Wilhelmine Schröder-Devrient
(zugeschrieben)

Das Tagebuch der Mademoiselle S. Aus den Memoiren einer Sängerin

(Klassiker der Erotik)

Erotischer Roman im Briefstil

Books

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musaicumbooks@okpublishing.info
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1763-2

9. Brief

Inhaltsverzeichnis


I
m September bezog ich meine Wohnung in der Hatvanergasse im Horvathschen Hause. Ich aß nicht zu Haus, sondern ließ mir die Speisen aus dem Casino holen. So kam ich billiger weg und es war auch viel bequemer für mich. Dieser Umstand diente mir nämlich gleichzeitig als Entschuldigung dafür, daß ich keine meiner Kollegen zu Tisch bat. Hätte ich einen richtigen Haushalt gehabt, würden sie es gefordert haben, denn dies ist in Ungarn Sitte. In früheren Zeiten sollen Gastereien in noch stärkerem Maße an der Tagesordnung gewesen sein.

Ich nahm mir eine ungarische Lehrmeisterin, die mir Baron O. empfohlen hatte. Er widerriet mir, die Frauensperson einzustellen, die mir Herr von N. vorgeschlagen hatte, da sie in Pest einen schlimmen Ruf genieße. Sie habe schon mehrere Kavaliere zu Bettlern gemacht, da sie die unverschämteste Plünderin sei, die man sich vorstellen könne.

Frau von B., meine ungarische Lehrmeisterin, die in ihrer Jugend eine stadtbekannte Schönheit war, hatte in ihrem Leben so manches mitgemacht. Ihr Gatte war ein Trunkenbold und sie ließ sich von ihm scheiden. Sie sprach sehr gut deutsch und hatte die ungarische Sprache erst gelernt, als sie zum Theater kam. Ihr Vater, ein Beamter, hatte ihr eine gute Erziehung angedeihen lassen. In den Salons der Stadt hatte sie früher eine hervorragende Rolle gespielt. Sie machte mir Komplimente, daß ich so schnell ungarisch lernte. Als besonders auffallend bezeichnete sie, daß mir die Aussprache, die der deutschen in keiner Nuance ähnelt, so schnell geläufig wurde. Wir waren bald so intim miteinander, als wären wir in einem Alter gewesen. Aus ihren Abenteuern machte sie kein Geheimnis und unterhielt mich oft damit. Die Zahl ihrer Geliebten war beschränkt, dennoch kannte sie alle Abstufungen des Liebesgenusses so genau, als wäre sie die größte Messaline gewesen. Ich war erstaunt.

»Dies kommt daher«, erläuterte sie, »weil ich Freundinnen hatte, die sich nicht genierten, vor mir alle Cochonnerien aufzutischen, so daß ich das meiste aus der Anschauung lernte, ohne selbst aktiv geworden zu sein. Frau von L. zum Beispiel, die Ihnen Herr von N. als ungarische Lehrerin empfohlen hat, war in ihrer Jugend das ausgelassenste Frauenzimmer. Unterdessen ist sie zu alt geworden; dennoch hält sie sich ein paar Männer, die ihr Liebesdienste erweisen. Ich habe von Messalina, von Agrippina, von Kleopatra und anderen geilen Weibern gelesen. Ich würde den Büchern nicht glauben, würde ich die L. nicht kennen. Sie sollten mit ihr bekannt werden, weil sie eine interessante Person, ein wahres Weltwunder in ihrer Art ist: mit allen Kupplerinnen in Pest bekannt und mit den Freudenmädchen befreundet. Sie würden durch sie Dinge erfahren, die nur die wenigsten Frauen kennen.«

Ich muß hier einfügen, daß ich mit Frau von B. über das Buch de Sades gesprochen und ihr die Bilder gezeigt hatte. Sie kannte diese Abbildungen nicht, meinte aber, daß sie Frau von L. zweifellos geläufig seien.

»Was kann es Ihnen schaden, all das zu sehen?« fuhr Frau von B. fort. »Niemand wird es erfahren, denn das muß ich zum Lobe Annas (sie nannte Frau von L. gewöhnlich bei ihrem Vornamen) gestehen, daß sie äußerst diskret ist. Man empfindet eine eigene Art von Aufregung dabei, wenn man solche Szenen sieht. Sie dienen dazu, die Menschen in ihrer amoralischen Nacktheit kennenzulernen.

Wie viele Damen aus hohen Häusern gibt es in Pest, von denen niemand vermuten würde, daß sie es ärger treiben, als die verworfensten Bordelldirnen. Anna kennt sie alle; sie hat sie alle gesehen, wenn sie sich unbeobachtet glaubten, nicht mit einem Mann allein, sondern gleich mit einem halben Dutzend.«

Frau von B. hatte meine Neugier geweckt. So sehr ich auch vor den Szenen de Sades in »Justine und Juliette« Ekel empfand und mich niemals entschlossen hätte, solchen Auftritten beizuwohnen, würde doch einiges zu sehen sein, was ich ertragen könnte.

Sie werden vielleicht sagen, daß die weniger gräßlichen Auftritte einen zu den grausamsten bringen können. Ich will nicht behaupten, daß es nicht Naturen gibt, die darin keine Grenzen kennen; doch bin ich überzeugt, daß es bei mir niemals der Fall sein wird. Man könnte ebensogut behaupten, daß alle Menschen – und es ist bekannt, das dabei die Zahl der Frauen größer ist, als die der Männer – , die zu Hinrichtungen gehen oder Bestrafungen mit Stock, Ruten und Peitschen beiwohnen, auch selbst imstande seien, ihre Mitmenschen zu morden, wenn sie dies ungestraft tun könnten, um ihre krankhaften Gelüste zu befriedigen; daß dem aber nicht so ist, weiß ich genau. Eine meiner Bekannten, ebenfalls eine Ungarin, deren Vater Offizier gewesen ist und samt seiner Familie in der Alserkaserne in Wien wohnte, hat beinahe täglich körperlichen Züchtigungen beigewohnt. Sie konnte aus ihrem Fenster sehen, wie die Soldaten Spießruten liefen und Stockstreiche erhielten. Dennoch ist es ihr niemals eingefallen, so etwas selbst tun zu wollen; sie war nicht einmal imstande, einem Huhn den Hals abzuschneiden. Es scheint ein himmelweiter Unterschied zwischen Tat und Anschauung zu sein.

Frau von L. kam in Pest in die ersten Häuser; Magnatinnen waren mit ihr intim. Wahrscheinlich gab sie ihnen Unterricht in der Kunst, die sie so trefflich verstand – nämlich die Männer zu fesseln. Es ist durchaus nicht kompromittierend, mit ihr bekannt zu sein. In Deutschland wäre es der Fall gewesen.

Ich willigte ein, sie zu empfangen, und Frau von B. führte sie bei mir ein. Als einziger rümpfte Baron O. darüber die Nase und meinte, sie sei keine Bekanntschaft für mich. Ich weiß nicht, weshalb er gegen sie so aufgebracht war. Mir gefiel sie recht gut; sie war durchaus nicht so frech, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Erst als ich näher mit ihr bekannt wurde und sie selbst aufforderte, mit mir über alles zu sprechen, legte sie jeden Zwang ab, und ich erkannte, daß dieses Weib ganz anders war, als sie sich in größeren Gesellschaften zeigte. Sie besaß eine eigentümliche Philosophie, die sich um nichts anderes drehte, als den Sinnen stets neue Nahrung zu verschaffen. Sie war ein weiblicher de Sade und wäre imstande gewesen, das zu tun, was in diesem Buch stand. Bald gab sie mir Proben, von denen ich Ihnen gleich erzählen werde.

Wir sprachen davon, auf welche Weise der Genuß, dessen Ziel die geschlechtliche Vereinigung des Mannes mit dem Weibe ist, erhöht werden könne. Sie stellte fest, daß das Gefühl durch den häufigen Genuß abgestumpft werde, und daß man künstliche Mittel anwenden müsse, um es wiederherzustellen. »Ich würde es keinem Mann raten«, sagte sie, »alles zu versuchen, was ich durchgemacht habe, obschon es viele von ihnen tun wollten. Bei einem Mann gibt es nichts Schlimmeres als die Überreizung; sie entnervt und macht impotent. Die Phantasie hilft ihm nur selten, das zu ersetzen, was er leichtsinnig verschwendet; bei einer Frau hingegen erhöht die Phantasie den Reiz immerfort.«

»So gibt es nur wenig Weiber, die die Wollust des Schmerzes, namentlich der Ruten und der Peitsche kennen«, sagte sie. »Unter den unzähligen weiblichen Gefangenen, die vor den Komitats-und Stadthäusern Karbatschenhiebe erhalten, gibt es kaum eine, die sich vor dieser Strafe nicht fürchtet. Ich habe bis jetzt nur zwei Frauenzimmer gefunden, die diese Wollust erkannt hatten. Das eine war eine Lustdirne in Raab, die mehrere Diebstähle beging, nur um mit Karbatschenhieben gezüchtigt zu werden. Ihr war sogar die Öffentlichkeit und die damit verbundene Schande eine Wollust. Sie war stolz darauf, eine Hure genannt zu werden. Dennoch kreischte und jammerte sie, wenn sie die Hiebe erhielt. Dann aber, wenn sie in ihre Zelle zurückgebracht oder ganz entlassen wurde – was zumal bei kleinen Diebstählen immer der Fall ist, wenn das gestohlene Gut wiedergefunden wird – , entkleidete sie sich und betrachtete im Spiegel die geschundenen Hinterbacken mit Wollust. Das war die Fortsetzung ihrer Empfindungen während der Exekution; inmitten des schneidendsten Schmerzes hatte sie die wohligsten Erregungen. Auch hier in Pest habe ich ein solches Mädchen entdeckt; es befindet sich auf dem Stadthause und erhält vierteljährlich dreißig Karbatschenhiebe. Dabei kreischt sie aber niemals; ihr Gesicht drückt mehr Wollust als Schmerz aus. Hätten Sie Lust, dieses Mädchen zu sehen, während es seine Strafe erhält?«

Ich zögerte; meine Bedenken rührten daher, daß ich glaubte, der Stadthauptmann, Herr von T., würde erfahren, daß ich an solchen Schauspielen Vergnügen fände. Ich kannte ihn – er gehörte zu meinen Courmachern. Anna – ich nenne sie so, weil Frau von B. sie nur mit dem Vornamen ansprach – sagte, es sei nicht notwendig, daß Herr von T. meiner ansichtig würde. Frau von B. und mehrere Damen, einige sogar aus der Hocharistokratie, wie die Gräfinnen E., R., O. und B., würden gewiß dabei sein; da könnte ich unbemerkt durchrutschen. Überdies sollte ich mich so verschleiern, daß mich niemand erkennen könnte.

Ich willigte ein, und da der Tag, an dem die Arrestantin ihre Strafe erhielt, nicht fern war, brauchte ich auch nicht lange zu warten. An dem Morgen, an dem die Exekution vollzogen werden sollte, gab es ein anderes Schauspiel, das die Magnatinnen davon abhielt, sich zum Rathaus zu begeben. Es war der große Empfang bei einer Erzherzogin, die eben aus Wien eingetroffen war. Anna hatte es arrangiert, daß wir drei: Anna, Frau von B. und ich, ungesehen in das Zimmer kamen, das im Erdgeschoß für sie und uns bereit gehalten wurde. Wir nahmen am Fenster Platz, und bald erschienen drei Männer: der Stadthauptmann, der Gefängniswärter und ein Stadttrabant; dann die Delinquentin, ein Mädchen, kaum achtzehn Jahre alt. Ein Gesichtchen wie eine junge Göttin, zart von Wuchs und mit dem Ausdruck der Unschuld im Gesicht. Sie zeigte keine Furcht, doch schlug sie die Augen zu Boden, als schämte sie sich. Anna sagte mir, dies sei nur Verstellung, die sie niemals verließ; ich könnte mich später davon noch überzeugen.

Der Gefängniswärter schnallte sie auf die Bank, und der Stadttrabant fing mit seinen Karbatschenhieben an. Sie hatte nur ein dünnes Röckchen und das Hemd am Leibe. Beide Kleidungsstücke waren angespannt, so daß man ihre Formen genau sehen konnte. Unter jedem Hiebe erzitterten die Backen und blieben in oszillierender Bewegung. Ihr Gesicht zeigte verbissenen Schmerz, jedoch auch Wollust, und dies letztere Gefühl steigerte sich beim zwanzigsten Hiebe, so daß ihre Augen sich verdrehten, und ihr Mund sich öffnete. Sie seufzte und hatte ganz das Aussehen, sich in höchster Ekstase zu befinden.

»Es hätte entweder viel früher oder erst gegen Ende so kommen sollen«, flüsterte mir Anna zu. »Ich glaube nicht, daß sie zum zweitenmal Wollust genießen wird; wir müssen ihr später dazu verhelfen, wenn sie nach der Exekution hereinkommt. Ich habe dem Gefängniswärter fünf Gulden gegeben, damit er sie hereinschickt. Ich tat es Ihnen zuliebe.«

Ich wußte, was dies bedeuten sollte und nahm aus meiner Brieftasche zehn Gulden, die ich Anna gab, damit sie die übrigen Auslagen bestreiten konnte. Auch die Delinquentin sollte beschenkt werden, wenn sie hereinkäme.

Die Exekution währte eine halbe Stunde. Zwischen jedem Hieb eine Minute. Herr von T. entfernte sich, der Stadttrabant trug die Bank fort, die Geprügelte trat bei uns ein. Anna ging mit uns in ein anderes Zimmer. Hier waren die Fensterchen aus mattem Glas, so daß man nicht hereinblicken konnte. Das Mädchen gehorchte, doch verstellte es sich auch jetzt noch; es tat, als ob es sich schämte. Ihr Hinterteil war fürchterlich geschwollen, man konnte die Striemen zählen, und an manchen Stellen sickerte Blut durch die zarte Haut.

»Du hast nur einmal Wollust gefühlt?« fragte Anna das Mädchen.

»Nur einmal«, sagte die Arrestantin mit so schwacher Stimme, daß man sie kaum vernahm. Ihre Beine zitterten, und es hatte den Anschein, als ob sie nach einem zweiten Genuß verlangte. Anna rückte einen Stuhl heran und begann ein Spiel, das die Kleine außer sich brachte. Das Mädchen ächzte und stöhnte, sie hielt sich mit beiden Händen an Annas Haaren, die sie aus einem Übermaß der Empfindungen zu reißen und zu zerzausen begann. »Kratzen Sie mich, beißen Sie mich!«, bettelte die Kleine.

Dieses Schauspiel hatte mich so aufgeregt, daß ich Anna um den Platz, den sie bei dem Mädchen einnahm, beneidete. Den Wunsch, ihre Stelle einzunehmen, mußte sie schon von meinem Gesicht abgelesen haben.

»Wollen Sie es auch versuchen? Und Du, Nina, solltest nicht untätig dort sitzen wie ein Klotz, hilf dem Fräulein!«

Frau von B. lachte, entkleidete sich und mich; Anna blieb wie sie war.

Nina (Frau von B.) verfügte über einen schönen Körper, schöner als der meiner Mutter. Da sie niemals Kinder gehabt hatte, waren ihr Bauch nicht runzelig und ihre Brüste nicht schlaff. Ihr Alter prägte sich nur in ihrem Gesicht aus. Sie zählte fünfzig Jahre. Dennoch hatte sie bei der Männerwelt weniger Glück, als die figürlich ihr bei weitem nachstehende Anna. Nina wirkte nicht erregend, sie glich einer Marmorstatue. Auch jetzt blieb sie kalt. Ich lief keine Gefahr, mich bloßzustellen. Die Arrestantin hatte noch ein Vierteljahr Gefängnisstrafe zu absolvieren und würde, wie mir Anna versicherte, spätestens eine Woche nach ihrer Freilassung wiederum etwas begehen, um der Wollust des Karbatschens nicht beraubt zu werden; mithin brauchte ich sie nicht wiederzusehen, außer es gefiel mir, sie hier aufzusuchen.

10. Brief

Inhaltsverzeichnis


S
ie haben es selbst gefordert, daß ich nichts von meinen Erlebnissen und Empfindungen verschweige. Als Abnormitäten in meinen Gelüsten über mich kamen, habe ich keinen Augenblick gezaudert, sie Ihnen ohne Auslassungen mitzuteilen, weil ich überzeugt war und bin, daß Sie imstande sein werden, sich alles zu erklären, da Sie ein ebenso tief blickender Psychologe wie Physiologe sind. Möglich, daß Sie noch von keiner Frau solche Geständnisse erhalten haben, doch bin ich überzeugt, daß Sie solche Fälle studierten und hierfür eine Deutung finden. Ich bin ein Laie in diesen Wissenschaften, bin nur dem Augenblick gefolgt, ohne jemals daran zu denken, ob das, was ich tat, etwas ist, wogegen sich unser besseres Gefühl empört und Ekel empfindet. Ich würde im Zustand der Sinnesnüchternheit vor dem Gedanken geschaudert haben, solche Dinge zu begehen. Jetzt aber, nachdem ich es getan habe, bin ich anderer Ansicht geworden – ich sehe nicht ein, was daran unflätig sein soll.

Sie würden mich vielleicht berichtigen, wenn ich Ihnen das mündlich sagte – vielleicht aber auch nicht. Sie kennen die Beschaffenheit des Menschen besser und werden den Schlüssel zu diesem Phänomen haben. Ich betrachte die Dinge nach eigener Anschauungsweise.

Vor allem wirft sich mir die Frage auf, was man auf diesem Gebiet als unflätig bezeichnen soll oder muß. Wenn wir bedenken, daß wir alle Tage schon dadurch, daß wir uns mit Stoffen nähren, die, wenn wir sie genau analysieren wollten, sich im Zustande der Fäulnis befinden – wir mögen uns noch so sehr einreden wollen, daß die Nahrungsmittel durch Feuer oder Wasser geläutert werden – , so begehen wir doch laufend Unflätigkeiten. Es gibt sogar einige Nahrungsmittel, die in der Fäulnis sehr weit gekommen sein müssen, damit sie uns munden. Sind der Wein und das Bier nicht durch den Gärungsprozeß gegangen, ehe wir sie trinken? Und was ist Gärung sonst, als Fäulnis in einem gewissen Stadium? Ist nicht das Verfaulteste in einigen Vögeln, namentlich Schnepfen und Krammetsvögeln, eine Haugoût-Delikatesse, und sind es nicht die abscheulichsten Tiere, womit sich Schnepfen ernähren? Gehen nicht die Nahrungsmittel aller Tiere in ihr Blut und werden sie nicht zu ihrem Fleische? Bedenken wir nur, womit sich Schweine und Enten nähren. Untersuchen wir den Käse, und wir werden in ihm garstige Maden finden. Erinnern wir uns daran, wie man Heringe einsalzt. Ich habe es in Venedig gesehen und will gar nicht sagen, wie es geschah. Wenn die Leute es wüßten, welche Zugaben das Seesalz erhält, sie würden Heringe niemals wieder essen. Mit einem Wort, die Unflätigkeit ist etwas sehr Relatives, und wer wird daran denken, wenn er etwas genießt, welche Stoffe darin enthalten sind?

Diese Ansichten mögen mir zur Rechtfertigung dafür dienen, daß ich mich von meinen Begierden hinreißen ließ, wie am Ende des vorigen Briefes beschrieben. Ich glaube, daß Ihnen dies genügen wird.

Etwas anderes und vielleicht Seltsameres war, was mir später wiederfuhr. Hier werden Sie ein Thema finden, das Sie als Psychologe analysieren müssen, denn es ist, obschon nicht ganz abwegig, dennoch eine Abnormität. Ich habe in letzter Zeit mehrere Bücher über die sogenannte griechische oder platonische Liebe gelesen, namentlich die Werke eines gewissen Ulrichs, ehemaligen Professors, gegenwärtig in Würzburg beheimatet. In diesen wird aber nur von der Liebe der Männer zu den Männern gesprochen, von der Liebe der Frauen untereinander ist keine Rede. Was sagen Sie dazu, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich niemals in einen Mann so verliebt war, wie in Rosa, das Mädchen, das ich Ihnen zu Ende des vorhergehenden Briefes vorgeführt habe? Es war sinnliche Liebe, die mich zu ihr zog, doch es war auch eine des Herzens, war eine Sehnsucht, wie ich sie niemals für einen Mann gefühlt habe. Meine Zuneigung zu ihr war so groß, daß mich alle anderen Weiber anekelten, und die Männer noch viel mehr. Ich dachte an niemand anderen, als an Rosa; ich träumte von ihr, drückte die Kissen an mich, küßte und liebkoste diese, in der Einbildung, es sei Rosa, die ich umarmte; ich weinte, daß ich sie nicht sehen konnte, ja, ich war ganz außer mir, wie eine Rasende.

Ich wußte nicht, welcher von meinen beiden Freundinnen ich mich anvertrauen sollte, ob Nina oder Anna. Oder sollte ich Herrn von T. bitten, er möge Rosa den Rest der Strafe erlassen? Er würde mich fragen, woher ich sie kenne, und ich würde nicht gewußt haben, was ich ihm antworten sollte.

Endlich entschloß ich mich, mit Anna darüber zu sprechen. Sie besuchte mich einige Tage nach der Exekution, der wir beigewohnt hatten. Sie ersparte mir die Mühe einer Einleitung zu dem Gespräch, das ich mit ihr zu führen gedachte, indem sie davon zu reden begann, daß sie solch ein Spiel allen anderen vorzöge.

»Dies ist das einzige, was mich noch ein wenig aufregt«, sagte sie. »Sind Sie nicht in die kleine Rosa ein wenig verliebt? Leugnen Sie es nicht! Ich habe gesehen, mit welcher Inbrunst Sie dem Spiel gehuldigt haben. Ein köstlicher Genuß, nicht wahr!?«

Ich war noch so sehr in Vorurteilen befangen, daß ich errötete.

Anna lachte amüsiert. »Sie erröten? Das ist ein sicheres Zeichen, daß ich recht habe: Sie sind in das Mädchen verliebt! Als Sie ihr das Geld gaben und sagten, Sie wollten sie zu sich nehmen, hatten Sie sich endgültig verraten. Nun, ein Vierteljahr ist bald vorüber, und ich hoffe, das Mädchen wird es vorziehen, zu Ihnen zu kommen, statt im Gefängnis unterzutauchen. Ihre Lust, sich mit Karbatschen prügeln zu lassen, können auch Sie befriedigen. Vielleicht wird sie Rutenhiebe vorziehen; das wird auch Ihnen Vergnügen bereiten. Es ist ein schöner Anblick, dessen kann ich Sie versichern.«

»Wäre es nicht möglich, sie eher frei zu bekommen?« fragte ich.

»Das glaube ich kaum. Die Strafzeit muß eingehalten werden. Es hängt nicht vom Stadthauptmann ab, sie zu entlassen, obwohl diese Herren vieles tun, was sehr nach Willkür schmeckt. Indessen will ich versuchen, mit ihm zu sprechen.«

»Nennen Sie aber nicht meinen Namen. Er könnte etwas vermuten«, bat ich.

»Seien Sie unbesorgt! Es wird ihn nicht befremden, wenn ich mit einer solchen Bitte zu ihm komme. Hier gibt es genug Damen, die es wie die Männer halten und Geliebte beiderlei Geschlechts haben. Wenn ich ihm sage, daß ich sie zu mir nehmen wolle – nein, das wäre nicht richtig. Ich werde sagen, es sei eine Fremde, die ein Mädchen suche, das sich derlei Martern freiwillig unterwerfe, und ich kennte keine andere als Rosa. Sie dürfen sie aber wenigstens vierzehn Tage nicht im Haus haben. Später werde ich sagen, die Dame sei abgereist. Rosa aber wolle Pest nicht verlassen, und ich hätte sie Ihnen als Stubenmädchen empfohlen, aus purer Humanität, um sie zu bessern.«

»Wird er Ihnen das glauben?, fragte ich.

»Warum nicht? Ich habe ein gutes Mundwerk. Die Hauptsache ist, daß ich viel Geld habe, um ihn zu bestechen«, fügte sie hinzu.

»Viel Geld?« rief ich erschrocken, denn Nina hatte mir Anna als eine schreckliche Plünderin geschildert. »Wieviel glauben Sie?«

»Hm, vielleicht hundert Gulden, vielleicht auch mehr, ich weiß nicht.«

»Mehr als hundert Gulden möchte ich doch nicht darauf verwenden«, erklärte ich aber nachdrücklich. Hätte sie das Doppelte oder gar das Dreifache verlangt, ich würde es ihr auch gegeben haben.

»Wohlan, dann geben Sie mir die hundert Gulden. Wenn er es für diese Summe tut, sollen Sie das Mädchen womöglich schon morgen bei sich haben. Wenn nicht, bringe ich Ihnen das Geld zurück. Ich muß ihn gleich aufsuchen, ehe er sich zum Casino begibt. Aber ich habe kein Kleingeld bei mir, um den Fiaker zu entlohnen. Geben Sie mir noch einen Gulden, für meine Gänge und Bemühungen verlange ich nichts. Ihre Freundschaft genügt mir.«

Nina hatte recht. Dieses Weib würde mich geplündert haben, wenn ich nicht vorsichtig gewesen wäre. Ich war überzeugt, daß sie zu Fuß gehen würde.

In weniger als einer Stunde war sie wieder zurück und sagte, v. T. mache Schwierigkeiten. Sie habe noch fünfzig Gulden zugelegt, erst dann habe er sich erweichen lassen, nur aus alter Freundschaft für sie; er habe gar nicht nach der Ursache, noch danach gefragt, wer sie frei haben wolle; wahrscheinlich habe er dahinter einen Kavalier vermutet, der inkognito bleiben wolle.

Ich war gezwungen, ihr noch fünfzig Gulden zu geben.

Dann aber klagte sie über schwere Zeiten und schlechte Zahler. Sie zeigte mir eine Menge Leihhausscheine und sagte, wenn sie die Zinsen morgen nicht bezahlen könne, würden die Pfänder verfallen. Dies brachte ihr weitere fünfzig Gulden aus meiner Tasche ein. Sie betrachtete diese Summe als Darlehen; ich hingegen erwiderte, sie brauche sie mir nicht zurückzugeben. Damit wollte ich mir ihre Verschwiegenheit und spätere Dienste sichern.

Am nächsten Tage erzählte ich Nina den Handel, die meinte, v. T. erhielte höchstens dreißig Gulden, das übrige würde Anna einstecken; außerdem aber erwarte sie von mir bestimmt die Einladung zu einem Souper.

»Es ist möglich«, sagte Nina, »daß Sie ein verlorenes Geschöpf vom Untergang retten, doch Gott wird diese gute Handlung lohnen. Es wird Sie aber etwas kosten, denn dieses Mädchen wird Kleider brauchen. Auch wäre es gut, wenn Sie sie ein Bad nehmen ließen. Diese unglücklichen Geschöpfe bekommen im Gefängnis leicht Ungeziefer. Ich habe ein Mädchen bei mir gehabt, das ganz denselben Wuchs und die Größe Rosas hatte. Sie ist mir durchgegangen und hat ihre Kleider zurückgelassen, da sie die meinigen stahl. Taxieren Sie die Kleider selbst und geben Sie mir dafür, was Sie glauben, daß sie wert sind.«

Frau von B. war in Geldangelegenheiten das ganze Gegenteil von Anna. Ich schätzte die Kleider, die sie mir brachte, auf fünfundvierzig Gulden. Sie berechnete dafür jedoch nicht mehr als sechsunddreißig Gulden, und es kostete mich viel Überredung, daß sie eine Brosche von mir als Andenken annahm.

Obwohl es fast acht Uhr abends war, als Rosa zu mir kam, fuhr ich noch mit ihr nach Ofen ins Kaiserbad und ließ mir eines der Türkenbäder aufschließen. Es war im Oktober, doch diese Bäder werden bei zunehmender äußerer Kälte immer wärmer. Das arme Kind fühlte erst jetzt die Nachwehen der gestrigen Exekution. Ich durfte die wunden Teile kaum berühren, doch tat es ihr wohl, als ich behutsam darüberfuhr. Das warme Wasser des Bades belebte sie. Sie war nicht mehr so scheu und verschämt, wie gestern vormittag und fiel mir um den Hals. Sie schwor mir, niemals einen Mann zu lieben, wenn ich sie so lieben wollte, wie ich es ihr gestern vormittag gezeigt hätte. Sie war schwärmerisch bis zur Selbstaufgabe und sagte, es würde für sie eine Wollust sein, von mir erwürgt oder erstochen zu werden. Was ich nicht gehofft oder gar geglaubt hatte, war, daß das Mädchen noch Jungfrau war.

Nachdem wir uns im Bade erfrischt und die Zeit mit kleinen Tändeleien vertrieben hatten, fuhren wir nach Hause. Anna und Nina erwarteten uns bereits; sie hatten – freilich auf meine Rechnung – ein köstliches Souper mit Champagner, in Eis gekühlt, auftischen lassen. Anna wies auf eine große Rute und sagte, ich möge auch dieses versuchen.

Das Zimmer war so gut geheizt, daß wir nichts zu befürchten hatten, wenn wir uns entkleideten, und diesmal auch Anna. Ich sah aber nicht viel von ihren verblühten Reizen, denn sie kroch unter den Tisch und sagte, sie wolle die Rolle eines Hundes spielen. Es war keine sonderlich erregende Attraktion, nach der wir uns nackt wie geschorene Pudel zu Tisch setzten. Nina half mir beim Essen, indem sie mich fütterte und mir das Glas an den Mund hielt. Wir aßen viel und tranken noch mehr, so daß auch die sonst so kalte Nina in Feuer geriet. Dann folgte die Hauptszene, eine Gruppe, wie sie die Römer auf ihren Kameen und Basreliefs darstellten – ein wirres, trotzdem zweckentsprechendes Knäuel von Leibern, die einander zu Gefallen waren …