Bonusmaterial: 

Auf der Flucht   

 

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Ungläubig starrte Shatan auf die Pergamentrolle in seinen Händen. Schnörkellos und ohne ein Bitte oder Danke stand dort:

 „Zwecks Teilnahme als Requisit an der Lesung beim Zweiten Fechenheimer Literaturfestival erwarte ich dich um Punkt 14 Uhr bei folgender Adresse.“ 

 Es folgten die Daten und der Zusatz: 

 „Freier Oberkörper bevorzugt. H.“

 „Und, Shati, was ist das?“ Seine Gemahlin Evangelina lugte an ihm vorbei, um einen Blick auf den Inhalt des Schreibens zu erhaschen.

„Mein Ende“, stammelte Shatan.

„Warum das denn?“

„Weil SIE will, dass ich mich halbnackt vor einer Horde gaffender und geifernder Frauen präsentiere! Ist Ihr nicht klar, dass es für mich nur eine Einzige gibt?“

Evangelina kicherte. „Du bist so süß, wenn du sowas sagst.“

Na toll, jetzt bin ich nicht nur ein Anschauungsobjekt für sabbernde Weibsbilder, sondern auch noch süß!

Sie bemerkte seine Reaktion nicht einmal. Ungerührt sprach sie weiter: „Ich denke schon, dass sie das weiß und mal ehrlich: Du bist ein attraktiver Mann. Sie erhofft sich bestimmt, dass mehr Besucher kommen, um ...“

„... mich anzustarren.“ Shatan knurrte verhalten.

„Aber, aber, wer wird denn gleich schmollen. Sieh es doch als Kompliment!“

„Danke, ich verzichte. Es gibt nur eine Frau, von der ich Schmeicheleien akzeptiere, und dass bist du! Außerdem ist diese ... Person fast schlimmer als deine Mutter!“

„Shatan! Das kannst du nicht laut sagen.“

„Es stimmt doch. Wenn ich das lese“, er wedelte mit dem Pergament, „fühlt es sich an wie Luzifer, die ...“

„Jetzt reicht es aber“, Evangelina stemmte die Hände in die Hüften und stellte das Becken aus. „Wir sprechen hier immer noch von meiner Mutter, ja? Abgesehen davon, dass sie dich, seit wir zusammen sind, gar nicht mehr angefasst hat.“

Shatan biss sich auf die Lippe, um sich einen entsprechenden Kommentar zu verkneifen. Luzifer hielt sich nur deshalb an die Spielregeln, weil sie zum Einen einen neuen Bettgefährten hatte und sie zum anderen befürchtete, ihre Tochter würde sie sonst doch noch hassen.

„Ich gehe da trotzdem nicht hin.“

„Aber Shati, dass kannst du nicht machen. SIE wird bestimmt sehr enttäuscht sein!“

„Was soll SIE denn schon groß machen? Ich habe zur Hölle noch mal bereits genug gelitten!“

 

„... teile ich Ihnen mit, dass ich leider nicht zu Ihrer Veranstaltung kommen kann. Meine Zeit in Hel ist knapp bemessen und als Herr der Kesselräume darf und kann ich nicht alles stehen und liegen lassen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis.“

Ein Schrei gellte durch das Arbeitszimmer. „Dieser verdammte ...!“

Wutschnaubend schrieb ich eine E-Mail an meine Freundin Sarah.

Helen: Du glaubst es nicht. Er weigert sich zu kommen.

Sarah: Dann zwing ihn dazu, du hast immerhin alle Möglichkeiten in der Hand.

Helen: Und wie?

Sarah: Befiehl es ihm halt. Er ist ein Objekt deiner Feder. Sollte doch eine Kleinigkeit für dich sein.

Helen: Du meinst, so eine „Kleinigkeit“ wie ihn dazu zu bringen, dass er macht, was ich will? Hah, dass ich nicht lache. Den ganzen Roman über hat er getan, was er wollte!

Sarah: Versuch es. Schaden kann es nicht, oder?

Ich lehnte mich in meinem Bürostuhl zurück und verschränkte bockig die Arme vor der Brust. Konnte es so einfach sein? Vielleicht hatte Sarah ja Recht und der Dämon würde einem Befehl eher nachkommen, als einer höflichen Bitte. Immerhin war er das ja gewohnt - Luzifer und so.

Helen: Okay, ich schicke ihm noch ein Schreiben.

 

Shatan rannte die Straße entlang. Immer wieder warf er einen gehetzten Blick über seine Schulter zurück. Die geifernden Verfolger bissen Shatan förmlich in den Nacken.

Dies war sein wahrgewordener Alptraum. Allein und in seiner menschlichen Gestalt gefangen in der Menschenwelt, ohne Hoffnung, ein Höllentor oder ein Versteck zu finden.

Er hasste SIE. Oh, und wie er SIE hasste. Ausgerechnet ihm das anzutun. Das war einfach nicht fair! Dabei war er doch sehr höflich gewesen, als er seine Absage formulierte. Er hätte ja auch anders reagieren und ihr mit Höllenfeuer oder so etwas drohen können. Nur Evangelina zuliebe hatte er sich zurückgehalten. Und was war der Dank?

SIE hatte ihn einfach in ihre Welt geschrieben! Als Mensch. Bekleidet mit einer viel zu engen Lederhose, die bei jedem Schritt vorne oder hinten kniff. An ein Hemd hatte Sie natürlich nicht gedacht. Pure Absicht! Jawohl!

Durfte er denn nicht auch einmal seine Ruhe haben? Immerhin ging er einer äußerst anstrengenden Arbeit nach. Die Sünder zogen sich schließlich nicht allein aus den Kesseln!

Schuld an alle dem war nur diese aufsässige Person, und ausgerechnet die konnte und durfte Shatan nicht bestrafen. Sowohl die Luzifer als auch der Allmächtige teilten einen Entschluss: Diese elende Verräterin durfte nicht angefasst werden. Weder im Leben noch im Tode.

Na vielen Dank auch!