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Scarlett Draven

Vampire küssen heißer

Crazy Magic 3


Für Ramied


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Kurzbeschreibung

209 Normseiten (Papyrus)

 


Der Wahnsinn geht weiter ... 

 

Hexen, Vampire, Wer-Menschen und Hill-Billys ...

Dabei will Marcheline nur ihre Ruhe haben, als sie nach Elephant Butte in das Haus ihrer verstorbenen Großmutter zieht. Aber die ist ihr nicht vergönnt, denn schon steht ein nackter Typ vor ihrer Haustür und behauptet, ihr Vertrauter zu sein, das Tier, das jede Hexe hat. Sie soll eine Hexe sein und er ein Wer-Mensch?

Chaos bestimmt fortan ihr Leben, und ein geheimnisvoller Fremder taucht in ihrem Leben auf, der ihr Herz schneller schlagen lässt. Doch ihr Vertrauter Logan hat den Verdacht, dass ihre Oma ermordet worden ist und dieselbe Person auch hinter ihr her ist ... Wem kann Marcheline vertrauen?

Kapitel 1

 

 

 

 

Marcheline Lelièvre

 

Elephant Butte, Arkansas

In den letzten Wochen habe ich einiges mitgemacht, aber das hier übertrifft wirklich alles. Ein nackter Mann steht vor der Tür meines neuen Heimes und will rein. Er behauptet doch tatsächlich, mein Vertrauter zu sein, das Tier, das jede Hexe hätte, und letztere wäre ich.

Ich soll eine Hexe sein. So etwas gibt es doch gar nicht außer in den Märchen. Der hat sie doch nicht mehr alle. Als würde ich einen solchen Unsinn glauben ...

Heute Nacht hatte ich außerdem wieder diesen gruseligen Albtraum, und mir ist wirklich nicht nach Scherzen zumute. Mein Blutdruck ist zu niedrig, ich habe Schlafmangel, Jetlag, meinen Scheiß Job gekündigt, meine Heimat Kanada verlassen und mich mit meiner Familie verworfen. Ich bin zudem noch total erschöpft von der langen Fahrt. Für nackte, verrückte Typen habe ich heute wirklich keine Geduld.

Jetzt bin ich hier irgendwo am Ende der Welt in einem Haus, das ich von einer Oma geerbt habe, von der ich nicht mal wusste, dass sie bis vor Kurzem noch existiert hatte, und ich habe noch immer diesen Typen vor meiner Tür rumlungern. Der ist verdammt hartnäckig. Man sollte meinen, dass es ihm irgendwann zu langweilig wird und er abhaut. Ihn zu ignorieren funktioniert also auch nicht. Leider hat er mich am Fenster gesehen, als ich hinausgeschaut habe. Er hat eine Tüte dabei, in der er vermutlich seine Kleidung lagert.

»Lass mich rein!«, fordert er erneut.

Träum weiter, denke ich. So dumm bin ich mit Sicherheit nicht.

»Ich rufe die Polizei an, du verdammter Stalker.« Das ist ein Bluff, denn mein Handy ist total tot, aber das kann er ja nicht wissen. Ich habe leider vergessen, es vor meiner Abreise zu laden, und jetzt ist der Akku völlig leer.

Irgendwann wird der Typ abhauen, und dann fahre ich runter zum Polizeipräsidium, um das zu melden. Es kann ja nicht sein, dass hier ein exhibitionistischer Stalker herumlungert.

»Die Polizei wird gar nichts unternehmen«, meint er.

»Natürlich werden die kommen, und du wirst dann eine Menge Ärger haben.«

Bin ich mir überhaupt sicher, dass die kommen werden? Wer weiß, ob es in diesem Nest überhaupt eine Polizei gibt, und wer weiß, wie weit die nächste entfernt ist. Bis die kommen, kann bereits wer weiß was geschehen sein …

Wenn ich nur daran denke, wie deren Tankstelle aussieht und der Lebensmittelladen erst. Das ist höchst abschreckend. So langsam zweifle ich daran, ob es doch so eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Im Internet hatte ich nichts über diese Kleinstadt erfahren, aber die Aussicht darauf, endlich von meinen Tanten entfernt zu leben, war sehr verlockend gewesen. Sie neigen dazu, sich in alles einmischen zu wollen.

Elephant Butte heißt dieser Ort offiziell, aber das letzte e fehlt auf dem Ortsschild, weshalb es so viel bedeutet wie ›Elefantenhintern‹. Habe ich zuvor schon in einem Kuhkaff gewohnt, so lebe ich jetzt wohl wirklich am Arsch der Welt, obwohl das sogar eine Kleinstadt sein soll. Angeblich soll es in der Nähe des Ortes einen Felsen geben, der an einen Elefantenhintern erinnert, nach dem er letztendlich benannt worden ist. Butte ist ja eigentlich das Wort für einen Felsvorsprung oder einen Restberg.

»Gib mir eine Chance, Marcheline. Bitte«, fleht der nackte Irre.

»Eine Chance? Du bist verrückt. Verschwinde!« Woher weiß der überhaupt meinen Namen?

»Ich bin nicht verrückt. Ich bin dein Vertrauter, das Tier, das jede Hexe hat.«

»Nur weil man etwas völlig Unsinniges wiederholt, wird es nicht einfach wahr«, sage ich.

»Es ist aber die Wahrheit. Du wirst schon sehen.«

Nichts werde ich sehen. Der Irre hält sich für ein Tier und mich für eine Hexe. Geht’s denn noch? Ich frage mich, auf welchen harten Drogen der ist. »Du bist kein Tier, du bist ein Mensch, falls dir das noch nicht aufgefallen sein sollte. Und als solcher hast du kein Fell, aber zwei Arme und zwei Beine. Und vor allem tragen wir Kleidung, verdammt nochmal. Das hier ist kein verdammtes Nudisten-Camp.« Ich kann mich kaum erinnern, jemals so viel auf einmal geflucht zu haben, außer an dem Tag vor etwa einem Jahr, an dem ich den Betrug meiner Tante Lucy entdeckt habe, mit dem sie mich beinahe um mein Erbe gebracht hätte.

Genau jenes damalige Ereignis war wohl der Auslöser für den späteren Bruch mit meiner Familie gewesen. Das war der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe wirklich alle Brücken hinter mir abgebrochen und bin hierher gefahren. Natürlich hätte ich auch fliegen können, aber ich hasse das Fliegen und mein Auto, so klapprig und rostig es auch sein mag, wollte ich nicht in Ville de Vache zurücklassen, zumal ich mir derzeit kein neues leisten kann. Und wenn ich es verkauft hätte, so hätte ich kaum noch etwas dafür bekommen.

Ich liebe dieses Auto. Es ist ein barbierosa SUV, der früher sicher mal sehr schick gewesen war. Dafür habe ich ihn günstig von der Vorbesitzerin bekommen.

»Aber ich bin wirklich ein Wolf und ein Wer-Mensch«, beharrt der nackte Typ vor meiner Tür.

So ein Spinner. Für einen Wer-Menschen hält der sich also. So etwas gibt es doch nur in seltsamen Büchern. Ich habe ja in den zwanzig Jahren meines Lebens schon einige Irre kennengelernt, aber der Typ toppt wirklich alle, sogar meine Tanten, und das will was heißen ...

»Hau ab, du Spinner«, schreie ich.

Vielleicht sollte ich ihn lieber ignorieren. Nicht, dass ich ihn mit meiner Aufmerksamkeit indirekt noch ermutige. Sind Exhibitionisten nicht genau darauf aus?

»Schau aus dem Fenster. Bitte«, sagt er.

»Na schön. Aber anschließend verschwindest du.«

Ich sehe also aus dem Wohnzimmerfenster und hoffe, dass ich damit keinen Fehler begehe. Dort steht nach wie vor der nackte Typ. Schlecht sieht er ja nicht aus mit der muskulösen Gestalt und dem langen, dunklen Haar. Aber es gibt schließlich kein Gesetz, das verbietet, dass Verrückte nicht gut aussehen dürfen. Und dieser Typ hat sie eindeutig nicht mehr alle.

Ich erstarre, als sein Leib beginnt, sich zu verformen. Seine Wangenknochen werden länger und die Nase flacher. Moment mal, ist Wahnsinn eigentlich ansteckend?

Ich blinzle, aber das Bild bleibt bestehen. Ihm wachsen tatsächlich überall dunkle Haare! Das darf doch nicht wahr sein!

Innerhalb kürzester Zeit steht ein riesiger, schwarzer Wolf vor meiner Tür.

Ein Werwolf, scheiße, ein Werwolf! Mein Herz klopft schneller vor Panik. Wenn ich rein theoretisch die Bullen anrufen könnte, so würden die mich einsperren, sollte ich ihnen das berichten. Ab in die Klapse mit der Alten, würden die sagen. Das glaubt mir doch keiner.

Oh, Mann, das ist zu viel für mich. Eigentlich sollte ich fliehen, aber wohin nur? Hier in der Gegend kenne ich mich nicht aus, und in den Filmen kriegen die Werwölfe ihre Opfer immer.

Mein Blutdruck spinnt. Ich hätte wirklich mehr essen und trinken sollen. Ehe es mir gelingt, ein paar Schritte zu machen, wird mir schwarz vor Augen.

 

Marcheline

 

Es ist finster. Im Mondlicht erkenne ich die Umrisse der knorrigen Äste der Bäume. In der Ferne erklingt der Ruf eines Käuzchens. Ich renne durch den Wald, als wäre ich auf der Flucht, doch es ist die Stimme in meinem Kopf, die mich vorantreibt, und deren Ruf ich folge, wie immer, wenn ich diesen Traum habe, auch wenn er sich so verdammt real anfühlt.

Komm ... Komm zu mir. Befreie mich.

Es gibt eine Verbindung zwischen dieser Person und mir, wer auch immer er sein mag. Magisch von ihm angezogen, nähere ich mich dem trostlosen Ort mitten im Wald.

Es handelt sich um einen alten Friedhof. Welch düsterer, gottverlassener Ort das doch ist! Windschiefe, uralte, verwitterte Kreuze stehen dort mit kaum noch entzifferbaren Aufschriften. Was soll ich hier? Warum hat es mich ausgerechnet hierher verschlagen?

Komm näher. Ich warte auf dich, vernehme ich die altbekannte Stimme des Fremden in meinen Gedanken.

Wer ist das, und was will er von mir? Wie oft habe ich mir genau diese Fragen bereits gestellt?

Dort ist es. Zielstrebig nähere ich mich dem Grab, während ich mich frage, was ich hier eigentlich tue und ob es nicht besser wäre, von hier zu verschwinden. Aber meine Beine tragen mich wie von selbst, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Das ist höchst unheimlich.

Vor dem aufgeschütteten Erdhaufen bleibe ich stehen. Die Schrift auf dem spinnwebenbesetzten Grabkreuz kann ich nicht entziffern. Dennoch weiß ich, dass es das richtige Grab ist, und ich weiß ebenso, was zu tun ist.

Ich ergreife einen langen, flachen, spitzen Stein, der in der Nähe liegt und beginne, damit zu graben. Es ist eine anstrengende Arbeit, aber ich bin wie getrieben. Ich muss es schaffen.

Nach einiger Zeit stoße ich auf den Sarg, der zu meiner Überraschung noch intakt ist, was ich höchst merkwürdig finde. Wenn man bedenkt, wie alt dieser Friedhof ist, sollte man erwarten, dass sämtliche Särge hier längst in der feuchten Erde verrottet sind.

Dieser hier ist aber nicht nur unbeschädigt, sondern weist auch noch ein Ornament aus einem Material auf, das rotem Wachs ähnelt. Das Ornament schlingt sich über den gesamten Sargdeckel. In der Mitte bildet es eine Art von Siegel mit einem seltsamen Zeichen darauf, wie ich es nie zuvor erblickt habe, aber ich weiß, dass darin Magie verwoben wurde, und ich weiß auch, wie ich diesen Zauber brechen kann. Das ist letztendlich viel profaner, als man sich das vorstellen mag, auch wenn mir schleierhaft ist, woher ich dieses Wissen nehme ...

Ich umfasse meinen Stein mit beiden Händen und zerschlage damit das burgunderrote Siegel, das daraufhin in abertausende von Stücken zerbirst. Ich spüre eine seltsame, dunkle, bedrückende Energie von dem zerstörten Siegel ausgehen, die in alle Winde verweht wird. Erleichtert atme ich auf, als alles davon verschwunden ist.

Der Zauberbann ist gebrochen. Es gelingt mir gerade rechtzeitig, zur Seite zu springen, als der Sargdeckel von innen gewaltsam aufgestoßen wird und an mir vorbeifliegt. Eine dunkelgewandete Gestalt mit langem, schwarzen Haar, verzerrtem Gesicht und langen Fangzähnen fliegt auf mich zu ...

Oh nein, ich habe etwas befreit, etwas eindeutig Gefährliches. Ich schreie vor Entsetzen ... und erwache.

Als ich die Augen öffne, sehe ich einen Penis vor mir. Ich lasse meinen Blick nach oben gleiten. Es ist dieser verdammte nackte Stalker, der Werwolf, der vor meinem Sofa steht, auf dem ich liege. Mein Herz klopft schneller, aber ich verdränge meine Panik, da sie mich jetzt handlungsunfähig machen würde. Wie zur Hölle ist der in mein Haus gekommen? Hat er mich unter Drogen gesetzt, die meinen Albtraum hervorgerufen haben? Was hat er mit mir vor?

Da war mir sogar dieser seltsame Albtraum lieber, denn der ist wenigstens nur ein Traum und nicht real. Hoffentlich ist dieser Typ nicht gefährlich. Scheiße, der ist wirklich ein Werwolf. Seine Verwandlung war definitiv kein Traum gewesen. Wenn der Hunger hat ...

»Wie bist du hier reingekommen?«, fahre ich ihn an. Wenn man mich aufweckt und ich ohnehin zu wenig geschlafen habe, bin ich echt schlecht drauf. Fieberhaft überlege ich, was ich tun soll.

»Durch die Hintertür. Sie war nicht abgeschlossen gewesen, obwohl der Schlüssel innen gesteckt hat.«

Ungläubig starre ich ihn an. Die Hintertür habe ich gar nicht geprüft, da ich davon ausgegangen bin, dass sie abgeschlossen ist. »Die Hintertür habe ich nie aufgeschlossen. Das verdammte Haus war also über ein halbes Jahr lang nicht abgeschlossen gewesen? Das darf doch nicht wahr sein!« Falls er überhaupt die Wahrheit sagt ... Ich sehe mich um. Gestohlen worden scheint leider nichts zu sein, zumindest nichts von Oma Mariahs Nippes und kitschigen Sammelfiguren.

Er hebt die Schultern und scheint zu ahnen, was ich denke. »Niemand stiehlt aus dem Haus einer Hexe, selbst wenn sie tot ist nicht, zumindest niemand, der noch ganz bei Trost ist, denn solch ein Haus könnte mit magischen Fallen gesichert sein. Du hast übrigens schlecht geträumt.«

Als wäre das neu für mich …

Beunruhigt sehe ich ihn an. »Habe ich dabei wohl geredet?«

»Nein, nur geschrien. Hat sich nach einem Albtraum angehört. Ich wollte dich gerade aufwecken, da bist du von selbst aufgewacht.«

»Es war ein sehr seltsamer Traum gewesen. Ich möchte nicht darüber reden. Bist du ein Werwolf?« Wie kriege ich diesen Irren nur los?

»Nein, ein Wer-Mensch. Das sagte ich doch bereits. Ich bin ein Wolf, der sich bei Vollmond und zu anderen Zeiten in einen Menschen verwandelt.«

»Das muss ziemlich gruselig sein für die anderen Wölfe.«

»In der Tat ist es das.«

Ich schiele auf meine Autoschlüssel, die auf dem Couchtisch liegen. »Wie wär’s, wenn du mal was anziehen würdest? Deine Nacktheit macht mich nervös«, sage ich.

»Na schön. Wenn du meinst. Was man nicht alles für seine Hexe tut ...« Als er den Raum verlässt, um sich irgendwo Klamotten zu beschaffen, springe ich auf, schnappe den Autoschlüssel und hechte zur Tür.

Kaum habe ich diese aufgerissen, laufe ich einer attraktiven, hochgewachsenen, schwarzen Frau, die lange Rastas und ein Rapper-Outfit trägt, direkt in die Arme.

»Hallo, Missy Elliott?«, frage ich die Frau verwundert. Ist sie wirklich die bekannte Rapperin, und was sucht sie in einem Nest wie Elephant Butte? Das ist mir egal. Ich versuche, mich an ihr vorbeizudrängen, aber sie lässt mich nicht durch. Im Gegenteil drängt sie mich zurück in den Raum. Ich hoffe nur, dass mich der Wer-Mensch nicht töten wird, solange es Zeugen gibt.

Die Frau lächelt. »Hi! Tatsächlich verwechseln mich viele mit ihr, aber ich bin Griseldis, die Oberhexe, und habe eine eigene Rap-Band: Rapazampa. Du findest uns auf Facebook. Wir müssen uns mal unterhalten.«

Ich starre sie an. »Oberhexe?« Noch mehr Verrückte ... Heute ist wirklich nicht mein Tag.

Fast ein wenig mitleidig lächelt sie mich an. »Ach, Schätzchen, du weißt wirklich von nichts?«

Ich versuche, mich erneut an ihr vorbeizudrängen, doch sie versperrt mir weiterhin den Weg.

»Wo willst du hin?« Die Stimme des Wolfsmannes klingt enttäuscht.

Ich mache den Fehler, mich zu ihm umzudrehen. Das hätte ich besser nicht getan, denn er hat meine Bitte befolgt und sich angekleidet. Er trägt den kurzen, fadenscheinigen, knallpinken Bademantel, den mir meine Tante zum fünfzehnten Geburtstag geschenkt hat. Ich hasse das Teil und hätte es schon längst entsorgt, wenn ich nicht so knapp bei Kasse wäre. Jedenfalls sieht er darin zum Weglaufen aus.

»Ah, wie ich sehe, ist Logan schon bei dir«, sagt die angebliche Oberhexe, die ihren Blick interessiert über den Leib des Wolfsmannes gleiten lässt. Logan heißt der Freak also. Und diese Irre scheint auf ihn zu stehen. Was für ein Paar.

Logan starrt mich indigniert an. »Du willst abhauen? Ich habe dir doch extra, als du bewusstlos gewesen warst, ein paar El-Paso-Omeletts gemacht, damit du schnell wieder zu Kräften kommst.« Logan hält tatsächlich einen Teller mit Omelett sowie Besteck und eine Serviette in der Hand. Das Essen riecht wirklich lecker, und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Wann hatte ich das letzte Mal eine ordentliche Mahlzeit gehabt? Und wo zu Hölle hat er die Eier herbekommen?

»Omeletts? In dem Saftladen im Ort hatten sie, als ich dort war, noch nicht mal Eier.« Zumindest keine, die ich mich getraut hätte, zu essen ... Schließlich will ich mir keine Salmonellen holen.

»Als ich dort war, aber schon. Ich habe eingekauft, bevor ich hierher gelaufen bin.«

»Und die sind noch nicht abgelaufen?«, frage ich ungläubig.

»Nein, sie sind absolut frisch.« Logan stellt den Teller auf den Wohnzimmertisch und legt das in eine Serviette gewickelte Besteck daneben.

»Kannst du das beweisen?«

»Es steht auf der Packung.«

Vielleicht ist ja kurz, nachdem ich da gewesen bin, eine Lieferung eingetroffen. Zumindest muss ich mich heute nicht zwischen der Dose Linsensuppe, die seit sechs Monaten und der Packung Corn Flakes, die seit zwei Wochen abgelaufen ist, entscheiden. Ich hatte nach der langen Fahrt einfach keinen Bock mehr gehabt, die lange Strecke zum nächsten Supermarkt zurückzulegen. Da Elephant Butte eine Kleinstadt ist, war ich davon ausgegangen, mir problemlos vor Ort etwas besorgen zu können.

Angeblich sollen Lebensmittel in Dosen ja viel länger haltbar sein als draufsteht. Das Haltbarkeitsdatum dient der Absicherung der Hersteller. Nur die Erdnussbutter hält sich noch zwei Tage. Vielleicht kann ich mir irgendwo einen Apfel klauen, auf den ich das Zeug streichen kann.

Ich weiß, dass das kriminell ist, aber ich halte das für eine bessere Entscheidung, als etwas aus Oma Mariahs Keller zu essen, denn die selbstgemachten Marmeladen und eingemachten Früchte stammen alle ausnahmslos aus der Zeit vor meiner Geburt.

»Bist du im Lebensmittelgeschäft eigentlich nackt aufgekreuzt?«, frage ich Logan.

»Aber natürlich. Das vertreibt schließlich die Touristen.«

Offenbar meint er das vollkommen ernst, und ich traue ihm das auch jederzeit zu. Hatte ich mir doch gedacht, dass das kein touristenfreundlicher Ort ist ...

»Daran besteht kein Zweifel. Und keiner im Laden hat etwas gesagt, weil du nackt bist?«, frage ich.

»Nein, warum sollten sie? Es gibt hier in der Gegend mehrere, die so ähnlich sind wie ich.«

Hier wimmelt es also von Exhibitionisten und sonstigen Spinnern. Na toll. Vielleicht ist hier ja etwas im Wasser drin, das die Leute verrückt macht.

Griseldis holt ein paar Bücher aus ihrem Jutesack und legt diese auf meinen Couchtisch. »Nett, dass ihr euch so gut miteinander versteht. Ich habe dir ein paar Bücher mitgebracht. Ich habe mir gedacht, du würdest lieber einen Fernkurs machen, als in die Hexenschule zu gehen, denn da kämst du dir in deinem Alter wahrscheinlich seltsam vor.«

Logan nickt. »Mit lauter Welpen willst du sicherlich nicht in dieselbe Klasse gehen.«

Welpen ...? »Ja, ein Fernkurs ist mir lieber. Was für Bücher sind es denn?«, frage ich. Meine Neugierde ist geweckt.

»Über Magie, Schamanismus, die Wahrsagekunst und so weiter. Was ist mit deinem Besen?«

Tatsächlich hört sich das interessant an. »Besen? Ich habe noch keinen gekauft. Ist hier irgendwo ein Baumarkt in der Nähe?« Da ich zuvor noch bei meiner Tante gelebt habe, hatte ich einen ihrer Besen mitbenutzt. Vermutlich hat Oma Mariah noch einen hier herumstehen. Man müsste ihn nur finden ...

»Ich meine natürlich deinen Hexenbesen.«

Aha, natürlich, meinen Hexenbesen. Man muss ja schließlich alle Klischees erfüllen ... Riecht die Alte nicht irgendwie nach Marihuana? Klar, das würde einiges erklären ...

»Sie hat den Besen von ihrer Oma geerbt«, meint Logan, bevor ich antworten kann.

Die Oberhexe nickt. »Unüblich, aber sehr gut.«

»Dein El-Paso-Omelett wird kalt«, sagt Logan zu mir, schiebt den Teller etwas näher zu mir heran und verlässt das Wohnzimmer in Richtung des Flures.

»Ich will euch nicht länger aufhalten. Schließlich habe ich auch noch etwas anderes zu tun. Lern schön!« Griseldis verlässt das Haus.

Ich starre ihr verwundert nach und lasse mich aufs Sofa sinken. Mir schwirrt der Kopf. Was ist, wenn diese Frau tatsächlich die Wahrheit gesagt hat? Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Rastlos lasse ich meinen Blick schweifen.

Der Tisch, das Sofa und die Sessel stehen auf verschnörkelten Beinen aus dunklem Holz. Da ich keine eigenen Möbel besitze, bin ich froh, dass niemand das Haus ausgeräumt hat, auch wenn der Gelsenkirchener Barock nicht unbedingt mein Stil ist. Zumindest hat eine meiner ehemaligen Klassenkameradinnen, die eine deutsche Mutter hat, diesen Einrichtungsstil immer so bezeichnet.

Auf sämtlichen Kommoden, in den Regalen und den Vitrinen steht der allerschlimmste Ramsch und Kitsch, den man sich vorstellen kann: kleine Figürchen, Väschen, Gläser, Sammeltassen und andere grauenvolle Dinge, die mein Verstand sich weigert zu benennen.

Ich nehme mir vor, so nach und nach die Bude umzugestalten und einen Garagenflohmarkt zu veranstalten, falls den Ramsch überhaupt einer kaufen will. Besser noch wäre wohl, ich würde einfach viel wegschmeißen.

Die Tapeten mit den übergroßen, abstrakten, ockerbeigen Blumenmustern scheinen noch original aus den Sechzigern zu stammen. Schauder.

Logan kehrt in diesem Moment zu mir zurück. »Ich habe dazu Salsa gemacht und eine heiße Schokolade mit Zimt. Die hätte ich fast vergessen. Ich hole sie dir rasch.« Er stellt das Salsa vor mir auf den Tisch.

»Wo hast du heiße Schokolade aufgetrieben?«, frage ich.

Doch schon ist er wieder weg und kehrt mit einer dampfenden Tasse heißer Schokolade zurück. Ich liebe heiße Schokolade.

Ich schneide mir ein Stück von dem dicken Omelett ab und beiße hinein. Es schmeckt herrlich. Ich glaube Zwiebeln, Salami, Kartoffeln, Käse, Chili, Pfeffer und Schnittlauch herauszuschmecken. Ich kann nicht anders, als gleich darauf ein zweites Stück zu nehmen.

»Du kannst ja wirklich kochen«, stelle ich fest.

Er nickt. »Ja, und grillen und backen. Meine Sour-Cream-Pancakes und Meatball-Subs sind legendär.«

Ich nippe an der heißen Schokolade und glaube, in meinem ganzen Leben noch keine bessere getrunken zu haben. Mit alldem hat er mich überzeugt, und irgendwie berührt mich seine fürsorgliche Art. Ich kann überhaupt nicht kochen. Nicht mal Pancakes kriege ich ordentlich hin, ohne dass dabei die halbe Küche abbrennt. Ich sollte mir wirklich überlegen, diesen Typen zu behalten. So eine WG hätte tatsächlich einige Vorteile.

»Dann kannst du bei mir bleiben, solange du mich nicht frisst«, sage ich.

»Natürlich fresse ich dich nicht. Du bist meine Hexe!«

»Aber wenn Besuch kommt, ziehst du was Ordentliches an, nicht so was Pinkes. Das sieht an dir schrecklich aus.«

»Ja, ich weiß, es passt nicht zu meinem Teint.« Und schon streift er das pinke Teil ab, schmeißt es über eine Stuhllehne und setzt sich vollkommen nackt neben mich aufs Sofa. In Kleidung scheint er sich nicht wohlzufühlen. Weil er ein Wolf ist, so ist das verständlich.

Aber für welchen Besuch sollte er sich eigentlich anziehen? Ich kenne hier niemanden. Sollte allerdings meine recht prüde Tante Lucy zu Besuch kommen, wäre es günstig, sie zu motivieren, möglichst kurz zu bleiben. Auch die Zeugen Jehovas dürfte sein Aufzug höchst effizient vertreiben. Seine Anwesenheit hier könnte also mehr als nur einen Vorteil haben ... Ich war schon immer eine praktisch denkende Person.

»Also gut, nur wenn bestimmter Besuch kommt«, füge ich hinzu. Solange der Typ kocht und – im Gegensatz zu mir – gute Sachen im Laden bekommt, kann er meinetwegen den ganzen Tag nackt herumlaufen. Vielleicht sollte ich ein Schild über die Tür hängen, dass dies ein Nudisten-Camp ist. Seine Omeletts sind jedenfalls himmlisch. Ich genehmige mir das nächste Stück.

»Du hast was von Meatball-Subs gesagt.«

»Ja, soll ich dir welche machen?«, fragt Logan.

»Nicht jetzt, aber morgen.«

Vielleicht wird mein neues Leben in Elephant Butte doch nicht so schlecht, wie meine Tanten es mir vorausgesagt haben. Sie sagten, ich würde vor die Hunde gehen. Meine Verwandtschaft mütterlicherseits ist ihnen ziemlich verhasst, und dass ich gegen ihren Willen die Erbschaft von dieser Seite der Familie angenommen habe, hat ihnen überhaupt nicht gepasst.

Aber ich habe einen guten Grund, auf eine meiner Tanten väterlicherseits sauer zu sein. Am Tag nach meinem neunzehnten Geburtstag im Mai – dem Tag meiner Volljährigkeit in Kanada, wo ich bisher gewohnt habe – ist mir ein Schreiben vom Gericht in die Hände gefallen. Die Erbausschlagung, die meine Tante als meine Erziehungsberechtigte hatte durchführen wollen, hat aufgrund eines Formfehlers nicht funktioniert. Nur deshalb bin ich heute die Eigentümerin dieses Hauses. Sie wollte nicht, dass ich etwas besitze, das meine Familie mütterlicherseits mal gehabt hat. Für sie ist dieser Familienzweig tabu, böse und vollkommen verdorben.