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Inhaltsverzeichnis
Kommentar
Fauler Zauber
Georg Fülberth
In gemeinsamer Sache
Trauer um Herbert Mies
»Der junge Karl Marx«
»Wir sind Marx!«
Großes, parteiübergreifendes Lob
Aktuelles
Zur Strategie und Politik der DKP
Herbert Mies:
Die strategische Niederlage
Aleppo – der Westen im Sumpf des fundamentalistischen Jihadismus festgefahren
Klaus Wagener
»Fake-News« oder »Fake-Democracy«
Sandra Kluwe
Verfassung und Antifaschismus
Ulrich Schneider
»Kurze Geschichte der G20«
Was die Mächtigen seit 40 Jahren auf den Weltwirtschaftsgipfeln verabreden
Lucas Zeise
Das ganze System ist krank
Zum Kampf um den Tarifvertrag Entlastung z.B. im Saarland
Thomas Hagenhofer und Artur Moses
KPÖ Graz bleibt zweitstärkste Partei und vor der FPÖ
Anne Rieger
Veranstaltungen der Marx Engels Stiftung
Thema: Amerikas Faust
Editorial
Lothar Geisler
Im Schlamassel
Trumps Wahlsieg – eine Zäsur der Geschichte
Arnold Schölzel
Was uns die Geschichte des Faschismus über Trumps Machtübernahme verrät
Norman Markowitz
Wie die USA zu Trump kamen
Die Dysfunktionalität des Zweiparteiensystems
Zoltan Zigedy
Wo ist unsere Arbeiterpartei?
Über die Gründe des bisherigen Scheiterns beim Aufbau einer Massenpartei zur Vertretung der US-amerikanischen Arbeiterklasse
Jason Schulman
Die US-Friedensbewegung im Zeitalter des Neofaschismus
Joseph Gerson
Der republikanische Elefant im Porzellanladen Lateinamerika
Carolus Wimmer
Das Ende des TPP
Stefan Kühner
Meine hier und da kommentierte Presseschau kurz vor Redaktionsschluss
Lothar Geisler
Dokumentation
Trumps Antrittsrede im Wortlaut
Positionen
Palmiro Togliatti und der Friedenskampf gestern und heute
Domenico Losurdo
Mein Großvater
Zum 80. Todestag von Antonio Gramsci (1891–1937)
Antonio Gramsci Jr.
Geschlechterverhältnisse bei Marx und Engels
Eine kritische Auseinandersetzung (Teil 1)
Manfred Scharinger
Zur Diskussion
Begriff und Modell – zu einigen methodischen Aspekten der Politischen Ökonomie
Klaus Müller
Rezensionen
David Talbot: Das Schachbrett des Teufels (Werner Ruf)
Daniele Ganser: Illegale Kriege (Karl-Heinz Peil)
Michael Hartmann: Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende (Beate Landefeld)
Forum marxistische Erneuerung und IMSF e.V. (Hrsg.): Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung: Kapitalkonzentration und -zentralisation in Deutschland (Gretchen Binus)
Domenico Losurdo: Der Klassenkampf oder die Wiederkehr des Verdrängten? (Andreas Wehr)
Busch/Troost/Schwan/Bsirske/Bischoff/Schrooten/Wolf: Europa geht auch solidarisch! Streitschrift für eine andere Europäische Union (Pablo Graubner)
Kristina Meyer: Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945–1990 (Ludwig Elm)
Ursula Muscheler: Das rote Bauhaus. Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern (Valentin J. Hemberger)
Es schrieben diesmal
Impressum

Kommentar

Fauler Zauber

Georg Fülberth

Die SPD ist gut in Krönungsmessen. Immer wenn sie einen neuen Spitzenkandidaten oder eine -kandidatin ausruft, organisiert sie sich einen Hype. Wahrscheinlich nutzt sie für solche Fälle stets dieselbe Werbeagentur.

2015 schlug der SPD-Ministerpräsident Torsten Albig vor, seine Partei solle für 2017 keinen eigenen Kanzlerkandidaten benennen. Denn gegen Merkel sei das aussichtslos. Das war zugleich realistisch und Wahnsinn. Ein parlamentarisches System braucht »rotation in office«: von Zeit zu Zeit einen Wechsel an der Spitze, es sei denn, eine Partei erklärt sich zur grundsätzlichen Opposition und zählt nur ihre Stimmen, um zu sehen, wann sie stark genug ist, den Laden ganz zu übernehmen. Für die SPD gilt das nicht, wenn sie mehr sein will als nur ein Korrektiv ihrer überlegenen Partnerin im Kabinett. Unter ihrem Vorsitzenden Sigmar Gabriel hatte sie es schon so weit gebracht: als eine Art Regierungsbetriebsrat, der den gesetzlichen Mindestlohn in die Koalition einbrachte und im Fall Kaiser’s Tengelmann eine gute Figur abgab. Aber hätte sie lediglich einen Vizekanzler-Kandidaten aufgestellt, hätte sie sich degradiert. Also muss sie so tun, als rechne sie sich Chancen aus, und im dunklen Wald pfeifen.

Unmittelbar nachdem die SPD Ende Januar 2017 von Gabriel auf Martin Schulz umdekoriert und letzteren zu ihrem designierten Kanzlerkandidaten gekürt hatte, stiegen ihre Umfragewerte von 21 auf 24 Prozent, die der Linkspartei von neun auf zehn. Die Grünen aber sanken von zehn auf acht. Die CDU blieb bei 36, die FDP bei sechs. Das machte für Rot-Rot-Grün 42 Prozent, reicht also vorn und hinten nicht. Ließ man die AfD (elf) draußen, waren nur zwei Kombinationen übrig: Fortsetzung der Großen Koalition (60%) oder Schwarz-Grün-Gelb (50%). Für die erste Variante kann die SPD schlecht Wahlkampf führen, für die zweite haben die Grünen durch ihr Duo Göring-Eckardt/Özdemir die Weichen gestellt. Allerdings ist das gegenwärtig noch eine knappe Sache. Und es gibt ein noch größeres Hindernis: Seehofer kann 2017 Schwarz-Grün-Gelb nicht zustimmen. Ihn interessiert die Bundestagswahl nur insofern, als sie Bedeutung für die bayerische Landtagswahl 2018 hat. Lässt er sich in Berlin auf die Grünen ein, verliert er im weiß-blauen Freistaat Stimmen an die AfD. Das geht also nicht. Somit bliebe zunächst nur eine Fortsetzung der Großen Koalition übrig. Die muss nicht bis 2021 halten. Ist die Bayern-Wahl vorbei, kann in Berlin Schwarz-Grün-Gelb kommen.

So könnte es passieren, muss aber nicht. Vielleicht langweilt sich das Publikum allmählich mit Merkel und entscheidet sich kurz vor Schluss mit Martin Schulz für einen rheinischen Spaßvogel, der nichts Anderes will als die bisherige Kanzlerin, aber mit Gefühl. Eine Minderheit in den Mainstream-Medien arbeitet daran und ist deshalb auch recht nett zur Linkspartei, die für einen solchen Wechsel benötigt wird. Das erleichtert das Gewissen derjenigen Leute, die sie von Anfang durchschaut, ihr und ihrer Vorgängerin, der PDS, aber 27 Jahre die Stimme gegeben haben, damit sie nicht unter der Fünf-Prozent-Marke verschwand. Solange sie mit sozialliberaler Unterstützung bei neun oder zehn bleibt, ist derlei Sentimentalität nicht nötig.

Die Aussicht auf Rot-Rot-Grün ist gegenwärtig aus drei Gründen fauler Zauber: Erstens aufgrund der Umfrage-Zahlen. Zweitens wegen der Abmarsch-Gelüste der Grünen. Drittens durch die absehbaren Folgen, falls eine solche Koalition doch zustande kommen sollte. Der Fall Holm in Berlin hat gezeigt, was die Linkspartei dann mit sich machen ließe: alles.

Eine Regierung mit AfD-Beteiligung wäre das größte Übel, Rot-Rot-Grün nicht das kleinste.

In gemeinsamer Sache

Trauer um Herbert Mies

Herbert Mies, Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei von 1973 bis 1989, ist am 14. Januar im Alter von 87 Jahren gestorben. »Die DKP hat einen Arbeiterpolitiker verloren, der sie über Jahrzehnte geprägt hat. Der Imperialismus hat einen Gegner verloren, der dem Widerstand gegen dieses System eine Richtung gezeigt hat«, erklärte DKP-Vorsitzender Patrik Köbele zum Tod von Herbert Mies. (Mehr dazu unter www.unsere-zeit.de) In welcher Traditionslinie Herbert Mies die Politik und Strategie der DKP sah und in welche Richtung er gezeigt hat, daran erinnern die »Marxistischen Blätter« in dieser Ausgabe mit kurzen Auszügen aus Reden von Herbert Mies. Redaktion und Verlag der Marxistischen Blätter ehren sein Lebenswerk, indem wir es fortsetzen.

»Der junge Karl Marx«

… kommt in die Kinos. Bei der diesjährigen Berlinale wurde der neue Film des aus Haiti stammenden Regisseurs Raoul Peck uraufgeführt. Am 2. März ist der großartig erzählte Film bundesweit in über 300 Kinos gestartet. (Mehr unter: www.Der-junge-Karl-Marx.de oder im beigelegten Flyer des Neue Visionen Filmverleihs) Wir waren als Redaktion eingeladen, uns den Film kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe in einer Sondervorführung in der Essener Lichtburg vorab anzuschauen und können ihn nur allerwärmstens empfehlen (!!!). Erzählt wird die Geschichte des jungen Karl Marl, seiner Freundschaft mit Friedrich Engels, den Anfängen der organisierten Arbeiterbewegung und wie die beiden als Intellektuelle den Weg zur ihr gefunden haben und Teil von ihr wurden. Der Film endet mit dem »Manifest der kommunistischen Partei« und einem spannenden Abspann, der in die Gegenwart weist. Eine ausführliche Filmbesprechung und ein Interview mit dem Regisseur, um das wir uns bemühen, können wir leider erst in der nächsten Ausgabe (zum 1. Mai) bringen.

»Wir sind Marx!«

… mit diesem beigelegten Flyer wenden sich die »Marxistischen Blätter« an alle Kino-Besucher*innen des Films »Der junge Karl Marx«, die mehr darüber wissen wollen, wie wir heutigen Marxianer ihn und sein Lebenswerk sehen, verstehen und für aktuelle Klassenkämpfe – zum Beispiel im Gesundheitswesen oder in der Friedensbewegung – nutzen. Wir bitten alle Freund*inn*en unserer Zeitschrift, die allein ins Kino gehen oder besser mit Genoss*Inn*en ihrer Linkspartei-, DKP- oder SDAJ-Gruppe diesen Flyer vor Ort zu verteilen. Also: Gehst Du zu Marx ins Kino, vergiss die Marxistischen Blätter nicht!

Großes, parteiübergreifendes Lob

… gab es für unsere Schwerpunktausgabe »Gesundheitsmarkt – Wie krank ist das denn?« »Das richtige Heft zur richtigen Zeit«- war der Haupttenor. In einem ersten Schwung sind bisher 160 Einzelhefte verkauft worden. Und was uns besonders freut: auch DKP-Gliederungen, z.B. in Dortmund, Nürnberg, Saarbrücken und Recklinghausen haben Marxistische Blätter für ihre Infostände und Aktionen bestellt. Weiter so! Denn die Tarifrunde in den Krankenhäusern läuft weiter und der Landtagswahlkampf in NRW läuft an. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung. Bestellungen an: Neue Impulse Verlag, Hoffnungstraße 18, 45127 Essen, Tel.: 0201–236757, E-Mail: info@neue-impulse-verlag.deLoG

Aktuelles

Zur Strategie und Politik der DKP

Herbert Mies:

Herbert Mies (*23. Februar 1929 — † 14. Januar 2017)

© UZ/Manfred Schulz

Die nachstehenden Auszüge sind dem Buch »Zur Politik der DKP. Ausgewählte Reden und Aufsätze« von Herbert Mies (Verlag Marxistische Blätter 1979) entnommen, das der Neue Impulse Verlag neben anderen Werken im Rahmen seines »Projektes Erbe-Aneignung« auf dem USB-Stick »100 Bücher aus 50 Jahren« (2013) erneut zugänglich gemacht hat.

… Der VII. Weltkongress [der Kommunistischen Internationale 1935] leitete eine neue Etappe in der Geschichte der kommunistischen Weltbewegung ein. Er erarbeitete eine richtige Einschätzung der Ursachen und des Wesens des Faschismus. Er gab in konsequenter und schöpferischer Anwendung der Lehren von Marx, Engels und Lenin und entsprechend den veränderten weltpolitischen Kräfteverhältnissen eine neue Orientierung, Strategie und Perspektive für den antifaschistischen, allgemeindemokratischen Kampf, für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und das Bündnis aller demokratischen Kräfte, für die Verbindung des Kampfes um Demokratie mit dem Kampf um den Sozialismus.

Das Weltforum der Kommunisten, das in Moskau stattfand, das 3.140.000 Kommunisten aus 65 kommunistischen Parteien repräsentierte, respektierte und verallgemeinerte die Kampferfahrungen aller kommunistischen und Arbeiterparteien, die unter unterschiedlichen Bedingungen den Kampf gegen Imperialismus, Faschismus und Krieg führten. Es verwies auf die Allgemeingültigkeit der Gesetzmäßigkeiten des antifaschistisch-demokratischen Kampfes und des Kampfes für den Übergang zum Sozialismus, warnte aber zugleich vor einer schablonenhaften Anwendung. Es betonte die Eigenverantwortung jeder kommunistischen und Arbeiterpartei für die Erarbeitung einer richtigen, konkreten, die internationalen und nationalen Bedingungen berücksichtigenden Politik, Strategie und Taktik. Es ermunterte die Kommunisten in aller Welt zur Eigeninitiative und zur schöpferischen Tätigkeit.

In ihrer Politik, Strategie und Taktik die allgemeingültigen Lehren und Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung sowie ihre eigenen Erkenntnisse zum Nutzen der Arbeiter- und demokratischen Bewegung unseres Landes zu beherzigen und konkret anzuwenden – darum bemühte sich die 1956 verbotene Kommunistische Partei Deutschlands. Darum bemüht sich heute die Deutsche Kommunistische Partei. Wir achten die Erfahrungen, die allgemein verbindlichen Prinzipien, die Interessen der internationalen kommunistischen und Arbeiterbewegung und nehmen damit zugleich die nationalen Interessen der Arbeiterklasse unseres eigenen Landes wahr. Wir lernen aus der Geschichte für die Gegenwart und Zukunft. Wir verstehen geschichtliche Lehren als Ratgeber und nicht als Schablonen, die man unter allen Bedingungen und zu allen Zeiten anwenden kann. In diesem Sinne und in eigener Verantwortung haben wir die programmatischen Grundlagen über Weg und Ziel unseres Kampfes – die Grundsatzerklärung der DKP [1969], die Thesen des Düsseldorfer Parteitags [1971], die langfristig verbindliche Linie des Hamburger Parteitags [1975] – erarbeitet. […]

Der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale sah die Stärkung der kommunistischen Parteien und die Erweiterung ihres Masseneinflusses als entscheidende Faktoren für die Herstellung der Aktionseinheit und der antifaschistischen Volksfront an. Der Kongress betonte, dass dieser Kampf ohne die Gewinnung der werktätigen Massen nicht erfolgreich zu führen ist. In seinem Schlusswort auf dem Kongress sagte Georgi Dimitroff: »Wir müssen daran denken, dass ohne hartnäckige, langwierige, geduldige, manchmal undankbar scheinende organisatorische Arbeit die Massen dem kommunistischen Ufer nicht zusteuern werden. Um die Massen organisieren zu können, müssen wir die Kunst erlernen, unsere Beschlüsse zum Gemeingut nicht nur der Kommunisten, sondern auch der breitesten Massen der Werktätigen zu machen.« Und ich füge hinzu: Genau das verstehen wir auch als Massenlinie in der Politik und Praxis der Deutschen Kommunistischen Partei.

Dieser Gesichtspunkt der stärkeren Hinwendung zu den Massen des arbeitenden Volkes stand im Mittelpunkt der Beratungen des Hamburger Parteitags der DKP und einer Reihe von Beratungen, die wir in der letzten Zeit durchführten. Und wenn wir auch feststellen können, dass sich unsere Partei seit dem Hamburger Parteitag erfolgreich entwickelt hat und bei der Entwicklung ihrer massen­politischen Arbeit ein gutes Stück vorangekommen ist, so kommen wir doch nicht umhin – wollen wir den von Georgi Dimitroff gesetzten Maßstab ernst nehmen –, an uns selbst die Forderung zu richten, die Orientierung auf die Massenarbeit entsprechend der Linie des Hamburger Parteitags konsequent weiter zu verstärken. An dieser Notwendigkeit – das ist für uns eine der wichtigsten Lehren des VII. Weltkongresses der Komintern – führt kein Weg vorbei.

Und wir unterstreichen an dieser Stelle, was wir auf der 7. Parteivorstandstagung zur Begründung der Einberufung des Bonner Parteitags [1976] über die Notwendigkeit der Entwicklung der Massenbeziehungen gesagt haben, dass es nämlich für jeden von uns darauf ankommt, sich mit der Politik, mit unseren Vorschlägen, unseren Argumenten ständig vertraut zu machen, sie in den Parteiorganisationen zu diskutieren und in persönlichen Gesprächen mit Sympathisanten, Nachbarn, Arbeitskollegen, Vereinsfreunden zu popularisieren. Entwicklung der Massenbeziehungen bedeutet, sich als Kommunist in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und stets als eine Art von Vertrauensmann des Volkes zu wirken. Das bedeutet, Parteiarbeit nicht eng zu verstehen, sondern vorrangig als das systematische Gespräch, als Entwicklung von persönlichen Kontakten zu nicht der Partei angehörenden, andersdenkenden Menschen zu begreifen. Das bedeutet, sich ständig die Erfahrungen erfolgreicher Massenarbeit anderer Genossinnen und Genossen zu eigen zu machen und kritisch darauf zu achten, dass die Führungsarbeit aller Vorstände der Partei noch stärker an der Weiterentwicklung der Massenarbeit an der Basis orientiert wird. Und wir betonen noch einmal, dass die Partei nur so viel Einfluss unter den Massen haben kann, wie alle Genossinnen und Genossen Massenarbeit leisten.

Wenn wir ganz bewusst den Gedanken der Erweiterung unserer Massenarbeit in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen, in den Mittelpunkt auch gerade der Vorbereitung des Bonner Parteitags stellen, dann nehmen wir damit zugleich jenen Grundgedanken des VII. Weltkongresses auf, dass es nämlich nicht ausreicht, die richtige Linie zu haben. Es kommt vor allem auch darauf an, ihre Realisierung in der praktischen Arbeit organisatorisch zu sichern und insbesondere die Massen für sie zu gewinnen.

Aus: Der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale und die Politik der DKP. Rede auf der Theoretischen Konferenz in Bremen anlässlich des 40. Jahrestages des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, 28. Juni 1975

… In einer Situation, da das Großkapital und die ihm hörigen Führungen der Bundestagsparteien nach dem Motto »Teile und herrsche« die Arbeiterklasse und die demokratischen Volkskräfte entsolidarisieren möchten, stellen wir die Notwendigkeit der Entwicklung und Festigung der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes der Arbeiterklasse und aller demokratischen Kräfte in den Vordergrund. Vor allem die Aktionseinheit der Arbeiterklasse ist heute notwendiger denn je. Aktionseinheit der Arbeiterklasse bedeutet das Zusammenwirken der verschiedenen Kräfte und Strömungen der Arbeiterbewegung zur Durchsetzung gemeinsamer sozialer und politischer Interessen in gemeinsamen Aktionen – unabhängig von politischen und weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus den Erfahrungen, dass keine grundlegende Frage zugunsten des arbeitenden Volkes gegen das hochorganisierte Großkapital ohne den Einsatz der ganzen und geeinten Kraft der Arbeiterklasse entschieden werden kann. Kernstück der Aktionseinheit der Arbeiterklasse ist das Zusammenwirken von Sozialdemokraten und Kommunisten.

Unser Streben nach Aktionseinheit ist immer darauf gerichtet, bei Wahrung unserer kommunistischen Grundposition auch die geringste Übereinstimmung mit Sozialdemokraten zum Ausgangspunkt gemeinsamen Handelns zu machen. Alle Erfahrungen, so auch die jüngsten Bewegungen und Aktionen, besagen, dass sich die Aktionseinheit der Arbeiterklasse entscheidend bei den konkreten betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen realisiert, aber mehr und mehr auch in Bündnissen demokratischer Kräfte. Aktionseinheit und demokratisches Bündnis stehen in einem sich gegenseitig vorwärtstreibenden engen Wechselverhältnis.

Das Bündnis der demokratischen Kräfte hat seine soziale Grundlage in der Tatsache, dass alle nichtmonopolistischen sozialen Schichten immer mehr unter dem Diktat des Monopolkapitals zu leiden haben. Es hat eine zunehmend breite Grundlage in der immer stärkeren Annäherung der Bauernschaft, des Mittelstandes und der Intelligenz an die Lage, an die Interessen und auch an den Kampf der Arbeiterklasse. Seine Aktualität liegt in dem gemeinsamen Interesse, die sozialen Rechte des arbeitenden Volkes zu sichern, die bürgerlich-demokratischen Freiheiten zu verteidigen, die politische Entspannung zu sichern und durch die militärische Entspannung zu ergänzen.

Wir erklären: Im Kampf für die sozialen und demokratischen Gegenwartsinteressen und für das Zukunftsinteresse unseres Volkes, nach Veränderung der Gesellschaft ist die DKP immer zur Aktionseinheit mit Sozialdemokraten, immer zum Bündnis mit allen demokratischen Kräften bereit. Dieses grundsätzliche Bekenntnis verbinden wir mit der Aufforderung an alle Kommunisten, wie bisher um das gleichberechtigte und vorurteilsfreie Zusammenwirken mit Sozialdemokraten und anderen demokratischen Kräften bemüht zu bleiben. Wir Kommunisten dürfen keine Geringschätzung Andersdenkender zulassen. Die Erfahrung, dass hier oder dort unsere Kraft und damit unser potentieller Beitrag im Bündnis gering eingeschätzt wird, darf uns nicht dazu verleiten, in den Bemühungen um das Zustandekommen von Bündnissen nachzulassen und nun unsererseits darauf zu verzichten, demokratische Partner in Bündnisse einzubeziehen. Wir dürfen uns nicht abkapseln oder in eine Haltung der Missachtung der Positionen anderer Demokraten verfallen. Wir werden ruhig, sachlich und mit dem uns Kommunisten eigenen Optimismus unseren Standpunkt und unsere Vorstellungen zu den verschiedenen politischen Fragen darlegen. Dabei lassen wir niemals außer Acht, dass der Gegner das in Aktionen entstehende Vertrauen immer wieder mit neuen antikommunistischen Erfindungen zu zerstören versucht. Wir müssen verstehen, dass die antikommunistischen Einflüsterungen heute zunehmend raffiniert vorgetragen werden und es unseren Bündnispartnern oft schwerfällt, sie auf Anhieb zu durchschauen.

Unabhängig von den damit verbundenen Schwankungen im Verhältnis zu uns müssen wir unsere Bündnisbereitschaft immer wieder aufs Neue bekräftigen. Auch müssen wir die Fähigkeit entwickeln, den anderen, nichtkommunistischen demokratischen Kräften zu vertrauen. Wer in ein Bündnisverhältnis kein Vertrauen investiert, kann auch keines gewinnen. Ich weiß, in der Praxis und unter den Bedingungen einer beispiellosen, gegen die DKP gerichteten antikommunistischen Hetze ist das leichter gesagt als getan. Aber anders können wir die Wirkungen antikommunistischer Kampagnen nicht neutralisieren. Wir haben nicht nur Verständnis dafür, sondern betrachten es als selbstverständlich, dass Sozialdemokraten, Christen und Liberale ihre jeweiligen politischen und weltanschaulichen Positionen nicht preisgeben. Dieses Recht nehmen auch wir für uns in Anspruch. Ebenso klar ist, dass in sozialen Bündnissen Vertreter des Mittelstandes, der Intelligenz und anderer werktätiger Schichten ihre eigenen gesellschaftlichen Interessen vertreten, die nicht vollständig mit denen der Arbeiterklasse identisch sind.

Dass in zeitweiligen oder dauerhaften politischen Bündnissen jeder Partner Anspruch auf Gleichberechtigung hat, ist klar. Wir müssen vielleicht manchmal noch begreifen lernen, dass unsere Partner in der Aktionseinheit wie auch in größeren demokratischen Bewegungen teilweise andere Zielvorstellungen als wir haben und dass daraus natürlich Meinungsverschiedenheiten hervorgehen können, bisweilen sogar starke Gegensätze. Das kann aber für uns kein Grund sein, darauf zu verzichten, in der Aktionseinheit und im Bündnis für die Durchsetzung objektiv gemeinsamer Interessen einzustehen und zu beweisen, dass wir mit großer Entschiedenheit alles unterstützen, was die demokratischen Kräfte einander näher bringt. Wir müssen also durch unser Verhalten einen Prozess fördern, der den objektiv gemeinsamen Interessen politisch Geltung verschafft.

Wenn uns gelegentlich unterstellt wird, unser ständiges Eintreten für die Aktionseinheit und demokratische Bündnisse sei Ausdruck eines offenen oder verkappten Führungsanspruchs, dann möchten wir dies mit der Aufforderung beantworten, vorurteilsfrei die Forderungen und Positionen zu prüfen, für die wir eintreten. Man wird dann unschwer feststellen können, dass es uns nicht um parteiegoistische Ziele, sondern um Interessen geht, die die große Mehrheit unseres Volkes gemeinsam verbinden. Wir beanspruchen kein Monopol auf Initiativen. Wir wären manchmal froh, wenn auch andere demokratische Kräfte durch Initiativen für die Durchsetzung gemeinsamer Interessen stärker hervortreten würden. Wir werden stets bereit sein, solche Initiativen zu unterstützen und mitzutragen. Wir verstehen solche Initiativen als einen Ansporn und – wenn man so will – auch als einen sich gegenseitig anregenden Wettbewerb zwischen verschiedenen demokratischen Kräften zur bestmöglichen Verwirklichung gemeinsamer Interessen.

Kurz gesagt: Wir werden stets das Einigende dem Trennenden voranstellen und zugleich gegen alles angehen, was den Interessen der Arbeiterklasse, als deren revolutionäre Partei wir handeln, zuwiderläuft und was ihrer Spaltung dienen soll. Hierbei werden wir uns um den Nachweis bemühen, dass der Antikommunismus die Hauptwaffe der Bourgeoisie zur Spaltung der Arbeiterklasse und der demokratischen Kräfte ist.

Aus: Für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und das demokratische Bündnis – Die Aktion Recht auf Arbeit. Aus dem Referat auf der 6. Tagung des Parteivorstands der DKP in Düsseldorf, 18. Juni 1977

… Wir alle wissen, dass die Geschichte stets Überraschungen bereit hat, dass der reale Lauf der Dinge in der Regel so kompliziert ist, dass es oft sogar im Nachhinein sehr schwer fällt, politische Entwicklungsprozesse zu periodisieren. Wir möchten daher die Zukunft unseres Landes nicht in das Korsett schematischer, dem Leben nicht entsprechender Aufteilungen nach Etappen, Stadien, Perioden usw. zwängen. Wie es ein schwerwiegender politischer Fehler wäre, das Ringen um die Herbeiführung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt mit dem Kampf um antimonopolistische Umgestaltungen und die Öffnung des Weges zum Sozialismus gleichzusetzen, so wäre es lebensfremd, zwischen diesen Zielsetzungen unserer Partei Mauern zu errichten und ihren inneren Zusammenhang zu übersehen.

Es ist eine alte Erfahrung, dass kein politisches Ziel erreicht werden kann, wenn nicht die Kräfte vorhanden sind, die zu seiner Durchsetzung benötigt werden. Die Herbeiführung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt und noch mehr die Erreichung des weitergesteckten sozialistischen Ziels erfordern die Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse und ein breites Bündnis aller antimonopolistischen Kräfte. Diese Aufgabenstellung hat eine soziale und eine politische Dimension, weil die antimonopolistischen Kräfte, die berufen und imstande sind, der Allmacht des Monopolkapitals ein Ende zu setzen, einerseits verschiedenen sozialen Klassen, Schichten und Gruppen angehören und andererseits auch unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Strömungen zuzurechnen sind. Hauptkraft des gesellschaftlichen Fortschritts ist und bleibt die Arbeiterklasse, deren Aktionseinheit unabdingbare Voraussetzung ist für jede positive politische Veränderung in unserem Lande. Auch die ständig wiederholten antikommunistischen Abgrenzungs- und Unvereinbarkeitserklärungen der rechten sozialdemokratischen Führung vermögen unsere Entschlossenheit nicht zu erschüttern, alles in unseren Kräften Stehende zu tun, um zu einem gemeinsamen Handeln von Kommunisten und Sozialdemokraten zu gelangen. Vor allem in der Entwicklung des Zusammenwirkens von Kommunisten und Sozialdemokraten am Arbeitsplatz, im Betrieb und in der Gewerkschaft sehen wir einen erfolgversprechenden Weg, um zur Aktionseinheit der Arbeiterklasse zu gelangen. Damit eng verbunden ist unser ständiges Eintreten für die Stärkung der Einheitsgewerkschaften, dafür, dass sie konsequent und kämpferisch die Interessen der Arbeiterklasse gegen das Monopolkapital vertreten.

Im gleichen Maße, wie sich die gesellschaftliche Polarisierung in der Bundesrepublik zwischen dem Monopolkapital auf der einen Seite und der überwältigenden Mehrheit des Volkes auf der anderen Seite verstärkt, wachsen auch die Möglichkeiten für die Herstellung eines breiten antimonopolistischen Bündnisses. Tatsache ist, dass die objektiven Interessen der überwältigenden Mehrheit des arbeitenden Volkes – der Bauern, der Intelligenz, der gewerblichen Mittelschichten – in einem krassen Gegensatz zu denen des Monopolkapitals stehen und vom Grundsätzlichen her immer mehr mit denen der Arbeiterklasse übereinstimmen. Selbst kleine und mittlere Unternehmer geraten in wachsende Gegensätze zum Monopolkapital. Unsere Partei befindet sich daher im Einklang mit den Realitäten und Gesetzmäßigkeiten unserer Gesellschaft, wenn sie für ein breites Bündnis der Arbeiterklasse mit den anderen antimonopolistischen Kräften eintritt.

Wir sind der Auffassung, dass die Aktionseinheit der Arbeiterklasse und das anti­monopolistische Bündnis, das Zusammengehen der verschiedenen sozialen Klassen, Schichten und Gruppen sowie verschiedener politischer und weltanschaulicher Strömungen sowohl für die Herbeiführung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt als auch für weitergehende gesellschaftliche Umwälzungen unabdingbare Voraussetzungen darstellen. Für die Deutsche Kommunistische Partei ist also die Politik der Aktionseinheit und des demokratischen Bündnisses nicht nur eine Frage tagespolitischer Erwägungen. Eine umfassende Zusammenarbeit ist auch notwendig und möglich bei der Verwirklichung antimonopolistischer Umgestaltungen und bei der Durchsetzung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik.

Alle Erfahrungen des Klassenkampfes zeigen, dass die Arbeiterklasse einer starken revolutionären Partei bedarf, die auf dem Boden der Lehre von Marx, Engels und Lenin steht, die das konsequente Eintreten für die nationalen Interessen des arbeitenden Volkes des eigenen Landes stets mit der Treue zu den Prinzipien des proletarischen Internationalismus verbindet. Ohne eine solche Partei ist auch in der Bundesrepublik weder eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt durchzusetzen und schon gar nicht an die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung zu denken. Die geschichtliche Aufgabe der Arbeiterklasse ist nur dann erfüllbar, wenn es ihrer revolutionären Partei gelingt, zu einer Massenpartei des arbeitenden Volkes zu werden. So hebt auch der vorliegende Entwurf unseres Parteiprogramms [in Vorbereitung des Mannheimer Parteitages 1978] hervor, dass ein Grunderfordernis jeder politischen Vorwärtsentwicklung der Bundesrepublik darin besteht, die Deutsche Kommunistische Partei zu stärken und ihren Masseneinfluss zu erweitern.

Aus: Zum Programmentwurf der DKP. Rede auf der 7. Tagung des Parteivorstands der DKP in Düsseldorf, 19. November 1977

Die strategische Niederlage

Aleppo – der Westen im Sumpf des fundamentalistischen Jihadismus festgefahren

Klaus Wagener

Der neue US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, »Sicherheitszonen« in Syrien einrichten zu wollen. Zum Zeitpunkt der Niederschrift ist nicht klar, was genau das bedeutet. Syrien ist ein souveränes Land und weder die syrische Regierung noch ihre Schutzmacht Russland haben das Weiße Haus um Intervention gebeten. Entsprechend schmallippig war die Empfehlung von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, man solle die möglichen Risiken beachten. Russlands Chefdiplomat Sergeji Lawrow, versuchte dem Vorschlag einen positiven Drive zu geben. Die Einrichtung eines »sicheren Hafens« für Binnenflüchtlinge sei möglich, da dies ja im Gegensatz zu früher, nicht mit der Absicht eines Regime-Chance verbunden sei.

Trumps Forderung nach »Safezones for the people« ist von den kriegsfreudigen deutschen Mainstream-Medien (Spiegel, FAZ, Welt) sogleich als Votum für »Flugverbotszonen« interpretiert worden. Endlich. Vor allem Hillary Clinton hatte im letzten Jahr für Flugverbotszonen getrommelt. Allerdings hatte der Chef des US-Generalstabs, Joseph Dunford, eingeworfen, dass die Einrichtung von Flugverbotszonen in Syrien Krieg mit Russland bedeuten würde. Anders als noch in Libyen. Die Obama-Administration hatte darauf hin diese Variante – sehr zum Verdruss der Kriegspartei – nicht weiter verfolgt. »Safezones for the people« könnte nun bedeuten, dass die US-Syrienpolitk schon bald den Lackmustest für die realen außenpolitischen Absichten der neuen Trump-Administration liefern wird.

Die dahinter steckende große und zugleich entscheidende Frage lautet: Werden die USA ihre schwere Niederlage in Aleppo akzeptieren und von dem strategischen Ziel »Assad muss gehen« abrücken, oder wird es unter einer Administration Trump zu einem, dann notwendig US-gestützten bzw. mit eigenen Mitteln und Kräften betriebenen Revisionsversuch kommen? Die immensen politischen und materiellen Kosten, welche eine solche gewaltige Eskalation des Konfliktes, vor allem im Verhältnis zu Ankara und Moskau bedeuten würde, machen solch einen Schritt zwar nicht eben wahrscheinlich. Aber auch nicht unmöglich.

Befreiung Aleppos

Die Syrian Arab Army (SAA) hatte am 22. Dezember 2016, unterstützt durch russische Luftstreitkräfte, die zweitgrößte Stadt im Norden Syriens gegen starke Kräfte des ehemaligen al-Qaida-Ablegers al-Nusra (heute Dschabhat Fatah al-Scham) befreit. Al Nusra und diverse andere islamistischen Jihadisten hielten vor allem den Ostteil der Stadt vier Jahre besetzt. Teile der Stadt wurde geplündert, um den Krieg zu finanzieren, wertvolle Kulturgüter wurden, wie schon anderswo, zerstört, Andersdenkende ermordet. Trotzdem wurden die unter wechselnden Logos und in unterschiedlichen Koalitionen auftretenden Jihadisten von den Kriegsmedien, wie schon im Afghanistankrieg gegen die Rote Armee, zu »Rebellen«, zu einer Art Freiheitskämpfern, diesmal gegen den »Fassbombenmörder« und »Blutsäufer« Assad stilisiert. Nüchterne Beobachter wie die Irakkriegsveteranin und Kongressabgeordnete Tulsi Gabbard bestätigten, dass es »moderate Rebellen« in Wirklichkeit in Syrien nicht gebe. Die Obama-Administration hatte sie mit sehr viel Geld zu erschaffen versucht – vergeblich. Bekanntlich wurden die »Gotteskrieger«, zum Teil in alter Tradition direkt und indirekt von Saudi-Arabien und Qatar, aber auch von der Türkei, den USA und Israel unterstützt. Ohne diese – durchaus widersprüchliche, zum Teil auch in Konfrontation umschlagende Kollaboration – wären weder al Qaida noch der IS/Daesh denkbar.

Die verschiedenen Jihadisten sind allerdings auch im Gouvernement Idlib von der SAA eingeschlossen. Falls ihre logistische Versorgung über die Grenze zur Türkei tatsächlich ausfällt, wird ihre Lage schwer zu halten sein. Die weitere Entwicklung hängt daher nicht unwesentlich vom Verhalten der Türkei ab. Behält Erdoğan seinen Kurs bei, dürfte die endgültige Niederlage der Jihadisten kaum abzuwenden sein.

Türkische Rochade

Die Erfolge der SAA gründen sich nicht zuletzt in einer strategischen Änderung der Lage, die sich vor allem durch eine Neupositionierung der Türkei herausbildete. Galt das Erdoğan-Regime bislang als zuverlässige militärische, geheimdienstliche und vor allem logistische Stütze der Jihadisten, so flogen am 18. Januar 2017 russische und türkische Piloten sogar gemeinsam Luftangriffe gegen den IS in al Bab.

Zwar gab und gibt es wohl noch ein ausgeprägtes Interesse der AKP-Regierung die Regierung Assad zu stürzen, aber eine gewissermaßen Grundkonstante der türkischen, aber vor allem der AKP-Politik ist die Verhinderung eines zusammenhängenden Kurdengebietes, und in der Perspektive eines kurdischen Staates. Die offene Unterstützung des »Westens« für die syrisch-kurdischen Kräfte (SDF bzw. YPG), sogar mit Waffen, schwerem Gerät und mit US-Spezialkräften, hat die Erdoğan-Regierung offenbar zu dem Schluss kommen lassen, dass die Dinge in dieser Weise nicht gut für sie laufen. Ein Übriges dürfte der dubiose Putschversuch am 15. und 16. Juli 2016 getan haben. Einen Monat später, am 24. August 2016, marschierten türkische Verbände zusammen mit »moderaten Rebellen« in der Operation »Schutzschild Euphrat« in Nordsyrien ein, drangen bis zur IS-Hochburg al Bab vor. Sie erklärten das Ostufer des Euphrat zur Roten Linie für die Kurdischen Kämpfer und machten damit der Vision eines zusammenhängenden Kurdengbietes ein Ende. Die Türkei ist damit zurück auf dem syrischen Schlachtfeld, allerdings mit einer deutlichen Anti-IS bzw. Anti-YPG-Ausrichtung. Beides offene oder verdeckte Verbündete der USA bzw. des Westens. Schon aus dieser Rochade ergibt sich logisch eine gewisse Annäherung der Türkei an Russland.

»Möge Gott den Schiiten beistehen«

Die Entwicklung in Syrien macht deutlich, dass das Imperium immer weniger in der Lage ist, die widerstreitenden Partialinteressen zu bündeln bzw. zu moderieren. Der Krieg um Syrien, bei dem es neben geostrategischen Interessen vor allem um Erdöl und Erdgas, aber mehr noch um Erdöl- und Erdgas-Transit, also um Pipelines, Häfen, Verflüssigung, Umschlagszentren und ähnliches geht, hat die durch Petrodollars reich und durch westliche Waffenlieferungen mächtig gewordenen Anrainerstaaten massiv auf den Plan gerufen. Hier stehen sich die vom Westen (inclusive Israel) massiv unterstützten sunnitisch-wahhabitisch orientierten Kräfte Saudi-Arabien, die Golfstaaten, Ägypten, Türkei auf der einen Seite und der von Russland und Belarus unterstützte »schiitischen Halbmond«, Iran, Irak, Syrien, Libanon auf der anderen Seite gegenüber – Libanon in Form der Hisbollah. Noch vor dem 11. September 2001 hatte Prinz Bandar bin Sultan, der damalige Botschafter Saudi-Arabiens in Washington und spätere saudische Geheimdienst-Chef zu seinem »Kollegen« vom britischen MI6, Sir Richard Dearlove, gemeint: »Im Nahen Osten ist die Zeit nicht fern, Richard, da es sprichwörtlich heißen wird: ›Möge Gott den Schiiten beistehen‹. Mehr als eine Milliarde Sunniten haben einfach genug von ihnen.«

Der »Freie Westen« hat es angeraten gefunden, diesen Ausrottungskreuzzug mit Waffen, Logistik, Geheimdienstkräften und Militär zu unterstützen. Nebenbei ein blendendes Geschäft, nicht zuletzt auch für deutsche Waffenschmieden. Die »Freie ­Presse« durfte einen »Hitler« nach dem anderen bejammern, der gerade wieder dabei sei, das eigene Volk zu massakrieren und dem die »Weltgemeinschaft« aber sowas von ­sofort in den meuchelnden Arm zu fallen habe. Der Aufstieg der sunnitisch-fundamentalistischen Abteilungen fürs Grobe, al Quaida und IS/Daesh, die »einfach genug« von den Schiiten, erst recht von den Ungläubigen insgesamt hatten und das mit den entsprechenden Zerstörungen und Metzeleien deutlich machten, war das logische Ergebnis dieser, sagen wir »Zusammenarbeit«. Wie in einem Dokument des US-Geheimdienstes DIA von 2012 klar wird, hatte der »Westen« für einen Sieg über Assad auch die Errichtung eines fundamentalistischen Kalifats (Princi­pality) akzeptiert.[1] Das eigentliche Ziel war ein Ende der Sykes-Picot-Ordnung von 1916 und eine Neugestaltung des Nahen/Mittleren Osten zulasten der staatlichen Integrität vor allem Iraks und Syriens. Dieses Ziel ist am 22. Dezember deutlich in die Ferne gerückt.

6 Billionen Dollar kontraproduktiv versenkt

Als 1989 der reale Sozialismus zusammenbrach, war für die strategischen Zirkel der »einzigen Weltmacht« die Zeit gekommen, mit dem Großen Aufräumen zu beginnen. Die ökonomische Schwäche des Roten Oktober sorgfältig analysierend, und mit Hilfe des von Saudi-Arabiens gedrückten Ölpreises verstärkend, war der US-Imperialismus mit seinem »großen Kommunikator«, Ronald Reagan, in die Offensive gegangen. Aber schon unter Jimmy Carter begann die verstärkte Aufrüstung des islamistischen Mittelalters in Afghanistan und ähnlicher reaktionärer Mörderbanden in Südamerika, Afrika und Asien. Nun, nach 1989 schien die Zeit gekommen, von der Counterinsurgency-Strategie zum offenen, geostrategischen Krieg um die globalen Ressourcen und Einflussgebiete überzugehen.

Schon bald erschienen die entsprechenden geostrategischen Analysen, wie Brzezinskis »Die einzige Weltmacht« (1997) Huntingtons »Clash of Zivilisations« (1996) Kissingers »Die sechs Säulen der Weltordnung« (1992), die mehr oder weniger deutlich die dauerhaften Weltherrschaftsambitionen des nun unbeschränkt herrschenden US-Imperiums formulierten. 1997 gründeten die neokonservativen Vordenker den Think-Tank »Project for a New American Century« (PNAC), um die notwendigen Erfordernisse für die Verewigung der US-amerikanischen Vorherrschaft zu formulieren.

Wie wir durch den ehemaligen Nato-Oberkommandierende Europa (SACEUR), Wesley Clark, wissen, gehen die heutigen Kriege in Greater Middle East auf Planungen des Pentagon aus dem Jahre 1991 zurück. Und tatsächlich machte die US-Army schon 1991 unter George H.W. Bush die Probe aufs Exempel. Niemand würde das Imperium mehr stoppen, wenn es Krieg führte. In diesem Omnipotenzgefühl waren, laut Clark, sieben unprovozierte Kriege gegen sieben souveräne Staaten in fünf Jahren geplant, gegen Irak, Libyen, Libanon, Somalia, Sudan, Iran und eben Syrien. Mit allem, was die Pattsituation des Kalten Krieges an Widerständigen in der Region hervorgebracht hatte, sollte nun aufgeräumt werden.

Das Ergebnis ist ein grauenvolles menschenverachtendes Chaos. Millionen Opfer, »Failed States«, ein Konjunkturprogramm für den Jihadismus. Die Lage in den angegriffenen Staaten ist heute radikal anders als in der Kriegspropaganda der Neocons versprochen. Von Nationbuilding im Sinne westlicher Demokratien ist weder in Afghanistan, noch in Irak, noch in Somalia, Jemen, Libyen oder Syrien etwas erkennbar. Die USA haben unter diesem Aspekt alle Kriege verloren. Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der »einzigen Weltmacht« sind schwer beschädigt. Die Integrationskraft in seine imperialistische Logik hat auch im »Westen« deutlich gelitten. Sie ist mit dem Amtsantritt von Donald Trump noch einmal weiter erodiert. Aber auch der geostrategische Blick ist alles andere als rosig. Nach der Zerstörung der letzten laizistischen Regimes in der Region, teilweise langjährige Verbündete, drängt sich die eigene Agenda, sowohl der sunnitisch-wahabitischen Golfmonarchien als auch der Staaten des schiitischen Halbmondes nach vorn. Hier haben sich potente regionale Akteure entwickelt, die nicht einfach herum zu kommandieren sind. Die Einbindung der nun islamistischen Türkei in das anti-schiitische Bündnis löst sich, Russland spielt als militärischer, strategischer Faktor in der Region wieder eine relevante Rolle. Die entscheidenden Verhandlungen, auch in Astana fanden zwischen Russland, Iran und der Türkei statt. Ohne das Imperium. Wie Donald Trump zutreffend feststellt, sind 6 Billionen Dollar, wenn man so will, katastrophal kontraproduktiv in der Region versenkt worden. Die zentrifugalen Kräfte wachsen global rapide, selbst in der EU. Der schmutzige Krieg gegen Syrien, der letzte und einer der blutigsten nach 9/11, scheint nun nach Aleppo direkt durch das angegriffene Assad-Regime operativ gewonnen werden zu können. Ein Novum seit dem verlorenen Suez-Krieg der Briten und Franzosen. Der Syrienkrieg hat dem Imperium die Verewigung seiner Vorherrschaft nicht näher gebracht, sondern sie von ihm weiter entfernt als je zuvor.

[1] »The West, Gulf Countries, and Turkey [who] support the [Syrian] opposition… there is the possibility of establishing a declared or undeclared salafist principality in Eastern Syria (Hasaka and der Zor), and this is exactly what the supporting powers to the opposition want, in order to isolate the Syrian regime«.