Cover
Alf Mentzer,
Hans Sarkowicz (Hrsg.)
Richtisch beese Mäuler
Hessische Satiren
Alle Rechte vorbehalten • Societäts-Verlag
© 2011 Frankfurter Societäts-Medien GmbH
Satz: Nicole Proba, Societäts-Verlag
Umschlaggestaltung: Nicole Proba, Societäts-Verlag
ISBN 978-3-95542-004-8

Inhalt

Vorbemerkung
TRANSITLAND IM MITTELPUNKT
HESSISCHE REVOLUTIONEN
Geschichte meiner Gefangenschaft nebst Beschreibung der herrlichen Wandgemälde, die sich in der Hauptwache zu Frankfurt befinden
ABC-Buch der Freiheit für Landeskinder
Handbüchlein für Wühler
Häusliche Nacht-Szene bei der Revolution
Bismarck
HESSISCHE ORTSBESICHTIGUNGEN
Brief über den Rheingau
Schreckensnacht auf der Landstraße
Rast in Hessen
HERR, LASS ABEND WERDEN – Chronik einer Heimsuchung
Schöne neue Heimat
HESSISCHE ORIGINALE
Patriotischer Beitrag zur Methyologie der Deutschen nebst einer Vorrede über das Methyologische Studium überhaupt
Moritzchens Tagebuch
Für alles ein Gewürz
Die Vollidioten
HESSEN-DARMSTÄDTISCHE NATIONALGESICHTER
Leonce und Lena
Bilder aus Arkadien
Der Datterich
Leberecht vom Knopf
HESSISCHE VISIONEN
Dämonische Reisen in alle Welt
Welt-Unnergang 1857
Der Hakenkreuzzug
Ein geglückter Auftakt
DIE WUNDERBARE TENDENZ ZUM NICHTS
Bio-bibliografische Notizen

Vorbemerkung

Der Hesse (und natürlich auch so manche Hessin) ist leicht erregbar, leidenschaftlich aufmüpfig, habituell schlagfertig und unerbittlich scharfzüngig – kurz er hat ein ‚beeses Maul‘, und das hatte er schon, als Hessen als einheitliches Bundesland noch gar nicht existierte. Lang ist die hessische Satiretradition, die von Georg Christoph Lichtenberg über Ludwig Börne, Georg Büchner, Heinrich Hoffmann bis zu Eckhard Henscheid, Matthias Beltz oder Robert Gernhardt führt: „An keinem Ort Deutschlands hat diese Kunst des Spottes und des Humors einen so ausgiebigen Boden gefunden, als gerade in unseren Tagen hier in Frankfurt“ – stellte 1848 der Reklameprospekt eines Frankfurter Verlegers fest. Zitiert hat ihn im Jahr 1998 eben jener Robert Gernhardt, der zusammen mit seinen Koautoren der in Frankfurt geborenen Zeitschriften Pardon und Titanic, den Zentralorganen der ‚Neuen Frankfurter Schule‘, wie kein anderer für das satirische Potential der 68er-Generation stand. 1848 und 1968 – das sind zwei Kulminationspunkte der satirischen Aktivitäten in Frankfurt und seinem hessischen Umland – zwei Revolutionen, die, vom Protest gegen reaktionäre politische Zustände befeuert, zu einer Vielzahl von neuen Publikationsformen geführt haben, in denen sich das Selbstbewusstsein einer kritischen Öffentlichkeit artikulierte. 1848 und 1968 – das sind aber auch zwei Revolutionen, die früh an ihren inneren Widersprüchen scheiterten, die zeitweilig zu ihrer eigenen Karikatur zu werden drohten. Und so ist auch die hessische Satiretradition, wenn überhaupt, nur in ihrer Widersprüchlichkeit zu fassen: fortschrittlich und zugleich auch fortschrittsskeptisch, couragiert und manchmal erschreckt von der eigenen Courage. Die Satire war und ist in den hessischen Gebieten immer auch ein Mittel der bürgerlichen Selbstverständigung, die wiederum in der Aufklärung wurzelt, in einer Aufklärung allerdings, die neben dem intellektuellen Scharfsinn eines Lichtenberg immer auch die Volkstümlichkeit eines Friedrich Stoltze kannte. Sie hat das große Ganze im Blick und fühlt sich doch zugleich dem regionalen Hier und Jetzt verpflichtet. Sie ist kosmopolitisch und provinziell in einem, kennt das universalistische Revolutionspathos und die selbstbezogene Kneipengemütlichkeit. Wie alle Satire ist die hessische Satire gegen Macht, Obrigkeit und Traditionen gerichtet, aber sie nimmt immer auch gern die Spießbürgerlichkeit in den eigenen Reihen aufs Korn. Es gehört zur Liebenswürdigkeit des hessischen ‚bees Mauls‘, dass es die eigene Bissigkeit durch Witz, Humor und nicht zuletzt durch eine gehörige Portion Selbstironie zu zähmen versteht. Die schärfsten Kritiker der Elche – das gehört zur ‚Neuen Frankfurter Schulbildung’ wie der Handkäs zum Apfelwein – waren früher selber welche.
Dieser Band umfasst hessische Satiren aus vier Jahrhunderten, darunter auch Texte, die hier zum ersten Mal nach ihrem Erstdruck wieder in Buchform erscheinen, so zum Beispiel die Dämonische Reise des Johann Konrad Friederich: Verfasst im Jahre 1847, ist dies eine Utopie von nahezu unheimlicher Weitsicht, die schon im 19. die Katastrophen des 20. Jahrhunderts detailgenau vorausgesehen hat – ohne dass diese Visionen seinerzeit ernst genommen worden wären. Rückblickend gilt allerdings sowieso: Die hessischen Satiriker haben die Welt auf ihre je eigene Weise interpretiert – zu Revolutionen hat das nicht geführt. Aber das entspricht der hier vorzustellenden Geisteshaltung, oder wie Matthias Beltz, der nicht ohne Grund am Anfang und Ende dieser Sammlung satirischer Lebensweisheit steht, die Grundfragen hessischer Existenz zusammengefasst hätte: „Wo geht der Hesse hin? Wo kommt er her? Und warum ist er nicht dort geblieben?“

TRANSITLAND IM MITTELPUNKT

Matthias Beltz
Hessen hat nur deutsche Grenzen, es gibt keinen Übergang in ein fremdes Land. Hessen ist also umzingelt von lauter Deutschen und ist so extrem deutsch, denn auch Deutschland ist geprägt durch seine europäische Mittellage. Was die im einzelnen verursacht hat, darüber streiten sich die Historiker. Fest aber steht, daß Hessens Schicksal der Mitte dieses Land und seine tragische Verlorenheit bestimmt hat und weiter bestimmt.
Warum aber interessiert mich das, was das Hessische von, sagen wir: dem Badischen oder dem Bayrischen unterscheidet? Als gebürtiger Hesse, Mutter aus Gießen, Vater aus Kassel, habe ich früh gespürt, daß etwas mit mir nicht stimmt. Hesse sein heißt, einen unsichtbaren Fluch zu empfinden, ein Schicksal zu spüren, das einen anweht aus dem Raum, der Hessen heißt.
Nun liegt dies nicht daran, daß dieses Land eine unnatürliche und überhaupt nicht organisch gewachsene Geschichte und Form besitzt. Es geht nicht darum, daß es schwierig ist, eine hessische Identität zu bestimmen. Identität scheint mir wichtig in der Frage der Verbrechensbekämpfung, vielleicht auch zur Förderung des Verkaufs von Markenartikeln nötig – Identität aber erklärt nicht das Besondere der hessischen Mentalität.
Die rührt aus der Unwirklichkeit des Landes Hessen. Landschaft und politische Grenzen, die wechselten im Lauf der Geschichte, geologische Beschaffenheit – das sind wichtige Faktoren.
Entscheidend aber ist, daß Hessen ein Ort des Durchgangs ist, Völkerwanderungen und Kriegsbewegungen stapften hier durch, von Ost nach West und später mehr von West nach Ost, von Süd nach Nord und umgekehrt, aber nie war Hessen das Ziel, nie ist heute noch Hessen das Ziel, in Gießen an der Lahn war das letzte Durchgangs- oder Auffanglager für DDR-Flüchtlinge, aber für die war Gießen nie das Ziel, so wie Hessen nie das wirkliche Ziel ist derer, die hierherkommen und unsere Sprache verachten und unseren Dialekt furchtbar finden und über unseren Apfelwein lachen und über die Küche und darüber, daß selbst Goethe Hessen verlassen hat, so wie Büchner geflüchtet ist aus Gießen nach Zürich, um dort zu sterben.
Hessen ist Transitland, ist eine virtuelle Region, eine Cyber-Heimat vor der Erfindung der Elektronik. Es ist deshalb so unheimlich wie eine Poststation an einer wichtigen Wegkreuzung irgendwo im einsamen Land des amerikanischen Wilden Westens. Hessen haben einen Blick dafür, daß eigentlich niemand zu ihnen will, daß aber die Nacht und die Kälte und der Hunger es erzwingen, die Reise zu unterbrechen. Daher dieser mißtrauische Hessenwitz, schadenfroh bis in die Knochen, hier weht Häme mit im trauten Kneipengespräch.
Hessen ist drum auch ein bißchen katholisch, ein wenig mehr protestantisch, aber nichts Eigenes – Hessen hat schöne Täler und Höhen, Flüsse und Auen, aber Hessen ist kein Land. Deutschland gilt als verspätete Nation, Hessen ist ein noch nicht angekommenes Gebiet. Mit diesem Schicksal haben wir uns abgefunden, es gibt ja auch keinen Anlaß zur Klage, wenn man dauernd im Mittelpunkt steht. Zwar ist dieser Punkt nur die Kreuzung fremder Wege, aber wir sehen die anderen vorbeigehen, die glauben, sie wüßten, wo’s hingeht.
Das Hessische ist die Mentalität des verlorenen Subjekts, aber es juckt uns nicht, daß wir so unbedeutend sind. Die Hessen durchschauen vielleicht nicht die Geheimnisse der Welt, aber sie erahnen etwas von der Sinnlosigkeit des Hin- und Hergewanders. Die Sturheit und manchmal sogar die Dummheit, die uns andere andichten, ist unser Weg des Widerstandes. So hat Hessen etwas von dem, was auch Wien auszeichnet – das Wissen darum, daß die schönen Tage längst vorbei sind und nicht wiederkommen. Es kann mal sehr schlimm kommen, und es kann auch mal relativ ruhig sein. Die politischen Weltverhältnisse bestimmen es, ob Hessen ein melancholisches Bahnhofsrestaurant, ein militärisches Aufmarschgebiet oder ein Flüchtlingslager ist.
Diese schöne und praktische Weltsicht, die einen aus der Mitte kommenden Realismus verrät, wird neuerdings auch von in Hessen dann doch gebliebenen Menschen teilweise mit übernommen. So hat das Hessische auch etwas sehr Vorbildliches. Es erleichtert die Einsicht, daß ganz Europa bloß eine Halbinsel Asiens ist.

HESSISCHE REVOLUTIONEN

Geschichte meiner Gefangenschaft nebst Beschreibung der herrlichen Wandgemälde, die sich in der Hauptwache zu Frankfurt befinden

Ludwig Börne
Am 22. März wurde ich wegen Anschuldigung etlicher demagogischer Umtriebe auf Ersuchen der preußischen Minister verhaftet. Der Verdacht, dass ich vom Tertianfieber angesteckt sei und daher unter Quarantäne gesetzt werden müsse, war wirklich nicht ohne Schein. Ich habe in der Tat mit einem Tertianer mehrere auffallende Ähnlichkeiten. Erstens bin ich von kleiner Gestalt, obzwar wohlgebildet. Zweitens laufe ich gern Schlittschuhe. Drittens bin ich im Griechischen noch unwissender als ein Tertianer; denn dieser kann es noch lernen, aber ich nicht; denn ich habe es bereits vergessen. Daher ist die Beschuldigung zu entschuldigen. Überhaupt ist der März zu jeder Zeit voller Verschwörungen gewesen – gegen den Menschenverstand und die Gerechtigkeit nicht allein, sondern auch gegen Fürsten und Völker. Die Märzluft ist von revolutionären Dünsten geschwängert, weswegen auch die Frauenzimmer in diesem Monate das Gesicht mit einem Schleier behängen, um nicht angesteckt zu werden. Am Idus des Märzes fiel Cäsar. Am 20. März kehrte Napoleon von Elba zurück. Am 23. wurde Kotzebue ermordet. Im März verschwor sich die französische Oligarchie gegen die Freiheit des Volks. Im März ward der König von Spanien gezwungen, die Alleinherrschaft niederzulegen. Noch viele Märzstürme wären anzuführen, da es mir aber in meinem Gefängnisse an der Aufwartung der Bücher, dieser unentbehrlichen Studier-Kammerdiener, fehlt und mein unbehilfliches Gedächtnis, ein schwächlicher Knabe, mich allein bedient, so muss ich es bei obigen Beispielen bewenden lassen. Der Grund, warum der März so voller gefährlicher revolutionärer Umtriebe ist, wird aus der „Preußischen Staatszeitung“ leicht erklärt. Der März ist nämlich der Tertianer der Monate.
Es war nachts elf Uhr, da ich ins Gefängnis abgeführt wurde. Zuvor wurden meine Papiere zusammengerafft, in einen Sack gelegt, den ich dazu hergab, und versiegelt. Es war ein Nachtsack, den ich einige Monate früher von Paris mitgebracht hatte; er war also zum Obskurantendienste bestimmt. Diese Papiere machen mich sehr zittern für meine literarische Ehre. Der winzigste Autor verblüfft manchmal, wenn die Minerva fertig und gerüstet aus seinem Jupitershaupte hervorspringt und sich in ihrem Glanze zeigt. Kommt man aber in seine Werkstätte und sieht die Meißelabfälle und die rohen Blöcke, wie sie aus dem Schoße der Erde kommen; dann denkt man: an dem ist nicht viel. Besonders Angst macht mir ein Aufsatz, überschrieben Humoralpathologie, der sich unter meinen Papieren befindet. Ich habe darin den Kater Murr beurteilt, ein Werk des geistreichsten deutschen Schriftstellers, des Herrn Hoffmann in Berlin, der zur Belohnung seiner großen Verdienste zum Mitgliede der dort zur Untersuchung der demagogischen Umtriebe bestehenden Kommission ernannt worden ist. Das Buch wurde von mir aus Übereilung und Unverstand herabgehunzt, und es würde mich sehr schmerzen, wenn ein so großer, wichtiger Mann gelegentlich erführe, dass ich keinen Geschmack habe.
Der Umstand, dass ich in der Nacht verhaftet worden bin und jetzt schon vier Tage sitze, ohne den Grund meiner Verhaftung erfahren zu haben und ohne verhört worden zu sein, stellt die persönliche Freiheit, welche ein Frankfurter Bürger genießt, in das schönste Licht. In mehreren monarchischen Staaten, wie in Frankreich und England, erlaubt das Gesetz nur bei Tage zu arretieren. Wie grausam ist diese Einrichtung! Hierdurch erfährt jedermann sogleich das Verbrechen, und die Ehre geht noch früher verloren als die Freiheit. Wird man aber im Dunkeln ins Gefängnis geführt, so merkt es keiner; ja, man kann jahrelang eingesperrt sein, ohne dass es die Stadt erfährt, und sie denkt, der Vermisste wäre auf Reisen. Und wie wohltätig sind auch die übrigen Folgen der nächtlichen Verhaftung! Der Gefangene vermisst nicht gleich anfänglich seine Freiheit, da ohnedies bei Nacht jedermann in seinem Zimmer eingesperrt ist. Im Schlafe vergisst er seine Leiden. Der Anblick des gestirnten Himmels flößt ihm wie jedem Unglücklichen Trost ein; er denkt: über den Sternen sitzt ein Kassationsgericht. Er sieht die Menschen aus seinem Fenster nicht spazieren gehen, was ihm bei Tage Verdruss macht. Endlich weiß er aus dem tierischen Magnetismus und von seiner Amme her, dass man bei Nacht ohnehin dem Teufel gehört, und fragt sich: was verliere ich dabei? ... Die Einrichtung, viele Tag ohne Licht über die Anschuldigung und ohne Verhör zu bleiben, ist nicht weniger edelmütig, zart und menschlich. Hierdurch gewinnt der Verhaftete Zeit, sich auf alle möglichen Fälle vorzubereiten und sich auf die Beschuldigung aller nur erdenklichen Vergehen, von der Verbalinjurie bis zur Mordbrennerei, mit Antworten zu versehen, so dass auch der geschickteste Kriminalrichter ihn nicht wird überraschen können.
In meinem Gefängnis angelangt, durchdrang mich sogleich ein wohltuendes romantisches Gefühl. Ich hatte am nämlichen Abende Kotzebues Ubaldo gesehen, und ich dachte den sechsten Akt zu spielen. Was hätte ich nicht darum gegeben, wenn eine Spinne dagewesen wäre, an die ich wie der Herzog eine schöne Rede hätte halten können! Ich sah aber keine andere als die hypochondrische, die mir schon viele Jahre vor den Augen schwebt. Da ich früher noch nie in männlicher Gefangenschaft war, so erfuhr ich jetzt zum ersten Male, welch ein herrliches Leben man in einem Justizpalaste führt. Die zarteste Aufmerksamkeit, die man sich nur wünschen kann. Als mir mein Bett aus meiner bürgerlichen Wohnung gebracht wurde, untersuchte und durchknetete es der Gefängniswärter aufs sorgfältigste, um zu fühlen, ob der Flaum weich genug wäre und nicht etwa ein stechendes Federchen mich im Schlafe stören könnte. Anfänglich hatte ich den Argwohn, es geschehe, zu untersuchen, ob nichts Gefährliches darin versteckt wäre, etwa ein befreiender Tertianer im Kopfkissen; da ich aber den wahren Grund entdeckte, ward ich gerührt. Ein Stiefelknecht wurde mir versagt, um das traurige Bild knechtischer Dienstbarkeit von mir entfernt zu halten. Messer und Gabel durfte ich nur im Beisein der Aufseher gebrauchen, damit ich mir kein Leid antue. Stahl und Stein sowie selbst ein chemisches Feuerzeug wurde mir abgeschlagen, doch durfte ich Tag und Nacht ein angezündetes Licht haben, und wirklich brannte wie vor einem Heiligen beständig ein Licht vor mir. Schreibzeug und Papier wurde mir erst auf wiederholtes Bitten verabreicht und Letzteres zugemessen. Man fürchtete, ich möchte durch vieles Sitzen und Schreiben meiner Gesundheit schaden. Jeden Abend untersuchte ein Wächter mit einer Laterne den Ofen, um zu sehen, ob er nicht etwa rauche und meinen schönen Augen lästig fiele, und das Gitter an den Fenstern, damit kein Dieb von außen hereinsteigen könne, mich zu bestehlen. Während dieses geschah, standen fünf Soldaten vor der aufstehenden Türe in Reihe und Glied, um zu verhindern, dass die Zugluft eindringe. Das Geld wurde mir bei der Verhaftung abgenommen, weil ich als Mann von Verdienst, den der Staat im Prytaneum verköstigt, keines nötig habe.

ABC-Buch der Freiheit für Landeskinder

Wilhelm Sauerwein
Non Scholae sed Vitae!
Der Adel
Eiobobeio - schlag’s Göckelchen tot;
Es legt mir kein Ei, und doch frisst mir’s mein Brot.
Der Adel (nobilitas) hat rotes, edles Blut, lange Finger, lebt auf einem großen Fuß, trägt die Nase gar hoch, geht im Trüben seiner Beute nach, bringt hoch- und hochedelgeborne lebendige Jungen zur Welt und ist größtenteils mit Wappen und Titeln bedeckt. Die gemeinen Leute (Kanaille) sind nur eine Seitenlinie des echten Menschenadels: denn sie haben nur Haut und Knochen, niedrige Gesinnungen, essen im Schweiß ihres Angesichts ihr Brot, können sich nicht hoch aufschwingen; sie gebären viele Jungen und säugen sie selber. So groß der Unterschied zwischen Adel und Kanaille ist, so waren doch einige Naturforscher blind genug, selbigen ganz und gar zu leugnen, und zu behaupten: alle Menschen, frei geboren, sind ein adeliges Geschlecht. Es wurden wichtige gelehrte Streitigkeiten über diesen Gegenstand geführt, und noch heutzutage bekämpfen sich die Parteien der Aristokraten und Demokraten, ohne dass noch eine definitive Entscheidung der Frage zu Stande gekommen wäre. Ich will meine Meinung über die dunkle Sache frei vortragen. Leider muss ich als ABC-Lehrer kurz sein – indes, ihr Landeskinder, wer wird auch bloße Hypotheken mit allzu großer Weitschweifigkeit vortragen mögen?
Das ist nicht zu leugnen, dass der Adel viele Vorzüge vor den gemeinen Leuten voraus hat. Der Adel trägt den Ring am Finger, die Kanaille in der Nase, und das hat eine tiefe symbolische Bedeutung. Der Fingerring bedeutet die Kultur, die Bildung, die Weisheit; der Nasenring bedeutet die Unkultur, die Ungeschliffenheit, die Wildheit ... Der Adel und die Kanaille sind also wirklich von Natur unterschieden. Ersterer ist die Weisheit, Klugheit, Tapferkeit und der Verstand. Ohne Adel wären diese Tugenden gar nicht in der Welt, sondern es wäre ein wilder Zustand von dummer Gleichheit und sinnlicher Freiheit. Ohne den Kopfring des Adels, im gemeinen Leben Krone genannt, wäre kein Staat; ohne den Fischerring des Großpfaffen und das Edelsteinschildlein des Hohenpriesters wäre keine Religion, und ohne Staat und Religion ein völlig verwilderter Zustand, wie wir ihn unter den Wilden antreffen, die nur den Nasenring oder Ohrring kennen. Die Welt besteht also aus Herren und Knechten; beide unterscheiden sich auf’s Bestimmteste durch das Tragen der Ringe.
Es ist wahr, dass die Kanaille in der Kultur immer weiter geht; aber wenn sie glaubt, dass sie je den Adel erreichen könne, so muss man sie der Naseweisheit zeihen. Der Adel wird ja auch täglich besser und man kann annehmen, dass er der Kanaille immer um die nämliche Zahl von Jahrhunderten voraus ist, wie er es vor Jahrhunderten war, und also muss auch immer der nämliche Unterschied zwischen beiden gemacht werden. Gleichheit ist nur möglich, wenn man vom höheren oder niederen Adel besonders spricht, oder wenn von der Kanaille allein die Rede ist; wer aber von Gleichheit der Menschen überhaupt redet, der hat wenig Ordnung in seinem System.
Die Geschichte zeigt es, dass, wo man den Glanz des Adels zu verdunkeln sich bestrebt, gleich die Nacht der Barbarei und des Blutvergießens hereinbrach. Man denke nur an die entsetzlichen Revolutionsszenen des achtzehnten Jahrhunderts. Nur der Adel erhält in der Welt die so nötige Dauer und Festigkeit. Er gleicht der Arche, die auf der Sündflut schwimmt: er ist die große Lebensversicherungs-Brandassekurranz- und Leichenkassenanstalt des Menschengeschlechts. Ohne ihn wäre Alles dem ewig schwankenden Wechsel unterworfen, und kein Mensch, auch wenn er der weiseste wäre, wüsste dann, wer Koch oder Kellner sei auf Erden. Darum Achtung den Privilegien – nieder mit der Gleichheit – nieder mit der Reformbill – nieder mit den republikanischen Institutionen – es lebe der hohe Adel – es lebe das Oberhaus – es lebe die Pairskammer – es lebe die erste Kammer! Der Siegelring hat die Herrschaft – der Nasenring ist für das Leitseil und das Leitseil für die Hand der Herrschaft – das ist ja handgreiflich, ihr Landeskinder!
Der Bauer
Sechs mal sechs ist sechsunddreißig,
Wenn der Mann ist noch so
fleißig, Und der Staat ist liederlich,
Geht der Bauer hinter sich.
Der älteste Sohn Adams hieß Kain, wie ihr aus der biblischen Historie bereits wisst, ihr Landeskinder. Dieser Kain, ein grober Flegel – denn er schlug seinen Bruder auf dem Felde tot – ist der Stammvater der Bauern, einer rohen, dummen, großen Menschenrasse, die auch unter dem Namen Kaffern vorkommt, um anzudeuten, dass Bauern und Hottentotten sich als Brüder die Hände reichen können; denn, wie ihr aus der Geographie wisset, liegt das Land der Kaffern und der Hottentotten nahe bei einander. Als der Adel in alten Zeiten auf Abenteuer auszog – denn in früheren Jahren war der Adel ein wilder Brausekopf, der mit dem Schwert die Welt durchzog und Schlösser und Landgüter entdeckte – da wurden auch die Bauern entdeckt. Aber, lieber Gott, was waren diese Menschen in einer erbärmlichen und kläglichen Verfassung! Sie wussten nichts von Gott, ja sie wussten nicht einmal, wem sie angehörten auf der Erde. Da erbarmte sich der Adel und nahm sie in seine Dienste, und durch gute Worte und Schläge verwandelte er diese wilden Tiere in zahme Haustiere. Er gebrauchte sie zur Bestellung der Felder, zum Treiben auf der Jagd, zum Fang der Fische usw., und weil denn die Bauern so zu aller Arbeit willig waren; so wurde der Adel ihnen immer günstiger und nannte sich die gnädigen Herren derselben. Ja, er stand bei ihren Dörfern zu Gevatter, und daher kommt es, dass so viele Dörfer adelige Namen haben. Auch die Geistlichkeit nahm sich der gottesvergessenen Bauern sehr huldreich an, und das trug zur Verbesserung des Ackerbaues ungemein viel bei; denn bekanntlich werden die Äcker dann am fettesten, wenn sie Pfarrgüter geworden sind. Die Bauern dankten dies der Geistlichkeit mit beiden Händen; aber die Geistlichkeit, die sich nur zur Notdurft um’s Irdische kümmert, nahm nicht die ganze Hand, sondern nur einen Finger – das heißt den Zehnten. Der Adel hingegen behielt für sich das Übrige – nämlich den Leib, und daher kommt es, dass die Bauern Leibeigene geworden sind.
In den neuesten Zeiten, wo Empfindelei und Verzärtelung unter allen Menschenklassen so jämmerlich zugenommen haben, beklagen sich auch die Bauern, unähnlich ihrer Vorfahren, über Druck und Lasten. Sie wollen sich nicht mehr prügeln lassen, keinen Zehnten mehr geben, keine Frondienste verrichten – kurzum, sie wollen frei und ledig hinter ihrem Pfluge gehen und für nicht schlechter gehalten sein als andere Leute. Seht Kinder, so entnervt sind die Bauern geworden! Kein Zureden und keine Gewalt vermag es, diese Schwächlinge und Widerspenstigen zur alten Ordnung zurückzubringen. Sonst konnten sie Lasten tragen und auf sich hämmern lassen wie ein Herkules auf der Messe: jetzt können sie in manchem Staate kaum die Abgaben mehr erschwingen – die Schwächlinge!! – Ja, aus Arbeitsscheu und Abgabescheu laufen die tollen Bauern auf und davon, gleichsam als wollte man ihnen die Haut abziehen, wenn man ihnen bloß das letzte Hemd ausziehen will, und da gehen sie zu Schiffe über das atlantische Meer nach Amerika, mit zerlumpten schmierigen Weibern und mit abgemagerten, garstigen Kindern, die nicht leben und nicht sterben können. Man sieht ganze Züge solcher Bauern alljährlich aus Deutschland fortziehen. Sonst glaubten die Bauern, sie würden erst unter der Erde glücklich; nun sie aber wissen, dass die Erde rund ist, glauben sie, auch in Amerika glücklich werden zu können, weil es unter der Erde liege. Darum ist ihr Fortzug auch so traurig, wie ein Leichenzug, ach noch trauriger; denn keiner heuchelt das Ach und Weh, und die Herzen sind alle bis in den Tod betrübt. Sie riechen an keinen Zitronen; nein, sie beißen in einen sauern Apfel, ihr süßen Landeskinder!
Der Censor
Der Censor ist ein Ehrenmann;
Er säubert uns die Welt.
Wer eines Censors spotten kann,
Ist mir ein schlechter Held.
Vor dem Censor müssen Landeskinder alle Achtung haben: denn ein Censor ist ein wahrer Veredler, Erretter, Beschützer der Welt und der Menschen, die darinnen sind. Das Bleistift, das in seine Hand gegeben ist, kommt mir vor wie ein geweihtes Schwert, vor dem jeder böse Geist sich beugen muss. Der Censor ist ein gewaltiger Zauberer: er zitieret Geister und lässt sie verschwinden; er verwandelt die Löwenstimme in Nachtigallenklageton; er bändigt den gewaltigen Arm der Freiheit; er beschwichtigt den Sturm des lautrufenden Jahrhunderts; er löscht am Himmel alle Sterne aus; er zaubert ein Paradies um hungrige Bettlerseelen, und er braucht sein Rohr nur an den Mund zu setzen und feucht zu machen, und des Argus Augen alle müssen sich schließen. Der Censor ist gleichsam der König der Nacht: denn er beherrschet das Geisterreich. Streng und würdevoll wie Cato, müssen alle Censoren sein, und unerbittlich müssen sie ihr praeterea censeo überall anzubringen wissen. Die Untertanen des Censors sind Buchstaben, Silben, Worte, Sätze, Perioden, Artikel, Kapitel und Bücher, die (beiläufig angenommen) den einundzwanzigsten Bogen noch nicht erreicht haben. Kommt ein Gedanke zur Welt, so wird er dem Censor zur Anerkennung dargereicht. Findet der Censor das Gedankenkind legitim, so wird für sein weiteres Fortkommen in der Welt gesorgt. Findet er es aber illegitim, dann wirft er, ein zweiter Gaul, ohne dass ein Pfalzgraf dazwischen springen könnte, seinen Rotstiftsspieß nach dem Kinde – und es liegt tot und rot wie im Blute. Das Amt des Censors ist ein wahres jüngstes Gericht. Die Gedanken werden geschieden in Schafs- und Bocksgedanken. Die Schafsgedanken gehen ein in’s Leben, die Bocksgedanken werden verdammt. Eine richtige Mitte gibt’s nicht und keine Appellation. Das Blei- oder Rotstift des Censors ist ein Königszepter, eine Herkuleskeule, eine Wetterstange, eine Wurfschaufel, eine Lanzette, ein Prätorstab, ein Donnerkeil usw. Wer den Censor einen Nachrichter nennt, der begeht ein Hysteronproteron: denn der Censor muss vielmehr als Vorrichter betrachtet werden, sintemal er nicht die Diebe hängt, weil sie gestohlen haben, sondern damit sie nicht stehlen können. Der Censor ist gleichsam der Bock, der die Gedankenherde zu veredeln hat. Er ist eine Schildwache, ausgestellt am Schlagbaume aller Gewalthaber, damit die Gedanken nicht frei seien, wenn auch zollfrei. Alte, ehrwürdige Gedanken, die aus Zeiten kommen, wo die Freiheit nicht herrschte, dürfen passieren. Der Censor ist ein großer Totengräber, das Rotstift ist sein Spaten, der Gedankenstrich ein Grabstein, die Censurlagunen der Friedhof. Wie mancher Gedanke liegt auf diesem Friedhof, der, wäre er aufgewachsen, die Welt in Zwiespalt und Verwirrung gesetzt hätte. So liegt er nun ruhig und kann der Welt nicht schaden. Die Striche des Censors sind eine praktische Theodizee: denn sie schaffen das Übel aus der Welt radikaliter hinaus. Die ganze Welt ist glücklich, alle Leute zufrieden; keine Klagen der Untertanen werden laut; die kindlichste Einfalt beherrscht die Gemüter; Zwietracht und Parteienkampf fliehen zur Hölle; die größte Zufriedenheit schnarcht in den Sorgestühlen; die Jünglinge liegen im Schatten der Eichbäume und fressen Eicheln; die Welt wird von lauter Saturnen regiert, und weil die Leute kein Gold mehr im Sacke haben und Eicheln fressen können und grunzen können statt zu reden, so haben sie ein recht ruhiges Mastleben, eine goldene Zeit. Das Rotstift des Censors ist ein Circestab und der Censor der Wiederhersteller des Menschengeschlechtes. Das bedenket wohl, ihr Landeskinder!
Der Freisinnige
Lasset um die Meinung sich
Andere raufen fürchterlich –.
Hör’n wir’s ohne Beben.
Zwar wir nehmen auch Partei,
Reden tüchtig derb und frei –
Aber nur in Einigkeit.
Ein gescheites Landeskind weiß es von selbst, dass man seine Ansichten nicht an die große Glocke hängen muss, und dass es ein böser Handel ist, wenn man Wahrheiten, besonders sogenannte unreife, auf dem Markt auskramt. Das führt zu großen Verdrießlichkeiten, und bringt öfters einen ganzen Staat und ein ganzes Jahrhundert in Unruhe und Verwirrung. Der Freisinn oder Liberalismus wäre gewiss nicht in solchem Verruf, wenn er sich nur öffentlich in soliderer Gestalt zeigte. Liebe Kinder, seht, ich bin selbst freisinnig, und wer sieht mir’s auf der Straße an! – Da solltet ihr einmal bei mir sein, wenn ich am warmen Ofen hocke und aus einer langen, langen holländischen Pfeife rauche – da fängt mir’s immer im Herz an zu kochen, und da überlasse ich mich den freiesten Gedanken und den gefährlichsten Ideen. Das ist gar ein großes Vergnügen – so an einem Winterabend, wenn draußen die Wetterfahnen knarren und wenn der Sturm die Straßenlaternen schaukelt, am knisternden Ofen zu sitzen, und bei einem Pfeifchen Tabak freisinnig zu sein. – Seht, Kinder, auf meiner Stube trage ich sogar eine rote Mütze, aber wenn ich ausgehe, dann lege ich die rote Mütze ab. So leg’ ich aber auch meinen Freisinn ab, wenn ich zur Türe hinaus gehe, oder mit anderen Worten, ich sperre ihn ein in meine Herzenskammer oder verstecke ihn wenigstens in der Brusthöhle, und nicht eher darf mein Stiefel das Straßenpflaster berühren, bis mein Liberalismus ruft: es ist getan! – Fragt mich Jemand nach meiner politischen Farbe, und merk ich, dass der Frager eine Aversion gegen den Liberalismus hat, so mache ich meinen gehorsamsten Diener, nenne mich einen Mann von der richtigen Mitte, der mit der Rechten und Linken gern Arm in Arm ginge, und dem nichts lieber wäre als Einigkeit und gesetzt, ich küsste des Papstes Pantoffel – im Herzen bliebe ich doch gut frei gesinnt. Ja das Herz, das ist die Hauptsache, da muss die Freiheit sitzen, das ist der wahre Fleck – das heißt, mit der Freiheit in einem kordialen Verhältnis leben.
Und glaubt ihr, ein Freisinniger, wie ich, bliebe völlig isoliert und er wäre ein bloßer Ofenhocker? Weit gefehlt. Es gibt viele Freisinnigen meiner Art, und die haben auch ihre gemütlichen Plätzchen, wo sie zusammen kommen. Das ist nun freilich immer ein abgesonderter Ort, wohin kein Wildfang und kein Schreier kommen darf. Aber dafür ist man auch desto behaglicher. Nur von fern hört man den tosenden Sturm der Zeit, und mit stillem Gleichmut kann man die Schlachtfelder, wo kämpfende Parteien das blutige Schwert führen, betrachten. Da nimmt man denn auch seinen Anteil: man wünscht der guten Sache alles Glück – man hofft das Beste – man trinkt auf die Fortschritte der Zivilisation – man spricht von der Veredlung des Menschen, z.B. von der Abschaffung des übermäßigen Brandweingenusses, von der Beförderung einer humanen Behandlung der Tiere, von der Konstituierung einer Kleiderordnung für die Dienstboten usw. Aber die Politik wird nicht vernachlässigt. Man liest liberale Zeitschriften, und nimmt hieraus Anlass zu vernünftigen Diskussionen; man prüft und erwägt, betrachtet eine Sache von allen Seiten, spricht pro und contra seine Meinung aus; man verständigt sich gegenseitig ohne leidenschaftliches Geschrei und Gezänke; man belächelt die zu dummen Argumente der Obskuranten und amüsiert sich an den Witzfunken und Leuchtkugeln der aufklärenden Schriftsteller. So sitzt man denn in einem recht gemütlichen Bruderkreise, und das angenehm wärmende Bewusstsein, unter echt freisinnigen Menschen zu sein, zaubert die schönsten Schäferstündchen der Freiheit herbei. Mit wahrem Mitleid blickt man dann auf jene Brauseköpfe herab, die der Freiheit Ehre zu erweisen glauben, wenn sie die Weise der Kirchweihbursche nachahmen. – Dieser Bänderschnickschnack – dies Schreien, Toben, Prügeln und Einreißen – kurz diese tolle Trunkenheit – das Alles ist mit einer behaglichen Freiheitsliebe ganz unverträglich.
Der Landesvater
Alles schweige! –
Jeder neige
Ernsten Tönen nur sein Ohr.
Kein Vater in der Welt hat so viele Kinder, als der Landesvater, und diese Kinder sind ihm alle mit blindem Gehorsam ergeben. Es ist natürlich, dass der Landesvater seine Kinder nicht alle kennt, sondern nur die Großen. Aber diese haben auch das Glück, immer in seiner Nähe zu sein, und erhalten Geschenke von ihm, die ganz allerliebst und belustigend sind. Sie kriegen goldgestickte Kleider, große schöne Bänder mit goldenen Vögeln, Kreuze, Sternlein daran; sie werden bei der Tafel mit den besten Weinen und Konfitüren bewirtet, und zum Christkindchen erhält Mancher ein Rittergut, eine Meierei, ein Regiment lebendiger Soldaten und Federhüte, Schärpen, Degen usw. Wer von den Kindern recht viel lernt, der kriegt eine Belohnung; z.B. Kinder, die gut schreiben, werden mit goldenen Dosen beschenkt, die mit dem Brustbild des Landesvaters oder gar mit Brillanten und anderen Edelsteinen besetzt sind. Die Gemahlin des Landesvaters ist die Landesmutter, und die ist so gnädig, so herablassend, dass sie alle Herzen im Lande gewinnt. Der Landesvater ist dafür da, für die Erziehung und die Wohlfahrt aller seiner Kinder zu sorgen. Damit er dies aber kann, müssen ihm die Kinder in allen Dingen hübsch folgen. Die Fehler der Kinder aber sind Ungeduld, Vorwitz, Neugierde, Geschwätzigkeit. O diese Untugenden müssen abgelegt werden! Der Landesvater lässt sich nichts abtrotzen, und wer mit der Handvoll Kirschen nicht zufrieden ist, sondern wenn er die zweite und dritte erhalten hat, auch noch die vierte begehrt, der erhält diese nicht nur nicht, sondern ihm werden auch noch die Kirschen genommen, welche er hatte.