde sind in Vorarlberg selten. Als Grabbeigabe wurde in Dornbirn-Hatlerdorf ein Kurzschwert (»Sax«) geborgen, aus Bregenz stammt ein Wurfbeil (»Franzsika«).

Streng genommen: nein ! Als »Alemannen« (in der Fachsprache meist: »Alamannen«) bezeichnen Geschichtswissenschaft und Archäologie die Angehörigen eines germanischen »Stamms«, der seit der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr. als bedrohlicher Gegner Roms ins Blickfeld der antiken Überlieferung kam. Zunächst siedelten die Alemannen im Südwesten des heutigen deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg. Von dort aus stießen sie mehrfach nach Gallien sowie über die Alpen bis nach Italien vor. Solche Kriegszüge betrafen auch das Alpenrheintal. Das Verhältnis zwischen Römern und Alemannen war jedoch keineswegs nur von Feindschaft geprägt. Alemannische Truppenteile dienten in verschiedenen Einheiten des römischen Heeres, alemannische Fürsten stiegen in der römischen Militärhierarchie auf.

Am Ende des 5. Jahrhunderts, als das weströmische Reich zusammenbrach, gerieten die Alemannen mit den unter dem Merowinger-König Chlodwig († 511) geeinten Franken in Konflikt. In mehreren Feldzügen geschlagen, siedelten sich alemannische Gruppen im bayerisch-schwäbischen Alpenvorland an, etwa von der Mitte des 6. Jahrhunderts an auch in der heutigen Schweiz und in Vorarlberg. Dieser Zuzug geschah nicht als gewaltsame »Landnahme«, sondern als ein kontrollierter Vorgang in einem nach dem Zusammenbruch der spätantiken Ordnung zwar verdünnten, aber doch besiedelten Gebiet. Im Süden Vorarlbergs dominierte die romanische Bevölkerung noch lange Zeit, auch Angehörige anderer Völkerschaften – Franken, Thüringer, ja sogar Slawen – lassen sich damals hierzulande nachweisen. Stellt man außerdem die weiteren Migrationsbewegungen der letzten anderthalb Jahrtausende in Rechnung, werden wohl nur wenige heutige Bewohner des Landes von den Alemannen des Frühmittelalters abstammen.

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Eine St. Galler Handschrift aus dem Jahr 793 überliefert das Volksrecht der Alemannen (»Lex Alamannorum«).

Geblieben ist die landläufige Zuweisung Vorarlbergs zur »schwäbischalemannischen« Mundartgruppe (004 Warum sprechen die Vorarlberger anders als die anderen Österreicher?). Die Sprachwissenschaft bezeichnet sie freilich neutral als »westoberdeutsch« und bringt damit zum Ausdruck, dass sie mit den Sprachformen des seinerzeitigen Stamms der Alemannen nichts zu tun hat.

In der Landesgeschichte spielte das »Alemannentum« insofern eine Rolle, als es – unter verschiedenen Vorzeichen – als »ethnisches Identifikationsangebot« diente: zunächst um den Wunsch nach der verwaltungsmäßigen Trennung von Tirol zu begründen, später um sich vom »bajuwarischen Osten« Österreichs, insbesondere vom »roten« Wien abzugrenzen sowie um angeblich in Vorarlberg besonders ausgeprägte Wesensmerkmale und »Tugenden« (Fleiß, Sparsamkeit, Realitätssinn, demokratisches Empfinden) damit zu verbinden.

Alois Niederstätter

003 Ist Vorarlberg ein selbständiger Staat?

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Die 1984 vom Landtag beschlossene Verfassung.

Ja ! Gemäß der Bundesverfassung ist die Republik Österreich ein Bundesstaat und Vorarlberg eines der neun »selbständigen Länder«, die diesen Bundesstaat bilden. Zwar wird die Republik durch den Bundespräsidenten und die Bundesregierung vertreten, aus juristischer Sicht sind die Bundesländer aber »selbständige Staaten«.

Das zeigt sich darin, dass sie eigene Gesetze erlassen dürfen und eigene Landesregierungen haben. Alle Zuständigkeiten, die nicht von der Bundesverfassung auf den Bund übertragen sind, verbleiben im so genannten »selbständigen Wirkungsbereich« der Länder.

Historisch reicht Vorarlbergs Selbständigkeit ins Jahr 1918 zurück, als beim Zusammenbruch der Habsburgermonarchie eine provisorische Landesversammlung in Bregenz zusammentrat, die bis dahin bestehende Verwaltungseinheit mit Tirol aufkündigte und Vorarlberg »auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes als eigenes selbständiges Land im Rahmen des deutsch-österreichischen Staates« deklarierte.

Weil aber Gesetze auch vom Nationalrat und vom Bundesrat in Wien sowie vom Europäischen Rat und vom Europäischen Parlament – Österreich ist einer von derzeit 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union – erlassen werden, ist Vorarlbergs »Selbständigkeit« beschränkt.

Zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Europäischer Union, Mitgliedstaaten und Ländern bzw. Regionen wird häufig das »Subsidiaritätsprinzip« herangezogen. Demgemäß soll eine übergeordnete Ebene nur dann einschreiten, wenn die nachgeordnete Ebene bestimmte Aufgaben nicht hinreichend erfüllen kann. In der Praxis erweist sich die Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips freilich als schwierig. Sowohl der Bund als auch die Europäische Union versuchen immer wieder, den Gestaltungsspielraum der Länder zu beschneiden.

Peter Bußjäger

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004 Warum sprechen die Vorarlberger anders als die anderen Österreicher?

Zwar sprechen alle Österreicher, sofern sie die herkömmlichen regionalen Mundarten verwenden, »oberdeutsch«, doch trennt der Arlberg – mehr oder weniger genau – das bairische vom alemannischen Dialektgebiet. Zu Letzterem gehört in Österreich im Wesentlichen nur Vorarlberg, außerdem die deutschsprachige Schweiz, große Teile Baden-Württembergs und das Elsass. Dieser Unterschied ist eine Folge der Siedlungsverhältnisse im frühen Mittelalter (002 Sind die Vorarlberger »Alemannen«?).

Weil das Alemannische auch beim Hilfsverb »sein« keine Mitvergangenheitsform kennt und dafür das Perfekt »i bi gsi« (= ich bin gewesen) verwendet, kamen die Vorarlberger im übrigen Österreich zum scherzhaften Übernamen »Gsiberger«.

Charakteristisch ist außerdem das Fehlen der so genannten »neuhochdeutschen Diphthongierung«, weswegen man in Vorarlberg beispielsweise »Hus« für »Haus« oder »Krüz« für »Kreuz« sagt. Gerne wird auch die mit der Nachsilbe »-le« gebildete Verkleinerungsform verwendet, etwa »Hus« – »Hüsle«. Dazu kommen Vokabeln, die die Schriftsprache bzw. andere Dialekte nicht kennen: »Häs« (Kleidung), »Gof« bzw. »Gog« (Kind) usw.

Allerdings gibt es keine einheitliche Vorarlberger Mundart, vielmehr beeindruckt die ungewöhnlich große Vielfalt auf kleinem Raum. Allein dass es für »gehabt« in Bregenz »ket«, in Dornbirn »kia« und in Feldkirch »ka« heißt, zeigt die starke innere Differenzierung. Besonders ausgeprägte Mundarten werden in Lustenau, im hinteren Bregenzerwald und im Montafon gesprochen. Im nördlichen Bregenzerwald finden sich deutliche Anklänge an das Allgäuische, in Bregenz ans Schwäbische, am Tannberg und in den beiden Walsertälern Relikte des Walserischen (034Warum beanspruchen die »Walser« eine Sonderstellung in Vorarlbergs Geschichte?).

Wie alle Sprachen verändern sich auch die Dialekte. Wachsende Mobilität etwa drängt lokale Besonderheiten zurück, manches vermischt sich. Während bestimmte Begriffe verschwinden, kommen neue hinzu. Dennoch bleiben die Vorarlberger Mundarten ein starkes Identitätsmerkmal.

Alois Niederstätter

005 Gab es Vorarlberg schon immer?

Kurz gesagt: nein ! Seine gegenwärtigen Grenzen erhielt Vorarlberg erst im Jahr 1814, zu einem »Land« im heutigen Sinn des Wortes wurde es gar erst 1861. Bis dorthin war der Weg lang: Im Hochmittelalter gehörte jenes Gebiet, das viel später einmal Vorarlberg werden sollte, zum Herzogtum Schwaben. Vor Ort hatten die Grafen von Bregenz, der Abt des Klosters St. Gallen sowie Beauftragte des Herzogs bzw. des Königs das Sagen. Vom 13. Jahrhundert an schufen die Grafen von Montfort (031Wer waren die »Montforter«?) und ihre Nebenlinie, die Grafen von Werdenberg, hier, aber auch links des Rheins und nördlich des Bodensees eigenständige Herrschaftsgebiete, die durch Erbteilungen aber immer kleiner wurden.

Den Grundstein für die spätere Landeseinheit legte schließlich die Territorialpolitik der habsburgischen Herzöge von Österreich. Mit dem Kauf der Neuburg (bei Koblach) im Jahr 1363 wurde die Tür geöffnet, dann ging es Schlag auf Schlag: Es folgten der Erwerb der Herrschaften Feldkirch (1375/1390) und Bludenz (1394/1420), der Südhälfte der Herrschaft Bregenz (1451), des Tannbergs samt dem Kleinwalsertal (1453), der Grafschaft Sonnenberg im Walgau mit dem Klostertal (1474) sowie schließlich der Nordhälfte der Herrschaft Bregenz (1523). Nur Hohenems mit Lustenau und Blumenegg (das Große Walsertal mit den im Walgau vorgelagerten Gemeinden Thüringen, Ludesch und Bludesch) blieben davon ausgenommen.

Damit war zwar ein beträchtlicher Teil des heutigen Vorarlberg in österreichischer Hand, aber noch lange nicht verwaltungsmäßig vereinigt. Deswegen gab es auch keinen gemeinsamen Namen dafür. Aus Innsbrucker Sicht sprach man einfach von den »Herrschaften vor dem Arlberg« (006Wie kam Vorarlberg zu seinem Namen?).

Erst mit der Einrichtung eines »Oberamts« in Bregenz (1750), aus dem später ein »Kreisamt« wurde, erfolgte die organisatorische Zusammenführung. Dieser Prozess sowie die gemeinsamen militärischen Anstrengungen in den Kriegen gegen Frankreich (053Warum gab es in Vorarlberg »Franzosenkriege«?) an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ließen allmählich ein auf ganz Vorarlberg bezogenes Wir-Gefühl, ein Landesbewusstsein, entstehen. Inzwischen waren auch Hohenems (1765/67) und Blumenegg (1804) an Österreich gekommen.

Nachdem Vorarlberg an der Jahreswende 1805/06 den Bestimmungen des Friedens von Pressburg gemäß an das Königreich Bayern (054 Gehörte Vorarlberg einmal zu Bayern?) abgetreten worden war, wurde es der Provinz Schwaben zugeteilt und verschwand damit von der politischen Landkarte. Mit der Rückkehr an Österreich im Jahr 1814 fand es, weil das Allgäuer Gebiet um Weiler bei Bayern verblieb, zu seiner heutigen Gestalt. Den Status als Land wollte Kaiser Franz freilich nicht bzw. nicht in vollem Umfang anerkennen. Tirol und Vorarlberg erhielten eine gemeinsame Oberbehörde, unter der Vorarlberg nur einen Verwaltungskreis bildete. Auch die im Revolutionsjahr 1848 errungene Aufwertung zum Land blieb nur eine kurze Episode.

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Als Blasius Hueber 1783 die erste moderne Vorarlbergkarte schuf, gehörten die Grafschaft Hohenems und die Herrschaft Blumenegg noch nicht zum Land, dagegen aber jene Allgäuer Gebiete, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts an Bayern fielen.

1859 deponierte eine Vorarlberger Delegation in Innsbruck den ausführlich begründeten Wunsch nach einer Lösung von Tirol. Er ging 1861 in Erfüllung, als Kaiser Franz Joseph mit dem »Februarpatent« den Vorarlbergern eine Landesordnung sowie einen Landtag mit Sitz in Bregenz zubilligte (038Seit wann treten in Vorarlberg Landtage zusammen?). Trotz verhältnismäßig bescheidener Kompetenzen und der weiterhin bestehenden verwaltungsmäßigen Zuordnung zur Statthalterei in Innsbruck war Vorarlberg fortan politisch als Land »erlebbar«. Die Klammer, die es zusammenhielt, war einzig der Landtag, denn der Kaiser vereinigte die alten Herrschaften weiterhin nur durch seine Person als Graf von Bregenz, von Feldkirch, von Bludenz, von Sonnenberg, von Hohenems, als Herr von Blumenegg.

Die vollständige Trennung von Tirol ermöglichten erst die Katastrophe des Ersten Weltkriegs und der Zusammenbruch der österreichischungarischen Monarchie: Am 3. November 1918 trat in Bregenz die provisorische Landesversammlung zusammen und beschloss unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker die Gründung Vorarlbergs als »eigenes selbständiges Land« im Rahmen der neuen, kleinen Republik Österreich (003Ist Vorarlberg ein selbständiger Staat?).

Schon zwei Jahrzehnte später war alles wieder anders: Im März 1938 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Vorarlberg (086 War Vorarlberg ein unschuldiges Opfer des Nationalsozialismus?), deutsche Wehrmachtsverbände überschritten die Grenze. »Reichsgaue« traten an die Stelle der annektierten Republik Österreich und ihrer Länder, die Verwaltung des »Reichsgaus Tirol und Vorarlberg« wurde in Innsbruck konzentriert. Mit der Befreiung durch alliierte Truppen im Jahr 1945 (087 Wer befreite Vorarlberg von der nationalsozialistischen Herrschaft?) und der Konstituierung eines wiederum demokratisch gewählten Landtags gewann Vorarlberg seine Selbständigkeit als österreichisches Bundesland zurück. Symbol dafür war am 11. Dezember 1945 die Konstituierung des kurz zuvor gewählten Landtags.

Alois Niederstätter

006 Wie kam Vorarlberg zu seinem Namen?

Der Name »Vorarlberg« ist ein getreues Spiegelbild der historischen Entwicklung des vergleichsweise spät so bezeichneten Gebiets. Weil sich im Mittelalter – und noch darüber hinaus – weder ein Herrschaftsgebiet noch eine von den Bewohnern als Einheit empfundene Landschaft mit dem heutigen Land deckten, es Vorarlberg also schlichtweg nicht gab, brauchte es dafür auch keinen Namen (005 Gab es Vorarlberg schon immer?).

Zwar erwarben die Habsburger zwischen 1363 und 1523 weite Teile des nachmaligen Vorarlberg, fassten diese aber organisatorisch nicht zusammen, sodass die Herrschaften Bregenz (mit Hohenegg), Neuburg, Feldkirch sowie Bludenz-Sonnenberg jeweils direkt dem Landesfürsten bzw. dessen Regierung in Innsbruck unterstanden.

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König Ferdinand verspricht den Ständen der vier Herrschaften »vor dem Arlenberg«, sie bei ihren althergebrachten Rechten und Freiheiten zu belassen.

Wollte man diese Gebiete in ihrer Gesamtheit benennen, bediente man sich – von Tirol aus gesehen – des etwas umständlichen Begriffs »Herrschaften enhalb des Arls« bzw. »enhalb des Arl und des Ferns« (jenseits des Arlbergs und des Fernpasses), später auch »vor dem Arlberg«. Kam der Blick von Westen, hieß es folgerichtig »dieshalb« statt »enhalb«. Außerdem verwendete die habsburgische Verwaltung in Innsbruck von etwa 1500 bis über die Mitte des 17. Jahrhunderts dafür den Begriff»Walgau«, der das Ganze nach dem am nächsten gelegenen Teil bezeichnete.

Erst von etwa 1700 an setzte sich als kürzere Form »vorarlbergisch« bzw. »Vorarlberg« durch – sowohl bei der staatlichen Obrigkeit, die 1750 in Bregenz ein »Oberamt der Landvogtei Vorarlberg« einrichtete, wie auch in der Volkssprache.

Und dabei blieb es bis heute.

Alois Niederstätter

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Der Instanzen-Schematismus für Tirol und Vorarlberg von 1795 nennt als oberste Behörde im Land das »k. k. Kreisamt in Vorarlberg«.

007 Gibt es auch in Vorarlberg ein Ober-, Unter-, Inner-, Hinter- und Vorderland?

Wohl nur wenige Länder sind so klein, dass man sie sich nicht in ein Ober-, Unter-, Inner-, Hinter- oder Vorderland gliedern könnte. Vorarlberg zählt jedenfalls nicht dazu, denn hier finden sich alle angeführten Bezeichnungen. Am bedeutendsten ist dabei die Unterscheidung zwischen dem Ober- und dem Unterland.

Diese beiden Landesteile trennt der markante Inselberg Kummen, wo schon im Frühmittelalter der alemannisch besiedelte Bodenseeraum an das vornehmlich romanische Churrätien stieß. Obwohl später weite Gebiete nördlich davon an die Herrschaft Feldkirch gelangten, erstreckt sich das Oberland heute noch nur bis Altach. Unmittelbar südlich von Hohenems und quer durch die Ortschaft Bauern verlief überdies bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die Grenze zwischen den Bistümern Konstanz und Chur (057 Welche Bischöfe hatten in Vorarlberg das Sagen?). Sie bildet bis heute in etwa die Scheidelinie zwischen den Mundarten Süd- und Nordvorarlbergs und wird mit einer Reihe weiterer regionaler Besonderheiten in Verbindung gebracht. So sollen die Käsknöpfle oder Kässpätzle, eines der Vorarlberger »Nationalgerichte«, südlich des so genannten »Sauerkäs-Äquators« mit der genannten Zutat, nördlich davon aber mit Fettkäse – also deutlich »fadenreicher« – zubereitet werden.

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Im Rheintal trennt der Kummenberg das Unter- vom Oberland.

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Zum Oberland rechnet man gemeinhin auch das Montafon mit dem Hauptort Schruns.

Innerhalb des Bistums Chur bildete das südliche Vorarlberg eine eigene Verwaltungseinheit, das so genannte Drusianische Kapitel. Es wurde auch als »Walgau« bezeichnet, weil sich hier die rätoromanische Sprache der »Walchen« lange erhalten hatte, was sich nicht zuletzt noch an den Flur- und Ortsnamen erkennen lässt. Wie das Rheintal durch den Kummenberg wurde der Walgau durch die Ill-Schlucht bei Feldkirch in zwei Teile geschieden: in den vorderen und in den inneren Walgau. Diese Einteilung verlor ihre Bedeutung, nachdem das südliche Vorarlberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts vom Bistum Chur abgetrennt worden war. Im Verlauf der Zeit nannte man den ehemals vorderen Walgau – also das Gebiet zwischen Feldkirch und Götzis – nur mehr »Vorderland«. Gleichzeitig engte sich die Bezeichnung »Walgau« auf das mittlere Ill-Tal zwischen Frastanz und Bludenz ein. Damit kam auch der Begriff»Innerland«, der einst fast das gesamte Gebiet des heutigen Bezirks Bludenz umfasst hatte, außer Gebrauch.

Das Unterland erstreckt sich vom Kummenberg bis zur Bregenzer Klause, der früher strategisch wichtigen Verengung, wo der Pfänderstock nahe an den See heranreicht. Die österreichischen Gebiete, die aus Vorarlberger Sicht davor lagen, nannte man in der Frühen Neuzeit die »äußeren Stände«. Als »Außerland« konnte man sie nicht bezeichnen, denn »außer Landes« zu sein hätte so viel bedeutet, wie nicht mehr zum Land zu gehören. In manchen kriegerischen Zeiten blieb dem vorklausischen Gebiet dieses Schicksal allerdings tatsächlich nicht erspart. Schließlich wurde 1815 mit dem Landgericht Weiler sogar ein großer Teil der ehemaligen »äußeren Stände« von Vorarlberg abgetrennt und endgültig Bayern zugeteilt (054 Gehörte Vorarlberg einmal zu Bayern?).

Den Begriff»Hinterland« verwendete man nur selten. Im 19. Jahrhundert bezeichnete man damit gelegentlich jene Gebiete, die nicht im Rheintal als dem wirtschaftlichen Schwerpunkt Vorarlbergs lagen. Eine Ausnahme bildete dabei der Bregenzerwald, denn er ist, wie der Name schon sagt, kein Land, sondern ein – ja vielmehr der – Wald. Auch dieser gliedert sich in einen vorderen und einen hinteren Teil. Ersterer zählte zur Herrschaft Bregenz, Letzterer zur Herrschaft Feldkirch. Obwohl der hintere Wald davon durch hohe Berge getrennt war, blieb er in der Vergangenheit keineswegs »hinterwäldlerisch« im Sinn von »rückständig«.

Verlässt man den Bregenzerwald, kommt man zumeist »ins Land hinaus«, wo die »Ländlar« wohnen. Und dort zeigt sich bald wieder, dass es eben verschiedene davon gibt, wobei manchem nicht klar ist, ob die Vorderländer auch Oberländer sind, das Oberland also nicht erst hinter der Felsenau beginnt. Aus historischer Sicht ist der Befund jedoch eindeutig: Das Vorderland zählt zum Oberland.

Manfred Tschaikner

008 Woher kommen die Vorarlberger?

Jahrhundertelang war Vorarlberg ein an Ressourcen armes Land, das nicht alle seine Bewohner zu ernähren vermochte. Als Ausweg blieben vorübergehende oder auf Dauer ausgelegte Formen der Auswanderung (059 Was sind »Reisläufer«, »Fremdler« und »Schwabenkinder«?), (065 Welches Ausmaß hatte die Auswanderung nach Amerika?).

Die im Vergleich dazu seltenen Zuwanderer übten etwa als Ärzte, Juristen, Lehrer, Kaufleute oder Geistliche meist qualifizierte Berufe aus. Spezialisten waren auch die »fremden« Bergknappen, die im 16. Jahrhundert im Montafon aktenkundig wurden, oder jene Appenzeller Sennen, die sich seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert in Vorarlberg niederließen und die die bis dahin kaum geübte Fettsennerei einführten. In Gruppen gelangten um 1300 die »Walser« ins Land (034 Warum beanspruchen die »Walser« eine Sonderstellung in Vorarlbergs Geschichte?), dann im 17. Jahrhundert die Begründer der jüdischen Gemeinde in Hohenems (056 Warum gibt es in Hohenems ein jüdisches Museum?).

Aus der Schweiz sowie aus Großbritannien stammten Pioniere der Vorarlberger Textilindustrie (060 Wie wurde aus einem Bauernland eine Industrieregion?). Die im Land fehlenden Fachkräfte brachten die Fabrikanten von auswärts mit.

Erst als die Textilindustrie im späteren 19. Jahrhundert ihren Bedarf an kostengünstigen Arbeitskräften nicht mehr aus dem regionalen Reservoir decken konnte, wurde aus dem Auswanderungs- auch ein Zuwanderungsland: Im italienischsprachigen Trentino, das damals noch zur Habsburgermonarchie gehörte, ließen sich Arbeiterinnen und Arbeiter in großem Stil anwerben. Was in der Regel als vorübergehende Beschäftigung geplant war, führte trotz der Ressentiments vieler Einheimischer zur dauernden Niederlassung (070 Warum kommen in manchen Vorarlberger Orten ungewöhnlich viele italienische Familiennamen vor?). Zu dieser Zeit zog auch Bregenz mit einer stark expandierenden Fremdenverkehrswirtschaft, einem blühenden Gewerbe und einigen Fabriken Arbeitsmigranten aus der ganzen Monarchie an.

1939 hatten sich Adolf Hitler und der italienische Diktator Benito Mussolini auf die »freiwillige Umsiedlung« der Südtiroler Bevölkerung in das damalige Deutsche Reich geeinigt. Von den ungefähr 75.000 Menschen, die sich dafür entschieden hatten, gelangten etwa 12.000 nach Vorarlberg, wo für sie die »Südtiroler-Siedlungen« errichtet wurden.

Von den ausgehenden Vierziger- bis in die Sechzigerjahre des 20. Jahrhunderts verließen Tausende junge Männer und Frauen aus Kärnten und der Steiermark strukturschwache Gebiete ihrer Heimat, um in der Textilindustrie, die sich nach Kriegsende rasch erholt hatte, auf den Großbaustellen der Energiewirtschaft sowie in der Gastronomie zu arbeiten (089 Warum nannte man Vorarlberg nach dem Zweiten Weltkrieg den »Goldenen Westen«?). Viele kamen als Saisonkräfte, andere für mehrere Jahre, nicht wenige blieben auf Dauer in Vorarlberg.

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Zuwanderer aus dem Trentino arbeiteten vornehmlich in der Textilindustrie sowie im Bauhandwerk.

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Für die Südtiroler Umsiedler wurden zu Beginn der 1940er-Jahre in mehreren Vorarlberger Orten – wie hier in Bludenz – Siedlungsanlagen errichtet.

Als der Zustrom aus dem Südosten Österreichs nachließ, begann die Anwerbung von Arbeitskräften aus dem damaligen Jugoslawien und in weiterer Folge aus der Türkei. Im Spitzenjahr 1973 stammten 22 Prozent aller in Vorarlberg unselbständig Erwerbstätigen aus diesen beiden Ländern. Mit ihnen gelang es der Textilindustrie ein letztes Mal, die Kosten zu senken und die Kapazitäten auszulasten. Über die Integration dieser Menschen machte man sich keine Gedanken, weil man davon ausging, die »Gastarbeiter« würden nach einigen Jahren wieder in die Heimat zurückkehren. Heute leben in Vorarlberg etwa 13.500 Personen, die die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, aber mehr als 24.000, die Türkisch als Umgangssprache angeben.

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1964 schloss die österreichische Regierung mit der Türkei eine Vereinbarung über die Anwerbung von Arbeitskräften, die in weiterer Folge auch nach Vorarlberg kamen.

Neue Verhältnisse schuf in den vergangenen Jahren die Personenund Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bürgerinnen und Bürger der Euro-päischen Union. Seit 2001 hat sich die Zahl der in Vorarlberg lebenden deutschen Staatsbürgerinnen und -bürger mehr als verdoppelt, sie stellen mit über 16.000 Personen die größte Gruppe der ausländischen Bevölkerung.

Seit 1945 war Vorarlberg immer wieder gefordert, Flüchtlinge aufzunehmen, zu betreuen und jene zu integrieren, die sich entschlossen, hier eine neue Heimat zu finden. Unmittelbar nach Kriegsende waren es die zahlreichen Heimatvertriebenen, 1956 etwa 2.000 Ungarn, von denen wenige hundert in Vorarlberg blieben, 1968 Tschechoslowaken, die anlässlich der Niederschlagung des »Prager Frühlings« das Land verließen, 1979/80 vietnamesische »Boatpeople«, 1992 bis 1995 ungefähr 5.000 vor dem Balkankrieg Geflohene, überwiegend aus Bosnien. Derzeit leben in Vorarlberg mehr als 4.500 Menschen, die zumeist aus den Krisen- bzw. Kriegsgebieten Syrien, Afghanistan, Irak, Somalia und Pakistan stammen.