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Über das Buch

Eine Ausreißerin und ein Wolf – zwei Getriebene, deren Wege sich in den Wäldern Nordamerikas kreuzen.

Shadow ist ein Wanderwolf. Er hat sein Rudel verlassen, überquert Straßen und Autobahnen und legt Tausende von Kilometern zurück, um eine neue Partnerin zu finden. Als Alana eine Autopanne hat, muss sie sich zu Fuß durch die Wildnis durchschlagen. Dort begegnet sie Shadow, der inzwischen zahlreiche Ranger und die Medien in helle Aufregung versetzt. Sofort fühlt Alana eine tiefe Verbindung zu dem Tier. Schafft sie es, genauso unbeirrt die Hindernisse in ihrem Leben zu überwinden? Und finden am Ende beide ihre große Liebe?

Christopher Ross

DER
WANDERWOLF

Folge deinem Herzen

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Für Karin und Günter Zils –
liebe Freunde und Seelenverwandte

Inhalt

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

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Alana

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Alana

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Alana

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Alana

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Alana

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Alana

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Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Shadow

Alana

Nachwort – Die Wahrheit über Wanderwölfe

Danksagung

Über den Autor

Shadow

Ohne die anderen Wölfe eines Blickes zu würdigen, verließ Shadow sein Rudel. Er ignorierte den Anführer und seine Gefährtin, die ihm die kärglichen Reste der Beute überlassen wollten, und drehte sich kein einziges Mal um, als er über die weite Lichtung trottete und zwischen den Fichten verschwand. Mit gesenktem Kopf und hängender Zunge lief er durch den Fichtenwald, bis ihm sein scharfer Geruchssinn sagte, dass er die Markierungen des Anführers passiert und sein altes Revier verlassen hatte.

Seinen Namen hatte er von den Zweibeinern, die ihn vor einigen Tagen betäubt und ihm den seltsamen Kragen angelegt hatten. Shadow hatten sie ihn genannt, weil er wie ein Schatten durch den morgendlichen Nebel gehuscht war, bevor sie ihn mit dem Betäubungsgewehr erwischt hatten. Er war ein stattlicher Bursche mit gelben Augen, der sich trotz seines kräftigen Brustkorbs elegant zu bewegen verstand und selbst in der Niederlage eine gewisse Würde ausstrahlte.

In einem guten Rudel arbeiteten alle Wölfe zusammen. Nur gemeinsam war man bei der Jagd und in anderen Situationen erfolgreich. Shadow hatte das früh erkannt und sich gegen den Anführer gestellt, der jedes Mal im Mittelpunkt stehen und sogar seine Gefährtin übertrumpfen wollte. War ihnen der junge Elch nicht entwischt, weil der Anführer die erfolgreiche Taktik vernachlässigt und zu früh angegriffen hatte? Shadow hatte ihn gestellt und seine Reißzähne entblößt, doch keiner der anderen Wölfe hatte ihn unterstützt, und er hatte sich eine blutige Schnauze geholt. Der Anführer fackelte nicht lange, wenn ihm ein anderer auf den Pelz rücken und ihm seine Stellung streitig machen wollte. Angeblich hatte er schon einen Artgenossen getötet.

Shadow war gerade erst ein Jahr alt und verspürte bereits seit einiger Zeit den Drang, sein Rudel zu verlassen. Nur das Gefühl, in einer Gemeinschaft besser gegen die zweibeinigen Feinde mit den Schusswaffen gewappnet zu sein, hatte ihn bisher daran gehindert. Es gab keine anderen Rudel in der Nähe, denen er sich anschließen konnte. Entweder er ordnete sich dem eitlen Anführer unter und nahm seine Launen in Kauf, oder er war gezwungen, das vertraute Umfeld zu verlassen und sich auf die Suche nach einem neuen Rudel zu machen.

Der Drang, endlich seinen eigenen Weg zu gehen, war stark. Wie jeder Wolf in seinem Alter steckte Shadow voller Tatendrang und dem Willen, irgendwo in der Ferne neue Abenteuer und ein neues Leben zu finden. Eine eigene Partnerin, mit der er ein Rudel gründen und sein eigenes Revier abstecken konnte. Eine Entscheidung, die viel Mut verlangte.

Shadow erreichte einen steilen Wiesenhang und blieb für einige Atemzüge stehen. Es tat gut, die warme Herbstsonne im Gesicht zu spüren. Das Gras stand hoch, es gab noch Wildblumen, und vor seinen Augen tanzte ein bunter Schmetterling. Der Anblick täuschte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Wind eisig kalt von den Bergen herunterwehen und den nahenden Winter ankünden würde. Es wurde höchste Zeit, dass er sich auf den Weg machte.

Alana

Alana überquerte das blumengeschmückte Rondell auf dem Campus und beeilte sich, zum Parkplatz zu kommen. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die ihr ganzes Leben umkrempeln und ihr Verhältnis zu ihren Eltern verändern, vielleicht sogar zerstören würde. Sie würde nicht Medizin studieren. Auch wenn ihre Eltern beide im Rosewood Medical Center arbeiteten und sich in der Chirurgie einen beachtlichen Ruf erworben hatten, war die Medizin nicht ihr Ding. Sie würde ein Jahr pausieren und sich dann wahrscheinlich für amerikanische Geschichte entscheiden. Der Dekan hatte ihr einen einjährigen Aufschub gewährt. Ihre bisherigen Noten würde sie nicht verlieren – ein Deal, der durch irgendwelche Paragrafen abgesichert war. Eine andere Zusage brauchte sie nicht, um ihren neuen Weg zu gehen.

Sie wusste, welches Beben sie mit dieser Entscheidung auslösen würde. Ihre Eltern hatten keine Ahnung. Sie waren viel zu selten zu Hause, um ihren Sinneswandel mitbekommen zu haben, und gingen beide davon aus, dass sie in ihre Fußstapfen treten würde. So war es immer in ihren Familien gewesen. Vier Jahre College, dann zur Medical School und später als Spezialist in ein anerkanntes Krankenhaus wie das Rosewood Medical. Also hatte Alana Physik und organische Chemie belegt, um sich später für die Med School bewerben zu können, aber schon bald gemerkt, dass sie damit nicht glücklich wurde.

Die Anspannung war ihr deutlich anzumerken. Sie wirkte nervöser als sonst und ein wenig abwesend, weil sie schon jetzt darüber nachdachte, wie sie die Entscheidung ihren Eltern beibringen sollte. Als sie die Straße überquerte, lief sie beinahe vor einen Lieferwagen und handelte sich eine verärgerte Geste des Fahrers ein, weil der voll auf die Bremse treten musste. Sie hob entschuldigend eine Hand und war froh, als sie ihren Wagen erreichte.

»Hey«, erklang die Stimme eines jungen Mannes. Scott Wilbur, ein arroganter Streber, der ihr in organischer Chemie über den Weg gelaufen war und seitdem versuchte, sie zu einem Date zu überreden. Nicht gerade der Typ, mit dem sie um die Häuser ziehen wollte. »Was machst du denn noch hier?«

»Dasselbe könnte ich dich fragen.«

Er stand vor seinem roten Sportwagen, wie immer makellos und betont lässig gekleidet, eine pinkfarbene Brille auf der Nase, die wohl von seinem langweiligen Gesicht ablenken sollte, und die Haare kurz und streng gescheitelt, als wäre er zu den Marines unterwegs. Ein Saubermann, der sich für unwiderstehlich hielt und nicht akzeptieren wollte, dass sie ihn ablehnte.

»Ich hatte noch was zu erledigen. Lust auf einen Caffè Latte?«

Sie hatte die Wagentür bereits geöffnet und schnaufte erkennbar. »Kein Interesse, Scott. Wie oft muss ich dir das noch sagen? Ich hab keine Lust auf ein Date. So langsam solltest du’s doch kapiert haben. Und glaub bloß nicht, dass sich irgendwas daran ändert, wenn du mir wie ein Stalker nachstellst!«

»Wie ein Stalker? Ich bin zufällig hier.«

»Na, klar. Und dass du mir gestern in der Dining Hall über den Weg gelaufen bist und du mir ein Herzchen nach dem anderen übers Handy jagst, ist wohl auch Zufall? Du nervst, Scott! Aber was rege ich mich auf. Ab nächster Woche bin ich sowieso nicht mehr hier, dann kannst du eine andere nerven.«

Die Nachricht schien ihn stärker zu treffen, als sie vermutet hatte. Er blickte sie lange an und erwiderte: »Du bist nicht mehr hier? Was meinst du damit?«

»Dass ich wegziehe, Scott. In eine andere Stadt.«

»Wohin denn?«

»Das geht dich gar nichts an.« Sie verriet ihm nicht, dass sie vom College abging und erwähnte auch nicht das Praktikum, das sie in einem Museum in Wyoming antreten würde. »Auf jeden Fall eine ganze Ecke weg von hier.«

Er wirkte betroffen. »Ich könnte dich begleiten!«

»Das fehlte noch!«

»Aber wir gehören zusammen, Alana!«

Seine Stimme klang höher als sonst, und in seine Augen trat ein seltsamer Glanz – wie bei einem Fanatiker, der seinen Willen nicht bekommt. Alana zog verwundert die Augenbrauen hoch. Sie konnte sich keinen Reim auf seine heftige Reaktion machen, hätte eher eine spöttische Bemerkung erwartet, so was wie: »Ein Traumpaar wie uns kann niemand trennen, nicht mal, wenn du nach Australien oder in den Himalaya ziehst.« Stattdessen schien er den Tränen nahe, und seine Hände waren zu Fäusten geballt. Keine Spur von Coolness.

Sie hatte kein Mitleid. In Wirklichkeit ging es doch gar nicht um sie und dass sie aus Denver wegzog. Er konnte es vielmehr nicht ertragen, dass er seinen Willen nicht bekam. Er fühlte sich in seinem Stolz und seiner Männlichkeit verletzt und hatte Angst, dass man ihn auslachte. So waren sie doch alle, diese selbstgefälligen Machos. Sobald sie Contra von einer Frau bekamen, stürzte ihr Weltbild ein. Sie wollten überall die Größten sein und einen Harem williger Frauen um sich scharen, die sie von morgens bis abends bewunderten.

»Ich muss weiter«, sagte sie und stieg in ihren Wagen.

»Bleib hier!«, rief Scott ihr nach. Jetzt klang er wütend, ein vermeintlicher Champion, der einen unerwarteten Treffer eingesteckt hatte und die Machtverhältnisse gleich wieder geraderücken wollte. »So kannst du nicht mit mir umgehen! Ich hab dich wie eine Lady umgarnt. Du bist mir was schuldig!«

»Ich bin dir gar nichts schuldig«, erwiderte Alana. Sie setzte sich hinters Lenkrad und schlug die Tür zu. Auch sie war wütend. Als ob sie nicht schon genug am Hals hätte! Was fiel diesem Typ ein? Kapierte er denn nicht, dass auch ein geschniegelter Kerl wie er nicht bei jeder jungen Frau ankam?

Sie wendete ihren Wagen, einen unscheinbaren Toyota, und trat verärgert auf die Bremse, als Scott sich ihr in den Weg stellte. Er sagte etwas, das sie wegen der geschlossenen Fenster nicht verstand, und trat nach einiger Zeit widerwillig zur Seite. Sie würdigte ihn keines Blickes, als sie an ihm vorbeifuhr. »Auf einen Angeber wie dich kann ich leicht verzichten«, schimpfte sie.

Alana hatte keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht. Es war schon auf der Highschool losgegangen, als sie zwei Jungen zum Abschlussball eingeladen hatten und sie leider auf den falschen reingefallen war – optisch weit vorn, aber schon mit einem leichten Alkoholpegel so unausstehlich, dass sie ihm von der Tanzfläche weggelaufen und mit einem Taxi nach Hause gefahren war. Zwischen Abschlussball und College hatte es dann ein kurzes Abenteuer gegeben, von dem außer ihr und dem Jungen niemand wusste, und auf dem College hatte sie sich bewusst zurückgehalten, aber während der letzten beiden Monate ständig diesen Scott im Nacken gehabt.

Scott war kein Footballer, aber ein Mädchentyp, weil er sich erwachsen gab und dennoch verletzlich wirken konnte, alles eine einstudierte Masche natürlich, und weil er meist im teuren Wagen seiner Mutter kam und genug Geld bei sich hatte, um seine Freundin in ein First-Class-Restaurant einzuladen und ihr teure Geschenke zu machen. An die hübsche Anführerin der Cheerleaders wagte er sich nicht ran, die gehörte dem Quarterback des Footballteams, doch bei den meisten anderen konnte er landen. Nur an ihr biss er sich die Zähne aus. Sie würde sich nur noch mit einem jungen Mann einlassen, der ihr respektvoll begegnete und sie ernst nahm. Ein Erbe ihrer indianischen Großmutter, die im Wind-River-Reservat der Arapaho-Indianer aufgewachsen und den Traditionen ihres Volkes zugeneigt gewesen war. Arapaho-Frauen hatten sich immer lange geziert, bevor sie einen Krieger erhört hatten.

Alana hielt an einer roten Ampel und blickte in den Spiegel. Ihre langen Haare, schwarz wie das Gefieder eines Raben, verrieten ihr indianisches Erbe, so wie ihre dunklen Augen, die leicht hervorstehenden Wangenknochen und ihr dunkler Teint. Das Amulett mit dem eingravierten Wolf erinnerte an den Clan, dem ihre Großmutter angehört hatte. Alana hatte keine Modelmaße wie die hübsche Cheerleaderin, dazu war sie etwas zu klein, und sie hatte auch nicht vor, riesige Summen für Klamotten und Make-up auszugeben. Ein junger Mann, der während der ersten Monate auf dem College um sie herumgestrichen war, hatte ihr »natürliches Aussehen« bewundert. Ein Kompliment, das sie bereitwillig angenommen hatte. Sie hatte keine Lust, jeden Morgen eine Stunde vor dem Spiegel zu stehen und sich aufzustylen.

Die Ampel schaltete auf Grün, und sie bog in die Seitenstraße, die zum Haus ihrer Eltern führte. Sie wohnten in einem Bungalow am Riverfront Park in Denver, waren erst vor einem Jahr von Stapleton in das exklusive Viertel gezogen. Ihre Eltern verdienten ein Heidengeld und konnten sich den teuren Lebenswandel locker leisten. Alana profitierte davon, mit ihrem Taschengeld hätte sie sich genauso viel wie die hübsche Cheerleaderin leisten können. Sie blieb aber sparsam, auch weil sie wusste, dass ihre Eltern ein ausschweifendes Leben bei ihrer Tochter niemals dulden würden. Als Studentin konzentrierte man sich aufs Lernen.

Als sie das Haus betrat, klingelte ihr Handy. Sandy war dran, ihre beste Freundin. Sie hatten sich auf der Highschool kennengelernt. Seit Sandy bei ihrem Freund eingezogen war und auf ein College am anderen Ende der Stadt ging, hatten sie sich etwas aus den Augen verloren, tauschten aber immer noch Geheimnisse aus. Sandy wusste allerdings nicht, dass sie vorhatte, vom College abzugehen, und bald umziehen würde.

»Hey, wie läuft’s?«, fragte Sandy.

Alana warf ihren Rucksack mit den Büchern auf die Couch und ließ sich in einen Sessel fallen. »Geht so. Mir ist so ein blöder Macho auf den Fersen.«

Sandy kannte Scott Wilbur nicht. »Sieht er wenigstens gut aus?«

»Geschniegelt. Edel gekleidet. Und Geld hat er auch.«

»Könnte sich lohnen.«

»Für kein Geld der Welt! Und du so?«

»Mike ist ein Schatz. Ich bin froh, dass ich zu ihm gezogen bin. Okay, er ist keiner dieser Sixpacktypen, aber er sieht gut aus, hat einen anständigen Job bei einer Spedition und liebt mich über alles. Und der Sex mit ihm ist …«

»… phänomenal!«, ergänzte Alana, weil Sandy das immer sagte.

Sandy lachte. »Ich rufe wegen Halloween an. Mike und ich wollen eine Geisterparty veranstalten, und du bist natürlich eingeladen. Wie sieht’s aus? Hast du Zeit? Könnte doch sein, dass du dort deinen Mister Perfect triffst?«

»Halloween? Da bin ich nicht mehr hier.«

»Wie … nicht mehr hier?«

Alana schluckte schuldbewusst. »Ich weiß, ich hätte es dir schon früher sagen sollen, aber ich hab das College geschmissen. Na ja, nicht wirklich geschmissen. Ich mach nur ein Jahr was anderes, bevor ich wieder einsteige.« Sie erzählte ihrer Freundin von ihrem Gespräch mit dem Dekan. »Ich hab einen Job im »Mountain Man«-Museum bekommen, da geht’s um die Trapper im Wilden Westen und so was. In Pinedale, das liegt drüben in Wyoming.«

Einen Augenblick war Stille. Sandy brauchte einige Zeit, um das Gesagte zu verdauen. »Und was sagen deine Eltern? Du hast es ihnen doch gesagt?«

»Das mach ich gleich, wenn sie nach Hause kommen.«

»Du spinnst! So wie ich deine Eltern kenne, flippen die aus!«

»Schon möglich«, erwiderte Alana, »aber wenn ich’s ihnen früher gesagt hätte, wär’s doch viel schlimmer gekommen. Sie hätten sonst was mit mir gemacht, mich in die Schweiz auf ein Internat verfrachtet oder so ähnlich, nur damit ich auf die verdammte Med School gehe. Sie wollen einfach nicht kapieren, dass die Medizin nichts für mich ist. Ich hab’s eher mit amerikanischer Geschichte. Eine meiner Großmütter war eine Arapaho, über die gibt’s noch viel auszugraben. Ich könnte Museumsleiterin in Cody werden.«

»Im ›Buffalo Bill‹-Museum? Also, ich bleibe bei Pädagogin.«

»Weil du eine gute Lehrerin bist und dich niemand zu was anderem zwingen will. Drück mir die Daumen, dass meine Eltern keinen Mist bauen, wenn ich es ihnen sage. Mir wird schlecht, wenn ich nur daran denke!«

»Du könntest schwanger sein, das wäre noch schlimmer.«

»Da bin ich mir nicht sicher.«

Sandy musste lachen, trotz der misslichen Lage, in der Alana sich befand, und verbrachte die nächsten Minuten damit, ihrer Freundin Mut zuzusprechen. Dann kam ihr Freund nach Hause und sie musste aufhören. »Ruf mich an, wenn du’s hinter dir hast. Und lass dich nicht unterkriegen, hörst du? Du schaffst das alles!«

»Klar doch.«

Alana blieb sitzen, nachdem sie ihr Handy weggesteckt hatte, und starrte eine Weile ins Leere. Ihre Eltern waren noch nicht zu Hause. »Warte nicht auf uns«, hatte ihre Mutter am frühen Morgen gesagt, »ich hab heute eine schwierige OP und es kann spät werden.« Ihr Vater hatte immer eine schwierige OP und machte gar nicht mehr den Versuch, ihr irgendwas zu erklären. Er kam und ging, wann er wollte. Ein Wunder, dass die Ehe ihrer Eltern funktionierte.

Noch waren vier Tage Zeit, beruhigte Alana sich, es reichte auch, wenn sie es ihnen morgen oder übermorgen sagte. Insgeheim hoffte sie sogar, dass sie an diesem Abend so spät kamen, dass sie nicht mehr miteinander reden konnten. Auch wenn sich ihre Eltern kaum blicken ließen, waren sie doch sehr an ihrem beruflichen Vorwärtskommen interessiert, aus Tradition und Fürsorge, aber auch in dem eitlen Bestreben, ihr medizinisches Erbe in bewährte Hände zu legen. Ihr Name sollte auch weiterhin in medizinischen Kreisen wirken.

Sie ging zum Kühlschrank und schenkte sich ein Glas aus ihrem Diet-Coke-Vorrat ein. Ungesund, aber unübertrefflich, wenn es darum ging, auf andere Gedanken zu kommen. Der Appetit war ihr nach der Begegnung mit Scott vergangen. Daran änderten auch die Goodies nichts, die sie selbst eingekauft hatte, der frische Lachs, die Shrimps und das Glas mit der leckeren Hummersoße. Allein der Gedanke an Scott Wilbur bereitete ihr Magenschmerzen. Dieser fanatische Blick, als sie ihm gesagt hatte, dass sie in eine andere Stadt ziehen würde, als wäre er besessen von der Idee, sie zu erobern.

Sie kehrte aus der offenen Küche in den Wohnraum zurück und sah den BMW ihrer Mutter in die Einfahrt fahren. Sie ließ ihn vor der Garage stehen, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie gleich wieder fahren würde, und kam durch die Seitentür ins Haus. Sharon Milner war Mitte vierzig, eine elegante Frau, selbst in ihrer OP-Kleidung, die unter ihrem weinroten Mantel hervorlugte, und den formlosen Crocs. Auch unter größtem Stress trug sie ein kaum sichtbares und deshalb umso wirksameres Make-up, und ihre Haare waren zwar nicht so schwarz wie bei Alana, fielen aber in dichten Locken bis auf ihre Schultern herab. Sie wirkte immer ein wenig gehetzt, auch diesmal wieder.

»Hi, Mom.«

»Da bist du ja, mein Schatz«, begrüßte sie ihre Tochter. »Ich muss leider gleich wieder weg. Ich hatte nur mein Handy vergessen. Ein Jammer, dass man ohne diesen elektronischen Kram nicht mehr auskommt.« Sie lief ins Schlafzimmer und kehrte mit dem Handy zurück. »Andererseits wären wir ohne das ganze Hightech im Krankenhaus ziemlich aufgeschmissen.« Sie nahm sich einen Becher Joghurt aus dem Kühlschrank und aß ein paar Löffel im Stehen. »Du machst dir was zu essen, ja? Wie war’s heute im College?«

»Gut«, antwortete Alana kleinlaut. »Ich …«

»Halt dich ordentlich ran, auch wenn dich manche für eine Streberin halten! Wenn du jetzt schluderst, wirst du das später nur bereuen. Die Aufnahmebedingungen für die Med School sind streng, und ein paar gute Noten können nicht schaden, am besten nur A-Noten. Versprich mir, dass du lernst.«

»Sicher, Mom, aber … ich muss dir was sagen, Mom!«

»Später, Alana!« Ihre Mutter warf den leeren Joghurtbecher in den Abfall und den Löffel in den Spülstein. »Ich muss dringend ins Krankenhaus zurück.« Sie kam aus der Küche, umarmte Alana flüchtig und küsste sie auf die Stirn. »Später, okay? Oder morgen beim Frühstück, da passt es noch besser.«

Bevor Alana etwas erwidern konnte, war sie verschwunden.

Shadow

Außerhalb seines ehemaligen Reviers war Shadow zu erhöhter Wachsamkeit gezwungen. Zum ersten Mal in seinem Leben war er auf sich allein gestellt, konnte er sich nicht mehr auf den Schutz seines Rudels verlassen, das ihm den nötigen Halt und eine Heimat gegeben hatte. In einem Rudel stand ein Wolf für den anderen ein, beschützte und unterstützte man einander, vor allem auf der Jagd und wenn Gefahr drohte. So hatten sie es immer gehalten.

Ohne den Beistand seiner Artgenossen und in einer Gegend, die er auf seinen Wanderungen noch nie gesehen hatte, fühlte Shadow sich unsicher. Es roch nach den gleichen Bäumen und Pflanzen, nach dem Gras, das auch in seiner ehemaligen Heimat wuchs, doch der Boden war felsiger und das Land so zerklüftet, dass er auf den steilen Hängen Gefahr lief, den Halt zu verlieren.

Es gab keine Wölfe in dieser Gegend, aber er stieß auf den Kot und den Urin, mit dem andere Tiere ihr Revier abgesteckt hatten. An einem Bachufer begegnete er einem Elch und schlug einen großen Bogen um ihn. Seitdem er erlebt hatte, zu welch tödlichen Waffen die Hufe eines solchen Tieres werden konnten, hielt er sich lieber von ihnen fern. Ein guter Jäger zeichnete sich auch dadurch aus, dass er kein unabwägbares Risiko einging.

Am Rande einer tiefen Schlucht blieb er stehen. Mit seinen scharfen Augen suchte er die Hänge nach möglichen Gefahren ab, seine Nase registrierte die Gerüche, die aus der Schlucht zu ihm heraufstiegen. Sein aufmerksames Gehör vernahm die Schritte eines Schwarzbären, der gleich darauf zwischen den Bäumen hervorkam, aber keine Notiz von ihm nahm und wieder verschwand. Aus den Weiden und Erlen am reißenden Fluss stiegen einige Wachteln auf.

Entschlossen stieg Shadow den Hang hinab. Die meisten Vierbeiner hatten Angst vor Wölfen und gingen ihm aus dem Weg, selbst Elche und Bären vermieden es, sich mit ihm und seinen Artgenossen anzulegen. Die einzigen Wesen, die ihm gefährlich werden konnten, waren Zweibeiner, gefährliche Wesen, die aufrecht gingen und tödliche Kugeln verschossen, die sogar einen Bären oder ausgewachsenen Elch von den Beinen holen konnten. Vor einigen Wochen waren sie in seinem Revier aufgetaucht. Sie hatten ihn mit einem kleinen Pfeil bewusstlos geschossen und ihm den seltsamen Kragen angelegt, dessen Bedeutung er bis heute nicht verstand. In dieser Schlucht gab es keine Zweibeiner, aber sein Instinkt sagte ihm, dass sie zahlreicher waren, als es den Anschein hatte, und sie ihn beim nächsten Mal vielleicht töten würden.

Er würde ihnen aus dem Weg gehen müssen, wenn er sein Ziel erreichen wollte. Sein Wille war ungebrochen: Auch wenn er sich seinen Weg in ein besseres Leben erkämpfen musste, würde er nicht aufgeben. Er würde, falls nötig, bis zum fernen Horizont wandern – bis er eine Wölfin gefunden hatte, mit der er ein eigenes Rudel gründen konnte. Eine Partnerin, die es zu schätzen wusste, dass er diese unsäglichen Strapazen auf sich nahm. Sein Instinkt verriet ihm, dass ihn noch viele Tausend Schritte von seinem Ziel trennten und er Berge, Flüsse und Täler überwinden musste, wenn es eine Zukunft für ihn geben sollte.

Alana

»Wie bitte?« Alanas Vater ließ den Müslilöffel sinken und blickte seine Tochter verständnislos an. Entweder hatte er nicht verstanden oder er wollte nicht verstehen. »Du willst mir allen Ernstes sagen, dass du vom College abgehen und nur noch jobben willst?«

»Ja, Dad. Aber es ist nicht, wie du denkst. Ich will das Studium nicht hinschmeißen. Ich will es nur für ein Jahr unterbrechen. Der Dekan sagt, das wäre gar nicht so außergewöhnlich, wie viele denken. An unserem College gibt es mehrere Studenten, die mit der Richtung, die sie eingeschlagen haben, nicht zufrieden sind und ihr Leben neu ordnen wollen. Ich habe bereits mit dem Dekan gesprochen. Er hat mir sogar versichert, dass ich meine Noten behalten und ins nächste Semester mitnehmen darf, wenn ich zurückkomme.«

»Kommt gar nicht infrage«, wehrte ihr Vater strikt ab. Wie immer, wenn er verärgert war, zogen sich seine buschigen Augenbrauen zusammen, und seine Stimme wirkte noch klarer und entschlossener, beinahe wie bei einem Offizier. Ein Tonfall, den seine Assistenzärzte nur zu gut kannten. »Du wirst dein Studium nicht unterbrechen! Und du wirst auch nicht irgendeinen Job annehmen. Am Schluss landest du noch als Kassiererin in einem Supermarkt.«

Alana hatte eine solche Reaktion erwartet und war entsprechend gewappnet. »Ich hab einen Vertrag mit dem »Museum of the Mountain Man« in Pinedale, drüben in Wyoming«, erwiderte sie. »Ich darf bei der Vorbereitung für eine neue Ausstellung helfen und im Shop mitarbeiten. Du weißt doch, wie sehr ich mich für Pioniergeschichte interessiere. In dem Museum geht es um die große Zeit der Fallensteller und Indianer. Meine Großmutter war eine Arapaho.«

»Und das soll ein Grund sein, deine Ausbildung abzubrechen?«, fuhr er ihr über den Mund. »Weil du in einem Museum jobben willst? So was kann man in den Semesterferien machen, aber doch nicht die ganze Zeit! Wie kommst du nur darauf? Du weißt doch, wie zeitaufwendig so ein Medizinstudium ist. Du hast noch sechs, sieben Jahre vor dir, wenn du dich spezialisieren willst.«

»Ich weiß noch nicht, ob ich mit Medizin weitermachen werde.« Sie sagte ihm nicht, dass sie sich bereits entschieden hatte. »Könnte sein, dass mir Geschichte mehr liegt. Ich könnte in einem der großen Museen arbeiten, für das »Museum of the American Indian« in Washington, falls ich gut genug bin. Oder als Lehrerin oder für den History Channel, da gibt es tausend Möglichkeiten.«

»Das ist doch nicht dein Ernst«, mischte sich ihre Mutter ein, »das kann nicht dein Ernst sein! Deine Eltern sind Mediziner, deine Großväter hatten beide mit Medizin zu tun … wie kommst du überhaupt auf die Idee, an irgendetwas anderes zu denken? Die Medizin liegt uns Milners doch im Blut!«

»Schlag dir die Idee aus dem Kopf!«, wurde ihr Vater noch deutlicher. Er hatte längst den Appetit verloren und das Schälchen mit dem Müsli von sich geschoben. »Du wirst dein Studium nicht abbrechen! Du wirst gleich morgen früh zum Dekan gehen und ihm sagen, dass du es dir noch mal überlegt hast und weiterstudieren wirst. Wir haben dich nicht jahrelang unterstützt, um uns jetzt die lange Nase von dir zeigen zu lassen. Verstanden?«

»Das mit dem Museum ist doch nur eine Laune«, fügte ihre Mutter hinzu, auch um den Worten ihres Mannes die Schärfe zu nehmen. »Wie dein Vater schon sagt, das kannst du in den Ferien machen. Hier in Denver gibt es ein großes Indianermuseum, wie du weißt, da könntest du in den Semesterferien arbeiten, wenn du unbedingt willst. Aber dein Hauptaugenmerk sollte auf die Medizin gerichtet bleiben. Mach dir dein Leben nicht kaputt, mein Schatz!«

Alana zwang sich, hart zu bleiben. »Tut mir leid, ich habe mich entschieden. Ich bin alt genug, um selbst zu wissen, was für mich gut ist. Ich lande schon nicht hinter der Supermarktkasse. Ich mache doch nur ein Jahr Pause, was ist schon dabei? Nächstes Jahr komme ich zurück und mache weiter.«

»Und wovon willst du leben?«, fauchte ihr Vater. »Du glaubst doch nicht, dass ich dein Nichtstun unterstütze. Solange du nicht studierst, bekommst du keinen Cent von uns, und deine Kreditkarte, die lasse ich auch sperren. Dann wollen wir doch mal sehen, wie lange du Gefallen an deinen Ferien findest.«

Sie behielt die Nerven, vermied es auch, in einen weinerlichen Ton zu fallen. »Du weißt, wie dankbar ich euch für die Unterstützung bin. Und ich will auch gar nicht, dass ihr mir während meiner Auszeit was überweist. Ich habe einiges gespart, und ein paar Dollar verdiene ich in dem Museum auch.«

»Und wann soll es losgehen?« Ihr Vater schien sich allmählich mit ihrer Entscheidung abzufinden, wenn seine Stimme auch noch so feindselig klang.

»Am Sonntag.«

»In vier Tagen schon?«, rief ihre Mutter.

»Das kommt alles sehr plötzlich«, sagte ihr Vater.

»Ich habe lange darüber nachgedacht«, versuchte sie zu erklären, »und ich habe so lange gewartet, weil ich wusste, wie ihr reagieren würdet, und Angst hatte, es euch zu sagen. Aber glaubt mir, so ist es am besten. Ich muss mir erst über einiges klar werden, bevor ich weitermache. Solange ich arbeite, ist das doch nichts Schlimmes. Wer weiß, vielleicht behält mich das Museum das ganze Jahr. Die Leute dort sind sehr nett, und ich kann dort viel lernen.«

»Über Medizin?«

»Über amerikanische Geschichte.«

»Das wird dir im OP wenig helfen.«

»Wie gesagt, ich …«

»Ich weiß, was du alles gesagt hast«, hatte ihr Vater genug, »und ich habe keine Lust, mir das noch mal anzuhören. Wenn du meinst, deine Karriere unnötig aufs Spiel setzen zu können, bitte sehr. Aber beklage dich später nicht.«

»Überlege es dir noch mal«, bat ihre Mutter.

»Tut mir leid, Mom.«

Den Terminen ihrer Eltern hatte Alana es zu verdanken, dass die Auseinandersetzung ein Ende fand und sie schon wenige Minuten später das Haus verließen. Außer dem knappen »Bis später« ihrer Mutter fiel kein Wort mehr.

»Puh«, schnaufte Alana nur und räumte den Tisch ab.

Nachdem sie das Geschirr ihrer Eltern in die Spülmaschine geräumt hatte, gönnte sie sich einen Becher Kaffee mit viel Milch und aß einen getoasteten Muffin mit reichlich Marmelade dazu. Sie übertrieb gern beim Essen, hatte das Glück, dass sie selbst nach einem Fast-Food-Tag ihr Gewicht hielt. Sie verbrachte den halben Tag damit, das Material des »Mountain Man«-Museums zu studieren und las in einem Sachbuch über die Arapaho-Indianer. Sie hätte gern gewusst, ob unter den Vorfahren ihrer Großmutter tapfere Krieger gewesen waren und ob sie in einer der berühmten Schlachten mitgekämpft hatten.

Am Nachmittag klingelte ihr Handy. »Hey«, meldete sich Sandy, »ich komme gerade von der Uni. Hast du mir gestern gesagt, dass du das College schmeißt und in die Berge ziehen willst, oder hab ich das geträumt?«

»Ich habe dir gesagt, dass ich ein Jahr aussetzen und in einem Museum in Wyoming arbeiten werde«, erwiderte sie. »Das weißt du doch ganz genau.«

»Ich war mir nicht mehr sicher. Was haben deine Eltern gesagt?«

»Sie waren nicht gerade begeistert.«

»Dachte ich mir. Wie wär’s mit einem Caffè Latte?«

So ähnlich hatte Scott Wilbur auch gefragt, aber von ihrer Freundin hörte sie die Frage lieber. »Immer. Um zwei bei Starbucks in der East Hampden?«

Alana war froh, aus dem Haus zu kommen, und stieg einigermaßen fröhlich in ihren Wagen. Die gemeinsamen Starbucks-Besuche mit ihrer Freundin gehörten zu den Highlights der Woche. Sie tranken ihren Kaffee und hatten vor allem Spaß daran, andere Leute zu beobachten und ihnen Geschichten anzudichten. Welchen Beruf hatte der Typ im langen Mantel? Was machte die Frau im blauen Kleid? War die Blonde geschieden? Was für einen Job hatte der junge Typ im dunklen Hoodie? Wer war auf die Verkäuferin scharf?

Bei dem Gedanken an ihr munteres Ratespiel musste sie grinsen. Als sie jedoch vor einer Ampel in den Rückspiegel blickte, war ihre gute Laune wie weggeblasen. Einige Wagen hinter ihr glaubte sie den Wagen von Scott Wilbur zu erkennen. War Scott Wilbur ein Stalker? Sie blickte genauer hin, doch im gleichen Augenblick ging es weiter, und sie fuhr rasch auf die rechte Spur und bog in eine Seitenstraße ab. Wie in einem Actionfilm, wenn der Verfolgte einen Zickzackkurs über mehrere Nebenstraßen fährt, um herauszubekommen, ob er tatsächlich verfolgt wird. Der Wagen war nicht mehr hinter ihr.

»Puh«, stieß sie erleichtert hervor, »jetzt sehe ich schon Gespenster!«

Warum sollte ein Typ wie Scott Wilbur sie auch verfolgen? Er war kein verklemmter Typ, der schon beim Anblick einer hübschen Frau knallrot wurde und das große Zittern bekam. Er kam bei vielen Mädels an und konnte sich seine Freundin eigentlich aussuchen. Er hätte es gar nicht nötig, ausgerechnet ihr nachzustellen und sich so verklemmt wie einer aus der Junior High zu benehmen. Wenn das herauskam, würde er sich lächerlich machen.

Alana überzeugte sich durch einen weiteren Blick, dass sie tatsächlich nicht verfolgt wurde, und fuhr zur Hauptstraße zurück. Vor dem Starbucks stellte sie ihren Wagen neben den von Sandy, die wie immer zu früh war und bereits vor ihrem Latte saß und am Strohhalm saugte.

»Hey«, begrüßte Alana ihre Freundin. »So durstig? Mit Karamell?«

»Kennst mich doch«, erwiderte Sandy. Sie trug ihre Haare kurz und glich mit ihren großen blauen Augen einem Kobold, auch wegen der grellbunten Longshirts, die sie neuerdings über ihren Slimjeans trug. Nicht gerade die typische Ehefrau aus dem Vorort. »Genau das, was ich jetzt brauche. Ordentlich Zucker. Für dich hab ich die Normalversion bestellt.«

Während Alana sich setzte und an ihrem Latte nippte, musterte Sandy sie ungläubig. »Du meinst das ernst, was? Mit dem Wegziehen, meine ich.«

»Mit organischer Chemie und Physik kann ich nichts anfangen«, erwiderte Alana. »Ich dachte, ich könnte es, aber inzwischen weiß ich, dass die Fächer nicht mein Ding sind. Und die Med School noch viel weniger. Ich bin anders gepolt als meine Eltern und was weiß ich wer von meinen Vorfahren noch alles in einem Krankenhaus gearbeitet hat. Ich tauge nicht zur Chirurgin. Ich will ein Jahr durchatmen und irgendwas Praktisches machen und dann amerikanische Geschichte studieren. Und alles, was noch damit zusammenhängt.«

»Wissen das deine Eltern auch?«

»Ich hab ihnen nur gesagt, dass ich ein Jahr Pause machen und darüber nachdenken würde«, räumte Alana ein. »Es war schon so schwierig genug.«

»Und du bist dir ganz sicher?«

»Ich hab lange gegrübelt.«