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Herzenswünsche kommen teuer

Märchen-Novelle


Mira Lindorm

 

 

 

Gewidmet all denen, die wissen,

dass Märchen heute noch genauso aktuell sind

wie vor tausend Jahren


Lampe


Machandel Verlag

Haselünne

Charlotte Erpenbeck

Cover: C.Erpenbeck

Cover-Bildquellen: ilolab / Anneka / Dmytro Buianskyi / shutterstock.com

Sonstige Illustrationen: www.pixabay.com

1. Auflage 2018

ISBN 978-95959-089-1

Über das Verlagsprogramm

www.machandel-verlag.de

 

Der Machandel Verlag bietet Ihnen ungewöhnliche Fantasy aus verschiedenen Teil-Genres: Romantik-Fantasy, humorvolle Fantasy, klassische Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy. Unsere besondere Spezialität sind Kurz-Romane für Jugendliche und Erwachsene sowie moderne Märchen. Zusätzlich bieten wir Ihnen interessante Krimis, Anthologien, Kinderbücher und Sachbücher.


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Es war einmal … … ganz anders

Die Weihnachts-Anthologie 2017

 

Prolog

 

 

Der Dschinn war alt. Selbst für seinesgleichen. Und er hatte keine Lust mehr. Immer diese dummen Wünsche der Menschen! Kein Sinn und Verstand lag darin. Kaum einer von ihnen hörte wirklich zu, wenn er versuchte, ihnen einen guten Rat zu geben.

Der Dschinn räkelte sich – und stieß prompt gegen die Wand der goldenen Lampe. Verdammtes Gefängnis! Wie sollte er je daraus freikommen, wenn die Menschen so uneinsichtig waren? Und selbst wenn einer von ihnen sich seine Worte zu Herzen nehmen sollte, würden er ihm vermutlich dennoch nicht helfen wollen. War ja so bequem, einen Dschinn-Diener zu haben, dem man einfach befehlen konnte: Tu dies, mach das, kümmere dich um jenes; und er stampfte Wunder aus dem Boden, wenn nötig.

Der Dschinn seufzte. Es klang wie das Stöhnen der Winde über den Maghreb-Höhen, wo er zuhause war. Wie er die Berge vermisste, die klare Luft, die funkelnden Sterne!

Der Dschinn drehte sich frustriert und versuchte, auf dem harten, glatten Gold des Lampeninneren eine bessere Ruheposition zu finden. Wenn er doch bloß von dieser dummen Lampe befreit würde.

Frei sein. Im Wind schweben, unsichtbar, substanzlos, ohne Befehle, ohne Wünsche, ohne Bedürfnisse, ohne Gefühle, vergessen zu können, vergessen zu werden ... Was würde er nicht dafür geben!

 

 Dschinn

 

Der erste Herzenswunsch

 

Mama!“ Die kleine Prinzessin stampfte wütend mit ihrem zierlichen Fuß auf. Sheherezade versteckte ihr Lächeln hinter ihrem Fächer. Wie sehr die Kleine doch ihrem Vater, dem Sultan, glich! In Sachen Temperament und Sprunghaftigkeit war sie sein absolutes Ebenbild. Allerdings hatte sie auch von ihrer Mutter einiges abbekommen. Die Eunuchen wurden nicht müde, wieder und wieder zu versichern, dass Suleika ebenfalls zu einer Schönheit heranwachsen würde.

„Ich will aber mit den Jungen spielen!“, trotzte die Prinzessin. „Ihre Spiele machen einfach mehr Spaß!“

„Jungenspiele gehören sich nicht für eine Prinzessin.“

„Aber Mädchenspiele sind so entsetzlich langweilig! Außerdem will ich unbedingt lernen, wie man mit einem Schwert kämpft, damit ich eine holde Maid vor einem Drachen retten kann.“

„Du wirst doch selbst zu einer holden Maid heranwachsen, die vielleicht eines Tages gerettet werden muss!“

„Quatsch. Ich werde bestimmt nicht in Tränen ausbrechen und herumschreien, wenn ich auf einen Drachen treffe. Ich werde ihn einfach töten. Ich brauche bloß das passende Schwert dazu.“

„Und so etwas erzählen sie dir?“ Sheherezade seufzte. „Ich werde ein ernstes Wort mit den Jungen reden müssen. Sie setzen dir lauter dumme Ideen in den Kopf.“

Die Prinzessin zog eine Schnute. „Wieso soll es eine dumme Idee sein, einen Drachen mit einem Schwert zu töten?“

„Na, erstens kommt so ein Schwert überhaupt nicht durch die Schuppen der Drachenhaut hindurch. Du würdest ihn höchstens damit kitzeln können. Zweitens sind Menschen einfach viel zu klein, um mit einem Schwert gegen Drachen zu kämpfen. Du würdest nicht einmal bis an seinen Bauch kommen, geschweige denn an seinen Kopf. Und drittens bist du die Tochter des Sultans, und du lebst in seinem Harem. Es gibt nicht den Schatten einer Chance, dass du hier jemals auf einen Drachen treffen könntest.“

Suleika rieb sich ihre zierliche Stupsnase. „Mmmmm.“ Dann kratzte sie sich am Kopf. Sheherezade lächelte ihre kleine Tochter voller Zuneigung an. Denken war wohl noch harte Arbeit für die Kleine.

Endlich schien Suleika zu einem Entschluss zu kommen. Ihr rundes Gesichtchen zeigte einen geradezu königlichen Ernst. „Wenn der Drache nicht in den Harem kommen wird, dann muss ich eben den Drachen aufsuchen.“ Sie sah jetzt sehr ernst und entschlossen aus. „Und wenn das bedeutet, dass ich mein Heim verlassen muss, dann sei es so. Inschallah!“

Bevor Sheherezade reagieren konnte, drehte die Kleine sich um und lief los, um sich neue Spielkameraden zu suchen.

 

Suleika lugte um die Ecke. Da war der Ausgang, so nahe und doch so unerreichbar. Die beiden Eunuchen, die links und rechts der Tür wachten, würden keine Frau aus dem Harem herauslassen, egal, wie klein oder groß sie war.

Verdammt, das war unfair! Ihre Brüder durften hinaus!

Moment. Und wenn sie als Junge verkleidet war? Das müsste doch gehen!

 

Wenig später stolzierte ein ziemlich merkwürdig aussehender junger Prinz auf den Ausgang zu. Pluderhosen, Sandalen und Hemd sahen eigentlich noch ganz normal aus, wenn man einmal davon absah, dass das Hemd irgendwie verkehrt herum zu sitzen schien. Aber seit wann trugen die jungen Prinzen Makeup? Und die Haarsträhnen, die unter der Kappe herauskrochen, waren verdächtig lang.

Die Wachen tauschten einen amüsierten Blick.

„Öffnet mir die Türe!“

Das Stimmchen klang nicht so, als ob es gewohnt war, laut zu reden. Der ältere der beiden Eunuchen beschloss, das Spiel mitzumachen.

„Eure Hoheit, ich würde Euch ja gerne die Türe öffnen. Bloß ...“

„Bloß was?“

„Es schickt sich nicht für einen Prinzen, alleine in die Stadt zu gehen. Ihr solltet wenigstens ein halbes Dutzend Diener dabeihaben. Zudem wäre Eure Sicherheit nicht gewährleistet, wenn Ihr nicht ein gutes Dutzend Soldaten zu Eurem Schutz bestellt hättet. Und, entschuldigt, wenn ich das sagen muss, Hoheit, es sind keine Soldaten bestellt worden. Zumindest warten keine auf der anderen Seite des Tores. Ohne Soldaten und Diener kann ich Euch unmöglich hinauslassen.“

Auf der Stirn des vorgeblichen Prinzen erschien dieselbe steile Falte, die auch der Sultan zeigte, wenn er ungehalten war.

Der Eunuch verbeugte sich hastig. „Es tut mir überaus Leid, dass ich Euch nicht gehorchen kann, mein Prinz. Aber wir haben Befehl von Eurem Vater, dem Sultan. Wir sind verantwortlich für Eure Sicherheit, und es kostet uns unseren Kopf, wenn wir in dieser Aufgabe versagen.“

Einen Moment hing das Schicksal in der Schwebe. Dann glättete sich die junge Stirn. „In diesem Falle“, sagte das Stimmchen gönnerhaft, „werde ich warten, bis alles zur Zufriedenheit meines Vaters geregelt ist.“

 

Suleika war nicht begeistert, als ihre Mutter sie nach dem Abendessen sprechen wollte. Allerdings war sie auch nicht überrascht. Sheherezade war berüchtigt dafür, dass sie buchstäblich das Gras wachsen hörte. Nichts im Harem entging ihrer Aufmerksamkeit.

So hörte Suleika sich mit gesenktem Kopf die Gardinenpredigt an, die ihre Mutter über sie ergoss. Unverantwortliches, unziemliches Benehmen. So etwas gehöre sich nicht einmal für eine Krämerstochter, geschweige denn für eine Prinzessin. Was sie sich wohl dabei gedacht habe?

Suleika hob den Blick. „Ich wollte doch nur sehen, wie die Welt wirklich aussieht hinter unseren Mauern.“

Sheherezade hielt inne, betrachtete ihre Tochter. Dann huschte ein flüchtiges Lächeln über ihr Gesicht, bevor sie wieder ernst wurde und seufzte. „Das glaube ich dir gerne, Kleines. Aber du wirst dich daran gewöhnen müssen, dass deine Welt nun einmal nur aus dem Platz zwischen diesen Mauern besteht. Und das wird sich vermutlich niemals ändern.“

Suleika blieb still. Aber sie spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. Niemals hinaus? Wirklich niemals?

 

Es war still im Harem, die Glut der Mittagssonne hatte alle Bewohner in die kühlen Schatten getrieben. Die Frauen dösten auf dem Diwan oder unterhielten sich in gedämpftem Tonfall, ihre Stimmen nicht lauter als das sanfte Gemurmel des Springbrunnens im Hof. Hin und wieder ein leises Klirren, wenn Armreifen gegeneinander stießen oder eine Tasse mit heißem, süßen Pfefferminztee abgesetzt wurde.

Suleika stieß mit der Fingerspitze gegen den Stein. Eigentlich hatte dieser Stein überhaupt nicht hier zu sein. Steine gehörten auf die Straße, nicht auf den Palast. Irgendjemand musste ihn über die Mauer am Rosengarten geworfen haben, und Suleika hatte ihn dort gefunden. Ein Stein von draußen, von jenseits der Mauer. Dreckig, mit groben, rauen Kanten, kaum größer als eine Dattel. Aufregend anders.

Vorsichtig ergriff sie den Stein. Wohin damit? Hier im Garten würden ihn die Diener und Gärtner auflesen und fortbringen. Der Sultan duldete keine Fremdkörper in seinem Palast, und dieser Stein war ganz sicher einer.

Ihre Finger ballten sich zur Faust. Der Stein kam von draußen. Für sie war er kein Fremdkörper, kein Schmutz, für sie war er ein Schatz. Und Suleika wusste genau, wo Schätze hingehörten: in die Schatzkammer. Nicht die ihres Vaters, von der hatte sie wohl gehört, sie aber niemals gesehen. Ein großer Raum voller Truhen, gefüllt mit Gold und Geschmeide. Aber auch ihre Mutter hatte eine Schatzkammer, nur dass diese sehr viel kleiner war.

Suleika lief zum Gemach ihrer Mutter und lugte vorsichtig um die Ecke. Sheherezade war nicht da. Suleika gluckste. Wenn es etwas gab, worauf sie sich verlassen konnte, waren es die Gewohnheiten ihrer Mutter. Vermutlich hielt sich Sheherezade, wie fast jeden Mittag, bei ihrer besten Freundin Hadiba auf, um mit ihr genüsslich über den neusten Hofklatsch zu tratschen.

Auf Zehenspitzen huschte Suleika durch den Raum. Jetzt bloß keine der Dienerinnen alarmieren!

Sie griff nach dem Kamm ihrer Mutter. Schnell weiter!

Hinter dem Bett ihrer Mutter hing ein Wandvorhang, der eine kleine Tür verbarg. Suleika sah sich noch einmal rasch um, bevor sie den Griff des Kammes in das Schloss steckte. Hah! Wenn ihre Mutter wüsste, dass sie das Geheimnis ihres Schlüssels kannte …

Geschafft. Die Türe schloss sich hinter ihr, der Vorhang fiel zurück an seinen Platz.

 

Jedes Mal, wenn sie sich in diesen Raum stahl,war Suleika aufs Neue überwältigt. Er war nicht groß, kaum größer von der Grundfläche als das Bett ihrer Mutter, aber er war voll!

Das kaum zwei Handflächen große Fenster erleuchtete Regale an den Wänden, auf denen wertvolle Gegenstände standen, kleine Beutel mit Gold und Schmuck, den der Sultan seiner Lieblingsfrau geschenkt hatte. Sogar die gläsernen Tiere hatten hier ihren Platz gefunden, die Sheherezade einmal bei einem Kartenspiel der dritten Hauptfrau abgewonnen hatte.

Suleika verstaute ihren Stein in der hintersten, dunkelsten Ecke in einem kleinen Holzkästchen. Darin lagen bereits ihre vier anderen wertvollsten Schätze: Eine Haarspange, die ihr der Sultan persönlich geschenkt hatte, als er einmal geruhte, die Existenz seiner Tochter zur Kenntnis zu nehmen, eine schillernde kleine Glaskugel, ein Armreif, geflochten aus dem Haar ihrer besten Freundin Zoorah, und ein winziges Messerchen, das der dicke Eunuch Hamid ihr mal geschenkt hatte. Der Straßenstein fand einen würdigen Platz zwischen ihren Reichtümern.

Und jetzt? Sie hatte noch etwas Zeit, so schnell würde ihre Mutter nicht zurückkommen. Wie immer kramte Suleika in den Schätzen ihrer Mutter, sorgsam darauf bedacht, alles, was sie in die Hand nahm, an genau denselben Platz zurückzustellen. Der große Anhänger mit dem geschliffenen Smaragd war ihr Lieblingsschmuck. Sie nahm ihn, hielt ihn in den Lichtstrahl des Fensters und drehte ihn. Grüne Funken schienen über die Wände zu tanzen und spiegelten sich auf Gold und Edelsteinen.

Etwas blitzte hell auf.

Suleika legte den Stein wieder weg und ging neugierig zu der Stelle, die so sonderbar aufgeschienen hatte. Ganz hinten, halb verborgen hinter einem kleinen Häufchen Perlenketten, stand eine zwar goldene, aber sichtlich alte und zerkratzte Öllampe. Wie kam die in die Schatzkammer ihrer Mutter? Sheherezade war nicht bekannt dafür, dass sie Müll aufhob. Oder beleuchtete sie damit ihre Schätze, wenn sie sie des Nachts besuchte? Suleika griff nach der Lampe. Sie war leicht, also offensichtlich leer. Sie roch auch nicht nach Öl. Diese Lampe musste schon sehr lange nicht mehr benutzt worden sein. Ein wenig verbeult war sie, aber überall sauber und glänzend. Das heißt, nicht überall. Als sie die Lampe drehte, fiel Suleika eine Stelle an der bauchigen Wand auf, die irgendwie stumpf wirkte.

Sie strich mit dem Finger darüber. Es fühlte sich ganz leicht rau an. Eigentlich schade, dass die Lampe nicht überall funkelte. Trotz ihrer Beulen wirkte sie irgendwie schön. Ob sich das Raue abreiben ließ? Jetzt nahm Suleika zwei Finger und die Spitze ihres Ärmels zu Hilfe und begann zu reiben.

Die Lampe begann zu rauchen.

Suleika erstarrte.

Der Rauch wurde dichter, ballte sich über dem Schnabel der Lampe zusammen.

Suleika setzte die Lampe hastig ab und ging rückwärts. Ging, bis sie die Regalwand im Rücken spürte, was nicht sehr weit war.

Der Rauch wurde dunkler. Dann formte sich daraus eine Gestalt. Ein Mann, ziemlich alt aussehend, der sie finster anblickte, und der nur eines sein konnte: ein Dschinn!

Suleika sank auf den Boden, rollte sich so fest es ging zusammen und presste beide Hände auf ihre Augen. Sie kannte die Geschichten, die man über Dschinns erzählte. Wenn dieser hier sie also schon fraß, dann wollte sie wenigstens vorher nicht seine großen, spitzen Zähne sehen müssen.

„Was ist Euer Begehr, Herrin?“

Suleika zitterte

„Was ist Euer Begehr, Herrin?”

Die Stimme klang jetzt ungeduldig, fast schon zornig. Vorsichtig hob Suleika den Kopf und schielte durch die Finger. Der Dschinn stand neben der Lampe und machte keinerlei Anstalten, sie anzufallen. Sie nahm die Hände herab und sah genauer hin. Er sah aus wie einer der alten Eunuchen. Fast. Er hatte einen Bart, und er war eindeutig dünner. Sonst aber … Selbst die Art, wie er ungeduldig mit der Pantoffelspitze auf den Boden tippte, erinnerte sie an Halef, den Obereunuchen. Suleika stand auf.

„Was meinst du damit?” Ihre Stimme klang immer noch piepsig. Sie riss sich zusammen. Immerhin war ihr Vater der Sultan, da durfte er von seiner Tochter Haltung erwarten. „Mit dem Begehr, meine ich.”