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Paul Heyse

Das Mädchen von Treppi

Novelle

Paul Heyse

Das Mädchen von Treppi

Novelle

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962811-25-9

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Das Mädchen von Treppi

(1855)

Auf der Höhe des Apen­nin, wo er sich zwi­schen To­s­ka­na und dem nörd­li­chen Teil des Kir­chen­staats hin­zieht, liegt ein ein­sa­mes Hir­ten­dorf, Trep­pi ge­nannt. Die Pfa­de, die hin­auf­füh­ren, sind für Wa­gen un­zu­gäng­lich. Vie­le Stun­den wei­ter nach Sü­den in großem Um­weg über­schrei­tet die Stra­ße der Pos­ten und Vet­tu­ri­ne1 das Ge­bir­ge. Trep­pi vor­über zie­hen nur Bau­ern, die mit den Hir­ten zu han­deln ha­ben, sel­ten ein Ma­ler oder ein land­stra­ßen­scheu­er Fuß­wan­de­rer, und in den Näch­ten die Schmugg­ler mit ih­ren Saum­tie­ren, die das öde Dorf, wo sie kur­ze Rast ma­chen, auf noch viel raue­ren Fels­we­gen zu er­rei­chen wis­sen, als alle an­dern.

Es war erst ge­gen die Mit­te Ok­t­obers, eine Zeit, wo die Näch­te in die­ser Höhe noch von großer Klar­heit zu sein pfle­gen. Heu­te aber hat­te sich nach dem son­nen­hei­ßen Tage ein fei­ner Ne­bel aus den Schluch­ten her­auf­ge­wälzt und brei­te­te sich lang­sam über die edel ge­form­ten nack­ten Fels­zü­ge des Hoch­lan­des. Es moch­te ge­gen neun Uhr abends sein. In den zer­streu­ten nied­ri­gen Stein­hüt­ten, die über Tag nur von den äl­tes­ten Wei­bern und jüngs­ten Kin­dern be­wacht wer­den, glom­men nur noch schwa­che Feu­er­schei­ne. Um die Her­de, über de­nen die großen Kes­sel wank­ten, la­gen die Hir­ten mit ih­ren Fa­mi­li­en und schlie­fen; die Hun­de hat­ten sich in die Asche ge­streckt; eine schlaflo­se Groß­mut­ter saß wohl noch auf ei­nem Hau­fen Fel­le und be­weg­te me­cha­nisch die Spin­del hin und her, Ge­be­te mur­melnd, oder ein un­ru­hig schla­fen­des Kind im Kor­be schau­kelnd. Die Nacht­luft zog feucht und herbst­lich durch die hand­großen Lücken in der Mau­er, und der Rauch der ru­hig aus­bren­nen­den Herd­flam­me, der jetzt vom Ne­bel ge­drängt wur­de, schlug schwer­fäl­lig zu­rück und floss an der De­cke der Hüt­te hin, ohne dass es der Al­ten be­schwer­lich ward. Her­nach schlief auch sie mit of­fe­nen Au­gen, so­viel sie konn­te.

Nur in ei­nem Hau­se war noch Be­we­gung. Es hat­te auch nur ein Stock­werk wie die an­dern; aber die Stei­ne wa­ren bes­ser ge­fugt, die Tür brei­ter und hö­her, und an das wei­te Vier­eck, das die ei­gent­li­che Woh­nung aus­mach­te, lehn­ten sich man­cher­lei Schup­pen, an­ge­bau­te Kam­mern, Stäl­le und ein gut ge­mau­er­ter Back­ofen. Vor der Haus­tür stand ein Trupp be­la­de­ner Pfer­de, de­nen ein Bursch eben die ge­leer­ten Krip­pen weg­riss, wäh­rend sechs bis sie­ben be­waff­ne­te Män­ner aus dem Hau­se tra­ten, in den Ne­bel hin­aus, und ei­lig ihre Tie­re rüs­te­ten. Ein ur­al­ter Hund, der ne­ben der Tür lag, be­weg­te nur leicht den Schweif, als sie auf­bra­chen. Dann er­hob er sich müde von der Erde und ging lang­sam in das In­ne­re der Hüt­te, wo das Feu­er noch hell brann­te. Am Her­de stand sei­ne Her­rin, dem Feu­er zu­ge­wen­det, die statt­li­che Ge­stalt re­gungs­los, die Arme an den Hüf­ten her­ab­hän­gend. Als der Hund mit der Schnau­ze sanft ge­gen ihre Hand rühr­te, wand­te sie sich, als schre­cke sie aus Träu­men auf. »Fuo­co«, sag­te sie, »mein ar­mes Tier, geh schla­fen, du bist krank!« – Der Hund win­sel­te und be­weg­te den Schweif dank­bar. Dann kroch er auf ein al­tes Fell ne­ben dem Herd und streck­te sich hus­tend und win­selnd nie­der.

In­des­sen wa­ren auch ei­ni­ge Knech­te her­ein­ge­kom­men und hat­ten sich um den großen Tisch an die Schüs­sel ge­setzt, wel­che die ab­zie­hen­den Schmugg­ler so­eben ver­las­sen hat­ten. Eine alte Magd füll­te sie aus dem großen Kes­sel von neu­em mit Po­len­ta, und setz­te sich nun eben­falls mit ih­rem Löf­fel zu den an­dern. Wäh­rend sie aßen, wur­de kein Wort laut; die Flam­me knis­ter­te, der Hund stöhn­te hei­ser aus dem Schlaf, das ernst­haf­te Mäd­chen saß auf den Stein­plat­ten des Her­des, ließ das Schüs­sel­chen mit der Po­len­ta, das ihr die Magd be­son­ders hin­ge­stellt hat­te, un­be­rührt und sah in der Hal­le um­her, ohne Ge­dan­ken in sich ver­sun­ken. Vor der Tür stand der Ne­bel jetzt schon wie eine wei­ße Wand. Aber zu­gleich ging der hal­be Mond eben hin­ter dem Rand des Fel­sens in die Höhe.

Da kam es wie Huf­schlag und Men­schentrit­te die Stra­ße her­auf. – »Pie­tro!« rief die jun­ge Haus­her­rin mit ru­hig er­in­nern­dem Ton. Ein lan­ger Bursch stand au­gen­blick­lich vom Tisch auf und ver­schwand im Ne­bel.

Man hör­te jetzt die Schrit­te und Stim­men nä­her, end­lich hielt das Pferd am Hau­se. Noch eine Wei­le, dann er­schie­nen drei Män­ner un­ter der Tür und tra­ten mit kur­z­em Gruß ein. Pie­tro nä­her­te sich dem Mäd­chen, das teil­nahms­los in die Flam­me sah. »Es sind zwei von Por­ret­ta«, sag­te er ihr, »Ohne Wa­ren; sie füh­ren einen Si­gno­re über die Ber­ge, der sei­ne Päs­se nicht in Ord­nung hat.«

»Nina!« rief das Mäd­chen. Die alte Magd stand auf und kam an den Herd.

»Das ist’s nicht al­lein, dass sie es­sen wol­len, Pa­dro­na«, fuhr der Bursch fort. »Ob der Herr ein La­ger ha­ben kann für die Nacht. Er will nicht wei­ter vor Ta­ge­s­an­bruch.«

»Mach ihm eine Streu in der Kam­mer.« Pie­tro nick­te und ging wie­der an den Tisch.

Die drei hat­ten Platz ge­nom­men, ohne dass die Knech­te sie ei­ner be­son­dern Auf­merk­sam­keit wür­dig­ten. Es wa­ren zwei Con­trab­ban­die­ri,2 wohl­be­waff­net, die Ja­cken leicht über­ge­wor­fen, die Hüte tief über die Stirn ge­drückt. Sie nick­ten den an­dern zu wie gu­ten Be­kann­ten, und nach­dem sie ih­rem Beglei­ter einen gu­ten Platz ein­ge­räumt hat­ten, schlu­gen sie das Kreuz und aßen.

Der Si­gno­re, der mit ih­nen ge­kom­men, aß nicht. Er nahm den Hut von der ho­hen Stirn, strich mit der Hand durchs Haar und ließ die Au­gen über den Ort und die Ge­sell­schaft schwei­fen. An den Wän­den las er die mit Koh­le ge­mal­ten, from­men Sprü­che, sah im Win­kel das Ma­don­nen­bild mit dem Lämp­chen, da­ne­ben die Hüh­ner, die auf der Stan­ge schlie­fen, dann die Mais­kol­ben, die, auf Schnü­re ge­reiht, an der De­cke hin­gen, ein Brett mit Krü­gen und Korb­fla­schen, über­ein­an­der­ge­schich­te­te Fel­le und Kör­be. Das Mäd­chen am Herd fes­sel­te end­lich sei­ne un­ru­hi­gen Au­gen. Das dunkle Pro­fil zeich­ne­te sich streng und schön ge­gen das fla­ckern­de Rot des Herd­feu­ers, ein großes Nest schwar­zer Flech­ten lag tief auf dem Na­cken, die Hän­de hat­te sie in­ein­an­der ver­schränkt auf das eine Knie ge­legt, wäh­rend der an­de­re Fuß auf dem Fels­bo­den des Ge­machs ruh­te. Wie alt sie sein moch­te, konn­te er nicht er­ra­ten. Doch sah er an ih­rem Ge­ba­ren, dass sie die Wir­tin des Hau­ses war.

»Habt Ihr Wein im Hau­se, Pa­dro­na?« frag­te er end­lich. Er hat­te die­se Wor­te kaum ge­sagt, als das Mäd­chen wie vom Blitz ge­streift em­por­fuhr und auf­recht ne­ben dem Her­de stand, mit bei­den Ar­men sich auf die Plat­ten stüt­zend. In dem­sel­ben Au­gen­blick fuhr der Hund aus dem Schla­fe auf. Ein wil­des Mur­ren brach aus sei­ner keu­chen­den Brust vor. Der Frem­de sah plötz­lich vier fun­keln­de Au­gen auf sich ge­rich­tet.

»Darf man nicht fra­gen, ob Ihr Wein im Hau­se habt, Pa­dro­na?« wie­der­hol­te er jetzt. Noch aber hat­te er das letz­te Wort nicht ge­en­det, als der Hund in un­er­klär­li­cher Wut laut heu­lend auf ihn zu­sprang, ihm den Man­tel mit den Zäh­nen von der Schul­ter riss und von neu­em ge­gen ihn los­ge­sprun­gen wäre, wenn nicht ein schar­fer Ruf sei­ner Her­rin ihn ge­bän­digt hät­te.

»Zu­rück, Fuo­co, zu­rück! Frie­de, Frie­de!« – Der Hund stand mit­ten im Zim­mer, hef­tig mit dem Schwei­fe schla­gend, den Frem­den un­ver­wandt im Auge. – »Schließ ihn in den Stall, Pie­tro!« sag­te das Mäd­chen halb­laut. Sie stand noch im­mer wie er­starrt am Her­de und wie­der­hol­te den Be­fehl, als Pie­tro zau­der­te. Denn seit lan­gen Jah­ren war der nächt­li­che Platz des al­ten Tiers ne­ben dem Her­de ge­we­sen. Die Knech­te flüs­ter­ten un­ter­ein­an­der, der Hund folg­te wi­der­wil­lig, und sein Heu­len und Win­seln drang schau­er­lich von drau­ßen her­ein, bis es vor Er­schöp­fung nach­zu­las­sen schi­en.

In­des­sen hat­te die Magd auf einen Wink der Wir­tin Wein ge­bracht. Der Frem­de trank, reich­te den Be­cher sei­nen Beglei­tern und sann im stil­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­